Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003 7347
(A) (C)
(B) (D)
gelungen ist, einen interfraktionellen Antrag zu entwer-
fen, obwohl unser Angebot stand, gemeinsam dieses
wichtige Thema einzubringen. Aber Sie haben sich für
Schultz (Everswinkel), Reinhard SPD 12.12.2003
Fraktionen hier im Hohen Hause unterstützenswert fän-
den. Von daher ist es wirklich schade, dass es uns nichtSchröder, Gerhard SPD 12.12.2003
Anlage 1
Liste der entschuldi
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Dr. Berg, Axel SPD 12.12.2003
Bollmann, Gerd Friedrich SPD 12.12.2003
Dautzenberg, Leo CDU/CSU 12.12.2003
Eichel, Hans SPD 12.12.2003
Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.12.2003
Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 12.12.2003
Glos, Michael CDU/CSU 12.12.2003
Göppel, Josef CDU/CSU 12.12.2003
Hartnagel, Anke SPD 12.12.2003
Heiderich, Helmut CDU/CSU 12.12.2003
Heller, Uda Carmen Freia CDU/CSU 12.12.2003
Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.12.2003
Hettlich, Peter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.12.2003
Koschyk, Hartmut CDU/CSU 12.12.2003
Michelbach, Hans CDU/CSU 12.12.2003
Dr. Mützenich, Rolf SPD 12.12.2003
Nitzsche, Henry CDU/CSU 12.12.2003
Oßwald, Melanie CDU/CSU 12.12.2003
Otto (Godern), Eberhard FDP 12.12.2003
Rauber, Helmut CDU/CSU 12.12.2003*
Rupprecht (Tuchen-bach), Marlene SPD 12.12.2003
*
Sauer, Thomas SPD 12.12.2003
Schösser, Fritz SPD 12.12.2003
Anlagen zum Stenografischen Bericht
gten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung über den Antrag: Schutz vor ille-
galen und jugendgefährdenden Internetinhal-
ten – Filtern statt Sperren (Tagesordnungs-
punkt 19)
Sabine Bätzing (SPD): Mit der zunehmenden Verbrei-
tung und Nutzung neuer digitaler IuK-Dienste und -Ange-
bote wie Internet, Mehrwert-Erotikdiensten oder Video-
und Computerspielen entstehen auch neue Fragen zu den
Rahmenbedingungen und Instrumenten eines einheitli-
chen und effektiven Jugendschutzes in den elektroni-
schen Medien. Eine erste Antwort auf diese doppelte di-
gitale Herausforderung haben Bund und Länder mit der
Reform des Jugendschutzrechts 2002/03 und der Neu-
schaffung einer gemeinsamen Kommission für den Ju-
gendmedienschutz gegeben. Der Anfang ist also ge-
macht.
Jetzt liegt uns ein FDP-Antrag zur Beratung vor, den
– so ist meine Einschätzung – in den Grundzügen alle
Dr. Stadler, Max FDP 12.12.2003
Steinbach, Erika CDU/CSU 12.12.2003
Thierse, Wolfgang SPD 12.12.2003
Dr. Thomae, Dieter FDP 12.12.2003
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 12.12.2003
Türk, Jürgen FDP 12.12.2003
Weiß (Emmendingen), Peter CDU/CSU 12.12.2003
Weisskirchen (Wiesloch), Gert SPD 12.12.2003
Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 12.12.2003
Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
7348 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003
(A) (C)
(B) (D)
den Alleingang entschieden. Sei’s drum – wir haben ja
noch Zeit, um Überzeugungsarbeit zu leisten.
Im Rahmen der Formulierung Ihres Antrages haben
Sie sich intensiv mit dem Thema „Surfen“ beschäftigt.
Von daher würde ich Ihnen gerne vorschlagen, doch ein-
mal in den eigenen Gewässern zu surfen. Denn auf der
Internetseite des Deutschen Bundestages könnten Sie
dann zum Beispiel unseren Antrag zum UN-Weltgipfel
zur Informationsgesellschaft finden. Leider haben Sie
diesen vollkommen ignoriert. Wesentliche Punkte daraus
bleiben in Ihrem Antrag unerwähnt; freundlicherweise
haben Sie unserem Antrag aber im Ausschuss wenigs-
tens zugestimmt.
Auch unser eingangs erwähntes Jugendschutzgesetz
scheint von Ihnen noch nicht zur Kenntnis genommen
worden zu sein. Die in Ihrem Antrag enthaltenen Forde-
rungen sind zwar im Großen und Ganzen unterstützens-
wert, allerdings vergessen Sie völlig und Sie erwähnen
es nicht mit einem Satz, dass die neue Rechtslage im Ju-
gendschutz bereits zu Verbesserungen geführt hat. Statt-
dessen erfolgt Ihrerseits hartnäckige Kritik an den neuen
Instrumenten und Sie erklären diese in der Anfangsphase
bereits als „gescheitert“.
Vergessen Sie bitte nicht, dass das Jugendschutzge-
setz, der damit verbundene Jugendmedienschutzstaats-
vertrag und auch die KJM erst seit April 2003 in Kraft
sind. Bereits jetzt in diesem frühen Stadium die großen
Erfolge zu vermelden zu wollen ist sicherlich verfrüht.
Nichtsdestoweniger bleibt festzustellen, dass sich die an-
fänglich sehr in die Kritik geratene KJM in den ersten
Monaten ihres Wirkens fast ausschließlich auf das Inter-
net konzentriert und sich auch trotz der Anfangsschwie-
rigkeiten gut freigeschwommen hat. Von daher ist der
eingeschlagene Weg mit unserem Jugendschutzgesetz
und auch mit dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag der
richtige Weg.
Mit dem Jugendschutzgesetz haben wir unter ande-
rem die jugendschutzrechtliche Zusammenfassung von
Telediensten und Mediendiensten unter dem Begriff
„Telemedien“, eine Alterskennzeichnungspflicht für
Computerspiele und eine erneuerte, nun differenzierte
Liste jugendgefährdender Medien eingeführt.
Der Jugendmedienschutzstaatsvertrag sah zusätzlich
zur KJM die Einbindung und Stärkung der Selbstkon-
trolleinrichtungen sowie die Möglichkeiten technischer
Zugangskontrollen vor. Natürlich weiß ich, dass diese
Einschätzung nicht von allen Fraktionen hier im Hohen
Haus geteilt wird. Aber wir haben auch mit der Neuver-
teilung der Bund-Länder-Kompetenzen im Jugend-
schutzgesetz und der zentralen Kommission für den Ju-
gendmedienschutz Neuland betreten und werden nach
fünf Jahren evaluieren, wie praxistauglich das neue Sys-
tem ist. Aber bis dahin sollten wir diesem eine Chance
geben, seine Funktionstüchtigkeit unter Beweis zu stel-
len.
Dass das Jugendmedienschutzgesetz in Ihrem Antrag
fehlt, ist doppelt schade, weil wir uns ja durchaus einig
darüber sind, dass es eine überaus wichtige Aufgabe ist,
Jugendliche vor gefährdenden Internetinhalten zu schüt-
zen, ohne sie dabei vom Internet abzuschotten. Filtern ist
auch für uns die bessere Alternative zum Sperren. Von
daher können wir die im FDP-Antrag enthaltene Kritik
zu den Sperrungsverfügungen der Düsseldorfer Bezirks-
regierung sicherlich in Teilen nachvollziehen.
Es ist auch kein Geheimnis, dass die Koalitionsfrak-
tionen im Deutschen Bundestag wiederholt in mehreren
Anträgen – zum Beispiel zur Medienordnung oder zur
digitalen Spaltung (DNS) – Sperrungsverfügungen ge-
gen Zugangsvermittler als ineffektiven nationalen Son-
derweg kritisiert haben. Dazu stehen wir auch nach wie
vor. Denn die Sperrungsverfügungen belasten die Unter-
nehmen in einem erheblichen Maße. Sie sind weder
zweckmäßig noch durch ihre Effektivität gerechtfertigt.
Wir stehen den Sperrungsverfügungen aber auch
skeptisch wegen ihrer technischen Ineffektivität gegen-
über, vor allem aber auch aufgrund ihrer politischen
Fehlleitung. Aber wir sind ja Optimisten. Somit könnte
man bei aller Kritik vielleicht noch ein Auge zu drücken,
wenn sich die Sperrfügungen in der Praxis problemlos
umsetzen ließen und zum Ziel führen würden. Aber auch
hier: Fehlanzeige!
Eine empirische Untersuchung der Universität Bonn
hat ergeben, dass die praktische Umsetzung der Verfü-
gungen extrem uneinheitlich, fehlerhaft, datenschutz-
rechtlich bedenklich und für den Nutzer irreführend er-
folgt. Die Unternehmen waren ganz einfach unsicher,
wie sie die Verfügung tatsächlich umzusetzen hatten.
Dies zeigt das Beispiel, dass 100 Prozent der betroffenen
Provider zwar mehr Inhalte als verlangt filterten, aber
43 Prozent die verlangten Inhalte nicht vollständig er-
fassten. Das heißt, hier wurden aus Vorsicht, aber auch
aus Unkenntnis und Unsicherheit Seiten gesperrt, bei de-
nen es laut Verfügung nicht erforderlich gewesen wäre.
Im Gegenzug ist es aber nicht gelungen, die Seiten, de-
ren Sperrung verfügt wurde, vollständig unzugänglich
zu gestalten. Von daher war es möglich, dass auf immer-
hin noch 43 Prozent der sperrverfügten und betroffenen
Inhalte nach wie vor zugegriffen werden konnte. Ein
klassisches Beispiel für die Überschrift „Thema ver-
fehlt“.
