Berichtigung
62. Sitzung, Seiten IV und 5280, Anlagen 9 und 10:
Die Fragen wurden von Parl. Staatssekretär Dr. Gerald
Thalheim beantwortet.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5433
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lung der NATO lich rechnen, während ein anderer selbst mit 1 Million
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- S
o kann sich ein Film mit 30 000 Zuschauern wirtschaft-
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten A
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Abgeordnete(r) entschuldigt biseinschließlich
Andres, Gerd SPD 25.09.2003
Bülow, Marco SPD 25.09.2003
Deittert, Hubert CDU/CSU 25.09.2003
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25.09.2003
Fischer (Frankfurt), Joseph BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 25.09.2003
Götz, Peter CDU/CSU 25.09.2003
Hartnagel, Anke SPD 25.09.2003
Heinen, Ursula CDU/CSU 25.09.2003
Heubaum, Monika SPD 25.09.2003*
Dr. Krogmann, Martina CDU/CSU 25.09.2003
Dr. Lamers (Heidelberg), Karl A. CDU/CSU 25.09.2003
*
Lensing, Werner CDU/CSU 25.09.2003
Letzgus, Peter CDU/CSU 25.09.2003
Lietz, Ursula CDU/CSU 25.09.2003
Lintner, Eduard CDU/CSU 25.09.2003
Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 25.09.2003
Nitzsche, Henry CDU/CSU 25.09.2003
Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 25.09.2003
Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 25.09.2003
Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 25.09.2003
Dr. Schockenhoff, Andreas CDU/CSU 25.09.2003
Dr. Stinner, Rainer FDP 25.09.2003*
Dr. Thomae, Dieter FDP 25.09.2003
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
nlage 2
Nachträglich zu Protokoll Antwort
es Parl. Staatssekretärs Dr. Gerald Thalheim auf die
rage des Abgeordneten Dr. Peter Jahr (CDU/CSU)
Drucksache 15/1555, Frage 32):
Was bedeutet konkret für die deutsche Landwirtschaft die
Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs bei der Bun-
desministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft Dr. Gerald Thalheim in der „Neuen Osnabrücker
Zeitung“ vom 12. September 2003, bei den notwendigen Ein-
sparungen komme mit dem Agrarbereich der Sektor als Erstes
in den Blickpunkt, der die meisten Subventionen bekomme
und nicht solch große Zukunftsperspektiven habe wie etwa
die Computerbranche?
Bekanntlich ist es Ziel der Bundesregierung bei der
aushaltskonsolidierung, Entlastungen durch weiteren
ubventionsabbau zu realisieren.
Unbestreitbar ist die Tatsache, dass der Bund für die
grarsozialpolitik – dieser bei weitem bedeutsamsten
aßnahme mit 73 Prozent Anteil an den Gesamtausga-
en des Agrarhaushaltes – erhebliche Finanzhilfen für
en Agrarbereich bereitstellt. Diese Aussage bezieht sich
uch auf die im letzten Subventionsbericht dargestellte
atsache, dass die Finanzhilfen und Steuervergünstigun-
en des Bundes je Erwerbstätigen im Agrarbereich weit
ber dem Durchschnitt aller Wirtschaftsbereiche liegt.
nlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung über den Entwurf eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Filmförderungsge-
setzes (Tagesordnungspunkt 8)
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos): Gut Ding will
eile haben, so heißt es. Die Novelle des Filmförde-
ungsgesetzes ging in zwei Jahren durch die Hände von
rei Kulturstaatsministern. Hunderte Stellungnahmen
iegen vor, dutzende Gesprächsrunden fanden statt, Re-
olutionen wurden unterzeichnet. Sicher, einmal muss
chluss sein, einmal muss man sich entscheiden.
Doch anscheinend stand zumindest für Kulturstaats-
inisterin Christina Weiß immer schon das Ergebnis
est. Wie sonst ist es zu erklären, dass sich viele der An-
egungen nicht im Gesetzestext wiederfinden? Warum
uss, so frage ich, trotz aller Kritik mit dem Deutschen
ilmrat ein weiteres Beratungsgremium eingeführt wer-
en? Ist dieser neben dem bestehenden Verwaltungsaus-
chuss der FFA nicht überflüssig?
Warum muss für die Referenzfilmförderung die
chwelle von 100 000 auf 150 000 Zuschauer als Zei-
hen für wirtschaftlichen Erfolg erhöht werden? Über-
aupt ist zu fragen, ob die Zahl der Zuschauer allein ein
eichen für den wirtschaftlichen Erfolg eines Films ist.
