1) Anlage 7 2) Anlage 8
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6051
(A) )
(B) )
nungspunkt 12) (2002) vom 27. November 2002 und 1510
cherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesord-
ber 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Gerd Müller, Max
Straubinger, Barbara Lanzinger, Doris Meyer
(Tapfheim), Marion Seib, Albert Deß, Gerlinde
Kaupa, Marlene Mortler, Klaus Hofbauer, Dr.
Georg Nüßlein, Herbert Frankenhauser,
Wolfgang Zöller, Josef Göppel, Franz Obermeier,
Johannes Singhammer, Rudolf Kraus, Alexander
Dobrindt, Matthias Sehling, Beatrix Philipp,
Renate Blank, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land),
Wilhelm Josef Sebastian, Andreas Scheuer, Hans
Michelbach, Julia Klöckner, Peter Bleser, Franz
Romer, Walter Link (Diepholz), Michaela Noll,
Stephan Mayer (Altötting), Dr. Peter Jahr, Erika
Steinbach und Henry Nitzsche (alle CDU/CSU)
zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung
und Erweiterung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Inter-
nationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Af-
ghanistan auf Grundlage der Resolutionen 1386
(2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom
23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002
und 1510 (2003) vom 13. September 2003 des Si-
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Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Bülow, Marco SPD 24.10.2003
Hagedorn, Bettina SPD 24.10.2003
Hartnagel, Anke SPD 24.10.2003
Lange (Backnang), Christian SPD 24.10.2003
Neumann (Bremen), Bernd CDU/CSU 24.10.2003
Sauer, Thomas SPD 24.10.2003
Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 24.10.2003
Dr. Vollmer, Antje BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 24.10.2003
Dr. von Weizsäcker, Ernst Ulrich SPD 24.10.2003
Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 24.10.2003
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
Wir stimmen der Fortführung des ISAF-Einsatzes
eutscher Streitkräfte in Kabul zu. Der Erweiterung des
insatzes um bis zu 450 weitere Soldaten in Kunduz und
ur Absicherung von Wahlen in ganz Afghanistan stim-
en wir nicht zu.
Da die Bundesregierung mit dem Beschluss der UN
en Einsatz in Kabul und die Ausweitung auf Kunduz in
inem Antrag zusammengefasst hat, werden wir, obwohl
ie Bedenken gegen die Ausweitung auf Kunduz und
anz Afghanistan von der Bundesregierung nicht ausge-
äumt wurden, dem Antrag der Bundesregierung zustim-
en.
Unseres Erachtens wurde das Einsatzziel der Bundes-
ehr in Kunduz durch die Bundesregierung unzurei-
hend begründet. Die von der Opposition im Rahmen
iner Protokollnotiz durchgesetzte Erklärung der Bun-
esregierung ist zu begrüßen, lässt aber eine Vielzahl
on Fragen und Bedenken gegen diesen Einsatz weiter
m Unklaren:
Die Bundeswehr soll dort zivile Aufbauarbeit unter-
tützen, obwohl dies zivile Organisationen (NGOs), die
en Aufbau tätigen, ablehnen.
Die internationale Staatengemeinschaft beteiligt sich
ur mit Beobachtern am Einsatz.
Unter moralischen Gesichtspunkten ist es nicht hin-
ehmbar, dass die eingesetzten Soldaten dem Drogenan-
au und -handel tatenlos zusehen müssen.
Aufgrund der Bedenken aus Bundeswehrkreisen be-
tehen erhebliche Zweifel an der Qualität der Ausstat-
ung der Bundeswehr.
Die Stärkung der Zentralregierung und die Durchset-
ung ihrer Politik kann die Bundeswehr nicht gegen die
rtlichen Machthaber gewährleisten.
Die Finanzierung des Einsatzes in Höhe von 77 Mil-
ionen Euro ist nicht gewährleistet.
Ein abgestimmtes Gesamtkonzept der Bundesregie-
ung zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau in Afgha-
istan zusammen mit UN, NATO und EU fehlt.
nlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung zu dem Antrag der Bundesregierung:
Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem
Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunter-
stützungstruppe in Afghanistan auf Grundlage
der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezem-
6052 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
(2003) vom 13. September 2003 des Sicher-
heitsrats der Vereinten Nationen (Tagesord-
nungspunkt 12)
Ilse Aigner (CDU/CSU): Ich stimme der Fortführung
des ISAF-Einsatzes deutscher Streitkräfte in Kabul zu.
Der Erweiterung des Einsatzes um bis zu 450 weiteren
Soldaten in Kunduz und zur Absicherung von Wahlen in
ganz Afghanistan stimme ich nicht zu.
Da die Bundesregierung mit dem Beschluss der UN
den Einsatz in Kabul und die Ausweitung auf Kunduz in
einem Antrag zusammengefasst hat, werde ich mich der
Stimme enthalten.
Meines Erachtens wurde das Einsatzziel der Bundes-
wehr in Kunduz durch die Bundesregierung unzurei-
chend begründet. Die von der Opposition im Rahmen
einer Protokollnotiz durchgesetzte Erklärung der Bun-
desregierung ist zu begrüßen, lässt aber eine Vielzahl
von Fragen und Bedenken gegen diesen Einsatz weiter
im Unklaren:
Die Bundeswehr soll dort zivile Aufbauarbeit unter-
stützen, obwohl dies zivile Organisationen (NGOs), die
den Aufbau tätigen, ablehnen.
Die internationale Staatengemeinschaft beteiligt sich
nur mit Beobachtern am Einsatz.
Unter moralischen Gesichtspunkten ist es nicht hin-
nehmbar, dass die eingesetzten Soldaten dem Drogenan-
bau und -handel tatenlos zusehen müssen.
Aufgrund der Bedenken aus Bundeswehrkreisen be-
stehen erhebliche Zweifel an der Qualität der Ausstat-
tung der Bundeswehr.
Die Stärkung der Zentralregierung und die Durchset-
zung von deren Politik kann die Bundeswehr nicht gegen
die örtlichen Machthaber gewährleisten.
Die Finanzierung des Einsatzes in Höhe von 77 Mil-
lionen Euro ist nicht gewährleistet.
Ein abgestimmtes Gesamtkonzept zur Stabilisierung
und zum Wiederaufbau in Afghanistan innerhalb der
Bundesregierung zusammen mit der UN, NATO und EU
fehlt.
Norbert Barthle (CDU/CSU): Ich stimme der Fort-
führung des ISAF-Einsatzes deutscher Streitkräfte in
Kabul/Afghanistan zu. Der Erweiterung des Einsatzes
um bis zu 450 weitere Soldaten in Kunduz und zur Absi-
cherung von Wahlen in ganz Afghanistan stimme ich
nicht zu.
Da die Bundesregierung die Fortführung des Einsat-
zes in Kabul und die Ausweitung auf Kunduz in einem
Antrag zusammengefasst hat, werde ich, trotz weiterhin
schwerer Bedenken hinsichtlich der Ausweitung auf
Kunduz, dem Antrag der Bundesregierung zustimmen.
Mit dieser erneuten Ausweitung eines Auslandsein-
satzes gerät unsere Bundeswehr nicht nur an die Grenzen
ihrer Belastungsfähigkeit, sondern überschreitet sie. Die
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it dem Einsatz verbundenen Mehrkosten gehen zulas-
en dringend notwendiger Beschaffungsvorhaben; die
icherheit unserer Soldaten bei den Auslandseinsätzen
st aufgrund des veralteten Materials kaum noch gewähr-
eistet.
Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich
timme gegen die Fortsetzung und Erweiterung der
eteiligung bewaffneter deutscher Soldaten in Afghanis-
an. Ich halte das von der Bundesregierung vorgelegte
onzept für fragwürdig, falsch und zu gefährlich für die
oldaten unseres Landes.
In einer Region, die größer als Hessen und Bayern ist,
n der eine Bevölkerung von mehr als 3 Millionen Men-
chen lebt, eine Befriedung mit vorerst 250, später
50 Soldaten erreichen zu wollen, ist nicht nur unglaub-
ürdig, sondern fahrlässig.
Kunduz ist und bleibt eine Risikoregion. Kriminelle
anden treiben hier ihr Unwesen. „Drogenbarone“ be-
errschen die Szene und in vielen Dörfern gibt es nach
ussage von Ortskundigen noch aktive Taliban-Kämp-
er. Lokale Machthaber führen dort Kleinkriege. Abge-
ehen davon warnen die Repräsentanten der Bundeswehr
or Minen und anderen Altlasten der Kriegszeit.
Unter diesen Aspekten erhält dieser hochbrisante Ein-
atz deutscher Soldaten mehr eine Alibifunktion gegenü-
er Erwartungen der amerikanischen Regierung. Es kann
nd darf nicht angehen, dass mit dem Blut deutscher
oldaten diplomatische Fehlleistungen von Bundeskanz-
er Gerhard Schröder und seinem Außenminister geglät-
et werden. Noch im Frühsommer 2003 hat der Bundes-
erteidigungsminister eine Ausweitung des Afghanistan-
insatzes wegen zu hohen Risikos abgelehnt. Der radi-
ale Kurswechsel innerhalb von drei Monaten ist ein Be-
eg dafür, dass Fehlentscheidungen der Vergangenheit
urch militärisches Handeln ersetzt werden.
Allein in Afghanistans Hauptstadt Kabul sind in den
ergangenen zwei Jahren laut Pressemeldungen mehr als
00 Soldaten der Verbündeten getötet und viele mehr
um Teil schwer verletzt worden. Auch Soldaten aus un-
erem Land gehören zu den beklagenswerten Opfern.
Dabei ist Kabul bisher als teilweise befriedet bezeich-
et worden. Bei dieser Sachlage jetzt nicht nur eine Ver-
ängerung des Einsatzes zu fordern, wie die Bundesre-
ierung sie betreibt, sondern darüber hinaus eine
usweitung auf die Krisenregion Kunduz vorzunehmen
nd gleichzeitig eine Option für das gesamte Land im
ntrag zu verstecken, nimmt keine Rücksicht auf Leib
nd Leben deutscher Soldaten. Hinzu kommt, dass ein
nde der Afghanistanmission nicht abzusehen ist. Ver-
reter der Bundesregierung hielten es in einer Anhörung
ür nicht ausgeschlossen, dass wegen der unübersichtli-
hen, verworrenen Lage in diesem Land auch noch in
ünf Jahren dort deutsche Soldaten stationiert sein wer-
en. Unser Nachbar Frankreich hat eine Mitwirkung am
eutschen Konzept abgelehnt. Das sollte uns allen zu
enken geben, trotz der anderen Haltung anderer Nach-
arn.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6053
(A) )
(B) )
Statt sich immer mehr unwiderruflich in diesem Kri-
sengebiet zu engagieren, ist die Bundesregierung aufge-
fordert, ein allmähliches Ausstiegskonzept vorzulegen.
Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Erstens. Die
Bundesregierung hat noch vor Monaten erklärt, dass
eine Ausweitung des ISAF-Mandats außerhalb von Ka-
bul weder sachgerecht noch beabsichtigt sei. Es ist nicht
erkennbar, dass sich die Verhältnisse in und um Afgha-
nistan seitdem entscheidend verändert haben. Ich stelle
deshalb fest, dass Aussagen der Bundesregierung – wie
in anderen Politikbereichen auch – nur eine zeitlich äu-
ßerst begrenzte Gültigkeit haben.
Zweitens. Die Verknüpfung der Verlängerung des
ISAF-Mandats in Kabul mit der Ausweitung auf Kunduz
nimmt die Möglichkeit einer differenzierten Bewertung.
Ich stelle deshalb fest, dass der Bundesregierung an einer
Zustimmung kritischer Abgeordneter nicht gelegen ist.
Drittens. Deutschland wird indirekt Dulder des Dro-
genanbaus in der Region Kunduz. Die Zusicherung der
Bundesregierung, dass die Drogenbekämpfung nicht im
Mandat des Bundeswehreinsatzes enthalten ist, ist irre-
führend. Während in vielen anderen Fällen (zum Bei-
spiel Kolumbien) die staatlichen Stellen sich aktiv in der
Bekämpfung des Drogen- und Waffenschmuggels ein-
bringen, ist in der Region Kunduz das Gegenteil der Fall.
Diejenigen, deren Macht deutsche Soldaten absichern
sollen, sind diejenigen, die ihre finanziellen Ressourcen
aus der Förderung des Drogenanbau und dem Waffen-
handel gewinnen. Jede Bekämpfung dieses Krebsge-
schwürs würde die Interessen der regionalen Warlords
gefährden. Der Glaube, durch alternativen Anbau den
Drogenanbau beseitigen zu können, ist nicht gerechtfer-
tigt. Es gibt kein nachhaltiges Beispiel, wo ein solcher
Mechanismus funktioniert hätte. Die Erfahrung lehrt – lei-
der –, dass nur die unterschiedlichsten Formen von Re-
pression Drogenanbau verhindern bzw. zumindest abmil-
dern können.
Mit meinen Argumenten konnte ich die Mehrheit der
Kollegen in der CDU/CSU-Fraktion nicht überzeugen.
Aus Respekt vor der anderen, mehrheitlichen Auffas-
sung meiner Freunde in der Fraktion habe ich mich des-
halb entschlossen, mein Stimmverhalten danach auszu-
richten.
Siegfried Helias (CDU/CSU): Ich stimme zwar der
Fortführung des ISAF-Einsatzes deutscher Streitkräfte in
Kabul zu. Die Erweiterung des Einsatzes um bis zu
450 weitere Soldaten in Kunduz und zur Absicherung
von Wahlen in ganz Afghanistan lehne ich allerdings ab.
Meines Erachtens wurde das Einsatzziel der Bundes-
wehr in Kunduz durch die Bundesregierung unzurei-
chend begründet. Die von der Opposition im Rahmen
einer Protokoll-Notiz durchgesetzte Erklärung der Bun-
desregierung ist zu begrüßen, lässt aber eine Vielzahl
von Fragen und Bedenken gegen diesen Einsatz weiter
im Unklaren:
Die Bundeswehr soll die Aufbauarbeit der zivilen
Organisationen (NGOs) unterstützen, obwohl Teile der
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GOs, die den Aufbau tätigen, dies wegen Bedenken
ezüglich Ihrer eigenen Sicherheit ablehnen.
Unter moralischen Gesichtspunkten ist es nicht hin-
ehmbar, dass die eingesetzten Soldaten dem Drogenan-
au und -handel tatenlos zusehen müssen.
Die Ausstattung der Bundeswehr, insbesondere die
um Einsatz zur Verfügung stehenden 20 Transporthub-
chrauber, die bei Materialaustausch größtenteils mit Er-
atzteilen stillgelegter Maschinen ausgestattet werden
üssen, entsprechen nicht den Anforderungen dieses
insatzes.
Um einen effektiven Beitrag zur Sicherheit in der Re-
ion Kunduz zu leisteten, ist das Bundeswehrkontingent
u gering. Die Stärkung der Zentralregierung und die
urchsetzung ihrer Politik kann die Bundeswehr nicht
egen die örtlichen Machthaber gewährleisten.
Es fehlt weiterhin ein von der Bundesregierung mit
N, NATO und EU abgestimmtes Gesamtkonzept zur
tabilisierung und zum Wiederaufbau in Afghanistan.
Der vom afghanischen Innenminister abgesetzte regi-
nale Sicherheitschef ist immer noch vor Ort und stützt
ich dabei auf eigene Truppen.
Hubert Hüppe (CDU/CSU); Jens Spahn (CDU/
SU): Ich stimme der Fortführung des ISAF-Einsatzes
eutscher Streitkräfte in Kabul zu. Der Erweiterung des
insatzes um bis zu 450 weitere Soldaten in Kunduz und
ur Absicherung von Wahlen in ganz Afghanistan
timme ich nicht zu.
Da die Bundesregierung mit dem Beschluss der UN
en Einsatz in Kabul und die Ausweitung auf Kunduz
inem Antrag zusammengefasst hat, werde ich, obwohl
ie Bedenken gegen die Ausweitung auf Kunduz und
anz Afghanistan von der Bundesregierung nicht ausge-
äumt wurden, dem Antrag der Bundesregierung zustim-
en.
Meines Erachtens wurde das Einsatzziel der Bundes-
ehr in Kunduz durch die Bundesregierung unzurei-
hend begründet. Die von der Opposition im Rahmen
iner Protokollnotiz durchgesetzte Erklärung der Bun-
esregierung ist zu begrüßen, ist aber nur politisch, nicht
ber rechtlich bindend und lässt zudem eine Vielzahl von
ragen und Bedenken gegen diesen Einsatz weiter im
nklaren:
Die Bundeswehr soll dort zivile Aufbauarbeit unter-
tützen, obwohl dies zivile Organisationen (NGOs), die
en Aufbau tätigen, ablehnen.
Die internationale Staatengemeinschaft beteiligt sich
ur mit Beobachtern am Einsatz.
Unter moralischen Gesichtspunkten ist es nicht hin-
ehmbar, dass die eingesetzten Soldaten dem Drogenan-
au und -handel tatenlos zusehen müssen. Gleichzeitig
ären sie für einen wirkungsvollen Kampf gegen das
rogenregime weder ausgerüstet noch in ausreichender
tärke vor Ort. Aufgrund der Bedenken aus Bundes-
ehrkreisen bestehen erhebliche Zweifel an der Qualität
6054 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
der Ausstattung der Bundeswehr; diese Zweifel verstär-
ken sich insbesondere mit Blick auf den für den Einsatz
unbedingt in ausreichender Zahl erforderlichen Hub-
schrauber CH-53 GS.
Die Belastung der Soldaten ist teilweise unverant-
wortlich hoch, weil sie zum Teil zum Beispiel aufgrund
ihrer Spezialisierung nicht die vorgeschriebenen Stand-
zeiten in Deutschland absolvieren können.
Die Stärkung der Zentralregierung und die Durchset-
zung von deren Politik kann die Bundeswehr nicht gegen
die örtlichen Machthaber gewährleisten.
Die Finanzierung des Einsatzes in Höhe von 77 Mil-
lionen Euro ist nicht gewährleistet.
Ein abgestimmtes Gesamtkonzept zur Stabilisierung
und zum Wiederaufbau in Afghanistan innerhalb der
Bundesregierung zusammen mit der UN, NATO und EU
fehlt.
Jürgen Koppelin (FDP): In Afghanistan ist die
Situation auch zwei Jahre nach dem Sturz des Taliban-
Regimes weiter geprägt durch Instabilität und Gewalt.
Die Terrorstrukturen der Taliban und der al-Qaida sind
längst nicht endgültig zerschlagen. Es gibt im Gegenteil
beunruhigende Anzeichen für eine Wiederbelebung. Der
Aufbau der Infrastruktur und der Wirtschaft des Landes
schreitet nur langsam voran. Der Anbau und Vertrieb
von Drogen nimmt wieder zu, afghanisches Opium
schwemmt weiter auf den europäischen Markt. Der Ein-
fluss der Zentralregierung reicht kaum über die Haupt-
stadt hinaus, die Provinzen stehen unter Kontrolle unter-
schiedlicher, zum Teil verfeindeter Warlords. Die
Umsetzung des Petersberg-Prozesses und die für die po-
litische Zukunft Afghanistans zentral wichtige Durch-
führung von Wahlen im kommenden Sommer sind
längst nicht gesichert.
Die Überlegungen der Bundesregierung zur Fortset-
zung und besonders die Erweiterung des Mandates in
Afghanistan sind der Versuch, mit gesteigertem Engage-
ment in Afghanistan das Wohlwollen der USA zu errei-
chen und gleichzeitig an dem vor Beginn des Irakkrieges
eingeschlagenen „deutschen Weg“ festzuhalten. Der
Nutzen einer Entsendung eines deutschen „Provincial
Reconstruction Teams“ (PRT) nach Kunduz ist von
vornherein bestenfalls begrenzt. Vor Ort tätige deutsche
und internationale Hilfsorganisationen haben Zweifel
über eine Vermischung von zivilen und militärischen
Komponenten in Aufbauteams geäußert.
Das von der Bundesregierung im Alleingang vor-
gestellte Konzept, über PRTs „Friedensinseln“ mit Vor-
bildfunktion für Gesamt-Afghanistan zu schaffen, wirkt
angesichts der Zersplitterung des Landes nicht überzeu-
gend. Soll im Rahmen eines Gesamtkonzepts tatsächlich
am PRT-Ansatz festgehalten werden, müssten Dutzende
von internationalen PRTs auch in gefährliche, wirklich
instabile Regionen entsandt werden. Die Bundesregie-
rung hat es bislang versäumt, die dazu erforderliche eu-
ropäische und internationale Abstimmung vorzunehmen.
Das jetzt verfolgte punktuelle PRT-Konzept, bei dem der
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eutsche Einsatz zudem auf eine ohnehin „ungefährli-
he“ Region beschrankt bleibt, ist für Afghanistan insge-
amt nicht zielführend, sondern bleibt aktionistisches
lickwerk.
Eine tiefe Diskussion über Bundeswehr-Auslandsein-
ätze als Instrument der deutschen Außenpolitik steht
och aus. Wenn die Europäische Union und in ihrem
ahmen Deutschland als größtes und zur Wahrnehmung
on Führungsverantwortung verpflichtetes Mitglieds-
and weltpolitisch eine wichtigere Rolle spielen wollen
nd müssen, sind auch Streitkräfte dafür durchaus ein
eeignetes, wenn auch zurückhaltend zu nutzendes In-
trument. Hier sind durchaus Situationen denkbar, in de-
en deutsche Sicherheitsinteressen im engeren Sinne
icht berührt sind, aber außenpolitische Erwägungen ei-
en Einsatz mit vertretbarem Risiko sinnvoll erscheinen
assen. Allerdings gebietet die Verantwortung für unsere
oldaten und deren Familien, dass die Bundeswehr nicht
eichtfertig in gefährliche Einsätze geschickt wird, um
olitische Konzeptionslosigkeit zu überdecken und au-
enpolitisch Schönwetter zu machen Außerdem sollte
ede Einsatzentscheidung an das Vorliegen eines eindeu-
igen politischen Gesamtkonzeptes und eines „Wieder-
usstiegs-Plans“ geknüpft werden.
Ich lehne deshalb für Afghanistan unter den gegebe-
en Umständen die geplante Entsendung eines deut-
chen PRT nach Kunduz ab. Ich fordere die Bundes-
egierung auf, von unkoordinierten Sonderaktionen
bstand zu nehmen, die deutsche Afghanistan-Politik
ünftig mit den europäischen Partnern abzustimmen und
ich international vor einer möglichen Ausweitung des
undeswehreinsatzes in Afghanistan um ein schlüssiges
olitisches Gesamtkonzept für eine Stabilisierung Ge-
amt-Afghanistans zu bemühen. Bei der Umsetzung ei-
es derartigen Gesamtkonzeptes konnte und müsste
eutschland dann Mitverantwortung übernehmen. Ein
olches Konzept ist gegenwärtig aber weltweit nicht in
icht.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): Ich
ehne den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung
nd Erweiterung der Beteiligung bewaffneter deutscher
treitkräfte in Afghanistan ab, da die im Antrag darge-
egten Umstände des Einsatzes hinsichtlich des Einsatz-
ebietes so unbestimmt sind, dass nicht nur der Raum
unduz, sondern auch andere Regionen Afghanistans
insatzgebiet werden könnten. Eine Aufgabe des erwei-
erten ISAF-Einsatzes soll die Absicherung der Wahlen
ach dem Petersberg-Prozess sein. Diese Wahlen sind
ür Juni 2004 geplant. Nach der Einschätzung von Ex-
erten wird ein Einsatz der Bundeswehr in Kunduz erst
n einigen Monaten möglich sein. Die Absicherung der
ahlen, besonders deren Vorbereitung, muss aber noch
n diesem Jahr unbedingt begonnen werden.
In dem Antrag ist nicht überzeugend dargelegt, dass
it dem Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Rahmen
es erweiterten ISAF-Mandates in Kunduz tatsächlich
ie Sicherheitslage deutlich verbessert wird und die be-
bsichtigten Ziele erreicht werden können. Es fehlt die
inbindung in eine EU-Strategie und es fehlt an einem
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6055
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klaren Konzept für die langfristige Sicherung der Stabili-
tät und der inneren Sicherheit in ganz Afghanistan.
Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Selbstverständ-
lich stehe ich dazu, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land Verantwortung im internationalen Bereich gegebe-
nenfalls auch durch militärische Präsenz wahrnehmen
muss, wenn entsprechende Beschlüsse und Anforderun-
gen der Vereinten Nationen bzw. der NATO vorliegen.
Auch kenne ich die hohe Leistungsbereitschaft und -fä-
higkeit unserer Soldaten der Bundeswehr, die einen her-
vorragenden Dienst und dadurch mit einen Beitrag für
ein friedliches Miteinander der Völker leisten.