Damit aber kein falscher Zungenschlag in die Diskus-
sion kommt, lassen Sie mich klarstellen: Wir wehren uns
ausdrücklich gegen Gewalt oder illegale und jugendge-
fährdende Inhalte im World Wide Web. Wir wollen und
müssen diese Inhalte und die unerlaubten Zugriffe ver-
hindern oder, wenn uns dieses nicht gelingt, versuchen,
sie zu erschweren. Aber wir haben unsere, wie ich
meine, berechtigten Zweifel, ob dieses Ziel durch Sper-
rungsverfügungen effektiv und verhältnismäßig erreicht
werden kann.
Sich nun aber im Gegenzug ausschließlich auf „Fil-
tern statt Sperren“ zu konzentrieren, würde uns in der
Diskussion über den Schutz der Jugendlichen vor illega-
len und jugendgefährdenden Internetinhalten nicht wei-
terbringen. Denn Sie wissen doch genauso gut wie wir,
dass es zum jetzigen Zeitpunkt keine technische Lösung
gibt, die so funktioniert, dass wir laut „Hurra“ schreien
würden. Wenn Sie uns eine präsentieren, sind wir die
Ersten, die Ihren Antrag unterstützen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003 7349
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Von daher empfinden wir es schon als etwas befremd-
lich, dass die Internet Content Rating Association in Ih-
rem Antrag in den Himmel gelobt wird, ohne auch nur
im Geringsten auf die – Sie können diese doch wirklich
nicht verschweigen – Schwächen von ICRA hinzuwei-
sen. Es gehört zu einem realistischen und ernst zu neh-
menden Antrag dazu, dass man das Pro und Kontra dar-
stellt. Dies haben Sie leider versäumt. Oder glauben Sie
tatsächlich: Wir führen ICRA ein und alles wird gut? Ist
es nicht eher realistischer, wenn wir uns eingestehen,
dass wir nach wie vor einerseits mit einer sehr geringen
Verbreitung der Programme zu kämpfen haben und an-
dererseits auf das Self-Rating, also auf die Kooperation
der Anbieter zur Kennzeichnung der eigenen Angebote
angewiesen sind?
Wenn Sie nun an dieser Stelle das Fremdrating als Al-
ternative aus dem Hut zaubern, erscheint uns dies auf-
grund des enormen Angebotswachstums im Internet
kaum erfolgversprechend. Das Einzige, was in diesem
Bereich einen Fortschritt darstellen würde, wäre eine
international durchsetzbare Anbieterkennzeichnungs-
pflicht. Aber auch diese ist, aufgrund der unterschiedli-
chen Wertvorstellungen und Rechtsordnungen, noch in
weiter Ferne. Von daher ist es sicher richtig – auch die
KJM bezieht diese Position –, ICRA zunächst weiterzu-
entwickeln und weiter zu fördern. Aber es ist auch rich-
tig und wichtig, die rosarote Brille abzusetzen und sich
von dem Motto „Alles wird gut“ zu verabschieden. Denn
ICRA stellt alleine noch keine hinreichende Lösung für
die neuen Herausforderungen des Jugendschutzes dar.
Es tut mir ja sehr leid, aber ich muss noch ein biss-
chen Wasser in den Wein gießen, denn auch bei Ihren
Ausführungen zur effektiven Selbstkontrolle blenden Sie
zwei wichtige Aspekte aus. Zum einen erwähnen Sie an
keiner Stelle die Stärkung und vor allem die konzeptio-
nelle Einbindung von Selbstkontrolleinrichtungen im Ju-
gendmedienschutzstaatsvertrag. Schade, denn dort sind
bereits erste Fortschritte zu verzeichnen. Zum anderen
setzt die Einbindung privater Einrichtungen zur Erfül-
lung hoheitlicher Aufgaben – Jugendschutz ist eine ho-
heitliche Aufgabe – die Gewährleistung eines hinrei-
chenden Leistungs- oder Schutzniveaus voraus.
Selbstkontrolle wird von daher in neueren Ansätzen
zumeist zweistufig organisiert, indem die private Selbst-
regulierung auf staatliche Rahmenvorgaben aufsetzt.
Das Was wird als Mindestmaßstab staatlich gesetzt und
über das Wie entscheiden die Selbstkontrolleinrichtun-
gen autonom. Diese „regulierte Selbstregulierung“
diente bereits für das Jugendschutzgesetz und den Ju-
gendmedienschutzstaatsvertrag als konzeptionelles Vor-
bild. Eine frei schwebende Selbstkontrolle ohne flankie-
rende gesetzliche Maßnahmen würde hingegen keinerlei
Druck gegenüber ihren Mitgliedern erzeugen. Von daher
ist die „regulierte Selbstregulierung“ die richtige Ent-
scheidung und gehört unseres Erachtens auch in den An-
trag aufgenommen.
Gerade im Zusammenhang mit einem Antrag, der
sich mit dem World Wide Web auseinander setzt, hätten
wir uns noch einige Aussagen zur Notwendigkeit einer
gemeinsamen internationalen Perspektive versprochen.
Denn schon europaweit stellen uns die Rechtsunter-
schiede, etwa hinsichtlich der Kriterien für jugendge-
fährdende Inhalte bzw. hinsichtlich der Beurteilung
rechtsextremistischer Inhalte, vor scheinbar unlösbare
Aufgaben.
Beim Internet haben wir es mit einem globalen und
dezentralen Medium zu tun. Eine internationale Perspek-
tive ist von daher erforderlich, in deren Rahmen ein-
heitliche Mindeststandards vereinbart und effektive
Durchsetzungsinstrumente zum Zwecke eines Jugend-
medienschutzes geschaffen werden. Hier sind internatio-
nale Lösungen nötig. Internationale Verpflichtungen
müssen dazu beitragen, einen wirksamen Kinder- und
Jugendmedienschutz rechtlich und technisch auch bei
Anbietern von Netzinhalten zu verwirklichen.
Nur wenn wir gemeinsam auf internationaler Ebene
nach Lösungen suchen, damit Rassismus und Gewalt-
verherrlichung im Internet verhindert werden können,
werden wir erfolgreich damit sein. Wir könnten uns
vorstellen, dass zumindest ein Aspekt bei solchen inter-
nationalen Vereinbarungen die bereits erwähnte Pflicht
zur automatisiert verarbeitbaren Kennzeichnung aller In-
halte und Dienste durch die jeweiligen Anbieter sein
könnte. Weitergehende Überlegungen dazu haben wir in
unserem Antrag zum UN-Weltgipfel zur Informations-
gesellschaft formuliert.
Wir laden Sie von der Opposition gerne ein, sich in
den weiteren Antragsberatungen mit diesen zukunfts-
weisenden Forderungen aus dem Antrag der Koalitions-
fraktionen zu beschäftigen.
Eines möchte ich – gerade als Familien- und Jugend-
politikerin – festhalten und betonen: Unabhängig von
Filtern oder Sperren, ICRA oder Sperrverfügungen und
Selbstkontrollen müssen wir unser Augenmerk auf einen
Bereich lenken, dem insbesondere im neuen Jugend-
schutzgesetz eine herausragende Bedeutung zukommt:
der Medienkompetenz der Jugendlichen, aber auch der
Medienkompetenz der Erwachsenen. Miteinander spre-
chen ist besser als Filtern oder Sperren. Aber leider
funktioniert das nicht immer so, wie wir uns das wün-
schen.
Oftmals ist es ja so, dass der Nachwuchs den Rechner
beherrscht und die Eltern das Nutzerverhalten ihrer Kin-
der nicht kennen und auch gar keine Möglichkeit haben,
dieses zu kontrollieren. Auch bei der Anwendung von
Filterprogrammen sollten sich die Eltern nicht in Sicher-
heit wiegen. Dieses Gefühl könnte trügerisch sein. Von
daher gilt es, Eltern zu sensibilisieren, zu informieren, zu
schulen und ihnen die Realität im World Wide Web zu
erklären.
Eine Studie in Norwegen, Schweden, Dänemark, Is-
land und Irland zeigt, dass Eltern ein sehr ungenaues
Bild davon haben, was ihre Kinder im Netz anstellen.
22 Prozent der befragten 3 200 Eltern gingen davon aus,
dass ihre Kinder nie im Netz sind. Weit gefehlt. Denn
nur 3 Prozent der 4 700 Kinder bestätigten dies. 8 Pro-
zent, also immerhin 376 Kinder, gaben an, sich auch por-
nographische Seiten anzusehen. Ihre Eltern haben dieses
nicht für möglich gehalten. Niemand von den Müttern
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oder Vätern hat an diese Nutzungsvariante durch ihr
Kind auch nur einen Gedanken verschwendet.
Hier klafft eine riesige Lücke zwischen Realität und
Annahme. Warum? Es fehlt am Dialog zwischen den El-
tern und Kindern. Deshalb gilt: Wir müssen mit unseren
Kindern sprechen, sie sensibilisieren für die Möglichkei-
ten, die der Umgang im Internet – sowohl im positiven
als auch im negativen Sinne – für sie bietet.
Kinder und Jugendliche wollen und sie sollen online
sein. Daher muss unser Ansatz die Aufklärung, die Befä-
higung zum Selbstschutz, kurz: die Medienkompetenz
sein. Deshalb haben wir die Stärkung der Medienkompe-
tenz bereits zum Schwerpunkt unserer medien- und ju-
gendpolitischen Arbeit gemacht. So unterstützt und initi-
iert die Bundesregierung zahlreiche Projekte in diesem
Bereich – von Schulen ans Netz über Internet für alle,
Jugendarbeit ans Netz bis hin zu Mediageneration. Da-
mit geben wir allen Jugendlichen eine Chance, den ver-
antwortlichen Umgang mit neuen Medien zu lernen. Al-
les andere, ob Filter oder Sperrverfügung, ICRA oder
regulierte Selbstregulierung, sind ergänzende Maßnah-
men.