5434 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
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Zuschauern aufgrund hoher Produktionskosten ein wirt-
schaftlicher Misserfolg sein kann. Warum werden die
Prädikate der Filmbewertungsstelle Wiesbaden aus der
Referenzfilmförderung herausgenommen, obwohl sich
dies doch in den letzten Jahren bewährt hatte? Und wa-
rum werden die Festivals, deren Prämierung Fördermit-
tel sichern, im Gesetzestext festgeschrieben? Wenn Fes-
tivals eingestellt werden, sich neu profilieren bzw. neue,
anerkannte Festivals entstehen, müsste doch der Geset-
zestext verändert werden. Dieses Gesetz zementiert in
dieser Frage den Status quo. Zu fragen ist, warum Sie,
Frau Weiß, nicht auf die vielstimmige Kritik – von den
Produzenten über die Kinobetreiber bis hin zum Bundes-
rat – der letzten Zeit eingegangen sind? Warum haben
Sie nicht mehr den Dialog gesucht? Weil Sie sich sicher
waren?
Ja, Sie wissen, was sie wollen. Das haben Sie bei der
Gründung der Deutschen Filmakademie bewiesen, die in
Zukunft den deutschen Filmpreis vergeben soll. Tatsache
ist, die uns jetzt vorliegende Novelle hilft den Großen im
deutschen Filmgeschäft. Die kleinen Unabhängigen, die
künstlerische Vielfalt und Breite fördert sie nicht. Diese
werden hart getroffen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung über den Entwurf eines Gesetzes
zur Errichtung einer „Magnus-Hirschfeld-Stif-
tung“ (Tagesordnungspunkt 9)
Sabine Bätzing (SPD): Ganz in der Nähe des Kanz-
leramtes und der Berliner Kongresshalle, also ungefähr
fünf Minuten Gehweg von uns entfernt, stand von 1919
bis zu seiner Plünderung und Zerstörung das weltweit
erste Institut für Sexualwissenschaft von Dr. Magnus
Hirschfeld. Dieses wurde am 6. Mai 1933 von den Nazis
geplündert und geschlossen. Die Mitarbeiter wurden ins
Exil getrieben. Umfangreiche Teile der Bibliothek wur-
den auf dem Opernplatz verbrannt.
Zu Magnus Hirschfeld und der heutigen Debatte über
die Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung gibt es
unsererseits aber nicht nur diese räumliche, sondern
auch eine inhaltliche Nähe. Mit Magnus Hirschfeld –
den nach seinem Studium eine lebenslange Freundschaft
mit dem damaligen Vorsitzenden der Sozialistischen
Partei Deutschlands, August Bebel, verband, gilt es stell-
vertretend für viele Opfer einen Menschen angemessen
zu ehren, dem furchtbares Unrecht angetan wurde. Mit
angemessener Ehrung meine ich in diesem Falle, dass in
unserer Gesellschaft die Würde aller Menschen, auch
der homosexuellen, geachtet wird.
Dieses Unrecht, wie es auch Magnus Hirschfeld erle-
ben musste, widerfuhr Tausenden von Homosexuellen
während der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten –
dennoch erfolgte in der Bundesrepublik über fünf Jahr-
zehnte keine angemessene Anerkennung. So gab es für
die Vernichtung der schwul-lesbischen Infrastruktur
nach dem Krieg niemals eine Entschädigung. Im Gegen-
teil: Der Neuaufbau einer Infrastruktur der Emanzipa-
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ion, wie sie vor 1933 bestanden hatte, wurde nach 1945
ehindert und sogar gezielt verhindert.
In diesem Hohen Hause wurde im Dezember 2000 je-
och endlich ein Anfang zur Achtung und Würdigung
er während der Nazidiktatur verfolgten Homosexuellen
emacht. In einem gemeinsamen Beschluss entschuldig-
en sich die Parlamentarier für die strafrechtliche Verfol-
ung Homosexueller in der Bundesrepublik und stellten
usdrücklich fest, dass die Strafverfolgung die Men-
chenwürde verletzt hat. Danach haben wir weitere Zei-
hen gesetzt: Eineinhalb Jahre später, im Mai 2002, hat
er Deutsche Bundestag die pauschale Aufhebung der
m Nationalsozialismus wegen Homosexualität verhäng-
en Strafurteile beschlossen – ein wichtiger und richtiger
chritt.
Aber der Kampf um die Achtung der Menschenwürde
nd das Wachhalten der Erinnerungen müssen – so trau-
ig das auch ist –, täglich neu gefochten werden. Mit der
agnus-Hirschfeld-Stiftung soll nun ein weiteres Pro-
ekt der Aufarbeitung der Verfolgungsgeschichte von
omosexuellen auf den Weg gebracht werden.
Im ersten Anlauf, in der letzten Legislaturperiode, ist
s uns leider nicht gelungen die Stiftung zu errichten.
achdem der Bundestag im Juni des letzten Jahres das
esetz zwar beschlossen hatte, konnte es aber dennoch
icht mehr in Kraft treten, da der Bundesrat den Vermitt-
ungsausschuss anrief. Die Beratungen zur Errichtung
er Stiftung wurden damals bedauerlicherweise über-
chattet von dem Streit über die Zusammensetzung des
tiftungskuratoriums. Ein Konsens zwischen den Frakti-
nen konnte nicht erzielt werden – und das, obwohl wir
ns bei dem zu verfolgenden Ziel alle einig waren. Ob
ieses Verhalten der Opposition – zwei Monate vor der
undestagswahl – eher auf wahltaktische Gründe zu-
ückzuführen war oder welche Gründe auch immer der
ustimmung und der Einigung entgegenstanden, sei nun
ahingestellt. Jedenfalls unterfiel der Gesetzentwurf da-
it der Diskontinuität und so wurde es erforderlich, das
esetz in dieser Legislatur erneut in den Bundestag ein-
ubringen.