Wenn ich die in dem Antrag der Bundesregierung
(Bundestagsdrucksache 15/1700) vorgesehene Auswei-
tung des Afghanistaneinsatzes über Kabul hinaus auf die
Region Kunduz nicht mittragen kann, dann liegt das
daran, dass ich aus Verantwortung für unsere Soldaten
diese Einsatzausweitung als nicht vertretbar ansehe, was
ich nachfolgend begründe.
Erstens: Die weit über das vertretbare Maß hinausge-
henden Kürzungen im Verteidigungshaushalt sollten
durch Erklärung der Bundesregierung gestoppt und
durch eine „Verstetigung“ des Haushaltsvolumens bis
2006 bei 24,4 Milliarden Euro festgeschrieben werden.
Bereits im Haushaltsentwurf 2004 sind nur noch
24,25 Milliarden Euro vorgesehen, dazu noch eine Ver-
ringerung bei den Einnahmen von 94 Millionen Euro,
sodass ein echter Rückgang von 244 Millionen Euro ge-
geben ist, was in etwa den jährlichen Gesamtkosten des
bisherigen, auf Kabul beschränkten Afghanistan-Einsat-
zes entspricht. Zudem hat die Bundesregierung für die
für den Kunduzeinsatz zusätzlich erforderlichen
77 Millionen Euro keinen Finanzierungsvorschlag vor-
gelegt und somit muss diese Ausgabe voraussichtlich
wieder allein aus dem Einzelplan 14 erbracht werden.
Auch ist zu erwarten, dass die für 2004 vorgesehene glo-
bale Minderausgabe von 1 Milliarde Euro („Renten-Mil-
liarde“) wesentlich vom Verteidigungshaushalt zu er-
bringen sein wird (zwischen 150 und 250 Millionen
Euro) sodass sich die Verteidigungsausgaben im Jahre
2004 auf knapp 24 Milliarden Euro belaufen dürften.
Dies lässt befürchten, dass die erforderliche Ausrüstung
für die zugesagten Auslandseinsätze nicht mehr in aus-
reichender Zahl und Qualität gewährleistet werden kann.
Zweitens. Namhafte Nichtregierungsorganisationen
(zum Beispiel Gesellschaft für bedrohte Völker, Caritas
International, Care Deutschland, Ärzte ohne Grenzen,
Deutsches Rotes Kreuz) bezeichnen eine Präsenz deut-
scher Soldaten in der Region Kunduz als unnötig und ra-
ten dringend davon ab.
Drittens. Für mich ist es höchst zweifelhaft, ob der
Einsatz von bis zu 450 deutschen Soldaten in der Region
Kunduz, einem Gebiet, das flächenmäßig größer ist als
Bayern und Hessen zusammen, politisch und militärisch
sinnvoll ist. Es besteht meines Erachtens sogar die Ge-
fahr, dass es zu einer Stabilisierung des dortigen Rausch-
giftanbaus und -handels kommt, da unsere Soldaten
nicht zur Drogenbekämpfung eingesetzt werden können
und dürfen.
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Viertens. Die Bundesregierung hat es bislang ver-
äumt, ein schlüssiges politisches Konzept auf Grund-
age des Petersberg-Prozesses zu entwickeln. Vor der
orgesehenen Ausweitung des militärischen Engage-
ents in Afghanistan wäre eine Folgekonferenz zu Pe-
ersberg wünschenswert, auf der das weitere Vorgehen
ntwickelt werden müsste. Es kommt auch darauf an, auf
iner derartigen Folgekonferenz die politische Zielset-
ung für Afghanistan insgesamt zu bewerten.
Da ich grundsätzlich Auslandseinsätze bei entspre-
hender klarer, politischer Begründung und bei Vorhan-
ensein und Gewährleistung der bei dem Auftrag erfor-
erlichen Ausbildung, Ausrüstung und Stärke unserer
oldaten für notwendig ansehe (was ich im Falle Kun-
uz verneine), nehme ich das in § 31 Abs. 2 der Ge-
chäftsordnung des Deutschen Bundestages begründete
echt wahr, an dieser Abstimmung nicht teilzunehmen.
nlage 4
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: Europäische Ausländer-, Asyl- und
Zuwanderungspolitik transparent machen (Ta-
gesordnungspunkt 13)
Petra Pau (fraktionslos): Erstens. Es geht um Flücht-
ingsschutz, es geht um „Menschen in Not“, es geht da-
um, Leben zu retten. Ich sage das am Anfang, denn die
DU/CSU muss man gelegentlich daran erinnern, wie
hr Antrag und die Rede des Abgeordneten Grindel zei-
en.
Zweitens. Die PDS im Bundestag tritt seit Jahren für
inen umfassenden Schutz für Menschen in Not ein. Da-
it stimmen wir mit vielen gesellschaftlichen Gruppen,
it Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Bürger-
nitiativen überein.
Drittens. Die aktuelle Debatte hat eine europäische
imension. Deshalb verweise ich darauf, was europäi-
che NGOs, zum Beispiel Amnesty International, Cari-
as Europa, Pax Christi und andere, der rot-grünen Bun-
esregierung attestieren. Deutschland stehe als letzter
taat in der Europäischen Union einer vernünftigen Eini-
ung auf Mindeststandards für den Flüchtlingsschutz im
ege. Ein bürgerrechtliches Lob, werte Grüne, ist das
itnichten – im Gegenteil.
Viertens. Dabei geht es um ganz konkrete Fragen mit
benso leibhaftigen Menschen. Die Bundesrepublik
eutschland gehört noch immer zu den wenigen Län-
ern, die Opfer nichtstaatlicher Verfolgung nicht als
lüchtlinge anerkennen. Einen sachlichen Grund gibt es
ierfür nicht. Die Betroffenen haben schlimmste Men-
chenrechtsverletzungen erlebt. Und sie müssen Schlim-
es befürchten, wenn sie in ihre Herkunftsstaaten zu-
ückmüssen.
Fünftens. Am 2. Juli gab es eine Expertenanhörung
m Innenausschuss. Der Verwaltungsrichter Dr. Göbel-
immermann hat das Problem auf den Punkt gebracht.
6056 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
Ich zitiere: „Es wäre zu begrüßen, wenn die Harmonisie-
rung des Asyl- und Ausländerrechts als Initialzündung
zur Entrümpelung des deutschen Rechts führen würde.“
Sechsens. Genau dafür hat die PDS im Bundestag
während der langen Debatte um ein neues Einwande-
rungsgesetz gekämpft. Rot-Grün hingegen hat um Zu-
spruch bei der CDU/CSU gebuhlt, allen voran Innen-
minister Schily.
Siebtens. Übrigens: Es muss nicht a priori schlecht
sein, wenn man als EU-Bremse bezeichnet wird. Sofern
es um die Militär-Ambitionen der EU geht, hätte ich
überhaupt nichts dagegen, wenn Deutschland auf der
Bremse stände. Dort aber sind sie Motor. Geht es aber
um Menschen in Not, dann sind sie Abweichler von in-
ternationalen, ja selbst von Menschenrechtsnormen der
UNO.
Achtens. Nun noch mal zum CDU/CSU-Antrag. Ich
staune immer wieder, wie sie auf Kirchentagen fromme
Reden reden und zurück im Bundestag das Gegenteil be-
antragen. Dieser Tage haben in Berlin namhafte Künstler
eine Versteigerung durchgeführt. Sie fand in einer Kir-
che statt und sie galt Menschen in Not. Beide, die Künst-
ler und die Kreuzberger Kirchengemeinde, sind europäi-
scher als ihre ganze Fraktion – humaner obendrein.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Entschädi-
gungsrechtsänderungsgesetzes (Tagesordnungs-
punkt 14)
Stephan Hilsberg (SPD): Das heute von uns zu be-
schließende Gesetz reicht tief in die Vermögensausei-
nandersetzungen im Zusammenhang mit Enteignungen
und Entschädigungen der beiden deutschen Diktaturen,
der NS-Diktatur und der kommunistischen Herrschaft,
auf dem Boden der jetzigen neuen Bundesländer inklu-
sive Ostberlin, also Ostdeutschlands.
Die Weichenstellung für diese Fragen erfolgte unmit-
telbar mit der Deutschen Einheit. Nur weniges war so
umstritten wie diese Vermögensregelung. Wir Sozialde-
mokraten sagen mit Recht, die damalige Vorrangent-
scheidung „Rückgabe vor Entschädigung“ hat neben der
Verweigerung der Entschuldung der ostdeutschen Kom-
munen und landwirtschaftlichen Betriebe maßgeblich zu
der heutigen wirtschaftlichen Misere in Ostdeutschland
beigetragen. Wenn man dort heute noch manche Schrott-
immobilie antrifft, so hat dies nicht selten mit immer
noch ungelösten Restitutions-, also Rückgabeansprüchen
zu tun.
Fakt aber ist, dass dieses Entschädigungs- und Rück-
gaberecht vor allem zur Vermögensbildung ganzer Heer-
scharen von Rechtsanwälten beigetragen hat. Und der
Bevölkerung hat es millionenfachen Ärger und große,
nicht selten existenzielle Sorgen bereitet.
Heute, 13 Jahre nach diesen Grundsatzentscheidun-
gen, kann festgestellt werden, dass vielen Sorgen der
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stdeutschen auch Rechnung getragen wurde. Vieles
onnte zu ihren Gunsten gelöst werden. Die falsche Wei-
henstellung von damals heute zu korrigieren ist jedoch
n keiner Weise zu leisten. Was wir heute mit dem
ntschädigungsrechtsänderungsgesetz machen, ist eine
einjustierung.
Viele der Verfahren sind abgearbeitet. Häufig ist ein
barbeitungsstand von weit über 90 Prozent erreicht
orden. Das gilt allerdings nicht für die Enteignungen
er NS-Zeit. Hier haben wir nur einen Abarbeitungs-
tand von etwas über 60 Prozent. Da muss noch drin-
ende Abhilfe geschaffen werden.
Dies ist auch der Hauptgrund für unser Gesetz. Der
und wird in Zukunft die gesamten Verfahren der NS-
nteignungen in seinem Bundesamt zur Regelung offe-
er Vermögensfragen zentral abwickeln. Das Parlament
at dafür gesorgt, dass es hier eine vernünftige Über-
angszeit gibt.
Die schleppende Bearbeitung der Verfahren ist uner-
räglich und nur zum Teil durch die Materie selbst be-
ingt. Die Landesämter sind personell unterbesetzt, was
icht akzeptabel ist. Deshalb konnte der Bund hier nur
ines tun, nämlich die NS-Verfahren an sich ziehen.
Der Ausschuss hat sich sehr gründlich mit vielen Ein-
elfragen dieses Gesetzes beschäftigt. Insbesondere für
ie SPD-Fraktion kann ich hier sagen, dass wir alle An-
iegen der Betroffenen sehr sorgfältig geprüft haben und
ede unserer Entscheidungen hier gut rechtfertigen kön-
en. Dies hat zu einer Reihe von Veränderungen geführt:
Eine Übergangsfrist, wie bereits angesprochen, wurde
ingeführt. Die Kommunen brauchen ihren Hauszins-
teuerabgeltungsbetrag nicht zu entrichten; die ausländi-
chen Vermögensansprüche an enteigneten ostdeutschen
etrieben können in Zukunft in einer praktikablen Form
en deutschen Vermögensansprüchen gleichgestellt be-
andelt werden.
Wir haben nicht jedem Anliegen entsprochen – nicht,
eil wir zu hartherzig waren, sondern weil zum Teil
uch manche Sorgen sich bei genauem Hinsehen als un-
egründet erwiesen haben. So stellt das Gesetz beispiels-
eise die Komplettierungskäufe im Sachenrechtsberei-
igungsgesetz – Sie erinnern sich, der Hausbesitzer zu
DR-Zeiten besaß häufig nicht den dazugehörigen
rund und Boden –, notariell beurkundete, aber noch
icht im Grundbuch eingetragene Besitzansprüche, nicht
achträglich infrage. Hier wird kein Ostdeutscher zu-
ätzlich zur Kasse gebeten. Diese und andere Sorgen
onnten wir entkräften.
Wir haben im Konsens des Ausschusses eine wichtige
erzinsungsregelung verlängert. Wer heute noch nicht
ntschädigt ist, wessen Verzinsungsansprüche ab dem
ahr 2004 6 Prozent betragen und dessen Verfahren auch
ach dem Jahr 2007 noch nicht beendet ist, der wird
uch nach 2007 weiterhin mit einer Verzinsung von
Prozent rechnen können. Das ist eine Aufforderung an
ie Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen, jetzt
chnell und zügig alle Verfahren zum Abschluss zu brin-
en. Das entsprechende Bundesamt wird hier sicherlich
chrittmacherdienste leisten.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6057
(A) )
(B) )
Nebenbei: Bei dieser Regelung hat meine Fraktion im
Interesse des Konsenses, also einer parteiübergreifenden
Zustimmung, Konzessionen gemacht, nicht nur zur
Freude der Bundesregierung, die uns aber immer mit Rat
und Tat und viel Sachverstand zur Seite gestanden hat,
sondern auch im Interesse der Sache.
Ich glaube, nun liegt das Gesetz in einer Form vor, in
der ihm alle zustimmen können.
Manfred Kolbe (CDU/CSU): Unser aller Erwartung
aus dem Jahre 1994, dass die Durchführung des damals
verabschiedeten Entschädigungs- und Ausgleichsleis-
tungesetzes circa zehn Jahre in Anspruch nehmen dürfte,
hat sich nicht erfüllt. Heute steht fest: Die vermögens-
rechtlichen Hinterlassenschaften der beiden deutschen
Dikaturen und der Besatzungszeit des vorigen Jahrhun-
derts wird uns auch die nächsten Jahre noch beschäfti-
gen.
Bei näherem Hinsehen ist dies auch nicht erstaunlich.
Allein in Sachsen wurde rund eine halbe Million An-
träge auf Rückgabe von Vermögenswerten gestellt, die
Mehrzahl bei den kommunalen Ämtern. Beim Landes-
amt zur Regelung offener Vermögensfragen wurden
rund 100 000 Fälle eingereicht, von denen rund 76 000
abgearbeitet sind. Allerdings waren dies die einfacheren
Verfahren, die überwiegend mit Rückübertragung abge-
schlossen werden konnten. Inzwischen machen die Ent-
schädigungsfälle die meiste Arbeit, da hier hart gerungen
wird, weil die Betroffenen die gesetzlichen Entschädi-
gungen für viel zu gering halten. Besonders kompliziert
sind Fälle, wo Grundbesitz oder Unternehmen sowohl
von den Nationalsozialisten als auch von den Kommu-
nisten enteignet oder auf sonstige Weise entzogen wur-
den. Manche Fälle bieten einen vollständigen Streifzug
durch die leidvolle deutsche Geschichte des 20. Jahrhun-
derts.
Eine weitere Komplikation hat der Gesetzgeber selbst
eingebaut, nämlich die so genannte Würdigkeitsprüfung.
Wer dem nationalsozialistischen oder kommunistischen
System erheblich Vorschub geleistet hat oder gegen
Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen hat, verliert
damit alle Ansprüche auf Entschädigung. Dies setzt oft
umfangreiche Recherchen voraus, oftmals in unseren eu-
ropäischen Nachbarländern.
Der unbefriedigende Stand der Abarbeitung muss
deshalb nur auf den ersten Blick erstaunen. Zum Ver-
gleich sei darauf hingewiesen, dass der vergleichbare
Lastenausgleich in Westdeutschland bis heute nicht voll-
ständig abgearbeitet ist.
Die Bundesregierung hat deshalb einen Gesetzent-
wurf zur Änderung und Ergänzung des – Entschädi-
gungsgesetzes und anderer Vorschriften – Entschädi-
gungsrechtsänderungsgesetz – vorgelegt, der durch
Änderungen in der Verwaltungsorganisation und in den
Verwaltungsverfahren sowie durch Klarstellung der Ge-
setzestexte die Durchführung des EALG bis spätestens
zum Jahre 2010 abschließen möchte. Darüber hinaus
sollen mit dem Gesetzentwurf ein verwaltungsrechtli-
ches Verfahren für die Erfüllung bisher nicht festgesetz-
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er oder ausgezahlter DDR-Entschädigungen – so ge-
annte stecken gebliebene Entschädigungen –, die
eschleunigte Abwicklung einiger Altforderungen im
andwirtschaftlichen Bereich, die Beschleunigung der
erfahren über die Auskehr von Veräußerungserlösen
nd die Zusammenfassung der verbleibenden Bundes-
ufgaben des Kriegsfolgenrechts und des Wiedergut-
achungsrechts bei einer zentralen Behörde geregelt
erden.
Dieser sicherlich in die richtige Richtung zielende
esetzesentwurf erwies sich jedoch nach näherer Durch-
icht als stark verbesserungswürdig. Insbesondere
perrte sich meine Fraktion gegen ein bloßes „Durch-
inken“ dieses Entwurfs im Parlament und beantragte
ine Expertenanhörung sowie eine gründliche Beratung.
iese Anhörung fand am 8. Oktober statt und erbrachte
ahlreiche Anregungen, die dann in Änderungsanträge
inflossen. Für diese aktive Unterstützung des Gesetzge-
ers möchte ich mich bei allen Beteiligten der Anhörung
anz herzlich bedanken. Kritisch angemerkt werden
uss lediglich, dass die ebenfalls geladene Bodenver-
ertungs- und verwaltungs-GmbH – BVVG –, die von
iesen Regelungen in hohem Ausmaß betroffen ist, nicht
ur Anhörung erschien. Die daraufhin angesprochene
taatssekretärin im Finanzministerium hat dies dann
uch noch gerechtfertigt, was ich hiermit in Überein-
timmung mit allen anderen Fraktionen im Hinblick auf
ie Auskunfts- und Kontrollrechte des Parlaments miss-
illigen möchte.
Die wichtigsten Änderungen des Regierungsentwurfs
eien kurz dargestellt:
Der Zuständigkeitswechsel bei Verfahren von NS-
erfolgten von den Landesämtern auf das Bundesamt
ur Regelung offener Vermögensfragen wird dadurch
bgemildert, dass auf Veranlassung der bislang zuständi-
en Behörde das Bundesamt zur Regelung offener Ver-
ögensfragen dies ersuchen kann, in seiner Vertretung
in Verwaltungsverfahren auch nach dem 31. Dezember
003 abschließend zu bearbeiten, wenn die beabsichtigte
ntscheidung bis zum 30. Juni 2004 den am Verfahren
eteiligten mitgeteilt werden kann. Diese Übergangsre-
elung ermöglicht es den Landesämtern, Verfahren von
S-Verfolgten noch zu Ende zu führen, die kurz vor dem
bschluss stehen. Die ansonsten notwendige Einarbei-
ung eines neuen Sachbearbeiters kann dadurch unter-
leiben.
Besonders intensiv wurde die Frage der Verzinsung
er Entschädigungsleistungen diskutiert. Der Gesetzent-
urf sah vor, nach dem 31. Dezember 2003 festgesetzte
ntschädigungsansprüche durch Geldleistungen zu er-
üllen. Diese sollten nach dem Wortlaut des Gesetzent-
urfs nach dem 1. Januar 2004 bis zum 31. Dezember
007 mit jährlich 6 Prozent und ab dem 1. Januar 2008
it jährlich 4 Prozent verzinst werden. Hiergegen wehr-
en sich die Betroffenen heftig, da ihnen die Zinsermäßi-
ung auf 4 Prozent wie eine Belohnung des Staates für
ie zögerliche Abarbeitung der Entschädigungsanträge
rscheinen musste. Diesem Argument haben sich erfreu-
icherweise alle Fraktionen nicht verschlossen und die
insermäßigung auf 4 Prozent aus dem Gesetzentwurf
6058 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
gestrichen. Alle Entschädigungsansprüche werden jetzt
ab 1. Januar 2004 mit jährlich 6 Prozent verzinst. Über
die haushaltsmäßigen Auswirkungen lässt sich meines
Erachtens heute noch keinerlei Aussage treffen, da nie-
mand den Abarbeitungsstand im Jahre 2008 und später
prophezeien kann.
Der so genannte „Hauszinssteuerabgeltungsbetrag“
wird nicht mehr in die Bemessungsgrundlage für den
Abführungsbetrag der Dienstkörperschaften und sonsti-
gen Träger öffentlicher Verwaltung an den Entschädi-
gungsfonds einbezogen. Dies führt zu einer deutlichen
Verwaltungsvereinfachung, da die bereits festgesetzten
Abführungsbeträge daraufhin nicht mehr überprüft wer-
den müssen, sowie zu Einsparungen bei ostdeutschen
Kommunen und Grundstückseigentümern.
Ein weiterer Änderungsantrag hat ein Anliegen der
ostdeutschen Wohnungswirtschaft berücksichtigt. Viel-
fach werden heute aufgrund der Abwanderung und des
Bevölkerungsrückgangs Wohnungen nicht mehr genutzt
von denen man dies vor zehn Jahren noch annahm. Auch
die Gesetzesbegründung stellt jetzt klar, dass die dama-
lige Prognoseentscheidung nicht allein deshalb zu bean-
standen ist, weil später aufgrund geänderter Umstände
ein Abriss erfolgte.
Schließlich begrüßen alle Fraktionen ganz besonders,
dass mit dem so genannten DDR-Entschädigungserfül-
lungsgesetz eine Regelung der „stecken gebliebenen
Entschädigungen“ erfolgte. Dies sind die Fälle, wo be-
reits aufgrund von DDR-Bestimmungen Entschädigun-
gen zugesprochen wurden, diese dann aber nicht berech-
net oder ausgezahlt wurden. Die Betroffenen warten hier
bereits seit Jahren auf eine Regelung, die auch vom Peti-
tionsausschuss des Deutschen Bundestages bereits ange-
mahnt wurde. Aber auch hier mussten weitere Lücken
geschlossen werden, wie etwa bei den freigestellten aus-
ländischen Anteilen.
Abschließend hoffe ich, dass wir Regelungen verab-
schieden, die die Bearbeitung der noch ausstehenden
Entschädigungsfälle tatsächlich beschleunigen, denn die
Opfer verdienen eine raschere Abarbeitung. Offen sind
noch zwei Probleme aus dem landwirtschaftlichen Be-
reich, die mein Fraktionskollege Peter Jahr ansprechen
wird. Ansonsten möchte ich hier noch meine beiden
Fraktionskollegen Günter Nooke und Andrea Voßhoff
erwähnen, die sich beim Entschädigungsänderungsge-
setz besonders engagiert haben. Alle Fraktionen haben
hier engagiert nach einer Lösung im Interesse der Be-
troffenen gesucht und deshalb verabschieden wir das
heutige Entschädigungsrechtsänderunggesetz einstim-
mig.
Dr. Peter Jahr (CDU/CSU): Insgesamt gesehen wa-
ren die Ausschussberatungen, in denen auch die Ergeb-
nisse der Anhörung verarbeitet wurden, durchaus erfolg-
reich.
Trotzdem sind quasi im Mainstream der positiven
Veränderungen aus meiner Sicht zwei Teilprobleme ver-
gessen worden. Dies ist umso ärgerlicher, als es hier
einerseits um finanziell geringe Beträge geht; anderer-
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eits sind hier zumindest bei den landwirtschaftlichen
raltschulden ausschließlich Bürger der neuen Bundes-
änder betroffen. Aus diesem Grund muss ich die frak-
ionsübergreifende Harmonie etwas stören.
Worum geht es? Problem Nummer eins: Im Kommu-
ismus gab es immer das Prinzip „Zuckerbrot und Peit-
che“. Deshalb wurden die Klein- und Mittelbauern
wangsweise in die landwirtschaftlichen Produktionsge-
ossenschaften (LPG) gepresst. Auf der anderen Seite
urden die Schulden bzw. Kredite dieser mittelbäuer-
ichen Betriebe vom Staat übernommen. Aber merk dir:
enn dir ein Kommunist was schenkt, dann schenkt er
ir das nie richtig und vor allem steht dann immer im
leingedruckten, wie er dir das Geschenkte wieder weg-
ehmen kann. Das heißt: Die Entschuldungsmaßnahmen
urden nur so lange aufrecht erhalten, wie der Eigen-
ümer Mitglied der LPG blieb. Allerdings hat die Staats-
erwaltung zu DDR-Zeiten diesen Sachverhalt zwar sehr
ufmerksam registriert, aber seltenst die Kredite einge-
rieben. So waren praktisch am Tag der deutschen Ein-
eit 12 000 Zahlfälle in einem Wertumfang von 15 Milli-
nen Euro von der sozialistischen Verwaltung sauber
ufgeschrieben und registriert. Und es war schon ein we-
ig makaber, dass nun die Bundesrepublik Deutschland
as Geld nun eintrieb, das die Kommunisten quasi „ver-
essen“ hatten einzutreiben. Für mich war es schon sehr
erkwürdig, wie widerspruchslos die bundesdeutsche
erwaltung kommunistische Rechtsphilosophie prak-
isch umsetzte. Und das sehr erfolgreich! In kürzester
eit wurden nahezu alle der 12 000 Zahlfälle realisiert.