Antje Blumenthal (CDU/CSU): Das Internet bietet
Kindern und Jugendlichen eine Fülle von Anregungen,
Ideen und Informationsangeboten, die ihre geistige und
soziale Entwicklung fördern. Daneben existiert eine
ganze Reihe von spannenden Angeboten, die Jugendli-
che zur Freizeitgestaltung nutzen. Beispielsweise Spiele,
Chatrooms und Seiten mit interaktiven Angeboten. Und
es sind auch genau diese Angebote, die von der überwie-
genden Mehrheit jugendlicher Internetnutzer in An-
spruch genommen werden. Darüber hinaus erleichtert
das Internet den Austausch von Gedanken und Ansich-
ten, vermittelt Kontakt unter Gleichgesinnten und er-
möglicht den Zugang zu einem weltumspannenden
Kommunikationsnetzwerk. Auf diese Art dient es dem
interkulturellen Austausch und fördert das Verständnis
für fremde Kulturen. Es ist nicht verwunderlich und
auch überaus wünschenswert, dass immer mehr Kinder
und Jugendliche – nach der ARD/ZDF-Studie aus dem
vergangenen Jahr immerhin 77 Prozent – regelmäßig on-
line sind.
Aber wie es nun mal so ist, hat auch diese Medaille
zwei Seiten: Neben den positiven Aspekten hat das In-
ternet auch etliche problematische, gefährliche und ille-
gale Angebote, die für Kinder und Jugendliche oft ein
hohes und kaum einzuschätzendes Risiko darstellen und
die den Jugendmedienschutz vor völlig neue und bislang
kaum gelöste Herausforderungen stellen. Wo die her-
kömmlichen Medien als Gegenstände noch greifbar
sind, unter Umständen weggesperrt oder notfalls maku-
liert werden können, da entziehen sich die neuen elektro-
nisch verbreiteten Medien weitgehend einem solchen
Zugriff. Bisher eingesetzte Mittel der nachträglichen
Prüfung oder Vertriebsbeschränkung erweisen sich bei
diesen neuen Medien – insbesondere beim Internet – als
nahezu wirkungslos. Es sind vor allem die Schnelllebig-
keit und der grenzüberschreitende Charakter des Medi-
ums, die die Risiken nur bedingt durch staatliche Maß-
nahmen, wie zum Beispiel neue Gesetze, vermeidbar
machen.
Das Problem liegt also auf der Hand: Die vermehrte
Nutzung des Internet durch Jugendliche und der dadurch
erleichterte Zugang zu jugendgefährdenden und auch
illegalen Inhalten stehen im Kontrast zum positiven und
erwünschten Potenzial des Internet. Diese Situation for-
dert neue Konzepte vom Jugendschutz und keinen Auf-
guss alter rot-grüner Maßnahmen, die vielleicht bei her-
kömmlichen Medien greifen, aber angesichts der
Besonderheiten des Netzes völlig fehl am Platze sind.
Aus internationaler Perspektive führen kulturelle Dif-
ferenzen, unterschiedliche Rechtssysteme und -auffas-
sungen sowie divergierende Verständnisse von Jugend-
schutz zu massiven Unterschieden in der Einschätzung
bestimmter Inhalte. So können deutsche Jugendliche auf
Webseiten aus dem Ausland zugreifen, die hierzulande
nicht nur als jugendgefährdend, sondern womöglich
auch als illegal eingestuft werden – beispielsweise mit
volksverhetzendem Inhalt –, hingegen im Ursprungsland
völlig legal sind.
Diese Konstellation birgt natürlich Interessenkon-
flikte vor allem zwischen drei Parteien, nämlich dem
Staat, der durch den Jugendschutzauftrag verpflichtet ist,
geeignete Maßnahmen zum Schutz der Jugend zu tref-
fen; zwischen den Nutzern von Internetangeboten bzw.
deren Erziehungsberechtigten, die den Wunsch nach Ju-
gendschutz äußern, gleichzeitig aber den Zugang für Er-
wachsene nicht eingeschränkt sehen wollen, und
schließlich zwischen den Anbietern, die Internetange-
bote den berechtigten Zielgruppen uneingeschränkt zu-
gängig machen möchten, aber an einer Klärung der Ver-
antwortlichkeiten sowie an Rechtssicherheit interessiert
sind.
Um diesen Besonderheiten und der damit verbunde-
nen Gefahrenlage im Hinblick auf Kinder und Jugendli-
che gerecht zu werden, wird zwischen den verschiede-
nen Beteiligten im Internet nach dem System gestufter
Verantwortlichkeit unterschieden, wie es im Deutschen
Teledienstegesetz, im Mehrwertdienste-Staatsvertrag
und auch im europäischen Recht festgeschrieben ist.
Dieses differenzierte Unterscheidungssystem von Ver-
antwortlichkeit zwischen Content Provider, Host Provi-
der und Access Provider impliziert auch eine Verant-
wortbarkeits-Hierarchie, bei der zuallererst diejenigen
zur Rechenschaft gezogen werden, die jugendgefähr-
dende oder illegale Inhalte bereitstellen. Erst danach
sind die Anbieter von Speicherplatz für problematische
Inhalte sowie Zugangsprovider zum Internet in die Ver-
antwortung zu nehmen – so sieht es im Übrigen auch der
Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vor.
In vielen Fällen sieht die Realität allerdings so aus,
dass die Anbieter illegaler oder jugendgefährdender In-
halte – also die Content Provider – nicht im Inland an-
sässig sind und deshalb erstens nicht unter die bundes-
deutsche Gerichtsbarkeit fallen und strafrechtlich
verfolgt werden können und zweitens nicht zur Aufgabe
ihres Angebots gezwungen werden können. Die Rege-
lungen im Mediendienste- und im Jugendmedienschutz-
Staatsvertrag sehen vor, dass nur dann, wenn Maßnah-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003 7351
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men gegen den Anbieter von Inhalten keinen Erfolg ver-
sprechen, die Zugangsvermittler in die Pflicht genom-
men werden können.
Angesichts dieser Interessenlage und den nationalen
Differenzen in der Rechtssprechung ist es überaus sinn-
voll, über flankierende Schutzmöglichkeiten zu den
rechtlichen Rahmenbedingungen nachzudenken und Al-
ternativen zu entwickeln, die auch die Möglichkeit bie-
ten, Kinder und Jugendliche vor Inhalten ausländischer
Anbieter zu schützen.
Hier bestehen grundsätzlich mehrere Möglichkeiten:
Zum einen sind dies Maßnahmen, die sich auf den
nicht technischen Bereich beziehen, wie etwa die Stär-
kung von Medienkompetenz, die Sensibilisierung der
Eltern und die soziale Ächtung der Benutzung illegaler
Angebote. Wir sind der Ansicht, dass dies keine Entwe-
der-oder-Option, sondern ein Bereich ist, der in jedem
Fall, das heißt völlig unabhängig vom Einsatz techni-
scher Mittel, zu erfolgen hat!
Zweitens besteht die Möglichkeit, den technischen
Zugang zu illegalen oder jugendgefährdenden Angebo-
ten zu sperren, indem man die Zugangsprovider ver-
pflichtet, deutsche Benutzer vom Zugriff auf diese An-
gebote auszuschließen.
Die dritte Möglichkeit besteht darin, Kontroll- und
Selbstkontrollsysteme ähnlich dem FSK in der Film-
branche einzuführen, sodass die Content Provider ihre
Inhalte klassifizieren und Anwender nach Bedarf filtern
können. Flankierend sind außerdem staatliche Maßnah-
men für den Aufbau und die Regulierung eines Klassifi-
kationssystems denkbar.
Lassen Sie mich auf die beiden letzten Punkte im De-
tail eingehen, da sich genau hier die Geister scheiden,
wie ein geeigneter Jugendschutz im Internet erreicht
werden kann:
Der erste Punkt. Eine Sperrung von bestimmten In-
halten, wie sie in der Vergangenheit beispielsweise von
der Düsseldorfer Bezirksregierung verfügt wurde, so-
dass man die Zugangsanbieter verpflichtet, Benutzer
vom Zugriff auf diese Angebote auszuschließen, ist aus
unserer Sicht in vielerlei Hinsicht hoch problematisch:
Zum einen müsste das weltweite Internet ständig nach
strafbaren oder jugendgefährdenden Inhalten durchsucht
werden, um dem Anspruch auf Vollständigkeit gerecht zu
werden. Bei weit über 3 Milliarden Seiten kann dieser
Anspruch nicht seriös verfolgt werden. Zum anderen
müsste jede dieser Seiten nicht nur gefunden, sondern
auch noch individuell durch ein Gericht überprüft wer-
den, damit keine willkürliche Zensurmaßnahme des Staa-
tes oder des Netzzugangsanbieters vorliegt. Die Einrich-
tung und Wartung solcher Sperren verursachen
erhebliche Kosten bei den Zugangsanbietern und im Hin-
blick auf jugendgefährdende Inhalte ist eine differen-
zierte Sperrung nicht möglich, sodass auch erwachsene
Nutzer vom Zugriff auf die Inhalte ausgeschlossen wer-
den – es kommt notwendigerweise zu Freiheitseingriffen.
Schließlich bestehen darüber hinaus auch offensichtli-
che technische Probleme, die die Ausfallsicherheit der
technischen Infrastruktur des Internet gefährden.