Wenn ich mir nun den vorliegenden Gesetzentwurf
er FDP-Fraktion anschaue, kann ich mir allerdings ein
ewisses Schmunzeln nicht verkneifen. Denn so ganz
alsch scheinen wir ja damals mit unserem rot-grünen
esetzesentwurf doch nicht gelegen zu haben. Oder wie
oll ich es mir sonst erklären, dass der heute zu debattie-
ende Entwurf nahezu abgeschrieben wurde? Die feine
nglische Art ist es sicherlich nicht, erst einen Gesetz-
ntwurf nicht zu unterstützen, und ihn dann kurze Zeit
päter mit eigenem Briefkopf selbst einzubringen. Doch
uch das wollen wir jetzt hier nicht diskutieren. Denn die
rrichtung der Magnus-Hirschfeld-Stiftung ist zwischen
en Fraktionen in der Sache ja unstrittig.
Von daher wäre es ein schöner Zug von den Herren
nd Damen der FDP gewesen, wir hätten uns vorher
vor dieser ersten Lesung – bereits fraktionsübergrei-
end auf einen Gesetzentwurf verständigt und ihn als ge-
einsamen Entwurf, diesmal ohne den Zeitdruck der
etzten Legislatur, eingebracht und beraten. Wie dem
uch sei. Wir wollen auch bei diesem Thema nicht nach-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5435
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karten. Denn es geht hier darum, das Andenken an
Dr. Magnus Hirschfeld zu ehren und einen einstimmigen
Beschluss dieses Hauses umzusetzen, der eine kollektive
Wiedergutmachung durch Gedächtnisarbeit und kon-
krete Unterstützung beispielhafter Aktivitäten und Tole-
ranz fordert.
Natürlich, es gab und gibt unterschiedliche Auffas-
sungen über das Aufgabenspektrum einer solchen Stif-
tung und über Umfang und Zusammensetzung ihrer Gre-
mien, zumal das Stiftungskapital den Aktivitäten auch
Grenzen setzen wird. Aber dass die SPD-Fraktion die
Einrichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung grund-
sätzlich unterstützt, steht außer Frage. Von daher werden
wir, und zwar nicht nur, weil die Stiftung den Namen ei-
nes Sozialdemokraten tragen soll, offen und diskussions-
bereit für alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses
sein.
Parteipolitische Interessen und persönliche Eitelkei-
ten haben in dieser Diskussion nichts verloren, wenn es
uns um die Sache geht. Denn schließlich sind Homo-
sexuelle in ihrer parteipolitischen Orientierung ja nicht
ausschließlich rot, schwarz, grün oder gelb. Für eifer-
süchtige Mäkeleien und persönliche Sticheleien ist dies-
mal kein Platz mehr! Darauf muss sich jeder bei unseren
Gesprächen einstellen; denn klar ist, dass Beratungen
folgen müssen.
Nach dem gemeinsamen Beschluss des Bundestages
im Dezember 2000, in dem eine kollektive Wiedergut-
machung gefordert wird, sollten sich alle Beteiligten die-
ses Hauses nicht zum zweiten Mal die Chance entgehen
lassen, gemeinsam die Einrichtung der Magnus-
Hirschfeld-Stiftung zu beschließen. Daran gilt es nun zu
arbeiten. Wir tun dies für die Opfer und dafür, dass sich
in diesem Land niemand seiner Homosexualität schämen
muss oder zum Objekt von Hass und Lächerlichkeit
wird. Wir freuen uns auf konstruktive Gespräche.
Johannes Kahrs (SPD): Wir beraten heute hier ei-
nen Gesetzentwurf, wie er von der Koalition am 27. Juni
2002 bereits fast gleich lautend verabschiedet worden
war. Der Gang der Ereignisse ist allen geläufig und en-
dete im Vermittlungsausschuss. Aufgrund der Diskonti-
nuität wurde der Antrag bis heute leider nicht weiter ver-
folgt.
Ich möchte eines gleich vorwegschicken: Inhalt und
Zweck des heute vorgelegten Entwurfes sind für mich
unstrittig; denn sie sind eins zu eins von unserem Ent-
wurf abgeschrieben worden. Geändert wurde lediglich
die Zusammensetzung des Kuratoriums. Dies war – wir
erinnern uns an die damalige Debatte – der Stein des An-
stoßes für die Ablehnung durch die Opposition. Daher
wäre es müßig, hier und heute erneut die guten Gründe
zu nennen, die für eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung
sprechen.