Der Bundestag war es aber auch, der 1991 mit dem
50 des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes ein kleines
toppzeichen setzte und festgelegt hat, dass für diejeni-
en Kreditinhaber, die nach der Wende wieder einen
andwirtschaftlichen Betrieb eingerichtet haben, der Ent-
chuldungstatbestand erhalten bleibt.
Gegenwärtig sind noch 113 Fälle mit einer Gesamt-
umme von 197 000 Euro erfasst.
Die Bundesregierung will nun den § 50 des Landwirt-
chaftsanpassungsgesetzes streichen und diese Uralt-
chulden in Höhe von 197 000 Euro wieder eintreiben.
ch halte das einfach für instinktlos, unüberlegt und für
chlicht und ergreifend unanständig. Ich wünsche mir,
ass man Wiedereinrichtern landwirtschaftlicher Be-
riebe diese Uraltschulden endlich streicht. Diesmal für
mmer!
Ein zweites Probleme: Auch in der DDR gab es, man
laubt es kaum, ein so genanntes Entschädigungsgesetz.
ie Entschädigungssummen waren extrem niedrig und
anchmal kam es vor, dass die Summen nicht ausge-
ahlt wurden. Dies galt insbesondere auch für ausländi-
che Beteiligung an Unternehmen.
Es ist richtig, dass sich der Gesetzgeber durch diesen
ntwurf zu der nachträglichen Auszahlung dieser Ent-
chädigung bekennt. Unverständlich bleibt mir jedoch,
arum dieser Entschädigungsanspruch ab In-Kraft-Tre-
en des Gesetzes mit nur 4 Prozent jährlich verzinst wird,
ährend alle anderen Ansprüche im Gesetz mit 6 Pro-
ent verzinst werden.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6059
(A) )
(B) )
Aus den genanten Gründen halte ich den Gesetzent-
wurf noch für verbesserungswürdig und hoffe hier auf
positive Veränderungen in der sich anschließenden Dis-
kussion im Bundesrat.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Von unserem Land ist Unrecht und Ungerechtigkeit aus-
gegangen – Unrecht, das man nie wieder gutmachen
kann, vor allem zwischen 1933 und 1945; Ungerechtig-
keit aber auch in den Jahren nach 1945, in der Behand-
lung NS-Geschädigter. Und hier kann man, in Grenzen,
versuchen, wiedergutzumachen, zu helfen, hier und da
Not zu lindern. Das ist unsere Verpflichtung und Auf-
gabe. Der vorliegende Gesetzentwurf will vor allem
eines: Anhängige Verfahren sollen beschleunigt werden.
Das ist auch richtig so: Denn je länger wir mit der Ab-
wicklung warten, desto mehr Anspruchsberechtigte ster-
ben. Das ist wirklich beschämend. Im Bereich der Rück-
gabe sind 95 bis 98 Prozent der Fälle erledigt. Bei den
Entschädigungen sind es aber noch unter 50 Prozent, in
absoluten Zahlen: Circa 40 000 Fälle sind noch offen.
Können wir nun mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
ein schnelleres Verfahren schaffen? Ja, wir können, mit
Änderungen in der Verwaltungsorganisation und im Ver-
waltungsverfahren. Die Zielsetzung ist klar: Wir wollen
zügige Verfahrensabschlüsse erreichen, um den Betrof-
fenen schnell Entschädigungsleistungen zukommen zu
lassen. Im Laufe der letzten Monate ist nun aber eines
moniert worden: Besteht nicht die Gefahr, dass es eben
durch die Zusammenlegung der Verwaltungsorganisa-
tion insgesamt zu längeren Verfahren kommt, zum Bei-
spiel weil sich neue Sachbearbeiterinnen oder Sachbear-
beiter in Verfahren einarbeiten müssen, die einen
jahrelangen Vorlauf haben, und sie diesen Vorlauf erst
neu für sich erfassen müssen?
Diese Frage haben wir sehr ernst genommen. Im par-
lamentarischen Verfahren ist dies lange diskutiert. Nun
ist eine wesentliche Änderung in den Gesetzentwurf auf-
genommen worden: Mit dem Entschädigungsrechtsän-
derungsgesetz soll die Zuständigkeit für die Abwicklung
von NS-Verfolgten von den bisher zuständigen Länder-
behörden auf die Bundesebene übergehen. Dies kann tat-
sächlich in Fällen, die noch nicht abgeschlossen, aber
schon weit fortgeschritten sind, zu Verzögerungen füh-
ren, also das Gegenteil dessen bewirken, was eigentlich
angestrebt wird: Beschleunigung der Verfahren.
Deshalb haben sich die Koalitionsfraktionen dazu ent-
schlossen, für diese Fälle einen besonderen Weg bzw.
eine Übergangsregelung zu öffnen: Diese Übergangs-
regelung ermöglicht es den Ämtern und Landesämtern,
zur Regelung offener Vermögensfragen solche Verfahren
der NS-Verfolgten noch zu Ende zu führen, die kurz vor
dem Abschluss stehen.
Zur Höhe der Zinszahlungen: Ziel der Änderungen im
Entschädigungsrecht ist aber nicht nur der zügigere
Verfahrensabschluss, sondern auch die zinsmäßige
Gleichstellung aller Anspruchsberechtigten. Der Bund
übernimmt von den Ländern die Fälle der rassisch und
politisch Verfolgten des NS-Regimes mit dem Ziel
schnellerer Bearbeitung. Ansprüche, die zu DDR-Zeiten
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icht erfüllt bzw. verschleppt wurden, generieren auch
ei dieser Gruppe nun Verzugszinsen. Der Finanzaus-
chuss im Deutschen Bundestag hat für einen Zinssatz
on generell 6 Prozent ab dem Jahr 2004 für alle An-
prüche votiert.
Damit ist einer dringenden Bitte aus der Anhörung
echnung getragen worden. Eine gemeinsame Be-
chlussfindung zwischen Koalition und Opposition war
öglich. Dies begrüßen wir außerordentlich, da sich un-
erer Ansicht nach dieses sensible Thema nicht für Par-
eitaktik eignet. Aus dem Selbstverständnis des Parla-
entes heraus ist hier eine einvernehmliche Lösung
innvoll. Befürchtungen bezüglich einer hohen Mehrbe-
astung des Bundeshaushaltes konnten ausgeräumt wer-
en. Die Zielsetzung ist ja gerade ein schnellerer Verfah-
ensabschluss. Wir gehen davon aus, dass die einzelnen
erfahren nun zügig abgeschlossen werden können und
amit keine Zinszahlungen bis weit über 2008 hinaus
enerieren.
Fazit. Unser Ziel bleibt weiterhin der zügige Verfah-
ensabschluss sowie die zinsmäßige Gleichstellung der
nspruchsberechtigten. Diesem Ziel sind wir mit dem
orliegenden Gesetzentwurf einen großen Schritt näher
ekommen. Die Frage nach Entschädigungen für began-
enes Unrecht verdient seriöse und über die Parteigren-
en hinweg einvernehmlich getragene Lösungen. Inso-
ern bin ich dankbar, dass wir hier über die Parteigrenzen
inweg zu einer Einigung kommen konnten.
Rainer Funke (FDP): Der vorliegende Gesetzent-
urf findet im Ergebnis unsere Zustimmung. Bei die-
em Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Entschä-
igungsgesetzes und anderer Vorschriften handelt es
ich um ein so genanntes Omnibus-Gesetz oder auch
rtikel-Gesetz, in dem verschiedene Gesetze geändert
erden, um sie in der Praxis besser umzusetzen bzw.
eren Umsetzung zu beschleunigen. Viele dieser Ge-
etze wurden bald nach der Wiedervereinigung verab-
chiedet. Wie es bei der komplizierten Regelung von
ntschädigungsregeln nicht anders zu erwarten war, ha-
en sich im Laufe der Zeit verfahrensmäßige Schwierig-
eiten herausgestellt. Diese werden mit dem vorliegen-
en Gesetzentwurf beseitigt. Hinzu kommen einige
larstellungen der Gesetzestexte. Darüber hinaus kann
unmehr damit gerechnet werden, dass die Durchfüh-
ung des EALG bis zum Jahre 2010 abschließend ge-
echnet werden kann. Solche kleineren Reparaturgesetze
ind überhaupt nicht besorgniserregend und kein Anlass,
ie bisherige Gesetzesarbeit zu kritisieren, wenn man
edenkt, dass solche Entschädigungs und Ausgleichs-
eistungen und die Durchführung der Abwicklung
ußerst kompliziert sind, da unterschiedlichste Sachver-
alte zu regeln sind.
In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass
nsere Lastenausgleichsregelungen in der alten Bundes-
epublik Deutschland ebenfalls vielerlei Änderungen
nd Ergänzungen erfahren haben. Allein das Lastenaus-
leichsgesetz ist über 30-mal novelliert worden und auch
eute noch habe ich die Ehre, beim Kontrollausschuss
es Bundesausgleichsamtes als Mitglied zu wirken –
6060 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
immerhin 58 Jahre nach Beendigung des Zweiten Welt-
krieges. Insoweit erscheinen mir die heute vorliegenden
Änderungen geradezu marginal.
Wir werden demgemäß diesem Gesetz zustimmen,
zumal im Laufe der Beratungen für die Entschädigungs-
berechtigten, insbesondere bei der Festlegung des Zins-
fußes in Höhe von 6 Prozent, weitere Verbesserungen
durchgesetzt werden konnten. Ich darf insoweit der Bun-
desregierung für die Aufbesserung danken, weil auf-
grund dieser Nachbesserung dieses Gesetz eine breite
Mehrheit im Deutschen Bundestag findet.
Abschließend lassen Sie mich die Hoffnung ausspre-
chen, dass bis zum Jahre 2010 die anhängigen Entschä-
digungsverfahren ihren Abschluss gefunden haben wer-
den und wenigstens insoweit eine gewisse Befriedung
innerhalb unserer Rechtsordnung gefunden werden
kann.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Die Regelung der offenen
Vermögensfragen gehört nach wie vor zu den schwie-
rigsten Aufgaben, die mit der deutschen Wiedervereini-
gung verbunden sind. Ziel war und ist die Beseitigung
von Unrecht aus der Vergangenheit und die Wiederher-
stellung einer demokratischen und rechtstaatlichen Ei-
gentumsordnung. Die rechtliche Grundlage hierfür ist
vor allem das Vermögensgesetz, das die Voraussetzun-
gen für die Rückgabe von Vermögenswerten festlegt und
dabei einen gerechten Interessensausgleich zwischen al-
len Betroffenen anstrebt.
Dass bei der Aufarbeitung der Hinterlassenschaften
der DDR nicht allen Hoffnungen und Wünschen Rech-
nung getragen werden konnte, ist angesichts der ver-
schiedenen Rechtsentwicklung in den beiden Teilen
Deutschlands letztlich unvermeidlich, wenn nicht neues
Unrecht geschaffen werden soll. Ohne das Vermögens-
gesetz wären die Chancen auf eine Überwindung der
Teilung Deutschlands jedoch gering gewesen.
In den letzten Jahren sind große Fortschritte bei der
Abarbeitung der noch offenen Verfahren erzielt worden.
Die Entscheidungen über die Rückgabe von Vermögens-
werten sind zu über 90 Prozent getroffen worden. Damit
hat das Vermögensgesetz einen wesentlichen Beitrag zur
rechtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in den
neuen Bundesländern geleistet. Es darf aber auch nicht
verschwiegen werden, dass im Bereich der Entschädi-
gungen der Bearbeitungsfortschritt weit hinter den Er-
wartungen des Gesetzgebers aus dem Jahr 1994 zurück-
geblieben ist. Das damals –1994 – nach intensiven und
ausführlichen parlamentarischen Beratungen erlassene
Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, das ein
Bündel von Einzelgesetzen für die verschiedenen Grup-
pen der Geschädigten enthält, stellte einen wichtigen
Schlussstein bei der Regelung der offenen Vermögens-
fragen dar. Es enthält vor allem Entschädigungsregelun-
gen zugunsten der Betroffenen, deren Vermögenswerte
nicht zurückgegeben werden konnten. Der Gesetzgeber
rechnete 1994 damit, dass bis zum Ende des Jahres 2003
die Entschädigungsansprüche im Wesentlichen erfüllt
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ein würden. Heute ist offensichtlich, dass dieses Ziel
icht erreicht werden wird.
Die Gründe für die verzögerte Durchführung der Ent-
chädigungsgesetze sind vielfältig. Vor allem muss
erücksichtigt werden, dass die Aufarbeitung des ge-
chehenen Unrechts mit zahlreichen praktischen
chwierigkeiten verbunden ist, da von den in erster Li-
ie zuständigen Landesbehörden häufig mit großem
ufwand bereits lange zurückliegende Sachverhalte er-
ittelt werden müssen. Dies war auch bei der Durchfüh-
ung der anderen Gesetzeswerke im Bereich der Wieder-
utmachung und der Bewältigung von Kriegsfolgen
mmer wieder festzustellen. Der damit verbundene Auf-
and ist unvermeidbar, da es zur historischen Aufgabe
er Bundesrepublik gehört, sich mit ihrer Vergangenheit
useinander zu setzen.
Verfolgt man das Ziel einer Wiedergutmachung im
inzelfall, ist es – wie auch in der öffentlichen Anhörung
um Gesetzentwurf sehr deutlich wurde – unumgäng-
ich, dass die rechtlichen Bestimmungen sehr differen-
iert und komplex sein müssen, um den vielen Facetten
er persönlichen Schicksale gerecht zu werden. Lücken
nd Widersprüche im Regelungswerk werden bei aller
orgfalt häufig erst in der Konfrontation mit der Praxis
eutlich. Dies beruht nicht zuletzt auch darauf, dass die
echtswirklichkeit von SBZ und DDR in vielen Fällen
urchaus nicht den dort offiziell geltenden Vorschriften
ntsprach, sondern viele Elemente der Willkür enthielt,
ie erst nach und nach erkannt werden. Das stufenweise
n-Kraft-Treten von Bestimmungen zu den offenen Ver-
ögensfragen und die immer wieder notwendige Nach-
esserung und Änderung einzelner Vorschriften haben
icht zur Beschleunigung der Verfahren beigetragen.
Ein Grund für die im Hinblick auf die Zielvorstellun-
en des Gesetzgebers schleppende Bearbeitung ist aller-
ings auch, dass die Länder, die für die Durchführung
er Gesetze im Bereich der offenen Vermögensfragen
erantwortlich sind, ihr Personal seit Jahren massiv ab-
ebaut haben. Von den zu Beginn der 90er-Jahre einge-
etzten etwa 5 000 Beschäftigten sind – nach Aussagen
on Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung –
eute nur noch rund 1 000 übrig. Bereits seit Jahren wird
iese Entwicklung von der Bundesregierung mit Sorge
erfolgt. An deutlichen Worten gegenüber den Landesre-
ierungen hat es nicht gefehlt, ohne dass dies zu wesent-
chen Verbesserungen geführt hat. Nach realistischen
chätzungen der mit der Durchführung der Gesetze be-
assten Behörden würde die Beibehaltung des derzeiti-
en Bearbeitungstempos dazu führen, dass die offenen
ermögensfragen selbst im Bereich der Verwaltung
icht vor dem Jahr 2020 erledigt werden können. Ich
laube, wir sind uns darin einig, dass dies weder den Be-
offenen noch den beteiligten Verwaltungsträgern zuzu-
uten ist.
Bund und Länder haben sich daher heute darüber ver-
tändigt, dass die noch offenen Fälle im Wesentlichen
is zum Ende des Jahres 2010 abgearbeitet werden müs-
en. Hierzu soll das Entschädigungsrechtsänderungsge-
etz einen wesentlichen Beitrag leisten. Dabei setzt es in
inem historisch und politisch besonders wichtigen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6061
(A) )
(B) )
Bereich an: Zu den offenen Vermögensfragen gehört als
besondere Aufgabe auch die Feststellung und Erfüllung
von Ansprüchen der NS-Verfolgten. Die Bundesrepublik
Deutschland musste nach 1990 auch die von der DDR
versäumte Wiedergutmachung nationalsozialistischen
Unrechts nachholen. Opfer der nationalsozialistischen
Verfolgungsmaßnahmen haben in aller Regel ihre im
Beitrittsgebiet gelegenen Vermögenswerte nach 1945
nicht zurückerhalten können. Diese Möglichkeit hat ih-
nen die Bundesrepublik Deutschland erst im Vermögens-
gesetz eingeräumt (§ 1 Abs. 6 Vermögensgesetz). Auch
bei diesen Verfahren, die Zwangsverkäufe und Enteig-
nungen aus dem Zeitraum von 1933 bis 1945 zum Ge-
genstand haben, liegt die Erledigungsquote leider weit
hinter den Erwartungen des Gesetzgebers zurück. Dies
fällt schon deshalb besonders schwer ins Gewicht, weil
das geschehene Unrecht vielfach mehr als 60 Jahre zu-
rückliegt und die Betroffenen seither auf eine Wieder-
gutmachung warten müssen.
Das Entschädigungsrechtsänderungsgesetz setzt da-
her ganz gezielt in diesem Bereich an, um eine nachhal-
tige Beschleunigung der Verfahren zu erreichen. Zu die-
sem Zweck konzentriert das Gesetz alle die NS-
Verfolgten betreffenden Verfahren auf das Bundesamt
zur Regelung offener Vermögensfragen. Die Feststellung
der Berechtigung und die Entscheidung über die Rück-
gabe, die bisher in die Verantwortung der Bundesländer
fiel, sowie die Entscheidung über die Höhe einer Ent-
schädigung bei Ausschluss der Rückgabe, die bisher in
den Händen der Oberfinanzdirektion Berlin lag, sollen
dabei zu einem einheitlichen Verfahren beim Bundesamt
zusammengefasst werden. Die zentrale Erledigung die-
ser Verfahren durch den Bund wird zugleich durch eine
erhebliche Aufstockung des Personals unterstützt, sodass
mit der Erledigung dieser Aufgabe in Zukunft mehr Per-
sonal befasst sein wird, als das bisher in den Bundeslän-
dern der Fall war. Dabei kann auf schon vorhandenes
Personal zurückgegriffen werden, das im Bereich der
Bundesvermögensverwaltung zur Verfügung steht und
seit Mitte des Jahres intensiv auf die neue Aufgabe vor-
bereitet wird. Ein weiterer Effekt dieser Umgestaltung
der Verwaltungsorganisation ist, dass die Bundesländer
durch den Wegfall der bisherigen Aufgaben im Bereich
der NS-Verfolgten frei gewordenes Personal in den an-
deren Bereich der offenen Vermögensfragen zusätzlich
einsetzen können. Dies wird also auch dort zu einer Be-
schleunigung der Abarbeitung von Entschädigungsfällen
führen.
Neben dieser Kernregelung zur Förderung der Abar-
beitung der offenen Vermögensfragen enthält das Gesetz
weitere Vorschriften, die zur Entlastung der Verwaltung
führten sollen. Hiervon ist vor allem die Beschränkung
des Wiederaufgreifens von bestandskräftig abgeschlos-
senen Verfahren, die einen Ausschluss der Rückgabe
von Vermögenswerten zum Gegenstand haben, von Be-
deutung. Die Ausschlussgründe hängen im Wesentlichen
mit öffentlichen Interessen am Beibehalten der am Ende
der DDR bestehenden Eigentumsverhältnisse zusam-
men. Insbesondere betroffen hiervon ist neben der un-
mittelbaren öffentlichen Nutzung der so genannte kom-
plexe Wohnungsbau. Würde nun jede Änderung in der
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utzung ein mögliches Wiederaufgreifen bereits ent-
chiedener Verfahren und damit eine mögliche weitere
ntscheidung über die Eigentumsverhältnisse nach sich
iehen, könnte auf die sozialen und wirtschaftlichen Än-
erungen in den neuen Bundesländern nicht mehr unein-
eschränkt reagiert werden. Das Entschädigungsrechts-
nderungsgesetz schafft hier eine Rechtssicherheit, auf
ie insbesondere die Kommunen und Wohnungsbauge-
ellschaften angewiesen sind, die von der Bevölkerungs-
ntwicklung in einzelnen Regionen massiv betroffen
ind.
Aufgrund der verzögerten Erledigung der Verfahren
st auch Regelungsbedarf bei der Erfüllung von Entschä-
igungsansprüchen entstanden. Festgestellte Entschädi-
ungsansprüche wurden bisher durch die Ausgabe von
chuldverschreibungen des Entschädigungsfonds erfüllt.
ach den Vorstellungen des Gesetzgebers von 1994
ollte die Feststellung der Entschädigungsansprüche und
amit auch die Zuteilung von Schuldverschreibungen im
esentlichen bis zum Ende des Jahres 2003 abgeschlos-
en sein. Dieses Ziel kann aus den genannten Gründen
icht mehr erreicht werden. Die Erfüllung von Entschä-
igungsansprüchen muss daher für den Zeitraum ab
004 neu geregelt werden. Zur Verwaltungsvereinfa-
hung soll dabei das System der Ausgabe von Schuld-
erschreibungen nicht fortgeführt werden. Stattdessen
ollen die Entschädigungsleistungen auf unmittelbare
eldzahlungen umgestellt werden.
Auch die Bestimmungen über die Verzinsung von
ntschädigungsleistungen müssen dem erweiterten Zeit-
ahmen angepasst werden. Die Geldleistungen werden
abei den Schuldverschreibungen, für die – je nach Til-
ungszeitpunkt – eine Verzinsung bis Ende 2007 vorge-
ehen ist, gleichgestellt.
Sowohl für die Ansprüche nach dem Entschädigungs-
esetz als auch für die Ansprüche der NS-Verfolgten
ird es daher vom 1. Januar 2004 an bis zu ihrer Be-
cheidung eine Verzinsung von 6 Prozent im Jahr geben.
iese Höhe der Verzinsung wird auch über das Jahr
007 hinaus beibehalten werden.
Ein weiteres wichtiges Anliegen des Gesetzentwurfs
st die Regelung der so genannten steckengebliebenen
ntschädigungen. Damit wird eine der letzten Lücken
ei der Aufarbeitung der offenen Vermögensfragen ge-
chlossen.
Hintergrund für diese Regelung ist, dass es im Bei-
rittsgebiet zwar teilweise Entschädigungsbestimmungen
ür Enteignungsfälle gab, die Entschädigungen in der
echtswirklichkeit von SBZ und DDR jedoch entweder
icht festgestellt oder nicht ausgezahlt wurden. Ver-
chärft wurde diese Situation durch die Rechtsprechung
es Bundesverwaltungsgerichts, das den Tatbestand ei-
er entschädigungslosen Enteignung immer schon dann
usschließt, wenn in der SBZ oder der DDR eine theore-
ische Entschädigungsmöglichkeit bestand. Die Vor-
chriften des Vermögensgesetzes können in diesen Fäl-
en folglich keine Anwendung finden. Auch der
etitionsausschuss des Deutschen Bundestages hat sich
it derartigen Fällen bereits befasst und fordert seit lan-
em eine Lösung dieses Problemkreises.
6062 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
Mit dem im Rahmen des Entschädigungsrechtsän-
derungsgesetzes vorgelegten Entwurf eines DDR-Ent-
schädigungserfüllungsgesetzes soll hier nun Abhilfe ge-
schaffen werden. Angeknüpft wird dabei an die
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der Betroffe-
nen in Einzelfällen einen zivilrechtlichen Entschädi-
gungsanspruch gegen den heutigen Rechtsträger zuge-
standen hat. Auf dieser Grundlage soll eine Regelung
eingeführt werden, die dem Betroffenen innerhalb eines
Verwaltungsverfahrens den Anspruch auf eine pauscha-
lierte Entschädigung gewährt. Dieses Verfahren ist auch
auf Zustimmung des Bundesrates gestoßen, der bislang
eine Regelung der steckengebliebenen Entschädigungen
nur dann befürwortete, wenn hierfür ausschließlich der
Bund – Erblastentilgungsfonds – haften würde. Es ist
insofern zu hoffen, dass auch dieser Bereich der offenen
Vermögensfragen nun einen angemessen Abschluss
findet.
