Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8153
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        Kunstbetriebs in Deutschland, noch werden Perspekti- in Größenordnungen zu tun haben, geworfen, zugleich
        und soziale Situation der künstlerischen Berufe und des K
        ommunen, die mit Abwanderung und „Schrumpfung“
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Großen Anfrage: Wirtschaft-
        liche und soziale Entwicklung der künstleri-
        schen Berufe und des Kunstbetriebs in Deutsch-
        land (Tagesordnungspunkt 6)
        Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Der Deutsche
        Kulturrat ist enttäuscht über die Antwort der Bundesre-
        gierung zur Großen Anfrage. Die Reaktion des Kultur-
        rats ist nur zu verständlich – gibt die Antwort doch weder
        einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche
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        Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
        Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 12.02.2004
        Fischer (Frankfurt),
        Joseph
        BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        12.02.2004
        Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 12.02.2004
        Hartnagel, Anke SPD 12.02.2004
        Hermenau, Antje BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        12.02.2004
        Hintze, Peter CDU/CSU 12.02.2004
        Hoffmann (Chemnitz),
        Jelena
        SPD 12.02.2004
        Leibrecht, Harald FDP 12.02.2004
        Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 12.02.2004
        Otto (Godern), Eberhard FDP 12.02.2004
        Rauber, Helmut CDU/CSU 12.02.2004*
        Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        12.02.2004
        Weisskirchen
        (Wiesloche), Gert
        SPD 12.02.2004
        Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 12.02.2004
        Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 12.02.2004
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        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        en deutlich, wie die Bundesregierung zur Verbesserung
        er sozialen Lage von Künstlern und zur Bewältigung
        er kulturellen Probleme in den Ländern und Kommu-
        en beitragen kann.
        Wie die derzeit zur Verfügung stehenden Daten der
        ünstlersozialkasse belegen, befindet sich ein großer
        eil der in der Bundesrepublik Deutschland freiberuflich
        ätigen Künstlerinnen und Künstler, Publizistinnen und
        ublizisten in einer prekären sozialen Situation. Mit ei-
        em Durchschnittseinkommen von 11 144 Euro pro Jahr
        Frauen 9 355, Männer 12 503 Euro – liegen sie weit
        nter dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt der in der
        esetzlichen Rentenversicherung Versicherten. Im Osten
        ind die Einkommen noch geringer. Im Jahre 2001 be-
        rug das Durchschnittseinkommen der in der KSK Versi-
        herten in den neuen Bundesländern 17 439 DM im Ver-
        leich zu 22 164 DM im Bundesdurchschnitt. Das ist
        um Leben zu wenig. Es ist auch zu wenig, um eine aus-
        eichende Altersversicherung zu erreichen. So wird die
        ehrzahl der freiberuflichen Künstler im Alter nur eine
        ehr geringe Rente erhalten. Viele werden auf die soziale
        rundsicherung angewiesen sein.
        Es ist anzunehmen, dass sich die Situation in den
        ommenden Jahren – nicht zuletzt aufgrund der Spar-
        olitik in den Ländern und Kommunen – noch verschär-
        en wird. Die Zahl der Freiberufler dürfte sich infolge
        on Personalabbau im öffentlichen Kulturbereich und
        utsourcing von vormals in Unternehmen der Kultur-
        irtschaft angesiedelten Arbeiten eher erhöhen als ver-
        ingern. Es besteht deshalb aus Sicht der Kulturverbände
        nd unserer Auffassung nach weiterer Reformbedarf zur
        erbesserung der Einkommenssituation und sozialen
        bsicherung freiberuflich tätiger Künstler und Publizis-
        en.
        Die Bundesjustizministerin allein wird es nicht rich-
        en können – so wichtig die von der Bundesregierung in
        ussicht gestellten Veränderungen im Bereich des Urhe-
        er- und Leistungsschutzrechtes sind. Hinzukommen
        üssen weitere Verbesserungen in der Sozialgesetzge-
        ung.
        Das Künstlersozialversicherungsgesetz gehört zwei-
        ellos zu den wichtigsten kultur- und sozialpolitischen
        rrungenschaften der Bundesrepublik, die es zu sichern
        nd weiter auszubauen gilt. Bei der Fortentwicklung
        eht es aus Sicht der PDS vor allem darum, alle Lücken
        u schließen, durch die nach wie vor freischaffende
        ünstlerinnen und Künstler, Publizistinnen und Publi-
        isten aus der Sozialversicherung herausfallen, einen
        ersicherungsschutz für Zeiten ohne Einkommen sicher-
        ustellen, eine Arbeitslosenversicherung einzuführen
        nd eine angemessene Rentenregelung zu erreichen.
        Was die Situation in Ostdeutschland betrifft, so hat
        ie jüngst erschienene Studie der Bundeskulturstiftung
        Labor Ostdeutschland“ ein Schlaglicht auf die spezifi-
        chen Problemlagen in den östlichen Bundesländern und
        8154 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
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        aber auch verdeutlicht, welche Chancen in der Entwick-
        lung der kulturellen Infrastruktur und der Kulturwirt-
        schaft liegen – gerade auch in solchen Problemregionen.
        Wir meinen: Kultur ist eine besondere Stärke des Os-
        tens und eine Zukunftschance für diese Region. Wir set-
        zen uns deshalb nachdrücklich für den Erhalt der öffent-
        lichen Infrastruktur und die Sicherung der so genannten
        „freien Szene“ in ihrer Vielgestaltigkeit ein und fordern
        hier auch das Engagement des Bundes zum Erhalt der
        kulturellen Substanz in Ostdeutschland ein. Die Stär-
        kung der Finanzkraft der Kommunen und ein prinzipiel-
        les Umsteuern in Bezug auf die Wirtschafts- und Be-
        schäftigungspolitik in den neuen Ländern sehen wir als
        Voraussetzung dafür, das kreative Potenzial zu sichern.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur
        Modernisierung des Kostenrechts (KostRMoG)
        (Tagesordnungspunkt 10)
        Christoph Strässer (SPD): Was lange währt, wird
        endlich gut. Zehn Jahre sind vergangen – zehn Jahre, in
        denen die Gerichts- und Anwaltsgebühren, die Entschä-
        digungen für Sachverständige, Dolmetscherinnen und
        Dolmetscher, Übersetzerinnen und Übersetzer, ehren-
        amtliche Richterinnen und Richter, aber auch Zeuginnen
        und Zeugen nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung
        Schritt gehalten haben.
        Um die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Zu-
        kunft weiter sichern zu können, ist die Reform des Kos-
        ten- und Gebührenrechts daher notwendig.
        Eine echte Reform bedeutet aber mehr als eine bloße
        lineare Anhebung von Gebührensätzen. Eine Reform ist
        eine Neugestaltung, eine Umgestaltung, eine Anpassung
        an veränderte Rahmenbedingungen und Voraussetzun-
        gen. Und genau das ist unsere Gesetzesnovelle. Wir ha-
        ben die Chance genutzt, eine Strukturreform auf den
        Weg zu bringen. Die Novelle des Kostenrechtsmoderni-
        sierungsgesetzes – die wir heute beschließen werden –
        ist modern, weil zeitgemäß. Sie fördert moderne Formen
        der Konfliktlösung. Sie honoriert die außergerichtliche
        Erledigung von Streitfällen und entlastet – ebenso wie
        das Justizmodernisierungsgesetz, das ich an dieser Stelle
        ausdrücklich erwähnen möchte – die Gerichte. Sie ist ein
        Stück weit dienstleistungsorientierter, wettbewerbs-
        orientierter, europafester und reagiert gleichzeitig so-
        wohl auf den Kostendruck der Länder als auch der an
        den Rechtsstreitigkeiten beteiligten Personen.
        Das Reformpaket ist – so denke ich – insgesamt sehr
        ausgewogen, nicht zuletzt deshalb, weil alle relevanten
        Gruppen an den Verhandlungen beteiligt waren. Ihnen
        allen sei gedankt für die teilweise überstrapazierte Ge-
        duld anlässlich der Dauer des Gesetzgebungsverfahrens!
        Es ist erfreulich, dass die Ergebnisse der Reform im
        Großen und Ganzen von allen Beteiligten – sei es der
        Anwaltschaft, der Richterschaft oder anderen – begrüßt
        werden.
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        Natürlich hätte jeder gerne an der einen oder anderen
        telle noch Veränderungen gesehen – zu seinen Gunsten,
        ersteht sich.
        Aber es war und ist gerade unsere Aufgabe, dafür zu
        orgen, dass das Reformpaket, so wie wir es in langen
        erhandlungen mit allen Beteiligten geschnürt haben,
        icht kleingeredet, zerredet oder wieder aufgeschnürt
        ird. Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses,
        ie wir jetzt beraten, beherzigt genau dies. In der Stel-
        ungnahme des Bundesrates gab es 50 Änderungswün-
        che. Allein 42 Punkte betrafen Änderungen des Ge-
        ichtskostengesetzes. Sie bezogen sich zum größten Teil
        uf die Erhöhung einzelner Gebühren. Die vorgeschlage-
        en Änderungen hätten ein Volumen von 120 Millionen
        uro gehabt.
        Nun, es ist zwar verständlich, dass die zu erwartenden
        ehrausgaben der Länder durch entsprechende Mehr-
        innahmen an Gerichtsgebühren ausgeglichen werden
        ollen. Auch entsprechende Risikofaktoren bei der
        ückflussquote sollten nicht zulasten der Länder gehen.
        ie Länder stehen ohnehin schon vor einer schwierigen
        aushaltslage.
        Aber wir können es nicht verantworten, dass die Re-
        orm des Kostenrechts die Länderhaushalte sanieren
        oll. Da müssten wir alle übereinstimmen. Denn die Ver-
        ierer wären die Rechtsuchenden. In der Gegenäußerung
        er Bundesregierung heißt es daher zu Recht: „Der Zu-
        ang zum Recht ist ein hohes Gut eines jeden Rechts-
        taates und darf nicht über das unabdingbare Notwen-
        ige hinaus mit Kostenbelastungen erschwert werden.“
        enau so ist es.
        Das Rechtssystem muss für die Rechtsuchenden da
        ein – nicht umgekehrt: Die Justiz ist keine Unterabtei-
        ung der Finanzminister! Daher haben wir darauf zu ach-
        en, dass dem moderaten Anstieg der Honorare und Ent-
        chädigungen für Anwälte, Dolmetscher, Übersetzer,
        achverständige, ehrenamtliche Richter und Zeugen
        uch ein nur moderater Anstieg der Gerichtsgebühren
        egenübersteht. Am Ende soll für die Länder eine
        schwarze Null“ stehen, nicht mehr und auch nicht we-
        iger.
        Wir haben uns daher im Wesentlichen auf drei Verän-
        erungen im Vergleich zur ersten Lesung verständigt:
        Erstens. Wir haben uns darauf verständigt, die Gebüh-
        en des einstweiligen Rechtsschutzes in erstinstanzlichen
        ivilverfahren von 1,0 auf 1,5 Gebühren zu erhöhen.
        as macht Sinn, denn der Arbeitsaufwand der Gerichte
        st in diesem Bereich erheblich. Im Übrigen stellt die
        nhebung eine Angleichung der verschiedenen gericht-
        ichen Verfahren dar. Insgesamt bedeutet diese Maß-
        ahme Mehreinnahmen von circa 17 Millionen Euro für
        ie Länder. Um den Bedenken der Bundesregierung
        echnung zu tragen, soll ein Ermäßigungstatbestand
        ingefügt werden.
        Zweitens. Die Wegstreckenentschädigung für Zeu-
        en wird von 0,21 Euro auf 0,25 Euro erhöht. Das ist
        ine Erhöhung von 19 Prozent und, wie ich finde, ausrei-
        hend, aber auch angemessen. Damit bleibt es bei einer
        nterschiedlich hohen Entschädigung für Zeugen und
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8155
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        die anderen am Verfahren Beteiligten, die mit 0,30 Euro
        entschädigt werden. Das neue Leitbild geht ja gerade
        von in der Regel hauptberuflich für die Gerichte tätigen
        Sachverständigen, Dolmetschern und Übersetzern aus.
        Die unterschiedliche Häufigkeit der Heranziehung recht-
        fertigt eine sachliche Differenzierung. Im Vergleich zum
        Vorentwurf des Gesetzes bedeutet dies Minderausgaben
        von etwa 6 Millionen Euro.
        Drittens. Um schließlich die Kosten der Gerichte im
        Mahnverfahren zu decken, sollen die Mindestgebühren
        bei Verfahren über den Antrag auf Erlass eines Mahnbe-
        scheides von jeweils 18 Euro auf 23 Euro und von
        15 Euro auf 18 Euro in der Arbeitsgerichtsbarkeit ange-
        hoben werden. Hier geht man von Mehreinnahmen von
        in etwa 25 Millionen Euro aus. Um derzeit aber weitere
        Mehrbelastungen der Rechtsuchenden zu vermeiden,
        soll diese Änderung erst zum l. Juli 2006 in Kraft treten.
        Ich gehe davon aus, dass dem nun vorliegendem Ent-
        wurf der Bundesrat zustimmen wird. Ja, ich gehe sogar
        so weit, zu behaupten, dass er seine Zustimmung geben
        müsste.
        Damit wäre dann eine notwendige Reform auf den
        Weg gebracht, eine Reform, auf die alle zu Recht gewar-
        tet haben. Und wenn auch der eine oder andere Verhand-
        lungspartner für seine Seite gerne noch etwas mehr raus-
        geholt hätte: Das Gesamtpaket ist ausgewogen. Ich bin
        froh, dass eine Baustelle abgeräumt werden kann und
        das erstellte Gebäude allen nutzt.
        Ich danke nochmals allen Beteiligten, insbesondere
        auch unserer Justizministerin, für die konstruktive Zu-
        sammenarbeit der letzten Monate, die zu einem sehens-
        werten Ergebnis geführt hat.
        Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Zur De-
        batte und zur Abstimmung in zweiter und dritter Lesung
        steht heute das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz. Es
        kommt in diesem Hause nicht sehr häufig vor, dass Ge-
        setzentwürfe von allen Fraktionen gemeinsam einge-
        bracht werden. Dass dies hier der Fall ist, zeigt, dass es
        offensichtlich für keinen politischen Standpunkt länger
        hinnehmbar ist, dass sich die Stagnation der Rechtsan-
        waltsvergütung auch weiterhin in die Zukunft fortsetzt.
        Dieser Gesetzentwurf ist kein Traumergebnis. Er ist
        ein Kompromiss, aber er ist ein wichtiger Schritt in die
        richtige Richtung, der längst überfällig ist.
        Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bei diesem
        Gesetzgebungsverfahren in enger Abstimmung mit
        BRAK und DAV den Konsens mit der Bundesregierung
        und den Regierungsfraktionen gesucht –, nicht, weil uns
        kein eigener Gesetzentwurf eingefallen wäre, nein, nur
        ein Konsens in diesem Parlament konnte den notwendi-
        gen Druck auf die Bundesregierung erzeugen, um zu
        verhindern, dass es – wie in der letzten Legislaturperio-
        de – nur bei Versprechungen und Ankündigungen einer
        Gesetzesnovelle bleibt.
        Das Plädoyer für die Reform der Rechtsanwaltsvergü-
        tung ist kein dumpfer Lobbyismus für die Anwaltschaft
        in Deutschland. Die Rechtsanwältinnen und Rechtsan-
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        älte sind ein wesentlicher Bestandteil der Rechtspflege
        n unserem demokratischen Rechtsstaat. Da wir bewusst
        inen Gebührenrahmen für freiberuflich tätige Rechtsan-
        ältinnen und Rechtsanwälte vorgeben wollen, sind wir
        ls Gesetzgeber aber auch in der Pflicht, dem Berufs-
        tand der Rechtsanwälte die Chance auf finanzielle Un-
        bhängigkeit für ihre berufliche Tätigkeit einzuräumen.
        s ist völlig inakzeptabel, dass die Rechtsanwältinnen
        nd Rechtsanwälte seit nunmehr zehn Jahren von der
        irtschaftlichen Entwicklung vollständig abgekoppelt
        ind. Seit zehn Jahren stagnieren die Vergütungsansprü-
        he für Anwälte, Sachverständige, Dolmetscher und
        bersetzer. In diesen zehn Jahren sind die Lohnkosten,
        ieten und Sachkosten drastisch gestiegen. In dieser
        ehnjährigen Vergütungsstagnationsphase verzeichnete
        ie gewerbliche Wirtschaft einen Einkommenszuwachs
        n Höhe von 26 Prozent.
        Ich finde: Mit diesem gemeinsamen Gesetzentwurf
        bernehmen wir auch die Verantwortung dafür, dass es
        ich nicht wiederholt, dass die Rechtsanwältinnen und
        echtsanwälte in Deutschland über einen so langen Zeit-
        aum von der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem
        and vollständig ausgeschlossen werden. Nach seriösen
        odellrechnungen wird die Reform der Anwaltsvergü-
        ung der Anwaltschaft Mehreinnahmen in Höhe von
        4 Prozent erbringen. Diese Steigerung ist vor dem Hin-
        ergrund der zehnjährigen Nullrunde mehr als moderat.
        iese Mehreinnahmen werden nicht in erster Linie
        urch eine lineare Erhöhung der Gebühren, sondern
        urch eine Strukturreform des Gebührenrechts erreicht.
        er anwaltliche Einsatz für außergerichtliche Streitbei-
        egungen wird durch das neue Gesetz künftig besser ho-
        oriert.
        Diese Strukturreform wird dem Rechtsfrieden dienen
        nd die Gerichte entlasten. Dieser Ansatz trägt auch der
        atsache Rechnung, dass bereits heute die anwaltliche
        ätigkeit zu 70 Prozent außerhalb der Gerichtssäle statt-
        indet. Der aufgrund des Einigungsvertrages bis heute
        ültige Gebührenabschlag Ost in Höhe von 10 Prozent
        uf Anwaltsgebühren und Entschädigungssätze in den
        euen Bundesländern wird durch diese Reform ab dem
        . Juni 2004 entfallen. Wir gehen damit einen weiteren
        chritt zur Angleichung der Lebensverhältnisse in den
        lten und neuen Bundesländern und setzen gleichzeitig
        as Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. Ja-
        uar 2003 um.
        Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, zuzugeben, dass die
        trukturellen Änderungen im Vergütungssystem dazu
        ühren werden, dass die Rechtsanwältinnen und Rechts-
        nwälte je nach Tätigkeitsschwerpunkten von der Re-
        orm unterschiedlich profitieren werden. Insbesondere
        aurechtler und Familienrechtler werden durch den
        egfall der Beweisgebühr negativ betroffen sein, denn
        n diesen Rechtsgebieten wird bei gerichtlichen Verfah-
        en fast immer Beweis erhoben. Diese Einbußen können
        edoch teilweise dadurch kompensiert werden, dass die
        orschrift über Ausgleich und Verrechnung der ver-
        chiedenen Gebühren im vorgerichtlichen und im ge-
        ichtlichen Verfahren geändert werden. Zu berücksichti-
        en ist auch, dass künftig bei jedem gerichtlichen
        erfahren, in dem es eine mündliche Verhandlung
        8156 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
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        gegeben hat, immer 2,5 Gebühren anfallen werden. Die
        Gerichtskosten, die aus verständlichen Gründen für je-
        den Landesjustizminister einen Interessensschwerpunkt
        darstellen, werden ebenfalls nur moderat erhöht. Diese
        Zurückhaltung bei der Erhöhung der Gerichtskosten ist
        von entscheidender Bedeutung. In einem Rechtsstaat
        darf die Durchsetzung des Rechtes durch ein gericht-
        liches Verfahren nicht durch eine zu hohe Kosten-
        schwelle erschwert oder unmöglich gemacht werden.
        Ich begrüße es sehr, dass die Spitzenvertreter der
        Standesorganisationen der Anwaltschaft in Deutschland
        diesen gemeinsamen Gesetzentwurf als wichtigen
        Schritt in die richtige Richtung begrüßt haben. Mit der
        Unterstützung dieses Gesetzentwurfes sprechen wir uns
        alle, die Standesorganisationen der Anwaltschaft und
        alle Fraktionen dafür aus, dass auch in Zukunft klare ge-
        setzlich festgelegte Gebührenstrukturen für freiberuflich
        tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gelten sol-
        len. Dies ist ein wichtiges Signal an die Europäische
        Kommission in Brüssel, insbesondere an den Wettbe-
        werbskommissar Mario Monti.
        Ich sage dies vor einem aktuellen Hintergrund: Am
        letzten Montag, also vor nur vier Tagen, hat die Europäi-
        sche Kommission auf Initiative des Herrn Monti einen
        Bericht verabschiedet, in dem auch Deutschland aufge-
        fordert wird, die bei uns gesetzlich geregelten Gebühren-
        vorschriften für Freiberufler, insbesondere für Rechtsan-
        wälte, abzubauen und ganz abzuschaffen. Ich bin zwar
        überzeugter Europäer, aber diese Position des Wettbe-
        werbskommissars ist im Hinblick auf die Bedeutung der
        freien Berufe für unser Land und unsere Wirtschafts-
        struktur nicht akzeptabel. Die Besonderheit und das
        Ethos der freien Berufe gründen in dem vom Staat über-
        tragenen Aufgaben.
        Das gesetzlich geregelte Gebührenrecht für die freien
        Berufe, dient nicht – wie es Herr Monti unterstellt – der
        Marktabschottung, sondern der Sicherung geordneter
        Verfahren, der Qualitätssicherung und damit den Ver-
        braucherinteressen. Ein zentrales Element des deutschen
        Rechtssystems ist die Kostenerstattung durch die unter-
        legene Partei und die Prozesskostenhilfe für wirtschaft-
        lich Schwächere. Bei einer vollständigen Liberalisierung
        des Gebührenrechts wären diese Grundelemente unseres
        Rechtssystems nicht haltbar. Da die Bundesregierung
        diesen Gesetzentwurf aus Überzeugung mitträgt, gehe
        ich davon aus, dass die zuständigen Minister dieser Bun-
        desregierung Herrn Monti in diesem Punkt klar und
        deutlich widersprechen werden.
        Hans-Chistian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Das Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts
        im Justizbereich war fürwahr eine „schwierige Geburt“.
        Bereits in der letzten Legislaturperiode hatten wir uns
        viel Mühe jahrelang damit gegeben. Wir hatten es fast
        verabschiedet, aber dann ging es unter im Dickicht der
        Bedenken und Bedenkenträger aus Parteien, Bundeslän-
        dern und Interessengruppen. Wir machen einen neuen
        Anlauf.
        Fast alle sind sich einig und können mit dem Ergebnis
        leben. Die vielen Menschen, die beruflich – oder auch
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        rivat als Rechtsuchende – mit Justiz zu haben. Die
        echtsuchenden, ihre Anwälte, die Rechtsberater, die
        eugen, die Sachverständigen, die Schöffen und Laien-
        ichter, die Justiz. Und sogar die Bundesländer, die auf
        ie enge Finanzlage vor allem ihrer Haushalte Rücksicht
        u nehmen haben. Sie haben darauf bestanden, dass sie
        icht drauflegen müssen. Wie trotzdem die Honorare
        nd Entgelte erhöht werden können, das war die große
        ufgabe.
        Seit zehn Jahren gab es keine Anpassungen mehr, ob-
        ohl Kosten und Gehälter sich erheblich verändert hat-
        en. Rechtsanwaltskollegen haben mich angesprochen
        nd erklärt: Wir übernehmen keine Mandate als Pflicht-
        erteidiger in Strafverfahren mehr. Wir können von den
        ebühren unsere Büros nicht mehr bezahlen.
        Wir legen ein Gesetzesgesamtwerk vor, das das Kos-
        en- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter ge-
        taltet, die Gerichte entlastet und die am Verfahren Be-
        eiligten zeitgemäß vergütet. Bürgerinnen sollen zu
        ußergerichtlichen, Geld sparenden Streitbeilegungen
        nimiert werden; Rechtsanwälte sollen durch Gebühren-
        nreize motiviert werden, dies zu unterstützen.
        Nicht zuletzt der bisherige 10-prozentige Ostabschlag
        uf die Gebühren und Entschädigungssätze in den neuen
        undesländern wird endlich abgeschafft. Wir leisten da-
        it einen Beitrag zur Angleichung der Lebensverhält-
        isse in Ost- und Westdeutschland.
        Die Vergütungen für Rechtsanwälte, Sachverständige,
        olmetscher und Übersetzer werden maßvoll angehoben
        n Höhe der Kostensteigerungen seither etwa für Mieten
        nd Gehälter mit jährlich circa 1,4 Prozent. Damit liegen
        twa Honorare für Rechtsanwälte deutlich hinter dem
        inkommenszuwachs in der gewerblichen Wirtschaft
        on durchschnittlich 2,6 Prozent jährlich im Vergleichs-
        eitraum. Gleichzeitig vermeidet der Gesetzentwurf fi-
        anzielle Mehrbelastungen der Bundesländer.
        Das Gesetz ist das fragile Ergebnis jahrelanger Ver-
        andlungen von Bund und Ländern und den betroffenen
        erufsverbänden und Standesorganisationen, ein Kom-
        romiss eben.
        Viele haben mich in den letzten Monaten gedrängelt:
        itte keine weitere Verzögerung bei der Verabschiedung.
        as In-Kraft-Treten zum 1. Juli ist schon viel zu spät.
        önnt ihr nicht Teile des Gesetzes früher in Kraft set-
        en? Sie hatten Recht. Weiteres Hinausschieben war
        icht zu verantworten. Deshalb waren Änderungen nicht
        ehr drin. Sie hätte zu einer erneuten Verzögerung ge-
        ührt. Eine unerträgliche Vorstellung.
        Die vielen Wünsche nach weiteren Verbesserungen
        üssen jedenfalls im Moment leider zurückstehen, um
        as vorrangige Ziel der schnellen Verabschiedung nicht
        u gefährden. Wir haben zahlreiche Briefe mit Ände-
        ungsvorstellungen erhalten. Viele sind vernünftig, tat-
        ächlich wünschenswert oder jedenfalls überlegenswert.
        Nur einige Beispiele: Der Deutsche Industrie- und
        andelskammertag möchte zum Beispiel die Vergütung
        er gerichtlichen Sachverständigen noch flexibler nach
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8157
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        fortschreitenden Marktpreisen gestalten statt durch stati-
        sche Zuordnung von Sachgebieten zu bestimmten Hono-
        rargruppen.
        Ein Berliner Rentenberater beklagt gegenüber dem
        Petitionsausschuss ein Sonderopfer seines Berufsstandes
        durch einen drohenden Gebührenrückgang um 20 Pro-
        zent infolge der Neuregelung.
        Ein Berliner Fachanwalt für Sozialrecht weist mich
        auf ein drohendes „Unrecht“ hin, wenn dort sowie im
        verwaltungsrechtlichen Verfahren die Vorverfahrens- auf
        die Gebühr im Klageverfahren angerechnet wird, statt
        die Gebühren insgesamt anzuheben.
        Ein Hannoveraner Fachbuchautor regt an, die An-
        rechnungsregeln anwaltlicher Verfahrens- und Ge-
        schäftsgebühren je nach erteiltem Auftrag sowie unter-
        schiedliche Gebührenerhöhungen bei mehreren
        Auftraggebern zu harmonisieren.
        Der Notarausschuss im Deutschen Anwaltverein
        wendet sich gegen Fest- und Höchstgebühren und regt
        andere Wertbemessungen unter anderem bei der Bear-
        beitung von Eheverträgen an.
        Die AG Ausländer- und Asylrecht im DAV hält die
        Streitwertbestimmung im Asylverfahren für unzurei-
        chend.
        Die Bundespsychotherapeutenkammer fordert
        Gleichstellung ihrer Mitglieder mit ärztlichen Sachver-
        ständigen bei den Vergütungen und Auslagen für ge-
        richtliche Gutachten.
        Eine überörtliche Anwaltssozietät wendet sich gegen
        die geplante Abschaffung der anwaltlichen Beweisge-
        bühr, was sich besonders einkommensmindernd in Arzt-
        haftungs-, Ehescheidungs- und Bauprozessen auswirken
        werde.
        Ein Kommentator zum Zeugenentschädigungsrecht
        fordert höhere Reisekosten- und Auslagenerstattung in
        diesem Bereich.
        Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins hat da-
        rauf hingewiesen, dass die „Gebührenordnung als Gan-
        zes in Frage gestellt werden“ könnte und der erzielte
        „Kompromiß scheitern“ könnte, wollte man jetzt ein-
        zelne „Übelstände“ noch begradigen.
        Er hat Recht, wir haben in mehreren abschließenden
        Runden versucht, das eine oder andere doch noch aufzu-
        greifen und anders zu regeln. Es stellte sich schnell he-
        raus: Jede Fraktion hat andere Prioritäten. Die eine will
        für die Asylverfahren Veränderungen, die andere bei der
        Beweisgebühr eine Ergänzung usw. Änderungen wären
        mit Kosten verbunden, die Länder sind misstrauisch, der
        Kompromiss würde aufgeschnürt, es gäbe vielleicht eine
        neue Anhörung und schon wäre der Terminplan nicht
        mehr zu halten.
        Deshalb bleibt nur: Nicht mehr dran rühren, bloß
        nicht das Konsenspaket wieder öffnen.
        Meine Fraktion ist auch künftig weiter offen für alle
        zusätzlichen Verbesserungen, möglichst kostensparende
        und gerechte Ausgestaltung des Kostenrechts. Solche
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        orschläge sollten wir, auch im Lichte erster Praxiser-
        ahrungen mit der jetzigen Reform, sukzessive aufgrei-
        en, wo immer dafür Raum ist.
        Wir tun das Notwendige für das Funktionieren des
        echtsstaates. Verabschiedet wird jetzt und in Kraft ge-
        etzt zum l. Juli 2004. Dann sehen wir weiter: Wie hat
        ich was bewährt und was nicht?
        Rainer Funke (FDP): Das Kostenrechtsmodernisie-
        ungsgesetz kommt spät, aber hoffentlich nicht zu spät.
        ch erinnere in diesem Zusammenhang daran, dass die
        etzte strukturelle Veränderung des anwaltlichen Kosten-
        echts 1986 und die letzte lineare Anpassung der Gebüh-
        en 1994 erfolgt ist.
        Die Bundesregierung hatte bereits in der letzten Le-
        islaturperiode angekündigt, dass ein Rechtsanwaltsver-
        ütungsgesetz vorgelegt werde und die damalige Justiz-
        inisterin hatte den Anwälten entsprechende Zusagen
        emacht. Zu diesem Zweck war eine Sachverständigen-
        ommission eingesetzt worden, um nicht nur eine line-
        re Erhöhung der Anwaltsgebühren, sondern auch struk-
        urelle Veränderungen vorzusehen. Als in der letzten
        egislaturperiode erkennbar wurde, dass die Bundesjus-
        izministerin ihre Versprechungen gegenüber der An-
        altschaft nicht einhalten wollte, hat die FDP-Fraktion
        inen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag einge-
        racht, der sich in wesentlichen Zügen auf das Ergebnis
        er Sachverständigenkommission bezog. Die FDP hatte
        uch in dieser Legislaturperiode angekündigt, diesen
        esetzentwurf erneut einzubringen, wenn die Bundesre-
        ierung erneut das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz
        erzögern würde. Ich danke der Bundesjustizministerin
        afür, dass sie im Konsens mit den Verbänden und den
        ändern, aber auch im Konsens mit allen Bundestags-
        raktionen einen verabschiedungsreifen Entwurf einer
        ostenrechtsmodernisierung vorgelegt hat.
        Kompromisse haben die Eigenschaft, dass man nicht
        it allem zufrieden sein kann und gegebenenfalls auch
        achbesserungen notwendig sind. Mir ist jedoch be-
        usst, dass ein Aufschnüren des Gesamtpaketes auch
        egative Folgen für positiv erkannte Regelungen mit
        ich bringen könnte. Deswegen hat die FDP-Fraktion
        uch in den Vorberatungen dieser Paketlösung zuge-
        timmt.
        Dabei sind wir davon ausgegangen, dass auch der
        undesrat dieser Lösung zustimmen wird. Die Länder
        ind hinsichtlich der Gerichtskosten um rund 50 Millio-
        en günstiger gestellt worden, als von uns ursprünglich
        ür angemessen und richtig gehalten wurde. Wir waren
        ür eine Kompensation der Belastungen durch den höhe-
        en Anfall der Prozesskostenhilfe und der Zeugen- und
        achverständigenentschädigung ausgegangen. Jetzt ist
        n diesem Paket eine Überkompensation für die Länder
        orgesehen, der wir unter dem Gesichtspunkt der Kom-
        romisslösungen aber, wenn auch schweren Herzens,
        ustimmen. Diese kritische Anmerkung machen wir
        icht etwa um die Länder zu ärgern, sondern weil in ei-
        em funktionierenden Rechtsstaat für jeden Bürger der
        ugang zu den Gerichten ohne zu hohe Gerichtskosten-
        elastung möglich sein muss.
        8158 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
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        Hinsichtlich der Rechtsanwaltsvergütung begrüßen
        wir die strukturellen Veränderungen. Wir wissen, dass
        einige Anwälte hiervon auch negativ betroffen sind. Wir
        werden dies genau beobachten und, falls dies zu nicht
        mehr vertretbaren Belastungen führt, Änderungsvor-
        schläge einbringen. Alles in allem halten wir dieses Kos-
        tenrechtsmodernisierungsgesetz für gelungen und stim-
        men diesem Gesetz zu.
        Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz: Heute
        ist ein guter Tag für alle, die die nötigen Reformen in un-
        serem Land auch für machbar halten. Gerade einmal drei
        Monate nach der ersten Lesung verabschiedet der Bun-
        destag heute den umfangreichen und sensiblen Gesetz-
        entwurf eines Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes.
        Wie bei allen großen Reformen liegen auch beim
        Kostenrechtsmodernisierungsgesetz intensive Diskus-
        sionen hinter uns. Ich nenne die Stichworte Rechts-
        anwaltsvergütung und künftige Bemessung der Gerichts-
        gebühren. In beiden Fällen haben wir mit den Ländern
        sowie den verschiedenen Verbänden und Interessengrup-
        pen intensiv um eine faire Lösung gerungen.
        Wir haben die verschiedenen Interessen ausbalanciert
        in einem Regierungsentwurf und einem wortgleich von
        allen Fraktionen des Deutschen Bundestages einge-
        brachten Entwurf. Die hierbei erzielte breite Überein-
        stimmung hat die zügige Beratung erst möglich ge-
        macht.
        Ich möchte an dieser Stelle allen Berichterstattern für
        die gute und wirklich konstruktive Zusammenarbeit
        ganz herzlich danken. Ich möchte auch meinen Dank an
        die Vertreter der im Rahmen der Erarbeitung des Gesetz-
        entwurfs angehörten Verbände für die konstruktive Mit-
        arbeit wiederholen. Gleiches gilt für die engagierte Mit-
        arbeit der Landesjustizverwaltungen.
        Das Ergebnis unserer Mühe und konzentrierten An-
        strengung kann sich sehen lassen: Wir machen das Kos-
        ten- und Vergütungsrecht einfacher und transparenter,
        entlasten die Gerichte und vergüten die am Verfahren
        Beteiligten zeitgemäß.
        Mit dem Gesetz werden zum 1. Juli 2004 die Rege-
        lungen für die Gerichtskosten ebenso wie die Vergütung
        der Sachverständigen, die Entschädigung für Zeugen
        und ehrenamtliche Richter grundlegend neu gestaltet.
        Von der altehrwürdigen Bundesgebührenordnung für
        Rechtsanwälte werden wir Abschied nehmen. Sie wird
        durch ein neues, modernes Rechtsanwaltsvergütungsge-
        setz ersetzt. Der Ostabschlag in Höhe von derzeit
        10 Prozent auf die Gebühren und Entschädigungssätze
        in den neuen Bundesländern wird – ebenfalls ab 1. Juli
        2004 – der Vergangenheit angehören.
        Lassen Sie mich noch einmal die Schwerpunkte des
        Gesetzentwurfs zusammenfassen. Im Bereich der Ge-
        richtskosten sind dies: Das 1994 für bestimmte Zivilpro-
        zessverfahren bei den Gerichtskosten eingeführte Pau-
        schalgebührensystem wird auf alle Rechtszüge und auf
        die Verfahren aller Zweige der Gerichtsbarkeit ausge-
        dehnt. Die bisher zum Teil im Arbeitsgerichtsgesetz ge-
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        egelten Gerichtsgebühren werden in das Gerichtskos-
        engesetz übernommen. Im Rahmen des Vertretbaren
        ird von Wert- auf Festgebühren umgestellt werden; da-
        it entfallen Schwierigkeiten bei der Streitwertbestim-
        ung.
        Das neue Justizvergütungs- und -entschädigungs-
        esetz löst das Entschädigungsprinzip bei Sachverstän-
        igen, Dolmetschern und Übersetzern durch ein neues
        eistungsgerechtes Vergütungsmodell ab.
        Das neue Rechtsanwaltsvergütungsrecht sieht insbe-
        ondere vor: Es gibt Vereinfachung, weil erstens die Be-
        eisgebühr bei gleichzeitiger Erhöhung der Verfahrens-
        nd der Terminsgebühr wegfällt und wir zweitens die
        ebühren- und Auslagentatbestände in einem Vergü-
        ungsverzeichnis zusammenstellen.