Darüber hinaus hält es das Europäische Parlament für
außerordentlich bedenklich, durch netzseitige Filtertech-
nologien die technische Möglichkeit zur Unterdrückung
unerwünschter Meinungen zu schaffen.
Der Fall des französischen Yahoo-Portals im Jahr
2000 zeigt die geringen Erfolgsaussichten von Sperrun-
gen bestimmter Seiten ganz deutlich. Kategorische Sper-
rungen von bestimmten Internetangeboten entsprechen
nicht unserer Vorstellung von verantwortungsbewusstem
Jugendschutz. Solche Maßnahmen führen zu einer nicht
mehr überschaubaren Regulationsdichte und hemmen ei-
genverantwortliches Handeln viel mehr, als dass sie es
fördern.
Der zweite Punkt. Die Möglichkeit, Kinder und Ju-
gendliche im Internet zu schützen, die bei weitem die
größte Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist die Filtertech-
nologie, die nach einem festgelegten Kriterienkatalog
problematische, jugendgefährdende und illegale Inter-
netangebote herausfiltern soll. Auch bei der Filtertech-
nologie existieren Verfahren, die dem Benutzer unter-
schiedliche Freiheitsgrade einräumen, beispielsweise
Filter beim Zugangsanbieter, auf den Servern von Insti-
tutionen oder auf dem heimischen Rechner. Unserer An-
sicht nach sind vor allem diejenigen Filter sinnvoll, die
auf freiwilliger und eigenverantwortlicher Basis instal-
liert werden können, und so ein Maximum an Flexibilität
gewährleisten.
Die Filtertechnologie ist im Gegensatz zur Sperrung
bei weitem die bessere Methode, um Kinder und Jugend-
liche von gefährlichen Internetinhalten fernzuhalten.
Aber über eines sollten wir uns auch bei diesem Antrag
eindeutig im Klaren sein: Auch Filter sind kein Allheil-
mittel. Filtersoftware – ganz gleich, ob aufseiten der Zu-
gangsanbieter oder der Benutzer – ist auch heute noch
keine technisch ausgereifte Lösung. Nach wie vor gilt
die Einschätzung der vom Bundeswirtschaftsministe-
rium 1999 in Auftrag gegebenen Studie „Internet und Ju-
gendschutz“.
Ich zitiere:
„Technische Lösungen zur Filterung bieten bisher
keinen adäquaten Schutz und können prinzipiell keinen
adäquaten Schutz bieten. Verfügbare Filterprogramme
zeigen wenig Treffsicherheit und sind leicht zu manipu-
lieren.“
Dazu passt auch, dass der mit vielen Vorschusslorbee-
ren bedachte und von der EU-Kommission unterstützte
ICRA-Filter – dessen Einsatz im Antrag der FDP emp-
fohlen wird – in einer Studie von „jugendschutz.net“ als
„intransparent“ bewertet wird und ihm „technische
Mängel“ attestiert werden. Eine neue ICRA-Version,
ICRAplus, verspricht zwar eine bessere Filterwirkung,
verabschiedet sich aber aufgrund von Filterangeboten
Dritter vom Konzept der benutzerautonomen und frei-
willigen Filterung.
7352 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003
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Filter sind trotz aller technischer Mängel sicherlich
die bessere Alternative zum Sperren von Internetseiten.
Aber sie genügen bei weitem noch nicht unseren Vorstel-
lungen eines adäquaten und sicheren Jugendschutzes.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, endlich ge-
eignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz von
Filtertechnologie sinnvoll zu flankieren, etwa gemein-
sam mit den Ländern die Entwicklung einer Filtersoft-
ware zu forcieren und sich an den Aktivitäten von
„jugendschutz.net“ als länderübergreifender Stelle der
Landesjustizbehörden finanziell stärker zu beteiligen.
Dabei sollte stets die Information der Eltern an erster
Stelle stehen, denn keine Technologie ist perfekt. So-
lange Eltern sich nicht mit den Interessen und vor allem
den Internetsitzungen ihrer Kinder beschäftigen, nützen
Filterprogramme wenig. Gesetze und Filter nützen nur
dann, wenn wir auch gleichzeitig die Medienkompetenz
von Eltern und Jugendlichen fördern.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
„Schutz vor illegalen und jugendgefährdenden Internet-
inhalten – filtern statt sperren“, das ist grundsätzlich ein
schöner Titel für einen Antrag; „schön“ sage ich deshalb,
weil ich grundsätzlich die Intention des Antrages teile,
aber „filtern“ muss nicht unbedingt besser sein als „sper-
ren“. Es kommt auf die Methoden an, die man einsetzt,
und natürlich kommen wir damit auch ganz schnell zu
einer Grundsatzfrage: Welche Kontrollmöglichkeiten
haben wir im weltumspannenden Internet überhaupt.
Sperren und filtern von Internetseiten, das ist ein
heikles Thema. Der FDP-Antrag spielt unverhohlen auf
Versuche der Bezirksregierung Düsseldorf unter ihrem
Präsidenten Büssow an, rechtsradikale Internetseiten aus
dem Ausland mittels so genannter Sperrverfügungen
durch nordrhein-westfälische Provider aus Teilen des
Netzes zu verbannen. Ich will mich hier nur kurz zu die-
sem Fall äußern: So lobenswert auch der Kampf gegen
Rechtsradikalismus ist, hat gerade der „Fall Büssow“ ge-
zeigt, wie leicht man auf die Gesetzmäßigkeiten des Net-
zes hereinfallen kann. Aufwand und Ertrag stehen hier in
keinerlei Verhältnis: Manche Provider haben gesperrt,
andere nicht, einige haben geklagt, andere nicht, findige
User tricksen die Sperrmaßnahmen in Sekunden aus,
kurzum: Das war nichts, Herr Büssow! Mit simplen
technischen Maßnahmen und fragwürdigen Verfügungen
bekommen wir illegale und jugendgefährdende Inhalte
im Internet nicht in den Griff. Intelligentere Lösungen
sind gefragt. Und grundsätzlich gilt ja bereits, dass alles,
was in der „Offline-Welt“ verboten ist, auch im Netz ge-
nauso wenig erlaubt ist.
Wir Grünen haben uns immer für internationale Ab-
kommen in Sachen Jugendschutz oder rechtsradikaler
Propaganda ausgesprochen, denn ein globales Medium
kann letztendlich auch nur global kontrolliert werden.
Nichtsdestotrotz dürfen wir natürlich nicht die Augen
vor dem verschließen, was im Netz passiert.
Der Gesetzgeber in Deutschland hat entsprechend
reagiert: Mit dem neuen Jugendschutzgesetz und dem
entsprechenden Staatsvertrag wurde die „Kommission
für Jugendmedienschutz“ – kurz KJM – eingerichtet.
Die Kommission hat die Aufgabe übertragen bekom-
men, gemeinsam mit den Selbstkontrolleinrichtungen
der Wirtschaft den Jugendschutz auch bei Online-Me-
dien sicherzustellen. Die KJM hat bereits in einer Pres-
semitteilung vom 14. November angekündigt, gegen un-
zulässige Internetangebote vorgehen zu wollen.
Außerdem evaluiert sie Verfahren, mit denen der Ju-
gendschutz im Internet sichergestellt werden soll, darun-
ter auch die Entwicklung von Filterprogrammen.
Wir haben immer die Überzeugung vertreten, dass
nur so genannte teilnehmerautonome Filterprogramme
erfolgreich sein können: Wenn Eltern ihre Kinder vor
bestimmten Inhalten schützen wollen, müssen wir ihnen
die besten Instrumente in die Hand geben, um Kinder
bestimmte Seiten nicht anschauen zu lassen. Gleiches
gilt aber beispielsweise für unser Bildungssystem: Wenn
Unis oder Forschungseinrichtungen zu Rechtsradikalis-
mus – auch mithilfe des Netzes – recherchieren wollen,
brauchen auch sie die besten Suchinstrumente und keine
gesperrten oder unzugänglichen Seiten.
Mit der zunehmenden Verbreitung und Nutzung neuer
digitaler Dienste entstehen permanent neue Fragen zu
den Rahmenbedingungen und Instrumenten eines ein-
heitlichen und effektiven Jugendschutzes in sämtlichen
elektronischen Medien.
Beim Jugendmedienschutz haben wir es sogar mit ei-
ner doppelten Herausforderung zu tun: Zum Problem,
internationale einheitliche und vergleichbare Mindest-
standards zu schaffen und durchzusetzen, kommt noch
das nationale wie internationale Problem der Rechts-
durchsetzung hinzu.
Der europäische Gesetzgeber hat in dieser Frage nach
Abwägung von technischer Machbarkeit und Verhältnis-
mäßigkeit mit der e-Commerce-Richtlinie eine qualitativ
abgestufte Verantwortlichkeit der verschiedenen Inter-
netdienste festgeschrieben. Diese abgestufte Verantwort-
lichkeit – insbesondere bei der Providerhaftung – haben
wir dann im Teledienstegesetz und Mediendienstestaats-
vertrag auch so umgesetzt. Wir halten diese Vorgehens-
weise für angemessen und effektiv: Das Netz wird in sei-
ner Komplexheit verstanden und beurteilt.
„Holzhammerlösungen“ wie „Seiten blockieren“ oder
„Eben mal vom Netz nehmen“, funktionieren eben nicht
so einfach, und die Uhr kann man im Internet auch nicht
stellen: Nachmittags Kinderprogramm und ab 23 Uhr In-
ternetseiten für Erwachsene, wie es einige gerne hätten,
geht nicht.
Also noch einmal ganz deutlich: Das Internet kennt
keine Uhrzeiten, höchstens rund um die Uhr die gleiche.