Weitere Regelungen des Entschädigungsrechtsände-
rungsgesetzes dienen der Vereinfachung und Bereini-
gung von Rechtsvorschriften sowohl im Bereich des
Kriegsfolgenrechts als auch des noch bestehenden Son-
derrechts im Beitrittsgebiet und tragen insofern auch zur
Entlastung der Verwaltung von aufwendigen oder über-
flüssigen gesetzlichen Bestimmungen bei.
Insgesamt soll das Entschädigungsrechtsänderungs-
gesetz der Lösung offener Vermögensfragen neue Im-
pulse verleihen. Mit dem In-Kraft-Treten dieses Geset-
zes wird die realistische Möglichkeit eröffnet, die
offenen Vermögensfragen bis zum Ende des Jahres 2010
weitgehend abzuschließen und damit einen wesentlichen
Beitrag zur Vollendung der inneren Einheit Deutsch-
lands zu leisten.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen und zur Ände-
rung anderer Vorschriften (Tagesordnungs-
punkt 16)
Karl Hermann Haack (Extertal) (SPD): Die Konti-
nuität in der politischen Konzeptionierung und die Zu-
sammenarbeit mit den behinderten Menschen und ihren
Organisationen gehören zu den wichtigen Grundsätzen
der Behindertenpolitik der Bundesregierung.
Durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosig-
keit Schwerbehinderter vom Oktober 2000, durch das
Sozialgesetzbuch IX, Rehabilitation und Teilhabe behin-
derter Menschen, aus dem Juli 2001 sowie die Kampagne
„50 000 Jobs für Schwerbehinderte“ konnte trotz
schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen die Beschäf-
tigungssituation von schwerbehinderten Menschen seit
1999 verbessert werden. In die Reihe sozialpolitischer
und rechtlicher Innovation gehört auch das Gleichstel-
lungsgesetz für behinderte Menschen vom Mai 2002.
Nun, im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinde-
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ungen 2003 setzen die Bundesregierung und die Koali-
ionsfraktionen mit dem Gesetzentwurf zur Förderung
er Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter
enschen ihre 1998 begonnene umfassende Politik zur
ingliederung und selbstbestimmten Teilhabe von Men-
chen mit Behinderungen in einem wichtigen Feld des
ebensalltags der Betroffenen auf dem Fundament der
enannten Grundsätze fort.
Die Einbringung dieses Gesetzentwurfes steht somit
n der Kontinuitätslinie einer erfolgreichen Behinderten-
olitik. Es ist auch Bestandteil dieser Politik, dass sie
ich einer immerwährenden Überprüfung der Praxis der
nwendung und der Frage nach ihrer Passgenauigkeit
ngesichts gesellschaftlicher Entwicklungen stellt. Diese
esetzentwicklung ist somit als eine lernende Gesetzge-
ung zu bezeichnen.
Bevor ich darauf und auf einige wesentliche Inhalte
es Entwurfes zu sprechen komme, möchte ich noch ein-
al die Fakten der Beschäftigungssituation behinderten
enschen in Erinnerung rufen: Im Oktober 1999 hatte
ie Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten fast
90 000 erreicht. In gemeinsamer Anstrengung auf der
asis der von der Bundesregierung eingeleiteten Maß-
ahmen gelang es, diese Zahl bis Oktober 2002 auf etwa
44 000 zu senken. Die schwierige wirtschaftliche Lage
nd – ich will dies hier nicht verschweigen – ein gewis-
es Nachlassen der Bemühungen der Arbeitsverwaltung
m Winterhalbjahr 2002/2003 führten zu einem Anstieg
er Arbeitslosigkeit auch bei behinderten Menschen. Ge-
enwärtig stehen wir bei 167 561 arbeitslosen Schwer-
ehinderten. Im Trend und im Ergebnis ist dies ein bes-
eres Resultat als auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Darauf bauen wir auf. Das heißt für die Bundesregie-
ung – im Sinne der Kontinuität –, die Rahmenbedingun-
en, die mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeits-
osigkeit Schwerbehinderter für die Arbeitgeber
eschaffen wurden, nicht zu verändern. Konkret: Die
eschäftigungspflichtquote von 5 Prozent und die Staf-
elung der Ausgleichsabgabe werden beibehalten. Dies
ird mit der Erwartung verbunden, dass die Arbeitgeber
ie mit dem Anstieg der Beschäftigungsquote von
,7 Prozent im Jahre 2000 auf 3,8 Prozent im Jahre 2001
rkennbaren Bemühungen um die Beschäftigung
chwerbehinderter Menschen steigern. Ziel ist es, dass
ie Beschäftigungspflichtquote von 5 Prozent auch tat-
ächlich erreicht und die zusätzliche Beschäftigung von
und 200 000 schwerbehinderten Menschen gesichert
ird.
Jedoch sind zusätzliche Anstrengungen notwendig,
m die Chancen von Menschen mit Behinderungen auf
em Arbeitsmarkt weiter zu verbessern. Die erfolgrei-
hen Instrumente, die schwerbehinderten Menschen
ehr und bessere Chancen in Ausbildung, Vermittlung
nd Beschäftigung geben, werden nun ausgebaut und er-
änzt. Mit dem Gesetzentwurf streben wir unter anderem
ie folgenden Ziele an:
Die Verbesserung der Ausbildungssituation von
chwerbehinderten Jugendlichen. Die Ausbildungsbe-
eitschaft der Betriebe wird gefördert; betriebliche und
berbetriebliche Ausbildung werden besser miteinander
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6063
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verzahnt. Das Gesetz schafft hier Anreize für die Arbeit-
geber; auf der anderen Seite erwarte ich, dass Industrie
und Handwerk ihr Versprechen einlösen, verstärkt in die
Ausbildung behinderter Jugendlicher zu investieren.
Die Verbesserung der Vermittlung durch die Stärkung
der Handlungsfähigkeit der Institutionen vor Ort. Die
Aufgaben von Integrationsämtern und Integrationsfach-
diensten werden so zugeschnitten, dass sie passgenaue
Vermittlungs- und Unterstützungsleistungen sowohl für
die schwerbehinderten Menschen wie auch für die Ar-
beitgeber erbringen können. Ab dem Januar 2005 wird
die Strukturverantwortung für die Integrationsfach-
dienste von der Bundesanstalt für Arbeit auf die Integra-
tionsämter übertragen. Bei den Integrationsfachdiensten
sollen alle begleitenden Fachdienste, beispielsweise die
psychosozialen Fachdienste, konzentriert werden. Die
Dienstleistungskompetenz von Integrationsämtern und
Servicestellen wird verknüpft und gestärkt. Sie muss nun
aber auch in Anspruch genommen werden! Hierhin ge-
hört auch, dass im Hinblick auf die besondere Problem-
lage seelisch behinderter Menschen vorgesehen wird,
dass die Inanspruchnahme, die Zusammenarbeit und die
Vergütung der Tätigkeit der Integrationsfachdienste
durch die Rehabilitationsträger in einer gemeinsamen
Empfehlung geregelt wird. Hieran wird die Bundesar-
beitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfür-
sorgestellen beteiligt.
Die Verbesserung und Sicherung der Beschäftigung
durch Prävention im Betrieb. Das Instrument der betrieb-
lichen Integrationsvereinbarung soll stärker mit Leben
erfüllt werden und auch Maßnahmen zur Prävention
durch ein betriebliches Eingliederungsmanagement um-
fassen. Zur Überwindung von Beschäftigungshindernis-
sen sind die notwendigen Maßnahmen durch alle Betei-
ligten innerhalb und außerhalb des Betriebes zu
koordinieren.
Durchsetzung geltenden Rechts. Um bei der Teilhabe
behinderter Menschen Erfolge erzielen zu können, muss
das geltende Recht in der Praxis auch angewandt und
umgesetzt werden. Dass hier – nicht nur in der beruf-
lichen Eingliederung – Defizite bestehen, hat die eintä-
gige Anhörung zum SGB IX gezeigt, die die Koalitions-
arbeitsgruppe „Menschen mit Behinderungen“
vergangene Woche durchgeführt hat. So kommen die
Rehabilitationsträger ihrer Verpflichtung, gemeinsame
Empfehlungen zu vereinbaren, bisher nur unzureichend
nach. Dies gilt auch für eine gemeinsame Empfehlung
zur frühzeitigen Erkennung des Rehabilitationsbedarfs,
in die Fragen zur Einbindung von Haus- und Fachärzten
einschließlich der Betriebs- und Werksärzte sowie der
Informationsaustausch mit behinderten Beschäftigten,
Arbeitgebern und den Interessenvertretungen der Be-
schäftigten in Betrieben gehören. Ich unterstütze nach-
drücklich, dass das Bundesministerium für Gesundheit
und Soziale Sicherung die Rehabilitationsträger förmlich
aufgefordert hat, entsprechende Entwürfe bis Ende des
Jahres 2003 vorzulegen, um gegebenenfalls die notwen-
digen Regelungen in Rechtsverordnungen treffen zu
können.
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Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Be-
ufsleben ist und bleibt eine Aufgabe, für die durch das
esetz ein verbesserter Rahmen geschaffen werden
ird, der aber auf die Mithilfe vieler angewiesen ist. Das
rgebnis der Kampagne 50 000 Jobs für Schwerbehin-
erte hat gezeigt, dass dies gelingen kann.
Das Ministerium für Gesundheit und Soziale Siche-
ung hat sich in der Vorbereitung des Gesetzentwurfes,
er in einem beispielhaft offenen Prozess entstand, er-
olgreich um Mitarbeit bei allen Interessengruppen be-
üht. Es liegt nun bei den Beteiligten, den Arbeitgebern
nd Gewerkschaften, den Integrationsämtern und nicht
uletzt der Bundesanstalt für Arbeit, jetzt auch für die
msetzung dieses Gesetzes ihren Beitrag zu leisten und
ie Berufschancen von Menschen mit Behinderungen
emeinsam fortzuentwickeln.
Positive Entscheidungen für Ausbildung und Be-
chäftigung schwerbehinderter Menschen sollen stabi-
isiert, initiiert und ausgeweitet werden. Dies kann nur
rfolgreich sein bei verstärktem koordinierten Zusam-
enwirken von Bundesregierung, Ländern, Organisatio-
en der Sozialpartner und der behinderten Menschen so-
ie Behörden auf Bundes- und Landesebene –
nterstützt auch durch Verbände von Rehabilitationsträ-
ern, Zusammenschlüssen betrieblicher Interessenver-
retungen und privaten Initiativen. Auch ich als Behin-
ertenbeauftragter der Bundesregierung sehe mich als
eil dieses Netzwerkes und werde zu dessen Wirken und
elingen beitragen.
Mit der Fortentwicklung der beschäftigungspoliti-
chen Instrumente für Menschen mit Behinderungen
andelt die Koalition auf drei Ebenen: Wir stehen mit
ieser Politik in dem Gesamtzusammenhang der An-
trengungen der Bundesregierung, Arbeitsmarkt und so-
iale Sicherungssysteme zu reformieren und als effi-
iente und erfolgreiche Dienstleistungen für den
inzelnen zu gestalten. Zweitens handeln wir in der
berzeugung, dass es bei der Teilhabe am Arbeitsleben
icht nur um Einkommen, sondern auch um ein grundle-
endes humanes und soziales Bedürfnis geht, das Men-
chen mit und ohne Behinderungen ohne Unterschied
eilen. Schließlich wird unsere Politik von der Über-
eugung getragen, dass die Instrumente der Beschäfti-
ungsförderung und Vermittlung von Arbeitsplätzen den
okus auf die Entwicklung und Anwendung der Fähig-
eiten und Kompetenzen der behinderten Menschen zu
egen haben. Mein Anliegen und das Bestreben der Bun-
esregierung ist es auch, mit den Beteiligten die Fortset-
ung der bisherigen äußerst erfolgreichen Initiative zur
eilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben
uf der Grundlage der weiterentwickelten gesetzlichen
ahmenbedingungen zu vereinbaren. Damit können die
nstrengungen aller Beteiligten erneut gebündelt wer-
en und die Ausbildungs- und Beschäftigungssituation
ehinderter, insbesondere schwerbehinderter Menschen
auerhaft verbessert werden.
In den Ausschüssen werden wir über die eine oder an-
ere Frage, den einen oder anderen Paragraphen noch zu
iskutieren haben. Ich würde es als Behindertenbeauf-
ragter der Bundesregierung sehr begrüßen, wenn wir
6064 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
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dies – in der Tradition der Beratungen zum SGB IX und
zum Gleichstellungsgesetz – mit dem Ziel und dem Er-
gebnis einer breiten Zustimmung für diese Maßnahmen
zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen tun könnten.
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Wer die Begründung
des vorliegenden Gesetzentwurfes zur Förderung der
Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Men-
schen liest, kann den Eindruck gewinnen, dass es bei der
beruflichen Integration Schwerbehinderter kaum noch
Probleme gebe. Ähnlich kann es einem ergehen, wenn
man den Bericht der Bundesregierung nach § 160 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch liest. Von großen Er-
folgen wird berichtet, und diese Erfolge seien auf das
„Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbe-
hinderter“ zurückzuführen. Geradezu gebetsmühlenartig
wird von der Bundesregierung vorgetragen, dass es
durch dieses Gesetz gelungen sei, die Zahl arbeitsloser
Schwerbehinderter in der Zeit von Oktober 1999 bis Ok-
tober 2002 um rund 24 Prozent zu senken. Um die
Pflichtquote für die Beschäftigung Schwerbehinderter in
Betrieben dauerhaft von 6 auf 5 Prozent zu senken, hätte
es laut Gesetz allerdings einer Reduzierung von 25 Pro-
zent bedurft. Daher mussten wir ja auch im Januar hier
im Bundestag beschließen, die Senkung der Pflichtquote
um ein Jahr auszusetzen.
In der damaligen Debatte habe ich bereits darauf hin-
gewiesen, dass auch die Senkung der Arbeitslosigkeit
um 24 Prozent im Wesentlichen nicht einer Erhöhung
der Zahl von Arbeitsplätzen zu verdanken ist, sondern
durch Abgänge aus der Arbeitslosenstatistik – vor allem
durch Frühverrentung. Bei schwerbehinderten Jugendli-
chen unter 25 Jahren mussten wir zwischen 1999 und
2002 sogar einen Anstieg der Arbeitslosigkeit beobach-
ten – und dies trotz vieler Programme wie zum Beispiel
des „JUMP“-Programms.
Jedem in diesem Hause ist bewusst, wie außerordent-
lich schwer es zurzeit ist, Arbeitsplätze für Schwerbehin-
derte im ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. Gerade weil
dies so schwer ist, möchte ich an dieser Stelle allen
denen danken, die sich dennoch für solche Arbeitsplätze
eingesetzt haben: den Verbänden, Gewerkschaften und
Unternehmen. Ich halte aber nichts davon, wenn hier die
Bundesregierung immer ihre großartigen Erfolge rühmt,
insbesondere wenn diese offensichtlich einer kritischen
Betrachtung nicht standhalten können.
Die Realität ist nämlich eine andere: Das Gesetz zur
Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter,
das vor drei Jahren beschlossen wurde, hat mehr eine
Bereinigung der Statistik geleistet als tatsächlich dauer-
haft Arbeitsplätze für Schwerbehinderte geschaffen.
Dieser Realität müssen wir uns stellen, wenn wir die
Probleme lösen wollen. Wie sieht denn diese Realität
heute aus? Während die allgemeine Arbeitslosigkeit in
den letzten elf Monaten um circa sieben Prozent gestie-
gen ist, ist gleichzeitig die Arbeitslosigkeit Schwerbe-
hinderter um 16 Prozent angewachsen. Das heißt, die
Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten ist mehr als dop-
pelt so stark gestiegen.
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Konkret hatten wir im September 2003
67 561 schwerbehinderte Arbeitslose und damit
3 269 mehr als im Oktober 2002 und sogar noch
639 mehr als im Oktober 2001. Mit anderen Worten:
as Ziel der Senkung der Arbeitslosigkeit in diesem Be-
eich um 25 Prozent gegenüber Oktober 1999 – so steht
s ja noch im Gesetz – ist mit heute 11,7 Prozent noch
icht einmal zur Hälfte erreicht worden.
Wenn Sie jetzt im Gesetzentwurf von SPD und Bünd-
is 90/Die Grünen die Absenkung der Pflichtquote
uf 5 Prozent endgültig festschreiben, dann können Sie
as zwar mit der allgemeinen Wirtschaftslage begrün-
en, nicht aber mit den Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt.
Die Regierungsparteien haben dem jetzt vorliegenden
esetzentwurf den Titel „Gesetz zur Förderung der Aus-
ildung und Beschäftigung schwerbehinderter Men-
chen“ verliehen. Wenn die Autoren des Gesetzentwur-
es aber nur ein wenig selbstkritisch wären, dann
üssten sie allerdings einräumen, dass ein Titel wie
Korrekturen zum Sozialgesetzbuch IX“ wesentlich pas-
ender wäre. Das bedeutet nicht, dass wir die dort formu-
ierten Änderungen im SGB IX nicht an der einen oder
nderen Stelle für sinnvoll halten. Ich wehre mich aber
agegen, wenn auch jetzt wieder der Eindruck erweckt
erden soll, wir könnten mit diesen Änderungen eine
rundsätzliche und wirklich stabile Verbesserung der
usbildungs- und Beschäftigungslage schwerbehinder-
er Menschen bewirken.
Für die CDU/CSU-Fraktion betone ich heute erneut:
enn es um tatsächliche Verbesserungen, um die Inte-
ration und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen
it Behinderungen geht, dann werden wir über Partei-
nd Fraktionsgrenzen hinweg mit Ihnen zusammenar-
eiten. Dies haben wir beim Zustandekommen
es SGB IX und beim Gleichstellungsgesetz getan, dies
erden wir auch in Zukunft tun, und das gilt auch für
as vorliegende Gesetz.
Wenn die Bundesregierung das Ziel verfolgt, den
bergang schwerbehinderter Menschen aus den Werk-
tätten für behinderte Menschen in den allgemeinen Ar-
eitsmarkt zu fördern, dann werden wir dies natürlich
nterstützen. Aber so richtig es an dieser Stelle ist, für
en betroffenen Personenkreis die Anrechnung der
flichtquote zu verbessern, so wenig bin ich leider über-
eugt, dass es uns damit allein gelingen wird, einem grö-
eren Personenkreis zusätzliche Chancen zu eröffnen.
Dies gilt etwa für den neu eingefügten § 72 Abs. 2
atz 2 SGB IX. Danach sollen Arbeitgeber ab hundert
rbeitsplätzen wenigstens 5 Prozent ihrer Stellen zur be-
uflichen Ausbildung mit behinderten und schwerbehin-
erten Menschen besetzen. Dies ist zwar ein in der Ten-
enz vernünftiger Appell an die Arbeitgeber, aber eben
ur eine „Soll-Vorschrift“, deren Nichterfüllung keine
onsequenzen hat. Hier müsste außerdem das Verfahren
indeutig geregelt sein: Wer stellt denn etwa fest, ob ein
uszubildender im Sinne des Sozialgesetzbuches behin-
ert ist?
Ähnliches gilt für den Bereich der Integrationsverein-
arungen, die weiter ausgebaut werden sollen: Wir mei-
en, dass die Idee vom Ansatz her zwar zu begrüßen ist.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6065
(A) )
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Für eine sinnvolle Weiterentwicklung fehlen aber Erhe-
bungen, wie viele Arbeitgeber diese Vereinbarungen
eigentlich bisher genutzt haben. Nur dann können wir ja
sagen, ob die bisherige Praxis sich bewährt hat oder erst
noch weiter verbessert werden muss.
Wesentlich größere Probleme haben wir aber mit der
von der Bundesregierung geplanten Zustimmungsfiktion
des Integrationsamtes. Hier könnte die Gefahr bestehen,
dass sie gerade dort den besonderen Kündigungsschutz
für Schwerbehinderte aufweichen, wo er besonders ge-
braucht wird. Bei Kündigungen, die im Zusammenhang
mit der Behinderung stehen wie Fehlzeiten oder Minder-
leistung, kann die Bearbeitungsfrist von einem Monat
oft nicht eingehalten werden. Wenn denn eine Fiktion für
notwendig gehalten wird, ist eine Eingrenzung auf die
Fälle des § 89 nötig, in den Fällen also, wo zum Beispiel
der Arbeitgeber in Insolvenz geraten ist.
Ein weiteres Problem tritt hinzu: Die Integrationsäm-
ter müssen die Sachverhalte umfassend und abschlie-
ßend prüfen. Dazu sind sie per Gesetz verpflichtet. Oft-
mals bauen mehrere Schritte zur Aufklärung des
Sachverhalts aufeinander auf. Durch die geplante Fiktion
soll ein Zeitgewinn angestrebt werden. Dieses Ziel ist
zunächst einmal richtig. Darin liegt aber auch die Ge-
fahr, dass die Integrationsämter nur unzureichend prüfen
und dann im Widerspruchsverfahren alles nachgeholt
werden muss.
Besonders gefreut hatte ich mich über die im Referen-
tenentwurf vorgesehene Beteiligung der Schwerbehin-
dertenvertretung als Wirksamkeitsvoraussetzung für
Maßnahmen des Arbeitgebers. Dies ist ein Anliegen, das
wir mit unserer Kleinen Anfrage „Integration von Men-
schen mit Behinderungen“ aufgegriffen hatten. Diese
Regelung hätte zwar einer präzisen Konkretisierung be-
durft, da kein Mensch wusste, welche Entscheidungen
des Arbeitgebers eigentlich gemeint und betroffen sind.
Im neuen Regierungsentwurf ist diese Beteiligung aber
ersatzlos gestrichen worden. Ich würde wirklich gerne
wissen, warum die Bundesregierung jetzt auf einmal
nicht mehr möchte, dass die Anhörung der Schwerbehin-
dertenvertretung weiter als Bedingung für nachfolgende
Entscheidungen des Arbeitgebers notwendig ist!
Über die Vielzahl von Einzelregelungen, zum Bei-
spiel zur Verfahrensbeschleunigung im Zuständigkeits-
erklärungsverfahren, zur beruflichen Ausbildung in den
Betrieben bis hin zum Zusatzurlaub für Schwerbehin-
derte, werden wir sicherlich noch im Ausschuss gründ-
lich zu beraten haben. Dort werden wir auch darüber
sprechen müssen, wie hoch die finanziellen Ausfälle für
den Ausgleichsfonds wären, wenn wir dieses Gesetz so
verabschieden.
Allerdings muss uns allen bewusst sein, dass wir mit
noch so vielen Gesetzen einen wirklichen langanhalten-
den Erfolg bei der Beschäftigung von Schwerbehinder-
ten nicht erzielen können, wenn es nicht gleichzeitig ge-
lingt, die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu
verbessern. Nur wirtschaftliches Wachstum wird dazu
führen, dass auch Menschen mit Behinderungen wieder
mehr Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt be-
kommen und dass dort, wo dies nicht möglich ist, ein
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ielfältiges System von Einrichtungen erhalten und aus-
ebaut wird, das auch Menschen mit geringem Leis-
ungsvermögen eine Berufsarbeit ermöglicht.
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Erst
ürzlich hat der Bericht der Bundesregierung über die
eschäftigungssituation schwerbehinderter Menschen
elegt, dass das in der 14. Legislaturperiode geschaffene
esetzliche Instrumentarium zur Bekämpfung der Ar-
eitslosigkeit schwerbehinderter Menschen erfolgreich
ar. Wesentliche Instrumente zur Erreichung dieses
iels waren das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeits-
osigkeit Schwerbehinderter vom 29. September 2000
nd die von der Bundesregierung initiierte Kampagne
50 000 Jobs für Schwerbehinderte“. Der Bericht belegt,
ass unser Ansatz deshalb so erfolgreich war, weil alle,
ie für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen
erantwortung tragen, das gemeinsam entwickelte Kon-
ept auch in gemeinsamer sozialer Verantwortung umge-
etzt haben.
Der Koalitionsvertrag vom Oktober 2002 sieht vor,
iese Strategie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
chwerbehinderter Menschen mit weiterentwickelten
ielvorgaben fortzusetzen.
Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf kommen wir
en Empfehlungen des Berichts nach und verbessern die
esetzlichen Rahmenbedingungen in den Bereichen, in
enen der Bericht besonderen Handlungsbedarf sieht.
azu zählen vor allem:
Erstens: Ausbildungsbereitschaft erhöhen. Die Aus-
ildungsbereitschaft insbesondere kleiner Betriebe soll
estärkt werden, um damit die Chancen behinderter und
chwerbehinderter junger Menschen zur Teilhabe am
rbeitsleben zu verbessern.
Zweitens: Arbeitsvermittlung verbessern. Die Ver-
ittlung schwerbehinderter Menschen in den allgemei-
en Arbeitsmarkt sollte weiter verbessert werden. Das
ann durch eine noch engere Zusammenarbeit aller Ar-
eitsmarkt-Akteure geschehen.