        Erstmalig sind wichtige anwaltliche Tätigkeiten wie
        ediation, Hilfeleistung in Steuersachen und Zeugenbei-
        tand erfasst! Wir kommen zu einer leistungsorientierten
        usgestaltung, zum Beispiel für die Anwaltstätigkeiten
        m Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens,
        es Bußgeldverfahrens und der Pflichtverteidigung.
        Wir fördern die außergerichtliche Erledigung, zum
        eispiel durch Umgestaltung der Vergleichsgebühr zu
        iner Einigungsgebühr für jede Form der vertraglichen
        treitbeilegung und durch Verbesserung der Vergütung
        ür außergerichtliche Tätigkeiten. Damit werden die
        echtsanwälte noch mehr motiviert, die Bürgerinnen
        nd Bürger im Bestreben, sich außergerichtlich zu eini-
        en, zu unterstützen. Die Förderung des „Schlichten,
        tatt richten“ wird auch die Gerichte entlasten.
        Wir fördern den Abschluss von Gebührenvereinba-
        ungen durch Verzicht auf eine gesetzliche Festlegung
        on Gebühren für die Beratungstätigkeit ab 1. Juli 2006.
        Es kommen Gebührenregelungen für den Zeugenbei-
        tand und die Schaffung einer Terminsgebühr für Ver-
        andlungen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs.
        Die rund zehn Jahre unverändert gebliebenen Vergü-
        ungen für Rechtsanwälte passen wir der seither einge-
        retenen wirtschaftlichen Entwicklung an. Dabei sind
        ehreinnahmen der Rechtsanwälte aufgrund der gestie-
        enen Streitwerte bereits berücksichtigt.
        Auch die Erhöhung der Vergütung für Sachverstän-
        ige, Dolmetscher und Übersetzer trägt der wirtschaftli-
        hen Entwicklung Rechnung. Im Vergleich zum Ein-
        ommenszuwachs in der gewerblichen Wirtschaft ist
        abei der im Entwurf vorgesehene Einkommenszuwachs
        her moderat.
        Die Justizhaushalte der Länder werden durch die
        euregelungen nicht belastet, stehen doch den Mehraus-
        aben für Rechtsanwalts- und Sachverständigenver-
        ütungen deutliche Mehreinnahmen im Gerichtskosten-
        ereich gegenüber. Wir kommen damit einem
        indringlichen Wunsch der Länder nach, ohne unsere ge-
        einsame Verantwortung für einen für die Bürgerinnen
        nd Bürger bezahlbaren Rechtsschutz aus den Augen zu
        erlieren.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8159
        (A) )
        (B) )
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfes eines Gesetzes zur
        Umsetzung der Richtlinie 2002/47/EG vom
        6. Juni 2002 über Finanzsicherheiten und zur
        Anderung des Hypothekenbankgesetzes und
        anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 11)
        Bernhard Brinkmann (Hildesheim) (SPD): Mit der
        Umsetzung der EG-Richtlinie 2002/47/EG vom 6. Juni
        2002 und der Verabschiedung des hierfür erforderlichen
        Gesetzentwurfs wird der Finanzplatz Deutschland ge-
        stärkt, sodass unser Land im europäischen Markt wettbe-
        werbsfähig ist und dass die Derivate und Ähnliches auch
        in Frankfurt handelbar sind und die Banken nicht auf
        Plätze wie Luxemburg und London ausweichen müssen.
        Der Gesetzentwurf verfolgt im Wesentlichen zwei
        Anliegen. Zum einen wird die genannte Richtlinie über
        Finanzsicherheiten in das deutsche Recht überführt, zum
        anderen soll das Hypothekenbankgesetz vor allem in sei-
        nen insolvenzrechtlichen Regelungen präzisiert werden.
        Die Finanzsicherheitenrichtlinie zielt darauf ab, den
        freien Dienstleistungs- und Kapitalverkehr im Finanz-
        binnenmarkt zu fördern und zur Stabilität des Finanzsys-
        tems in der Gemeinschaft und zur höheren Kostenwirk-
        samkeit des Finanzmarktes beizutragen. Damit die
        Geschäfte gemeinschaftsweit möglichst störungsfrei ab-
        gewickelt werden können, bestimmt die Richtlinie, Fi-
        nanzsicherheiten von bestimmten Vorschriften des natio-
        nalen Insolvenzrechts auszunehmen, soweit sie die
        effektive Verwertung einer Sicherheit behindern oder im
        Bankenverkehr häufig praktizierte Verfahren, wie etwa die
        Verrechnung gegenseitiger Positionen, infrage stellen. Im
        Bereich des Insolvenzrechts sieht der Gesetzentwurf
        deshalb vor, dass die Verwertung von Finanzsicherheiten
        nicht durch die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen
        im Eröffnungsverfahren oder durch die Eröffnung des
        Insolvenzverfahrens beeinträchtigt werden darf.
        Weiter werden Erleichterungen bei der Pfandverwer-
        tung vorgesehen. So soll etwa der freihändige Verkauf
        erleichtert und auch eine Verwertung im Wege der An-
        eignung zugelassen werden.
        Hierzu noch folgende Feststellung:
        Finanzsicherheiten im Sinne des Gesetzes sind Bar-
        guthaben, Wertpapiere, Geldmarktinstrumente so-
        wie sonstige Schuldscheindarlehen einschließlich
        jeglicher damit im Zusammenhang stehender
        Rechte oder Ansprüche.
        Die komplette Formulierung ist im gemeinsamen Än-
        derungsantrag aller Fraktionen des Deutschen Bundesta-
        ges vom 11. Februar 2004 festgehalten. Die Änderungen
        des Hypothekenbankgesetzes zielen darauf ab, den inter-
        nationalen Kapitalmarkt auch weiterhin von der hohen
        Sicherheit und Qualität des deutschen Pfandbriefrechts
        zu überzeugen. Der Gesetzentwurf sieht hierfür Rege-
        lungen vor, die eine zeitgerechte Bedienung der Pfand-
        briefe auch in der Krise der Hypothekenbank gewähr-
        leisten sollen.
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        Die Zusammenarbeit aller Fraktionen mit dem Bun-
        esjustizministerium und die äußerst sachbezogene De-
        atte in den Berichterstattergesprächen hat auch dazu ge-
        ührt, dass kleine und mittelständische Betriebe nicht
        enachteiligt werden. Das war ein besonderes Anliegen
        er Koalition.
        Ich möchte mich bei den Verantwortlichen des Justiz-
        inisteriums, bei den Berichterstatterkollegen aller
        raktionen und bei den Sachverständigen bedanken. Die
        rforderlichen Gespräche haben zu dem Ergebnis ge-
        ührt, dass dieser für den Finanzplatz Deutschland ganz
        ntscheidende Gesetzentwurf durch das Hohe Haus ein-
        timmig verabschiedet werden kann.
        Marco Wanderwitz (CDU/CSU): Nach intensiven
        esprächen – auch mit Sachverständigen – konnten wir
        ns im federführenden Rechtsausschuss gestern im
        reise der Berichterstatter auf Veränderungen zum ur-
        prünglichen Regierungsvorschlag einigen. Der inter-
        raktionelle Änderungsantrag hat die Umsetzung der
        ichtlinie in nicht unwesentlichen Teilen deutlich verän-
        ert.
        Meine Fraktion hat von Beginn der Berichterstatter-
        espräche an klargemacht, dass wir nicht bereit sind, die
        erechtigten Einwände des Bundesrates, insbesondere
        ie eigentliche Umsetzung der Richtlinie im Bereich
        inanzsicherheiten betreffend, mit einem Federstrich ab-
        utun, wie dies die Bundesregierung in ihrer Stellung-
        ahme getan hat. Nach und nach wurde die Kritik am
        egierungsentwurf lauter: BGA, BDI, CDH, DIHK,
        DV und die Insolvenzverwalter auf der einen Seite, die
        anken, namentlich der BdB, auf der anderen Seite. Für
        ie CDU/CSU-Bundestagsfraktion stand von Beginn an
        ußer Frage, dass der Finanzplatz Deutschland durch die
        msetzung der Richtlinie keine Nachteile im europäi-
        chen Wettbewerb erleiden darf. Andererseits aber gilt
        s, den Wirtschaftsplatz Deutschland nicht zu schwä-
        hen.
        Das deutsche Insolvenzrecht ist von zwei zentralen
        edanken getragen, die sich in § l der Insolvenzordnung
        iederfinden. Erstens: „Das Insolvenzverfahren dient
        azu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich
        u befriedigen“. Zweitens. Dies soll insbesondere durch
        en Erhalt des Unternehmens geschehen. Entzieht man
        un der Masse frühzeitig weitere Teile, so steht zu be-
        ürchten, dass zukünftig weniger saniert und mehr zer-
        egt wird, und dass verstärkt in eine Richtung abfließt.
        as führt aber nahezu zwangsläufig zu einer Schlechter-
        tellung der ungesicherten Gläubiger, gerade der kleine-
        en Gläubiger. Die Auswirkungen auf Arbeitsplätze in
        andwerk und Mittelstand sind leicht vorstellbar.
        Eine Aussage eines sachverständigen Insolvenzver-
        alters blieb mir besonders im Gedächtnis: „Man kann
        m Falle der Insolvenz keinem Gläubiger etwas geben,
        hne einem anderen etwas wegzunehmen.“ Einleuch-
        end, da die Masse begrenzt ist. Den dahinter stehenden
        edanken halte ich allerdings für entscheidend: Sind wir
        ereit die Stellung der Banken als Gläubiger im Insol-
        enzfall durch die Umsetzung der Richtlinie weiter zu
        8160 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        stärken, gegebenfalls zulasten der kleinen Gläubiger,
        zum Beispiel der Lieferanten?
        Die Antwort der CDU/CSU lautet: Soweit es nötig ist
        ja – die zwingende Richtlinienumsetzung im Interban-
        kenverkehr hat derartige Auswirkungen auch nicht. Be-
        reits heute verfügen Kreditinstitute im Insolvenzfall ob
        der meist umfangreichen bestellten Sicherheiten als Aus-
        und Absonderungsberechtigte über eine starke Position,
        und das ist durchaus gewollt. Das gewachsene deutsche
        Insolvenzrecht hat aber immer vermieden, diese Position
        zu einseitig überzubetonen; daran wollen wir festhalten.
        Zunächst war es wichtig, den Begriff der Finanzsi-
        cherheit klarzustellen. Zur Rechtsklarheit darf gern ein-
        mal ein Satz mehr Gesetzestext sein, hier mit Sicherheit
        an der richtigen Stelle. Der gefundene Konsens des
        „Teil-Opt-Out“, des teilweisen Abweichens von der
        Richtlinie bei deren Umsetzung, der im Übrigen auch im
        ersten Entwurf des BMJ in ähnlicher Form enthalten
        war, ist tragfähig und berücksichtigt die verschiedenen
        Interessen. Die Umsetzung der Maximalforderungen,
        auf denen leider hier und da bis zuletzt beharrt wurde,
        wäre ohne Zweifel volkswirtschaftlich schädlich gewe-
        sen. Die ins Feld geführten Behauptungen zur angebli-
        chen Schwächung des Finanzplatzes Deutschland bei
        Ausübung des „Opt-Out“ waren wenig überzeugend vor-
        getragen. Gerade die Tatsache, dass andererseits einige
        Mitgliedstaaten sogar über die Richtlinie hinausgehen,
        führt das enge Umsetzungsargument ad absurdum.
        Ich freue mich, dass die Koalition, insbesondere
        durch die objektive Befassung des Kollegen Montag,
        wie man so schön sagt, noch die Kurve gekriegt hat. Die
        im Ausschuss getätigten Aussagen hinsichtlich der Bun-
        desratsstellungnahme, insbesondere der Einlassungen
        des Freistaates Bayern im Verfahren, weise ich aller-
        dings auf das Schärfste zurück. Wenn man beispiels-
        weise die Presseerklärung der Bayerischen Staatsminis-
        terin der Justiz Frau Dr. Merk vom 8. Dezember 2003
        liest, findet sich eine objektive Darstellung. Nachdem
        sich die Fraktionen nun in diese Richtung geeinigt ha-
        ben, stellt sich mir schon die Frage, weshalb gerade die
        SPD nun ausdrücklich betont, ich zitiere aus dem Be-
        richterstatterbericht – dafür sollten wir wohl noch einen
        anderen Terminus finden –: Es sei ein besonderes Anlie-
        gen der Koalition gewesen, die tragende Säule der deut-
        schen Wirtschaft, nämlich Handwerk und Mittelstand,
        nicht – wie es die Banken gefordert hätten – in die fal-
        sche Richtung zu leiten.
        Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom
        17. Oktober 2003 dazu ausgeführt, ich zitiere: „... die
        Richtlinie bewirkt die Privilegierung einer bestimmten
        Gruppe von Sicherungsgebern ... Die Begünstigung der ...
        Kreditwirtschaft geht jedoch notwendig zulasten anderer
        Wirtschaftszweige bzw. Gläubiger – etwa einfachen
        Handwerksbetrieben.“ Die Bundesregierung ihrerseits
        führt noch in ihrer Gegenäußerung darauf aus, ich
        zitiere: „In den Prüfbitten ... moniert der Bundesrat eine
        Privilegierung der Kreditwirtschaft... Die Bundesregie-
        rung teilt nicht die Einschätzung der Prüfbitte.“ „Heute
        hü, morgen hott“ könnte man sagen. Am Ende hat die
        Koalition ja noch den besten Weg gefunden. Das darf
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        an auch sagen, unredlich ist allerdings die Art und
        eise, wie sie ihn gefunden hat.
        Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Auch wenn die öf-
        entliche Debatte zum vorliegenden Gesetzentwurf sich
        nter dem Stichwort „Bankenprivileg“ vor allem auf die
        nderungen im Insolvenzrecht konzentriert hat, möchte
        ch einiges zu den Änderungen im Bereich des Pfand-
        riefrechts sagen.
        Ziel dieser Änderungen war es, die herausragende
        tellung des Finanzplatzes Deutschland im Bereich der
        fandbriefe gegen die zunehmend erstarkende interna-
        ionale Konkurrenz zu verteidigen und auszubauen. Die
        edeutung der Pfandbriefe zeigt sich sofort, wenn man
        edenkt, dass vom Gesamtumlauf inländischer Schuld-
        erschreibungen am deutschen Kapitalmarkt rund
        0 Prozent auf dieses Kapitalmarktinstrument entfallen.
        fandbriefe sind damit sowohl aufgrund der hohen
        arktliquidität als auch wegen ihrer hohen Sicherheit
        in herausragendes Merkmal des deutschen Finanzmark-
        es und bilden gerade für internationale Investoren eine
        ohe Attraktivität.
        Um diese Stellung zu verteidigen, war es nötig, die
        echtlichen Regelungen für Pfandbriefe anzupassen. Im
        ittelpunkt standen die folgenden Fragen: Wer verwal-
        et die im Hypothekenregister eingetragenen Werte? Wer
        rägt die Kosten der Verwaltung der Deckungsmasse?
        ie können Deckungswerte und Pfandbriefverbindlich-
        eiten auf andere, solvente Pfandbriefemittenten über-
        ragen werden?
        Mit der verpflichtend eingeführten Überdeckung von
        Prozent, mit der Installation eines Sachverwalters und
        it den Neuregelungen zur Übertragung von Deckungs-
        erten und Pfandbriefverbindlichkeiten durch den Sach-
        erwalter im Insolvenzfall wurden diese Fragen meiner
        nsicht nach gut und sachgerecht gelöst. Die zweipro-
        entige Überdeckung dient einerseits dem Ausgleich von
        iquiditätsschwankungen, andererseits werden mit ihr
        ie im Insolvenzfall entstehenden Kosten gedeckt.
        Die neu geschaffene Position des Sachverwalters
        tärkt die Position der Pfandbriefgläubiger im Falle der
        nsolvenz des Emittenten. Da die Pfandbriefmasse nicht
        eil der Insolvenzmasse ist – was übrigens in der gesetz-
        ichen Neufassung noch einmal deutlicher hervorge-
        oben wird – ist es wichtig, dass sie nicht in die
        uständigkeit des Insolvenzverwalters fällt, da sonst In-
        eressenkonflikte vorprogrammiert sind. Hier stellt der
        achverwalter eine sehr gute Lösung dar, da er unabhän-
        ig für eine schnelle Abwicklung der Deckungsmasse
        orgen kann. Zu diesem Zweck werden dem Sachver-
        alter im Insolvenzfall schnellere Möglichkeiten, De-
        kungswerte und Pfandbriefverbindlichkeiten auf andere
        pezialinstitute zu übertragen, gegeben. Der Ansatz,
        ierzu die Regelungen des Umwandlungsgesetzes zu
        bernehmen, sie aber an die Besonderheiten des Anwen-
        ungsbereiches anzupassen, scheint mir hier sehr gut ge-
        ungen.
        Besonders betont werden sollte, dass es in guter inter-
        raktioneller Zusammenarbeit gelungen ist, die Regelun-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8161
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        gen, die im ursprünglichen Gesetzentwurf nur für das
        Hypothekenbankengesetz geplant waren, auch auf das
        ÖPG und das Schiffsbankgesetz sinngemäß zu übertra-
        gen. Damit ist sichergestellt, dass im Insolvenzfall für
        alle Arten von Pfandbriefen dieselben rechtlichen Bedin-
        gungen gelten. Eine rechtliche Spaltung des Pfandbrief-
        marktes konnte so vermieden werden. Dies wird die in-
        ternationale Akzeptanz von Pfandbriefen sicherlich noch
        weiter steigern. In diesem Zusammenhang gilt es auch,
        die weitere Entwicklung im Rating der Emittenten öf-
        fentlicher Pfandbriefe im Auge zu behalten, wenn im
        Jahre 2005 Anstaltslast und Gewährträgerhaftung entfal-
        len.
        Mit Blick auf die zukünftige Entwicklung möchte ich
        abschließend doch noch einmal auf den Kompromiss zu-
        rückkommen, der fraktionsübergreifend im Bereich der
        Finanzsicherheiten gefunden wurde. Kern des Problems
        waren die divergierenden Interessen der Banken und der
        anderen Unternehmen hinsichtlich der Frage, welche
        Vermögensbestandteile Gegenstand des Insolvenzver-
        fahrens sein und welche den Banken zur Sicherung ihrer
        Forderungen vorbehalten sein sollten. Ich bin der Auf-
        fassung, dass die gefundene Lösung ein zwar tragfähi-
        ger, aber doch stark theoretisch geprägter Kompromiss
        ist. Wir sollten uns ausgehend von dieser Regelung nach
        etwas Zeitablauf genau ansehen, wie sie sich einerseits
        auf den Finanzplatz Deutschland und andererseits auf
        die Situation der Unternehmen ausgewirkt hat. Völlig er-
        gebnisoffen sollten wir dann gegebenenfalls bereit sein,
        das Gesetz in die eine oder in die andere Richtung zu
        überarbeiten.
        Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ziel
        der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ra-
        tes über Finanzsicherheiten vom 6. Juni 2002 ist die Si-
        cherung des europäischen Finanzmarkts im weltweiten
        Wettbewerb. Dies soll unter anderem erreicht werden
        durch rasche und unbürokratische Verwertungsverfah-
        ren, um die finanzielle Stabilität der europäischen
        Finanzmärkte zu sichern und Dominoeffekte bei Insol-
        venzen im Bereich der Interbanken- und Wertpapierhan-
        delshäuser zu verhindern. Finanzsicherheiten der Fi-
        nanzinstitute sollen danach einen Schutz genießen, der
        sie international wettbewerbsfähig hält. Im Wesentlichen
        – aber genau hier liegt das Problem – berührt dieser
        Schutz nur den so genannten Interbankenverkehr. Mit
        den geschützten Finanzsicherheiten sollen eigentlich nur
        Bargeldbeträge auf Bankkonten, Aktien und ihnen gleich
        zu stellende Wertpapiere umfasst werden.
        Bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie stand
        und steht im Mittelpunkt der fachöffentlichen Debatte,
        dass unter Durchbrechung des Grundsatzes des deut-
        schen Insolvenzrechts, wonach Gläubiger mit gleichen
        Rechten anteilig gleich zu behandeln sind, Finanzinsti-
        tute bezüglich von ihnen gehaltener Finanzsicherheiten
        bevorzugt werden. Die Besserstellung liegt konkret da-
        rin, dass diese Gläubiger ihre Sicherheiten ohne Einfluss
        des Insolvenzverwalters und ohne Rücksicht auf andere
        Gläubiger und die Insolvenzmasse verwerten können,
        um nicht von Insolvenzen ihrer Schuldner tangiert zu
        werden; jedenfalls insoweit nicht tangiert zu werden,
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        ie die von ihnen gehaltenen Finanzsicherheiten rei-
        hen. Soweit sich die Ausnahmen von der Insolvenzord-
        ung auf den Verkehr der Banken und Wertpapierhäuser
        ntereinander beschränken, sind sie in jedem Fall ge-
        echtfertigt und haben keine unmittelbaren negativen
        uswirkungen auf die Sicherung von Unternehmen auch
        n der Insolvenz und auf Insolvenzverfahren, die berech-
        igte Forderungen der mittelständischen Wirtschaft un-
        ereinander gerecht schützen sollen.
        Die Richtlinie sieht jedoch in Art. 1 Abs. 2 Buch-
        tabe e die Möglichkeit vor, ihren Geltungsbereich auch
        uf natürliche Personen, Einzelkaufleute und Personen-
        esellschaften zu erstrecken, sofern sie Vertragsparteien
        on Banken oder Wertpapierhäusern sind. Es war im Ge-
        etzgebungsverfahren sehr umstritten, ob von dieser
        öglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte. Im Ergeb-
        is haben wir uns dafür entschieden, weil alle finanz-
        latzstarken Länder der EU dies ebenfalls so machen
        nd wir eine Benachteiligung deutscher Finanzinstitute
        m internationalen Ranking vermeiden wollten.
        Aus schlichtem Unverständnis und teilweise aus
        urchsichtigen politischen Gründen ist diese Entschei-
        ung dazu benutzt worden, der Bundesregierung und
        en Regierungsfraktionen vorzuwerfen, „die Axt an die
        urzeln erfolgreicher Sanierungsverfahren“ zu legen
        nd die gerechte Behandlung aller Gläubiger „dem
        ruck der Kreditwirtschaft zu opfern“. Besonders die
        ayerische Staatsregierung hat sich hier der Falschdar-
        tellung in der Öffentlichkeit schuldig gemacht. Den
        wenn auch diskreten – Druck aus dem Lager der Ban-
        en konnte man tatsächlich spüren; die Koalition hat
        hm aber widerstanden.
        Gespräche der Berichterstatter mit Sachverständigen
        nd untereinander haben dazu geführt, dass in § 1
        bs. 17 Satz 2 und 3 KWG in Bezug auf natürliche Per-
        onen, Einzelkaufleute und Personengesellschaften der
        egriff der Finanzsicherheiten so exakt gefasst wurde,
        ass Durchgriffe der Gläubiger auf Warenlager und Ma-
        chinenparks in der Insolvenz ausgeschlossen sind. In
        1 Abs. 17 Satz 4 KWG sind in Bezug auf natürliche
        ersonen, Einzelkaufleute und Personengesellschaften
        nteile des Sicherungsgebers und Anteile an verbunde-
        en Unternehmen ausdrücklich als nicht zu Finanzsi-
        herheiten gehörend ausgeschieden worden. Schließlich
        urde eine ebenfalls einengende und klarstellende For-
        ulierung in § 130 Abs. Satz 2 InsO aufgenommen.
        Damit konnten wir erreichen, dass das Gesetz zur
        msetzung der Finanzrichtlinie der EU nunmehr von al-
        en Fraktionen dieses Hauses getragen wird. Ich werte
        ies als Zeichen, dass es im vorliegenden Gesetz gelun-
        en ist, die Interessen aller Wirtschaftsgruppen ange-
        essen zur Geltung zu bringen.
        Rainer Funke (FDP): Was lange währt, wird endlich
        ut! Das jetzt gefundene Ergebnis ist gut. Doch es war
        in langer, nach meinem Geschmack zu langer Weg
        orthin. Denn bereits der ursprüngliche Regierungsent-
        urf hatte die Vorgaben der Finanzsicherheitenrichtlinie
        n zutreffender Weise umgesetzt. Es waren weniger
        ubstanzielle Einwendungen, sondern vielmehr
        8162 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
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        Missverständnisse, die in vier Berichterstattergesprächen
        in mühevoller Kleinarbeit ausgeräumt werden mussten.
        Das, was von interessierter Seite, von Insolvenzver-
        waltern und Industrie, gegen die Umsetzung der Finanz-
        sicherheitenrichtlinie angeführt wurde, war in ihr, war in
        dem überzeugenden Regierungsentwurf, für den ich dem
        Bundesministerium der Justiz danke, gar nicht angelegt:
        eine Ungleichbehandlung von Gläubigern – anders for-
        muliert – eine Privilegierung von Banken bei Unterneh-
        mensinsolvenzen. Die Kritiker beriefen sich auf den
        Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger. Einen
        solchen Grundsatz gibt es nicht. Ihn gab es auch nie.
        Einen Anspruch auf Gleichbehandlung haben nur die
        Insolvenzgläubiger. Hiervon zu unterscheiden sind die
        Sicherungsgläubiger. Diese haben bereits nach gelten-
        dem Insolvenzrecht ein Absonderungsrecht. Einschrän-
        kungen des Absonderungsrechts ergeben sich nur für
        Mobiliarsicherungsgläubiger. Hierdurch soll ein Heraus-
        lösen der Sicherungsgegenstände zur Unzeit verhindert
        werden, um Sanierungschancen nicht zu gefährden. Die-
        ser Gedanke kommt jedoch bei Finanzsicherheiten ge-
        rade nicht zum Tragen, denn diese sind entweder ver-
        pfändet oder im Wege der Vollübereignung bestellt. In
        der ganzen Diskussion konnte kein Fall glaubhaft ge-
        schildert werden, bei dem auch bei Finanzsicherheiten
        ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters zum Tra-
        gen gekommen wäre. Die ins Felde geführten Beispiele
        betrafen ganz andere Fälle. Das gilt auch für den Fall des
        Insolvenzverwalters eines Großhandelsunternehmens für
        Anglerbedarf, der seinen dramatischen Auftritt in der
        ZDF-Sendung „Frontal 21“ am 18. November 2003
        hatte und, zwischen Angeln und Ködern stehend, die
        Auffassung vertrat, wäre die Finanzsicherheitenrichtlinie
        schon umgesetzt worden, hätte die Bank den Betrieb
        ausgeplündert und die Arbeitsplätze wären nicht mehr zu
        retten gewesen.
        Nein, das normale Kreditgeschäft fiel von Anfang an
        nicht in den Anwendungsbereich der Finanzsicherhei-
        tenrichtlinie.
        Da jedoch viele Stellen – die Bayerische Staatsregie-
        rung eingeschlossen – sich, um im Bild zu bleiben, vom
        Insolvenzverwalter ködern ließen und ihm an die Angel
        gingen, war viel Überzeugungsarbeit notwendig, um bei
        der Umsetzung der Finanzsicherheitenrichtlinie Fehler
        zu vermeiden, die zu einer entscheidenden Schwächung
        des Finanzplatzes Frankfurt geführt und das scheue Reh
        Kapital nach London oder Luxemburg vertrieben hätten.
        In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinwei-
        sen, dass die Umsetzung der Finanzsicherheitenrichtlinie
        nicht der geeignete Ort ist, Änderungen im Regelinsol-
        venzverfahren zu erreichen, wie sie die Insolvenzver-
        walter wünschen. Vorrangige Ziele der Finanzsicherhei-
        tenrichtlinie sind und bleiben die Stärkung des
        Finanzplatzes, die Integration des Finanzmarktes und die
        Stabilisierung des Finanzsystems.
        Leider drohten diese Ziele bei der weiteren Diskus-
        sion zumindest kurzfristig aus dem Blick zu geraten.
        Umso erfreulicher ist es, dass nunmehr eine Lösung ge-
        funden werden konnte, die die durch Missverständnisse
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        ervorgerufenen Bedenken durch Klarstellungen ausräu-
        en, ohne die Richtlinie in ihrer Substanz zu verändern.
        adurch ist es in letzter Minute gelungen, einen gerech-
        en und von allen Parteien getragenen Interessenaus-
        leich zu finden. Dies stärkt den Finanzplatz Deutsch-
        and, ohne den Unternehmensstandort Deutschland zu
        chwächen. In diesem Sinne wird auch die FDP-Bundes-
        agsfraktion dem vorliegenden Gesetz zustimmen.
        Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass das
        esetz nicht nur den europäischen Finanzplatz stärken,
        ondern auch das Rating von Pfandbriefen verbessern
        ird. Hinsichtlich der offen gebliebenen insolvenzfesten
        usgestaltung des Anspruchs auf Übertragung des
        rundpfandrechts im Falle einer Treuhand werden wir
        ie Bundesregierung beim Wort nehmen und zu gegebe-
        er Zeit an ihre Zusage, hier für eine überzeugende Re-
        elung zu sorgen, erinnern.
        Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
        undesministerin der Justiz: Mit dem vorliegenden Ge-
        etzentwurf stärken wir den Finanzplatz Deutschland
        eiter. Wir setzen zum einen die Richtlinie über Finanz-
        icherheiten vom 6. Juni 2002 um und leisten damit ei-
        en wichtigen Beitrag zum Finanzbinnenmarkt in der
        U. Zum anderen verbessern wir im Hypothekenbank-
        esetz die Absicherung der Pfandbriefgläubiger bei In-
        olvenz der Hypothekenbank.
        Lassen Sie mich zunächst auf die Richtlinie eingehen.
        urch die Finanzsicherheitenrichtlinie soll eine gemein-
        chaftsweite Regelung für die Bereitstellung von Wert-
        apieren und Kontoguthaben als Sicherheit geschaffen
        erden, um dadurch zu einer weiteren Integration und
        öheren Kostenwirksamkeit des Finanzmarkts beizutra-
        en. Dies soll den freien Dienstleistungs- und Kapital-
        erkehr im Finanzbinnenmarkt fördern. Dafür ist es er-
        orderlich, dass wir die Finanzsicherheiten von solchen
        orschriften des Insolvenzrechts ausnehmen, die ihrer
        ffektiven Verwertung im Wege stehen. Diese Sicherhei-
        en sollen vielmehr möglichst rasch und unbürokratisch
        erwertet werden können.Dabei mussten wir sorgfältig
        arauf achten, die bewährte Architektur des Gläubiger-
        chutzes in unserer Insolvenzordnung zu bewahren.
        Wir durften und wollten uns die Arbeit an den Umset-
        ungsvorschriften nicht leicht machen und haben es auch
        icht getan. Dabei war die in einzelnen Punkten durch-
        us konträre Diskussion stets fair und von dem Wunsch
        etragen, im Interesse des Finanzplatzes Deutschland
        ine Regelung zu finden, die den Finanzmärkten genug
        pielraum gibt, um für die Zukunft offen für neue Fi-
        anzprodukte zu sein. Wir wollen keine Anreize bieten,
        estimmte Geschäfte ins Ausland zu verlagern. Anderer-
        eits mussten wir stets im Blick behalten, dass das wohl-
        ustarierte Gefüge der Insolvenzordnung nicht durch
        assive Eingriffe aus dem Gleichgewicht gerät. Lassen
        ie mich die Gelegenheit nutzen, meinen Kollegen für
        ie überaus sachliche Atmosphäre im Ringen um eine
        usgewogene Lösung zu danken.
        Leider bestanden in der Öffentlichkeit zunächst ge-
        isse Fehlvorstellungen über den Regelungsgegenstand
        er Richtlinie. Deshalb sollte – entgegen mancher anders
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8163
        (A) )
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        lautender Kommentare in der Presse – Klarheit darüber
        bestehen, dass es bei der Umsetzung der Richtlinie wirk-
        lich nur um Finanzsicherheiten geht. Wir reden also von
        Wertpapieren und Kontoguthaben und nicht auch von
        Maschinen oder Forderungen. Wertpapiere und Konto-
        guthaben werden nur bei ganz bestimmten Transaktio-
        nen als Sicherheiten eingesetzt, etwa bei Wertpapierdar-
        lehens- oder Wertpapierpensionsgeschäften. Solche
        Transaktionen werden von einem Großteil der Unterneh-
        men überhaupt nicht getätigt. Befindet sich ein Unter-
        nehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, so werden
        Wertpapiere und Kontoguthaben wohl als Erstes einge-
        setzt, um neue Liquidität zu schaffen. Ich gehe deshalb
        davon aus, dass im Normalfall der Insolvenz der Insol-
        venzverwalter überhaupt nicht mit Finanzsicherheiten
        konfrontiert wird.
        Die geplante Änderung von § 166 InsO, die eine
        schnelle und unbürokratische Realisierung der Finanzsi-
        cherheiten gewährleistet, wird deshalb im Normalfall
        der Insolvenzabwicklung wohl keine praktischen Aus-
        wirkungen haben. Ein Verwertungsrecht des Insolvenz-
        verwalters ist bereits nach geltendem Recht nur gegeben,
        wenn der Verwalter sich im Besitz des Sicherungsgegen-
        standes befindet. Da in Deutschland jedoch bei Wertpa-
        pieren meistens der Weg über eine Verpfändung oder
        eine Übereignung und Lieferung der Wertpapiere ge-
        wählt wird, besteht bereits jetzt regelmäßig kein Verwer-
        tungsrecht des Verwalters. Insofern konnten wir auch
        mit der Mehrzahl der anderen Mitgliedstaaten die Richt-
        linie gemäß ihrer Grundkonzeption umsetzen und muss-
        ten nicht von der so genannten Opt out-Lösung Ge-
        brauch machen. Opt-out hätte bedeutet, alle nicht dem
        Finanzsektor zugehörige Unternehmen von der Umset-
        zung der Richtlinie auszuschließen.
        Allerdings haben wir im Gesetzestext alles getan, um
        das normale Kreditgeschäft der Banken gegenüber den
        übrigen Unternehmen außerhalb des Normbereichs der
        Umsetzungsvorschriften zu halten. Die Banken als Gläu-
        biger sollen auch in Zukunft nicht über das durch die
        Richtlinie zwingend vorgegebene Maß hinaus gegenüber
        anderen Gläubigern bevorzugt werden. Sollten doch
        einmal Konstellationen auftreten, in denen das Verwer-
        tungsrecht des Verwalters berührt ist, so sind diese
        maßvollen Einschränkungen des Grundsatzes der Gläu-
        bigergleichbehandlung im Interesse des Finanzplatzes
        Deutschland hinzunehmen. Anderenfalls hätte die Ge-
        fahr bestanden, dass bestimmte Geschäfte künftig nur
        noch auf ausländischen Finanzplätzen getätigt werden.
        Damit hätte der deutsche Finanzplatz Schaden genom-
        men, ohne dass dies potenziellen Insolvenzgläubigern
        zum Vorteil gereicht hätte.
        Ich komme zum zweiten großen Komplex: Die Ände-
        rungen im Hypothekenbankgesetz sollen das Vertrauen
        in unser bewährtes Pfandbriefsystem weiter festigen.
        Die Position der Pfandbriefgläubiger in der Insolvenz
        der Hypothekenbank wird durch Regelung einiger offe-
        ner Fragen noch einmal deutlich gestärkt: Bereits jetzt
        gilt, dass die so genannte Deckungsmasse, die der Siche-
        rung der von der Hypothekenbank ausgegebenen Pfand-
        briefe dient, im Fall der Insolvenz einer Hypotheken-
        bank nicht in die Insolvenzmasse fällt. Offen sind aber
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        nsbesondere die Folgefragen, wer die Deckungsmasse
        m Fall der Insolvenz verwaltet, wer die Kosten der Ver-
        altung bezahlt und wie eine rasche Übertragung der
        eckungswerte auf eine übernahmebereite Hypotheken-
        ank gewährleistet werden kann. Diese Fragen werden
        urch den Gesetzentwurf beantwortet. So wird nun klar-
        estellt, dass die Deckungsmasse durch einen Sachwal-
        er verwaltet wird, der für die geordnete Befriedigung
        er Pfandbriefgläubiger sorgt. Die Kosten der Verwal-
        ung werden durch eine sichernde Überdeckung finan-
        iert.
        Als weitere Änderung ist vorgesehen, die im Hypo-
        hekenregister eingetragenen Werte zusammen mit den
        edeckten Pfandbriefverbindlichkeiten im Wege einer
        eilvermögensübertragung, die der Vermögensübertra-
        ung nach dem Umwandlungsgesetz nachgebildet ist,
        uf eine andere Hypothekenbank zu übertragen.
        Eine vergleichbare Interessenlage wie bei den Hypo-
        hekenbanken besteht bei den öffentlich-rechtlichen Kre-
        itanstalten, die ebenfalls Pfandbriefe begeben, und bei
        en Schiffsbanken. Insofern ist es konsequent, wenn die
        nderungen des Hypothekenbankgesetzes auch in das
        PG und das Schiffsbankgesetz übernommen werden.