Zum besseren Verständnis der heutigen Situation aber
habe ich ein bisschen in der parlamentarischen Ge-
schichte, die dem heutigen Antrag zugrunde liegt, ge-
forscht. Seinen Ursprung nimmt auch der heute vorge-
legte Entwurf in der Debatte um die Rehabilitierung der
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m Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vom
. Dezember 2000. Ich zitiere an dieser Stelle gerne mei-
en Kollegen von der Opposition, den Kollegen Gehb,
er Folgendes zu Protokoll gab:
Dieses Haus will in Einmütigkeit den homosexuel-
len Opfern der NS-Zeit Respekt und Anerkennung
zollen. Mit der Zustimmung zum vorliegenden An-
trag möchte die CDU/CSU-Fraktion dies bekunden.
Dieses gemeinsame Bekenntnis in der Beschlussfas-
ung hat uns Parlamentarier und die Öffentlichkeit mei-
er Ansicht nach ein großes Stück in der Sache weiterge-
racht.
Eine gemeinsame Linie aller Fraktionen war auch er-
lärtes Ziel bei der Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-
tiftung. In der damaligen Debatte gab es auch bei
nion und FDP keinerlei Kritik an der Notwendigkeit
er Stiftung an sich. Stein des Anstoßes – ich erwähnte
as bereits – war die Zusammensetzung des Kurato-
iums. So begrüße ich den heutigen Antrag ausdrück-
ich – auch wenn er von uns abgeschrieben wurde –, er
immt sich nämlich dieses Problems an.
Die SPD-Fraktion wird sich diesem Antrag nicht ver-
chließen. Vielmehr wünsche ich mir, dass wir uns in
en nun folgenden Beratungen über die Fraktionsgren-
en hinweg auf einen gemeinsamen Antrag einigen
önnen. Die Bereitschaft hierfür ist, denke ich, in allen
raktionen vorhanden. Es gilt aber, jetzt im Detail hinzu-
chauen und die Problematik des Kuratoriums abschlie-
end zu diskutieren, um zu einer einvernehmlichen Lö-
ung zu kommen. Damals wie heute wird sich die
ebatte jedoch an der Frage „Wer kommt hinein und
er nicht?“ erhitzen. Da der Mensch ein lernendes We-
en ist, hoffe ich im Sinne der Sache, dass niemand auf
ie Idee kommt, den vorgelegten Entwurf Lex van Essen
u nennen.
Ich wünsche mir, dass wir es mit diesem Anlauf ge-
einsam schaffen, eine Kuratoriumsbesetzung in den
achausschüssen zu erarbeiten, der am Ende alle Frakti-
nen zustimmen können. Nur dann werden wir dieses
ichtige Anliegen zu dem verdienten Erfolg führen.
Ich möchte es abschließend aber nicht versäumen, ei-
en kleinen Ausblick zu geben, was denn konkret mit
en Stiftungsmitteln gefördert werden könnte, um zu
erdeutlichen, warum eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung
eute notwendiger ist denn je.
In vielen Bundesländern gibt es kleine, ehrenamtlich
ätige und regional ausgerichtete Gruppen, die schon
eute im Sinne einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung arbei-
en. Sie veranstalten regionale Gedenkveranstaltungen,
rbeiten die Verfolgung von Schwulen und Lesben im
ationalsozialismus auf und suchen den Dialog mit der
evölkerung. Oftmals aber fallen gerade diese kleinen
ereine und Initiativen, die unabhängig von den großen
erbänden arbeiten, durch alle Raster öffentlicher Förde-
ung.
Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung könnte hier einen
anz wesentlichen Beitrag im Sinne des Stiftungszwe-
kes leisten. All diese kleinen Gruppen brauchen keine
5436 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
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Lippenbekenntnisse, sondern konkrete Förderung, die
aufgrund der jetzigen Struktur der Förderlandschaft
nicht gegeben ist.
Lassen Sie uns das gemeinsam formulierte Ziel nicht
aus den Augen verlieren. Ich betone nochmals: An der
SPD soll ein solcher Antrag nicht scheitern und ich wün-
sche mir, dass wir dieses Mal widersinnige Streitereien
vermeiden können, um die Magnus-Hirschfeld-Stiftung
endlich ins Leben rufen zu können.
Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Wir debattieren
heute in erster Lesung den FDP-Gesetzentwurf zur Er-
richtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung. Es ist jedoch
nicht das erste Mal, dass wir über die Errichtung einer
Stiftung dieses Namens reden.
Aus guten Gründen, auf die ich im Verlaufe meiner
Rede noch eingehen werde, will ich mit einem Blick zu-
rück beginnen. Nicht zuletzt für die Kolleginnen und
Kollegen, die neu in diesem Haus sind, aber auch für die
Öffentlichkeit mag es von Interesse und auch hilfreich
sein zu wissen, dass wir nicht bei null beginnen, sondern
dass die Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfes im
wahrsten Sinne des Wortes eine Geschichte hat. Eine
Geschichte, aus der wir lernen können, und ich sage dies
mit aller Ernsthaftigkeit, aus der wir auch lernen sollten.