Mit dem von uns favorisierten und umgesetzten Mo-
dell einer „regulierten Selbstregulierung“ – also Eigen-
kontrolle als einvernehmliche Maßnahme in Verbindung
mit einer staatlichen Aufsicht, die nur dann einschreitet,
wenn anders keine Lösung zu finden ist – haben wir die
Grundlage für eine angemessene und effektive Medien-
kontrolle geschaffen. Damit sind wir bestens für die
Auseinandersetzung mit illegalen und jugendgefährden-
den Internetinhalten gerüstet, ohne die Illusion eines
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003 7353
(A) (C)
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„sauberen“ Netzes zu erzeugen. Dafür hätte es keinen
Antrag der FDP gebraucht.
Aber es handelt sich schließlich um ein wichtiges
Thema und ich möchte an dieser Stelle abschließend be-
tonen: Einen hundertprozentigen Schutz vor dem, was
uns und andere zu Recht stört, werden wir im Internet
nicht erreichen können, nicht mal zu einem Preis, der un-
ser Informationsangebot so einschränken würde, dass
man nicht mehr von einem freien Netz sprechen könnte.
Wir müssen vielfältige Mittel und Wege zur Bekämp-
fung rechtsradikaler Propaganda und Diskriminierungen
aller Art entwickeln. Pauschale Filtersysteme jedoch
werden die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen kön-
nen. Da müssen wir uns etwas Besseres einfallen lassen.
Anlage 3
Neuabdruck der zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Tagespflege als Bau-
stein zum bedarfsgerechten Kinderbetreuungs-
angebot – Bessere Rahmenbedingungen für
Tagesmütter und -väter, Eltern und Kinder
(82. Sitzung, Tagesordnungspunkt 13)
Ina Lenke (FDP): Nach den Bundestagswahlen 1998
und 2002 versprach die rot-grüne Bundesregierung den
Wählern und Wählerinnen mehr Kinderbetreuung. Bis
heute hat sie das Versprechen nicht umgesetzt.
Um die Bundesregierung aufzufordern, die fatale
Kinderbetreuungssituation in Deutschland zu verbes-
sern, hat die FDP-Bundestagsfraktion schon im Jahr
2001 Antworten zur „Einkommensteuerlichen und ren-
tenversicherungsrechtlichen Situation von Müttern und
Vätern in der Tagespflege“ (Drucksache 14/7725) ver-
langt und in einer Kleinen Anfrage Ende 2002 Antwor-
ten gefordert, wie die „Realisierung einer bedarfsgerech-
ten Betreuungsquote für Kinder unter drei Jahren“
(Drucksache 15/338) aussehen soll. Die Bundesregie-
rung hat bisher kein Gesamtkonzept vorgelegt, nur Ab-
sichtserklärungen.
Die Familienministerin will nun für Kinder unter drei
Jahren 121 000 Krippenplätze, für 142 000 Kinder indi-
viduelle Tagespflegeplätze schaffen. Das ist bisher ein
ungedeckter Scheck. Zeithorizont: Erst bis zum Jahr
2010.
Die Ankündigung, qualifizierte Tagesmütter in das
Gesamtkonzept einzubinden, begrüßt die FDP ausdrück-
lich. Mit einer Tagesmutter können die Eltern flexible
Betreuungszeiten aushandeln, zum Beispiel unabhängig
von Öffnungszeiten staatlicher Kindergärten. Die Kinder
leben in familienähnlichen Strukturen und haben eine
Kontinuität der Bezugsperson. Für viele Eltern und Al-
leinerziehende ist eine qualifizierte Tagesmutter oft die
einzige Lösung. Die FDP will das auch, aber nicht zu
den heutigen schlechten Rahmenbedingungen.
Meines Erachtens hat der Staat in der Tagespflege
ordnungspolitisch versagt. Die Rahmenbedingungen
sind ein Horror. Für die Tagesmütter und -väter heißt es
heute: Vorsicht, Falle! Undurchschaubare Steuer- und
sozialversicherungsrechtliche Regelungen schaffen fi-
nanzielle Unsicherheit.
Deshalb legt die FDP-Bundestagsfraktion heute ein
Zukunftskonzept für die Tagespflege vor. Was sind die
zentralen Ziele der FDP? Wir wollen die Tagespflege als
zweite Säule neben der institutionellen Kinderbetreuung.
Wir wollen die Tagespflege als qualitativ hochwertiges
und gleichrangiges Kinderbetreuungsangebot. Wir wol-
len einheitliche, einfache und unbürokratische rechtliche
Regelungen, für Eltern und Tagesmütter verständlich
und attraktiv. Wir wollen eine Pflicht zur Altersvorsorge
für selbstständige Tagesmütter und die Wahlfreiheit zwi-
schen staatlicher und privater Rentenversicherung.
Wo sind die Defizite? Die Vorschriften im Steuer- und
Sozialversicherungsrecht für eine selbstständige Tages-
mutter oder einen selbstständigen Tagesvater, aber auch
bei einer Arbeitnehmertätigkeit sind undurchschaubar.
Die finanziellen Folgen sind zum Beispiel hohe Nach-
forderungen bei Rentenbeiträgen. Rechtliche Unsicher-
heit verursacht Schwarzarbeit. Die Nachfrage ist größer
als das Angebot an qualifizierten Tagesmüttern. Es gibt
keine umfassende Professionalisierung und bundesweite
Qualitätssicherung.
Wie können Defizite beseitigt werden? Die Tages-
pflege für Kinder unter drei Jahren wird als gleichran-
gige Betreuungsform in die neue öffentliche Förderung
einbezogen. Die Bundesregierung stellt mit den Ländern
und den kommunalen Spitzenverbänden sicher, dass bei
der Umsetzung des Betreuungskonzeptes den Kommu-
nen dauerhaft Finanzmittel zur Verfügung gestellt wer-
den. Die Bundesregierung lässt von Fachleuten aus Wis-
senschaft und Praxis gemeinsame Qualitätsstandards
und bundeseinheitliche Mindestvorgaben für die öffent-
lich geförderte Tagespflege erarbeiten. Die Zahlung des
Jugendamtes oder privater Auftraggeber an Tagesmütter
oder -väter sollen steuerlich gleich behandelt werden.
Wiedereinführung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von
legalen Beschäftigungsverhältnissen im Privathaushalt.
Erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten absetzbar für
Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen als Werbungs-
kosten und für Selbstständige als Betriebsausgaben.
Die Zahl der Tagespflegestellen wird in Deutschland
auf circa 300 000 geschätzt. Wenn wir eine Weiterent-
wicklung der Tagespflege politisch wollen, müssen wir
handeln, und zwar jetzt. Junge Frauen und Männer su-
chen Familie und Beruf zu vereinbaren. Eltern brauchen
eine verlässliche Lebensperspektive von Erwerbstätig-
keit und zuverlässiger Tagesbetreuung.
Für die Beratungen im Familienausschuss schlage ich
jetzt schon eine öffentliche Anhörung dazu vor. Ich freue
mich auf eine produktive und konstruktive Beratung.
Caren Marks (SPD): Die Balance von Familien- und
Erwerbsarbeit gehört zu den vorrangigen familienpoliti-
schen Zielen der Bundesregierung in dieser Legislaturpe-
riode. Die SPD legt dabei den Schwerpunkt auf den Aus-
bau qualitativ hochwertiger, bedarfsdeckender und
zeitlich flexibler Bildungs- und Betreuungseinrichtungen,
7354 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003
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um unserem Ziel einer kinder- und familienfreundlichen
Gesellschaft näher zu kommen. Der bedarfsgerechte
Ausbau der Kinderbetreuung spielt eine herausragende
Rolle, da insbesondere in den westlichen Bundesländern
noch erhebliche Lücken im Betreuungsangebot beste-
hen. In den westlichen Bundesländern liegt der Versor-
gungsgrad bei unter Dreijährigen lediglich bei 2,8 Pro-
zent, in den östlichen bei 36,3 Prozent. Die Zahl der
Kinderbetreuungsplätze für über 6-Jährige verhält sich
mit 5,9 Prozent (alte Bundesländer) und 47,7 Prozent
(neue Bundesländer) nur unerheblich besser.
Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes ist
dieSchaffung und Finanzierung von Angeboten der Ta-
gesbetreuung Aufgabe der kommunalen Gebietskörper-
schaften auf der Grundlage des Achten Buches Sozialge-
setzbuch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) – und
der Kindertagesstättengesetze der Länder. Die Kreise
und Städte werden dabei im Rahmen kommunaler
Selbstverwaltung tätig und unterliegen der Rechtsauf-
sicht der zuständigen Landesbehörden. Der Bund hat nur
begrenzt Möglichkeiten, ihnen Weisungen zu erteilen
oder in sonstiger Weise auf ihre Entscheidungen Einfluss
zu nehmen, dies gilt auchinsbesondere für den schuli-
schen Bereich, der den Kultusministerien der Länder ob-
liegt.
Aber fehlende Zuständigkeit ist für uns kein Grund für
Untätigkeit. Die Regierung beteiligt sich daher am Aus-
bau der Tagesbetreuung durch die Weiterentwicklung der
gesetzlichen Grundlagen im Achten Buch Sozialgesetz-
buch durch Finanzhilfen für Länder und Kommunen so-
wie durch Modellprojekte. So wurde am 12. Mai 2003
die Bund-Länder-Vereinbarung zum Auf- und Ausbau
von Ganztagsschulen unterzeichnet (Investitionspro-
gramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“). Den Län-
dern und Kommunen werden bis 2007 insgesamt 4 Milli-
arden Euro als Finanzhilfe zur Verfügung gestellt.