        Ich bin zuversichtlich, dass wir mit den genannten
        egelungen zu einer weiteren Verbesserung des Wirt-
        chaftsstandortes Deutschland beitragen können.
        nlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung der Vorschriften über die Anfech-
        tung der Vaterschaft und das Umgangsrecht
        von Bezugspersonen des Kindes (Tagesord-
        nungspunkt 12)
        Christine Lambrecht (SPD): In seinem Beschluss
        om 9. April 2003 hat das Bundesverfassungsgericht
        olgende Vorschriften teilweise für verfassungswidrig
        rklärt: § 1600 BGB sei insoweit mit Art. 6 Abs. 2 GG
        icht vereinbar, als dass der leibliche, aber rechtlich
        icht anerkannte – also der biologische –, Vater eines
        indes ausnahmslos von der Anfechtung der Vaterschaft
        usgeschlossen ist. Das in § 1685 BGB geregelte Um-
        angsrecht ist nach der genannten Entscheidung des
        undesverfassungsgerichts mit Art. 6 Abs. 1 GG inso-
        eit unvereinbar, als dass der Kreis der Umgangsberech-
        igten den leiblichen aber rechtlich nicht anerkannten
        ater eines Kindes auch dann nicht mit einbezieht, wenn
        wischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Bezie-
        ung besteht oder bestanden hat. Das Bundesverfas-
        ungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum
        0. April 2004 Abhilfe zu schaffen.
        Dieser Aufforderung wird durch den heute vorliegen-
        en Gesetzentwurf Rechnung getragen. Der vor diesem
        intergrund entstandene Gesetzentwurf, bei dem sowohl
        er Beschluss des Bundesverfassungsgerichts als auch
        ie Rechtssystematik und die Wertentscheidungen des
        8164 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        Kindschaftsrechts, also das Wohl des Kindes, zu beach-
        ten war, sieht im Kern folgende Änderungen vor:
        Änderung des § 1600 BGB. Nach gültiger Rechtslage
        steht das Anfechtungsrecht nur dem Kind, der Mutter
        und dem rechtlichen Vater zu. Der rechtliche Vater eines
        Kindes ist nach § 1592 BGB der Mann, der zum Zeit-
        punkt der Geburt mit der Mutter des Kindes ver-
        heiratet ist, oder die Vaterschaft anerkannt hat, oder des-
        sen Vaterschaft gerichtlich festgestellt worden ist.
        Durch die Änderung des § 1600 BGB wird nunmehr
        auch dem leiblichen Vater die Möglichkeit eingeräumt,
        die Vaterschaft eines nach dem geltenden Abstam-
        mungsrecht legitimierten Mannes anzufechten. Zu Recht
        wird die Stellung von biologischen Vätern gestärkt. Vo-
        raussetzung für die Anfechtung des leiblichen Vaters ist,
        dass zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind
        keine sozial-familiäre Bindung besteht oder bestanden
        hat. Sofern eine solche Beziehung positiv festgestellt
        wird, ist die Anfechtung durch den leiblichen Vater aus-
        geschlossen. Die vom Bundesverfassungsgericht neu
        eingeführte Begriffskategorie „sozial-familiäre Bindung“
        wird von dem Gesetzentwurf aufgegriffen. Konkret heißt
        es da im neuen § 1685 Abs. 2 BGB, dass dann eine so-
        zial-familiäre Beziehung besteht, wenn der Vater für das
        Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat.
        Weitere Voraussetzung für die Anfechtung ist, dass
        der anfechtende Mann an Eides statt versichert, der Mut-
        ter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt
        zu haben. So soll auf der materiellrechtlichen Ebene eine
        Anfechtung des leiblichen Vaters „ins Blaue hinein“ ver-
        hindert werden. Dadurch wird neben der Prozesshäufung
        insbesondere vermieden, dass eine Frage des materiellen
        Rechts mit der Zulässigkeitsprüfung „vermengt“ wird.
        Dadurch, dass sich die eidesstattliche Versicherung auf
        die Tatsache der „Beiwohnung“ erstreckt, wird zugleich
        verhindert, dass ein samenspendender Dritter als „biolo-
        gischer“ Vater sein Anfechtungsrecht erhält.
        Ein weiterer wichtiger Aspekt des vorliegenden Ge-
        setzentwurf ist die Änderung des § 1685 BGB. Nach
        gültiger Rechtslage sind die umgangsberechtigten Perso-
        nen in § 1685 BGB einzeln aufgelistet. Der Kreis der
        Umgangsberechtigten bezieht derzeit den leiblichen aber
        rechtlich nicht anerkannten Vater eines Kindes auch
        dann nicht mit ein, wenn zwischen ihm und dem Kind
        eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden
        hat.
        Im Umgangsrecht wird nun eine Ausdehnung auf Be-
        zugspersonen des Kindes mit sozial-familiärer Bezie-
        hung vorgesehen, die auch im Hinblick auf die europäi-
        sche Rechtsentwicklung geboten ist. Durch diese
        Regelung wird es auch nicht zu einem „Umgangstouris-
        mus“ kommen, weil über allem das Wohl des Kindes
        steht und auch stehen muss. Es macht aber keinen Sinn,
        jetzt wieder eine Aufzählung der Personen vorzuneh-
        men, die vielleicht in der Realität den jeweiligen Fami-
        lienmodellen nicht entspricht und damit auch nicht dem
        Wohl des Kindes genügen kann. Was passiert, wenn die
        Bezugsperson, die mit dem Kind in einer sozial-familiä-
        ren Beziehung gelebt hat, in der Liste nicht genannt ist?
        Es würde dem Wohl des Kindes wohl eher schaden,
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        enn zu einer Bezugsperson, die dauerhaft für das Kind
        erantwortung übernommen hat, – das steht hinter der
        ormulierung „sozial-familiäre Beziehung“, aus einer
        erantwortungsbeziehung kein Umgangsrecht erwach-
        en könnte, nur weil diese Bezugsperson nicht in ir-
        endeiner Liste erscheint. Hier ist es sinnvoller der Rea-
        ität ins Auge zu schauen und zu akzeptieren, dass es
        ie unterschiedlichsten Familienmodelle gibt. Bei jeder
        inzelnen Umgangsrechtentscheidung muss deshalb ge-
        rüft werden, ob der beantragte Umgang dem Wohl des
        indes dient, das alleine ist entscheidend.
        Es war auch erforderlich, diese Neuerung im § 1685
        GB zu regeln. Der § 1626 BGB ist hier nicht einschlä-
        ig. Die Vorschrift ordnet selbst keine konkreten Rechts-
        olgen an. Weder ergibt sich daraus ein Recht des Kindes
        uf Umgang noch begründet die Vorschrift ein solches
        echt für die Eltern bzw. andere Bezugspersonen. Die
        onkreten Umgangsrechte und -pflichten ergeben sich
        ielmehr aus §§ 1684 ff.
        Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der
        ntscheidung des Bundesverfassungsgerichts Genüge
        etan, aber was viel wichtiger ist, die Gesetzeslage wird
        en Realitäten angepasst, was zu einer wichtigen Be-
        ücksichtigung der berechtigten Interessen vieler Men-
        chen führt.
        Ute Granold (CDU/CSU): Einmal mehr hat das Bun-
        esverfassungsgericht den Gesetzgeber aufgefordert, die
        echtslage mit der Verfassung in Einklang zu bringen.
        Heute Nachmittag haben wir uns mit der nachträgli-
        hen Sicherungsverwahrung von Schwerstkriminellen
        efasst. Jetzt geht es um Väter, genauer gesagt darum,
        ie Rechte biologischer oder leiblicher Väter zu stärken
        zw. überhaupt zu regeln.
        Hierzu hat die Bundesregierung einen Gesetzesent-
        urf vorgelegt, der – und das ist mittlerweile leider
        ichts Außergewöhnliches mehr – nicht nur handwerkli-
        he, sondern auch inhaltliche Mängel aufweist.
        Nach einer umfassenden Stellungnahme des Bundes-
        ates zu diesem Gesetzentwurf hat die Bundesregierung
        em Rechtsausschuss eine überarbeitete Fassung zur Be-
        atung vorgelegt. Ein Teil der vorgenommenen Korrek-
        uren haben auch unsere Zustimmung gefunden. Aber
        eider hat die Bundesregierung daneben Kompromiss-
        orschläge unterbreitet, die wir nicht mittragen können.
        Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes
        om April letzten Jahres ist dem leiblichen Vater das
        echt einzuräumen, die rechtliche Vaterschaft anzufech-
        en, wenn die rechtlichen Eltern mit dem Kind keine so-
        iale Familie bilden, die es nach Artikel 6 Abs. 1 des
        rundgesetzes zu schützen gilt.
        Der Bundesrat hat der Regierung den richtigen Weg
        ahin aufgezeigt: Der leibliche Vater erklärt an Eides
        tatt, der Mutter während der Empfängniszeit beige-
        ohnt zu haben. Das Gericht hat dabei im Rahmen der
        ulässigkeit der Klage die eidesstattliche Versicherung
        u prüfen, um so auch Anfechtungen ins Blaue hinein zu
        ermeiden. Ob der Kläger dann tatsächlich auch der
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8165
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        leibliche Vater ist, entscheidet sich durch ein Gutachten
        bei der Begründetheitsprüfung.
        Der Entwurf der Regierung vermischt beides, ist dog-
        matisch systemwidrig. Dies hat aber in der Praxis nur
        geringe Bedeutung. Deshalb können wir darüber noch
        hinwegsehen. Allerdings ist die beabsichtigte Erweite-
        rung des umgangsberechtigten Personenkreises derart
        gravierend, dass diese von uns nicht mehr mitgetragen
        werden kann. Die Bundesregierung hat zwar auf Drän-
        gen des Bundesrates auf eine Ausweitung des Umgang-
        rechts auf alle Verwandten dritten Grades – § 1685
        Abs. 1 BGB – verzichtet, jedoch in § 1685 Abs. 2 BGB
        den Kreis der umgangsberechtigen Personen auf sämtli-
        che Bezugspersonen des Kindes erstreckt, die zu ihm in
        einer sozial-familiären Beziehung stehen. Das geht zu
        weit und führt quasi zu einem Umgangstourismus. Ent-
        sprechend dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes
        soll neben den bereits in § 1685 Abs. 2 BGB Benannten
        lediglich noch dem leiblichen Vater ein solches Um-
        gangsrecht zustehen. Dem stimmen wir auch ausdrück-
        lich zu. Alles, was darüber hinausgeht, ist nicht nur über-
        flüssig, sondern auch schädlich für das Kind.
        Mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 wurde ein
        wichtiger und richtiger Schritt vollzogen: Die Rechtstel-
        lung des Kindes wurde deutlich verbessert. Das Kind
        und mit ihm das Kindeswohl steht fortan im Mittelpunkt.
        Das Umgangsrecht ist als subjektives Recht des Kindes
        ausgestaltet. Diesbezügliche Rechte Dritter sind nicht
        nur eng ausgestaltet, sondern auch nachrangig.
        So wurde für Großeltern und Geschwister ein Um-
        gangsrecht eingeführt, wenn es dem Wohl des Kindes
        dient. Gleiches gilt für Ehegatten und frühere Ehegatten,
        Lebenspartner und frühere Lebenspartner eines Eltern-
        teils, sofern eine häusliche Gemeinschaft mit dem Kind
        bestand und auch für Pflegefamilien. Anderen Personen
        sollte ein Recht auf Umgang ausdrücklich nicht einge-
        räumt werden. Diesen Personen, zum Beispiel Tanten,
        Onkeln, Nachbarn, Lehrern, kann allerdings auch schon
        heute Umgang über §§ 1666, 1626 III 2 BGB gewährt
        werden. Diese Begrenzung von Umgangsrechten Dritter
        hielt man bei der Reform vor sechs Jahren auch mit
        Blick auf das Kindeswohl für angemessen und gerecht-
        fertigt. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Dies
        bestätigen im Übrigen nicht nur die Ergebnisse der Be-
        gleitforschung zur Umsetzung des Kindschaftsrechtsre-
        formgesetzes, sondern auch Experten, die wir in der
        CDU/CSU-Bundestagsfraktion hierzu im vergangenen
        Jahr angehört haben.
        Bei der Ausweitung des Umgangsrechts in einem
        Umfang, wie es jetzt beschlossen werden soll, steht zu
        befürchten, dass dem Kind zu wenig Zeit für sich und
        seine Interessen bleibt. Dieser Gefahr kann auch durch
        das Tatbestandsmerkmal des Kindeswohles nicht hinrei-
        chend Rechnung getragen werden. Nach den Erkenntnis-
        sen der Praxis ist bereits jetzt die Aufteilung der Zeit mit
        dem Kind zur Gewährung des Umgangsrechts ein
        schwieriger Balanceakt. Ob und wieweit dem Kindes-
        wohl dabei Rechnung getragen wird, lässt sich vielfach
        erst mittels aufwendiger Anhörungen vor dem Familien-
        gericht überprüfen, die ihrerseits nicht selten mit erhebli-
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        hen Belastungen für das Kind verbunden sind. Hinzu
        ommt, dass in derartigen Verfahren Streitigkeiten unter
        erwandten auf dem Umweg über das Umgangsrecht
        nd letztendlich auf dem Rücken des Kindes ausgetra-
        en werden.
        Aus diesen Gründen sollte der Personenkreis der Um-
        angsberechtigten – ausgestattet mit einem subjektiven
        echt auf Umgang – eng gefasst sein. Auch die interna-
        ionale Entwicklung gibt keinen Anlass, den Kreis der
        mgangsberechtigten auszudehnen. Die Vertragsstaaten
        aben einen Ermessenspielraum, welchen Personen-
        reis sie als solchen mit familiären Bindungen ansehen.
        m Übrigen wird kein subjektives Recht für Personen
        tatuiert, die zu dem Kind familiäre Beziehungen haben.
        s wird lediglich geregelt, dass Umgang stattfinden
        ann, soweit es dem Kindeswohl dient. Die von uns be-
        ürworteten Regelungen entsprechen dem in vollem Um-
        ang.
        Mit der von der Regierung jetzt vorgeschlagenen,
        ehr umfassenden Gewährung von Umgangsrechten
        ird den Kindern ein Bärendienst erwiesen. Ohnehin
        chon durch die Trennung der Eltern belastet, sollen sie
        ehr denn je verplant und zum Spielball von Interessen
        erden, die nicht immer ihre eigenen sind. Der Gesetz-
        eber sollte sich in der Regelung dieses doch sehr priva-
        en Lebensbereiches Zurückhaltung auferlegen.
        Michaela Noll (CDU/CSU): Der hier zur Diskussion
        tehende Gesetzentwurf der Bundesregierung über die
        nfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von
        ezugspersonen des Kindes soll der Umsetzung des Be-
        chlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. April
        003 dienen. Wir alle wissen: Scheiden tut weh – zurück
        leiben allein erziehende Mütter, traumatisierte Männer
        nd die Opfer der Scheidungsdramen sind die Kinder. Es
        uss uns allen daher daran gelegen sein, ein befriedi-
        endes Ergebnis zu erzielen. Das wird uns aber mit der
        orliegenden Fassung nicht gelingen. Bei der Vater-
        chaftsanfechtung und dem Umgangsrecht des biologi-
        chen Vaters gibt es in der Tat dringenden Handlungsbe-
        arf. Dem stimmen wir zu.
        Die Frage des Anfechtungsrechts und des Umgangs-
        echts für den biologischen Vater ist nach dem Urteil des
        undesverfassungsgerichts nicht ausreichend geregelt.
        ies war jedoch der Gesetzesauftrag aus Karlsruhe. In-
        oweit sind die Vorgaben nicht eingehalten worden.
        ach dem Gesetzentwurf soll das Umgangsrecht erwei-
        ert werden. Doch die Bundesregierung ist in ihrem Ent-
        urf deutlich über die vom Bundesverfassungsgericht
        ntschiedene Fallgruppe der biologischen Väter hinaus-
        egangen. Dies ist abzulehnen. Meines Erachtens hat das
        ersönlichkeitsrecht des Kindes in den Augen der Regie-
        ung nicht die gebotene Rolle gespielt. Wo ist das eigen-
        tändige Besuchsrecht des Kindes? Man weiß, dass fast
        lle Menschen, die Besuchsrechtsprozesse anstreben,
        on unterschiedlichen Motiven geprägt sind.
        Kinder sind keine Gegenstände. Kinder sind Men-
        chen mit eigenen Grundrechten. Das muss in dem Ge-
        etz zum Ausdruck kommen. § 1685 BGB verleiht den
        ort genannten Personen ein eigenes subjektives Recht.
        8166 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
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        Ein eigenes Recht des Kindes fehlt aber. Das wollen wir
        nicht. Wir wollen nicht weitere Besuchsberechtigte,
        denn diese haben kein Recht am Kind, sondern das Kind
        hat ein Recht auf sie.
        Der Alltag der Kinder ist schon voll gepackt mit Ter-
        minen. Während der Woche sind die Kinder in ihren
        schulischen Verpflichtungen eingebunden und am Wo-
        chenende, wenn Zeit für Freizeit bleibt, sollten die Kin-
        der dann den Umgangswünschen des weiten Personen-
        kreises genügen. Wo bleibt da die Zeit für die Interessen
        der Kinder?
        Die Erwachsenen verfügen und ordnen an, aber auf
        die Bedürfnisse der Sprösslinge achtet niemand. Wenn
        nun gefordert wird, das Umgangsrecht auch für sonstige
        Bezugspersonen des Kindes auszudehnen, stellt sich
        wirklich die Frage, wessen Bedürfnisse werden da ei-
        gentlich befriedigt. Geht es hier nicht viel mehr um das
        Anspruchsdenken der Erwachsenen, um ihre eigenen
        Bedürfnisse. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung da-
        von, wie häufig die Besuchsregelungen nach den Wün-
        schen der Erwachsenen geregelt sind? Die Bedürfnisse
        und die Wünsche der Kinder werden oftmals nicht er-
        fragt oder in Betracht gezogen. Es ist auch für mich im-
        mer wieder erschreckend festzustellen, wie in unserem
        Land nach diesem Muster verfahren wird. In der Regel
        werden die Kinder erst gar nicht aufgefordert, sich zu
        der Besuchsregel zu äußern, die doch für viele sehr radi-
        kal in ihr Leben eingreift. Wo bleiben da die Kinder?
        Wenn Sie das Kindeswohl ernst nehmen, dann lassen
        Sie den Kindern das Recht, mitzubestimmen, mit wem
        sie ihre Freizeit verbringen wollen.
        Warum können die Erwachsenen nicht mehr Sensibi-
        lität für Kinder entwickeln, anstatt ihnen permanent ihre
        eigenen Vorstellungen aufzuzwingen.
        Jeder, dem das Kindeswohl am Herzen liegt, sollte die
        Langzeitstudie von Judith Wallerstein über Scheidungs-
        folgen lesen. Danach tragen die Kinder die Last, vor al-
        lem auch durch ein gerichtlich festgelegtes Besuchs-
        schema.
        Wenn das Umgangsrecht in der Form, wie in dem
        vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehen, erweitert wird,
        wird es wieder Sache der Gerichte sein, im Rahmen der
        Kindeswohlprüfung besondere Sorgfalt an den Tag zu
        legen, bei den zu erwartenden Konflikten zwischen leib-
        lichem Vater, Ehemann, Mutter und Kind und anderen
        Bezugspersonen. Man stelle sich nur einmal vor, dass
        alle gerade genannten Personen ihr Umgangsrecht ein-
        klagen würden. Auch der vom Bundesverfassungsge-
        richt etablierte Begriff der sozialfamiliären Beziehung
        erscheint noch ausfüllungsbedürftig und dürfte auch er-
        heblichen Streitstoff in sich bergen. Und wer wird das
        zum großen Teil ausbaden? Wieder die Kinder.
        Einzelne Punkte des Entwurfes bedürfen daher der
        Überprüfung; dennoch sollten wir das Vorhaben zügig
        anpacken, aber ohne Schnellschüsse – zum Wohle der
        Kinder.
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        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Der ausnahmslose Ausschluss des biologi-
        chen Vaters von der Vaterschaftsanfechtung und vom
        mgangsrecht ist verfassungswidrig, sofern er eine so-
        iale Beziehungen zu seinem Kind aufgebaut und ge-
        flegt hat. Das stellte das Bundesverfassungsgericht in
        einem Urteil vom 9. April 2003 fest. Der vorliegende
        esetzentwurf dient der Umsetzung dieses Beschlusses
        es Bundesverfassungsgerichts zur Rechtsstellung des
        iologischen Vaters.
        Wir stärken damit die rechtliche Position des biologi-
        chen Vaters, ohne den Schutz für die soziale Familie, in
        er das Kind aufwächst, aufzugeben. Die Einführung
        iner Anfechtungsmöglichkeit für den leiblichen Vater
        edeutet aber auch einen Eingriff in die Persönlichkeits-
        phäre von Mutter und Kind sowie des rechtlichen Va-
        ers. Aus diesem Grunde wurde das Recht auf Vater-
        chaftsanfechtung durch den biologischen Vater mit
        iner Hürde versehen. Vaterschaftsanfechtungen werden
        unmehr dann möglich sein, wenn zwischen dem recht-
        ichen Vater des Kindes und dem Kind selbst keine so-
        ial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden hat. So-
        it wird klargestellt, dass dem biologischen Vater nicht
        orrangig die Vaterschaft eingeräumt wird, sondern die
        nteressen aller Beteiligten sorgfältig gegeneinander ab-
        uwägen sind. Zudem wurde die Position der Länder bei
        er Ausgestaltung der Anfechtungsberechtigung berück-
        ichtigt, indem der anfechtende Mann „an Eides statt“
        ersichern muss, dass er der Mutter des Kindes während
        er Empfängniszeit beigewohnt hat. Mit dem Bezug der
        idesstattlichen Erklärung zur tatsächlichen Beiwohnung
        leibt auch weiterhin ausgeschlossen, dass ein samen-
        pendender Dritter ein Anfechtungsrecht erhält. Durch
        iese Regelung werden zum einen Anfechtungen aufs
        eratewohl vermieden und zum anderen der Rechtsfrie-
        en mit Blick auf das Kindeswohl erhalten.
        Gleichzeitig beinhaltet die Neuregelung im Falle ei-
        er erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft durch den
        iologischen Vater die Feststellung seiner leiblichen Va-
        erschaft. Das ist insofern von großer Bedeutung, als
        ass das Kind im Falle einer erfolgreichen Anfechtung
        er Vaterschaft durch den biologischen Vater nicht vater-
        os dastehen soll. Auch diesem Umstand trägt der vorlie-
        ende Gesetzentwurf durch eine automatische Feststel-
        ungswirkung des erfolgreichen Anfechtungsurteils
        echnung.
        Darüber hinaus ist es mit dem vorliegenden Entwurf
        elungen, das Umgangsrecht im Sinne des Kindeswohls
        u erweitern. Künftig sollen weitere, „sonstige“ Bezugs-
        ersonen des Kindes kraft bestehender sozial-familiärer
        eziehung ein Recht auf Umgang erhalten. Eine solche
        usdehnung des Umgangsrechts entspricht zum einen
        em Übereinkommen des Europarates über den Umgang
        it Kindern, das ein Umgangsrecht für Personen, die
        icht Eltern des Kindes sind, allein an die Kindeswohl-
        ienlichkeit und das Bestehen familiärer Bindungen
        nüpft. Zum anderen berücksichtigt der Entwurf damit
        uch die veränderten Lebensbedingungen der Familien.
        er Begriff der sozial-familiären Bindung schafft eine
        lare Regelung, denn er knüpft an die tatsächliche Über-
        ahme von Verantwortung, beruhend auf dem Bestehen
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8167
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        einer häuslichen Gemeinschaft mit dem Kind an. Das
        schließt sowohl den biologischen Vater als auch ehema-
        lige Lebensgefährten der Mutter und Stiefgeschwister
        ein, zu denen das Kind eine Bindung aufgebaut hat. Ein
        „Umgangstourismus“, den argwöhnische Stimmen bei
        einer Erweiterung des Umgangsrechts befürchteten,
        wird sich damit für die Kinder nicht ergeben.
        Wir brauchen ein klares gesellschaftliches Bewusst-
        sein dafür, dass Kinder keine Objekte sind, über die Er-
        wachsene beliebig verfügen können. Wir tragen die Ver-
        antwortung dafür, dass wir in einer Gesellschaft leben,
        die Kindern Rechte zugesteht, die ihre Würde respektiert
        und Gewalt gegen Kinder verhindert. So ist es selbstver-
        ständlich, dass wir in unseren zukünftigen Bemühungen,
        gerade im Kindschaftsrecht, den Blickwinkel des Kindes
        deutlich berücksichtigen. Die im Entwurf verankerten
        Rechte auf Umgang mit dem Kind sind ein Schritt in die
        richtige Richtung. Im Sinne des Kindeswohls sollten wir
        jedoch darüber hinaus diskutieren, inwiefern Verwand-
        ten dritten Grades ein Recht auf Umgang eingeräumt
        werden kann. Dies würde dem Sachverhalt Rechnung
        tragen, dass auch Tanten und Cousins, die eben nicht in
        häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind gelebt haben,
        wichtige Bezugspersonen des Kindes sein können und
        die sozialen Beziehungen auch nach der Trennung im In-
        teresse des Kindes erhalten bleiben könnten.
        Sibylle Laurischk (FDP): Pater semper incertus –
        dies gilt heute so nicht mehr, eine eindeutige biologische
        Zuordnung ist heutzutage zwar möglich, macht die Sa-
        che aber auch nicht einfacher, wie die vorliegende The-
        matik zeigt.
        Mit diesem Gesetzentwurf wird die sich ändernde fa-
        milienrechtliche Realität nachvollzogen, nicht auf Initia-
        tive der Bundesregierung, wie die Überschrift glauben
        machen möchte, sondern auf Initiative des Bundesver-
        fassungsgerichts, das in seinem Urteil vom 9. April 2003
        die Rechte der leiblichen Väter gestärkt hat. Das BVerfG
        wägt das Verhältnis zwischen biologischer Vaterschaft
        und der gelebten sozial-familiären Bindung ab und
        räumt der gelebten sozial-familiären Bindung eine zen-
        trale Bedeutung ein. Damit wird auch das Verhältnis von
        der Mutter zum biologischen Vater neu geordnet, was si-
        cher in der Praxis beobachtet werden muss, immer vor
        dem Hintergrund des Kindeswohles.
        Zum einen wird leiblichen Vätern die Möglichkeit er-
        öffnet, die Vaterschaft anzufechten und für sich selbst zu
        reklamieren auch gegen den Willen der Mutter, wenn
        zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind keine so-
        zial-familiäre Bindung besteht oder bestanden hat. Ein
        Einbrechen in intakte Familiensituationen ist daher we-
        der möglich noch gewollt, mit dem Erfordernis der
        Glaubhaftmachung der Vaterschaft in § 1600 Abs. 1
        Nr. 2 BGB neue Fassung, das auch durch die Abgabe ei-
        ner strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung erfüllt
        ist, ist ein unqualifiziertes Berühmen der Vaterstellung
        nicht zu befürchten. Außerdem dient eine Befristung der
        Berechtigung zur Antragstellung auf zwei Jahre der
        Rechtssicherheit in dieser sensiblen abstammungsrecht-
        lichen Frage. Der biologische Vater hat jetzt die Mög-
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        chkeit, in die Stellung des rechtlichen Vaters zu gelan-
        en, wenn der rechtliche Vater nicht die sozial-familiäre
        erantwortung übernimmt, er selbst aber dazu bereit ist.
        ie dies allerdings im Alltag umgesetzt wird, ist kritisch
        u beleuchten; es ist wesentlich von der Kooperationsbe-
        eitschaft der Eltern zum Wohle des Kindes abhängig
        nd daran fehlt es in vielen Fällen, wie ich aus meiner
        amilienrechtlichen Praxis als Anwältin weiß.
        Die Änderung der Umgangsberechtigung in
        1685 BGB stellt ebenfalls das Kindeswohl in den Mit-
        elpunkt der Entscheidung darüber, wer mit dem Kind
        mgang pflegen darf. Kriterium ist auch hier die sozial-
        amiliäre Beziehung, die in der Vergangenheit bestanden
        aben oder andauern muss, soll der Umgang dem Kin-
        eswohl dienen. Die Bedürfnisse oder Verdienste von
        erwandten oder anderen Bezugspersonen sind nicht
        ntscheidend. Die weite Fassung und der Verzicht auf
        ine enummerative Einschränkung der Umgangsberech-
        igten ist aus unserer Sicht richtig, da der Maßstab für
        ie Umgangsbewilligung immer das Kindeswohl ist, und
        in Umgangstourismus daher nicht zu befürchten ist.
        em Wohl des Kindes beim Aufwachsen in unvollstän-
        igen oder Patchworkfamilien wird Rechnung getragen.
        entrale Entscheidungsträger hinsichtlich des Umgangs-
        echts für die Kinder bleiben aber die sorgeberechtigten
        ltern oder Elternteile, die umgangsbegehrende Ver-
        andtschaft oder andere Personen aus dem sozialen Um-
        eld müssen zur Einräumung des Umgangs durch das
        amiliengericht die Bedeutung für das Kindeswohl
        achweisen.
        Diese Gesetzesänderung ist nur ein Steinchen bei der
        enovierung des Gebäudes Familienrecht, so findet sich
        n dem Verfassungsgerichtsurteil ein richtungsweisendes
        biter dictum auf ein weiteres Erstarken der Väterrechte,
        as im Zusammenhang mit den gendiagnostischen Mög-
        ichkeiten zu ungeahnten Konfliktsituationen führen
        ann, ich erinnere an die Möglichkeiten der so genann-
        en heimlichen Gendiagnostik zur Vaterschaftsfeststel-
        ung, worauf der Gesetzgeber zu reagieren haben wird.
        Vor dem Hintergrund, dass die demographische Kata-
        trophe, auf die wir uns zu bewegen, nicht allein von den
        rauen, die nicht mehr Mutter werden, sondern in noch
        tärkerem Maße von Männern verursacht wird, die nicht
        ereit sind, Vater zu werden und Elternverantwortung zu
        bernehmen, ist die Stärkung der Väter, die zur Verant-
        ortungsübernahme bereit sind, zu begrüßen, vielleicht
        eist dies einen Weg aus der vaterlosen Gesellschaft
        um Wohle unserer Kinder.
        Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der
        undesministerin der Justiz: Auch das Familienrecht ist
        iner permanenten Reformdiskussion unterworfen. Der
        andel der Werte und Lebensentwürfe findet hier ganz
        esonders seinen Niederschlag.
        Mit dem vorliegenden Gesetz setzen wir ein weiteres
        al einen Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfas-
        ungsgerichts um. Nachdem zum 31. Dezember letzten
        ahres fristgerecht eine Übergangsregelung zum Sorge-
        echt für nicht miteinander verheiratete Eltern in Kraft
        etreten ist, geht es jetzt darum, die Rechtsstellung des
        8168 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
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        so genannten „biologischen“ Vaters zu verbessern. Als
        „biologischen“ oder lediglich leiblichen Vater bezeich-
        nen wir den Mann, der weder aufgrund bestehender Ehe,
        kraft eigener Anerkennung noch mittels Vaterschafts-
        feststellungsklage als rechtlicher Kindesvater legitimiert
        ist. Im Bürgerlichen Gesetzbuch werden diesem ledig-
        lich „biologischen“ Vater seit dem Jahre 1900 bis heute
        keine Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind zuer-
        kannt.
        Bereits die begriffliche Differenzierung zwischen
        rechtlichem, nur „biologischem“ sowie – als wäre das
        nicht schon kompliziert genug – auch „sozialem“ Vater
        verdeutlicht den Wandel gesellschaftlicher Strukturen.
        Die Fülle der Begrifflichkeiten führt uns die Palette fa-
        milienpolitischer Themen vor Augen, denen wir uns
        stellen müssen.
        Die Stärkung der Rechtsposition des leiblichen Vaters
        hat das Bundesverfassungsgericht im April 2003 dem
        Gesetzgeber aufgetragen. Das Gericht hat sowohl die
        Regelungen zum Umgangsrecht gemäß § 1685 des Bür-
        gerlichen Gesetzbuchs als auch zur Vaterschaftsanfech-
        tung nach § 1600 BGB insoweit für verfassungswidrig
        erklärt, als der „biologische“ Vater ausnahmslos von bei-
        den Rechten ausgeschlossen ist. Diese Ausnahmslosig-
        keit verstößt gegen den in Art. 6 GG verankerten Schutz
        der Familie und des Elternrechts. Der Gesetzgeber muss
        bis zum 30. April 2004 Abhilfe schaffen.
        Der Entwurf der Bundesregierung, über den heute be-
        schlossen wird, enthält einen Vorschlag zur Beseitigung
        dieser Verfassungswidrigkeit. Zusammen mit den Ände-
        rungsvorschlägen des Rechtsausschusses haben wir eine
        gute Grundlage, um auch mit den Ländern zu einem
        Konsens zu kommen.
        Im Einzelnen: Nach der geplanten Gesetzesänderung
        kann der leibliche Vater eines Kindes die Vaterschaft
        eines nach geltendem Abstammungsrecht als Vater legi-
        timierten Mannes, also des „rechtlichen“ Vaters, unter
        einer Voraussetzung anfechten: Zwischen dem rechtli-
        chen Vater und dem Kind bestand oder besteht keine
        sozial-familiäre Beziehung. Das Verhältnis zwischen
        den beiden besteht im wahrsten Sinne des Wortes nur auf
        dem Papier. Das rechtskräftige Anfechtungsurteil stellt
        die leibliche Vaterschaft des Anfechtenden fest und der
        leibliche Vater rückt kraft Gesetzes in die rechtliche Va-
        terposition ein.
        Zudem sollen Personen, insbesondere der leibliche
        Vater, zu denen das Kind eine sozial-familiäre Bezie-
        hung hat oder gehabt hat, ein Recht auf Umgang mit
        dem Kind erhalten, wenn das dem Wohl des Kindes
        dient. Das Kindeswohl bleibt also weiterhin oberste
        Richtschnur für Entscheidungen des Familiengerichts.
        Mit der Ausdehnung des Umgangsrechts auf „Be-
        zugspersonen“ des Kindes – ohne abschließende Auflis-
        tung dieser Personen – tragen wir nicht nur den Bedürf-
        nissen der Kinder Rechnung, sondern berücksichtigen
        auch die europäische Rechtsentwicklung: In der Recht-
        sprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen
        rechte und in dem zur Zeichnung aufgelegten Europa-
        ratsübereinkommen über den Umgang mit Kindern
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        eichnet sich die Stärkung der Rolle der Bezugspersonen
        b. Weiteren, bereits jetzt absehbaren Änderungen des
        eltenden Umgangsrechts beugen wir damit vor.
        Die vom Bundesverfassungsgericht neu eingeführte
        egriffskategorie „sozial-familiäre Beziehung“ interpre-
        ieren wir mit dem Gesetzentwurf als tatsächliche Ver-
        ntwortungsübernahme für das Kind und unterfüttern sie
        it Regelbeispielen für die Rechtspraxis. Sie ist gleich-
        am Sinnbild für die eingangs erwähnte Fortentwicklung
        amiliärer Strukturen.
        nlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichtes: Mögliche Interessenüberschneidun-
        gen bei der Vergabe öffentlicher Mittel über die
        Bundesanstalt für Arbeit auf allen Ebenen
        nachhaltig vermeiden (Tagesordnungspunkt 13)
        Hans-Werner Bertl (SPD): Irgendwann vor dem
        . April 2003 geschrieben, dann weggelegt und verges-
        en, am 11. Dezember 2003, 11. Februar 2004 und heute
        bend zum dritten Mal der untaugliche Versuch der
        DP, die Mitglieder der Selbstverwaltung der Bundes-
        gentur für Arbeit mit durch nichts bewiesenen Behaup-
        ungen zu verdächtigen, zu diskreditieren, sie der Vor-
        eilsnahme zu bezichtigen. Und gleichzeitig werden die
        itarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur ge-
        erell als Verweigerer der notwendigen und von uns be-
        chlossenen Reformen beschrieben.
        Es ist schon tragisch, mit welch verzweifelter Verbis-
        enheit die FDP und ihr Arbeitsmarktexperte den
        eformprozess der wichtigsten Sozial- und Arbeits-
        arktinstitution „Bundesagentur für Arbeit“ diskredi-
        iert und skandalisiert.
        Unerträglich ist auch, dass die FDP diesem Parlament
        eit stiehlt und die einhellige Ablehnung aller anderen
        raktionen gestern im Ausschuss für Wirtschaft und Ar-
        eit zeigt, dass Sie ganz einsam und allein mit ihrer abs-
        rusen Forderung steht. Mal ist es die Auflösung, die Sie
        ordern, dann soll es die Abberufung eines Mitgliedes
        es Verwaltungsrates sein, dann fabulieren Sie über eine
        eutsche Arbeitslosenindustrie, die sich wie eine Krake
        n die Bundesagentur eingenistet haben soll, und dann
        ieder ist es die Intrige, die von wem und wann auch
        mmer gegen wen auch immer ihren Antrag legitimieren
        oll. Tragisch ist die pathologische Verbissenheit, die Sie
        egen jedes bessere Wissen zu solchen Anträgen ver-
        uhrt. Die im Vermittlungsverfahren beschlossenen Er-
        ebnisse – wie die Arbeit der Bundesagentur für Arbeit
        ukünftig strukturiert sein soll, wie sie in Zusammenar-
        eit mit den örtlichen Trägern der Sozialhilfe aktiv und
        ielgerichtet Hilfe aus einer Hand geben soll, wie sie den
        eg in Ausbildung und Arbeit, in Fortbildung und Qua-
        ifikation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ge-
        taltet, wie sie das Problem der beruflichen Rehabilita-
        ion für die Betroffenen regelt und wie sie als
        ompetente Partnerin für die Unternehmen arbeitet,
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8169
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        zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind und aus ei-
        nem undurchsichtigen Gewirr sozialer Dienstleistungen
        ein durchschaubares und transparentes System für Wirt-
        schafts- und Arbeitsmarktpolitik gestaltet haben.