Drittens: Beschäftigung sichern. Es wird weiter ge-
rüft, ob die Beschäftigung durch Ausbau der Präven-
ion und der Rechte der Schwerbehindertenvertretung
esichert werden kann. Auch könnten die Anreize zum
bschluss betrieblicher Integrationsvereinbarungen ver-
tärkt werden.
Viertens: Übergang aus Werkstätten für behinderte
enschen stärken. Die Bemühungen zur Förderung des
bergangs behinderter Menschen aus den Werkstätten
ür behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeits-
arkt müssen weiter verstärkt werden.
Zur Ausbildung. Möglichst viele Jugendliche, die sich
n überbetrieblicher Ausbildung befinden, etwa in Be-
ufsbildungswerken, sollen in Zukunft Teile ihrer Aus-
ildung im Betrieb absolvieren. Gleichzeitig müssen
uch die wohnortnahen berufsvorbereitenden Angebote
ür behinderte junge Menschen ausgebaut werden.
Derzeit bewerben sich etwa 25 000 besonders betrof-
ene Jugendliche um einen Ausbildungsplatz. Mit die-
em Gesetzentwurf wollen wir dazu beitragen, dass mit
6066 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
flankierenden gesetzlichen Maßnahmen erreicht wird,
dass alle diese jungen Menschen einen Ausbildungsplatz
erhalten. Arbeitgeber, die mehr als 100 Ausbildungs-
plätze im Jahresdurchschnitt zur Verfügung stellen, sol-
len mindestens 5 Prozent ihrer Stellen zur beruflichen
Ausbildung mit behinderten Menschen besetzen. Dies
fördern wir durch finanzielle Anreize aus der Aus-
gleichsabgabe. Um die Ausbildungsbereitschaft der Be-
triebe zu stärken und finanzielle Belastungen zu verrin-
gern, können Arbeitgeber bei Ausbildung behinderter
Jugendlicher Prämien und Zuschüsse zu den Kosten der
Ausbildung erhalten. Betriebliche und überbetriebliche
Ausbildung werden stärker miteinander verzahnt, um
möglichst viele behinderte Jugendliche, die sich in einer
überbetrieblichen Ausbildung befinden, so früh wie
möglich in den Betrieb zu integrieren
Es ist uns aber klar, dass gesetzliche Regelungen al-
leine nicht ausreichen können, um allen schwerbehinder-
ten Jugendlichen einen adäquaten Ausbildungsplatz zur
Verfügung zu stellen. Erforderlich ist vielmehr die Fort-
führung des Zusammenwirkens aller, die Verantwortung
für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Ar-
beitsleben tragen.
Zur Informationskampagne. Grundlegend für den bis-
herigen Erfolg rot-grüner Arbeitsmarktpolitik für Men-
schen mit Behinderungen ist ein kooperativer Politikan-
satz, der auf Überzeugung und Bewusstseinswandel
setzt. Die Integrationsfachdienste haben im Zusammen-
spiel mit den Arbeitsämtern bedeutende Beratungsarbeit
in den Betrieben geleistet.
Wir haben mit Erfolg bei den Arbeitgebern einen Be-
wusstseinswandel initiiert: Menschen mit Behinderung
werden immer seltener als leistungsgemindert gesehen.
Bei immer mehr Arbeitgebern hat sich vielmehr die Ein-
sicht durchgesetzt, dass Menschen mit Behinderungen
einfach einen Arbeitsplatz benötigen, der ihren besonde-
ren Bedürfnissen entspricht, um ihre Leistungsfähigkeit
unter Beweis zu stellen. Die notwendigen Instrumente
zur Gestaltung dieser Arbeitsplätze – wie Arbeitsassis-
tenz oder etwa die Gewährung von Gebärdensprachdol-
metschern – haben wir als Gesetzgeber den Unterneh-
men an die Hand gegeben.
Diesen Weg verfolgen wir nun weiter. Vorurteile
überwinden wir nur durch Informationsangebote. Gerade
bei kleinen und mittleren Unternehmen gibt es nach wie
vor Vorbehalte gegenüber der Einstellung von Schwer-
behinderten. Gleichzeitig ist diesen Betrieben das umfas-
sende Förderinstrumentarium, das der Bund zur Ver-
fügung stellt, nicht bekannt. Auch haben Unternehmer
häufig keinen Überblick über die zugegebenermaßen un-
übersichtliche Trägerschaft. Aus diesem Grund bauen
wir das Aufgabenspektrum der Inlegrationsämter weiter
aus. Künftig stehen diese Ämter als Hauptansprechpart-
ner für die Arbeitgeber zur Verfügung. Durch ihre de-
zentrale Struktur beraten, unterstützen und informieren
die Integrationsämter in direkter Nachbarschaft zum Ar-
beitgeber.
Zum Ausbau betrieblicher Prävention im Sinne von
Rehabilitation statt Entlassung. Mindestens ein Drittel
der Arbeitsunfähigkeiten ist durch Maßnahmen des be-
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rieblichen Arbeitsschutzes und der betrieblichen Ge-
undheitsförderung vermeidbar. Eine konsequente Prä-
ention im Sinne von Rehabilitation statt Entlassung
ilft nicht nur den Arbeitnehmern und vermeidet Kündi-
ungen, nein sie spart auch den Sozialkassen enorme
angfristige Kosten. Jeder Euro, der in den Ausbau der
rävention investiert wird, zahlt sich mehrfach wieder
us. Dies ist unser Verständnis einer nachhaltigen Sozial-
olitik
Bereits nach sechs Wochen oder wiederholter Ar-
eitsunfähigkeit von Beschäftigten soll ein betriebliches
ingliederungsmanagement praktiziert werden, das
urch geeignete Prävention das Arbeitsverhältnis mög-
ichst dauerhaft sichert. Unter Einbeziehung der betrieb-
ichen Interessenvertretungen, den Schwerbehinderten-
erträtern und der Werks- oder Betriebsärzte klären die
rbeitgeber gemeinsam mit den Betroffenen, wie die
rbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann
nd welche Leistungen und Hilfen zur Unterstützung des
ehinderten Arbeitnehmers erforderlich sind. Service-
tellen und Integrationsämter werden in diesen Prozess
ingebunden, wenn es um Fragen der begleitenden Hil-
en im Arbeitsleben geht. Nach Einschätzung des Ver-
andes der Betriebs- und Werksärzte können in Betrie-
en, die ein solches Management praktizieren, auf diese
eise bis zu 90 Prozent der chronisch kranken oder be-
inderten Menschen wieder eingegliedert werden
Zur Verbesserung der Instrumente zur Förderung des
bergangs schwerbehinderter Menschen aus den Werk-
tätten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Arbeitgeber,
ie ehemaligen Werkstattbeschäftigten einen regulären
rbeitsplatz anbieten, erhalten in Zukunft einen beson-
eren Ausgleich für den erforderlichen Mehraufwand.
leichzeitig werden ehemalige Werkstattbeschäftigte
rundsätzlich mehrfach auf Pflichtarbeitsplätze ange-
echnet. Im Falle einer endgültigen Übernahme werden
ie bereits rückwirkend auch für die Zeit der Erprobung
uf Pflichtarbeitsplätze des Arbeitgebers angerechnet.
it diesen Maßnahmen setzen wir auch in einem
chwierigen arbeitsmarktpolitischen Umfeld unsere An-
trengungen zur Eingliederung schwerbehinderter Men-
chen in den Arbeitsmarkt fort.
Daniel Bahr (Münster) (FDP): Mit In-Kraft-Treten
es Sozialgesetzbuches IX am 1. Juli 2001 wurde in der
ehindertenpolitik ein richtiger und durchaus wegwei-
ender Paradigmenwechsel vollzogen. Erstmals ist nun
ie Förderung der Eigenkompetenz und Selbstverant-
ortung der behinderten Menschen klares Ziel und Auf-
abe des neuen Rechtes.
Gerade die FDP will stets sowohl die größtmögliche
reiheit als auch ein höchstmögliches Maß an Eigenver-
ntwortung für jeden einzelnen Menschen. Diese Prin-
ipien sind Richtschnur einer liberalen Politik für
enschen mit Behinderungen. Für Liberale ist Behin-
ertenpolitik keine Sparten-, sondern Bürgerrechtspoli-
ik. Schon allein aus dieser liberalen Grundhaltung he-
aus unterstützen wir nachdrücklich das Anliegen des
GB IX. Gerade wir Liberalen wissen aber auch, wie
chwierig es ist, eine neue richtungsweisende Gesinnung
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6067
(A) )
(B) )
in breiten Schichten nachhaltig zu verankern. Auch die
Umsetzung des SGB IX ist der Versuch, dicke Bretter
beharrlich zu durchbohren. Ich glaube daher, dass es bei
dem vollzogenen Paradigmenwechsel in der Behinder-
tenpolitik richtig und wichtig ist, das Gesetz nach einem
gewissen Zeitraum in seinem Umsetzungsstand zu über-
prüfen und politisch nicht gewollte Auslegungstatbe-
stände dem politisch Gewollten anzupassen.
Aber ich erkenne den guten Willen der Damen und
Herren von der Koalition an, halte den Zeitpunkt der
Überprüfung allerdings für verfrüht. Ein derartig grund-
legender Paradigmenwechsel muss sich erst setzen und
in den Köpfen der Menschen verankert werden. Das ge-
schieht nicht von heute auf morgen. Die zweieinhalb
Jahre, die das SGB IX nun in Kraft ist, sind angesichts
des vollkommen neuen Ansatzes des Gesetzes eine ver-
hältnismäßig kurze Zeit. Ich möchte daher aus der Stel-
lungnahme des BIH, der Bundesarbeitsgemeinschaft der
Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen, zitieren:
Nach den zahlreichen Änderungen des Schwerbe-
hindertenrechts durch das Gesetz zur Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom Okto-
ber 2000, dem SGB IX vom Juli 2001 und dem Ge-
setz zur Änderung von Fristen und Bezeichnungen
im Neunten Buch Sozialgesetzbuch vom April
2003 wäre es wünschenswert gewesen, länger abzu-
warten, wie die neuen gesetzlichen Instrumente
wirken und sich in der Praxis entwickeln. Wir hal-
ten die abgelaufene Zeit unverändert für zu kurz,
um bereits jetzt erneut tiefgreifende gesetzliche
Änderungen vorzunehmen. Für besonders proble-
matisch halten wir in diesem Zusammenhang die
immer neuen Eingriffe in das System von Beschäf-
tigungspflicht und Ausgleichsabgabe.
So weit das Zitat.
Dies ist die Auffassung von einem von der Umset-
zung betroffenen Dritten und spiegelt exakt die Schwie-
rigkeit, die ich mit dem vorliegenden Gesetzentwurf
habe, wider.
Ich muss gestehen: Teilweise war ich über die Art und
Weise der Selbstbeweihräucherung schon verblüfft. Alle
hier im Hause vertretenen Parteien waren sich Anfang
dieses Jahres darüber einig, die Beschäftigungspflicht-
quote schwerbehinderter Menschen bei 5 Prozent zu
belassen und nicht auf 6 Prozent zu erhöhen, weil der
Abbau der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter fast
punktgenau die politische Zielvorgabe erreicht hatte. So
weit, so gut und äußerst erfreulich. Nur, die Meldungen,
die uns Mitte dieses Jahres auch durch einen Aufschrei
der zuständigen Ministerin Ulla Schmidt erreichten, hör-
ten sich ganz anders an. Plötzlich war von einem er-
schreckenden Anstieg der Arbeitslosigkeit Schwerbehin-
derter die Rede und seitens des Ministeriums gab es
erhebliche Drohgebärden in Richtung der Arbeitgeber.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte die
Festschreibung der Beschäftigungspflichtquote bei
5 Prozent für richtig und die vorgesehene erneute Über-
prüfung im Juni 2007 für wichtig und einen gut gewähl-
ten Zeitpunkt. Hiermit erhalten die Betroffenen endlich
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ehr Planungsperspektive. Lediglich – das betone ich
it Nachdruck – hätte ich mir bei der Begründung dieses
orhabens ein wenig mehr Realitätsbewusstsein erhofft.
ich bei steigender Arbeitslosigkeit auch unter Schwer-
ehinderten dauernd selbst zu loben ist – mit Verlaub –
un wirklich vollkommen daneben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang die mehr als
nglückliche Vorgehensweise der Bundesanstalt für Ar-
eit in diesem Jahr bei der Rehabilitation Schwerbehin-
erter zur Sprache bringen und nachdrücklich anmah-
en, dass Vergleichbares sich im nächsten Jahr nicht
iederholen darf. Die Einlassungen, die der Vertreter der
undesanstalt für Arbeit bei der Anhörung der Koali-
ionsarbeitsgruppe zum SGB IX in der vergangenen Wo-
he dahin gehend machte, dass Derartiges im nächsten
ahr nicht vollkommen auszuschließen ist, waren zum
us-der-Haut-Fahren. Hier wäre wirklich zeitnaher
andlungsbedarf geboten.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Neustrukturierung der Außenwirtschafts-
förderung als Beitrag zur Schaffung von
Wachstum und Beschäftigung
– Doha-Verhandlungen nach dem Scheitern
von Cancun konstruktiv und zügig voran-
bringen
(Tagesordnungspunkt 17 a und b)
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (SPD): Die Minister-
onferenz der Welthandelsorganisation scheiterte in
ancun am 14. September mit einem Knall. Viele afrika-
ische Delegierte klatschten, die Globalisierungsgegner
raußen jubelten – und unter den großen Industrienat-
onen herrschte betroffenes Schweigen.
Dabei war der Unmut vieler Entwicklungs- und
chwellenländer auf vielen Parlamentarierkonferenzen
er IPU und der Weltbank lange vorher bekannt – nur
er Tunnelblick vieler Handelsexperten und Außen-
inisterien hatte geflissentlich seine starke und welt-
eite Verbreitung ignoriert.
Dabei waren die Gründe für das Scheitern lange zuvor
bsehbar gewesen:
Erstens. Die WTO-Konferenz in Doha 2001 hatte
och unter dem Schock des 11. September die kom-
ende Handelsrunde als Entwicklungsrunde proklamiert
nd dabei vor allem bei den ärmsten Ländern, aber auch
ielen Schwellenländern hohe Erwartungen geweckt.
Die Erwartungen wie die Versprechungen aber waren
on Anfang an unrealistisch, denn der Kuchen „Welt-
andel“ ist nur wenig gewachsen, und diejenigen, die
ich in Doha ein größeres Stück vom Kuchen verspro-
hen hatten, sind mit drei Viertel der Menschheit einfach
u groß.
6068 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
Zweitens. Die Lage der Weltwirtschaft ist labil: Seit
einem halben Jahrzehnt ist die Weltwirtschaft nur wenig
gewachsen; die UNCTAD konstatiert seit einem halben
Jahrzehnt die schwächste Wachstumsrate seit 20 Jahren.
Die wichtigsten Industrieregionen wie die USA, die
Europäische Union und Japan befinden sich in einer
Phase der Stagnation, der Deflation oder sehr geringen
Wachstums. Nur Indien, China und der südostasiatische
Raum können ein stolzes Wachstum aufweisen. Das ist
keine Situation, in der Regierungen großzügige Handels-
konzessionen machen, eher weniger von Freihandel,
sondern vom „Fair Trade“ sprechen und davon, dass
Handel Arbeitsplätze fürs eigene Land bringen müsse –
so jüngst Präsident Bush.
Die UNCTAD erinnert deswegen in ihrem letzten Be-
richt zu Recht an eine ähnliche Situation Mitte der 20er-
Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit exportorientier-
ten Abwertungsrunden, Lohn- und Sozialdumping sowie
der breiten Anwendung protektionistischer Maßnahmen
und warnt vor der Wiederholung dieser schlechten Bei-
spiele, die die Welt damals unter anderem in die große
Depression gestürzt hatten. So weit sind wir sicher nicht,
aber eine Erinnerung an das Debakel sollte nationale
Egoisten und Merkantilisten ernüchtern.
Drittens. Zum ersten Mal trat in Cancun mit den
G22+ eine Staatenkoalition gegen die Triade, die großen
Drei an – mit Brasilien, Indien, Südafrika und China an
der Spitze. Niemand hatte wegen deren stark divergie-
renden Interessenlagen an ihr Durchhaltevermögen ge-
glaubt, aber in zwei Bereichen waren sie sich einig: in
den Forderungen, die Industrieländer sollten die Export-
subventionen für Agrar sofort und ganz abbauen und
ihre Märkte weit öffnen – ohne Gegenleistung bei den so
genannten Singapur-Themen, vornehmlich einem Inves-
titionsschutzabkommen. Hier eskalierte dann der Streit,
denn die Entwicklungsländer wie die G22+ wollten von
den Singapur-Themen nichts hören, bevor es nicht um-
fassende Zugeständnisse im Agrarbereich gegeben hatte.
Viertens. Die EU hatte dafür mit dem Abbau von
Agrarexportsubventionen von jährlich 20 Milliarden
Euro auf 2 Milliarden Euro ebenso Entgegenkommen
gezeigt wie mit dem Kurswechsel zu einer neuen multi-
funktionalen und nachhaltigeren Landwirtschaft, aber
das war den in Cancun Versammelten nicht genug. Auch
die USA hatten Zugeständnisse gemacht, die über das
bisherige Maß hinausgingen – aber der unselige Farm
Act von Präsident Bush mit 180 Milliarden US-Dollar
Subventionen für die US-Landwirtschaft machte ihre
Position unglaubwürdig, erst recht, weil sie nicht bereit
waren, bei Symbolprodukten wie Baumwolle den afrika-
nischen Ländern entgegenzukommen oder wenigstens
Kompensationen auf anderen Gebieten anzubieten. An-
gesichts des Preisverfalls auf anderen Rohstoffmärkten
wie zum Beispiel Kaffee oder Mais hat das berechtigten
Zorn ausgelöst.
Fünftens. Die Agenda von Cancun war zu umfassend
und komplex. Von Agrarwirtschaft über die geographi-
sche Kennzeichnung zum Beispiel von Wein, von Baum-
wolle zu Investitionsschutz und Umwelt standen neun in
ihren Auswirkungen für Entwicklungsländer bedeutende
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ereinbarungen auf der Tagesordnung. Das war objektiv
ine für die meisten Länder auf einer Konferenz nicht zu
ewältigende Aufgabe, und sie wollten sich auch nicht
ehr wie in früheren Runden über den Tisch ziehen las-
en.
Sechstens. Die HIV/AIDS-Zusage von Doha wurde
rst nach mehr als einjährigem unwürdigen Gezerre
napp vor Cancun unterschrieben.
Siebtens. Den Schwellenländern wie den Entwick-
ungsländern erschienen die Forderungen der USA und
er EU nach generellem Zollabbau als völlig überzogen.
Achtens. Mit einem weiteren Punkt müssen wir künf-
ig als Konstante rechnen: Viele Schwellen- und Ent-
icklungsländer haben mit neuem Selbstbewusstsein
largemacht, dass sie Antworten auf ihre wirtschaftli-
hen und sozialen Probleme erwarten und sich nicht auf
andelsfragen reduzieren lassen.
Aber: Nein zur WTO zu sagen und die bestehenden
andelsungleichgewichte einfach hinzunehmen, wie den
limawandel, das unbefriedigende Wachstum der Welt-
irtschaft, immer häufigere Finanzkrisen, steigende Ver-
chuldung und fortschreitende Armut der Entwicklungs-
änder, ist ebenso verantwortungslos, wie die bestehende
elthandelsordnung, die deregulierten Finanzmärkte,
ie internationalen Finanzinstitutionen wie IMF und
eltbank ohne grundlegende Reformen weiterwirken zu
assen. Der südafrikanische Handelsminister und sein
rasilianischer Kollege hatten Recht, wenn sie verlang-
en, dass es weitergehen muss – aber konstruktiver und
erechter als bisher.
Sie sind damit völlig im Recht. Das unbefriedigende
achstum der Weltwirtschaft, die Ungleichgewichte in
en Handelsströmen und die immer häufigeren weltwei-
en Finanzkrisen, das Bevölkerungswachstum und die
ntsetzliche Armut ganzer Kontinente sind keine vonei-
ander isolierten Ereignisse.
Es ist klar, dass die Probleme der Finanz- und Wäh-
ungskrisen mit einbezogen werden müssen. Brasilien,
rgentinien und Südafrika waren bzw. sind in den letz-
en Jahren massiv von Finanzkrisen bzw. Abwertungen
etroffen. Diese äußerst schwierige Lage bei den WTO-
erhandlungen zu ignorieren musste zynisch erscheinen.
Die Stärkung der schwachen Weltwirtschaftsentwick-
ung kann nur in einem gemeinsamen verantwortungs-
olleren Vorgehen der politischen, ökonomischen und
inanzeliten bestehen, das nicht nur die eigenen Interes-
en, sondern auch die Lösung der Probleme der überwäl-
igenden Mehrheit der Menschen und insbesondere der
ntwicklungsländer im Auge hat.
Dies hat der Deutsche Bundestag in seinem Beschluss
uf Drucksache 15/1317 zur WTO-Konferenz auf An-
rag der SPD-geführten Koalition im Juli 2003 eingefor-
ert.
Es wird sichtbar, wie solide Sozialdemokraten und
rüne die in Cancun zu Tage getretenen Probleme ana-
ysiert und pragmatische Antworten angeboten haben.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6069
(A) )
(B) )
Uns allen stellt sich natürlich die Frage: Wie geht es
nach Cancun weiter?
Erstens. Als Erstes ist eine gründliche Analyse der
Gründe des Scheiterns gefragt, über die wir im Parla-
ment und seinen Ausschüssen, aber auch öffentlich breit
diskutieren müssen. Das heißt, Sorgfalt muss vor
Schnelligkeit gehen und Öffentlichkeit und Transparenz
vor Geheimdiplomatie. Angesichts der bevorstehenden
US-Präsidentschaftswahlen und der Wahlen zum Euro-
paparlament wird sich ohnehin nicht viel bewegen und
damit stehen wir nicht unter Verhandlungsdruck.
Zweitens. In der Zwischenzeit müssen wir darauf ach-
ten, dass aus dem Scheitern von Cancun kein Scheitern
der multilateralen Welthandelsordnung folgt und die
Blöcke der Großen nun mit „Arm twisting“ und bilatera-
len Verhandlungen die WTO faktisch so aushöhlen, dass
das völlig richtige Grundprinzip des Multilateralismus
„gleiche Regeln für alle Mitgliedsländer und gemein-
same Verhandlungen“ zur Farce wird.
Das setzt allerdings voraus, dass die Triade USA, EU
und Japan, die WTO nicht wie bisher weitgehend domi-
niert, sondern andere Koalitionen und Ländergruppen
wirklich akzeptiert. Das erfordert strukturelle WTO-Re-
formen, wie wir sie vorgeschlagen haben, und nicht nur
Organisationsreformen. Aufeinander zugehen, nicht dro-
hen, Vertrauen bilden wie zum Beispiel mit den Coto-
nou-Abkommen oder der NEPAD-lnitiative ist dabei si-
cher hilfreich.
Aber auch die heimischen exportierenden Betriebe,
vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe, die
im globalen Wettbewerb bestehende Märkte sichern und
neue erschließen müssen, stehen vor neuen Herausforde-
rungen. Die Bundesregierung hat hier – im engen Dialog
mit der exportierenden und importierenden Wirtschaft –
die Außenwirtschaftsoffensive „Weltweit aktiv“ be-
schlossen und setzt sie zügig um. In dem Programm von
zehn Punkten werden die zentralen Bereiche der Außen-
wirtschaftspolitik gebündelt, zum Beispiel durch eine
noch mittelstandsfreundlichere Ausgestaltung der Au-
ßenwirtschaftsförderung, zum Beispiel Auslandsmesse-
beteiligungen, bei Hermes-Bürgschaften und Investi-
tionsgarantien; die Stärkung des weltweiten Netzes der
Auslandskammern und die intensivere Flankierung von
Auslandsengagements deutscher Unternehmen, wobei
die Bedürfnisse der mittelständischen Wirtschaft beson-
ders berücksichtigt werden sollen; den Ausbau des Net-
zes der Auslandskorrespondenten der Bundesagentur für
Außenwirtschaft (bfai), deren Informationsangebot zu
erweitern ist, zum Beispiel durch gezielte Informationen
über Programme, Ausschreibungen und Projekte multi-
lateraler Institutionen, die Verbesserung des Außen-
wirtschaftsportals „ix-Pos“ und anderes mehr; die Ver-
stärkung der Werbung für den Wirtschafts- und
Technologiestandort Deutschland; seit 1. Juli 2003 ist
übrigens die Bundesgesellschaft – Invest in Germany
GmbH – in die Verantwortung des Bundesministerium
für Wirtschaft und Arbeit überführt.