Wir arbeiten an einem spürbaren Ausbau der Betreu-
ung im Elementarbereich, in erster Linie bei den Kindern
unter drei Jahren. Daher wird die Bundesregierung als
zentrales Projekt in dieser Legislaturperiode das Angebot
in der Tagesbetreuung bedarfsgerecht ausbauen und da-
für eine gesetzliche Regelung schaffen. Ein vielfältiges
und qualifiziertes Angebot ist neben dem Ausbau von Ta-
geseinrichtungen aber ohne eine Erweiterung der Tages-
pflege durch Tagesmütter und Tagesväter nicht zu leisten.
Der FDP-Antrag enthält durchaus richtige Ansätze.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Thema Bildung
und Betreuung auch bei der Opposition angekommen ist.
Der Antrag fokussiert sich allerdings zu einseitig auf die
Tagespflege und übersieht die zahlreichen Maßnahmen,
die die rot-grüne Koalition auf diesem Gebiet bereits ini-
tiiert hat und gleichwertig neben alternativen Kinderbe-
treuungsmöglichkeiten auch in der Zukunft unterstützen
wird. Eltern brauchen eine Vielfalt an Betreuungsmög-
lichkeiten; sie wollen keine Einheitslösung, sondern Al-
ternativen, aus denen sie das für sie passende Angebot
aussuchen können. Eine erste Verbesserung für die Ta-
gespflege wurde so mit der Umsetzung des Hartz-Kon-
zeptes erreicht, in dem Kinderbetreuung in die Liste der
geförderten Tätigkeiten im Bereich haushaltsnaher
Dienstleistungen aufgenommen wurde.
Der Antrag vernachlässigt ebenso, dass die Tages-
pflege in die Zuständigkeit der Kommunen fällt, das
heißt die Einflussmöglichkeiten des Bundes begrenzt
sind. Zur Finanzierung dieser Aufgabe werden den Kom-
munen Einspargewinne verbleiben, die durch die Zusam-
menlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe entste-
hen. Ab 2005 sollen davon 1,5 Milliarden Euro jährlich
für den Betreuungsausbau der unter 3-Jährigen verwen-
det werden. Die rechtlichen Grundlagen der Finanzie-
rung werden in Art. 29 und 30 des Vierten Gesetzes für
moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt geschaffen.
Hier appelliere ich eindringlich an die Opposition, die
Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im
Vermittlungsausschuss nicht scheitern zu lassen.
Hervorzuheben ist, dass eine gute Kinderbetreuung
wirtschaftliche und finanzielle Vorteile für eine Kom-
mune bietet. Gute Bildungs- und Betreuungsangebote
sind Wettbewerbs- bzw. Standortvorteile. Deutschland
liegt bei der Betreuung aller Altersgruppen im interna-
tionalen Vergleich deutlich zurück. Darin begründet sich
auch die international vergleichbar niedrigere Erwerbs-
tätigkeit von Frauen mit Kindern. Betonen möchte ich,
dass dies im Wesentlichen auf die eklatante Vernachläs-
sigung dieses Bereichs durch die damalige CDU/CSU-
FDP-Regierung zurückzuführen ist. 16 Jahre wurde die
gesellschafts-, sozial- und wirtschaftspolitische Bedeu-
tung der qualitativen und quantitativen Kinderbetreuung
in ihrer Regierungszeit ignoriert, meine Damen und Her-
ren von der Opposition.
Der Ausbau der Kinderbetreuung soll ab 2005 schritt-
weise bis 2010 erreicht werden. In Abstimmung mit den
kommunalen Spitzenverbänden wird es keine starre Ver-
sorgungsquote pro Kommune oder Bundesland geben.
Die Bundesregierung strebt Zielvereinbarungen mit den
Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden an, die
einen an Kriterien orientierten bedarfsgerechten Ausbau
qualifizierter Angebote und die Umwidmung frei-
werdender Kindergartenplätze für Kinder unter drei Jah-
ren regelt.
Die Vereinbarungen werden die gesetzliche Regelung
begleiten, die im Achten Buch Sozialgesetzbuch – Kin-
der- und Jugendhilfe (SGB VIII) – aufgenommen wird.
Schon heute gibt es dort – neben dem Rechtsanspruch
auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren –
die Verpflichtung, für Kinder auch anderer Altersgrup-
pen ein bedarfsgerechtes Angebot vorzuhalten (§ 24
Satz 2 SGB VIII). Diese Vorhaltepflicht wird durch die
Beschreibung von Ausbauschritten konkretisiert. Im
Zeithorizont bis 2010 sollen für die in Kommunen ermit-
telten Bedarfe Betreuungsangebote vorhanden sein. Da-
neben wird die gesetzliche Regelung über die Tages-
pflege (§ 23 SGB VIII) mit dem Ziel geändert, die
Fachkräfte der Tagespflege zu qualifizieren und sie zu
einem gleichwertigen Angebot für Kinder unter drei Jah-
ren auszubauen.
Die Tagespflege wird in den nächsten Jahren an Be-
deutung deutlich gewinnen. Das heißt aber auch, dass
sich manche Länder und Kommunen mehr bewegen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003 7355
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müssen als bisher. Wir erwarten, dass die Tagespflege
auf eine sichere gesetzliche Grundlage gestellt wird. Sie-
ben Bundesländer haben die Tagespflege in ihren Aus-
führungsgesetzen zum KJHG berücksichtigt; in neun
Länder ist das noch nicht der Fall. Die Tagespflege muss
ein selbstverständlicher Teil der Jugendhilfeplanung
werden.
Internationale Untersuchungen zeigen, dass die Be-
treuungsqualität deutlich steigt, wenn Tagesmütter regis-
triert sind, einen Austausch mit Kolleginnen haben und
fachlich beraten und betreut werden.
Unsere Regierung unterstützt die Qualitätsentwick-
lung in der Tagespflege durch wissenschaftliche Unter-
suchungen und Projekte. Einen großen Schritt hin zu
einheitlichen Ausbildungsstandards für Tagesmütter und
-väter stellt das neue Curriculum „Qualifizierung in der
Kindertagespflege“ dar, welches vom Deutschen Ju-
gendinstitut im Regierungsauftrag erstellt wurde und
Erkenntnisse aus vielen Wissenschaftszweigen, wie Ent-
wicklungspsychologie über Kleinkindpädagogik berück-
sichtigt. Es wird bereits von vielen Fortbildungsträgern
erfolgreich eingesetzt.
Es verwundert mich jedoch, dass wir gerade von der
FDP einen Antrag zur Tagespflege für eine bedarfsge-
rechte Kinderbetreuung zu beraten haben. In Hamburg,
wo die FDP Regierungsverantwortung im mittlerweile
gescheiterten Mitte-Rechts-Senat hatte, ist sie im Be-
reich Bildung und Betreuung kläglich gescheitert. Der
FDP-Bildungssenator Lange musste auf Grund seiner
mangelnden Kompetenz in der Vermittlung von Kinder-
betreuungsplätzen zurücktreten. Senator Lange stand
seit Monaten wegen des von ihm eingeführten Gut-
scheinsystems für Kindertagesstätten und der Defizite
bei der Finanzierung der Kinderbetreuung in der Kritik.
Lange hinterlässt in seinem Hamburger Bildungsressort
eine Finanzlücke von circa 18 Millionen Euro und Tau-
sende geprellter Eltern, die vergeblich auf eine Betreu-
ung für ihre Kinder gewartet haben.
Das von der SPD initiierte Volksbegehren der Initia-
tive „mehr Zeit für Kinder“ sammelte innerhalb von
14 Tagen knapp 170 000 Unterschriften. Zur Abstim-
mung steht ein neues Kita-Gesetz, für das mindestens
ein Fünftel der Wahlberechtigten von Hamburg votieren
müssen, damit der Volksentscheid erfolgreich wird. Ein
Kernpunkt ist die Ausweitung des Rechtsanspruches für
den Kindergartenbesuch der Drei- bis Sechsjährigen von
vier auf fünf Stunden.
Auf kommunaler Ebene bauen wir seit Herbst 2003
„Lokale Bündnisse für Familien“ auf, die unter Beteili-
gung gesellschaftlich wichtiger Partner, insbesondere
der Wirtschaft, der Gewerkschaften, aber auch sozialer
Verbände, die Rahmenbedingungen für Familien verbes-
sern helfen und unter anderem den Ausbau einer guten
Kinderbetreuung begleiten werden. Ebenso benötigen
wir eine umfassende Weiterentwicklung des Bildungsan-
gebotes, das heißt eine Steigerung der Bildungsqualität
in der frühkindlichen Erziehung. Wir verfolgen eine län-
derübergreifende Verständigung über Bildungsstandards
für Kindertageseinrichtungen und fördern Maßnahmen
zur Erstellung von nationalen Qualitäts- und Bildungs-
standards.
Der Ausbau qualifizierter Betreuungsangebote bedeu-
tet zusammengefasst: bessere Balance von Familien-
und Erwerbsarbeit, mehr Bildung, gemeinsame Verant-
wortung für Erziehung, eine höhere Frauenerwerbstätig-
keit und mehr Wirtschaftskraft. Die SPD-Politik stärkt
die Kooperation und Kommunikation zwischen Bund,
Ländern, Kommunen, Eltern, Kitas, Schulen, Wirtschaft
und sozialen Verbänden, um ein kinder- und familien-
freundlicheres Klima in unserem Land zu schaffen. Die
von uns erfolgreich initiierte „Allianz für die Familie“ ist
gesellschaftlich breit verankert, Familienpolitik ist Zu-
kunftspolitik.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Familienpolitik ist
in aller Munde. Parteiübergreifend wird festgestellt, dass
neben der Familienförderung auch ein entsprechendes
Angebot an Kinderbetreuungsplätzen vorhanden sein
muss. Die Notwendigkeit wird von niemandem bestrit-
ten, der Ausbau der Betreuungsplätze steht oben auf der
Prioritätenliste.