        Es ist ja noch nachvollziehbar, dass eine kleine Oppo-
        sitionsfraktion nach Aufmerksamkeit, nach Profilierung
        sucht. Aber machen Sie das doch so, dass man Sie we-
        nigstens ein kleines bisschen ernst nehmen kann.
        Sie hätten doch in den letzten Wochen des Jahres
        2003 lernen können, dass es in parlamentarischen Ver-
        fahren auch für die Opposition eine reale Möglichkeit
        der Mitwirkung, ja Mitgestaltung gibt. Und genau das
        macht doch Parlamentarismus aus.
        Mitverantwortung, Mitgestaltung, selbst Konzepte
        einbringen, das alles anstelle von abstrusen Verdächti-
        gungen, das wäre für die FDP ein Sprung aus politischer
        Bedeutungslosigkeit gewesen und hätte aus ihrem Spre-
        cher vielleicht einen ernst zu nehmenden Arbeitsmarkt-
        experten machen können.
        Und sie waren doch dabei, als wir die Struktur der
        Selbstverwaltungsorgane neu definiert haben. Die Ver-
        antwortlichkeiten und Einwirkungsmöglichkeiten des
        Verwaltungsrates sind klar und eindeutig geregelt, und
        das Verhalten seiner Mitglieder auf allen drei Seiten, Ar-
        beitgeber, Arbeitnehmer und öffentliche Hand, gibt nicht
        den geringsten Verdacht der Vorteilsnahme oder Befan-
        genheit her, der ihren Antrag zu einem Gegenstand
        ernsthafter Betrachtung machen könnte.
        Kolleginnen und Kollegen der FDP, lassen Sie die
        Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit ihre Arbeit
        machen, fördern Sie den notwendigen Umbau und ich
        verspreche Ihnen, wenn Sie sich produktiv und kreativ in
        diesen Prozess einbringen wollen, werden Ihnen die Mit-
        glieder des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit mit
        Sicherheit zuhören und das nicht als gestohlene Zeit
        werten, was wir hier heute allerdings tun müssen. Wir
        hoffen jetzt, mit der Ablehnung Ihres Antrages zukünftig
        Zeit für die wirklich wichtigen Reformprozesse zu ha-
        ben.
        Dr. Hermann Kues (CDU/CSU): Eigentlich hatte
        ich erwartet, dass der Antrag, über den wir hier debattie-
        ren, zurückgezogen wird. Nach den sehr ausführlichen
        Diskussionen im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit zu
        den Vorgängen um die Auftragsvergaben in der Bun-
        desagentur ist mittlerweile nun allen klar, worauf es an-
        kommt.
        Wir sollten, und da sind wir uns wohl weitgehend ei-
        nig, die Bundesagentur unter der neuen Führung von
        Herrn Weise in Ruhe die Fehler der Vergangenheit aufar-
        beiten lassen. Es stehen vor ihm wahrlich anspruchsvolle
        Aufgaben. Eine davon betrifft auch das Thema der Auf-
        tragsvergabe. In diesem Falle geht es aber nicht um die
        Auftragsvergabe an PR-Unternehmen, sondern die auf
        dem Weiterbildungssektor. Hier gibt es nämlich große
        Probleme.
        Der Antrag der FDP hat einen ganz bestimmten Hin-
        tergrund: Es wird in ihm unterstellt, bestimmte große
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        ildungsträger nähmen über den Verwaltungsrat der BA
        influss auf die Mittelvergabe für den Weiterbildungs-
        ektor, den die Bundesagentur verantwortet, und dabei
        äre eine Person besonders aktiv. Die FDP konstatiert
        ine unzulässige Interessenüberschneidung aus drei
        ründen: Erstens wird mit Mitgliedsgeldern umgegan-
        en, also mit Zwangsbeiträgen der Versicherten, zwei-
        ens stehen große Summen zur Debatte und drittens sind
        inzelne Vertreter des Verwaltungsrates in Personalunion
        n überregionalen Bildungsträgern tätig.
        Darüber muss man reden. Was notwendig ist, das ist
        ransparenz. Was notwendig ist, das ist auch Fingerspit-
        engefühl. Dort, wo es Interessenüberschneidungen gibt,
        uss man sich zurückzunehmen. Das gilt allerdings
        icht nur für die Bundesagentur für Arbeit. Darauf
        ommt es an. Eine „Lex XY“ als Parlament zu verab-
        chieden, das kann nicht die Lösung des Problems sein.
        er Antrag bildet allenfalls einen Randaspekt der gan-
        en Problematik ab.
        Meine Fraktion wird deshalb dem Antrag nicht zu-
        timmen. Den Antrag könnten wir also getrost zu den
        kten legen, wenn er nicht – und das war ursprünglich
        icher auch gar nicht so beabsichtigt – indirekt die Unge-
        eimtheiten und Probleme auf dem Sektor der berufli-
        hen Weiterbildung in den Vordergrund geschoben hätte,
        robleme, die durch die Art und Weise der Umsetzung
        er Hartz-Gesetze durch die jetzige Bundesagentur sehr
        irulent geworden sind.
        In der ersten Lesung zu diesem Antrag am 11. Dezem-
        er wurde meines Erachtens klar, dass es unabhängig von
        en im FDP-Antrag angesprochenen Interessenkonflik-
        en große Probleme auf dem Sektor der beruflichen Wei-
        erbildung gibt. Die müssen angesprochen werden. Das
        ind, wenn man die gegenwärtige Situation auf dem Wei-
        erbildungsmarkt sieht, gravierendere Probleme, als die
        ermeintliche Interessensüberschneidung bei einzelnen
        itgliedern des Verwaltungsrates.
        Mein Kollege Straubinger hat im Dezember Beispiele
        ngeführt, bei denen einem die Haare zu Berge stehen
        üssen. Da wurde offensichtlich tatsächlich das Geld
        um Fenster rausgeworfen, Geld, das an anderer Stelle
        ehlt. Es gibt ganz offenkundig Wildwuchs, vielleicht
        uch Seilschaften in der Branche. Aber mir scheint doch
        ichtig, festzustellen, dass die ganz überwiegende Zahl
        er Träger von beruflicher Weiterbildung solide, effizi-
        nt und ergebnisorientiert ihre Arbeit macht. Ich kenne
        ie Weiterbildungslandschaft in meinem Wahlkreis
        iemlich genau. Es bestätigt meinen Eindruck, dass sie
        egenwärtig schwere Zeiten durchmacht, da mit den
        artz-Gesetzen und deren Umsetzung durch die Bun-
        esagentur über Nacht ganz neue Rahmenbedingungen
        ntstanden sind, denen sie teilweise nicht gewachsen
        ind, auch nicht gewachsen sein können. Ich möchte die
        ebatte zu diesem Antrag deshalb nutzen, diese Pro-
        leme anzusprechen.
        Es ist wohl hier im Hause politischer Konsens, dass
        ie berufliche Weiterbildung ein wichtiger Aspekt bei
        er Eindämmung der Massenarbeitslosigkeit ist. Alle
        elt weiß es, wir haben auf dem Arbeitsmarkt nicht nur
        in Struktur-, sondern auch ein Bildungsproblem. Wir
        8170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        haben Lehrstellenbewerber, die nur rudimentär deutsch
        können, Schulabgänger, die kaum das kleine Einmaleins
        beherrschen, Arbeitslose, die nicht das geforderte Quali-
        fikationsniveau in ihrem Beruf oder Arbeitslose, die
        keine marktgerechte Ausbildung haben. Dazu kommen
        dann noch die Menschen, die behindert sind oder andere
        von ihnen nicht zu vertretende Einschränkungen haben,
        die also einer besonderen beruflichen Förderung bedür-
        fen. Der Anteil ungelernter Arbeitsloser ist signifikant
        höher als der von Facharbeitern. Bei den Langzeitar-
        beitslosen stellt sich das noch gravierender dar.
        Allen diesen Menschen kann der Einstieg oder auch
        Verbleib im Arbeitsmarkt erleichtert werden, wenn eine
        passgenaue Bildungsmaßnahme zur Verfügung stünde.
        Ich argumentiere seit Jahren mit dem „Maßanzug“, den
        der Arbeitslose in vielen Fällen braucht, um wieder Fuß
        zu fassen. Dabei habe ich natürlich in erster Linie den
        Langzeitarbeitslosen im Auge, der ja das eigentliche
        Problem für den Arbeitsmarkt darstellt. Ich denke aber,
        das gilt auch generell. Es stellt sich die Frage: Wer kann
        diesen Maßanzug liefern? Und ich antworte darauf: Der
        „regionale Schneider“, der die Verhältnisse vor Ort bes-
        tens kennt.
        Es gab und gibt viele Projekte in unserem Land, die
        diesen Grundsatz umsetzen und danach handeln. Die Er-
        folge sprechen für sich. Als emsländischer Abgeordneter
        kann ich auf meine Region in dieser Beziehung durchaus
        stolz sein. Das setzt allerdings voraus, dass es eine örtli-
        che Bildungslandschaft gibt, die einen starken regiona-
        len Bezug hat. Die gab es bisher. Aber gerade diese ist
        es, der durch die neue Ausschreibepraxis der Bundes-
        agentur der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
        Das sind meist kleinere qualifizierte Bildungsträger mit
        einer langen Tradition.
        Die neue Praxis sieht jetzt so aus: Von den Agenturen
        vor Ort wird der konkrete Bedarf, ausgerichtet an den re-
        gionalen Bedürfnissen, entwickelt. Ausgeschrieben aber
        wird nur in großen Losen überregional. Konkret für mei-
        nen Wahlkreis im Emsland sieht das dann so aus, dass
        beispielsweise im IT Bereich der Bedarf für einen be-
        stimmten Ausbildungsgang festgestellt wird, der aber an
        Bildungsträger nach NRW oder in die neuen Bundeslän-
        der vergeben wird, nur weil sie ein paar Cent billiger an-
        bieten können als heimische Bildungsträger. Hinzu kom-
        men Modalitäten der Ausschreibung, die es nur großen
        Trägern ermöglicht, daran teilzunehmen. Kennzeichen
        dieser Ausschreibungen sind: Potenzielle Bewerber ha-
        ben nur wenig Zeit, Angebote zu entwickeln. Die Leis-
        tungsbeschreibungen umfassen zum Teil über 100 Seiten
        mit detaillierten Vorgaben für Werkstätten. Die Leis-
        tungsbeschreibungen werden während der Ausschrei-
        bung ständig aktualisiert (definiert) und erklärt. Bei der
        Regionaldirektion Niedersachsen/Bremen beispiels-
        weise beläuft sich das bereits auf 66 Internetseiten.
        Kenner der Weiterbildungsszene weisen darauf hin,
        dass insbesondere gewerkschaftliche Weiterbildungsträ-
        ger von diesen Bedingungen profitieren. Diese Praxis
        führt letztlich zur Zerschlagung der regionalen Träger-
        struktur. Insbesondere kleine und vor Ort tätige Bil-
        dungseinrichtungen können bei dieser Art Ausschrei-
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        ung, bei der offensichtlich nur noch der Preis eine Rolle
        pielt und Qualität und Kenntnisse des lokalen Arbeits-
        arktes keine Bedeutung mehr haben, nicht mehr beste-
        en. Aber gerade diese Träger haben in der Vergangen-
        eit auf der Basis der Erfahrungen der laufenden
        aßnahmen diese weiterentwickelt und an den (regiona-
        en) Arbeitsmarkt angepasst. Dieser Innovationsprozess
        roht verloren zu gehen.
        Niemand wird bestreiten wollen, dass auch auf dem
        eiterbildungssektor Wettbewerb nicht schadet. Es gibt
        uch sicher den einen oder anderen Bildungsträger, des-
        en Maßnahmen ineffizient, also im Klartext überflüssig
        ind. Wettbewerb muss aber alle einschließen und darf
        icht von vornherein eine ganze Gruppe von Anbietern
        urch eine gezielte Ausschreibepraxis ausschließen bzw.
        ine andere bevorzugen.
        Nicht nur die zentralistische Ausschreibepraxis ist
        ragwürdig, auch inhaltlich verzichtet man auf Vorga-
        en, die an anderer Stelle zum Beispiel für die Zertifizie-
        ung von Trägern verlangt werden. Es fehlen Zielvorga-
        en für die Vermittlung, Anforderungen an die Qualität
        es Personals, Verpflichtung zur Sozialversicherungs-
        flichtigen Beschäftigung.
        Unter der Hand werden von dubiosen Anbietern Stun-
        ensätze pro Teilnehmer von 98 Cent in den alten und
        5 Cent in den neuen Bundesländern bei Trainingsmaß-
        ahmen als „Angebot“ gehandelt. Der Selbstkostensatz
        raditioneller Träger liegt bei 3 Euro. Für solche Sum-
        en können sie höchstens auf der grünen Wiese vermit-
        eln und trainieren, nicht aber in geheizten Räumen mit
        enigstens einem Computer. Diese Träger konzentrieren
        ich vor allem auf Teilnehmer, von denen sie annehmen,
        ass sie leichter integrierbar sind und mit denen sie
        eichter die verlangte Verbleibsquote von mindestens
        0 Prozent erreichen.
        Dies lässt sich an der Weiterbildungsstruktur inzwi-
        chen ablesen. Im Vergleich zum Vorjahr hat in 2003 der
        nteil von Langzeitarbeitslosen, Schwerbehinderten,
        enschen ohne vorherige Berufsausbildung und Älteren
        ber 50 Jahre deutlich abgenommen.
        Letztlich ist diese Regel auch frauenfeindlich; denn
        ie Verbleibsquote von Frauen liegt signifikant unter der
        on Männern. Es wird einer Selektion der Boden berei-
        et, die sich noch verschärfen wird, wenn die Bundes-
        gentur die Verbleibsquote auf 80 Prozent anheben wird.
        as wurde zwar inzwischen dementiert, jeder Beobach-
        er der Szene weiß aber, dass diese Anhebung bereits in
        er Schublade liegt.
        Die jetzige durchschnittliche Verbleibsquote liegt im
        esten bei 61,5 Prozent, im Osten nur bei 52,9 Prozent.
        ie lässt sich nach meiner Überzeugung nur deutlich
        teigern, wenn passgenauer qualifiziert wird. Ich habe
        ingangs schon etwas dazu gesagt. Dies schaffen am
        esten im regionalen Arbeitsmarkt verwurzelte Anbieter.
        ie Hartz-Gesetze verschieben die Priorität in der beruf-
        ichen Weiterbildung von langfristig angelegter Kompe-
        enzentwicklung hin zu kurzfristigen Wiedereingliede-
        ungseffekten.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8171
        (A) )
        (B) )
        Zentrale Instrumente der Hartz-Vorschläge auf dem
        Feld der beruflichen Weiterbildung sind Bildungsgut-
        schein und Verbleibsquote. Alle Evaluationsstudien be-
        legen, dass der Eingliederungserfolg im Wesentlichen
        abhängig ist vom regionalen Arbeitsmarkt, von der an-
        gestrebten und verwirklichten Qualifikation, von der
        Teilnehmerzusammensetzung.
        Die inzwischen eingeführten Bildungsgutscheine ent-
        falten diesbezüglich leider nur eine zweifelhafte Wir-
        kung. Die, die der Weiterbildung am dringendsten be-
        dürfen, sind mit der neuen „Wahlfreiheit“ häufig
        überfordert. Sie können ja auch nur zwischen Trägern
        wählen, nicht zu den Inhalten. Statt der erhofften Trans-
        parenz entsteht für sie eine neue Unübersichtlichkeit.
        Häufig befinden sich auch infrage kommende Träger
        nicht in der Region. Mit dem Wegfall des Unterhaltsgel-
        des wird es äußerst problematisch, einen zusätzlichen
        Nebenwohnsitz zu finanzieren. Für die Anbieter entsteht
        eine Unplanbarkeit. Und auch für den Arbeitslosen, denn
        er weiß praktisch bis zum Beginn der Maßnahme nicht,
        ob sie überhaupt zustande kommt.
        Die hohe Zahl an verfallenen Bildungsgutscheinen
        belegt diese Schwierigkeiten: Von den zwischen 1. März
        und 30. September 2003 bundesweit ausgegebenen
        147 400 Bildungsgutscheinen sind 21 400 nach abgelau-
        fener Gültigkeit storniert worden.
        Was bedeutet das alles? Es wird nur mehr unterschie-
        den danach, was der Einzelne weiterbildungsmäßig kos-
        tet, und nicht, ob durch eine aufwendigere Maßnahme
        erfolgreich vermittelt werden könnte. Kurzfristig spart
        das natürlich Geld, langfristig wird es bestimmt nicht
        billiger.
        Die berufliche Weiterbildung genießt zu Recht einen
        hohen Stellenwert. „Wissensgesellschaft“, „lebenslanges
        Lernen“ sind Stichworte für die wohl von allen Seiten
        des Hauses anerkannte Bedeutung der beruflichen Wei-
        terbildung. Dies muss sich auch am Arbeitsmarkt ange-
        messen widerspiegeln. Es ist klar, dass die berufliche
        Weiterbildung zu allererst dazu dienen muss, eine Ver-
        mittlung oder den Verbleib im ersten Arbeitsmarkt zu
        ermöglichen. Weiterbildung heißt aber auch Kompetenz-
        entwicklung und Kompetenzentwicklung heißt wie-
        derum, dass dies gegebenenfalls in Abschnitten erfolgen
        muss.
        Die Entwicklung im vergangenen Jahr lässt aber auf-
        horchen: Die Zahl der Neueintritte in nach dem Dritten
        Buch Sozialgesetzbuch geförderte berufliche Weiterbil-
        dungsmaßnahmen hat sich von 456 301 im Jahre 2002
        auf nur noch 246 245 im Jahr 2003 fast halbiert. Und
        dieser Prozess setzt sich fort.
        Im Bereich der Agentur Nordhorn – der umfasst das
        südliche und mittlere Emsland und die Grafschaft
        Bentheim – ist die Zahl der Weiterbildungsmaßnahmen
        2003 um 35 Prozent zurückgegangen, in erster Linie zu-
        lasten der Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Die Zahl
        der Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz beträgt 3 184.
        Das sind Menschen, denen mit beruflichen Bildungsan-
        geboten geholfen werden könnte, den Einstieg noch zu
        schaffen. Wollen wir die mit Bildungsgutscheinen ab-
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        peisen? Der Personalabbau bei den Bildungsträgern be-
        rägt teilweise bis zu 50 Prozent. Einzelne haben bereits
        ufgegeben, die Existenz einer ganzen Branche ist letzt-
        ich bedroht. Wir müssen uns fragen, was wir politisch
        ollen.
        Betrachten wir die berufliche Weiterbildung nur als
        ittel, vordergründig die Arbeitslosenzahlen zu reduzie-
        en, oder wollen wir dieses Instrument auch nutzen als
        ilfe für ein gelingendes Leben? Jugendliche, die jahre-
        ang keine Struktur in ihrem Tagesablauf hatten, werden
        ur sehr schwer zurückfinden in ein geregeltes Arbeits-
        eben. Schreiben wir diese Menschen ab? Oder sollten
        ir nicht versuchen, sie über Bildungsangebote reifen zu
        assen? Ich weiß, das ist in Zeiten knapper Kassen eine
        rovozierende Frage. Uns wird sie aber einholen, wenn
        ir heute darauf keine Antwort finden.
        Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Um
        s noch einmal vorauszuschicken: Der Antrag der FDP-
        raktion ist inhaltlich völlig überholt; dies ist ja gestern
        m Ausschuss noch einmal deutlich geworden. Er ist
        berholt, weil seit dem 1. Januar dieses Jahres mit den
        nderungen des Dritten Gesetzes für moderne Dienst-
        eistungen am Arbeitsmarkt die Aufgaben des Verwal-
        ungsrates innerhalb der Bundesagentur für Arbeit neu
        efiniert worden sind: Der Verwaltungsrat der BA hat
        un keinerlei Aufgaben in der Ausgestaltung des opera-
        iven Geschäfts mehr und ist auf eine reine Kontroll-
        unktion gegenüber dem Vorstand beschränkt. Damit
        ind die von der FDP-Fraktion angesprochenen Interes-
        enkonflikte zwischen der Gestaltung des operativen Ge-
        chäfts des Vorstands und den Interessen der Verwal-
        ungsratsmitglieder in Zukunft ausgeschlossen.
        Des Weiteren sehe ich den von Ihnen angesprochenen
        nteressenkonflikt auf Gewerkschaftsseite nicht und
        erte den hier vorgelegten Antrag vielmehr als einen un-
        ulässigen Versuch, in die Selbstverwaltung der Bun-
        esagentur einzugreifen. Die Absetzung eines Mitglieds
        es BA-Vorstandes ist nur im Falle einer groben Amts-
        erletzung nach § 377 Abs. 3 SGB III möglich. Diese
        iegt hier aber nicht vor. Frau Engelen-Kefer ist die legi-
        ime Vertreterin der Arbeitnehmerseite und wurde durch
        en vorschlagsberechtigten DGB benannt. Dies sollte
        uch die FDP-Fraktion im Bundestag respektieren.
        Ich meine, mit diesen Ausführungen ist nun wirklich
        lles zum Antrag der FDP gesagt und wir sollten nun
        azu übergehen, uns um die wirklichen Probleme mit
        er aktiven Arbeitsmarktpolitik zu kümmern. Der Haus-
        alt der BA für das Jahr 2004 sieht eine gravierende Re-
        uzierung des Eingliederungstitels um 18 Prozent
        egenüber dem Jahr 2003 vor. Bei genauerer Betrach-
        ung fällt zwar auf, dass es auch zu Verschiebungen in-
        erhalb der einzelnen Haushaltstitel gekommen ist, die
        iese absolute Kürzung teilweise kompensieren, sodass
        m Ende ein Minus von 12 Prozent zu Buche schlägt.
        nsgesamt stehen jedoch für Maßnahmen der aktiven Ar-
        eitsmarktpolitik im kommenden Jahr 1,4 Milliarden
        uro weniger zur Verfügung.
        Ich möchte an dieser Stelle deutlich machen, dass
        ündnis 90/Die Grünen diese Schwerpunktsetzung der
        8172 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        BA skeptisch betrachten. Gerade die geplanten Kürzun-
        gen von Leistungen für Berufsrückkehrerinnen und äl-
        tere Arbeitnehmer sowie ein Zusammenstreichen des
        JUMP-Programms werfen Fragen auf. An die Stelle des
        Zusammenstreichens von Haushaltstiteln setzten wir
        eine Geschäftspolitik, die sinnvolle Strukturen effi-
        zienter und gerne auch schlanker macht, aber in ihrer
        Substanz erhält.
        Als behindertenpolitischer Sprecher meiner Fraktion
        beobachte ich besonders aufmerksam, wie die Ge-
        schäftspolitik der Bundesagentur für Menschen mit Be-
        hinderungen in den letzten Monaten geändert wurde. Ich
        möchte hier nur ein paar Beispiele nennen: In einem
        Weisungspapier der BA an die Landesarbeitsämter wur-
        den diese angewiesen, durch eine ganze Reihe von Maß-
        nahmen die Ausgaben für Berufsbildungswerke zu drü-
        cken. Da sollen nun alle Berufsbildungswerke auf einen
        Durchschnittskostenwert gedrückt werden, ungeachtet
        ihrer spezifischen Ausstattung, ihrer individuellen Ange-
        botsstruktur und ihrer Leistungsfähigkeit. Diese Anwei-
        sung verkennt, dass Berufsbildungswerken eine ent-
        scheidende Rolle bei der Eingliederung benachteiligter
        Jugendlicher in das Erwerbsleben zukommt. Für viele
        Jugendliche ist eine individuelle Förderung in diesen
        Einrichtungen die einzige Möglichkeit, den Einstieg in
        den ersten Arbeitsmarkt und den dauerhaften Ausstieg
        aus der Sozialhilfe zu schaffen.
        Hinzu kommt die neue Ausschreibungspraxis: Seit
        Sommer 2003 werden Leistungen der aktiven Arbeits-
        marktpolitik von der Bundesanstalt für Arbeit zentral in
        ihren Leistungsmerkmalen definiert und zur Aus-
        schreibung freigegeben. Dazu gehören im Moment Trai-
        ningsmaßnahmen, Vermittlungsleistungen nach § 37 a
        SGB III und berufsvorbereitende Maßnahmen. In den
        nächsten Ausschreibungsrunden sollen alle weiteren In-
        strumente zu diesem Katalog hinzukommen. Langfristig
        ist vorgesehen, dass 75 Prozent aller Maßnahmen in ih-
        ren Leistungscharakteristika von der Zentrale vorgege-
        ben werden und dann auf Ebene der Landesarbeitsämter
        bzw. der neuen Regionaldirektionen ausgeschrieben
        werden. Nur noch 25 Prozent der Leistungen sollen auch
        in ihrem spezifischen Zuschnitt in der Verantwortung der
        örtlichen Arbeitsagenturen bleiben.
        Diese Praxis verkennt völlig die Bedeutung gewach-
        sener Strukturen: Gerade für die Integration von schwer
        vermittelbaren Menschen mit Behinderungen ist das Zu-
        sammenwirken der Akteure vor Ort unerlässlich, um
        erfolgreich zu sein. In der Vergangenheit konnten be-
        hinderte Jugendliche nur deswegen in den ersten Ar-
        beitsmarkt integriert werden, weil engagierte Mitarbeiter
        der Berufsförderungswerke vor Ort langjährige Verbin-
        dungen mit den lokalen Betrieben und Handwerkskam-
        mern aufgebaut haben und sich persönlich für die Ein-
        stellung ihrer Absolventen eingesetzt haben.
        Es ist überhaupt nicht verständlich, dass nun solche
        berufsvorbereitenden Maßnahmen nach den Grundsät-
        zen des deutschen Vergaberechts bundesweit ausge-
        schrieben werden sollen und dass sich die Vergabe nur
        noch nach dem günstigsten Angebot richten soll. Hier
        werden funktionierende Strukturen dem kurzfristigen
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        ostendiktat geopfert, und zwar mit gravierenden lang-
        ristigen Folgen, deren Kosten zurzeit überhaupt nicht
        eachtet werden. Davon betroffen sind behinderte
        ugendliche mit Lern- oder Körperbehinderungen, für
        ie ohnehin kaum Chancen auf dem Ausbildungs- und
        rbeitsmarkt bestehen. Wir können eine solche
        eschäftspolitik nicht mittragen, mit der diese jungen
        enschen von der Schulbank in die Perspektivlosigkeit
        nd in den Sozialhilfebezug entlassen werden. Erfolgrei-
        hes, ganzheitliches Profiling, Fallmanagement und eine
        rfolgreiche Vermittlung brauchen örtliche Bezüge, ins-
        esondere bei Arbeitslosen mit multiplen Vermittlungs-
        emmnissen.
        Diese Ausschreibungspraxis der BA widerspricht klar
        em durch die rot-grüne Koalition im SGB II formulier-
        en Anliegen, die vorhandenen Strukturen zu erhalten
        nd im Interesse der Arbeitslosen zu nutzen. Es sind die
        räger vor Ort, die das größte Know-how und die besten
        ontakte haben, gerade weil sie lokal arbeiten und regio-
        al vernetzt sind. Wir haben uns von Anfang an dafür
        ingesetzt, bestehende Strukturen nicht zu zerschlagen.
        ir brauchen deren Erfahrung, um die neuen Jobcenter
        ufbauen und erfolgreich betreiben zu können. Hätten
        ie, Herr Niebel, einen ernst zu nehmenden Antrag stel-
        en wollen, hätten Sie diese Probleme aufgegriffen, an-
        tatt einem kläglichen Populismus mit Schlagworten wie
        rbeitslosenindustrie zu frönen.
        Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        inister für Wirtschaft und Arbeit: Wir beraten hier über
        inen Antrag der FDP-Fraktion, der im Dezember 2003
        ehr kurzfristig in die Tagesordnung aufgenommen wor-
        en war. Dieser Antrag stammt, wie Sie alle der Bundes-
        agsdrucksache entnehmen können, vom 2. April des
        etzten Jahres.
        Der Zeitpunkt der Wiederbelebung dieses Antrags
        ar übrigens nicht zufällig. Im Dezember war der dama-
        ige Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt wegen ei-
        es Beratervertrages mit der Firma WMP im Zentrum
        er öffentlichen Kritik. Die FDP nahm dies als willkom-
        enen Anlass, sich mit der Auferweckung dieses Uralt-
        ntrages sozusagen in den Windschatten zu setzen und
        ersucht von da aus einmal mehr, Sand in das Getriebe
        er Reformbemühungen der Bundesagentur für Arbeit
        u streuen. Das ist ja nichts Neues.
        Dieses Mal hat sie die Selbstverwaltung als Zielob-
        ekt entdeckt und versucht, völlig grundlos Misstrauen
        egen das seit Jahrzehnten bewährte System der Selbst-
        erwaltung aufzubauen. Und da der FDP die Vertreter
        er Gewerkschaften schon immer ein Dorn im Auge wa-
        en, will sie Frau Engelen-Kefer gleichsam im Hand-
        treich als Mitglied der Selbstverwaltung abberufen wis-
        en. Das ist einfach lächerlich und das nimmt hier auch
        iemand ernst.
        Aber wenigstens scheint die FDP von ihrer bisherigen
        meines Erachtens im Übrigen absurden – Forderung,
        ie Bundesanstalt für Arbeit aufzulösen, Abstand ge-
        ommen zu haben. Anders kann ich es mir nicht erklä-
        en, dass sie zukünftig eine grundlegende Reform der
        elbstverwaltungsstrukturen in Angriff nehmen will.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8173
        (A) )
        (B) )
        Mit diesem Antrag hat sich die FDP selbst ein Ar-
        mutszeugnis ausgestellt. Die einzig richtige Handlung
        wäre gewesen, diesen Antrag zurückzuziehen oder ihn
        dort zu belassen, wo er sich anscheinend vorher befun-
        den hat, nämlich in der Versenkung.
        Ich will nur kurz auf die bestehenden Forderungen
        eingehen.
        Die von Ihnen angesprochene Vorschrift § 16 Zehntes
        Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist in ihrer jetzigen
        Form ausreichend. Diese Regelung schließt ausdrücklich
        und ausnahmslos Personen vom Tätigwerden in einem
        Verwaltungsverfahren aus, bei dem die Beteiligten
        – zum Beispiel ein Antragsteller oder ein Geforderter –
        gegen Entgelt beschäftigt sind oder bei ihm als Mitglied
        des Vorstands, Aufsichtsrats oder eines gleichartigen Or-
        gans tätig sind.
        Bereits im März 2002 hat die Bundesanstalt einen
        entsprechenden Runderlass zum Abstimmungsverhalten
        von Mitgliedern der Selbstverwaltung herausgegeben,
        um dort ein besonderes Bewusstsein für dieses wichtige
        Thema zu schaffen. Doch dabei ist die Bundesanstalt
        nicht stehen geblieben. Der Bundesanstalt war bewusst,
        dass auch schon im Rahmen von Beratungen und Ge-
        sprächen ein Interessenkonflikt entstehen oder auch nur
        der Anschein eines solchen Konflikts erweckt werden
        kann, was sich wiederum negativ auf das Ansehen der
        Bundesanstalt auswirken könnte. Um in diesem sensi-
        blen Bereich das Ansehen der Bundesanstalt und der
        Mitglieder der Selbstverwaltung zu stärken, hat der
        Verwaltungsrat Ende Juni dieses Jahres eine Art „Ehren-
        kodex“ beschlossen. Darin wird den Selbstverwaltungs-
        mitgliedern nahe gelegt, die Gefahr möglicher Interes-
        senkonflikte und die möglichen Ansehensverluste der
        Bundesanstalt – wie sie insbesondere durch die parallele
        Mitgliedschaft in der Selbstverwaltung und in externen
        Gremien entstehen können – stärker als bisher zu ge-
        wichten. Nach individueller Prüfling des Einzelfalls ist
        auch die Beendigung der Mitarbeit in einem externen
        Gremium in Betracht zu ziehen. Eine Verpflichtung zur
        Beendigung der Mitarbeit in entsprechenden Gremien ist
        allerdings aus dem Grund nicht ausgesprochen worden,
        da die strikte Beachtung des § 16 SGB X grundsätzlich
        für ausreichend erachtet wurde.
        Den Verwaltungsausschüssen der damaligen Landes-
        arbeitsämter und Arbeitsämter hat der Verwaltungsrat im
        Übrigen empfohlen, entsprechende Beschlüsse zu fas-
        sen.
        So viel zu den im Antrag aufgestellten Forderungen.
        Sie entbehren also jeglicher Grundlage.
        Aber das ist noch nicht alles. Besonders beschämend
        ist, dass die Mitglieder der FDP überhaupt nicht am Re-
        formprozess der Bundesagentur interessiert sind. Wäre
        dies anders, wäre ihnen nämlich aufgefallen, dass bereits
        im letzten Jahr die Aufgaben des Verwaltungsrates auf
        reine Kontrollaufgaben ausgerichtet worden sind. Auch
        und schon aus diesem Grund geht der Antrag ins Leere.
        Die ihm eingeräumte Kontrolltätigkeit nimmt der
        Verwaltungsrat auch aktiv wahr. Das konnten wir gerade
        bei den Ereignissen in den letzten Tagen und Wochen
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        ehr gut beobachten. Die Selbstverwaltung bei der Bun-
        esagentur für Arbeit hat sich dabei in sicherlich proble-
        atischen Situationen bewährt und ist ihrer neuen Rolle
        urchaus gerecht geworden.
        Ebenfalls entgangen ist der FDP-Fraktion, dass die
        undesregierung die neue Rolle der Selbstverwaltung
        urch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen
        m Arbeitsmarkt fortgeschrieben hat. Die auf der Ebene
        es Verwaltungsrates begonnene Neustrukturierung der
        elbstverwaltung ist konsequent auf die untere Ebene
        bertragen worden. Die örtlichen Verwaltungsausschüsse
        ei den Agenturen für Arbeit können nicht mehr – wie
        as früher der Fall war – über Mittel des Eingliederungs-
        itels oder der freien Förderung entscheiden. Sie kontrol-
        ieren nur noch die Entscheidungen der Geschäftsfüh-
        ung. Und dazu sind sie auch mit stärkeren Informations-
        nd Beratungsrechten ausgestattet worden.
        Damit existieren die von Ihnen so überzogen darge-
        tellten Interessenüberschneidungen überhaupt nicht
        ehr.
        Meine Rede beenden möchte ich mit einem kleinen
        eispiel aus der Praxis: Seit Anfang dieses Jahres ist be-
        anntlich der Verwaltungsrat für die Berufung der Mit-
        lieder der örtlichen Verwaltungsausschüsse zuständig.
        uf der Sitzung des Verwaltungsrates am letzten Freitag
        st die Berufung einer Person in einen Verwaltungsaus-
        chuss abgelehnt worden. Der Grund: Diese Person war
        eiter eines örtlichen Bildungsträgers. An diesem
        eispiel wird einmal mehr deutlich, dass die Selbstver-
        altung ihrer neuen Rolle gerecht wird und dass die Ver-
        eidung von Interessenkonflikten innerhalb der Bundes-
        gentur ernst genommen wird.
        nlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge:
        – Früherkennung, Behandlung und Pflege bei
        Demenz verbessern
        – Demenz früh erkennen und behandeln – für
        eine Vernetzung von Strukturen, die Intensi-
        vierung von Forschung und Unterstützung
        von Projekten
        (Tagesordnungspunkt 14 a und b)
        Verena Butalikakis (CDU/CSU): 1,2 Millionen
        enschen mit einer demenziellen Erkrankung und die
        itbetroffenen Familien erwarten zu Recht Hilfe. Umso
        ehr bedaure ich, dass ich angesichts dieser ernsthaften
        hematik zunächst gezwungen bin, gleich zu Beginn fal-
        che Behauptungen, die von der rot-grünen Regierungs-
        oalition hinsichtlich des Zeitablaufs in Bezug auf die
        eute zu behandelnden Anträge immer wieder in den
        aum gestellt werden, zu widerlegen.
        Die Wahrheit ist, dass die SPD-Fraktion den von der
        DP eingebrachten Antrag mit dem Schwerpunkt „Früh-
        rkennung und Behandlung“ bei der 1. Beratung im
        8174 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        Februar 2003 abgelehnt hat. Bündnis 90/Die Grünen ha-
        ben Beratungsbedarf angekündigt und die CDU/CSU hat
        bei grundsätzlicher Zustimmung Änderungen und Er-
        gänzungen angemeldet.