Der Bundeshaushalt 2004, der jetzt beraten wird,
nimmt – trotz deutlicher Kürzungen an anderer Stelle –
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iesen Bereich ausdrücklich aus, ja, erhöht sogar zum
eil die Ansätze.
Sie sehen also, der Antrag der CDU/CSU, der viele
uch von uns unterstützte Vorschläge enthält, ist zu gro-
en Teilen überholt oder rennt offene Türen ein; zwar
üssen viele Maßnahmen natürlich noch umgesetzt wer-
en, aber das bedarf der laufenden Kooperation mit der
xportierenden und importierenden Wirtschaft.
Fazit: Das Scheitern von Cancun macht deutlich, dass
andelsliberalisierung als die Antwort für alle globalen
irtschaftsprobleme in Cancun von den Regierungen
er Mehrheit der Weltbevölkerung entschieden abge-
ehnt worden ist.
Solange die Lage der Weltwirtschaft so fragil ist, wer-
en die Spielräume für handelspolitische Zugeständnisse
ugunsten der Entwicklungsländer eher kleiner als grö-
er. Wer auf dem Gebiet der Handelspolitik mehr
rfolge sehen will, muss sich der Ursachen für die Insta-
ilität der Weltfinanzmärkte, der periodischen Wäh-
ungs- und Finanzkrisen und der Überschuldung anneh-
en. Europa muss dabei mehr Verantwortung für die
eltwirtschaft übernehmen und darf sich nicht länger
uf den Wachstumsmotor USA verlassen.
Die Europäische Union muss die prekäre Lage der
eltwirtschaft und hier insbesondere die Probleme der
ntwicklungsländer sowie die Instabilität der Finanz-
ärkte auf der Tagesordnung der nächsten G-8-Gipfel
nd Tagungen des Internationalen Währungsfonds und
er Weltbank in den Mittelpunkt stellen.
Aus der Sicht der SPD geht es dabei nicht nur um Re-
ormen bei den internationalen Finanzinstitutionen, son-
ern auch um die Kohärenz und engere Verzahnung der
olitik der großen UN-Organisationen. Eine multilate-
ale Weltordnung braucht eine multilaterale Welthan-
elsordnung, aber auch eine an den Interessen möglichst
ieler Menschen orientierte Weltfinanzordnung und eine
achhaltig wachsende Weltwirtschaft zum Vorteil aller
enschen.
In Cancun war von einer sozialen Dimension über-
aupt nicht und von einer ökologischen Dimension nur
m Rande die Rede. Bei einer tatsächlichen Entwick-
ungsrunde müssen aber faire Strukturen und faire Re-
eln bei der WTO entwickelt werden, bei denen Arbeit-
ehmerrechte, Entwicklungsziele und Umweltschutz
ndlich berücksichtigt werden. Nur verbindliche Min-
estarbeitsnormen, also die Möglichkeit der Bildung von
ewerkschaften und die Kollektivvertragsfreiheit, hel-
en, die durch den Handel erzielten Gewinne gerechter
u verteilen. Die schon bestehenden internationalen Ab-
ommen und Konventionen im Bereich Arbeit und So-
iales sowie Umwelt müssen durch das WTO-Regime
ndlich respektiert werden.
Nach Cancun ist es die Aufgabe der Weltgemein-
chaft, für konkret nachhaltiges Wachstum, für die Ver-
esserung des Weltklimas, geordnete Weltfinanzmärkte
nd Entschuldung, für Armutsbekämpfung und Wohl-
tand für möglichst breite Schichten zu sorgen.
6070 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
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Wenn diese Ziele weltweit Konsens finden und die
Welthandelsordnung dabei aktiv mitgestaltet, werden die
Scherben von Cancun schlussendlich Positives bewir-
ken.
Erich G. Fritz (CDU/CSU): „Deutschland ist wieder
Exportweltmeister“, so lauten Schlagzeilen dieser Wo-
che. Alles in Ordnung also mit unserer Außenwirt-
schaftspolitik und Wettbewerbsfähigkeit, könnte man
meinen. Wir legen heute einen Antrag zur Verbesserung
vor; denn das Bild, das wir gezeichnet bekommen, trügt.
Deutschland profitiert wie kein anderes großes Indus-
trieland von der weltwirtschaftlichen Verflechtung. Der
Export von Gütern und Dienstleistungen macht mehr als
ein Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus und
ist zugleich wichtigster Wachstumsmotor unserer Volks-
wirtschaft. Insgesamt hängen in Deutschland 9 Millio-
nen, also knapp ein Viertel der Arbeitsplätze vom Au-
ßenhandel ab. Zusätzlich sichern immer mehr deutsche
Unternehmen ihre ausländischen Absatzmärkte durch
verstärkte Direktinvestitionen.
Wir sind herausgefordert, diese Stärke auch in der Zu-
kunft zu sichern und auszubauen. Wie notwendig dies
ist, zeigt das Herbstgutachten 2003 der Wirtschaftsfor-
schungsinstitute. Demnach sind die Exporte im ersten
Halbjahr 2003 kräftig gesunken. Diese Entwicklung
reiht sich in Berechnungen der OECD ein, wonach die
deutsche Exportwirtschaft seit Jahren an Wettbewerbs-
fähigkeit verliert. Dies spiegelt sich in sinkenden Welt-
marktanteilen wieder.
Stammten 1987 noch 12,8 Prozent der weltweit ge-
handelten Waren aus deutscher Produktion, so waren es
im Jahr 2000 nur noch 8,9 Prozent – vergleiche „Wirt-
schaftswoche“ vom 10. Juli 2003. Auch die Artikel der
letzten Tage unter dem Titel „Deutschland wieder Export-
weltmeister“ haben deutlich gemacht, dass die Erfolgs-
meldungen auf einem rein statistischen Effekt beruhen,
dem kein reales Wachstum zugrunde liegt. Die Welt-
meisterposition verdanken wir allein dem starken Euro.
Wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, ist schon
erstaunlich, was ein 80-Millionen-Volk im Vergleich zu
Volkswirtschaften mit wesentlich größerem Binnen-
markt im Export leistet. Darauf dürfen wir uns aber nicht
ausruhen, wenn wir unsere Leistungsfälligkeit erhalten
wollen. Es wachsen neue Wettbewerber mit großer
Marktmacht heran. China ist Mitglied in der WTO und
erweitert seine Fähigkeiten mit großer Geschwindigkeit.
Russland steht vor der Tür der WTO und kann auf Dauer
ein großes Potenzial entfalten. Schließlich gibt es genug
Länder, die nicht wie wir vor allem Weltmeister in der
innovativen Fortentwicklung alter Technologien sind,
sondern im Dienstleistungsbereich und bei neuen Ent-
wicklungen vornan sind.
Anlass zur Euphorie gibt es also nicht. „Wenn der
Weltmeistertitel als Beschreibung der Zukunft herhalten
soll, so Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen
Bank, wäre dies geradezu fehlleitend“ – vergleiche
„Spiegel“ vom 20. Oktober 2003.
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Wenn Deutschland in diesem Umfeld wettbewerbs-
ähig bleiben will, dann müssen die Hauptbremsen einer
odernisierung des Standortes Deutschland gelöst wer-
en. Die Reformdebatte befindet sich immer noch im
ereich der Reparaturmöglichkeiten und nicht im Be-
eich innovativer zukunftsfähiger Veränderungen. Noch
st über eine vernünftige Elitenbildung nur vorsichtig ge-
prochen, noch ist die stärkere Förderung der weniger
egabten nicht gelöst, obwohl jeder weiß, dass in unse-
er Volkswirtschaft im internationalen Wettbewerb für
eniger Qualifizierte die Luft immer dünner wird. Wir
rauchen eine größere Ausschöpfung unseres Bega-
ungspotenzials, wir brauchen mehr ausländische Stu-
enten, wir brauchen mehr internationale Erfahrung für
nsere Facharbeiter und Studienabsolventen. Vor allem
ber brauchen wir staatliche Strukturen, die eine größere
eschwindigkeit von Entwicklungen zulassen, und die
chnellere Umsetzung von Wissenschaft und Forschung
n Produkte und Dienstleistungen.
Zur Stärkung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der
eutschen Wirtschaft ist aber auch eine Neustrukturie-
ung und Verbesserung der Außenwirtschaftsförderung
otwendig. Die Außenwirtschaftsförderung ist eines der
enigen Instrumente, die die Bundesregierung hat, ope-
ativ für Arbeitsplätze tätig zu werden. Lahmt der Ex-
ort, gibt es keine Chance auf einen Aufschwung bei
onjunktur, Wachstum und Beschäftigung.
Bisher gab es im Bundestag einen großen Konsens
ber die Ausgestaltung des Handwerkskastens der Außen-
irtschaftspolitik. Ich hoffe, dass das so bleibt. Unsere
lassischen Instrumente der Außenwirtschaftsförderung
ind die Auslandshandelskammern, die Ausfuhrbürg-
chaften, die Bundesagentur für Außenwirtschaft und die
esseförderung.
Diese bewährten Instrumente der Außenwirtschafts-
örderung müssen neu auf aktuelle Bedürfnisse justiert
erden. Das ist eigentlich Aufgabe der Exekutive. Da
er Bundestag aber ein eigenes Interesse daran hat, un-
erstützt er die Bundesregierung gerne, steht doch die
ußenwirtschaft nicht immer im Zentrum der öffentli-
hen Wahrnehmung.
Dass hier und da noch Handlungsbedarf besteht und
ie Instrumente nicht immer effizient genutzt werden,
eigt zum Beispiel die Beschwerde 50 deutscher Firmen
ber den DIHK in China – vergleiche „FAZ“ vom
6. September 2003. Dem Artikel zufolge sehen deut-
che Firmen in China ihren Informationsbedarf von der
ammer vor Ort nur am Rande oder gar nicht abgedeckt.
ritisiert wird, dass das Delegiertenbüro mit seinen Ser-
iceleistungen in direkter Konkurrenz zu den Kammer-
itgliedern arbeitet und die eigentliche Leistung schul-
ig bleibt.
An dieser Stelle möchte ich klar sagen: Es kann auch
n Zeiten knapper Kassen nicht Ziel sein, wettbewerbli-
he Verhältnisse zwischen Delegiertenbüros/AHKs und
inzelnen Kammermitgliedern entstehen zu lassen. Wir
ordern die Bundesregierung daher auf, sicherzustellen,
ass die Kernaufgabe der Beratung deutscher Unterneh-
en durch die AHKs auf den Auslandsmärkten gestärkt
nd eine organisatorische Trennung der Aufgaben der
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6071
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Betreuung der Kammermitglieder von den kommerziel-
len Serviceleistungen eingeführt wird.
In jedem Fall sind die Instrumente der Außenwirt-
schaftsförderung trotz der Zwänge in Zeiten knapper
Haushalte zu sichern und zu ergänzen, da der damit ein-
hergehende Erfolg der Unternehmen die entstandenen
Kosten mehr als wettmacht.
Die Summen, die Deutschland für die Außenwirt-
schaftsförderung ausgibt, nehmen sich im internationa-
len Vergleich sehr bescheiden aus. Die von Bundeswirt-
schaftsminister Clement im vergangenen Jahr ins Leben
gerufene Außenwirtschaftsoffensive wirkt nicht sehr dy-
namisch.
Wir sind auch deshalb misstrauisch, weil wir von
Herrn Clement in Nordrhein-Westfalen viele so genannte
Offensiven erlebt haben, denen häufig außer PR-Aktio-
nen nichts folgte. Wir möchten erreichen, dass die ganze
Bundesregierung unseren Außenhandel bei ihrem Han-
deln im Blick hat, und wünschen deshalb dem Wirt-
schaftsminister viel Erfolg bei seiner Offensive.
Der Start war nicht so hoffnungsvoll. Monatelange
Gänge durch die Ministerien waren notwendig, um alle
Interessen zu berücksichtigen. Sollten zunächst knapp
30 Millionen Euro für erneuerbare Energien zur Verfü-
gung gestellt werden, die nur fünf großen deutschen Un-
ternehmen zugute gekommen wären, erfuhr erst nach
Drängen vonseiten des Parlaments auch die Wasserwirt-
schaft Unterstützung bei der vorgesehenen weltweiten
Vermarktung innovativer und umweltfreundlicher Tech-
nologien. Offensichtlich sollten zunächst nur ganz be-
stimmte Interessen bedient werden.
Es zeigt sich, dass ein kleiner Schritt in die richtige
Richtung nicht ausreicht. Die angebliche Offensive in
der Außenwirtschaft ist nichts anderes als das Herumku-
rieren an längst bekannten Missständen, und das noch
halbherzig. Zur Stärkung der globalen Wettbewerbsfä-
higkeit der deutschen Wirtschaft hat sie noch keinen Bei-
trag geleistet. Dies zeigt auch ein Ranking der „Business
Week“, wonach es die deutsche Wirtschaftselite nicht
einmal unter die europäischen Top 20 schafft. Bestes
deutsches Unternehmen ist der Münchener Autoherstel-
ler BMW auf Platz 21 – vergleiche „Spiegel online“ vom
23. Juli 2003.
Die CDU/CSU legt mit ihrem Antrag „Neustrukturie-
rung der Außenwirtschaftsförderung als Beitrag zur
Schaffung von Wachstum und Beschäftigung“ die Defi-
zite der Regierungsinitiative offen. Zeiten knapper Kas-
sen sollten kreativer machen!
Zur politische Flankierung. Um den besonderen An-
forderungen des Mittelstandes gerecht zu werden, sollte
die Bundesregierung ihre Außenwirtschaftsförderung
enger an den Bedürfnissen des Mittelstandes orientieren,
etwa die Angebote der BfAI noch mittelstandsfreundli-
cher, das heißt preiswerter zur Verfügung stellen, und die
bestehende Abführungspflicht zurücknehmen. Zur Ver-
stärkung der politischen Flankierung von Exportvor-
haben sollte außerdem das Verhältnis zwischen der im
BMWA im August 2001 neu eingerichteten Anlauf- und
Koordinierungsstelle, bei der Unternehmen Auslands-
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rojekte benennen können, für die sie politische Unter-
tützung benötigen, sowie dem im Auswärtigen Amt
etriebenen Arbeitsstab Außenwirtschaftsförderung ge-
lärt werden. Beide Stellen sollten in einem gemeinsa-
en Büro arbeiten, um Reibungsverluste zu minimieren
nd Ineffizienz und Doppelarbeit zu vermeiden.
Zur Messeförderung. Wir fordern die Bundesregie-
ung bei der Messeförderung auf, eine flexiblere Gestal-
ung der Beteiligungskonditionen zu ermöglichen und zu
berprüfen, ob Gemeinschaftsständen auch bei weniger
ls zehn beteiligten Unternehmen eine Förderung ge-
ährt werden kann.
Zur Standortwerbung. Bei der Standortwerbung muss
s eine bessere Verzahnung der vielen auf diesem Ge-
iet tätigen Behörden – Invest in Germany GmbH,
ndustrial Investment Council, Investmentbüros der
undesländer – geben. Die größte Wirtschaftsnation hat
ffenbar immer noch keinen einheitlichen Marketing-
uftritt nötig. Wieviel mehr könnte es sein, wenn Bund
nd Länder ihr Engagement bündelten?
Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht Deutsch-
and eine Organisationseinheit, die für den gesamten
irtschaftsstandort Deutschland eine aktive und starke
nvestorenwerbung betreibt. Nur so kann der Rückstand
egenüber großen Agenturen der europäischen Nachbar-
änder, zum Beispiel Großbritanniens, aufgeholt und die
nsiedlung ausländischer Unternehmen in Deutschland
esichert werden. Eine günstige Zeit wäre unter dem Ge-
ichtspunkt knapper Mittel für den Bundeswirtschafts-
inister, jetzt Gespräche mit den Bundesländern über
ine noch bessere Koordination der Außenwirtschaftspo-
itik zu führen. Darin steckt noch manche sinnvolle
öglichkeit. Der Vorteil dezentraler Anstrengungen
önnte durch mehr Gemeinsames noch erhöht werden.
Zwei Prozent Wirtschaftswachstum erwarten die
andelskammern für 2004 in Deutschland. Auch die
irtschaftsforschungsinstitute liegen mit ihrer Schät-
ung von l,7 Prozent nur knapp darunter. Freude will
ennoch nicht aufkommen, da die Statistik die wirkliche
achstumsdynamik überzeichnet. Ein Viertel des
achstums wird allein darauf zurückgeführt, dass es im
ahr 2004 vier Arbeitstage mehr gibt als im Jahr 2003.
udem könne das zweiprozentige Wachstum nur erreicht
erden, wenn Deutschland den Einstieg in richtige Re-
ormen schaffe, wenn die Lohnpolitik moderat ausfalle
nd wenn der Dollar nicht absacke. Aus eigener Kraft
chafft die deutsche Wirtschaft den Aufschwung also
icht, sie hängt vielmehr am Tropf der Weltwirtschaft.
Leider ist auch durch das Scheitern der 5. WTO-
inisterkonferenz in Cancun/Mexiko die Chance ver-
asst worden, die für Deutschland und die globale Wirt-
chaft dringend benötigten Impulse für Wachstum und
eschäftigung zu erzielen.
Über die Gründe des Scheiterns ist in den vergange-
en Wochen viel diskutiert worden. Ich glaube, es gab in
ieser Situation einfach zu viele Mitgliedstaaten, die aus
öllig unterschiedlichen Interessen kein Ergebnis woll-
en. Sicher gab es auch erneut prozedurale Probleme, die
6072 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
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nicht gelöst worden sind. Sicher gab es bei den Entwick-
lungsländern trotz ihrer größeren Organisations- und
Mitwirkungskraft das Gefühl, nicht gleichberechtigt mit-
wirken zu können, und daraus entstehend ein großes
Misstrauen gegenüber dem Agrarpapier der USA und
der EU. Warum aber plötzlich nach aller vorangegange-
nen Prioritätensetzung ausgerechnet die Singapur-The-
men zum Abbruch herhalten mussten, ist eigentlich nicht
einzusehen.
Der Abbruch der Verhandlungen war für niemanden
ein Sieg. Ich fand die Triumphgesänge einiger Nichtre-
gierungsorganisationen peinlich. Es gab allerdings auch
sehr differenzierte Aussagen aus diesen Gruppen in Can-
cun und danach. Ich bin immer noch der Meinung: Wenn
es die WTO nicht gäbe, müsste sie spätestens jetzt erfun-
den werden. Gerade in der gemeinsamen Mitgliedschaft
starker und schwacher Volkswirtschaften steckt die
Chance zur Gestaltung einer sowohl fairen als auch ef-
fektiven Weltwirtschaft, die nachhaltigen Entwicklungs-
zielen dienen kann.
Bei einem erfolgreichen Abschluss hätte gerade
Deutschland als Exportnation besonders stark profitiert.
Unsere auch im kommenden Jahr nicht recht in Gang
kommende Konjunktur hätte es gut gebrauchen können.
Die CDU/CSU hält bilaterale und regionale Handels-
abkommen, über die nun vermehrt nachgedacht wird
und auf die viele Staaten zurückgreifen wollen, für keine
sinnvolle Alternative. Dies würde zu einer Schwächung
des multilateralen Handelssystems führen und vor allem
den Entwicklungsländern schaden, die weder Kapazi-
täten noch die Infrastruktur haben, um Direktinvestitio-
nen in ihr Land zu holen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert die Bun-
desregierung daher im Interesse der Entwicklungs- und
der Industrieländer auf:
Treten Sie konsequent für die schnellstmögliche Wie-
deraufnahme der WTO-Verhandlungen ein! Setzen Sie
sich dafür ein, dass die Arbeitsgruppen in Genf
schnellstmöglich wieder eingesetzt werden!
Stellen Sie in Gesprächen mit EU-Handelskommissar
Lamy klar, dass gerade jetzt das Gerede über eine Re-
form der WTO keinen Sinn macht! Es ist immer so, dass
Debatten über Organisatorisches begonnen werden,
wenn man inhaltlich nicht vorankommt. Dennoch: Am
Konsensprinzip kann nicht gerüttelt werden.
Legen Sie die in Cancun aufgegebenen Singapur-The-
men nicht erneut auf den Tisch der WTO!
Cancun hat gezeigt, dass die Zeit für ein multilatera-
les Investitions- und Wettbewerbsabkommen noch nicht
reif war. Insofern gilt es nun darauf zu bauen, dass die
Entwicklungsländer von sich aus die Vorteile multilate-
raler Abkommen über Investitionen und Wettbewerb er-
kennen. Die Industrieländer sollten nun zunächst einmal
die Zusammenarbeit ihrer Wettbewerbsbehörden unter-
einander verbessern.
Das vorläufige Aus eines internationalen Investitions-
schutzabkommens erweist sich für die deutsche Indus-
trie, die im vergangenen Jahr rund 24,5 Milliarden US-
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ollar im Ausland investierte, als besonders bitter.
eutschland ist durch 126 bilaterale Verträge mit Inves-
itionsstandorten weltweit verknüpft. Der nun ge-
cheiterte Versuch, dieses Paragraphenwirrwarr durch
in einziges Abkommen zu ersetzen, hätte die Informati-
nskosten der Unternehmen drastisch gesenkt und den
nternehmen mehr Rechtssicherheit gewährt.
Es war erstaunlich, zu sehen, wie sich die Diskussion
ber Investitionsschutz bereits seit Doha verändert hat.
ie Position Indiens zum Beispiel ist wesentlich offener
eworden. Einige afrikanische Delegierte haben offen
um Ausdruck gebracht, dass besonders die afrikani-
chen Länder solche Abkommen brauchen, damit Will-
ür und Korruption im Zusammenhang mit Auslands-
nvestitionen und die damit verbundenen Fehllenkungen
on Ressourcen verhindert werden können.
Treten Sie bei den Verhandlungen gegenüber Brüssel
eschlossen auf! Verhindern Sie innerhalb der Bundes-
egierung nicht abgestimmte Vorstöße wie den in Can-
un im Zusammenhang mit Baumwollsubventionen!
Sichern Sie die Beteiligungsrechte der kleinen Mit-
liedstaaten!
Binden Sie den Deutschen Bundestag kontinuierlich
n den weiteren Verhandlungsprozess ein! Informieren
ie die Parlamentarier wie auch die Öffentlichkeit um-
assend über den Verhandlungsstand!
Leider wurde in Cancun das „window of opportunity“
erpasst. Der Zeitplan der Doha-Verhandlungen ist nicht
u halten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der im
erbst 2004 stattfindenden US-Präsidentschaftswahlen
nd des Auslaufens der Mandate von EU-Handels-
ommissar Lamy und US-Handelsbeauftragtem Robert
oellick.
Es ist aber wirklich nicht entscheidend, ob die Runde
005 oder 2006 abgeschlossen werden kann. Wichtig ist,
ass in der nächsten Zeit verstärkte Anstrengungen der
undesregierung und aller, die dazu beitragen können,
nternommen werden, damit der Prozess der Erleichte-
ung des Handels und des Marktzugangs, der Berücksichti-
ung der Entwicklungsländer, des weiteren Zollabbaus
nd der Beseitigung nichttarifärer Handelshemmnisse
eitergeht.
Weitere Liberalisierungserfolge können die Wohl-
ahrtsgewinne aus dem Abbau von Handelshemmnissen
m etwa 600 Milliarden US-Dollar erhöhen, so eine Stu-
ie der Universität Michigan. Durch eine richtige Gestal-
ung können dabei noch mehr Menschen in noch mehr
ändern Vorteile haben.
Vor diesem Hintergrund führt kein Weg an einer Wie-
eraufnahme der Verhandlungen über einen substanziel-
en Abbau von Zöllen, sonstigen Handelshemmnissen
nd Agrarsubventionen vorbei. Nur so können die Inte-
ration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft
erbessert werden, neue Exportchancen für Industrie-
nd Entwicklungsländer entstehen sowie Wachstum und
eschäftigung weltweit erhöht werden.
Wir erwarten, dass die Bundesregierung bei der Bera-
ung im Wirtschaftsausschuss konkrete Vorhaben dazu
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6073
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präsentiert, wie sie im Zusammenwirken mit den ande-
ren europäischen Ländern und der Kommission den sto-
ckenden WTO-Zug wieder in Bewegung bringen will.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit dem Titel Triumph ohne Sieg überschrieb „Die Zeit“
ihren Bericht über das Scheitern der WTO-Ministerkon-
ferenz in Cancun. Die Autorin wies daraufhin, dass viele
Entwicklungsländer das Ende der alten Welthandelsord-
nung bejubelten, die Chancen jedoch, faire Regeln zu
vereinbaren, geringer denn je seien. Ob Letzteres zu-
trifft, wird sich in naher Zukunft erweisen. Die Befürch-
tung allerdings ist berechtigt.