Vor 15 Monaten – also am Ende der 14. Legislaturpe-
riode – beendete ich meine Rede mit folgenden Sätzen:
„Es bleibt als traurige Quintessenz dieses ersten An-
laufs, eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung zu errichten, nur
festzuhalten: Der ursprünglich über die Fraktionsgren-
zen hinweg geltenden Vereinbarung, für die kollektive
Entschädigung homosexueller Opfer eine würdige Form
zu finden, wurde durch die Art und Weise, wie die Koa-
lition das Gesetzgebungsverfahren betrieb, ein Bären-
dienst erwiesen. Wir können als Christdemokraten dem
vorliegenden“ – das heißt dem damaligen – „Gesetzent-
wurf, dieser Lex Beck, nicht zustimmen.
Sollte das Gesetzgebungsverfahren bis zum Ende der
Legislaturperiode nicht abgeschlossen sein und damit
der Diskontinuität verfallen, besteht die Chance, in ei-
nem neuen Anlauf eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung auf
den Weg zu bringen, die in einer breiten Öffentlichkeit
Akzeptanz und Anerkennung finden wird.“
Frau von Renesse hat im Juni letzten Jahres für die
Sozialdemokraten Folgendes zu Protokoll gegeben:
„Ein solches Projekt“ – gemeint ist die Stiftung –
müsste vom Bundestag einstimmig verabschiedet wer-
den, verwirklicht es doch den einstimmigen Beschluss
dieses Hauses, der eine kollektive Wiedergutmachung
durch Gedächtnisarbeit und konkrete Unterstützung bei-
spielhafter Aktivitäten für Toleranz und Akzeptanz för-
dert.“
Den Kollegen van Essen darf ich mit dem Satz zitie-
ren: „Es wäre ein wichtiges Signal gewesen, wenn sich
der ganze Bundestag zu dieser Form des kollektiven
Ausgleichs bekannt hätte. Ich bedauere daher sehr, das
Rot-Grün diese Einigung verhindert hat.“
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Und der Vertreter Hamburgs hat in der 780. Sitzung
es Bundesrates am 27. September 2002 Folgendes aus-
eführt:
„Statt die Einmütigkeit des Bundestagsbeschlusses
om Dezember 2000 als Chance zu nutzten, auf diesem
istorisch belasteten Gebiet den gesellschaftlichen Kon-
ens zu fördern und zu vertiefen, hat die Bundestags-
ehrheit freie Fahrt für Partikularinteressen gegeben.
ie Hektik der parlamentarischen Beratungen, das Des-
nteresse der Regierungsfraktionen an einer seriösen öf-
entlichen Anhörung und die skurrile Veränderung des
ntwurfs im Rechtsausschuss machen deutlich: Mit die-
em Stiftungsgesetz soll nicht Magnus Hirschfeld ein
enkmal gesetzt werden, sondern dem Grünen-Politiker
olker Beck.“
All diese Zitate, all diese unterschiedlichen Stimmen,
elegen doch eins: Wir sind einmal gemeinsam gestartet.
er Beschluss des Bundestages vom 7. Dezember 2000
rging einstimmig. „Angesichts der erheblichen Unei-
igkeit, die in den vergangenen Jahrzehnten zu diesem
pezifischen NS-Unrecht geherrscht hatte, war dies ein
roßer gesellschaftlicher und politischer Fortschritt“, so
arf ich den Vertreter Hamburgs in der bereits erwähnten
undesratssitzung noch einmal zitieren.
Im Übrigen ist es eigentlich eine gute Tradition dieses
auses, Projekte im Kontext der NS-Wiedergutmachung
invernehmlich auf den Weg zu bringen.
Doch was geschah mit diesem einstimmigen Be-
chluss des Bundestages und der dort enthaltenen Auf-
orderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf
ur Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung vorzu-
egen? Leider gar nichts.
Weder in der 14. noch in gegenwärtigen Legislatur-
eriode fühlt sich die Bundesregierung offensichtlich be-
üßigt, dem einstimmigen Auftrag des Bundestages
achzukommen, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Das
arf man einmal in aller Nüchternheit feststellen und
ies auch mit der Frage verbinden, in welcher Gelassen-
eit wir eine solche Missachtung des Parlamentes offen-
ichtlich hinnehmen …
Im Übrigen ist dies auch dem Bundesrat aufgefallen.
aher merkte völlig zu Recht der Vertreter Hessens in
er bereits erwähnten Bundesratssitzung an, dass mit
iesem Vorgehen die Bundesregierung und die sie tra-
ende Mehrheit im Bundestag nicht nur den Beschluss
es Bundestages missachtet haben, sondern dem Bun-
esrat hierdurch auch einen Beratungsdurchgang abge-
chnitten haben. Der Bundesrat konnte nur noch in ei-
em ersten und einzigen Beratungsdurchgang ja oder
ein sagen.