        Zur abschließenden Beratung im Ausschuss für Ge-
        sundheit und soziale Sicherung – nach der Anhörung im
        Mai am 4. Juni 2003 – legte die CDU/CSU-Fraktion den
        angekündigten fundierten Änderungsantrag vor. Jetzt
        wäre eine interfraktionelle Einigung möglich gewesen.
        Aber die rot-grüne Regierungskoalition erklärte deut-
        lich, dass sie bei einer Abstimmung auch den verbesser-
        ten Antrag ablehnen werde und schlug vor, den Entwurf
        für einen interfraktionellen Antrag zu erarbeiten. Die
        Abstimmung wurde daraufhin ausgesetzt.
        Nach 5 Monaten, am 5. November 2003, und nach
        mehreren Nachfragen vonseiten der Opposition, ging
        dann der Antragsentwurf per E-Mail ein. In der CDU/
        CSU-Arbeitsgruppe Gesundheit und Soziales wurde der
        Antrag sofort in den nächsten beiden Sitzungen am
        11. November und abschließend am 25. November be-
        handelt. Seit Anfang Dezember war der rot-grünen Re-
        gierungskoalition bekannt, dass wir – wie im Übrigen
        auch die FDP-Fraktion – den Antrag angesichts grundle-
        gender Unterschiede in entscheidenden Fragen die rot-
        grüne Vorlage ablehnen und einen eigenen Antrag zur
        Verdeutlichung der Unterschiede einbringen werden.
        Das ist dann auch auf dem normalen parlamentarischen
        Weg geschehen.
        Die von mir dargestellten Zeitabläufe – auch die fünf
        Monate Verzögerung durch die Regierungskoalition –
        sind belegbar, weiteres Lügen in diesem Zusammenhang
        somit obsolet. Die betroffenen Menschen interessiert
        dieses von rot-grün angezettelte Ablenkungsmanöver
        natürlich überhaupt nicht, denn für sie kommt es auf
        schnelles Handeln und vor allem auf die Inhalte an.
        Die heute zur Beratung anstehenden Anträge greifen
        auf den ersten Blick gleichartige Punkte auf. Der Kol-
        lege Parr hatte ja schon darauf hingewiesen, dass sie
        weit über den Schwerpunkt im FDP-Antrag hinausge-
        hen.
        Diese Gleichartigkeit der Punkte ist nicht überra-
        schend, denn die Anregungen und Forderungen von
        Experten verschiedener Disziplinen und von Betroffe-
        nenvertretern sind nicht neu. Spätestens als die Sachver-
        ständigenkommission im April 2002 ihren 4. Alten-
        bericht zum Thema „Risiken, Lebensqualität und
        Versorgung Hochaltriger – unter besonderer Berücksich-
        tigung demenzieller Erkrankungen“ vorlegte, waren alle
        Mängel bei der Erkennung und Versorgung von De-
        menzkrankheiten zusammengefasst dokumentiert und
        alle Handlungserfordernisse konkret benannt.
        Auf den zweiten Blick wird somit offenbar, dass der
        Antrag der rot-grünen Regierungskoalition eine schal-
        lende Ohrfeige für die rot-grüne Bundesregierung, ins-
        besondere für die zuständige Ministerin, ist, denn er do-
        kumentiert bei der Feststellung der Ist-Situation, dass in
        den letzten zwei Jahren offensichtlich nichts passiert ist.
        Das beklagen wir als Opposition seit langem. Das kriti-
        sieren Ärzte, Selbsthilfegruppen, Pflegekräfte und Ex-
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        erten. Für die Betroffenen ist die durch Handlungsunfä-
        igkeit verlorene Zeit eine Katastrophe.
        Wie richtig es war, dass die CDU/CSU-Fraktion ihren
        igenen Antrag „Früherkennung, Behandlung und
        flege bei Demenz verbessern“ eingebracht hat, wird auf
        en dritten Blick – bei differenzierter Betrachtung – end-
        ültig deutlich, wenn es um die Art und Weise geht, wer
        nd wie konkret zum Handeln aufgefordert wird. Hier
        ill ich zunächst drei thematische Schwerpunkte beson-
        ers herausgreifen:
        Erstens. Die Erweiterung des verrichtungsbezogenen
        flegebegriffs um den Hilfebedarf für die allgemeine
        eaufsichtigung und Betreuung in zeitlich begrenztem
        mfang. Bundesministerin Ulla Schmidt hatte – wie von
        er durch die Regierung eingesetzten Rürup-Kommis-
        ion gefordert – in den im Oktober 2003 vorgestellten
        ckpunkten zur Reform der Pflegeversicherung für die-
        en Hilfebedarf einen pauschalen Zeitzuschlag von
        0 Minuten geplant. In der von der CDU/CSU beantrag-
        en Aktuellen Stunde am vorletzten Freitag „Zur Zukunft
        er Pflegeversicherung“ versicherten sowohl Ministerin
        lla Schmidt wie mehrere Abgeordnete der SPD und
        on Bündnis 90/Die Grünen, dass trotz Machtwort des
        anzlers noch in diesem Jahr Verbesserungen für De-
        enzerkrankte kommen werden. Meine Frage, wie die
        inanzierung bei der desolaten Kassenlage der Pflege-
        ersicherung ohne grundlegende Reform, die der Kanz-
        er ja verboten hatte, gesichert werden soll, wurde aber
        icht beantwortet. In dem heute zu beratenden Antrag
        er Regierungskoalition vom 16. Januar 2004 – also vor
        em „Kanzlermachtwort“ – heißt es: „bedarf der Pflege-
        egriff … mittelfristig einer Überarbeitung und Erweite-
        ung.“ Das Chaos dieser Aussagen bestätigt aus meiner
        icht die Unredlichkeit.
        Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte bereits im
        ärz 2001 mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbes-
        erung der Leistungen in der Pflege die Versorgung von
        emenzkranken durch zusätzliche 30 Minuten beim all-
        emeinen Hilfe- und Betreuungsaufwand verbessern
        ollen. Die rot-grüne Regierungskoalition hatte dies da-
        als mit Hinweis auf den fehlenden Finanzspielraum
        bgelehnt. Heute fordern wir in unserem Antrag wie-
        erum diese Leistungsverbesserung für Demenzkranke,
        icht „mittelfristig“ sondern unmittelbar; und genauso
        ordern wir auch die notwendige Reform der Pflegever-
        icherung ein.
        Zweitens. Die Früherkennung und Behandlung im
        rühstadium von Demenz. Demenzerkrankungen sind
        isher zwar noch nicht heilbar, aber der Verlauf der Er-
        rankung kann – wie Studien belegen – bei Erkennung
        m frühen Stadium durch eine gezielte medikamentöse
        so genannte Antidementiva – und nichtmedikamentöse
        herapie – aktivierende Hilfe – verzögert werden. Die
        achverständigenkommission zum 4. Altenbericht stellt
        ierzu fest, dass es gerade gegenüber der Grundlagenfor-
        chung erhebliche Defizite in der anwendungsbezogenen
        orschung gibt. Ebenso müssen Erkenntnisse der Grund-
        agenforschung stärker in praxisbezogene Behandlungs-
        aßnahmen umgesetzt werden. Der dringende Hand-
        ungsbedarf in diesem Bereich wird durch zwei
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8175
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        statistische Zahlen belegt: Erkannt werden nach Exper-
        tenschätzungen derzeit nur circa 50 Prozent der De-
        menzerkrankungen in einem frühen Stadium, beim Ein-
        setzen einer effizienten Medikation im Frühstadium wird
        der Krankheitsverlauf um etwa ein Jahr verzögert.
        Entsprechend der dargelegten Handlungsnotwendig-
        keit fordern wir in unserem Antrag, verstärkt For-
        schungsvorhaben zu initiieren und Früherkennungs- und
        Frühbehandlungskonzepte zu entwickeln und zu fördern.
        Im Antrag der rot-grünen Regierungskoalition findet
        sich zu der gesamten Thematik dagegen der lapidare
        Satz: „Die bereits ergriffenen Initiativen … sind zügig
        weiterzuführen.“ Eine konkrete Aufforderung direkt an
        die Bundesregierung zum Handeln findet sich dagegen
        in diesem Antrag nur an einer Stelle – und damit sind wir
        beim dritten thematischen Schwerpunkt, den ich geson-
        dert herausstellen möchte.
        Drittens. Die wohnortnahen Beratungs- und Versor-
        gungsangebote.
        Die Wichtigkeit einer vielfältigen Struktur dieser
        Hilfeangebote vor Ort sowohl für die Erkrankten als
        auch besonders für die pflegenden Angehörigen ist un-
        umstritten. Im rot-grünen Antrag wird die Bundesregie-
        rung aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass Länder und
        Kommunen ihrer Verantwortung nachkommen und die
        Angebote ausbauen. Den schwarzen Peter direkt den
        Ländern und Kommunen zuzuschieben, bringt uns ange-
        sichts ihrer bekanntermaßen kastastrophalen Finanzlage
        keinen Schritt weiter.
        Der Hinweis auf das Pflegeleistungs-Ergänzungsge-
        setz, durch das die Kommunen finanziell stärker unter-
        stützt werden sollen, unterstreicht die Unredlichkeit der
        Regierungskoalition an diesem Punkt. „20 Millionen
        Euro stehen ab 1. Januar 2002 für die Weiterentwicklung
        der Versorgungsstrukturen und Versorgungskonzepte zu-
        sätzlich zur Verfügung, lautete damals die Ankündigung.
        Die Wirklichkeit sieht anders aus.
        Während die Länder und Kommunen aus ihren leeren
        Kassen zusätzlich 10 Millionen Euro bereitstellen sollen,
        damit im Rahmen der paritätischen Finanzierung die
        10 Millionen Euro der Pflegekassen eingebracht werden,
        strich das zuständige Ministerium genau in diesem Be-
        reich in den Haushaltsjahren 2002 bis 2004 insgesamt
        9 Millionen Euro, wie ein Blick in den Bundeshaushalts-
        plan bei Kapitel 15 02, Titel 684 11 und 893 11 beweist.
        Das ist rot-grüne Politik: Der Bund stiehlt sich aus der
        Verantwortung und spart; die Länder und Kommunen
        sollen zahlen. Für die CDU/CSU-Fraktion ist der weitere
        Ausbau der wohnortnahen Angebotsstruktur verbunden
        mit der Forderung nach einer fairen Finanzierung unter
        Beteiligung des Bundes. So steht es in unserem Antrag.
        Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung
        auf, endlich umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um die
        Früherkennung, Forschung, Prävention und Pflege im
        Bereich der Demenzerkrankungen voranzutreiben; denn
        für die im Antrag der Fraktionen von SPD und Grünen
        vorgebrachten Lobeshymnen auf die bereits erfolgten so
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        enannten Anstrengungen und Initiativen der Regie-
        ungskoalition ist wirklich keine Zeit mehr.
        Hilde Mattheis (SPD): Niemand bezweifelt, dass
        enschen, die an Demenz erkrankt sind, besonderer Hil-
        en bedürfen. Niemand bezweifelt, dass die Betreuung
        nd Versorgung eine besondere gesellschaftliche He-
        ausforderung ist. Und niemand bezweifelt, dass wir uns
        ieser Herausforderung in Zukunft verstärkt stellen müs-
        en.
        Jeder von uns, der in seiner Familie, im Freundes-
        der Bekanntenkreis Menschen begleitet hat oder beglei-
        et, die sich immer weiter von der Person entfernen, die
        ie einmal waren, kann dies in besonderer Weise bestäti-
        en. Der gesamte Tag wird bestimmt von den Bedürfnis-
        en dieser Pflegebedürftigen, der Tag läuft nicht so ab,
        ie wir, die wir nicht an Demenz erkrankt sind, uns den
        ag einteilen.
        Der Prozess ist oft schleichend. Was für Angehörige
        nfangs aussehen mag wie eine leichte Altersvergess-
        ichkeit kann sich rasant verschlimmern. Demente unter-
        cheiden dann oft nicht zwischen Tag und Nacht, haben
        ft einen starken Bewegungsdrang, kennen die nächsten
        ngehörigen nicht mehr, wollen nach Hause, obwohl sie
        n der Wohnung sind, in der sie seit 30 oder 40 Jahren le-
        en. Beim Anziehen „vergessen“ sie, was sie mit dem
        trumpf, der in ihrer Hand ist, tun wollten. Selbstver-
        tändlichkeiten werden zu unüberbrückbaren Schwierig-
        eiten – eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ist erforder-
        ich.
        Demente können nicht mehr selbstständig am gesell-
        chaftlichen Leben teilnehmen. Auch ihre Angehörigen
        eraten durch den ständigen Betreuungsbedarf in soziale
        solation. Oft ist die extreme Belastung so groß, dass nur
        ie stationäre Betreuung übrigbleibt, und oft gibt es gar
        eine nahen Angehörigen, die die Pflege übernehmen
        önnten.
        Unser medizinischer Fortschritt macht ein immer län-
        eres Leben möglich. Lag vor hundert Jahren die Le-
        enserwartung bei nur 46 Jahren, werden wir heute sehr
        iel älter. 2050 wird die Lebenserwartung um weitere
        ieben Jahre steigen, das heißt Frauen werden im Schnitt
        7 Jahre, Männer 82 Jahre alt.
        Mit der steigende Zahl der Hochbetagten steigt auch
        ie Zahl der Demenzerkrankten. Bei den über 80-Jähri-
        en ist heute jeder fünfte betroffen, bei den über 90-Jäh-
        igen jeder dritte. Bis zum Jahr 2020 wird ihre Zahl von
        nter 1 Million auf über 1,2 Millionen Menschen an-
        achsen, die an Demenz leiden. Sie werden zu zwei
        ritteln von ihren Angehörigen versorgt. Sie leben aller-
        ings mit zunehmendem Alter häufig allein in ihrem
        aushalt. Von den 70- bis 75-Jährigen sind es 31,8 Pro-
        ent, von den 75- bis 80-Jährigen sind es bereits 46 Pro-
        ent. Und 60,1 Prozent der über 80-Jährigen wohnen al-
        ein, meist unter ungünstigen Wohnbedingungen, die
        icht flexibel genug sind, um dem Hilfe- und Pflegebe-
        arf entsprechend umgestaltet zu werden.
        Diese demografische Entwicklung beinhaltet also
        ine große gesellschaftliche Herausforderung. Wir
        8176 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
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        müssen entscheiden, wie wir mit den älteren und hoch-
        betagten Menschen in unserer Gesellschaft umgehen,
        welche Unterstützung, Beratung und Angebote wir bie-
        ten, um das Leben in der dritten Lebensphase so zu ge-
        stalten, dass ein selbstbestimmtes, menschenwürdiges
        Leben innerhalb und nicht nur am Rand der Gesellschaft
        möglich ist.
        Die Herausforderungen sind nicht nur erkannt, es sind
        bereits wichtige Schritte unternommen worden. Ich
        nenne zum Beispiel das Pflegeleistungs-Ergänzungsge-
        setz und das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege,
        die unter der Regierung von Rot-Grün auf den Weg ge-
        bracht wurden.
        Trotzdem besteht weiterer Verbesserungsbedarf.
        Diese Einsicht besteht parteiübergreifend. Denn, das
        sollte damit auch klar sein, das Thema eignet sich nicht
        für parteipolitische Spielchen. Dafür ist die Situation der
        Menschen, die von Demenz betroffen sind, zu ernst.
        Wem es bei dem Thema allein auf eine Schlagzeile an-
        kommt oder wer durch Tricksereien den Eindruck ver-
        mitteln möchte, allein nur die Problematik zu sehen,
        handelt unseriös. Vor ungefähr einem Jahr gab es bereits
        eine Debatte zu diesem Thema in diesem Hohen Haus.
        Dabei wurde von allen Parteien die Wichtigkeit des
        Themas bekundet. Es wurde vereinbart, interfraktionell
        an dem Thema weiter zu arbeiten. Wir, SPD und Bünd-
        nis 90/Die Grünen, sollten einen ersten Antragsentwurf
        vorlegen. Das haben wir gemacht. Schon im letzten Jahr
        lag der Entwurf vor. Die FDP hat sich sofort ausgeklinkt,
        die Berichterstatterin der CDU signalisierte zunächst
        ihre Bereitschaft, Änderungsvorschläge zu unterbreiten.
        Dann entschloss sich die CDU, einen eigenen Antrag
        vorzulegen. Wenn jetzt platt behauptet wird, wir hätten
        den Antrag von der CDU „abgeschrieben“, entspricht
        das weder dem tatsächlichen Ablauf, noch ist eine solche
        Behauptung der Ernsthaftigkeit der Sache angemessen.
        Ich halte fest: Der Entwurf der Regierungskoalition war
        der Opposition lange bekannt.
        Welches sind jetzt die zentralen Forderungen unseres
        Antrags, des Koalitionsantrags, und welche Forderungen
        erhebt die CDU?
        Im Großen und Ganzen schließt sich die CDU dem
        an, was meine Kollegin von Bündnis 90/Die Grünen und
        ich vorgearbeitet hatten: Wir sind uns einig: In Sachen
        Forschung, Prävention und Unterstützung der Angehöri-
        gen brauchen wir Verbesserungen. In diesen Bereichen
        muss mehr getan werden. Wir sind uns einig, dass die
        bereits ergriffenen Initiativen zur Verbesserung der
        Früherkennung und Therapie von Demenzerkrankungen
        zügig weiterzuführen sind. In die Aus-, Fort- und Wei-
        terbildung der Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und
        Therapeuten und Pflegekräfte sollten demenzbezogene
        Pflichtbausteine aufgenommen werden. Wir sind uns ei-
        nig, dass kostenträgerübergreifende finanzielle Anreiz-
        strukturen geschaffen werden, um Prävention und Reha-
        bilitation zu fördern. Die Bevölkerung muss mithilfe von
        Aufklärungskampagnen mehr Informationen über das
        Krankheitsbild erhalten. Neben der Aufklärung muss die
        Enttabuisierung der Demenzkrankheiten im Mittelpunkt
        stehen. Wir sind uns einig, dass für pflegende Angehö-
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        ige demenzkranker Menschen Informations-, Supervi-
        ions- und Ausbildungsangebote bereitstehen müssen.
        ir sind uns einig, dass Familien und pflegende Ange-
        örige eines Netzes abgestufter, bedürfnisorientierter
        nd gemeindenaher Hilfen und Versorgungsangebote
        inschließlich niedrigschwelliger Angebote bedürfen.
        Sie brauchen Tages- und Nachtpflegeeinrichtungen,
        urzzeitpflegeangebote und unterstützende ehrenamtli-
        he Hilfe. Selbsthilfeorganisationen müssen vor Ort ein-
        erichtet und bekannt gemacht werden.
        Als Alternative zum traditionellen Wohnen im Heim
        ind in der Pflegeversicherung und in den heimrechtli-
        hen Vorschriften – hier insbesondere der Heimmindest-
        auverordnung – neue Wohnformen wie zum Beispiel
        ohn- oder Hausgemeinschaften zu fördern.
        Wir wissen, Länder und Kommunen müssen mit ins
        oot, müssen ihrer Verantwortung nachkommen und die
        ngebote, die den Verbleib im häuslichen Umfeld er-
        öglichen, ausbauen. Das geht nicht ohne Geld, das
        eht nicht von heute auf morgen, aber alle politischen
        benen müssen auch wissen: Stationäre Angebote sind
        eurer und für die Menschen immer nur die zweitbeste
        öglichkeit.
        Wir fordern darüber hinaus – und sind bei den Punk-
        en, die ich schon genannt habe, auch präziser –, die von
        en einzelnen Bundesministerien geplanten Maßnahmen
        ur Verbesserung der Versorgungssituation demenziell
        rkrankter Menschen aufeinander abzustimmen und mit
        en Bundesländern eine Querschnittsarbeitsgruppe zu
        ilden. Die Förderung einer vergleichenden internationa-
        en Zusammenarbeit soll die Erstellung von Evaluations-
        nd Wirksamkeitsstudien erleichtern und verbessern.
        ls Basis für ein qualitätsgesichertes Versorgungsange-
        ot müssen bundeseinheitliche Pflegeleitlinien entwi-
        kelt werden.
        Eine weitere zentrale Forderung ist, dass der Pflege-
        egriff in der Pflegeversicherung mittelfristig überarbei-
        et und erweitert wird. Das wird im CDU-Antrag auch
        efordert. Wir sind darüber hinaus wieder viel genauer,
        enn es um weitere Schritte geht. Wir fordern, im Zuge
        ines ausführlichen, qualitätsgesicherten Assessments
        ie Pflegebedürftigkeit festzustellen und einen verbindli-
        hen Hilfe- bzw. Maßnahmenplan festzulegen. Das Be-
        utachtungsverfahren muss so weiterentwickelt werden,
        ass auch präventive, rehabilitative und aktivierende As-
        ekte stärker berücksichtigt werden. Pflegebedürftige
        rauchen einen individuell zugeschnittenen Hilfe- bzw.
        aßnahmenplan, da sie keine einheitliche Gruppe, son-
        ern Individuen mit unterschiedlichen Kompetenzen und
        efiziten sind. Daraus ergeben sich unterschiedliche An-
        orderungen an Betreuung, Pflege und Therapie. In der
        emenzdiagnostik und -behandlung sowie bei der Be-
        reuung Demenzkranker ist eine Qualitätskontrolle si-
        herzustellen. Die Ergebnisse dieser Qualitätskontrolle
        üssen der Öffentlichkeit in leicht verständlicher Spra-
        he zugänglich gemacht werden. Die bewertende Institu-
        ion sollte auch Beratungsfunktion vor Ort haben. Sofern
        estehende Institutionen dies nicht leisten können, ist
        er Aufbau neuer Strukturen erforderlich.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8177
        (A) )
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        Wir wollen auf die Situation der jeweiligen Einrich-
        tung und ihrer Bewohner bezogene Instrumente zur Per-
        sonalbemessung flexibel gestalten. Außerdem sind wir
        uns einig, dass die Gesetze zur Reform der Alten- und
        Krankenpflegeausbildung so umgesetzt werden müssen,
        dass die besonderen Belange Demenzkranker in der
        Aus- und Weiterbildung berücksichtigt werden. Kennt-
        nisse, Zusatzqualifikationen oder Spezialisierungen in
        den Bereichen Prävention, Rehabilitation und Palliativ-
        pflege sind notwendig. In Aus- und Weiterbildung sollen
        insbesondere solche Pflegekonzepte vermittelt werden,
        die die Möglichkeit der aktiven Teilhabe am täglichen
        Leben eröffnen.
        In diesen Dingen sind wir uns also größtenteils einig.
        Warum, fragt sich also der vernunftbegabte Mensch, wa-
        rum nur macht die CDU einen eigenen Antrag? Wenn
        das Thema nicht so bitterernst wäre, könnte man hier sa-
        gen, dass der CDU-Antrag zur Förderung der Demenz-
        kranken eine Betroffeneninitiative ist. Die CDU zeigt
        nämlich erstaunliche Gedächtnislücken, was ihre frühere
        Haltung zu Initiativen zur Verbesserung der Lebenssitua-
        tion von Demenzkranken betrifft. Auf alle Fälle ist die-
        ser Antrag der Opposition überflüssig und rein taktisch
        motiviert. Wie eingangs erwähnt, ist nach anfänglicher
        konstruktiver Mitarbeit die Opposition Ende letzten Jah-
        res aus dem Projekt ausgestiegen.
        Was unterscheidet nun also die beiden Anträge?
        Außer, dass im Antrag sehr unfachlich Demenz mit Alz-
        heimer gleichgesetzt wird, geht es auch um medikamen-
        töse Behandlungsmaßnahmen. Was sich hinter der gefor-
        derten optimalen medikamentösen Behandlung von
        Alzheimer im Frühstadium verbirgt, ist dasselbe, was die
        FDP forderte, als sie im letzten Jahr die Aufhebung der
        Deckelung der Behandlung von Demenzkranken ver-
        langt hat: Wertschöpfung auf Kosten der schwächsten
        Mitglieder unserer Gesellschaft! Niemand wird generell
        gegen die Verabreichung von Medikamenten sein, wenn
        sie den Patienten helfen. Das ist selbstverständlich.
        Wenn wir hier aber von Cholinesterasehemmern und
        Actylcholinesterasehemmern reden, empfehle ich, ein
        solches Präparat zu beschaffen und sich den Beipackzet-
        tel durchzulesen: Abdominale Beschwerden, Verwirrt-
        heit, verstärkter Bewegungsdrang und Gedächtnis-
        störungen. Das liest sich, als wollten FDP und CDU vor
        allem bei Alzheimerpatienten den Teufel mit dem Belze-
        bub austreiben.
        Und dabei wissen sie es eigentlich besser: In ihrer
        Antwort auf die Große Anfrage der SPD zum Thema
        „Lage der Demenzkranken in Deutschland“ hatte die
        schwarz-gelbe Bundesregierung 1996 auf die Frage nach
        medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten Cholin-
        esterasehemmer ausdrücklich abgelehnt. Begründung:
        „Von einem Teil der Patienten wird das Präparat wegen
        Übelkeit und Erbrechen nicht vertragen. Es kann abdo-
        minale Beschwerden, Appetitverlust und gelegentliche
        vorübergehende Verwirrtheitszustände auslösen. Aus
        den bisherigen Untersuchungen geht zudem hervor, dass
        es zu Leberfunktionsstörungen führen kann.“ Der thera-
        peutische Nutzen für eine kleine Gruppe von Patienten
        wird in dieser Antwort nicht bestritten – das tun wir auch
        nicht. Wir müssen aber sehr darauf Acht geben, dass De-
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        enzkranke nicht zum Spielball einer einseitigen inter-
        ssensgeleiteten Politik werden.
        Natürlich wollen und werden wir die Situation der
        emenzkranken verbessern, wir werden alle Hilfs-, und
        herapiemöglichkeiten vorurteilsfrei prüfen. Aber eine
        ufhebung der Deckelung ist ein Signal, das kreative
        otenziale untergräbt. Wir brauchen eine stärkere
        ernetzung der Hilfsangebote, eine Förderung des eh-
        enamtlichen Engagements, die Verknüpfung von nicht
        edikamentösen und medikamentösen Behandlungsfor-
        en, aber wir brauchen keine einseitige Aufhebung der
        eckelung, die nur signalisiert, dass hemmungslos zuge-
        riffen werden kann.
        Demenzkranke brauchen insbesondere soziale Be-
        reuung und Ansprache, Annahme in ihrer besonderen
        ebenssituation, die nicht durch Sturzhelme, wie auch
        m CDU-Antrag gefordert, „aufgefangen“ wird, sondern
        nsbesondere durch menschliche Zuwendung geleistet
        erden kann. Das ist die gesellschaftliche Herausforde-
        ung, vor der wir stehen.
        Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
        undesregierung weiß, dass angesichts der erwarteten
        unahme demenzieller Erkrankungen großer Hand-
        ungsbedarf besteht, um unsere Gesellschaft auf diese
        erausforderung vorzubereiten. Deshalb ist die Bundes-
        egierung bereits heute auf vielen Gebieten aktiv, um die
        ituation demenzkranker Menschen in Deutschland zu
        erbessern. So beschreibt der 2002 erschienene Vierte
        ltenbericht der Bundesregierung die Probleme, denen
        ir in Zukunft gegenüberstehen werden bzw. zum Teil
        ereits gegenüberstehen. Außerdem zeigt er Wege auf,
        ie wir als Gesellschaft mit dieser Herausforderung um-
        ehen können.
        Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse arbeitet das
        MGS an Verbesserungen hinsichtlich der Frühbehand-
        ung und Früherkennung von Demenz. In einem ak-
        uellen Forschungsprojekt des BMGS wird eine „Ge-
        ontopsychiatrische Handreichung für Hausärzte und
        llgemeinmediziner“ erarbeitet. Sie soll die Ärzte beim
        mgang mit demenzkranken Menschen unterstützen
        nd vorhandenes Wissen besser vermitteln.
        Weiterhin fördert das Bundesministerium für Bildung
        nd Forschung das „Kompetenznetz Demenzen“, in dem
        ich 13 universitäre, vor allem psychiatrische Zentren
        usammengeschlossen haben. Beteiligt sind auch Kran-
        enhäuser, niedergelassene Ärzte, insbesondere All-
        emeinmediziner, Industrieunternehmen und Patien-
        enorganisationen wie beispielsweise die Deutsche
        lzheimer Gesellschaft. Dieses Kompetenznetzwerk ar-
        eitet gegenwärtig an Leitlinien für Diagnostik und The-
        apie demenzieller Erkrankungen. Ziel ist, die Versor-
        ungsqualität bei Demenz deutlich zu verbessern.
        iesem Ziel, nämlich der Verbesserung der Versor-
        ungsqualität unter anderem bei Demenzkranken, dient
        uch die Neuregelung der Altenpflegeausbildung, die
        etztes Jahr in Kraft trat.
        Für die betroffenen demenzkranken Menschen haben
        ir hinsichtlich ihrer Leistungsansprüche in der Pflege-
        ersicherung bereits einen ersten Schritt zur Verbesse-
        ung der Lage getan. Am 1. Januar 2002 trat das
        8178 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
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        Pflegeleistungsergänzungsgesetz in Kraft. Seitdem ste-
        hen rund 550 000 Pflegebedürftigen mit erheblichem all-
        gemeinen Betreuungsbedarf zusätzlich 225 Millionen
        Euro zur Verfügung. Die Neuregelung ermöglicht erst-
        mals die finanzielle Förderung zusätzlicher Versorgungs-
        angebote und Hilfen für demenzkranke Pflegebedürftige
        aus Mitteln der Pflegeversicherung.
        Diese Beispiele zeigen, dass wir den Handlungsbe-
        darf bei demenziellen Erkrankungen erkannt haben und
        bereits heute daran arbeiten, die Situation zu verbessern.
        Das kann und darf natürlich nicht heißen, dass wir bei
        dem bisher Erreichten stehen bleiben. Im Gegenteil: Wir
        werden diese Anstrengungen noch weiter vorantreiben;
        denn wir wissen, dass Demenz eine der großen Heraus-
        forderungen der Zukunft für unser Gesundheitswesen
        sein wird.
        Deshalb haben wir hier heute diesen Antrag vorge-
        legt. Er beschreibt die Ziele, welche die Bundesregie-
        rung beim Umgang mit dem Thema Demenz verfolgt.
        Außerdem skizziert der Antrag die Maßnahmen, die wir
        Schritt für Schritt ergreifen werden, um der gesellschaft-
        lichen Herausforderung durch Demenzerkrankungen ge-
        recht zu werden.
        Ein zentrales Ziel rot-grüner Politik ist es, die Präven-
        tion und Rehabilitation von Pflegebedürftigkeit zu
        fördern. Bezogen auf die Demenzerkrankungen heißt
        das: Die Krankheit muss möglichst früh erkannt und be-
        handelt werden. Außerdem müssen die betroffenen Men-
        schen möglichst stark aktiviert werden, um das Fort-
        schreiten der Krankheit zu verhindern. Dazu gehört, dass
        sie in einem Umfeld wohnen und leben können, in dem
        sie ihre verbliebenen Potentziale voll ausschöpfen kön-
        nen. In diesem Zusammenhang existieren mittlerweile
        zahlreiche viel versprechende Projekte zu neuen Wohn-
        formen, die auch von der Bundesregierung gefördert
        werden. Jetzt kommt es darauf an, diese Angebote in der
        Breite zu entwickeln. Dabei wollen wir den ambulanten
        Bereich stärken. Niedrigschwellige Angebote und die
        Einbindung von Selbsthilfegruppen sind aus unserer
        Sicht unerlässlich, wenn die Versorgungsqualität verbes-
        sert werden soll.
        Darüber hinaus ist es uns ein großes Anliegen, Ange-
        hörige von demenzkranken Menschen zu unterstützen.
        Sie werden durch Pflege und Betreuung oft bis an die
        Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit
        gefordert. Deshalb ist es wichtig, dass entlastende Ver-
        sorgungsangebote wie zum Beispiel Tages- oder Nacht-
        pflegeeinrichtungen flächendeckend verfügbar gemacht
        werden. Außerdem brauchen wir gerade im Pflegebe-
        reich bessere Informations- und Beratungsangebote. Bei
        diesen Fragen kann die Bundesregierung jedoch allen-
        falls günstige Rahmenbedingungen setzen. Für die kon-
        krete Umsetzung sind die Länder bzw. die Kommunen
        verantwortlich.
        Wichtig ist darüber hinaus, dass der Pflegebegriff in
        der Pflegeversicherung erweitert wird. Bisher konzen-
        triert sich die Pflegeversicherung auf die Unterstützung
        bei körperlichen Verrichtungen, also auf den Ausgleich
        von körperlichen Defiziten. Menschen, die nur kontinu-
        ierliche Aufsicht oder Anleitung brauchen, werden von
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        er Pflegeversicherung nicht ausreichend erfasst. Die
        esonderen Bedürfnisse zum Beispiel demenzkranker
        enschen werden folglich nicht ausreichend berück-
        ichtigt. Das wollen wir ändern.
        Deshalb ruhen wir uns nicht auf dem bisher Erreich-
        n aus. Bei der bevorstehenden Pflegeversicherungsre-
        orm werden wir weitere Schritte unternehmen, um die
        enannten Ziele zu erreichen. Wir werden zusätzliche
        eistungen unter anderem für Menschen mit Demenz
        inführen. Das wird dazu führen, dass circa 60 000 Men-
        chen erstmals Leistungen aus der sozialen Pflegeversi-
        herung erhalten. Zahlreiche andere werden höher ein-
        estuft werden als bisher. Dabei soll es jedoch nicht
        leiben. Mittelfristig wollen wir das Einstufungsverfah-
        en so verändern, dass der gesamte Unterstützungsbedarf
        bgebildet wird. Grundlage eines solchen ganzheitlichen
        instufungsverfahrens soll ein erweiterter Pflegebegriff
        ein.
        Außerdem wollen wir den ambulanten Bereich stär-
        en, indem wir die ambulanten Leistungssätze in der
        flegeversicherung spürbar anheben. Parallel dazu wer-
        en wir überprüfen, inwieweit bestehende gesetzliche
        egelungen die Entstehung neuer, innovativer Wohnfor-
        en gerade auch für demenzkranke Menschen behin-
        ern. Sollte es hier rechtliche Hindernisse geben, dann
        erden wir diese beseitigen.
        Sie sehen also: Wir arbeiten konsequent weiter an der
        erbesserung der Situation demenzkranker Menschen in
        iesem Land. Von einem Ende der Reformen kann keine
        ede sein. Die Pflegeversicherungsreform wird auch
        ine Reform für demenzkranke Menschen sein und sie
        ird definitiv in dieser Legislaturperiode kommen. Da-
        er appelliere ich an die Opposition: Verweigern Sie sich
        icht! Die Menschen in diesem Land brauchen keinen
        arteienstreit beim Thema Pflege. Für taktische Spiele-
        eien taugt dieses Thema nicht.
        Detlef Parr (FDP): Vor über einem Jahr hat die FDP-
        undestagsfraktion einen Antrag zum Thema Demenz in
        en Bundestag eingebracht. Jetzt endlich haben auch die
        nderen Fraktionen erkannt, dass im Sinne der betroffe-
        en Erkrankten und Angehörigen dringend eine Verbes-
        erung von Früherkennung und Behandlung von De-
        enz erreicht werden muss. Besser spät als nie.
        In Deutschland leiden schätzungsweise mehr als
        ,2 Millionen Menschen unter der Alzheimer Krankheit
        nd anderen Demenzkrankheiten. Mit steigendem Alter
        immt das Erkrankungsrisiko zu. Weltweit sind 5 Pro-
        ent der Männer und 6 Prozent der Frauen über 60 davon
        irekt betroffen. Über 20 Prozent der Menschen, die äl-
        er als 80 Jahre sind, sind allein von der Alzheimer
        rankheit betroffen. Die Last für unser Pflegesystem ist
        norm. Die Behandlung eines Patienten, der nicht mehr
        n der Lage ist, die Alltagsaufgaben zu bewältigen, ist
        it großem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Die
        uswirkungen der Krankheit spüren nicht nur das Ge-
        undheitssystem, sondern vor allem auch die Familien
        nd Freunde der Betroffenen. Es ist absehbar, dass auf-
        rund der bekannten demographischen Entwicklung in
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8179
        (A) )
        (B) )
        unserem Land diese Krankheiten eine zunehmende Rolle
        in unserer Gesellschaft spielen werden.
        Dabei ist man schon heute mit einfach handhabbaren
        und für den Patienten nicht belastenden diagnostischen
        Werkzeugen in der Lage, normale Leistungseinbußen
        des Gehirns von krankhaften Störungen zu unterschei-
        den. Insbesondere ist die Früherkennung der Alzheimer
        Krankheit heute ambulant mit einer Trefferquote von
        über 90 Prozent möglich. Dabei spielen als erste Anlauf-
        stelle für Patienten häufig die Hausärzte eine wichtige
        Rolle. Sie sind am ehesten in der Lage, bei langjährigen
        Patienten auch kleinere Veränderungen wahrzunehmen,
        die dann von hierauf spezialisierten Fachärzten auf ihre
        Ursachen hin untersucht werden müssen. Diese Früher-
        kennung ermöglicht individuell zugeschnittene Maßnah-
        men, die für den Patienten einen spürbaren Behand-
        lungserfolg bewirken können. In der Frühphase und der
        mittleren Phase kann eine kombinierte Behandlung mit
        Antidementiva und aktivierenden Maßnahmen im Hin-
        blick auf die Hirnleistung, also eine Kombination von
        medikamentöser und nicht medikamentöser Behand-
        lung, das weitere Fortschreiten der Krankheit deutlich
        hinauszögern. Dass dies möglichst gut gelingt, ist nicht
        nur für die Familie wichtig, sondern könnte auch unser
        Pflegesystem entlasten.