Ist in der laufenden Welthandelsrunde, die explizit
Doha-Entwicklungsrunde heißt, eine Dynamik zu erzeu-
gen, an deren Ende ein ökonomisch, ökologisch und so-
zial gerechteres Welthandelssystem steht? Selten zuvor
war diese Frage so offen wie jetzt.
Das Scheitern der WTO-Verhandlungen in Cancun ist
aus grüner Sicht eine schlechte Nachricht. Gewonnen hat
niemand – weder die Industrieländer – dies gilt beson-
ders für exportorientierte Länder wie Deutschland, die
sich von Cancun einen Impuls für die Weltwirtschaft er-
hofften – noch die Entwicklungsländer, die eine wirkli-
che „Entwicklungsrunde“ brauchen.
Grüne Zielperspektive bleibt es, ein faires und markt-
orientiertes, ein globales Handelssystem zu schaffen, mit
globalen Regeln, die Verzerrungen im Handel verrin-
gern. Wir brauchen eine Welthandelsrunde, in der – wie
in Doha beschlossen, aber bislang nicht umgesetzt –, die
Anliegen und Bedürfnisse von Entwicklungsländern in
allen Bereichen berücksichtigt werden und in der die le-
gitimen Wirtschaftsinteressen der europäischen Staaten
und Deutschlands gefördert werden.
Unmittelbar nach dem Scheitern der Konferenz be-
gann die Suche nach dem Schuldigen. Für Nichtregie-
rungsorganisationen und einige Entwicklungsländer war
die „Arroganz der Mächtigen“ ursächlich für das Schei-
tern: fehlende Zugeständnisse vonseiten der USA beim
symbolisch und politisch brisanten Thema der Baum-
wollsubventionen, das unnachgiebige Beharren auf der
Verhandlung neuer Themen durch die EU, obwohl rund
achtzig Länder überaus deutlich gemacht haben, dass sie
nicht bereit sind, hier nachzugeben. Dies wurde als Bei-
spiel für die inflexible Haltung der Industrieländer ange-
führt.
Die Änderung des EU-Mandates in Cancun, der Ver-
zicht auf die Themen Handel und Investitionen, Handel
und Wettbewerb bei zukünftigen Verhandlungen, kam
somit offensichtlich zu spät. Die Einschätzung des Bun-
destages wurde bestätigt, dass substanzielle Fortschritte
für Entwicklungsländer an anderer Stelle notwendig
sind, bevor über die Aufnahme von Verhandlungen über
die neuen Themen entschieden wird. Ganz abgesehen
davon, dass grundsätzlich gute Argumente gegen eine
Verhandlung der neuen Themen unter dem Dach der
WTO sprechen.
Die Industrieländer ihrerseits beklagten die Unfähig-
keit der Schwellenländer zu Kompromissen, den Rück-
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all in eine rhetorische und überholte Nord-Süd-Ausein-
ndersetzung der 80er-Jahre. Auch die mangelnde
rofessionalität der Verhandlungsführer wurde moniert.
Letztlich bleibt die Motivsuche unbefriedigend. Es
tellt sich vielmehr die Frage, wie die Verhandlungsrun-
en in Zukunft gestaltet werden müssen vor dem Hinter-
rund veränderter Bedingungen.
Als historischen Wendepunkt kann man die Tatsache
erten, dass die „G 2“, also die EU und die USA, anders
ls in der Vergangenheit die Agenda nicht in ihrem Sinne
estimmen konnten. EU und USA sind in Cancun mit
iner für sie neuen Verhandlungsrealität konfrontiert
orden. Harter Interessenpolitik aufseiten der Industrie-
änder stehen ebenso harte Interessen aus Entwicklungs-
ändern gegenüber. Es gibt nichts zu verschenken – für
eine Seite.
Insbesondere die Schwellenländer haben strategisch
nd selbstbewusst verhandelt, wenn auch bislang ohne
reifbares Ergebnis. Diese neu formierte „Gruppe
er 21“ in deren Ländern mehr als die Hälfte der Weltbe-
ölkerung lebt, wird auch nach Cancun in Formation
leiben. Momentan ist jedoch fraglich, ob die Gruppe in
er Lage sein wird, auch für andere Entwicklungsländer
u sprechen und zugleich Kompromisse mit den Indus-
rieländern auszuloten.
Kleinere Mitgliedstaaten haben es geschafft, auf ihre
rioritäten hinzuweisen und diese auf die Tagesord-
ung zu setzen. Das reicht von der Baumwollinitiative
er westafrikanischen Staaten, deren Produzenten durch
as Subventionsregime vor allem der Industrieländer in
hrer Existenz gefährdet werden, bis zu einer Gruppe
on Staaten, die differenzierte Vorschläge zum Schutz
hrer Landwirtschaft und der Verbesserung der Ernäh-
ungssituation unterbreitet haben. Gleichzeitig sind
iese Länder zutiefst verärgert über Heuchelei und
oppelstandards von Industrieländern, die es bislang
mmer verstanden, die Regeln zu ihren Gunsten zu ge-
talten.
Der Interessenausgleich zwischen den Staaten in der
andelspolitik wird schwieriger, aber diese komplexe
ealität ist und bleibt kennzeichnend für die Welthan-
elsrunde.
Möglicherweise aus der Frustration des Scheiterns
eraus haben wichtige Akteure diese Unsicherheit ver-
tärkt. So sagte etwa der amerikanische Handelsbeauf-
ragte Robert Zoelick, man werde die Handelsliberalisie-
ung auf anderer Ebene fortsetzen und sich stärker auf
en Abschluss bilateraler und multilateraler Verträge
onzentrieren. Dies aber wird mit großer Wahrschein-
ichkeit zu einer Schwächung des multilateralen Systems
ühren. Aber es ist keinesfalls ausgemacht – auch das hat
ie Post-Cancun-Phase bewiesen –, ob sich die USA vis-
-vis den Entwicklungsländern durchsetzen wird. Wa-
um sollten die Länder mit den USA eine Einigung über
hemen erzielen, die auf multilateraler Ebene hoch um-
tritten sind?
Aus meiner Sicht wäre eine Dominanz des Bilateralis-
us keine positive Entwicklung. Zum einen kann dies
u größerer Abgrenzung und Blockbildung führen. Zum
6074 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
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anderen werden schwächere Akteure bzw. kleinere Län-
der kaum substanzielle Zugeständnisse erreichen kön-
nen.
Die Bundesregierung und die EU stehen vor der
Situation, eine intensive Diskussion über die Zukunft der
WTO führen zu müssen. Launige Bemerkungen des EU-
Handelskommissars, Pascal Lamy, die WTO sei eine
„mittelalterliche“ Institution, helfen da nur beschränkt
weiter. Vielmehr brauchen wir eine breite Debatte über
folgende Fragen:
Erstens. Wie müssen die Struktur und die Aufgaben
der WTO verändert werden, um zu Ergebnissen zu kom-
men, die alle Mitgliedstaaten als akzeptablen Kompro-
miss begreifen?
Zweitens. Wie müssen die Entscheidungsmechanis-
men verändert werden, um die Transparenz der Verhand-
lungen zu erhöhen?
Drittens. Wo liegen die Grenzen, was Ausmaß und
Umfang multilateraler Runden betrifft?
Wir mussten erkennen, dass die Vielfalt der Themen
die Verhandlungen derart verkomplizieren, dass in Can-
cun keine Kompromisse gefunden worden sind.
Für die Zukunft bedeutet das: „Weniger ist mehr“.
Wenn wir bei klassischen Themen – vom Marktzugang
über die Frage von Zöllen und nicht tariffären Handels-
hemmnissen bis hin zum Agrarabkommen – in absehba-
rer Zeit zu nachhaltigen Ergebnissen kommen wollen, so
ist bereits das eine große Herausforderung. Diese im
Sinne größerer globaler Gerechtigkeit anzunehmen und
zu meistern wäre ein Erfolg, der sich bislang leider nicht
abzeichnet.
Export spielt in Deutschland eine wichtige Rolle: Je-
der dritte Arbeitsplatz in der Industrie hängt vom Export
ab. Zunehmend wichtiger wird der Export von Dienst-
leistungen. Deutschland ist nach wie vor eines der ex-
portstärksten Länder. Auch in einem schwierigen welt-
wirtschaftlichen Umfeld konnte der Export einen
wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der wirtschaftlichen
Entwicklung leisten. Im nächsten Jahr rechnen die Insti-
tute mit einer kräftigen Belebung der Weltwirtschaft,
ausgehend von den USA. Die Bundesregierung unter-
stützt die Unternehmen mit allen Möglichkeiten dabei,
die sich bietenden Exportchancen zu nutzen.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen bedürfen der
besonderen Unterstützung bei der Nutzung der Chancen
der globalen Märkte. Deshalb spielen sie eine zentrale
Rolle in der am 4. Juni von der Bundesregierung be-
schlossenen Außenwirtschaftsinitiative „weltweit aktiv“.
Zentrale Punkte der Initiative sind die Stärkung der
Auslandshandelskammern, die von der Bundesregierung
gefördert werden. Hier geht es darum, dass das Dienst-
leistungsangebot verbessert und mittelstandsgerecht ver-
stärkt wird. Die AHK sollen verstärkt fallbezogene, kon-
krete Hilfestellung für kleine und mittlere Unternehmen
geben können. Die Erweiterung des weltweiten Korres-
pondentennetzes der Bundesagentur für Außenwirt-
schaft, die Förderung der Teilnahme von kleinen und
mittleren Unternehmen an Auslandsmessen, die Erleich-
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erung der Bereitstellung von Exportbürgschaften und
nvestitionsgarantien für KMU geben wichtige Hilfestel-
ung für KMU, damit sie erfolgreich an der Globalisie-
ung teilnehmen können. Selbstverständlich werden
ermes-Kredite nur für solche Projekte bewilligt wer-
en, die soziale und ökologische Kriterien berücksichti-
en.
Viele Punkte hat die Union in ihren Antrag zu
eustrukturierung der Außenwirtschaftsförderung auf-
enommen. An einigen Stellen zeigt sich, dass die CDU/
SU-Fraktion mit ihren Informationen nicht auf der
öhe der Zeit ist, wenn sie etwa die Kooperation mit
sterreich fordert. Bereits 1994 hat die BFAI eine Ko-
peration mit der österreichischen Wirtschaftskammer
ereinbart. Die CDU/CSU fordert die Schließung des
üros im Kosovo. Dabei ist dieses Büro längst geschlos-
en. Einem so schlampig recherchierten Antrag werden
ir nicht zustimmen.
Ich möchte aber auch noch auf einen anderen, bislang
tiefmütterlich behandelten Aspekt der Außenwirt-
chaftsförderung hinweisen: die Exportoffensive für er-
euerbare Energien. Engagement in diesem Bereich der
xportförderung könnte wirklich einem Beitrag zur
chaffung von Wachstum und Beschäftigung leisten.
Die Exportquoten dieser Branche sind sehr niedrig,
och immer konzentrieren sich diese Unternehmen zu
ehr auf den nationalen Markt. Grund dafür ist unter an-
erem die einseitige Ausrichtung unserer Außenwirt-
chaftsförderung auf große Projekte und Unternehmen.
ermes hätte zwar kein prinzipielles Problem, den Ex-
ort einer Windkraftanlage abzusichern, aber das För-
ervolumen ist finanziell nur „Peanuts“ im Vergleich zu
inem Großkraftwerk. Darüber hinaus fehlt den kleinen
ittelständischen und jungen Unternehmen der für er-
euerbare Energien-Branche das nötige Know-how über
en Zugang zu den verschiedenen Exportförderinstru-
enten. Dass die meisten Firmen über eine geringe Ka-
italdecke und damit auch nicht über ein internationales
arketingnetz verfügen, ist eine weitere Hürde.
Dabei ist die Ausgangssituation auf den internationa-
en Märkten eigentlich gut: Höhere Sonneneinstrahlung,
essere Windverhältnisse oder ideale geothermische
oraussetzungen in anderen Ländern könnten den Ein-
atz dieser Technologien schneller rentabel werden las-
en als bei uns. Darüber hinaus können gerade in Ent-
icklungsländern fehlende nationale Stromnetze für
leine dezentrale Kraftwerkseinheiten einen großen
onkurrenzvorteil bedeuten gegenüber Großkraftwer-
en, die bedeutende Investitionen in den Ausbau natio-
aler Netze nötig machen. Der Bedarf ist also da.
Die internationale Nachfrage steigt auch an: Unser
rfolgsrezept für eine nachhaltige Energieversorgung,
as EEG, wurde bereits von einigen Ländern kopiert, an-
ere wie Frankreich sind gerade dabei eines zu erarbei-
en.
Das EEG hat den technischen Fortschritt im Bereich
er erneuerbaren Energien in den letzten vier Jahren
eflügelt, sodass die deutschen Technologien dafür auf
em Weltmarkt hervorragend positioniert sind. Die
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6075
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deutsche Industrie hat in diesem Bereich einen enormen
Innovationsvorsprung, den es zu nutzen gilt; wir bauen
die besten Windräder, Biomasse- und Photovoltaikanla-
gen der Welt.
Wenn also der internationale Markt wie ein reifer Ap-
fel am Baum hängt, sollten wir es sein, die die Ernte ein-
fahren, und nicht warten, dass es andere tun. Die Vorrei-
terrolle im Klimaschutz einzunehmen kann sich in bare
Münze verwandeln. Damit zeigt sich: Pionier im Um-
weltschutz zu sein lohnt sich.
Deshalb gilt es, die Nachteile gegenüber ausländi-
schen Konkurrenten abzubauen. Die Exportoffensive für
erneuerbare Energien kann dafür die passende Initiative
bilden: Von der Deutschen Energieagentur koordiniert
sollen deutsche Hersteller, zum Beispiel mit Informa-
tions- und Beratungsleistungen, Marketingaktivitäten
auf Zielmärkten, Machbarkeitsstudien, Standortanaly-
sen, Demonstrationsvorhaben, unterstützt werden, um
auf dem internationalen Markt besser Fuß zu fassen.
Wir wollen mit der Exportoffensive für erneuerbare
Energien den Herstellern von erneuerbaren Energien ein
zweites Standbein ermöglichen. Eine Exportquote von
bis zu 70 Prozent, wie sie in Dänemark bereits der Fall
ist, ist möglich und könnte die industriepolitische Dyna-
mik in diesem national schon so erfolgreichen Sektor
dauerhaft erhalten.
Gudrun Kopp (FDP): Eine Entwicklungsrunde
sollte die WTO-Handelskonferenz in Cancún werden
und zudem die weltweit lahmende Konjunktur ankur-
beln. Wir wissen heute, dass den hohen, letztendlich
überhöhten Erwartungen der 2 000 NGOs und 5 000 De-
legierten aus 148 Ländern die große Ernüchterung
folgte: Die Welthandelskonferenz scheiterte.
Dabei hätte eine weitere Handelsliberalisierung einen
jährlichen Wohlstandsgewinn von weltweit etwa
160 Milliarden Euro gebracht. Die Hälfte davon wäre
den Entwicklungsländern zugute gekommen. Und auch
für Deutschland sind die Auswirkungen des Scheiterns
der WTO-Verhandlungen durchaus gravierend, wenn
man bedenkt, dass jeder fünfte Arbeitsplatz hierzulande
vom Welthandel abhängt. Der Anteil der Exportwirt-
schaft am deutschen Bruttoinlandsprodukt liegt bei ins-
gesamt 50 Prozent.
Alles Lamentieren über den Misserfolg muss jetzt
aber ein Ende haben. Wichtiger ist, dass Konsequenzen
aus dem WTO-Desaster gezogen werden. Ich nenne ei-
nige, die nach Überzeugung der FDP konkret anstehen:
Die Bundesregierung sollte sich vehement dafür ein-
setzen, dass die in Genf begonnenen Gespräche in klei-
neren Runden fortgesetzt werden. Ziel muss dabei sein,
die nächste WTO-Konferenz in Hongkong im Laufe des
Jahres 2005 mit einem vorzeigbaren Ergebnis abzu-
schließen.
Dazu bedarf es in der Zwischenzeit sorgfältiger Vor-
bereitungen und echter Zwischenergebnisse in gleich
mehreren Themenfeldern:
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Im Agrarbereich gilt es, umgehend mit den EU-Part-
ern ein verbessertes Angebot den Entwicklungsländern
orzulegen. Dazu gehören: der Ausstieg aus den Export-
ubventionen, die Entkoppelung der Prämien von der
roduktion und der Abbau von Zöllen zwischen EU und
rmsten Ländern.
Innerhalb der EU-Agarreform ist zudem eine voll-
tändige Entkoppelung der Direktzahlungen umzuset-
en, und handelsstörende Marktordnungen sind abzu-
chaffen.
Zu einem substanziellen Marktöffnungsangebot ge-
ört auch die völlige Streichung der Baumwoll-Subven-
ionen in Europa.
Die USA sind beharrlich aufzufordern, ihrerseits
arktstörende Exportkredite und produktgestützte Sub-
entionen für Agrarprodukte abzubauen.
Bezogen auf den Deutschen Bundestag fordere ich an
ieser Stelle die CDU/CSU auf, deutlich Farbe zu beken-
en zu ihrer Haltung zum Abbau von Agrarsubventio-
en. Während nämlich Ihre Agrarpolitiker eine Position
es „alles bleibt unverändert“ vertreten, sprechen sich
DU-Chefin Merkel und der CDU-Landesvorsitzende
on Schleswig-Holstein Carstensen für eine Entkoppe-
ung der EU-Prämien von der landwirtschaftlichen Pro-
uktion aus. Widersprüchliches hören wir auch zum EU-
ußenschutz in der Agrarpolitik.
Deshalb und gerade weil die CDU-CSU Anträge zu
iesen Themen vorgelegt hat, fordere ich Sie auf: Stellen
ie Ihre Position klar und beenden Sie Ihren agrarpoliti-
chen Eiertanz
Zum nötigen Impuls für den Welthandel gehören zu-
em der Abbau von weit verbreiteten Handelsbarrieren.
Außerdem gehören die vier Singapur-Themen Wett-
ewerb, Investitionsschutz, öffentliche Auftragsvergabe
nd Handelserleichterungen auf die Beratungs-Agenda,
enn sich globaler Handel weiter entwickeln soll.
Parallel dazu müssen die reichen Industriestaaten
wie Deutschland – in den Sonderfonds „capacity buil-
ing / technical assistance“ investieren, damit die Vertre-
er der ärmsten Länder in die Lage versetzt werden, dar-
us die nötige inhaltliche Unterstützung in Form von
eratern, Gutachtern, WTO-Guides zu finanzieren.
Bei allen anstehenden, sicher mühsamen Verhandlun-
en muss die Bundesregierung ihren Einfluss auf die
U-Verhandlungsvertreter deutlich verbessern. Die Tat-
ache, dass zu den Cancún-Verhandlungen diesmal im-
erhin vier deutsche Minister gereist waren und damit
er Bedeutung der WTO-Konferenz endlich Rechnung
etragen haben, hat ein Informations-Defizit zwischen
U- und deutscher Delegation nicht verdecken können.
ollte Delegationsleiter Wolfgang Clement (SPD) De-
ails zum jeweils aktuellen Beratungsstand wissen,
usste er sich über Dritte informieren. Dies beweist, wie
lamabel gering der Stellenwert ist, den die deutsche
undesregierung bei der EU-Kommission hat.
6076 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Reform der Arbeits-
stättenverordnung muss zu einem echten Büro-
kratieabbau für Unternehmen in Deutschland
führen (Tagesordnungspunkt 4)
Wolfgang Grotthaus (SPD): Der heute hier zu bera-
tende Antrag der FDP führt bereits in der gewählten
Überschrift das Ziel des Bürokratieabbaus an, das der
Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit mit der Vor-
lage dieser Verordnung über die Arbeitsstätten erreichen
will. Nur behauptet die FDP in ihrem Antrag, die vorge-
legte Verordnung könne das Ziel nicht erreichen. Doch
da irrt die FDP.
Der pauschale Vorwurf der FDP, Bürokratieabbau
werde nicht mit der Verordnung erreicht, entbehrt jedes
fundierten Beleges. Es wird einfach so in den Raum ge-
stellt, ohne es nachvollziehbar zu begründen. Einem sol-
chen unpräzisen Argument etwas Vernünftiges zu erwi-
dern fällt schwer. Ich will es dennoch versuchen.
Durch die Verordnung wird größere Übersichtlichkeit
und dadurch eine höhere Transparenz erreicht. Dies führt
zur besseren Handhabbarkeit des Arbeitsstättenrechts,
was bedeutet, mehr Effizienz insgesamt. In einem allge-
meinen Teil werden die Rahmenbedingungen gesetzt.
Mit der Novellierung der Arbeitsstättenverordnung wer-
den die EU-Richtlinien vollständig umgesetzt und tech-
nische Regelungen dazu erlassen. Im Anhang erfolgen
diesbezüglich Konkretisierungen, die im Wesentlichen
bisherige Regelungen übernehmen, allerdings darüber
hinaus dafür Sorge tragen, dass die Schutzziele betriebs-
nahe Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen. Im Übrigen
werden Anforderungen an Arbeitsplätze konkreter ge-
fasst als an andere Teile der Arbeitsstätte.
Dass der Bundesminister mit der Vorlage seiner Ver-
ordnung nicht „so falsch liegt“, zeigt auch schon die Be-
handlung im Bundesrat. So hat der Unterausschuss Wirt-
schaft und Arbeit des Bundesrates sich mit 13 zu 3
Stimmen für den Regierungsentwurf ausgesprochen.
Eine weitere Befassung in mitberatenden Ausschüssen
lässt ein ähnliches Abstimmungsergebnis erwarten.
Als ein weiteres Argument gegen die Verordnung
führt die FDP an, dass die Arbeitsstätte auf den Privatbe-
reich ausgedehnt würde. In der Tat war dies im Ablauf
der Beratungen ein Knackpunkt, der allerdings im Ver-
fahren der Anhörungen, der Gespräche mit Wirtschafts-
und Interessenverbänden schon lange ausgeräumt wurde.
Der Anwendungsbereich wurde geändert und bezieht
sich nun wieder auf das Betriebsgelände, mit Ausnahme
der privaten Räumlichkeiten, wo Telearbeit abgeleistet
wird.
Hier hinkt der FDP Antrag der Realität also weit hin-
terher. Und so ist das mit so ziemlich allem, was wir in
diesem Antrag vorgelegt bekommen. Das betrifft näm-
lich auch die Einlassungen zur Einsetzung eines „Aus-
schusses für Arbeitsstätten“.
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Bisher war es so, dass die Arbeitsstättenrichtlinien
urch Erlass des Ministers im Benehmen mit den Län-
ern geändert oder neu eingeführt wurden. Durch die
insetzung eines solchen Ausschusses wird das Verfah-
en für die Praxis geöffnet. Ihm werden Vertreter aller
etroffenen Fachkreise und die Sozialpartner angehören.
ierdurch erhofft man sich eine größere Praxisnähe. Der
onflikt, möglicherweise nicht mehr „die alleinige Kon-
rolle“ über die Inhalte der Richtlinien zu haben, wurde
ier zugunsten der Praxisnähe aufgewogen. Ebenso ver-
ält es sich mit der Vermutung, das Verfahren über den
Ausschuss Arbeitsstätten“ würde sich verlangsamen.
ie erreichte Verbesserung im Bereich der Handhabung
es Arbeitsstättenrechts und die damit verbundene Effi-
ienzsteigerung stehen dieser bloßen Vermutung in der
ewichtung gegenüber.
Abschließend sei angemerkt, dass sich sowohl die Ar-
eitgeberverbände als auch DGB sowie die Berufsge-
ossenschaften für die Einrichtung dieses Ausschusses
usgesprochen haben. Einzig die Architektenkammer
prach sich dagegen aus.
Wenn Sie von der FDP dies alles berücksichtigen,
eht Ihr hier vorgelegter Antrag von falschen Grundprä-
issen aus und gelangt so schlussendlich auch zu fal-
chen Schlussfolgerungen. Bei einer besseren inhaltli-
hen Begleitung des Verfahrens hätten Sie diesen
mstand auch selbst registrieren können und hätten die-
en Antrag hier nicht mehr zur Behandlung im Plenum
orgelegt.
Ich empfehle deshalb nicht nur meinen Kolleginnen
nd Kollegen von den Regierungsfraktionen die Ableh-
ung dieses Antrages, sondern dem ganzen Hause.
Alexander Dobrindt (CDU/CSU): Auf eines können
ir uns doch alle sehr schnell verständigen: Wir müssen
ürokratie in Deutschland abbauen; wir müssen gemein-
am daran arbeiten, die Belastungen, die vor allem für
ie Wirtschaft, das heißt für Unternehmen und Betriebeestehen, zu verringern.