Dabei müsste sich die Bundesregierung doch über-
aupt nicht verstecken. Die involvierten Ministerien ha-
en doch intensiv an dem Stiftungsprojekt gearbeitet. So
at doch das Bundesfinanzministerium im Mai letzten
ahres einen sehr soliden und ausgewogenen Gesetzent-
urf vorbereitet gehabt, der leider nur nicht das Licht
er Welt erblickte. Sicherlich nicht ganz zufällig. Er lief
ohl gewissen Interessen zuwider.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5437
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Stattdessen gab es quasi in letzter Minute den verän-
derten Koalitionsentwurf, über dessen trauriges Schick-
sal die genannten Zitate bereits beredt Auskunft gaben.
Das Projekt Magnus-Hirschfeld-Stiftung wurde – und
dies sage ich in aller Eindeutigkeit – durch den Abgeord-
neten Volker Beck an die Wand gefahren – und die Sozi-
aldemokraten haben leider zugeschaut.
Ich erinnere mich im Übrigen, dass es hierzu nicht nur
kritische Stimmen im Bundestag und Bundesrat gab. Ich
habe beispielsweise noch einen überaus kritischen Bei-
trag des Zweiten Deutschen Fernsehens hierzu gut in Er-
innerung.
All dies sollten wir nicht vergessen. Denn vergessen
würde bedeuten, Erfahrungen aus dem Fenster zu wer-
fen, statt aus ihnen zu lernen.
Nun beraten wir in diesem Haus den Entwurf der
FDP-Fraktion. Eine kurze Anmerkung vorab, lieber Kol-
lege van Essen. Ich habe noch gut im Ohr, wie traurig, ja
wie empört Sie in der vergangenen Legislaturperiode
waren, dass die Koalitionsfraktionen allein einen Ge-
setzentwurf einbrachten. Die Messlatte, an der Sie da-
mals die Anderen maßen, müssen Sie allerdings auch für
sich selbst gelten lassen. An der Zeitknappheit, mit den
anderen Fraktionen vorab zu sprechen, kann es wohl
nicht gelegen haben, wenn ich sehe, dass zwischen der
Einbringung und der Aufsetzung auf die Tagesordnung
dieses Hauses sieben Monate liegen.
Und eine Anmerkung vorab auch in Richtung Koaliti-
onsfraktionen. Ich war schon etwas überrascht, dass die
Federführung vom Rechtsausschuss in den Familienaus-
schuss wechseln soll. In der Sache hat sich doch nichts
geändert. Auch in Ihrem Entwurf aus der vergangenen
Legislaturperiode lag beispielsweise die Rechtsaufsicht
schon beim Familienministerium. Wir haben im Rechts-
ausschuss darüber gesprochen und auch bereits eine An-
hörung gehabt. Auch der Rechtsausschuss des Bundes-
rates hat sich damit bereits beschäftigt. Also warum der
Wechsel? Oder sollten mit diesem kleinen Geschäftsord-
nungstrick unliebsame Abgeordnete ausgebremst oder
gar ausgesteuert werden? Lieber Herr Beck, Sie sehen,
so schnell lassen wir Christdemokraten uns nicht ins
Bockshorn jagen. Sie müssen damit leben, dass ich heute
hier rede.
Nun liegt also wieder der Entwurf eines Stiftungsge-
setzes vor. Es liegt nun an allen Fraktionen in diesem
Haus, durch die Art und Weise der Beratungen dafür
Sorge zu tragen, dass das Ende des Gesetzgebungsver-
fahrens anders aussieht als vor gut einem Jahr. Die Be-
reitschaft unserer Fraktion ist hierzu vorhanden.
Ich will von dieser Stelle und auch in aller Deutlich-
keit nochmals die Bereitschaft meiner Fraktion bekun-
den, die Magnus-Hirschfeld-Stiftung auf den Weg zu
bringen. Von interessierter Seite wird dies gern infrage
gestellt. Wir stehen als Christdemokraten zum Beschluss
vom 7. Dezember 2000.
Die Errichtung einer Stiftung als Form der kollektiven
Entschädigung für die Verfolgung homosexueller Män-
ner und Frauen während der NS-Zeit ist unstreitig. Doch
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o unstreitig die Stiftung als solches ist, so streitg waren
und sind vielleicht – die Details. Und in einer Demo-
ratie ist Streit wichtig und legitim.