        Aber in Deutschland ist in naher Zukunft ein flächen-
        deckender Pflegepersonalmangel zu erwarten. Die pfle-
        gerische Versorgung der Bürger und Bürgerinnen ist ge-
        fährlich infrage gestellt. Personelle Engpässe, steigende
        Arbeitsbelastung und abnehmende Eignung der Bewer-
        ber werden vorausgesagt.
        Die Früherkennung und Frühbehandlung von De-
        menzkrankheiten kann helfen, diese Probleme zu ver-
        mindern. Wenn die Betroffenen länger in ihren Familien
        oder auch allein leben können, ist das mit einem deutli-
        chen Zuwachs an Lebensqualität bei gleichzeitiger Re-
        duzierung von Pflegekosten verbunden.
        Die Demenzfrüherkennung muss optimiert werden,
        um den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes die
        Möglichkeit zu geben, selbst etwas für ihre Gesunder-
        haltung zu tun, über eine frühzeitige Behandlung mög-
        lichst lange ein eigenständiges Leben zu führen und die
        eigene Lebensqualität zu verbessern.
        Die Forderungen der FDP sind klar, präzise und im
        Sinne der Demenzkranken und derjenigen, die diese
        Krankheit in Zukunft erleiden müssen: Wir brauchen
        eine Intensivierung der Versorgungs- und Ursachenfor-
        schung auf dem Gebiet der Demenzerkrankung. Bereits
        vorhandene Behandlungsansätze müssen weiter unter-
        sucht und die Entwicklung von Methoden zur Verhinde-
        rung bzw. zum Hinauszögern von Demenzerkrankungen
        gefördert werden.
        Ein flächendeckendes und qualitätsgesichertes Früh-
        erkennungsprogramm muss aufgebaut, etabliert und fi-
        nanziert werden. Validierte Früherkennungsuntersu-
        chungen vermeiden spätere hohe Kosten. Es ist sinnvoll
        für die Kassen, rechtzeitig zu investieren. Wir brauchen
        eine Unterstützung und Förderung nicht medikamentö-
        ser Behandlungsmaßnahmen für Demenzerkrankte auch
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        m Frühstadium. Die Rehabilitation für Demenzkranke
        it dem Ziel einer Verbesserung des selbstständigen
        andelns muss weiterentwickelt werden. Größtmögliche
        elbstbestimmung ist ein Kernziel unserer Bemühungen.
        ir müssen einen Konsens über einen evidenzbasierten
        ehandlungskorridor für eine Diagnosekette zur Siche-
        ung einer qualitätsgesicherten Demenzfrüherkennung
        nd -behandlung finden.
        Eine Verbesserung der Ausbildung im gerontopsychia-
        ischen Bereich und die Entwicklung entsprechender
        ort- und Weiterbildungsangebote für Hausärzte und auf
        emenzdiagnose und -behandlung spezialisierte Fach-
        rzte ist dringend geboten. Eine enge Verzahnung und
        ooperation zwischen den einzelnen Versorgungsberei-
        hen einschließlich der Pflegeeinrichtungen, in denen
        emenzkranke behandelt werden, muss geschaffen werden.
        ie Finanzierung der ärztlichen Leistungen außerhalb
        er gedeckelten Gesamtvergütung und Herausnahme der
        ür Vorsorge und Therapie von Demenzerkrankungen
        enötigten Arzneimittel aus den Richtgrößenvereinba-
        ungen muss sichergestellt werden.
        Dass diese Forderungen berechtigt sind, hat die An-
        örung im letzten Jahr bestätigt. Der SPD-Antrag be-
        eist, dass die Regierungspartei zwar die Notwendigkeit
        rkennt, dass wir uns um die Demenzkranken kümmern
        üssen, sie aber die Frage der Finanzierung der notwen-
        igen medikamentösen und nicht medikamentösen The-
        apie nicht löst. Mehr Kontrolle, Qualitätszirkel, Assess-
        ents sind ihre Forderungen. Kurz: Wieder einmal mehr
        egulierung und Bürokratie sind ihre für mich unbefrie-
        igenden Antworten.
        Die Anhörung und die Debatten im Ausschuss wer-
        en zeigen, wie unsere jeweiligen Anträge zu werten
        ind und wie wir im Sinne der Patienten und Angehöri-
        en zu einem Abschluss kommen, der tatsächlich eine
        erbesserung der Situation der Demenzkranken bewir-
        en kann.
        nlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Konsequenzen aus
        Dresdener Bombenfund ziehen (Tagesord-
        nungspunkt 15)
        Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Ich frage mich,
        ieso man diesen Antrag überhaupt im Plenum debat-
        iert. Da werden Forderungen an die Bundesregierung
        erichtet, über die ich nur den Kopf schütteln kann: zum
        eispiel eine spezifizierte Gefährdungsanalyse zu erstel-
        en. Diese Arbeit ist das tägliche Brot jeder Polizei auf
        eder Ebene. Zu der Aufforderung an die Bundesregie-
        ung, für eine umfassende Aufklärung und Sensibilisie-
        ung zu sorgen, die Mitarbeit der Bevölkerung zu akti-
        ieren: Das gehört zum täglichen Brot von Polizei, von
        erantwortlichen in der Bundespolitik, in der Landespo-
        itik, in der Kommunalpolitik.
        Am 6. Juni 2003 wurde auf dem Dresdner Haupt-
        ahnhof eine Kofferbombe aufgefunden und entschärft.
        8180 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
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        Am 24. Juni 2003 stellt die CDU diesen Antrag und
        bringt ihn in Zusammenhang damit, dass Deutschland
        offensichtlich Zielland von Terroristen sei. Das einzige,
        was zu diesem Zeitpunkt feststand, war, dass ein terro-
        ristischer Hintergrund nicht auszuschließen ist. Im
        September wurde als Täter für diese Kofferbombe ein
        62-jähriger Finanz- und Immobilienmakler aus dem
        Vogtland verhaftet. Der Tat lag ein Erpressungsversuch
        gegen die Deutsche Bank zugrunde.
        Das alles interessiert die CDU/CSU-Fraktion aber
        nicht. Ihr geht es darum: Angst schüren, die Bevölke-
        rung verunsichern, die Bundesregierung verunglimpfen
        und absolute Sicherheit fordern. So tönt es aus ihren Rei-
        hen.
        Wir sagen: Abklären, analysieren, das Richtige tun.
        Das haben wir gemacht, das hat die Bundesregierung ge-
        macht. Das ist ihr täglich Brot.
        Der Bundesgrenzschutz hat gemäß § 27 Bundes-
        grenzschutzgesetz die rechtliche Möglichkeit, selbst-
        tätige Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte auf
        Bahnhöfen und Flughäfen einzusetzen, um Gefahren
        von Benutzern der Anlagen oder Einrichtungen der Ei-
        senbahnen des Bundes abzuwehren. Diese Möglichkeit
        nutzt der Bundesgrenzschutz zum Beispiel in enger Zu-
        sammenarbeit mit der Deutschen Bahn AG. Auf nahezu
        allen großen Bahnhöfen befinden sich erkennbar instal-
        lierte Kameras. Nach dem Auffinden des Sprengsatzes
        auf dem Hauptbahnhof Dresden wurde die Überwa-
        chung der einzelnen Bahnhöfe nochmals intensiviert.
        Auch in Zukunft wird der Bundesgrenzschutz selbst-
        tätige Bildaufnahmegeräte einsetzen und die Aufnah-
        men, soweit zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung
        notwendig und erforderlich, auch aufzeichnen.
        Der Bundesgrenzschutz leistet hier gute und professi-
        onelle Arbeit. Ihre Forderung an die Bundesregierung ist
        eine verklausulierte Kritik am Bundesgrenzschutz, die
        jeder Grundlage entbehrt und die ich zurückweise. Die
        Forderung der Union an die Bundesregierung, Gefähr-
        dungsanalysen zu erstellen, bei risikosensiblen Orten,
        wie Bahnhöfen, Flughäfen und Seehäfen, Videoauf-
        zeichnungen zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung
        rund um die Uhr zu betreiben und für einen Datenaus-
        tausch zu sorgen, geht ins Leere.
        Ihr Antrag ist lediglich geeignet gewesen, um Presse-
        erklärungen absetzen zu können, aber völlig ungeeignet
        für Aktivitäten des Deutschen Bundestages und der Bun-
        desregierung. Ziehen Sie Ihren Antrag zurück!
        Günter Baumann (CDU/CSU): Am Freitag vor
        Pfingsten vergangenen Jahres sind Hunderte von Men-
        schen im Dresdener Hauptbahnhof knapp einer Katastro-
        phe entgangen. Auf einem Bahnsteig war ein herrenloser
        Koffer aufgefallen. Wie sich später herausstellte, enthielt
        er eine Kofferbombe mit TNT-Sprengstoff. Wäre er ge-
        zündet worden, hätte es ein furchtbares Blutbad gege-
        ben. Nur die Wachsamkeit eines Bahnangestellten und
        der professionelle Einsatz des Bundesgrenzschutzes hat
        uns davor bewahrt.
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        Der Bombenfund von Dresden hat uns allen deutlich
        emacht: Deutschland ist nicht länger nur Zuschauer ter-
        oristischer Greueltaten in aller Welt. Deutschland ist
        elbst ein Ziel terroristischer Aktivitäten. Wir sind hier
        icht eine Insel der Seligen, nicht abseits vom Weltge-
        chehen, sondern mittendrin. Dieser Einsicht in die
        euen Risiken müssen aber auch sicherheitspolitische
        onsequenzen folgen.
        Die CDU/CSU-Fraktion hat bereits im Juni 2003, un-
        ittelbar nach dem Dresdener Bombenfund, reagiert
        nd den heute zu beratenden Antrag eingebracht. Unsere
        entrale Forderung lautet, dass an allen risikosensiblen
        nd gefährdeten Orten mit erhöhtem Publikumsverkehr
        ie Flughäfen, Bahnhöfen und Seehäfen unverzüglich
        ideoanlagen mit Tag- und Nachtbetrieb eingerichtet
        erden. Die Aufzeichnungen sollen der Aufklärung und
        erhinderung von Straftaten dienen. Sie sind unverzüg-
        ich zu löschen, sobald sie nicht mehr benötigt werden.
        abei ist der Austausch der Daten mit Bundesgrenz-
        chutz und Landespolizeien zu gewährleisten. Außer-
        em fordern wir die Bundesregierung auf, über eine um-
        assende Aufklärung und Sensibilisierung die Mitarbeit
        er Bevölkerung zu aktivieren und eine Gefährdungs-
        nalyse vorzulegen.
        Im Zentrum unserer Forderungen steht die flächende-
        kende und permanente Videoüberwachung an an-
        chlagsrelevanten Orten. Sie hat zwei Vorteile. Erstens
        önnte der BGS bei Verdacht die Bänder anfordern und
        nnerhalb kürzester Zeit den Täter ermitteln. Wie Sie
        ich erinnern, nahm die Ermittlung des Täters von Dres-
        en damals über zwei Wochen in Anspruch. Zweitens
        ätte die Installierung von Videokameras aber auch eine
        bschreckende Wirkung – nicht nur für terroristische
        ktivitäten, sondern auch für kriminelle Aktivitäten jed-
        eder Art. Die sächsische Polizei hat mit der Überwa-
        hung des Bahnhofsvorplatzes in Leipzig dort inzwi-
        chen auch die Klein- und Drogenkriminalität völlig
        ebannt.
        Zweifellos ist dabei das Bundesdatenschutzgesetz zu
        eachten. Es sind allerdings in der Zwischenzeit all die-
        enigen Lügen gestraft worden, die von Anfang an be-
        aupteten, unser Antrag sei mit dem Datenschutz nicht
        n Übereinstimmung zu bringen. Das Gegenteil ist der
        all: Der Dresdener Bahnhof wird bereits seit kurzem vi-
        eoüberwacht. Am vergangenen Freitag hat der Bundes-
        nnenminister Schily gemeinsam mit dem sächsischen
        nnenminister Rasch die Anlage inspiziert. Beide bekräf-
        igten, dass eine permanente Bildaufzeichnung mit
        berschreibung der Bilder in einem Zeitraum von
        8 Stunden rechtlich zulässig und sicherheitspolitisch
        ringend geboten ist. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt
        s, daß gerade in Dresden eben jene Sicherheitsstandards
        uf den Weg gebracht worden sind, die wir seit langem
        ordern. Und dennoch fragen wir uns – und mit uns die
        ürger in unserem Land –, warum es ein Dreivierteljahr
        auert, bis die Politik endlich Maßnahmen ergreift.
        Möglicherweise liegt das auch an den rechtlich kom-
        lizierten Befugnissen von Landespolizei, Bundespoli-
        ei und Bahn AG. Die Landespolizeien haben nur die
        berwachungskompetenz für die Bahnhofsvorplätze.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8181
        (A) )
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        Der BGS dagegen hat Kontrollbefugnisse in den Bahn-
        hofsgebäuden. Punktuell, etwa bei Bahnreisen gewaltbe-
        reiter Fußballfans, übt der BGS diese Befugnis schon
        seit langem auch mit Videokameras aus. Der Bund kann
        aber nicht die Installierung permanenter Videoüberwa-
        chungsanlagen im Bahnhofsgebäude verordnen. Denn
        im Gebäude gilt das Hausrecht der Deutschen Bahn AG.
        Wir müssen daher heute fragen, wie kooperativ sich
        die Deutsche Bahn AG in den vergangenen Monaten
        verhalten hat. Die Antwort lautet, daß die Bahn AG
        lange Zeit als Bremser aufgetreten ist und kategorisch
        die Videoüberwachung aus Datenschutzgründen abge-
        lehnt hat. Erst in jüngerer Zeit gibt sie zu, dass die si-
        cherheitspolitische Notwendigkeit der Videoüberwa-
        chung auch mit den Erfordernissen des Datenschutzes
        vereinbart werden kann.
        Es liegt mir aber fern, der Deutschen Bahn, die das
        Hausrecht in den Bahnhöfen ausübt, allein den schwar-
        zen Peter zuzuschieben. Schließlich ist der Bund Mehr-
        heitsaktionär der Deutschen Bahn. Mir scheint, dass er
        seinen Einfluss alles andere als optimal ausgenutzt hat.
        Sicherheitspolitisch haben wir wieder viel Zeit verloren.
        Es ist zudem äußerst unbefriedigend, wenn Innenmi-
        nister Schily neun Monate nach dem Dresdener Bom-
        benfund in einer Pressemitteilung verkündet „Videoauf-
        zeichnung verbessert Sicherheit auf Bahnhöfen“, er aber
        keinerlei Auskunft darüber gibt, ob an den großen Bahn-
        höfen in Deutschland von dieser Möglichkeit bereits flä-
        chendeckend Gebrauch gemacht wird. Dies ist ganz of-
        fensichtlich nicht der Fall. Bei Dresden dürfte es sich
        vielmehr um ein Pilotprojekt handeln.
        Aus diesem Grund fordert die CDU/CSU einen Be-
        richt über die Gefährdungslage und eine systematische
        Auflistung aller bereits eingeleiteten und noch einzulei-
        tenden Maßnahmen. In diesem Zusammenhang muß der
        Bundesinnenminister das Parlament auch über die
        Gründe der Verzögerung aufklären. Rechtlicher Art
        dürften diese Gründe nicht sein: Der Deutschen Bahn ist
        die die permanente Videoüberwachung ebenso erlaubt
        wie jeder Tankstelle.
        Die CDU/CSU-Fraktion fordert daher den Bundesin-
        nenminister auf, in Kooperation mit der Bahn das recht-
        lich Mögliche umzusetzen. Sollte sich dabei herausstel-
        len, daß die Verhandlungen am Unwillen der Deutschen
        Bahn scheitern, bliebe dem Bund nur eine Alternative:
        Dann müsste das Bundesgrenzschutzgesetz den Risiken
        unserer Zeit angepasst und der Bund zu den erforderli-
        chen Maßnahmen ermächtigt werden. Sollte der Innen-
        minister an einem besseren Bevölkerungsschutz wirklich
        interessiert sein, wird sich die Union ihrer staatspoliti-
        scher Verantwortung nicht verschließen und ihm volle
        Rückendeckung geben. Die Union ist die Partei des
        Rechtsstaates und der inneren Sicherheit. Dazu gehört
        für uns das Grundrecht der Bürger auf Sicherheit und
        Schutz vor Kriminalität und Terrorismus in allen Er-
        scheinungsformen.
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        Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE
        RÜNEN): Der Bombenfund auf dem Dresdener Bahn-
        of hat uns vor Augen geführt: Wir sind auch in
        eutschland vor Anschlägen nicht sicher. Deutlich ge-
        orden ist allerdings auch, Videokameras verhindern
        olche Anschläge nicht. Es waren die wachsamen
        enschlichen Augen, die den verdächtigen Koffer ent-
        eckten.
        Die CDU kommt heute mit einem Antrag, der Dinge
        ordert, die längst gemacht werden oder die sich zwar
        chön anhören, aber nicht mehr Sicherheit bringen. Ih-
        en ist offensichtlich jedes Ereignis recht, schärfere
        aßnahmen zu fordern. Mit Ihren Anträgen produzieren
        ie hier am laufenden Band Scheinsicherheit. In Wirk-
        ichkeit geht es Ihnen um nichts anderes als um die ei-
        ene Profilierung.
        Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, was bereits Stan-
        ard ist: Es gibt bereits eine ständige Bewertung der ak-
        uellen Gefährdungssituation mit allen beteiligten Si-
        herheitsbehörden. Die technischen Voraussetzungen,
        m die Bilddaten aller Kameras an den gesetzlich er-
        aubten Orten aufzuzeichnen, sind bereits geschaffen
        orden. Diese Bilddaten werden bereits anlassbezogen
        en Länderpolizeien zur Strafverfolgung zur Verfügung
        estellt.
        Wenn Sie sich einmal die Mühe machten, sich zu in-
        ormieren, dann könnten Sie vielleicht einsehen, dass
        ir solche Anträge der Union nicht brauchen. Sie steh-
        en uns die Zeit und sie halten uns von sinnvoller Arbeit
        b.
        Ich komme jetzt noch einmal zu Ihrem Lieb-
        ingsthema, die Videoüberwachung. In Bund und Län-
        ern boomt derzeit die Ausdehnung der Videoüberwa-
        hung. An allen möglichen und unmöglichen Orten im
        ffentlichen Raum werden Kameras installiert – meist
        hne Sinn und Verstand, meist ohne Konzept.
        Auf der ersten internationalen Konferenz des Center
        or Criminological Research in Sheffield im Januar die-
        es Jahres wurden die Forschungsergebnisse zur Video-
        berwachung in England vorgestellt. Sie sind ernüch-
        ernd und ich wünsche mir auch hier in Deutschland
        ehr wissenschaftliche Untersuchungen zur Videoüber-
        achung.
        Die Forschung kommt zu dem Ergebnis: Eine Kamera
        acht nur Sinn, wenn hinter ihr auch ein sachkundiger
        eamter sitzt, der angemessen und situationsgerecht rea-
        ieren kann. Kameras machen nur an ganz bestimmten,
        orsichtig ausgewählten Orten Sinn, wenn sie in ein um-
        assendes Sicherheitskonzept integriert sind. „Technolo-
        ie als Lösung“ heißt in vielen Fällen: Viel Geld wird
        nsinnig ausgegeben, der Zweck wird nicht erfüllt.
        Über das Thema Sicherheit in Seehäfen werden wir
        ntensiv zu reden haben. Es ist viel komplexer als in Ih-
        em Antrag angesprochen. Hier ist es nicht mit ein paar
        piegelstrichen getan. Ich kann Ihnen versichern, die
        undesregierung arbeitet auch intensiv an diesem
        hema. Wir brauchen auch hier keine Nachhilfe von der
        pposition.
        8182 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
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        Dr. Max Stadler (FDP): Der heute zu beratende An-
        trag der CDU/CSU befasst sich mit dem Bombenfund im
        Dresdener Hauptbahnhof an Pfingsten 2002. Es wird ge-
        fordert, die Sicherheit auf Bahnhöfen zu verbessern und
        insgesamt die Videoüberwachung gefährdeter öffentli-
        cher Plätze auszuweiten. Glücklicherweise wurde der
        Koffer mit Sprengstoff in Dresden noch rechtzeitig ge-
        funden, bevor eine Katastrophe eingetreten ist. Es stellt
        sich allerdings die Frage, ob mit einer besseren Video-
        überwachung dieser Vorfall tatsächlich hätte verhindert
        werden können. Dies müsste erst einmal näher unter-
        sucht werden.
        Unabhängig davon hat die FDP-Bundestagsfraktion
        zur Videoüberwachung öffentlicher Plätze stets nicht
        etwa eine grundsätzlich ablehnende Position vertreten,
        sondern schon immer eine differenzierte Meinung ge-
        habt. Bahnhöfe wie der Dresdener Hauptbahnhof gehö-
        ren ohne Zweifel zu den besonders gefährdeten Objek-
        ten. Dies gilt sowohl in Bezug auf Anschläge als auch
        hinsichtlich sonstiger Kriminalität wie zum Beispiel Ta-
        schendiebstähle. Deshalb ist die Videoüberwachung sol-
        cher Bahnhöfe längst Alltagspraxis. Das Bundesdaten-
        schutzgesetz regelt in ausreichender Weise Zulässigkeit
        und Modalitäten. Eine Gesetzesänderung ist nicht erfor-
        derlich. Ebenso ist beispielsweise die Überwachung von
        U-Bahnhöfen längst eine Routinemaßnahme und trägt
        zur Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls der
        Bürgerinnen und Bürger und der objektiven Sicherheit
        bei.
        Umgekehrt muss aber wesentlich sensibler, als dies
        im Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Aus-
        druck kommt, auch über die Grenzen von Videoüberwa-
        chungen in einem Rechtsstaat nachgedacht werden. Die
        FDP hat daher stets eine flächendeckende Videoüberwa-
        chung abgelehnt. Ein übertriebener Einsatz dieser Tech-
        nik ist für uns in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht
        vorstellbar.
        Zudem stellen sich auch praktische Probleme. In einer
        Anhörung des Innenausschusses aus der letzten Legisla-
        turperiode hat sich eindeutig gezeigt, dass als Ergebnis
        von Videoüberwachungen häufig nur die Verlagerung
        von Kriminalität auf andere Tatorte stattfindet. Gerade
        ein Modellversuch in Bayern, dessen CSU-geführte
        Staatsregierung sehr auf die Ausdehnung der Videoüber-
        wachung setzt, hat in Regensburg keine besonders guten
        praktischen Erfahrungen gebracht.
        Deshalb ist es der richtige Weg, diejenigen öffentli-
        chen Plätze, bei denen wegen einer besonderen Gefähr-
        dungslage oder wegen einer besonderen Häufung von
        Straftaten eine Videoüberwachung in Betracht kommt,
        sehr sorgfältig auszuwählen. Selbstverständlich sind hin-
        sichtlich der Datenspeicherung und Datenverwertung die
        hohen Schutzstandards des deutschen Datenschutzrech-
        tes zu beachten.
        Insgesamt gilt aber: Die Videoüberwachung ist in
        manchen Fällen eine nützliche ergänzende polizeiliche
        Maßnahme. Noch besser als der Einsatz von Technik ist
        aber die persönliche Präsenz von Polizeibeamten an Ge-
        fährdungs- und Kriminalitätsschwerpunkten.
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        Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun-
        esminister des Innern: Die Sicherheit der Bevölkerung,
        nsbesondere an exponierten Orten wie Bahnhöfen, ist
        ür die Bundesregierung von hoher Bedeutung. Im Rah-
        en der bundespolizeilichen Zuständigkeit haben wir
        icht erst seit dem Fund der Bombe auf dem Hauptbahn-
        of Dresden vielfältige Anstrengungen unternommen,
        m mögliche Gefahren abzuwehren oder zu verhindern.
        Noch vor dem Fund der Bombe auf dem Hauptbahn-
        of Dresden hat der Bundesgrenzschutz gemeinsam mit
        er Konzernsicherheit der DB AG ein Verfahren entwi-
        kelt, das zusätzlich auch die Angestellten der DB AG
        ür dieses Thema sensibilisiert und ein gemeinsames und
        lar strukturiertes Verfahren zur Behandlung derartiger
        ituationen vorgibt.
        Der Videoüberwachung kommt im Rahmen der bahn-
        olizeilichen Arbeit des BGS eine besondere Bedeutung
        u. Sie ist ein wichtiges Unterstützungsinstrument prä-
        entiver und ermittlungstaktischer Arbeit. Beamtinnen
        nd Beamte des BGS sind bereits seit 1998 im Rahmen
        es Sicherheitskonzepts „Sauberkeit – Sicherheit –
        ervice“ der DB AG in den so genannten 3-S-Zentralen
        n Großbahnhöfen zur Videoüberwachung eingesetzt.
        Nach dem Fund der Bombe auf dem Hauptbahnhof
        resden im Juni 2003 hat der BGS verschiedene Maß-
        ahmen in enger Abstimmung mit den Polizeien der
        änder sowie der DB AG intensiviert. Dazu gehören
        erbesserte Verfahrensabsprachen mit den Landespoli-
        eien, vor allem aber der Einsatz moderner Technik.
        ierdurch können mögliche Gefahren, zum Beispiel bei
        prengstoffverdächtigen Gegenständen, eher erkannt und
        mgehend abgewehrt werden. Dazu gehört auch eine
        tändige Bewertung der aktuellen Gefährdungssituation
        urch alle beteiligten Sicherheitsbehörden.
        Die Kamerabilder, die in den 3-S-Zentralen auflaufen,
        erden rund um die Uhr für den BGS aufgezeichnet.
        elbstverständlich werden diese Bilder, sofern sie nicht
        ür polizeiliche Ermittlungen benötigt werden, wieder
        elöscht. Die Aufzeichnungen helfen dem BGS, ver-
        eintliche oder tatsächliche Gefahrensituationen, aber
        uch Straftaten schnellstmöglich aufzuklären. Mittler-
        eile kann der BGS nicht nur auf nahezu allen großen
        ahnhöfen, sondern auch auf zahlreichen kleineren
        ahnhöfen und Haltepunkten auf solche Aufzeichnun-
        en zurückgreifen. Auch dies ist ein weiteres Beispiel
        ür die gute und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwi-
        chen der DB AG und dem BGS.
        Der Landespolizei wird darüber hinaus anlassbezogen
        ntsprechendes Datenmaterial, insbesondere zur Straf-
        erfolgung, zur Verfügung gestellt.
        Herr Minister Schily hat sich am 6. Februar 2004 ge-
        einsam mit seinem Amtskollegen aus Sachsen und
        ertretern der DB AG vor Ort in Dresden ein Bild von
        er Leistungsfähigkeit der Videoüberwachung auf Bahn-
        öfen machen können. Sie können sicher sein, dass der
        GS mit diesem technischen Hilfsmittel einen sehr ho-
        en Sicherheitsstandard setzt.
        Die in dem Antrag der CDU/CSU aufgestellten For-
        erungen gehen ins Leere. Auf den Verkehrsflughäfen
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8183
        (A) )
        (B) )
        findet Videoüberwachung in den Bereichen, für die das
        Bundesministerium des Innern im Rahmen der Luftsi-
        cherheit Verantwortung trägt, schon lange statt. Auch die
        Forderungen zur Erstellung von Gefährdungsanalysen,
        der Gewährleistung eines Datenaustausches und einer
        regelmäßigen Information der Bevölkerung über aktu-
        elle Erkenntnisse sind überholt. Für die Forderung nach
        Videoüberwachung in den Seehäfen ist die Bundesregie-
        rung hingegen der falsche Adressat.
        Sie können versichert sein, dass sowohl der Bundes-
        innenminister selbst als auch die Sicherheitsbehörden
        des Bundes alle Anstrengungen unternehmen, um unse-
        rer Bevölkerung den größtmöglichen Schutz zu gewäh-
        ren.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Deutsch-Polnische
        Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG erhalten
        (Tagesordnungspunkt 16)
        Jürgen Türk (FDP): Aus Sicht der Wirtschaft, bei-
        spielsweise eines bedeutenden Arbeitgebers in Branden-
        burg, der Raffinerie in Schwedt, ist es ein völlig falsches
        Signal zum falschen Zeitpunkt, die Deutsch-polnische
        Wirtschaftsförderungsgesellschaft AG, kurz TWG, Ende
        dieses Jahres zu liquidieren. Der Geschäftsführer der
        Raffinerie hat dies dem brandenburgischen Wirtschafts-
        minister auch schwarz auf weiß mitgeteilt. Ergebnis:
        Keine Reaktion.
        Die TWG, die von den Ländern Brandenburg, Berlin,
        Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sowie der Bun-
        desregierung und Polen finanziert wird, hat seit ihrer
        Gründung 1994 rund 9 400 mittelständische Unterneh-
        men in ihren grenzüberschreitenden Vorhaben unter-
        stützt. Sie hat zahlreiche Ex- und Importgeschäfte,
        gewerbliche Kooperationen sowie Joint Ventures vermit-
        telt, ferner hunderte Kooperationsreisen, Unternehmer-
        reisen und Informationsveranstaltungen durchgeführt.
        Sie betreibt zudem ein viel genutztes Internetportal für
        deutsche Unternehmer über den Wirtschaftsstandort Po-
        len.
        Jetzt meinen einige Kritiker, die vor allem in den no-
        torisch klammen und wirtschaftlich nicht eben erfolg-
        reich agierenden Ländern Brandenburg und Berlin
        sitzen, dass dies alles nicht mehr nötig sei, weil Polen
        bald Teil der EU sei, weil in letzter Zeit nicht mehr ganz
        so viele Joint Ventures zustande gekommen seien wie in
        den Anfangsjahren der TWG und weil sich neue Institu-
        tionen der deutsch-polnischen Wirtschaftsförderung in
        Brandenburg und Berlin etabliert haben.
        Dass im Vorfeld der Osterweiterung die Zahl der Rat
        und Hilfe suchenden Firmen bei der TWG beständig ge-
        stiegen ist – statt durchschnittlich 100 Unternehmen pro
        Monat melden sich derzeit rund 140 Unternehmen –,
        ignorieren sie. Ebenso können oder wollen sie nicht zur
        Kenntnis nehmen, dass die Ursache für die geringere
        Zahl an zustande gekommenen Joint Ventures in der re-
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        essiven wirtschaftlichen Entwicklung in Polen und
        eutschland liegt.
        Was die ins Feld geführten neuen Institutionen an-
        eht, so sind sie noch nicht einmal ansatzweise so erfah-
        en und schlagkräftig wie die TWG und greifen häufig
        ogar auf deren Unterstützung zurück.
        Weder honoriert noch anerkannt wird zudem das An-
        ebot der TWG, künftig einen erheblichen Teil ihrer Mit-
        el selbst zu erwirtschaften und dadurch ab 2005 mit der
        älfte der bisherigen Fördermittel auskommen zu wol-
        en.
        Während Brandenburg und Berlin einerseits für frag-
        ürdige Investitionen viele Millionen Euro in den Sand
        etzen, stellen sie sich andererseits bei vergleichsweise
        escheidenen 70 000 Euro pro Jahr, die nachweislich für
        ie einen Mehrwert bringen, quer. Das ist nicht nachvoll-
        iehbar.
        Ich halte es für sehr bedauerlich, dass sich die Länder
        ecklenburg-Vorpommern und Sachsen sowie die Bun-
        esregierung aufgrund der Verweigerungshaltung von
        randenburg und Berlin ebenfalls aus der Finanzierung
        urückziehen wollen, womit das Ende der Gesellschaft
        esiegelt sein dürfte – wenn nicht noch ein Wunder ge-
        chieht, auf das, wie mir bekannt ist, auch Kollegen bei
        er SPD hoffen.
        Das Wunder könnte zum Beispiel darin bestehen,
        ass Brandenburg und Berlin doch noch einlenken, oder
        arin, dass sich die Bundesregierung nicht hinter den
        ahlungsunwilligen Ländern versteckt und die
        07 000 Euro, die sie für die TWG ohnehin bereits für
        ie Haushalte 2005 und 2006 eingeplant hat, locker-
        acht. Auf diese Weise würde sie auch verhindern, dass
        ie polnische Regierung, die die einzige binational be-
        riebene und unterhaltene Wirtschaftsförderungsgesell-
        chaft gern fortgeführt sähe, vor den Kopf gestoßen
        ird. Und das dürfte im Zeichen der Erweiterung nun
        ahrlich kein gutes Signal sein.
        Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie darum, unse-
        em Antrag zuzustimmen.
        Christian Müller (Zittau) (SPD): Jenseits der Be-
        andlung des vorliegenden Antrags steht außer Zweifel,
        ass die TWG in den zurückliegenden zehn Jahren, also
        eit ihrer Gründung, sehr erfolgreich war. Dies wird im
        ingangsteil des Antrags zu Recht gewürdigt. Darüber
        inausreichende positive Referenzen seitens der regiona-
        en Kammern und einzelner Unternehmer sind bekannt
        nd sollen hiermit erwähnt werden. Derzeit nehmen mit
        8 Prozent des gesamten Aufkommens die Anfragen aus
        nderen, also den Nicht-Aktionärsländern der Gesell-
        chaft zu, während die aus den ostdeutschen Ländern
        icht abnehmen. Darin spiegelt sich das zunehmende In-
        eresse am polnischen Markt und an der bevorstehenden
        rweiterung der EU wider. Dabei erstrecken sich die Be-
        atungsleistungen der TWG nicht nur auf das wirtschaft-
        iche Umfeld, sondern auch auf zu beachtende kulturelle
        nterschiede, die für ein erfolgreiches geschäftliches
        gieren nicht unwesentlich sind. Also gäbe es, gerade
        uch wegen der EU-Erweiterung, genügend gute
        8184 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
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        Gründe, dieses mittelstandsfreundliche und vergleichs-
        weise billige Instrument einer gezielten Beratung für ei-
        nen interessanten Markt beizubehalten.
        Dies setzt allerdings voraus, dass die Anteilseigner
        dazu auch bereit sind. Auf polnischer Seite scheint dies
        grundsätzlich der Fall zu sein. Der polnische Staat hält
        50 Prozent der Anteile an der Gesellschaft und hat wohl
        angeboten, seinen Anteil an der Finanzierung auch über
        das Jahr 2004 hinaus beizubringen. Demgegenüber stellt
        sich die Situation auf der deutschen Seite, schon wegen
        der Zusammensetzung der Anteilseigner und der Finan-
        zierungsstruktur, anders dar. Anteilseigner sind die Bun-
        desländer Brandenburg mit 24,69 Prozent, Berlin mit
        24,69 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern mit 0,31 Pro-
        zent und Sachsen mit 0,31 Prozent. Der Bund hatte, ob-
        wohl er nicht an der Gesellschaft beteiligt ist, bei deren
        Gründung im Sinne einer Vorbeitrittshilfe bis 2004 eine
        degressive und befristete Mitfinanzierung zur Verfügung
        gestellt – 32 Prozent, 2003 und 2004 je 307 000 Euro –
        und war prinzipiell offen für eine Fortsetzung.
        Leider sind die Anteilseigner, offenbar aufgrund ver-
        änderter eigener Prioritäten, zu der Auffassung gelangt,
        Ende 2004 ihrerseits die Finanzierung der Gesellschaft
        einzustellen. Bereits am 9. Januar haben sie im Auf-
        sichtsrat der TWG einen Kompromissvorschlag zur Re-
        duzierung der Länderanteile auf jeweils 70 000 Euro bei
        Verlängerung des Zuwendungszeitraumes um zwei Jahre
        abgelehnt und dies am 5. Februar nochmals bekräftigt.
        Nach den Vorstellungen der Anteilseigner soll die TWG
        künftig bei Ausschreibungen für Projekte berücksichtigt
        werden. Damit solle insgesamt eine Umstellung der
        TWG auf Projektfinanzierung erfolgen.
        Der vorliegende FDP-Antrag fordert demgegenüber,
        der Bund möge ab 2005 den gesamten deutschen Anteil
        an der Finanzierung der Gesellschaft in Höhe von
        950 000 Euro übernehmen und die Finanzierung der
        TWG bis 2010 bei Erhöhung der eigenen Einnahmen auf
        20 Prozent des Gesamtfinanzierungsbedarfs sichern.
        Dies ist angesichts der klaren, allerdings bedauerli-
        chen Position der deutschen Anteilseigner nicht mög-
        lich. Der Bund hatte immer zu Recht darauf hingewie-
        sen, dass er bei einem Ausstieg der Länder aus der
        Finanzierung der TWG nicht an deren Stelle treten
        würde.
        Angesichts der mittelständischen Interessen hinsicht-
        lich des polnischen Marktes ist die entstandene Situation
        tatsächlich zu bedauern, aber eindeutig auf die nicht vor-
        handene Bereitschaft zur Finanzierung – 70 000 Euro –
        sollten auch bei einem engen Landeshaushalt für den ei-
        genen Mittelstand ausgegeben werden können – der vier
        deutschen Gesellschafter der TWG zurückzuführen. In-
        sofern kann der Antrag der FDP-Fraktion nur abgelehnt
        werden.