Deutschland gehört im europäischen Vergleich zu den
Ländern, in denen das Betreuungsangebot von Kindern
insgesamt, insbesondere jedoch der unter Dreijährigen,
nur unzureichend vorhanden und ausgebaut ist. Auch ein
deutliches Gefälle zwischen dem Versorgungsgrad der
neuen, Versorgungsgrad 36 Prozent, zu den alten Bun-
desländern, Versorgungsgrad 2,8 Prozent, macht auf das
Problem aufmerksam.
Eine Möglichkeit, zusätzliche Betreuungsplätze zu
gewinnen, besteht durch den Ausbau der Tagespflege als
qualifiziertes Angebot der Erziehung, Bildung und Be-
treuung von Kindern.
Die Tagespflege ist in der Bundesrepublik Deutsch-
land – besonders in den alten Bundesländern – seit vie-
len Jahrzehnten eine bewährte und anerkannte Betreu-
ungsform für Kinder. Sie ist eine familiäre Form der
Kinderbetreuung, welche die elterliche Erziehung er-
gänzt.
In den letzten Jahren gewann die Tagespflege immer
mehr an Bedeutung. Aufgrund der flexiblen Betreuungs-
zeiten trägt sie dazu bei, dass Eltern, insbesondere allein
erziehende Elternteile, Familie und Erwerbstätigkeit
besser miteinander vereinbaren können. Beispiele sind
die Krankenschwestern oder Busfahrerinnen, die – trotz
Krippen-, Kindergarten- oder Hortplatz – aufgrund ihrer
besonderen Arbeitszeiten, – nachts, frühmorgens, am
Wochenende – eine ergänzende Kinderbetreuung brau-
chen. Hier zeigt sich gerade ein besonderer Vorteil der
Tagespflege: die flexible Betreuungszeit.
Für die Eltern des Tagespflegekindes ist diese Betreu-
ungssituation überschaubar und verbindlich. Es gibt in
der Regel nur eine Betreuungsperson, die für die Eltern
Ansprechpartner ist. Sie ist grundsätzlich in der Lage,
auf die Wünsche der Eltern einzugehen, zum Beispiel in
Bezug auf die Erziehung des Kindes und die Betreu-
ungszeiten. Insbesondere bei unregelmäßigen Betreu-
ungszeiten oder einem Betreuungsbedarf außerhalb der
7356 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003
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Öffnungszeiten von Kindertageseinrichtungen sowie bei
gesundheitlicher Beeinträchtigung des Kindes, wenn
zum Beispiel eine besondere Diät oder Pflege nötig ist,
schätzen Eltern die Tagespflege sehr.
Für die Arbeit der Tagespflegepersonen bildet die fle-
xiblere Gestaltungsmöglichkeit der zeitlichen Einteilung
und der pädagogischen Arbeit eine wichtige Rahmenbe-
dingung. Auch die individuellen Ausgestaltungsmög-
lichkeiten, wie zum Beispiel das Treffen bestimmter Er-
ziehungsabsprachen zwischen der Tagesfamilie und den
Eltern, sind Kennzeichen der Arbeitsbedingungen in der
Tagespflege.
Tagespflegepersonen haben den Auftrag, Kinder in
ihrer Entwicklung und Bildung zu fördern. Gerade für
Kinder unter drei Jahren ist nach entwicklungspsycholo-
gischen Erkenntnissen die Erziehung durch eine Tages-
pflegeperson förderlich. Die kontinuierliche Beziehung
durch eine/n Tagesmutter/-vater eröffnet dem Kind mehr
Aufmerksamkeit und Zuwendung nach individuellen Er-
fordernissen. Das Wohl des Kindes sollte immer im Mit-
telpunkt stehen.
Durch Betreuung, Bildung und Erziehung ist die För-
derung der Entwicklung der Tageskinder zu eigenständi-
gen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu leis-
ten. Für die pädagogische Praxis ist es erforderlich, dass
Tagespflegepersonen sich darüber bewusst sind, welches
Bildungsangebot zeitgemäß und für Kinder wichtig ist
und wie sie als Tagesmutter/Tagesvater die Kinder in ih-
ren Bildungsprozessen unterstützen können. Dieser An-
spruch kann nur über die Qualifizierung der Tagespfle-
gepersonen geleistet werden.
Notwendig ist eine Verbesserung der Rahmenbedin-
gungen der Tagespflege insgesamt, speziell wünsche ich
mir erst einmal eine einheitliche Bewertung der Beschäf-
tigungssituation der Tagesmütter. Deshalb freue ich
mich sehr, dass wir heute die Möglichkeit haben, uns in
ersten Lesung mit dem Bereich der Tagespflege zu be-
schäftigen.
Obgleich die Kindertagespflege in § 23 SGB VIII als
gleichrangiges Angebot der Kindertagesbetreuung neben
institutioneilen Angeboten verankert ist und diese zum
Teil auch öffentlich vermittelt und gefördert wird, be-
steht ein großer Teil der Tagespflege aus privat organi-
sierten Betreuungsverhältnissen.
Vor diesem Hintergrund ist die Situation bezüglich
der Mindeststandards in der Tagespflege sowie die Bera-
tung über Tagespflege sowohl für Tagesmütter und -vä-
ter als auch für betroffene Familien teilweise unbefriedi-
gend.
Eine Qualifizierung von Tagespflegepersonen ist bis-
lang nicht obligatorisch, sondern wird lediglich empfoh-
len. Außerdem gelten die Rahmenbedingungen für Ta-
gesmütter und -väter beispielsweise in Bezug auf
Sozialversicherung und Besteuerung in mancher Hin-
sicht als zu kompliziert, uneinheitlich und zu bürokra-
tisch.
Dies ist leider so: Die Situation der Tagespflege ist
durch die bundesweit unterschiedlichen Regelungen in
Bezug auf Qualifizierung, Finanzierung, Fachberatung
und Vermittlung sowohl für die Familien als auch die
Tagespflegepersonen unbefriedigend. Deshalb ist es für
die Tagespflege dringend notwendig, einheitliche Rah-
menbedingungen zu schaffen, die die Tagespflege als
gleichwertige, flexible Form neben den institutionellen
Betreuungseinrichtungen weiter etabliert und stärkt. Da-
rin sind wir uns einig.
Wir sind uns auch einig, dass die geltende Rechtslage
mehr verwirrt als Aufklärung und Rechtssicherheit ver-
mittelt, im Gegenteil. Ist die Tagesmutter selbstständig
tätig oder liegt ein Arbeitsverhältnis vor? Kann sie eine
Ich-AG gründen? Was muss sie beachten: Muss sie eine
zusätzliche Krankenversicherung haben oder reicht die
Familienversicherung? Welche Steuern muss sie worauf
zahlen, was ist steuerfrei? Die Liste ließe sich endlos
verlängern.
Praxisberichte zeigen, dass sehr unterschiedliche
Aussagen zur Sozialversicherungspflicht und zu Steuer-
fragen existieren. Es kann nicht sein, dass Tagesmütter,
je nach Sichtweise und Interpretation des Sachbearbei-
ters der Krankenkasse, Rentenversicherungsanstalt oder
auch des Finanzamtes ganz unterschiedliche Bescheide
erhalten.
Deshalb muss die Regelung des sozial- und steuer-
rechtlichen Status von Tagespflegeeltern grundsätzlich
neu gefasst werden. Die Ungleichbehandlung derjenigen
zum Beispiel, die auf privater Basis, und denen, die im
Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe Tageskinder be-
treuen, sollte aufgehoben werden.
Alle Tagespflegepersonen leisten im öffentlichen In-
teresse eine Dienstleistung. Sie sollten ein leistungsge-
rechtes Entgelt nach Steuern erhalten. Die Höhe der Ent-
gelte muss vergleichbar sein.
Die im Entgelt enthaltenen Beträge zur Sozialversi-
cherung müssen in jedem Fall so hoch sein, dass damit
eine eigenständige Absicherung gewährleistet ist. Es ist
zu klären, inwieweit Beiträge in die gesetzliche Renten-
versicherung oder in eine private Versicherung zu zahlen
sind. Frau Lenke hat in ihrem Antrag sehr ausführlich
auf die unzureichende Rechtslage hingewiesen, sodass
ich an dieser Stelle nur darauf verweisen möchte.
Aber ich möchte im Folgenden auf einige andere
Punkte eingehen, die ebenso einer Regelung bedürfen.
Allerdings möchte ich an dieser Stelle auch deutlich ma-
chen, dass die Neuregelungen nur in Zusammenarbeit
von Bund, Ländern und Kommunen bzw. kommunalen
Spitzenverbänden erfolgen können und müssen, denn
gerade die desolate finanzielle Situation unserer Kom-
munen ist uns bewusst. Deshalb sollten wir auch hier an
dem Konnexitätsprinzip festhalten: Wer bestellt, muss
auch bezahlen!!
Im Folgenden weitere Eckpunkte:
Mindeststandards. Zur Sicherstellung bundeseinheit-
licher Mindeststandards bei den Tagespflegepersonen
wird eine verbindliche Grundqualifizierung empfohlen.
Diese könnte sich beispielsweise an den Empfehlungen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003 7357
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(B) (D)
des DJI oder des Curriculums des Bundesverbandes Ta-
gesmütter orientieren.