Dies wird offensichtlich auch außerhalb dieses Hau-
es gesehen. Mir liegt eine Pressemitteilung der Bundes-
onferenz der schwul-lesbischen Landesnetzwerke vor,
n der es wörtlich heißt:
„Die Bundeskonferenz fordert innerhalb und außer-
alb des Parlaments eine offene und faire Diskussion
ber die Ausgestaltung der Stiftung. Dieses Projekt ist
ür die Schwulen- und Lesbenbewegung so wichtig, dass
icht überstürzt und ohne ausreichende Diskussion Ent-
cheidungen getroffen werden sollten, die eventuell
ahrzehnte Bestand haben werden. Für das Ansehen ei-
er Magnus-Hirschfeld-Stiftung wird die breite Akzep-
anz, die über eine intensive Diskussion erreicht werden
ann, von großer Wichtigkeit sein.“
Eine faire und offene Diskussion, Transparenz und
ffenlegung der Kritierien für Gremienbesetzungen sind
lles Punkte, denen ich zustimmen kann. Ich glaube, dies
ind wir auch uns selbst, den Bürgern dieses Landes,
em Steuerzahler und nicht zuletzt allen Interessierten
chuldig.
Ich will dies an einem Beispiel aufzeigen. Im FDP-
ntwurf ist in das Kuratorium die Deutsche Gesellschaft
ür sozialwissenschaftliche Sexualforschung neu aufge-
ommen worden. Ich kann eine Vermutung anstellen,
arum dies geschah. Ich weiß es aber nicht – und alle
nderen außerhalb der FDP-Fraktion vermutlich auch
icht.
Sollte mit dieser Berufung allerdings der akademi-
che und wissenschaftliche Bereich zusätzlich berück-
ichtigt werden, darf man in aller Offenheit fragen, wa-
um nicht die älteste und größte der deutschen
achgesellschaften für Sexualwissenschaft und Sexual-
orschung, nämlich die Deutsche Gesellschaft für Sexu-
lforschung mit Sitz in Hamburg und Frankfurt, Berück-
ichtigung fand. Ich spreche mich hier weder für die eine
och vorschnell für die andere Gesellschaft aus. Ich will
n diesem Beispiel nur die Notwendigkeit aufzeigen,
ie nötig ein transparentes Verfahren ist.
Erlauben Sie mir noch einen anderen Punkt anzuspre-
hen. Ich habe beim Familienministerium einmal recher-
hiert – jedermann kann dies in den einschlägigen Bun-
estagsdrucksachen zuletzt in Nr. 15/1279 nachlesen –,
elche Institutionen im lesbisch-schwulen Bereich für
elche Projekte Finanzmittel des Bundes erhalten. Ju-
endprojekte von LAMDA werden gefördert, Lesben-
rojekte können etatisiert werden, der Bundesverband
er Eltern und Angehörigen von Homosexuellen erhält
ür eine Fachtagung im März des Jahres rund
0 000 Euro oder der Sozialverein des LSVD erhält für
ine Wochendtagung zu „Regenbogenfamilien“ in die-
em Monat rund 25 000 Euro aus dem Haus von Frau
chmidt.
Nur historische Forschung wird nicht gefördert. Wie
uch? Historische Forschung passt halt nicht in das Ras-
er eines Familien-, Jugend- und Frauenministeriums.
5438 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
(A) )
(B) )
Nun ist der Ausgangspunkt für die Magnus-
Hirschfeld-Stiftung die Verfolgung homosexueller
Frauen und Männer während der NS-Zeit. Wir haben in
unserem Beschluss vom 7. Dezember 2000 eigens unter-
strichen, wie nötig es ist, die Initiativen zu unterstützten,
die sich der historischen Aufarbeitung der nationalsozia-
listischen Homosexuellenverfolgung und des späteren
Umgangs mit ihren Opfern widmen.
Bisher hat die Forschung hierzu kaum im akademi-
schen Kontext ihren Platz gefunden, sondern entsteht
aufgrund der privaten Intitiative Einzelner oder kleiner
Gruppen. Geld steht dafür so gut wie nie zur Verfügung.
Daher arbeiten die Beteiligten in aller Regel ehrenamt-
lich. Von wenigen Promotionsstipendien abgesehen
scheinen bisher auch niemals reguläre deutsche For-
schungsgelder für derartige Projekte ausgegeben worden
zu sein, wie bei der Vorstellung des Buches von Andreas
Pretzel „NS-Opfer unter Vorbehalt“ im Berliner Landes-
archiv beklagt wurde.
Bei aller Offenheit des Stiftungszwecks sollten wir
uns meines Erachtens schon verpflichtet fühlen, den Ur-
sprung der Stiftung nicht vorschnell aus dem Blick zu
verlieren. Die Stiftung sollte vorrangig – jedenfalls in der
Anfangsphase – den Schwerpnkt auf die Förderung der
Forschung, der Erinnerungsarbeit und der damit verbun-
denen politischen Bildung legen. Es sollten vorrangig die
Projekte gefördert werden, die sonst keine Chance haben.
Doppelförderung durch die Stiftung und das Familienmi-
nisterium sollte tunlichst vermieden werden.
Über all diese Fragen sollten wir auch mit der nötigen
Transparenz nach außen reden.