        Gewarnt seien diejenigen in der Opposition, die ange-
        sichts dieses Sachverhalts in die Versuchung geraten
        könnten, ein „Versagen der Bundesregierung“ zu kon-
        struieren und eine Belastung des deutsch-polnischen
        Verhältnisses herbeizureden. Dies wäre unverantwort-
        lich. Der Wirtschaftsminister hat den Sachverhalt in ei-
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        em Antwortschreiben an seinen zuständigen Kollegen
        n Warschau erläutert. Damit ist die nötige Klarheit vor-
        anden.
        Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Heute sind es noch
        8 Tage bis zur Osterweiterung der Europäischen Union
        zw. Einigung Europas. Für Deutschland und für Europa
        st dies ein historischer Schritt, der zur Sicherung von
        rieden und Freiheit beiträgt. Die EU-Erweiterung hat
        uswirkungen auf alle Bereiche unserer Gesellschaft.
        nsbesondere der Wirtschaft bietet dieser Prozess zahl-
        eiche Chancen. Neue Märkte können erschlossen wer-
        en, Kooperations- und Handelspartner sind zu gewin-
        en und Joint Ventures sollen verstärkt abgeschlossen
        erden. Die EU-Erweiterung birgt aber auch Risiken.
        erade kleine und mittelständische Unternehmen, vor
        llem in den Grenzregionen zu den Beitrittsländern, ste-
        en vor großen Herausforderungen. Das anhaltende
        ohn- und Wohlstandsgefälle zu den neuen Mitglied-
        taaten schafft einen erheblichen Konkurrenzdruck. Das
        ördergefalle von Ost nach West wird die schwierige
        irtschaftliche Situation verschärfen.
        In den brisanten Bereichen der Arbeitnehmerfreizü-
        igkeit und der Dienstleistungsfreiheit wurden mit den
        eitrittsstaaten Übergangsfristen vereinbart. Sie können
        is zu sieben Jahren gelten. Ob diese voll ausgeschöpft
        erden, ist heute noch nicht abzusehen. Solche Regelun-
        en dürfen jedoch nicht zur Folge haben, dass ein Zu-
        ammenführen der Arbeitsmärkte behindert oder sogar
        lockiert wird. Die jetzt vereinbarten Übergangsfristen
        üssen genutzt werden, das Verbinden der Arbeits-
        ärkte zu gestalten. Wir alle kennen den Druck aus
        schechien und Polen, aber auch aus der Wirtschaft, die
        olche Regelungen nicht wünscht.
        Das Lohn- und Wohlstandsgefälle wird auch nach
        blauf der Fristen nicht vollständig überwunden sein.
        ie Unternehmen müssen sich auf die EU-Erweiterung
        orbereiten, soweit dies bis jetzt nicht geschehen ist. Die
        ittelständischen Unternehmen, vorwiegend aus dem
        ereich des Handwerks in den Grenzregionen, sind be-
        onders gefordert. Die Markterschließung in Richtung
        sten stellt viele Betriebe vor enorme Herausforderun-
        en. Neue Vertriebswege, andere gesetzliche Bestim-
        ungen und vor allem die Sprachbarriere sind gerade für
        leine und mittelständische Unternehmen erhebliche
        indernisse. Einrichtungen wie die Deutsch-Polnische
        irtschaftsförderungsgesellschaft geben den Betrieben
        n diesem Prozess entscheidende Hilfestellungen.
        Diese Gesellschaft kann in den letzten Jahren auf eine
        eachtliche Erfolgsbilanz verweisen. 9 300 Unterneh-
        en, Institutionen und Kommunen haben bei der Gesell-
        chaft Rat und Unterstützung gefunden. Sie hat 180 Joint
        entures befördert und war an 170 Kooperationsverein-
        arungen beteiligt. Mehr als 1 000 Arbeitsplätze konnten
        adurch geschaffen bzw. gesichert werden.
        Das Leistungsangebot der Gesellschaft ist auf die Be-
        ürfnisse der Unternehmen zugeschnitten, um ihnen den
        arkteinstieg im Nachbarland zu erleichtern: Zweispra-
        hige, branchenspezialisierte Mitarbeiter sind direkt vor
        rt. Die Mitarbeiter sind mit den polnischen Standorten,
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8185
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        Marktbedingungen und den polnischen Gesetzen bestens
        vertraut. Die Gesellschaft verfügt über bewährte Kon-
        takte zu den polnischen Behörden und Einrichtungen.
        Nicht zuletzt kennt die Gesellschaft auch die Marketing-
        konzepte, die in Polen am besten greifen. Sie hilft beson-
        ders kleinen und mittleren Unternehmen, den Marktein-
        stieg im jeweiligen Nachbarland zu bewältigen. Die
        Gesellschaft betreut ihre Kunden individuell, erarbeitet
        für jeden einen konkreten Maßnahmeplan und hilft bei
        dessen Umsetzung. Die wichtige Aufgabe ist mit dem
        l. Mai 2004 nicht beendet, sondern muss sogar verstärkt
        fortgesetzt werden.
        Einrichtungen wie die Deutsch-Polnische Wirt-
        schaftsförderungsgesellschaft sind auch aus einem ande-
        ren Grund dringend notwendig. Ich habe vor einigen
        Monaten in meinem Wahlkreis in Ostbayern eine Um-
        frage zur EU-Erweiterung durchgeführt. Über 1 300 Per-
        sonen haben sich daran beteiligt. 57 Prozent der Be-
        fragten stehen der Osterweiterung eher pessimistisch
        gegenüber. 60 Prozent sehen sie eher als Risiko und die
        Mehrzahl der Befragten sieht beim Arbeitsmarkt und bei
        der Wirtschaft den größten Handlungsbedarf. Besonde-
        res Augenmerk verdient, dass 72 Prozent aller Befrag-
        ten, die Informationen über die EU-Osterweiterung als
        nicht ausreichend empfinden. Diese Ängste müssen
        durch gezielte Informationskampagnen abgebaut wer-
        den.
        Die Deutsch-Polnische Wirtschaftsförderungsgesell-
        schaft ist eine Einrichtung, die aktiv zum Erfolg der
        Osterweiterung beiträgt. Das Zusammenwachsen der
        Wirtschaft und der Arbeitsmärkte, gerade in den Grenz-
        regionen, kann durch sie entscheidend gefördert werden.
        Die CDU/CSU-Fraktion sieht in dem vorliegenden An-
        trag eine wichtige Initiative, die in der Ausschussbera-
        tung näher erörtert werden sollte.
        Die Gesellschaft unterstützt vorwiegend mittelständi-
        sche Unternehmen, die Herausforderungen und Chancen
        der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Unter-
        nehmen zu bewältigen. Dies ist ein wichtiger Beitrag,
        die Erweiterung mit Leben zu erfüllen. Die Aufgaben-
        stellung endet nicht zum 1. Mai 2004. Ihre Arbeit muss
        sogar verstärkt fortgesetzt werden. Dazu müssen wir die
        Voraussetzungen schaffen.
        Deshalb unterstützt die CDU/CSU-Fraktion den An-
        trag der FDP.
        Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Uns allen ist bewusst, dass ein wichtiger Bereich
        in der Entwicklung der deutsch-polnischen Kontakte die
        grenzüberschreitende wirtschaftliche Kooperation ist.
        Mit der Schaffung der Deutsch-Polnischen Wirtschafts-
        förderungsgesellschaft AG (TWG) vor ziemlich genau
        zehn Jahren wurde ein wichtiger Schritt in diese Rich-
        tung getan. Aktionäre der Gesellschaft auf deutscher
        Seite sind die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Meck-
        lenburg-Vorpommern und Sachsen. Der Bund ist nicht
        Gesellschafter; dies ist bei der Gründung bewusst festge-
        legt worden. Trotzdem hat er sich finanziell mit rund ei-
        nem Drittel der Mittel an der TWG beteiligt.
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        Die TWG hat in den vergangenen Jahren Unterneh-
        en informiert und beraten, Kontakte vermittelt sowie
        ktivitäten begleitet. Darüber hinaus hat sie sich etwa
        m potenzielle Investoren bemüht, Ausstellungen, Mes-
        en, Schulungen und Konferenzen veranstaltet sowie in
        irtschaftsförderungsinstitutionen mitgewirkt. Die
        WG hat somit sicher auch einen Beitrag dafür geleistet,
        m den Beitritt Polens zur EU vorzubereiten.
        Spätestens seit Frühjahr 2002 ist allen Beteiligten
        lar, dass mit dem Beitritt Polens zur EU die institutio-
        elle Förderung der Gesellschaft durch die beteiligten
        undesländer und den Bund enden wird. Schon damals
        urde der Vorstand aufgefordert, Alternativen zur Fort-
        ührung der TWG auch ohne institutionelle Förderung
        u entwickeln. Die Länder haben mehrfach unterstri-
        hen, dass sie ihre bisherige Förderung mit Ablauf des
        ahres 2004 einstellen werden. Erst daraufhin hat der
        und entschieden, seinerseits die Finanzierung ebenfalls
        inzustellen.
        Seitens des Bundes hat es bereits in der Vergangen-
        eit neben der institutionellen Förderung die Förderung
        on Projekten gegeben. Dies soll fortgesetzt werden.
        uch die Länder haben angeboten, die TWG bei der
        usschreibung von Projekten zu beteiligen. Diese Pro-
        ektfördermaßnahmen dienen auch dem Wettbewerb mit
        nderen privaten Dienstleistern. Schon allein aus diesem
        runde ist der Antrag der FDP so nicht nachvollziehbar.
        m Übrigen sei daran erinnert, dass die Wirtschaftsförde-
        ung vorrangig Sache der Länder ist. Dies ist natürlich
        uch der FDP bekannt. Wir jedenfalls sehen keine Ver-
        nlassung, diesem Antrag zuzustimmen.
        Trotzdem hoffen wir, dass auch ohne institutionelle
        örderung eine Weiterexistenz der TWG möglich ist.
        eitens des deutschen Vorstandsvertreters wird dies un-
        er bestimmten Umständen jedenfalls nicht ausgeschlos-
        en. Wir würden es begrüßen, wenn sich dafür in den
        ächsten Wochen und Monaten eine konsensuale Lö-
        ung finden würde. Hierfür könnte sicher auch die FDP
        inen Beitrag leisten, indem sie ihre Kontakte nutzt, um
        rivates Kapital zu mobilisieren und damit den Anteil
        er Eigeneinnahmen der TWG auf eine solide Basis zu
        tellen.
        Ditmar Staffelt, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi-
        ister für Wirtschaft und Arbeit: „Die Deutsch-Polnische
        irtschaftsförderungsgesellschaft AG, TWG, leistet seit
        hrer Gründung im Jahr 1994 einen wichtigen Beitrag für
        ie grenzüberschreitende wirtschaftliche Zusammenar-
        eit und damit für die EU-Osterweiterung.“
        Dieser zusammenfassenden Feststellung im vorlie-
        enden Antrag der FDP-Fraktion kann ich für die Bun-
        esregierung durchaus zustimmen. Die Ergebnisse der
        WG rechtfertigen die finanziellen Mittel, die die Bun-
        esregierung seit 1994 für diese Arbeit zur Verfügung
        estellt hat. Mit dieser finanziellen Unterstützung hat die
        undesregierung ihren Beitrag dazu geleistet, dass in der
        orbeitrittsphase diese insbesondere für kleine und mitt-
        ere Unternehmen wichtige Arbeit überhaupt geleistet
        erden konnte.
        8186 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
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        Die Frage ist also nicht, ob die Bundesregierung hier
        eine sinnvolle Finanzierungshilfe geleistet hat. Hier sind
        wir uns ja einig. Zu erörtern haben wir heute, ob es – wie
        im Antrag der FDP gefordert –, Aufgabe der Bundesre-
        gierung ist, bis 2010 den gesamten deutschen Anteil für
        eine weitere institutioneile Finanzierung dieser Einrich-
        tung zu übernehmen. Über dieses Ansinnen der FDP-
        Fraktion kann ich mich nur wundern.
        Ich darf Sie erinnern: Die TWG wurde 1994 als Ge-
        meinschaftsunternehmen zur Wirtschaftsförderung mit
        dem regionalen Schwerpunkt in der deutsch-polnischen
        Grenzregion gegründet. Gründungsgesellschafter waren
        der polnische Staat und die Bundesländer Berlin, Bran-
        denburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Der
        Bund ist bewusst nicht Mitgesellschafter geworden, hat
        aber dieses Projekt der regionalen Wirtschaftsförderung
        der Länder mit einer Anschubfinanzierung unterstützt.
        Von Anfang an bestand zwischen allen Beteiligten
        Einvernehmen, dass eine institutioneile Finanzierung
        nur befristet möglich ist. Die deutsche und polnische
        Seite haben im Jahr 2001 in einem Notenwechsel festge-
        legt, dass sie sechs Monate vor dem EU-Beitritt Polens
        eine Vereinbarung über die Art und Weise der Beendi-
        gung oder Umwandlung der TWG schließen werden.
        Im Frühjahr 2002 hat der Aufsichtsrat eingehend die
        Zukunft der TWG erörtert. Seitdem ist allen Beteiligten
        bewusst, dass mit dem Beitritt Polens zur EU die institu-
        tionelle Förderung der Gesellschaft durch die vier betei-
        ligten Bundesländer und den Bund enden wird. Nach-
        dem sich die Bundesländer entschieden haben, ihre
        Finanzierung Ende 2004 zu beenden, wird der Bund sei-
        nerseits die weitere anteilige Finanzierung einstellen.
        Eine Übernahme des Finanzierungsanteils der Länder
        durch den Bund scheidet aus. Ich sehe keinen Grund, der
        dies rechtfertigen würde.
        Kooperationswillige Unternehmen finden heute ein
        breites, oftmals mit EU- und Landesmitteln gefördertes
        Beratungsnetz in den Grenzregionen. Industrie- und
        Handelskammern, Handwerkskammern, Euro-Info-Cen-
        tren, die vier Euroregionen an der deutsch-polnischen
        Grenze und eine Vielzahl anderer regionaler Institutio-
        nen, aber auch private Beratungsunternehmen sind zu-
        nehmend auf dem Gebiet der grenzübergreifenden Wirt-
        schaftskooperation mit Polen tätig. Dabei setzen die
        Grenzländer mehr und mehr auf die bilaterale Zusam-
        menarbeit mit den benachbarten polnischen Regionen:
        In Brandenburg wird unter der Dachmarke „2win-eine
        Region, doppelter Vorteil“ das Konzept der länderüber-
        greifenden Wirtschaftskooperation durch eine eigens da-
        für eingerichtete Koordinierungsstelle bei der Zukunfts-
        agentur BB in Frankfurt an der Oder vermarktet;
        Mecklenburg-Vorpommern fördert das Haus der Wirt-
        schaft in Stettin; Sachsen hat zur Stärkung der unterneh-
        merischen Tätigkeit in den Grenzgebieten die „Stiftung
        für Innovation und Arbeit Sachsen“ gegründet und in
        Berlin bietet die BAO Berlin International GmbH ko-
        operationswilligen Unternehmen ein umfassendes Ser-
        viceangebot.
        Um das noch einmal zu unterstreichen: Der Rückzug
        von Ländern und Bund aus der institutionellen Finanzie-
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        ung der TWG bedeutet nicht automatisch das Aus für
        ie Gesellschaft. Es ist in dieser Situation vielmehr Sa-
        he des Vorstands und Aufsichtsrates, ein Konzept zur
        eiterfuhrung der TWG ab 2005 ohne deutsche institu-
        ionelle Förderung zu verabschieden.
        Die betroffenen deutschen Bundesländer als Mitge-
        ellschafter haben ihre Bereitschaft geäußert, an einer
        esellschaftsrechtlichen Lösung mitzuwirken, die eine
        ortsetzung der Tätigkeit der TWG ermöglicht. Sie bie-
        en an, die TWG bei Ausschreibungen von Projekten zu
        erücksichtigen und damit ihren Beitrag zu einem Wei-
        erbestand der Gesellschaft zu leisten. Der Bund hat be-
        eits in der Vergangenheit Projektaufträge an die TWG
        ergeben.
        Ich bin zuversichtlich, dass wir in den Beratungen mit
        er polnischen Seite eine einvernehmliche Lösung fin-
        en, die die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt.
        nlage 10
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrags: Den Fahrradtouris-
        mus in Deutschland umfassend fördern (Tages-
        ordnungspunkt 17)
        Jürgen Klimke (CDU/CSU):
        Oh wie liebe ich mein Fahrrad
        Warum, das weiß ich nicht genau
        Meinem Fahrrad werd’ ich treu sein
        Im Gegensatz zu meiner Frau
        Niemals werd’ ich es verlassen
        Niemals werd’ ich von ihm geh’n
        Denn wir fliegen wie auf Wolken
        Weil wir uns so gut versteh’n
        Ganz so extrem wie die Popgruppe „Die Prinzen“ ha-
        en wir von der Union es nicht mit dem Fahrrad. Und
        it der Untreue schon gar nicht. Aber wir schenken die-
        em Verkehrsmittel deutlich mehr Zuneigung als die
        ollegen und Kolleginnen von SPD und sogar die Grü-
        en. Und das basiert nicht auf einer kurzfristigen Lei-
        enschaft, sondern einer Vielzahl von Gründen: Wer mit
        em Fahrrad unterwegs ist, tut etwas für seine Gesund-
        eit. Er baut zudem eine enge Beziehung zur Natur auf.
        as führt Mensch und Natur zusammen und stärkt die
        insicht, dass Umweltschutz notwendig und lohnend ist.
        in weiterer wichtiger Punkt ist die Förderung des Rad-
        anderns. Diese Form des Tourismus ist nicht nur um-
        eltfreundlich, sondern stellt zugleich einen wichtigen
        egionalen Wirtschaftsfaktor dar, der erhalten und ausge-
        aut werden muss.
        Kurz auf den Punkt gebracht lauten unsere Beweg-
        ründe also: Rad fahren dient der Gesundheit, Rad fah-
        en nützt der Umwelt, Rad fahren und insbesondere
        ahrradtourismus bringen die deutsche Wirtschaft voran.
        Und extra für Sie, liebe rot-grünen Kolleginnen und
        ollegen, damit Sie sehen, dass in Deutschland trotz Ih-
        er Politik noch was wächst, ein paar Zahlen: Im Jahr
        002 haben mehr als zwei Millionen Menschen Urlaub
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8187
        (A) )
        (B) )
        mit dem Rad gemacht, was ein Plus von 12 Prozent ge-
        genüber dem Vorjahr bedeutet. Damit ist der Fahrradtou-
        rismus nicht nur ein wichtiger, sondern auch ein wach-
        sender Wirtschaftsbereich in Deutschland mit großem
        Wachstumspotenzial.
        Angesichts der Perspektiven und Chancen, die sich
        der deutschen Wirtschaft durch das Ausschöpfen des Po-
        tenzials des Fahrradtourismus eröffnen, muss Deutsch-
        land noch fahrradfreundlicher werden.
        Nun höre ich geistig schon den Widerspruch der Re-
        gierungskoalition: Ja, wir stärken doch den Fahrradtou-
        rismus, wo wir nur können – schauen Sie sich doch nur
        unseren schönen „nationalen Radverkehrsplan“ an! Ja,
        liebe Kollegen, aber das war’s auch schon. Eine Recher-
        che bringt es an den Tag: In den letzen Jahren war das
        Ihre einzige Initiative in Sachen Rad. Wir sehen: Fahr-
        radpolitisch ist bei Ihnen schon lange die Kette abgelau-
        fen!
        Um den Fahrradtourismus in Deutschland zu fördern,
        müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Deutlich verbes-
        sern müssen wir aber die Rahmenbedingungen. Dazu
        gehören: Erstens. Verlässliche Angaben. Zweitens. Aus-
        gebaute Verkehrswege. Drittens. Innovative Verkehrs-
        sicherheit. Viertens. Kooperation mit der Deutschen
        Bahn AG.
        Aber schon beim ersten Punkt hapert es. So verfügt
        die Bundesregierung weder über Erkenntnisse über den
        prozentualen Anteil des Fahrradtourismus am gesamten
        deutschen Tourismus, noch kann sie Zahlen über die An-
        zahl der Übernachtungen von Radtouristen in Deutsch-
        land vorlegen. Bei solchen Defiziten im Forschungs-
        und Statistikbereich kann der Fahrradtourismus in
        Deutschland gar nicht zielgerichtet gefördert werden.
        Diese Lücken müssen in Zusammenarbeit mit der Tou-
        rismuswirtschaft, wie beispielsweise der Forschungsge-
        meinschaft Urlaub und Reisen oder dem Tourismusbaro-
        meter des Ostdeutschen Sparkassen- und Giroverbandes,
        geschlossen werden, damit wir gezielter und effektiver
        fördern können. Schließlich fährt Jan Ulrich die Tour de
        France auch nicht mit verbundenen Augen.
        Bei den Verkehrswegen müssen vor allem der zusam-
        menhängende Ausbau überregionaler Radwege und die
        Wegweisung der Routen vorangebracht werden. Dabei
        ist die Anbindung an die europäischen Routen – ich erin-
        nere nur an das EuroVeloNetz – zu berücksichtigen. So-
        lange aber der Verkehrsminister über die Maut stolpert,
        ist hier wohl nichts zu machen, befürchte ich.
        Wenn wir schon bei den Problemzonen der Regierung
        sind: Verbesserungsbedarf besteht auch bei der Fahrrad-
        mitnahme durch die Deutsche Bahn AG. Denn trotz
        wachsendem Fahrradtourismus ist die Fahrradmitnahme
        im Fernverkehr der DB AG zwischen 1998 und 2002 um
        über 40 Prozent zurückgegangen. Wir müssen mit der
        DB zusammen Lösungsvorschläge erarbeiten, wie der
        Rückgang bei der Fahrradbeförderung gestoppt werden
        kann. Hier muss endlich Schluss sein mit selbstherrli-
        chen und vor allem falschen Entscheidungen gegenüber
        dem Kunden. Die Regierung als Hauptaktionär ist gera-
        dezu verpflichtet, ihren Einfluss bei Herr Mehdorn gel-
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        end zu machen. Und wenn wir schon dabei sind, noch
        in paar zusätzliche Überlegungen: Setzen Sie sich bei
        er Bahn für eine Fahrradmitnahme in ICE-Zügen ein,
        m die Erreichbarkeit deutscher Ferienregionen im Fern-
        erkehr für Radtouristen deutlich zu verbessern.
        Wer kritisiert, der muss auch mal loben: Das gute
        onzept der 2002 in drei deutschen Städten eingeführten
        allbikes der DB AG sollten wir unterstützen und die
        usbreitung dieses Konzepts in weiteren Städten för-
        ern.
        Zur Entwicklung eines umfassenden Angebotes für
        ahrradtouristen zählt auch das bequeme und sichere
        bstellen der Fahrräder. Dadurch leisten wir auch einen
        eitrag zur Eindämmung des Fahrraddiebstahls.
        Bauliche Maßnahmen an Fahrradabstellplätzen wie
        oxen eignen sich hier ebenso wie eine bessere Kenn-
        eichnung der Fahrräder beispielsweise durch Codie-
        ung. Dies hätte auch den zusätzlichen Effekt, dass hier-
        urch der Kauf und Gebrauch hochwertiger Fahrräder
        nterstützt würden, da die Codierung die Identifizierung
        er Fahrrad-Eigentümer erleichtert. Endlich mal eine In-
        ovation, die kein Luftschloss ist.
        Mein Damen und Herren, alle drei Jahre kaufen sich
        ie Deutschen – rein statistisch – ein Auto. Aber ein
        ahrrad muss ein Leben lang halten. Das ist schon ein
        enig schizophren, oder?
        Denn auch im wirtschaftlichen Bereich bietet das
        ahrrad erhebliche Arbeitsmarktpotenziale, nicht nur bei
        ahrradproduktion und -handel und im Reparaturge-
        erbe, sondern auch bei Folgeprodukten wie spezieller
        adfahrerkleidung bis hin zu völlig neuen Serviceange-
        oten. Neue Arbeitsplätze können im Servicebereich
        ntstehen, zum Beispiel bei Fahrradstationen mit Bewa-
        hung, Vermietung, Kleinreparaturen, Zubehörhandel
        nd Information. Das Fahrrad ist nicht, wie häufig ange-
        ommen, ein „Low-Tech-Produkt“, sondern muss erheb-
        ichen Anforderungen bei möglichst geringem Gewicht
        erecht werden: Das bedeutet, dass die technische Ent-
        icklung des Fahrrades – unter anderem bei innovativen
        ederungs-, Licht- und Bremssystemen, aber auch schon
        insichtlich des Designs – längst nicht abgeschlossen ist.
        er Gesamtumsatz des deutschen Fahrradhandels be-
        rägt gegenwärtig rund acht Milliarden DM pro Jahr und
        s gibt 6 800 Fachhandelsbetriebe mit rund 50 000 Be-
        chäftigten sowie mehr als 4 000 Ausbildungsplätzen.
        ahrradförderung ist angesichts dieser Zahlen immer
        uch vor allem eine aktive Mittelstandsförderung.
        Neben diesen doch recht einfach zu realisierenden
        aßnahmen ist es in meinen Augen weitaus schwieriger,
        in fahrradfreundlicheres Klima im Verkehrsgeschehen
        u schaffen, das ein Miteinander der Verkehrsteilnehmer
        nd die gegenseitige Rücksichtnahme erleichtert. Leider
        aben wir es in diesem Bereich mit einer schleichenden
        errohung zu tun. Kein Tag ohne Horrormeldung. Ein
        innvoller Ansatz wäre die Ausgestaltung eines Rechts-
        ahmens, der regelkonformes Verhalten fördert. Positive
        rfahrungen mit der Verkehrssicherheitsphilosophie von
        achbarländern – zum Beispiel Niederlande, Dänemark –
        ollten hier einfließen.
        8188 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        Deutschland ist fahrradtouristisch ein interessantes
        Ziel für Gäste aus dem Ausland. In den Nachbarländern
        wie zum Beispiel den Niederlanden und Dänemark be-
        steht ein großes Interesse, Deutschland mit dem Fahrrad
        zu erkunden. Sogar die Nachfrage aus Übersee steigt
        Jahr für Jahr. Mit attraktiven Angeboten gewinnen wir
        ein interessiertes, junges, ausländisches Publikum für
        den Urlaub in Deutschland. Mit unserem Antrag wollen
        wir diese Entwicklung fördern. Übrigens liegen wir mit
        unserer Forderung, den Fahrradtourismus zu fördern, gar
        nicht so weit auseinander, wenn ich Ihren Antrag „Fahr-
        Rad – für ein fahrradfreundliches Deutschland“ aus 2001
        mit unserer Initiative vergleiche.
        Daher bitte ich Sie um Unterstützung für unseren An-
        trag. Bei einer Ablehnung ist es doch ziemlich offen-
        sichtlich, dass es Ihnen nicht um die Sache, sondern ein-
        fach nur um die Ablehnung eines Oppositionsantrages
        geht. Deshalb noch einmal mein Appell an Sie: Unter-
        stützen Sie unseren Antrag, damit der Fahrradtourismus
        in Deutschland nicht auf dem Schlauch steht.
        Annette Faße (SPD): Ich freue mich, dass die Da-
        men und Herren von der Opposition jetzt endlich auch
        den Fahrradtourismus entdeckt haben! Hätten sie aller-
        dings die Antwort der Bundesregierung auf ihre Anfrage
        vom Oktober vergangenen Jahres auch gelesen, hätten
        sie dem Bundestag diesen Antrag ersparen können. Hier
        wird lediglich Bekanntes wiederholt und bereits Umge-
        setzes gefordert! Offensichtlich wollten Sie auch einmal
        etwas für Ihre umweltbewussten Wähler tun!
        Seit Jahren ist es Ziel der SPD-Fraktion, Deutschland
        fahrradfreundlicher zu gestalten. Bereits vor zwei Jahren
        hat die Bundesregierung den Nationalen Radverkehrs-
        plan 2002 bis 2012 herausgegeben, um die Chancen des
        Fahrradverkehrs im Rahmen einer integrierten Verkehrs-
        politik auszubauen. Es ist sowohl der SPD-Fraktion als
        auch der Bundesregierung bekannt, dass sich der
        Fahrradtourismus in Deutschland bereits seit Beginn der
        80er-Jahre in ländlichen Regionen zu einem wichtigen
        Wirtschaftszweig mit einem jährlichen Umsatz von
        5 Milliarden Euro entwickelt hat. Nach dem Ergebnis
        der Reiseanalyse von 2003 haben im Jahr 2002 mehr als
        2 Millionen Menschen Urlaub mit dem Rad gemacht.
        Das ist gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von über
        12 Prozent! Knapp die Hälfte der Fahrradtouristen ver-
        brachte ihren Urlaub in Deutschland. Bekannt ist eben-
        falls, dass es hier noch ein ausbaufähiges Potenzial gibt.
        Was sagen Sie uns also Neues? Erstens, dass Radfah-
        ren gesund ist – wie auch eine aktuelle Studie des
        Robert Koch-Instituts beweist – vielen Dank für diese
        beachtenswerte Information! –, und zweitens, dass das
        Fahrrad das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist.
        Auch das wussten wir doch wohl schon!
        Wenn man Ihren Antrag liest, kommt einem schon der
        Verdacht, dass alle bisherigen Maßnahmen zur Förde-
        rung des Fahrradtourismus an der Opposition vorbeige-
        gangen sind. Zumindest stellen Sie ja fest, dass es „eine
        erfreuliche Entwicklung der letzten Jahre“ gibt und dass
        die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Anfrage die
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        Bundeskompetenz in diesem Bereich unterstrichen“
        at. Immerhin!
        Sehen wir uns jetzt einen Teil Ihrer Forderungen im
        inzelnen an:
        Der Fahrradtourismus soll in bestehenden Umfragen
        erücksichtigt werden: das geschieht bereits durch Um-
        ragen des Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen
        . V. Die Voraussagen für die nächsten drei Jahre weisen
        uf eine Steigerung von 42,3 Prozent hin!
        Sie fordern, Erhebungen zu den von Radtouristen auf
        em Weg zu ihrem Urlaubsziel genutzten Verkehrsmit-
        eln durchzuführen. Befragungsergebnisse hierzu gibt es
        urchaus, diese können allerdings aufgrund von Mehr-
        achnennungen und unterschiedlichen Verkehrsträgern
        ür Hin- und Rückreisen nur bedingt aussagekräftig sein.
        as sollen Aussagen hierzu auch an weiterer Erkenntnis
        ringen? Das erklären Sie uns leider nicht. Gleiches gilt
        ür Ihre Forderung nach Erhebungsparametern, die zei-
        en sollen, wie hoch der Anteil des Fahrradtourismus am
        eutschlandtourismus ist. Für die Steigerung des Fahr-
        adtourismus in Deutschland ist nicht die Datenlage ent-
        cheidend!
        Der Ausbau des Bundesradroutennetzes geschieht be-
        eits und wird seit 2002 mit jährlich 100 Millionen Euro
        n einem gesondert eingerichteten Haushaltstitel finan-
        iert. Weitere 10 Millionen Euro jährlich sind zweckbe-
        timmt für den Bau von Radwegen auf Betriebswegen an
        undeswasserstraßen.
        Der Nationale Radverkehrsplan NRVP enthält eine
        ielzahl von Maßnahmen und Handlungsempfehlungen,
        egliedert nach Handlungsfeld, Maßnahme, Akteure und
        engengerüst. Im Rahmen des föderativen Aufbaus der
        undesrepublik Deutschland und der verfassungsgemä-
        en Rechtsordnung liegt die Hauptverantwortung des
        adverkehrs bei Ländern und Kommunen. Eine Reihe
        er Forderungen aus Ihrem Antrag sind somit schlicht
        nd einfach überflüssig, weil sich die Mitglieder des
        und-Länder-Arbeitskreises „Fahrradverkehr“ bereits in
        ünf Unterarbeitskreisen intensiv um die Begleitung und
        msetzung des NRVP kümmern.
        Die Fahrradmitnahme in ICE-Zügen ist ein Thema,
        as die SPD-Fraktion in zahlreichen Gesprächen mit der
        ahn angesprochen hat. Letztendlich handelt die DB AG
        ier aber als privatrechtlich organisiertes Unternehmen
        igenverantwortlich. Die DB AG bietet aber in allen Zü-
        en des Fernverkehrs eine Mitnahme von Fahrrädern an,
        ußerdem Verschickung von Fahrrädern und Fahrradver-
        ietung sowie Call-Bikes. Sie sehen, hier ist schon eine
        anze Menge erreicht worden! Und wir stehen hier wei-
        rhin in intensiven Gesprächen.
        Lassen Sie mich zum Schluss noch weitere bereits ge-
        roffene Maßnahmen zur Förderung des Fahrradtouris-
        us erwähnen:
        Im Haushaltsplan für dieses Jahr sind für Maßnahmen
        ur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes, wie
        um Beispiel die Durchführung von Fachkonferenzen
        der gezielte Öffentlichkeitsarbeit Mittel bis zu einer
        öhe von 2 Millionen Euro eingestellt.
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8189
        (A) )
        (B) )
        Im Jahr 2002 wurden für die Durchführung des
        bundesweiten Fahrradwettbewerbs „Best for bike“
        30 000 Euro bereitgestellt, ab 2003 werden jährlich
        50 000 Euro dafür zur Verfügung stehen.
        Das zuständige Referat des Bundesverkehrsministeri-
        ums wurde ab diesem Frühjahr mit einer Mitarbeiterin
        verstärkt, die sich schwerpunktmäßig mit der Koordinie-
        rung der Umsetzung des NRVP befasst. Das begrüßen
        wir ausdrücklich!
        Für die Umsetzung des NRVP soll ein Fahrradportal
        als Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverkehrs-
        ministeriums eingerichtet werden. Das Fahrradportal in-
        formiert über Planungs- und Rechtsvorschriften, For-
        schungsergebnisse, Fachliteratur, gute Beispiele und
        Ähnliches und dient als Arbeitsplattform für den Bund-
        Länder-Arbeitskreis „Fahrradverkehr“ und seine Unter-
        arbeitskreise sowie für die Fahrradbeauftragten auf Län-
        derebene und kommunaler Ebene. Die Installation kann
        nach Freigabe der Haushaltsmittel durch das Parlament
        erfolgen.
        Die Damen und Herren von der Opposition wollen
        den Fahrradtourismus in Deutschland umfassend fördern
        und haben leider nicht erkannt, dass das bereits ge-
        schieht! Ein überflüssiger Antrag mehr!
        Heidi Wright (SPD): Der vorliegende Antrag, der
        heute beraten und dann an den Fachausschuss überwie-
        sen wird, zielt darauf ab, dass Deutschland noch fahrrad-
        freundlicher werden soll. Die umwelt-, verkehrs-, ge-
        sundheits- und tourismuspolitische Bedeutung des
        Fahrrads soll noch stärker hervorgehoben werden. Ganz
        grundsätzlich stimme ich hier natürlich zu.
        Doch bei näherem Blick auf den 16 Punkte umfassen-
        den Forderungskatalog wird schnell deutlich, dass der
        größte Teil der Forderungen längst Gegenstand der rot-
        grünen Radverkehrspolitik ist. Einige Maßnahmen sind
        von der Bundesregierung, von den Ländern oder Kom-
        munen teilweise bereits realisiert, einige befinden sich in
        der aktiven Planungsphase.
        Lassen Sie mich zunächst einmal feststellen: Es gibt
        keineswegs einen Stillstand bei der Umsetzung des Nati-
        onalen Radverkehrsplans 2002 bis 2012 (NRVP) – ganz
        im Gegenteil: Die rot-grüne Verkehrspolitik hat einiges
        auf die Beine gestellt und kann handfeste Erfolge benen-
        nen.
        Von zentraler Bedeutung ist zunächst die Tatsache,
        dass seit 2002 ein gesondert eingerichteter Haushaltstitel
        mit 100 Millionen Euro pro Jahr – vorher waren es nur
        50 Millionen Euro gewesen – zur Finanzierung von Rad-
        wegen an Bundesstraßen zur Verfügung steht. Weitere
        10 Millionen Euro pro Jahr sind zweckbestimmt für den
        Bau von Radwegen auf Betriebswegen an Bundeswas-
        serstraßen.
        Ein weiterer Erfolg ist, dass es uns trotz angespannter
        Haushaltslage gelungen ist, für den Haushalt 2004 Fi-
        nanzmittel in Höhe von 2 Millionen Euro aus dem Rad-
        wegebautitel für nicht investive Maßnahmen zur Umset-
        zung des NRVP zur Verfügung zu stellen. Darüber freue
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        ch mich besonders, denn mit diesen nicht investiven
        itteln leistet die Bundesregierung einen weiteren Bei-
        rag für eine effiziente Umsetzung des NRVP.