Zur Zuverlässigkeit. Um die Zuverlässigkeit des Be-
treuungsangebotes im Sinne einer verbesserten Qualifi-
zierung, Beratung, Vermittlung und Praxisbegleitung zu
gewährleisten, sind die strukturellen Rahmenbedingun-
gen zu schaffen. Dies könnte zum Beispiel in Form von
Tagespflegestützpunkten erfolgen, wie sie in dem in die-
sem Jahr gestarteten bayerischen Modell „Modellprojekt
zur Förderung der qualifizierten Tagespflege“ vorgese-
hen sind. Tagespflegestützpunkte, die mit mindestens ei-
ner sozialpädagogischen Fachkraft und Verwaltungs-
kräften besetzt sind, können entweder am Jugendamt,
aber auch an einem Kindergarten, einer Kinderkrippe
oder einem Mütterzentrum errichtet werden. Sie sollen
die Gewinnung, Qualifizierung und Beratung der Tages-
pflegekräfte sicherstellen sowie die Vermittlung der Ta-
gespflegekräfte übernehmen. Bei Bedarf können sie die
aushilfsweise Mitbetreuung durch eine andere Tages-
mutter organisieren, gegebenenfalls die Kinder im Er-
satzdienst betreuen sowie Verwaltungsaufgaben über-
nehmen.
Zur Begrifflichkeit „Tagespflege“. Gemäß den Emp-
fehlungen des Städtetages Nordrhein-Westfalen sollte in
diesem Zusammenhang über eine neue Begrifflichkeit,
„Tagesbetreuung in Familien“ nachgedacht werden. Der
Begriff „Tagespflege“ beinhaltet mehr die Pflege als die
Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern. Lang-
fristiges Ziel sollte die Anerkennung der Kinderbetreu-
ung in Tagespflege als neues Berufsfeld werden.
Als letzten Punkt möchte ich kurz auf das Thema Eu-
ropa eingehen. Tagespflege ist europaweit eine alternati-
ves und ergänzendes Kinderbetreuungsangebot. Im Rah-
men des Zusammenwachsens der Europäischen Union
sollten daher die Qualitätsmerkmale für die strukturelle
und inhaltlich-fachliche Umsetzung der Kinderbetreu-
ung in Tagespflege in einer EU-Richtlinie verankert wer-
den.
Die Tagesbetreuung von Kindern ist ein entscheiden-
der Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ihre Stärken und Vorzüge sollten weiter ausgebaut und
gefördert werden. Nur so haben Eltern die Wahl zwi-
schen verschiedenen Betreuungsangeboten, die in Quali-
tät und Kosten vergleichbar sind.
Die Bundesministerin hat in den vergangenen Tagen
die große Bedeutung der Tagespflege für den Ausbau der
Kinderbetreuung hervorgehoben und für den Aufbau ei-
nes bedarfsgerechten Betreuungsnetzes und einer besse-
ren Infrastruktur für die Tagespflege plädiert. Ziel müsse
es sein, die Tagespflege zu einem gleichwertigen Ange-
bot für Kinder unter drei Jahren auszubauen. Dem kann
ich nur zustimmen, und bei dieser großen Übereinstim-
mung freue ich mich auf die anstehenden Beratungen.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Schaffung einer hochwertigen und bedarfsgerechten
Kindertagesbetreuung ist eine zentrale Aufgabe für die-
ses Jahrzehnt. Daran führt kein Weg vorbei, und zwar
aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Vorneweg möchte ich jedoch bereits sagen: Die Ta-
gespflege spielt eine wesentliche Rolle bei der Schaf-
fung einer besseren Kinderbetreuungsstruktur. Daran ha-
ben wir keinen Zweifel gelassen. Auch und gerade das
Familienministerium hat diesen Aspekt betont und in
seinen Planungen entsprechend berücksichtigt.
Völlig klar ist aber auch: Das Kinderbetreuungssys-
tem muss insgesamt ausgeweitet und, wo nötig, verbes-
sert werden. Die rot-grüne Koalition ist hier auf dem
richtigen Weg. Es macht derzeit keinen Sinn, Einzelas-
pekte isoliert herauszugreifen und den Gesamtkomplex
dabei aus dem Auge zu verlieren. Wir benötigen ein Ge-
samtkonzept, an dem alle politischen Ebenen und alle
Akteure gemeinsam arbeiten. Genau daran arbeitet die
Bundesregierung. Münden wird das dann in einen Be-
treuungsgipfel, der eine klare Richtung für den Ausbau
der Kindertagesbetreuung in den kommenden Jahren be-
siegeln soll.
Bei der FDP ist von einem solchen Gesamtkonzept je-
doch nichts zu erkennen. Als Oppositionspartei mag
man ihr das noch durchgehen lassen. Verantwortliches
Regierungshandeln verlangt aber einiges mehr. Ein
Blick nach Hamburg zeigt, wie es um die liberale Kom-
petenz bei Betreuung, Erziehung und Bildung bestellt
ist. Die dort zuständige FDP hat das Hamburger Kita-
System sehenden Auges an die Wand fahren lassen. Und
das ist nicht mal soeben über Nacht gekommen. Die Ent-
wicklung hatte sich schon lange abgezeichnet. FDP und
die gesamte Senatsregierung waren dem fachlich nicht
gewachsen. Ein solches Desaster ist wohl beispiellos in
Deutschland. Und das Schlimme daran ist das müssen
zahllose Hamburger Kinder und ihre Eltern ausbaden.
Und dabei brauchten gerade Familien verlässliche Rah-
menbedingungen.
Dennoch will ich Ihren guten Willen anerkennen,
dass wir in Deutschland ein gutes, ein hochklassiges
System der Kindertagesbetreuung etablieren können.
Unsere Nachbarländer demonstrieren, dass das durchaus
zu machen ist. Und wir sehen bei ihnen auch, wie sehr
sie davon profitieren. Deshalb mein Appell an die FDP
im Bund, besonders aber in den Ländern: Beteiligen Sie
sich an unserem Ausbauprojekt. Selbstverständlich
werden wir ihre Anregungen prüfen. Im Bereich der Ta-
gespflege gibt es natürlich Raum für Verbesserungen.
Ich denke da beispielsweise an das Qualitätsmanage-
ment. Hier gibt es gute Verbesserungsansätze. Die Ta-
gespflege muss mit Nachdruck aus der Grauzone heraus-
geholt werden. Sie hat besondere Vorzüge, die ihr auch
zukünftig einen wichtigen Stellenwert einräumen.
Hier muss aber ein schlüssiges Gesamtkonzept umge-
setzt werden. Das ist eine große Herausforderung für uns
alle. Wenn wir unsere Gesellschaft innovativ umgestal-
ten wollen, müssen wir auch diese Aufgabe lösen. Wir
schaffen damit mehr Chancengerechtigkeit für unsere
Kinder. Wir führen sie an Bildung heran, sodass sie ihr
Leben im 21. Jahrhundert meistern können. Wir ermög-
lichen eine Balance zwischen Familie und Beruf, die
sich schon heute so viele Eltern – vor allem Mütter –
herbeisehnen. Und wir entkommen so vielleicht der
demographischen Falle, in der wir fast schon gefangen
sind.
7358 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83. Sitzung. Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003
(A) (C)
(B) (D)
Anlage 4
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 794. Sitzung am 28. No-
vember 2003 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
Grundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge-
mäß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen:
– Drittes Gesetz zur Änderung des Saatgutver-
kehrsgesetzes
– Gesetz zur Neuordnung der Sicherheit von tech-
nischen Arbeitsmitteln und Verbraucherproduk-
ten
– Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Entschädi-
gungsgesetzes und anderer Vorschriften (Entschädi-
gungsrechtsänderungsgesetz – EntschRÄndG)
– Zweites Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschrif-
ten (Steueränderungsgesetz 2003 – StÄndG 2003)
– Gesetz zur Modernisierung des Investmentwesens
und zur Besteuerung von Investmentvermögen (In-
– Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgeset-
zes
– Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Verkehrs-
statistik
– Zwölftes Gesetz zur Änderung des Luftverkehrs-
gesetzes
– Gesetz zu dem Vertrag vom 5. März 2002 zwichen
der Bundesrepublik Deutschland und der Schwei-
zerischen Eidgenossenschaft über den Verlauf der
Staatsgrenze in den Grenzabschnitten Bargen/
Blumberg, Barzheim/Hilzingen, Dörflingen/Bü-
singen, Hüntwangen/Hohentengen und Waster-
kingen/Hohentengen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 13. Januar 2003
zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Sonderver-
waltungsregion Hongkong der Volksrepublik
China zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
von Schifffahrtsunternehmen auf dem Gebiet der
vestmentmodernisierungsgesetz)
– Gesetz zur Umsetzung aufsichtsrechtlicher Be-
stimmungen zur Sanierung und Liquidation von
Versicherungsunternehmen und Kreditinstituten
– Gesetz zur Umsetzung familienrechtlicher Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts
– Gesetz zu dem Übereinkommen vom 17. Oktober
2000 über die Anwendung des Artikel 65 des
Übereinkommens über die Erteilung europäi-
scher Patente
– Gesetz zur Änderung des Gesetzes über interna-
tionale Patentübereinkommen
– Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetzes
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
– Gesetz zu dem Protokoll vom 28. November 2002
zur Änderung des Europol-Übereinkommens und
des Protokolls über die Vorrechte und Immunitä-
ten für Europol, die Mitglieder der Organe, die
stellvertretenden Direktoren und die Bediensteten
von Europol
– Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen
der Vereinten Nationen vom 9. Dezember 1999
zur Bekämpfung der Finanzierung des Terroris-
mus
– Gesetz zu dem Zusatzprotokoll Nr. 7 vom 27. No-
vember 2002 zu der Revidierten Rheinschiff-
fahrtsakte vom 17. Oktober 1868
nd 91, 1
22
83. Sitzung
Berlin, Freitag, den 12. Dezember 2003
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4