Die Zahlen sind Ihnen alle bekannt. Über 40 Prozent
er Unternehmen würden heute mehr Geld in Deutsch-
and investieren, wenn sie von den Lasten der aufgehäuf-
en Bürokratie befreit würden. Im gleichen Atemzug
ürden diese Unternehmen natürlich auch wieder neue
rbeitsplätze in Deutschland schaffen.
Das ist auch sehr glaubhaft, da nach Schätzungen die
osten für Bürokratie bei den KMUs bereits 1,5 bis 7 Pro-
ent des Umsatzes ausmachen. Wenn sich zur gleichen
eit eine Umsatzrendite von lediglich 1 bis 2 Prozent er-
irtschaften lässt, dann wird deutlich, um welche Dimen-
ionen von Belastungen es sich hier handelt.
Ich nehme der Bundesregierung ab, dass sie gemein-
am mit uns versucht, hier tätig zu werden. Aber daran,
ass es immer gelingt, habe ich erhebliche Zweifel. Je-
och darf man die Hoffnung nicht aufgeben; sie ist so-
ieso das Einzige, was einem bei dieser Bundesregie-
ung noch bleibt.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6077
(A) )
(B) )
Dennoch war es richtig, die Arbeitsstättenverordnung
als eines der anschaulichsten Elemente für Überbürokra-
tisierung einer grundlegenden Reform zu unterziehen
und neu zu regeln. Wir alle kennen die Beispiele von
vorgeschriebenen Raumtemperaturen für Bürotoiletten
oder die exakt festgelegte Befestigungshöhe für Kleider-
haken und Garderoben sowie vieles mehr. Dass mit die-
sem bis zum blanken Unsinn ausgearteten Vorschriften-
dschungel endlich Schluss sein muss, ist keine ganz neue
Erkenntnis.
Die Bundesregierung hat dennoch mit dem von ihr
vorgelegten Text einer neuen Arbeitsstättenverordnung
wieder nicht den großen Wurf gelandet. Zwar haben Sie
den Verordnungstext erheblich zusammengeschrumpft;
aber gleichzeitig haben Sie ein dickes Regelwerk hinten
angehängt, was einen Großteil des Gestaltungswillens,
den Sie hier erahnen lassen, doch wieder stark relativiert.
Zu einer echten Entlastung von Unternehmen würde
es kommen, wenn Sie den Ansatz der „flexiblen Grund-
vorschrift“ konsequent durchgeführt hätten und eine
echte Entrümpelung der Detailvorschrift durchgeführt
hätten.
Eine Vorschrift im Anhang zu den Anforderungen an
Arbeitsstätten besagt, dass Glastüren in Augenhöhe ge-
kennzeichnet sein müssen. Gehen Sie einmal mit offenen
Augen durch die Gebäude des Bundes und prüfen Sie,
ob dies erfüllt ist.
Dabei ist es schon ein großer Fortschritt, dass die
Kennzeichnung der Tür nicht im Detail geregelt ist, zum
Beispiel mit einem rot-grünen Punkt. Man beantwortet
nicht einmal die Frage, ob mit „Augenhöhe“ die Höhe
der Augen eines durchschnittlichen, 30-jährigen, männ-
lichen, blonden Mitteleuropäers ohne Wachstumsstörun-
gen mit Schuhgröße 44 gemeint ist, ob wir zur Vermei-
dung von Verletzungen vornehmlich an Kindern doch
lieber die Standardhöhe der Kleiderständer im Kinder-
garten für Drei- bis Sechsjährige als Maß nehmen oder
ob rot-grüne Punkte mit geruchsneutralem Klebstoff und
Anti-Rutsch-Beschichtung zu verwenden sind.
Gewisse Fortschritte sind also erkennbar.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Bundesregie-
rung in vielen Bereichen wieder in ihre alte Regelungs-
wut zurückgefallen ist. Dies ist daran zu erkennen, dass
sie in die neue Arbeitsstättenverordnung Vorschriften
einbezogen hat, die deutlich über die europäische Ar-
beitsstättenrichtlinie hinausgehen.
Sie überregulieren bereits in den Begriffsbestimmun-
gen. Nach dem Vorschlag der Bundesregierung „sind Ar-
beitsstätten Orte in Gebäuden oder im Freien, die sich
auf dem Gelände eines Betriebes, einer Baustelle oder
im Privatbereich der Beschäftigten befinden“. Warum
versuchen Sie hier, den Privatbereich zwingend einzube-
ziehen? Sie wissen ganz genau, dass eine wie auch im-
mer geartete Arbeitsstättenverordnung auf den Privatbe-
reich – zum Beispiel bei Telearbeit oder auch bei
klassischer Heimarbeit – überhaupt nicht sinnvoll an-
wendbar sein kann. Oder wollen sie die geltenden Maß-
stäbe für Stolperschwellen, Lichtverhältnisse und Raum-
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emperaturen, die Lagerung von Gegenständen in
rbeitsräumen, untergliedert nach arbeitsfremden und
rbeitsbezogenen Gegenständen, auf die privaten Berei-
he anwenden? Wenn Sie zu Hause ein Büro haben, den-
en Sie einmal darüber nach, ob Sie allen Vorschriften
enüge tun.
Dies entspricht dem grundsätzlichen Misstrauen von
ot-Grün gegenüber der Selbstverantwortung der Bür-
er. Sie trauen den Menschen nichts zu. Offensichtlich
ind Sie immer noch der Meinung, der Staat wisse alles
esser und müsse die Bürger vor sich selbst beschützen.
Wie sonst ist zu erklären, dass Sie in § 7 der Arbeits-
tättenverordnung regeln:
Bei der Unterweisung nach § 12 des Arbeitsschutz-
gesetzes
– offensichtlich gibt es hier also schon eine Rege-
ng –
hat der Arbeitgeber den Beschäftigten angemes-
sene Informationen und Anweisungen zu geben,
insbesondere über das Benutzen der Arbeitsstät-
te …
Jetzt kommt der entscheidende Punkt:
Dies muss in für die Beschäftigten verständlicher
Form und Sprache erfolgen.
Gut, dass wir das geregelt haben.
Aber ich sehe auch noch viel tiefer greifende Fehler in
en Vorschlägen der Bundesregierung.
Sie haben die Pflicht, nachzuweisen, dass entweder
ie Arbeitsstättenverordnung eingehalten wird oder
däquate Maßnahmen getroffen worden sind, beim Ar-
eitgeber belassen – § 3 Abs 1. Wir plädieren hier für
ine Beweislastumkehr. Die zuständige Behörde muss
ie Beweislast für die Nichterfüllung der Arbeitsschutz-
erordnung haben. Das würde so manchen unnötigen
riefverkehr vermutlich sofort zum Stoppen bringen.
or allem wären kleine und mittelständische Betriebe
on einer riesigen Last befreit.
Die KMUs haben Sie in Ihrem Entwurf übrigens gar
icht erwähnt, obwohl 90 Prozent der Unternehmen in
eutschland nicht mehr als 20 Mitarbeiter haben. Zwi-
chen 3 500 und 4 500 Euro pro Mitarbeiter im Jahr
üssen diese Unternehmen an Bürokratiekosten auf sich
ehmen.
Ich empfehle Ihnen dringend, diese besondere Situa-
ion in Ihren Verordnungen zu berücksichtigen. Schrei-
en Sie doch wenigstens hinein, dass bei der Beurteilung
er Sachlage in Unternehmen die Belange der kleinen
nternehmen besonders zu berücksichtigen sind.
Wenn Sie richtig Mut hätten, dann erfüllten Sie unsere
orderungen und stellten die kleinen und mittel-
tändischen Unternehmen bis 20 Mitarbeiter von den
etailregelungen der Arbeitsstättenverordnung frei.
ann hätten Sie einmal wirklich etwas zur Entbürokrati-
ierung beigetragen.
6078 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) )
(B) )
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem
vorliegenden Antrag versucht die FDP, sich wieder ein-
mal als die oberste Deregulierungsfraktion zu profilie-
ren. Und das anläßlich einer Verordnung der Bundesre-
gierung, die endlich aufräumt mit einer ganzen Reihe
von überflüssigen Vorschriften für Unternehmen bei der
Gestaltung von Arbeitsplätzen. Es ist schon ein trauriges
Bild, wenn man 29 Jahre lang mitregiert, den Aufbau so
vieler unsinniger Vorschriften mitgetragen hat, danach in
der Opposition jahrelang nur laut nach Deregulierung
schreit und dann, wenn die Regierung sinnvoll abgewo-
gene Schritte in diese Richtung unternimmt, nichts ande-
res zu bieten hat, als den Ruf nach einem unterschieds-
losen Mehr.
Man kann an diesem Beispiel sehr gut demonstrieren,
wo bei den Themen Deregulierung und Bürokratieabbau
die Unterschiede zwischen uns liegen. Für Sie geht es le-
diglich um eine vollständige Entfesselung des Marktes,
ums freie Hauen und Stechen und um eine Abschaffung
möglichst vieler Regeln. Sie denken da eben bloß quan-
titativ und dementsprechend fallen Ihnen ja auch bloß
Verweise auf die hohe Zahl an Vorschriften für Unter-
nehmen in Deutschland ein. Zugegeben, die ist zu hoch.
Da sind wir uns ja einig. Deshalb arbeiten wir ja jetzt
auch an einem Abbau von Bürokratie und überholter Re-
gulierung. Doch für uns heißt das eben, eine sinnvolle
Aufgabenkritik des Staates durchzuführen. Wir finden
zum Beispiel nicht, dass der Staat die Lage von Licht-
schaltern oder die Form von Abfalleimern im Kleinun-
ternehmen zu regeln hat, und deshalb schaffen wir das
jetzt auch ab. Das sollten Sie eigentlich begrüßen. Da
sollten Sie mitziehen.
Wir finden allerdings auch, dass der Arbeitsschutz
und die Arbeitsplatzsicherheit ein hohes Gut sind, das
man nicht einfach mit dem freidemokratisch-marktlibe-
ralen Rasenmäher wegschneiden kann. Ich kann mir
schon vorstellen, was Sie hier durchsetzen wollen, Sie
hätten vermutlich gerne ein Niveau von Arbeitsschutz
und Arbeitsplatzqualität, das etwa den osteuropäischen
Billiglohnländern entspricht. Da unterscheiden wir uns
eben. Aber Sie sitzen da einem, auch betriebswirtschaft-
lich kontraproduktiven, Irrglauben auf: hohe Produktivi-
tät in den deutschen Betrieben erreichen oder behalten
zu können durch Wegfall von Arbeitsschutzstandards
und hinkömmliche Arbeitsbedingungen. Manches ist
überholt und gehört geändert, manches aber eben nicht,
will man die Sicherheit der Beschäftigten am Arbeits-
platz ausreichend gewährleisten und auch ihre Motiva-
tion zu fleißiger Arbeit erhalten.
Anstatt einfach alles vom Tisch zu wischen, haben
wir deshalb auch einen Ausschuss gebildet, in dem Prak-
tiker sitzen, Vertreter von Wirtschaft, Arbeitnehmer-
schaft, Wissenschaft und Behörden, die im Einzelfall
entscheiden werden, welche Vorschriften veraltet und
unsinnig sind und welche nicht. Der Sinn dieser Aus-
schüsse ist es gerade, solche Entscheidungen nicht wie
bisher, alleine den Verwaltungsbeamten zu überlassen,
sondern sie näher an die Praxis zu bringen. Ist dies etwa
nicht in Ihrem Sinne? Auch das sollten Sie eigentlich be-
grüßen, anstatt sich hier als Vorschriftenfresser zu insze-
nieren.
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Sie behaupten in Ihrem Antrag, die Novelle zur Ar-
eitsstättenverordnung weite den Begriff der Arbeits-
tätte auf die Privatsphäre aus. Dazu muss ich Ihnen sa-
en, dass bereits nach geltendem Recht die Arbeitsplätze
häuslichen Bereich mit Normalarbeitsvertrag, also
eine Heimarbeit und keine Haushaltshilfen, unter den
nwendungsbereich des Arbeitsschutzgesetzes und der
rbeitsstättenverordnung fallen. Sie gelten als ausgela-
erte Arbeitsplätze des Unternehmens. Im Entwurf der
rbeitsstättenverordnung wird somit also keine Erweite-
ung, sondern lediglich eine Klarstellung dieses Sachver-
altes vorgenommen.
Sie kritisieren in Ihrem Antrag außerdem, dass der
eutsche Arbeitsschutz noch über die EU-Richtlinie hi-
ausgehe. Meine Damen und Herren, die EU Richtlinie
t auch nicht dazu gedacht, das deutsche Arbeitsschutz-
iveau auf Mindeststandard abzusenken. Ich weiß, so
ürden Sie es gerne interpretieren, aber da liegen Sie
alsch. Die deutsche Arbeitsstättenverordnung ist seit
975 in Kraft; die europäische Arbeitsstättenrichtlinie
atiert von 1989 und enthält Mindestanforderungen, die
on den Mitgliedstaaten übertroffen werden dürfen. Die
uropäische Arbeitsschutzrahmenrichtlinie von 1989
ieht für die Mitgliedstaaten ein Schlechterstellungsver-
ot vor: Die Umsetzung der europäischen Vorschriften
nationales Recht darf nicht dazu genutzt werden, das
estehende Schutzniveau zu senken.
Die Zielsetzung der Novellierung der Arbeitsstätten-
erordnung ist es, das Recht zu modernisieren, das heißt
andhabbarer und transparenter zu machen. Eine Absen-
ung der deutschen Standards auf die europäischen Min-
eststandards ist auch gar nicht beabsichtigt. Im Übrigen
eht der Entwurf der Arbeitsstättenverordnung nur dort
ber die Mindeststandards der EU-Arbeitsstätten- und
austellenrichtlinie hinaus, wo es wirklich geboten ist.
inmal mehr: Für uns geht es um eine Aufgabenkritik
es Staates, nicht um blinde Deregulierung.
In der neuen Verordnung werden reihenweise unsin-
ige Detailvorschriften gekippt. Wer hier wirklich mit
nnötigen Vorschriften aufräumt, das ist nun einmal die
undesregierung. Ich kann mir schon vorstellen, dass Ih-
en das nicht gefällt, den selbst ernannten Kämpfern ge-
en die Amtsschimmel. Doch Sie müssen das nun ein-
al zur Kenntnis nehmen: Rot-Grün macht Schluss mit
emperaturvorschriften in Pausenräumen, mit getrenn-
n Toiletten in Kleinstbetrieben und mit der geregelten
öhe von Umkleiden – nicht die gelben Liberalen, in
iesem Falle vermutlich gelb vor Neid.
Die Novelle zur Arbeitsstättenverordnung leistet eine
anze Menge. Der Antrag der FDP Fraktion ist unsach-
ch und überzogen. Wir werden ihn deshalb ablehnen.
Birgit Homburger (FDP): Die von der Bundesregie-
ung vorgelegte Reform der Arbeitsstättenverordnung ist
in Fiasko. Die Novelle soll zu Bürokratieabbau und
ntlastungen für die Wirtschaft führen. Fakt ist aber,
ass auch weiterhin Details geregelt werden, die keiner
egelung bedürfen. Und schlimmer noch: Fakt ist auch,
ass sogar neue Regelungen hinzukommen, die zu wei-
eren Belastungen der Wirtschaft führen und deshalb
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003 6079
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negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben
werden. Es ist geradezu grotesk, wie die Bundesregie-
rung ihre eigenen Absichtserklärungen durch ihr prakti-
sches Handeln zunichte macht.
Dabei sieht die neue Arbeitsstättenverordnung zu-
nächst ganz gut aus. Von 58 Paragrafen sind nur noch
zehn übrig geblieben. Tatsächlich hat es aber keine echteVerschlankung gegeben. Die Detailregelungen der alten
Arbeitsstättenverordnung sind nämlich ganz überwie-
gend lediglich in den Anhang verschoben worden. Und
dieser Anhang gilt gemäß § 3 Abs. l als Bestandteil der
neuen Verordnung. Das bedeutet im Klartext: Nach wie
vor wird die Mindestgrundfläche von Büros gesetzlich
vorgeschrieben. Nach wie vor wird die Beschaffenheit
von Oberlichtern gesetzlich vorgeschrieben. Nach wie
vor wird eine Mindestbewegungsfläche am Arbeitsplatz
gesetzlich vorgeschrieben. Und nach wie vor wird ge-
setzlich vorgeschrieben, dass in einem Waschraum flie-
ßendes warmes und kaltes Wasser, Seife und ein Hand-
tuch vorhanden sein müssen. Nach wie vor gehen damit
die deutschen Vorschriften weit über die Mindestvor-
schriften der EU hinaus.
Aber das ist ja noch nicht alles. Der Anwendungsbe-
reich der Arbeitsstättenverordnung wird in der Novelle
sogar noch erweitert, weil der Begriff der Arbeitsstätte
nun auch auf den Privatbereich ausgedehnt werden soll.
Die Unternehmen werden damit verpflichtet, dafür zu
sorgen, dass auch im häuslichen Bereich des Arbeitneh-
mers alle Arbeitsplatzvorschriften eingehalten werden.
Die Konsequenzen einer solchen Regelung wären für
den Arbeitsmarkt verheerend, weil die Unternehmen mit
immensen zusätzlichen Kosten konfrontiert würden. Sie
müssten erstens notwendige Umbaumaßnahmen in den
Privathaushalten ihrer Arbeitnehmer finanzieren und sie
müssten zweitens die Einhaltung der Arbeitsplatzvor-
schriften laufend überwachen.
Glauben Sie im Ernst, ein Unternehmen schafft oder
erhält unter solchen Bedingungen Telearbeitsplätze – Te-
learbeitsplätze, die im Übrigen im Wesentlichen von
Frauen besetzt sind? So torpedieren Sie ganz nebenbei
auch noch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Ganz zu schweigen vom Eingriff in die Privat-
sphäre der Arbeitnehmer und ganz zu schweigen von der
zusätzlichen Belastung der Aufsichtsbehörden.
Doch damit nicht genug. Die vorgelegte Novelle zur
Arbeitsstättenverordnung sieht einen neuen „Ausschuss
für Arbeitsstätten“ vor. Seine Aufgabe soll es sein – ich
zitiere –, „die Anwendung der Arbeitsstättenverordnung
in der Praxis zu erleichtern.“ Durch die Schaffung dieses
neuen Gremiums wird weder Bürokratie abgebaut noch
werden Verfahren beschleunigt. Das Gegenteil steht zu
befürchten.
Die verfehlten Bemühungen der Bundesregierung zei-
gen nur allzu deutlich, dass ein klares Konzept für die
Deregulierung fehlt. Wenn wir wirtschaftlich wieder Fuß
fassen wollen, wenn wir wieder Spielräume für unter-
nehmerisches Handeln, für Investitionen und Innovatio-
nen schaffen wollen, hilft uns diese halbherzige Flick-
schusterei beim Bürokratieabbau nicht weiter. Die FDP-
Bundestagsfraktion fordert die Bundesregierung des-
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alb auf, die geplante Novelle zur Arbeitsstättenverord-
ung zurückzuziehen und einen neuen Entwurf vorzule-
en. Wir brauchen endlich echten Bürokratieabbau und
amit eine spürbare Entlastung der Unternehmen in
eutschland.
nlage 9
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 792. Sitzung am 17. Ok-
ober 2003 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zu-
ustimmen, einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
rundgesetz nicht zu stellen bzw. einen Einspruch ge-
äß Artikel 77 Absatz 3 nicht einzulegen:
Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Kran-
kenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz –
GMG)
Gesetz zu dem Übereinkommen vom 9. Septem-
ber 1996 über die Sammlung, Abgabe und An-
nahme von Abfällen in der Rhein- und Binnen-
schifffahrt
Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom
9. September 1996 über die Sammlung, Abgabe
und Annahme von Abfällen in der Rhein- und
Binnenschifffahrt
Gesetz zur Reform des Zulassungs- und Prü-
fungsverfahrens des Wirtschaftsprüfungsexamens
(Wirtschaftsprüfungsexamens-Reformgesetz –
WPRefG)
Gesetz zu dem Protokoll von Cartagena vom
29. Januar 2000 über die biologische Sicherheit
zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt
Gesetz zu dem Abkommen vom 30. Juli 2002 zwi-
schen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung der Französi-
schen Republik über die deutsch-französischen
Gymnasien und das deutsch-französische Abitur
Gesetz zu dem Zusatzabkommen vom 5. Novem-
ber 2002 zum Abkommen vom 11. April 1967 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Königreich Belgien zur Vermeidung der Doppel-
besteuerungen und zur Regelung verschiedener
anderer Fragen auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen einschließlich
der Gewerbesteuer und der Grundsteuern
Gesetz zu dem Vertrag vom 25. Februar 2002
über die Änderung des Grenzvertrages vom
8. April 1960 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und dem Königreich der Nieder-
lande
Gesetz zu dem Vertrag vom 29. Juni 2000 über ein
Europäisches Fahrzeug- und Führerscheininfor-
mationssystem (EUCARIS)
Gesetz zu dem Vertrag vom 24. Juni 2002 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Königreich Thailand über die Förderung und den
gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
6080 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 70. Sitzung. Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
(A) (C)
(B) )
– Gesetz zu dem Abkommen vom 17. August 2002
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
der Islamischen Republik Iran über die gegensei-
tige Förderung und den gegenseitigen Schutz von
Kapitalanlagen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 30. März 1998
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Brunei Darussalam über die Förderung und den
gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mit-
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der
Drucksache 15/1613 Nr. 1.21
Drucksache 15/1613 Nr. 1.22
Drucksache 15/1613 Nr. 1.23
Drucksache 15/1613 Nr. 1.25
Drucksache 15/1613 Nr. 1.29
Drucksache 15/1613 Nr. 1.34
Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft
Drucksache 15/1280 Nr. 2.50
Drucksache 15/1280 Nr. 2.51
Drucksache 15/1547 Nr. 2.37
Drucksache 15/1547 Nr. 2.38
Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des
Europarats für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2002
– Drucksachen 15/1083, 15/1272 Nr. 1.3 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des
Europarats für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember
2002
– Drucksachen 15/1084, 15/1272 Nr. 1.4 –
– Unterrichtung durch die Delegation der Interparlamentari-
schen Gruppe der Bundesrepublik Deutschland
über die 108. Interparlamentarische Konferenz vom
6. bis 12. April 2003 in Santiago, Chile
– Drucksachen 15/1166, 15/1380 Nr. 1 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-
Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera-
tung abgesehen hat.
Rechtsausschuss
Drucksache 15/1280 Nr. 2.13
Drucksache 15/1280 Nr. 2.16
Drucksache 15/1280 Nr. 2.25
Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit
Drucksache 15/1547 Nr. 2.22
Drucksache 15/1547 Nr. 2.55
Drucksache 15/1547 Nr. 2.60
Drucksache 15/1547 Nr. 2.100
Drucksache 15/1547 Nr. 2.107
Drucksache 15/1547 Nr. 2.108
Drucksache 15/1547 Nr. 2.111
(D
Drucksache 15/1547 Nr. 2.41
Drucksache 15/1547 Nr. 2.45
Drucksache 15/1547 Nr. 2.47
Drucksache 15/1547 Nr. 2.56
Drucksache 15/1547 Nr. 2.64
Drucksache 15/1547 Nr. 2.67
Drucksache 15/1547 Nr. 2.71
Drucksache 15/1547 Nr. 2.85
Drucksache 15/1547 Nr. 2.88
Drucksache 15/1547 Nr. 2.101
Drucksache 15/1547 Nr. 2.109
Drucksache 15/1547 Nr. 2.110
Drucksache 15/1547 Nr. 2.119
Drucksache 15/1547 Nr. 2.130
Drucksache 15/1547 Nr. 2.131
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Drucksache 15/1280 Nr. 2.52
Drucksache 15/1547 Nr. 2.11
Drucksache 15/1547 Nr. 2.49
Drucksache 15/1547 Nr. 2.50
Drucksache 15/1547 Nr. 2.51
Drucksache 15/1547 Nr. 2.52
Drucksache 15/1547 Nr. 2.62
Drucksache 15/1547 Nr. 2.74
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 15/1280 Nr. 1.4
Drucksache 15/1280 Nr. 2.1
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Drucksache 15/1547 Nr. 1.13
Berichtigung
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit hat anstelle der in der AMoV zur 46. Sitzung mitgeteilten
Vorlage Drucksache 15/503 Nr. 1.3 die Vorlage Druck-
sache 15/611 Nr. 2.29 zur Kenntnis genommen.
70. Sitzung
Berlin, Freitag, den 24. Oktober 2003
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9