        Bevor ich auf einzelne Forderungen des Antrages ein-
        ehe, will ich nochmals konkretisieren, an welchen
        berlegungen und Fragen wir uns als rot-grüne Ver-
        ehrspolitiker bei der Umsetzung des NRVP vorrangig
        u orientieren haben. Diese sind: Werden mit der jeweili-
        en Maßnahme die Rahmenbedingungen für den Rad-
        erkehr und den Radtourismus insgesamt und umfassend
        erbessert? Werden die Chancen und damit auch die
        ntwicklungspotenziale, die der Fahrradverkehr im Rah-
        en einer integrierten Verkehrspolitik bietet, optimal ge-
        utzt?
        Vor diesem Hintergrund möchte ich zunächst aus dem
        6 Punkte umfassenden Forderungskatalog einen Punkt
        erausgreifen, der mir schon lange am Herzen liegt: die
        admitnahme im DB-Fernverkehr. Dies aus zweierlei
        ründen: Einerseits halte ich die Radmitnahme im Fern-
        erkehr für eine wichtige Voraussetzung dafür, dass alle
        ielgebiete in Deutschland, insbesondere auch touristi-
        che, von Radtouristen erreicht werden können. Ohne
        ieses Angebot ist der Radtourismus gefährdet. Zum an-
        eren sehe ich gerade bei der Frage Radmitnahme im
        B-Fernverkehr Klärungsbedarf zwischen den beteilig-
        en Akteuren und erheblichen Handlungsbedarf.
        Das Gute vorab: Wie aktuell von der DB Rent GmbH
        u hören ist, hat der Vorstand der DB AG auf seiner Sit-
        ung im Dezember 2003 die Entwicklung eines neuen
        ahrradkonzeptes beschlossen; die Einzelheiten sind in
        er Abstimmung und interessieren uns brennend.
        Die Argumentationsweise der DB AG entspricht der
        ines privatrechtlich organisierten Unternehmens, das
        ich von (betriebs-)wirtschaftlichen Gesichtspunkten lei-
        en lässt: Die Fahrradmitnahme im Hochgeschwindig-
        eitsverkehr lasse sich nicht wirtschaftlich realisieren,
        a Umsteigezeiten verlängert würden und das Vorhalten
        on Fahrradabstellplätzen Kapazitäten binde, die dann
        ulasten der Fahrgastbeförderung gingen. Das Bundes-
        erkehrsministerium als Dialogpartner führt an, es könne
        icht in Planung und Durchführung der Leistungs-
        ngebote eingreifen und demzufolge auf die DB AG
        uch nicht Einfluss nehmen.
        Dem halte ich Zahlen entgegen, die die Bahn selbst
        at erheben lassen – und ich beziehe mich hier auf ein
        chreiben des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs
        ADFC) vom 20. August 2003: Diese Zahlen weisen
        lar aus, dass in der Vergangenheit die Bahn davon pro-
        itiert hat, dass gerade der Fahrradtourismus anhaltend
        öhere Wachstumsraten aufweist als alle anderen Reise-
        parten; in 2002 erneut ein Plus von 12,7 Prozent. Die
        ahlen weisen aus, dass Fahrrad fahrende Bahnkunden
        iel öfter den Zug benutzen als andere Personen und da-
        it zu den besonders treuen Kunden gehören.
        Es braucht eine baldige und eine kluge Entscheidung
        er DB AG, die den Fahrradtourismus stärkt. Ich werde
        eshalb die weitere Entwicklung forcieren und den Ab-
        lärungsprozess zwischen den beteiligten Akteuren kri-
        isch begleiten.
        8190 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        Noch ein paar Anmerkungen zu den Forderungen 13 und
        14 des Antrages: Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
        und die Verwaltungsvorschriften der StVO sollen zu-
        gunsten eines noch sichereren und attraktiveren Fahrrad-
        verkehrs überarbeitet werden; ein entsprechender Refe-
        rentenentwurf des Bundesverkehrsministeriums ist
        erarbeitet. Der Bund-Länder-Arbeitskreis Fahrradver-
        kehr wird Anfang dieses Jahres in die Beratungen
        miteinbezogen werden, nachdem der zuständige Bund-
        Länder-Fachausschuss für den Straßenverkehr und die
        Verkehrspolizei der Länder sich auf voraussichtlich im
        Bundesrat mehrheitsfähige Vorschläge zu einigen sehr
        streitig diskutierten Detailregelungen verständigt haben.
        Gut, dass wir jetzt die Koordinierungsstelle im Bundes-
        ministerium haben – also, los jetzt. Auch diese Sache
        darf nicht weiter verschleppt werden.
        Ein Wort noch zu einer erfreulichen Entwicklung
        beim Versicherungsschutz der Radfahrerinnen und Rad-
        fahrer: Die fünfte Autoversicherungs-Direktive der EU
        zur Haftpflichtversicherung sieht vor, dass künftig Ver-
        letzungen von Radfahrern bei Unfällen mit Kraftfahr-
        zeugen grundsätzlich von der Haftpflichtversicherung
        der Autofahrer abgesichert werden, und zwar unabhän-
        gig von der Schuldfrage.
        Diese Regelung bringt mehr Rechtssicherheit für die
        Radfahrer, sie wird die Schadensregulierung vereinfa-
        chen und das allgemeine Gesundheits- und Sozialversi-
        cherungssystem entlasten. Der Bundesverkehrsminister
        ist nun gefordert, die Umsetzung der Regelung in
        Deutschland vorzunehmen – und somit eine weitere For-
        derung aus dem NRVP zu erfüllen.
        Klaus Brähmig (CDU/CSU): Dass die CDU/CSU-
        Bundestagsfraktion heute einen Antrag mit dem Titel
        „Den Fahrradtourismus in Deutschland umfassend för-
        dern“ in den Deutschen Bundestag einbringt, zeigt eines
        sehr deutlich: Die rot-grüne Bundesregierung versäumt
        es nach wie vor, zentrale Probleme des Fahrradtourismus
        in Deutschland endlich tatkräftig anzupacken.
        Mit dem Nationalen Radverkehrswegeplan aus dem
        Jahr 2002 wollte die Regierung zwar Handlungskompe-
        tenz beweisen, scheitert aber eklatant bei der praktischen
        Umsetzung. Sie verfügt weder über strategische Planun-
        gen noch kann sie konkrete Arbeitspläne präsentieren.
        Weiterhin ist es völlig inakzeptabel, dass wesentliche
        Fragen der Verantwortung und Finanzierung den Län-
        dern und Kommunen zugewiesen werden. Der Bund
        muss hier seiner Aufgabe gerecht werden, den Ausbau
        des Bundesradroutennetzes voranzutreiben und regio-
        nale und touristische Belange zu koordinieren. Insbeson-
        dere bei der Aufgabe der Beschilderung versagt der
        Bund; denn er stellt hierfür keine Finanzmittel zur Verfü-
        gung. Auch hier gilt das bewährte rot-grüne Motto: Die
        vollmundigen Versprechungen übernimmt der Bund, die
        Länder und Kommunen dürfen die Finanzierung sicher-
        stellen.
        Neben dem Ausbau des Radwegenetzes ist es die tou-
        ristische Vermarktung des Projektes „Fahrradtourismus
        in Deutschland“, die einen wichtigen Ansatzpunkt für
        ein fahrradfreundliches Land darstellt. Die Bundesregie-
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        ung preist hier zu Recht den Angebotskatalog der Deut-
        chen Zentrale für Tourismus „Deutschland per Rad ent-
        ecken“ und lobt die weltweite Verbreitung mittels einer
        nglischsprachigen Fassung. Dabei verschweigt sie aber,
        ass die DZT die finanzielle Unterstützung für dieses
        emeinschaftsprojekt mit dem Allgemeinen Deutschen
        ahrrad-Club im Jahr 2004 um 10 Prozent kürzen will.
        ie Fortführung des gesamten Projektes ist damit exis-
        nziell gefährdet.
        Es ist die Aufgabe der Bundesregierung, diesen finan-
        iellen Engpass schnell zu beheben. Wir werden bei die-
        er Forderung nicht locker lassen, denn am Geld liegt es
        icht. Es wäre genug Geld für die DZT und das Stand-
        rtmarketing vorhanden. Leider setzt die Bundesregie-
        ung das Geld allerdings falsch ein. Anstatt teilweise
        ragwürdige Beraterverträge abzuschließen und mit teu-
        en Werbekampagnen die Korrektur der selbstverschul-
        eten Imageschäden zu betreiben, sollten durch die
        enerierung zusätzlicher Kaufkraft Arbeitsplätze im
        ourismus gesichert bzw. neu geschaffen werden. Die
        kquisition von kaufkräftigen Touristen muss endlich
        ls aktive Wirtschaftsförderung verstanden werden.
        chon Henry Ford hat gewusst: Enten legen ihre Eier in
        ller Stille. Hühner gackern dabei wie verrückt. Was ist
        ie Folge? Alle Welt isst Hühnereier. Voraussetzung für
        en Erfolg des Fahrradtourismus ist also neben einer
        ernünftigen Infrastruktur die Anfangsinvestition, um
        unden auf das Produkt aufmerksam zu machen.
        Ein Beispiel aus dem Freistaat Sachsen zeigt, dass der
        ahrradtourismus ein hohes Potenzial für die Gastrono-
        ie- und Beherbergungsunternehmen entwickeln kann.
        llein im sächsischen Teil des Elberadweges, zwischen
        ad Schandau in meinem Wahlkreis und Torgau, setzten
        irca 70 000 Radtouristen in der Zeit zwischen April und
        ktober 2003 rund 28 Millionen Euro um.
        An diesen Zahlen kann man erkennen, dass ein gut
        ufbereitetes Branchennetzwerk zum Erfolg beiträgt.
        uf dem Elberadweg werden neben Hotel- und Gastro-
        omie auch Fahrradhersteller, Händler und Reparatur-
        erkstätten in die Vermarktungsstrategie integriert. Der
        otenzielle Besucher erhält auf einen Blick alle notwen-
        igen Informationen für seinen Fahrradurlaub. Diesem
        ositiven Beispiel sollten auch andere Regionen folgen,
        m dieses attraktive Segment des Deutschlandtourismus
        och weiter zu stärken.
        Gerade wegen der bevorstehenden EU-Osterweite-
        ung ist es auch notwendig, dass die Bundesregierung
        uf die EU-Kommission einwirkt, Finanzmittel zur Rea-
        sierung eines europäischen Radfernwegenetzes bereit-
        ustellen. Die transeuropäischen Verkehrsnetze dürfen
        ich nicht allein auf den Ausbau von Straße und Schiene
        onzentrieren, sondern müssen auch das umweltfreund-
        che und gesundheitsfördernde Verkehrsmittel Fahrrad
        inbeziehen.
        Analog zum Verkehrswegeplanungsbeschleunigungs-
        esetz sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, ob wir
        icht ein Fahrradwegebeschleunigungsgesetz brauchen.
        urzeit ist es nämlich vielfach ein Problem, die vorhan-
        enen Finanzmittel schnell in konkrete Baupläne umzu-
        etzen. Beispielsweise hapert es aufgrund der finanziel-
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8191
        (A) )
        (B) )
        len Situation einiger Kommunen daran, bestehende
        Lücken im nationalen Radwegenetz schließen zu kön-
        nen.
        Ich hoffe, dass wir in den vor uns liegenden Aus-
        schussberatungen gemeinsam für die Förderung des
        Fahrradtourismus in Deutschland und Europa in die Pe-
        dale treten. Ideologische Auseinandersetzungen sind an
        dieser Stelle nicht angebracht.
        Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Wenn vor 20 Jahren ein Antrag gestellt worden wäre,
        über Fahrradtourismus in Deutschland im Deutschen
        Bundestag zu debattieren, dann hätte wohl die Mehrheit
        in und außerhalb des Hohen Hauses gesagt: „Jetzt spin-
        nen sie, diese Grünen-Ökos!“
        Heute kommt ein solcher Antrag von der CDU/CSU.
        Mein augenzwinkerndes Kompliment an die Antragstel-
        lerinnen und Antragsteller, denn Sie haben endlich – we-
        nigstens verbal und vielleicht auch nur kurz – das Steuer
        weggelegt und den Fahrradlenker entdeckt. Jetzt freuen
        sich endlich auch mal alle Fraktionen über die beeindru-
        ckende Erfolgsgeschichte des Radtourismus in den letz-
        ten Jahren.
        Die Zeiten haben sich verändert: Radfahren und Rad-
        tourismus sind keine Exotenthemen mehr, sondern das
        Rad ist quasi ein boomender „Volkssport“ geworden.
        Die Reiseanalyse des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-
        Clubs (ADFC) für das Jahr 2002 belegt diesen Wachs-
        tumstrend in Zahlen. Bei den Radreisen in Deutschland
        verbrachten mehr als 2 Millionen Menschen ihren Ur-
        laub auf dem Fahrradsattel – das ist eine zweistellige Zu-
        wachsrate von knapp 13 Prozent im Vergleich zum Vor-
        jahr. Für jeden zweiten Urlauber gehört das Radfahren
        zur Urlaubsaktivität dazu. Die Zukunftsaussichten sind
        gut, denn Radurlaub wächst kontinuierlich weiter. Über
        11 Prozent der Bürgerinnen und Bürger planen nach
        ADFC-Angaben in nächster Zeit „ziemlich sicher“ eine
        Radreise.
        Damit zeigt sich, dass mit dem Fahrradtourismus ein
        stabiles Marktsegment entstanden ist. Die Zuwachsraten
        für die Beherbergungsbetriebe mit dem bekannten Na-
        men „Bett & Bike“ sind enorm. Längst setzen kleine
        Gasthöfe und Hotels auf Einzelradler, Familienurlaub
        oder auch auf die organisierte Radlergruppe. Von 1995
        bis zum Jahr 2003 hat sich die Zahl der fahrradfreundli-
        chen Beherbergungsbetriebe mehr als verfünfzehnfacht!
        Es ist beeindruckend, dass die Radlerinnen und Radler
        nicht nur Deutschland entdecken, sondern dass umge-
        kehrt auch gilt: Deutschland entdeckt die Radfahrerin-
        nen und Radfahrer.
        Die Bundesregierung bestätigt diese positive Ent-
        wicklung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der
        CDU/CSU, und auch die heutigen Antragsteller verwei-
        sen auf die vom ADFC vorgelegten Umfragen. Diese Er-
        folgsgeschichte ist maßgeblich mitgestaltet worden
        durch einen verstärkten Ausbau der Radinfrastruktur in
        Deutschland in letzter Zeit. Wir haben im Jahr 2002 die
        Mittel für den Radwegebau an Bundesstraßen auf
        100 Millionen Euro verdoppelt. Weitere 10 Millionen
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        uro sind für den Radwegebau an Bundeswasserstraßen
        orgesehen. Wir haben dieses hohe Niveau übrigens
        uch in der jetzigen Phase knapper finanzieller Mittel
        eibehalten.
        Wir wollen als Regierungskoalition da weitermachen.
        enn wir wissen, dass Radverkehr und Radtourismus
        ine deutschlandweit bessere Radinfrastruktur brauchen.
        azu haben wir im Jahr 2002 den Nationalen Radver-
        ehrsplan erarbeitet, mit dem wir uns auch selbst politi-
        che Vorgaben bis zum Jahr 2012 für ein fahrradfreund-
        iches Deutschland machen. Denn Fahrradtourismus
        oomt besonders dort, wo es durchgängige Verbindun-
        en zum Beispiel entlang größerer Flüsse gibt. Es darf in
        er Frage eines überregionalen Radverkehrsnetzes nicht
        änger eine kleinkarierte und unkoordinierte Politik ge-
        en. Für diesen übergreifenden Teil der Verkehrspolitik
        st daher auch der Bund in der Pflicht, es müssen aber
        uch andere staatliche Ebenen mitziehen. So sollten sich
        iele Bundesländer an der guten Radverkehrspolitik in
        ordrhein-Westfalen ein Beispiel nehmen.
        Wir müssen Klarheit bekommen über den Ausbau des
        berregionalen Fahrradnetzes. Ich halte dies auch vor
        em Hintergrund des touristischen Zusammenwachsens
        it unseren Nachbarländern für unverzichtbar. So kön-
        en auch Randregionen attraktiver werden. In unserem
        and müssen die auf regionaler Ebene bestehenden Rad-
        ege besser vernetzt werden, und es müssen ärgerliche
        ücken endlich geschlossen werden. Vielfach ist die Be-
        childerung nach wie vor verbesserungsbedürftig. Es ist
        in offenes Geheimnis, dass wir mit der ständigen Redu-
        ierung der Radmitnahmemöglichkeiten im Fernverkehr
        er Deutschen Bahn nicht einverstanden sind. Die Rad-
        itnahme im IC-Zug ist zwar erlaubt, aber ziemlich un-
        raktisch. Die Interregio-Züge sind weitgehend gestri-
        hen worden. Im ICE ist leider keine Radmitnahme
        öglich. Die Unternehmensvorstände der Deutschen
        ahn müssen endlich verstehen, dass Radfahrerinnen
        nd Radfahrer nicht nur am Urlaubsort treue Bahnkun-
        en sein wollen, sondern auch bei An- und Abreise.
        enn die Deutsche Bahn in dieser Frage an ihrer restrik-
        iven Politik festhält, wird sie nicht nur für sich selbst ein
        ichtiges Kundenpotenzial vergraulen, sondern auch die
        ntwicklung des Radtourismus in Deutschland insge-
        amt beeinträchtigen.
        Der Radtourismus ist unter ökologischen Aspekten
        ine vernünftige Form des Tourismus. Er ist auch wichti-
        er Teil eines nachhaltigen Tourismus. Es freut mich,
        ass immer mehr Menschen sagen können: Er ist auch
        in gutes Geschäft geworden. Denn damit ist auch ein
        achweis erbracht, dass die belächelten, ehemaligen
        xoten von einst heute als seriöse Experten anerkannt
        erden können. In diesem Sinne verstehe ich den vorlie-
        enden Antrag als Ermunterung und Unterstützung, den
        rfolgreichen Weg der letzten Jahre fortzusetzen.
        Ernst Burgbacher (FDP): Die Ausgangslage für ei-
        en erfolgreichen Fahrradtourismus in unserem Land ist
        ut. Deutschland bietet geeignete klimatische Vorausset-
        ungen für den Fahrradtourismus. Welcher Radler hätte
        ust und Laune, unter sengender Sonne und in brütender
        8192 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) )
        (B) )
        Hitze etliche Kilometer abzustrampeln? – Ich nicht! Hier
        ist Deutschland mit seinen eher gemäßigten Temperatu-
        ren begünstigt. Hinzu kommt das reizvolle landschaftli-
        che und kulturelle Angebot, das sich dem Radtouristen,
        aber nicht nur diesem, erschließt. Ich jedenfalls genieße
        Radtouren durch verschiedene deutsche Regionen im-
        mer ganz besonders.
        Der Radtourismus trägt insbesondere in ländlichen
        und strukturschwachen Gebieten zu einer Verbesserung
        der Infrastruktur bei und kommt diesen Regionen wirt-
        schaftlich zugute. Radler, egal ob auf Tagestouren oder
        auf mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Touren, kehren
        in einem Gasthaus oder Restaurant ein, brauchen Über-
        nachtungsmöglichkeiten und kaufen Dinge des täglichen
        Bedarfs. Mehr als 2 Millionen Menschen haben im Jahr
        2002 Urlaub mit dem Rad gemacht, knapp die Hälfte da-
        von in Deutschland. Ein ausbaufähiges Potenzial ist vor-
        handen. Für die nächsten Jahre werden weitere deutliche
        Zuwachsraten prognostiziert.
        Daher ist es wichtig, den Fahrradtourismus in
        Deutschland zu fördern. Allerdings warne ich davor,
        dort regulieren zu wollen, wo die Verantwortung bei den
        Ländern und Kommunen liegt. Ich trete in und außerhalb
        der Föderalismuskommission von Bundestag und Bun-
        desrat, deren Mitglied ich bin, für eine klare Kompetenz-
        trennung zwischen Bund und Ländern und die strikte
        Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ein.
        Deshalb halte ich den Punkt vier des Unionsantrags,
        den Ausbau des Bundesradroutennetzes voranzutreiben
        und hier regionale und touristische Belange zu koordi-
        nieren, für ungeeignet. Dies gehört – bis auf Radwege an
        Bundesstraßen – nicht in Bundeskompetenz. Tourismus
        allgemein und die Förderung des Radverkehrs im Beson-
        deren sind Sache der Länder und Kommunen. Was die
        Beschilderung von Radwegen angeht, so verweise ich
        auf die Ergebnisse der von der FDP-Fraktion beantrag-
        ten Anhörung im Tourismusausschuss zur touristischen
        Beschilderung. Wir müssen ein System für die touristi-
        sche Beschilderung entwickeln, in das auch die Beschil-
        derung von Radwegen einbezogen wird.
        Zu den anderen Punkten des Antrags: Die FDP-Bun-
        destagsfraktion unterstützt die Forderung nach einer
        stärkeren Berücksichtigung des Segments Radtourismus
        bei Umfragen und statistischen Erhebungen, um auf
        diese Weise mehr und verlässliches Zahlenmaterial über
        Umfang und Bedeutung des Fahrradtourismus zu gewin-
        nen. Wichtig ist auch, dass von den zuständigen Touris-
        musorganisationen stimmige Angebotspakete für Rad-
        touristen geschnürt und professionell vermarktet
        werden. Denn obwohl noch immer die Mehrzahl der
        Radtouristen ihre Touren selbst organisiert, wächst die
        Nachfrage nach „maßgeschneiderten Pauschalangebo-
        ten“. Hier bieten sich Chancen, dieser Nachfrage zu ent-
        sprechen und neue Kunden zu gewinnen.
        Die Vernetzung der Verkehrsträger halte ich ebenfalls
        für wichtig. Wir alle kennen die berechtigten Klagen
        über die Probleme bei der Fahrradmitnahme im ICE.
        Hier muss sich die Bahn bewegen. Es müsste meines Er-
        achtens im Interesse der DB liegen, Kunden zu gewin-
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        en, nicht noch weitere zu verlieren. Ferienregionen
        ollten gerade auch per Bahn erreichbar sein.
        Bei Punkt 13, in dem es um die Schaffung eines fahr-
        adfreundlichen Klimas im Verkehrsgeschehen und die
        egenseitige Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer
        eht – ohne Zweifel ein sehr wichtiger Aspekt ange-
        ichts der Verkehrsunfallstatistiken –, interessiert mich,
        ie die Union sich dies konkret vorstellt. Welche Maß-
        ahmen sollen hier ergriffen werden?
        Was die Forderung nach einer Codierung aller Fahrrä-
        er und die Unterstützung des Kaufs und Gebrauchs
        ochwertiger Fahrräder angeht, um den Raddiebstahl
        inzudämmen, so sage ich hier ganz klar: Das ist nicht
        ufgabe der Politik und das soll es auch nicht sein. Fahr-
        adkauf und -nutzung sind eine Sache des Marktes. Ob
        emand ein hochwertiges codiertes Fahrrad oder ein
        reisgünstigeres, nicht codiertes Rad kauft, sollte jedem
        äufer selbst überlassen bleiben.
        Von diesen Einzelpunkten einmal abgesehen gilt, wie
        ingangs bereits gesagt, dass die FDP-Bundestagsfrak-
        ion den Antrag zur Förderung des Fahrradtourismus in
        eutschland im Grundsatz begrüßt und unterstützt.
        nlage 11
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung des Antrags: „Demokratie und
        Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unterstützen –
        Freiheit der Medien und wirtschaftliche Pros-
        perität wiederherstellen“ (Tagesordnungs-
        punkt 18)
        Lothar Mark (SPD): Der hier zu beratende Antrag
        Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Venezuela unter-
        tützen – Freiheit der Medien und wirtschaftliche Pros-
        erität wiederherstellen“ findet nicht die Zustimmung
        er SPD-Bundestagsfraktion.
        Dies hat folgende Gründe: Der Antrag weist unseres
        rachtens erhebliche Mängel auf, denn er lässt von sei-
        em Grundtenor her wesentliche Aspekte der venezola-
        ischen Krise außer Acht. In seiner Konzentration auf
        ie Freiheit der Medien und die wirtschaftliche Prosperi-
        ät Venezuelas greift er unserer Ansicht nach zu kurz.
        Entsprechend eindimensional sind die daraus resultie-
        enden Schlussfolgerungen. Sie zeugen zudem von einer
        inseitigen Haltung zugunsten der venezolanischen Op-
        osition. Damit beteiligen Sie sich, liebe Kolleginnen
        nd Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, kräftig am
        leichen Spiel, das Venezuela seit Monaten paralysiert.
        urch ein solches parteiisches Verhalten unterstützen
        ie die dort herrschende Polarisierung noch. Sie nehmen
        abei in Kauf, dass Deutschland seine Rolle als ehrlicher
        akler und damit seine Einflussmöglichkeiten aufs
        piel setzt.
        Die Krise in Venezuela hat nicht erst 1998 mit der
        demokratischen – Wahl von Hugo Chávez begonnen,
        ie der Antrag richtig bemerkt. Als allgemein anerkannt
        ilt, dass das Scheitern der paktierten Elitendemokratie
        Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004 8193
        (A) )
        (B) )
        zu Beginn der 90er-Jahre die tiefer liegende Ursache der
        heutigen Krise ist, die sich in einem hohen Maß an poli-
        tischer und sozialer Gewalt und dem Glaubwürdigkeits-
        verlust der tragenden politischen Institutionen, vor allem
        der Parteien und dem Parlament manifestiert.
        Das derzeitige politische Tauziehen zwischen der Re-
        gierung und der Oppositionsbewegung hat das Land po-
        larisiert und das staatliche und wirtschaftliche Gefüge
        ausgehöhlt. Ein Plebiszit kann in dieser Situation zwar
        die Mehrheitsverhältnisse ändern, nicht aber die Patt-
        situation zwischen beiden Kräften aufheben. Die Grund-
        lage für eine Rekonsolidierung des Staates liegt daher
        unserer Auffassung nach in einer dauerhaften demokrati-
        schen Konsensfindung, was mit der ebenso heterogenen
        wie konzeptionslosen venezolanischen Opposition nicht
        ohne weiteres ersichtlich ist.
        Führen wir uns einmal vor Augen, um welche politi-
        schen Kräfte es sich hier handelt und welche zweifelhaf-
        ten Meriten sie sich bislang im Dienste einer konstrukti-
        ven Lösungsfindung erworben haben. Einziger
        gemeinsamer Nenner dieser ein breites politisches Spek-
        trum abdeckenden Bewegung ist die Absetzung der
        rechtmäßig gewählten Regierung bzw. des Präsidenten.
        Der Staatsstreich vom April 2002, der antidemokratische
        Bruch der verfassungsmäßigen Ordnung, sowie das un-
        verantwortliche Vorgehen bei der Ausrufung des Gene-
        ralstreiks im Dezember 2002 zeugen nicht gerade von
        dem verantwortungsvollen Handeln einer demokratisch
        gesinnten Opposition, so wie es der vorliegende Antrag
        annimmt.
        Zur Beurteilung der Situation der Medienfreiheit in
        Venezuela muss man dies und noch einige weitere Fakten
        im Hinterkopf behalten, die im Antrag nicht genannt wer-
        den: Die venezolanischen Massenmedien haben sich
        längst zu einem entscheidenden Macht- und Mobilisie-
        rungsfaktor mit enormem Einfluss auf die öffentliche
        Meinung entwickelt. Sie sind in einem Ausmaß selbst
        zum politischen Akteur geworden, das für unsere Verhält-
        nisse schwer vorstellbar ist. Vier der fünf landesweit aus-
        strahlenden TV-Sender sind privat und de facto von der
        Opposition dominiert. Sie sind damit ebenso sehr „Agita-
        tionsinstrument“, wie dies zweifellos der staatliche Kanal
        für die Regierung ist. Bei meiner letzten Reise nach Ve-
        nezuela konnte ich mich selbst vom weitreichenden Ein-
        fluss der privaten Sender überzeugen, als mir deren Di-
        rektoren unverblümt sagten, dass die privaten Medien
        einen Gegenkandidaten für mögliche Präsidentschafts-
        wahlen aufbauen würden, wenn die Opposition dazu wei-
        terhin nicht im Stande sei. Ähnlich sehe man es mit dem
        Wahlprogramm der Opposition.
        Die Medien bieten also ein genaues Abbild der ex-
        trem gespaltenen venezolanischen Gesellschaft. Sie sind
        einer der wichtigsten Austragungsorte, an dem sich die
        Auseinandersetzung zwischen Chavisten und der Oppo-
        sition abspielt. Beide Seiten kämpfen offensichtlich mit
        harten Bandagen; dies ist nicht schön zu reden, aber
        eben auch nicht einseitig der Regierung anzulasten.
        Im Antrag wird weiterhin zu Recht die wirtschaftlich
        desolate Situation Venezuelas aufgezeigt. In der Tat hat
        die venezolanische Wirtschaft nicht erst durch den Ge-
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        eralstreik im Dezember 2002, aber durch diesen we-
        entlich beschleunigt, eine besorgniserregende Entwick-
        ung genommen. Insofern muss auch hier wieder die
        erantwortung beider Seiten benannt werden, denn die
        pposition hat diese wirtschaftlichen Schäden durch ih-
        en Streikaufruf billigend in Kauf genommen. Die im
        ntrag kritisierten Maßnahmen zur Kontrolle des Devi-
        enabflusses, die Präsident Chávez nach dem zweimona-
        igen Streik der Opposition verordnet hat, sollen im Üb-
        igen offiziellen Angaben zu Folge gelockert werden.
        Es ist richtig, dass an Präsident Chávez’ Regierungs-
        ührung in vielen Punkten Kritik zu üben ist. Anstatt
        ber ausschließlich mit objektiv belegbaren Daten und
        rgumenten zu arbeiten, spielt der Antrag mit ungesi-
        herten Erkenntnissen und beteiligt sich an Spekulatio-
        en, wie zum Beispiel über die spionageverdächtigen
        ubanischen Ärzte. Diese wurden im Rahmen eines von
        er Regierung ins Leben gerufenen Sozialprogramms
        ur Verbesserung der medizinischen Versorgung in den
        rmenvierteln eingesetzt. In die Kritik gekommen ist
        as Programm in Venezuela vor allem durch die Be-
        chäftigung kubanischer und nicht venezolanischer
        rzte. Für den Verdacht, es handele sich um Geheim-
        ienstmitarbeiter, der aus venezolanischen Oppositions-
        reisen lanciert wurde, gibt es meines Wissens bisher
        einerlei Beweise.
        Vielmehr scheint es, als solle hier mit dem Schüren
        er Angst vor dem Abgleiten Venezuelas in den Sozialis-
        us/Kommunismus die Regierung Chávez diskreditiert
        erden, was ebenso unberechtigt wie unverantwortlich
        t.
        Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang eine Be-
        bachtung im internationalen Kontext: Das Schüren ei-
        er Eskalation der Auseinandersetzungen bzw. die De-
        tabilisierung Venezuelas aus wirtschaftlichen und
        eopolitischen Gesichtspunkten scheint im Interesse ei-
        iger Länder zu liegen, die sich nicht im zu erwartenden
        aß für eine konstruktive Lösung des Konflikts enga-
        ieren. Wie sonst wäre zum Beispiel die vorschnelle An-
        rkennung der nach dem Putsch gegen Chávez einge-
        etzten Carmona-Regierung durch die USA und Spanien
        u erklären?
        Trotz kritischer Haltung zum „Bolivarianischen Re-
        ormprojekt“ Chávez’, das in der Tat bislang eine ge-
        inge Ergebnisorientierung in Bezug auf die drängenden
        irtschaftlichen und sozialen Probleme Venezuelas auf-
        eist, scheint es mir vorrangig, einen rechtmäßig ge-
        ählten Präsidenten anzuerkennen. Ebenso hat die neue,
        ünfte venezolanische Verfassung – bei aller Kritik an
        erfahrensfehlern und Verweisen auf die geringe Wahl-
        eteiligung – im Megawahljahr 2000 die Zustimmung
        iner Mehrheit der Bevölkerung erhalten. Diese Wahl-
        ntscheidungen müssen von allen Parteien akzeptiert
        erden und jeglichem Lösungsansatz des Konflikts zu-
        runde liegen.
        Insofern sollte das Hinwirken auf einen demokrati-
        chen Minimalkonsens alle politischen Kräfte des Lan-
        es einschließen und von einem echten, glaubwürdigen
        nternationalen Engagement zur Einbindung Venezuelas
        etragen werden. Die Forderung des Antrags nach einem
        8194 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        (A) (C)
        (B) )
        aktiveren politischen Krisenmanagement in Koordina-
        tion mit der OAS und dem Carter-Center ist somit sehr
        zu begrüßen.
        Den sozio-ökonomischen Ursachen des Konfliktes
        und seinen das gesamtgesellschaftliche Gefüge betref-
        fenden Auswirkungen sollte dabei aber stärker Rech-
        nung getragen werden, als im Antrag formuliert.
        Für die SPD-Fraktion ergeben sich folgende Schwer-
        punkte: Einer sowohl politischen wie auch wirtschaftli-
        chen Isolierung Venezuelas muss unbedingt entgegenge-
        wirkt werden. Bestehende Initiativen zur Einbindung
        von Venezuela in das internationale System begrüßen
        wir. Insbesondere die wirtschaftliche Einbindung des
        Landes in die existierenden südamerikanischen Integra-
        tionssysteme halten wir für wichtig. Wir begrüßen – wie
        zurzeit beantragt – eine Aufnahme Venezuelas als asso-
        ziiertes Mitglied in einem von neuer Dynamik gekenn-
        zeichneten Mercosur. Hervorzuheben ist auch eine stär-
        kere Zusammenarbeit mit dem großen Nachbarn im
        Süden, Brasilien, wie sie im jüngsten Abkommen von
        Wandel der politischen Kultur abzielen können. Die po-
        litischen Stiftungen leisten hier schon sehr gute Arbeit,
        die noch ausgebaut werden könnte. Ob allerdings die
        einseitige Einmischung der KAS in Caracas dienlich ist,
        bleibt mehr als fragwürdig.
        Wir müssen ein großes Interesse daran haben, dass
        dem Legitimationsverlust des politischen Systems in der
        Bevölkerung entgegengewirkt wird. Das Beispiel Vene-
        zuelas hat aufgrund seiner als Maßstab für andere Län-
        der der Region geltenden demokratischen Tradition und
        Stabilität eine große Ausstrahlung in den Andenraum hi-
        nein und auf Gesamtlateinamerika.
        Das schwierige Verhältnis zu Kolumbien aufgrund
        des oft geäußerten Vorwurfs der fehlenden Unterstüt-
        zung beim Anti-Terrorkampf bzw. der Unterstützung
        von Guerillatruppen auf venezolanischem Gebiet zeigt
        die regionale Dimension der Problematik. Wer die geo-
        graphische Situation dort kennt, weiß allerdings auch,
        dass diese Grenzen nicht 100 Prozent kontrollierbar
        sind.
        Recife zwischen beiden Staaten für den Erdölsektor ver-
        einbart wurde. Diese Initiativen zeigen, dass Venezuela
        handlungsfähig ist, sich stärker in den südamerikani-
        schen Markt einbringen wird und wecken die Hoffnung
        auf – zumindest mittel- bis langfristig – stabilisierende
        Wirkung.
        Von deutscher bzw. europäischer Seite aus sollten die
        Bemühungen um eine Wiederbelebung der wirtschaftli-
        chen Beziehungen im Vordergrund stehen. Deutsche Un-
        ternehmen haben sich in Reaktion auf die Entwicklun-
        gen in Venezuela vergleichsweise zurückhaltend
        verhalten. Einige Schlaglichter, wie beispielsweise das
        Engagement von Siemens im Nahverkehrsbereich in
        Maracaibo, hellen das Dunkel etwas auf, müssten aber
        weitere Aktivitäten auch von KMU nach sich ziehen.
        Ein weiterer Schwerpunkt sollte bei der Zusammenar-
        beit im Bereich der Heranbildung von Humankapital so-
        wie der Vorstellung von wirtschafts- und sozialpoliti-
        schen Initiativen liegen, die bei der Entwicklung von
        eigenen Erfahrungen in Venezuela nützen und auf einen
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        Abschließend würde ich mir insgesamt eine differen-
        iertere Herangehensweise an die Diskussion um die ak-
        uellen Entwicklungen in Venezuela wünschen. Wir
        üssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass
        eopopulistische Politikprofile in Lateinamerika insge-
        amt an Bedeutung gewinnen, was unter anderem auch
        n bestimmten historischen und gesellschaftlichen Vo-
        aussetzungen in der Region liegt. Wir sollten uns zu-
        ächst fragen, welche internen und externen Faktoren
        ur Erosion traditioneller repräsentativer Politiksysteme
        ühren, bevor wir versuchen, einfache Antworten zu ge-
        en.
        Im Fall Venezuelas scheint es besonders schwer, zwi-
        chen Schwarz und Weiß auch noch Grautöne wahrzu-
        ehmen. Aber gerade hier ist es besonders wichtig. Der
        orliegende Antrag versucht nicht, sich diesen Schattie-
        ungen anzunähern und kann daher keine differenzierten
        ösungsansätze entwickeln. Aus diesem Grund ist er für
        ns eine nicht akzeptable Betrachtung der venezolani-
        chen Realität.
        91, 1
        2, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344
        91. Sitzung
        Berlin, Donnerstag, den 12. Februar 2004
        Inhalt:
        Redetext
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8
        Anlage 9
        Anlage 10
        Anlage 11