Immens viel wird für das Ansehen der Stiftung davon
abhängen, ob uns dies im Beratungsverfahren gelingen
wird. Ich hoffe, dass bei allen Beteiligten die Bereit-
schaft vorhanden ist, das Ansehen der Stiftung nicht vor-
sätzlich durch die Durchsetzung von Eigeninteressen zu
beschädigen.
Wie sagte ein Sachverständiger im vergangenen Jahr:
„Es darf auch nicht der Hauch des Eindrucks entstehen,
dass hier einzelne Verbandsinteressen über den ideellen
Zweck des Stiftungsanliegens gestellt werden.“ Dieses
Wort gilt auch heute noch. Wir sollten aus den Erfahrun-
gen der letzten Legislaturperiode lernen. Die Bereit-
schaft meiner Fraktion ist jedenfalls gegeben, konstruk-
tiv an den Beratungen zur Errichtung einer Magnus-
Hirschfeld-Stiftung mitzuwirken.
Lassen Sie mich mit einem Zitat aus einer Rede en-
den, die anlässlich der bereits erwähnten Buchvorstel-
lung im Landesarchiv Berlin gehalten und mir zugesandt
wurde.
„Es reicht nicht aus, ihnen ein Denkmal zu setzen,
selbst wenn das eines Tages an einem prominenten Ort
in Berlin stehen sollte, wie es ja in der Diskussion ist …
Ein Denkmal allein für etwas, das noch gar nicht in sei-
nen Dimensionen bekannt und bearbeitet ist, birgt die
Gefahr, dass Dinge schnell wieder zugedeckt werden,
bevor sie richtig ans Tageslicht kommen. Den Opfern …
sind wir eine genauere Erinnung schuldig. … Ohne die
finanzielle Unterstützung der historischen Forschung,
der Archive, Sammlungen und Museen wird die Erinne-
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ung, kaum dass sie da ist, wieder verblassen, nicht kon-
ret genug werden können.“
Nehmen wir diese Worte für unsere Beratungen ruhig
it auf den Weg.
Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Am 6. Mai 2003 jährte sich zum 70. Mal die
lünderung des von Magnus Hirschfeld gegründeten In-
tituts für Sexualwissenschaften durch NS-Studenten.
ie Verwüstung des Instituts war der Auftakt zur so ge-
annten „Aktion wider den undeutschen Geist“. Aus
em Institut geraubtes Inventar wurde am 10. Mai 1933
ei der Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz
ns Feuer geworfen.
Homosexuelle waren ab 1933 schwersten Verfolgun-
en ausgesetzt. Die lesbische und schwule Bürgerrechts-
ewegung der Weimarer Republik wurde zerschlagen.
ehntausende Homosexuelle wurden zu Haftstrafen ver-
rteilt, Tausende in Konzentrationslager verschleppt.
Deutschland steht in der Verantwortung, die Erinne-
ung an dieses Unrecht wachzuhalten, die verfolgten und
rmordeten Opfer zu ehren.
Daher haben wir gegen Ende der letzten Wahlperiode
ier im Bundestag nach jahrelangen quälenden Diskussi-
nen endlich die gesetzliche Rehabilitierung der Opfer
es § 175 aus der NS-Zeit durchgesetzt. Daher haben die
eiden Koalitionsfraktionen vor kurzem einen Antrag
ur Errichtung eines Denkmals für die im Nationalsozia-
ismus verfolgten Homosexuellen in den Bundestag ein-
ebracht. Es soll ein offizielles Denkmal der Bundesre-
ublik Deutschland werden. Und es soll hier in der Nähe
es Reichstages entstehen. Dieser Antrag wurde heute
orgen befasst und in die Ausschüsse zur Beratung über-
iesen. Auch aus Verantwortung vor der Vergangenheit
tehen wir weiter in der Pflicht, klare Zeichen zu setzen
egen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung.
So haben wir in der letzten Wahlperiode das Gesetz
ur Eingetragenen Lebenspartnerschaft auf den Weg ge-
racht. Das war ein großer gesellschaftlicher Durch-
ruch für die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Le-
ensweisen. Wir haben uns auch für diese Wahlperiode
iel vorgenommen, um die Situation der lesbischen Bür-
erinnen und schwulen Bürger weiter zu verbessern:
Wir wollen und werden das Lebenspartnerschaftsge-
etz weiter ausbauen. Wir wollen und werden den ge-
etzlichen Schutz vor Diskriminierung verstärken.
Die Errichtung einer Magnus-Hirschfeld-Stiftung ist
m vergangenen Herbst am Bundesrat gescheitert. Der
orliegende Gesetzentwurf greift dieses Vorhaben nun
ieder auf. Und das ist gut so.
Bei der Diskussion um die Stiftung geht es um fol-
ende Anliegen: homosexuelles Leben in Geschichte und
egenwart wissenschaftlich zu erforschen und darzustel-
n, die nationalsozialistische Verfolgung Homosexueller
Erinnerung zu halten, gesellschaftlicher Diskriminie-
ung homosexueller Männer und Frauen entgegenzuwir-
en, Emanzipations-, Bürgerrechts- und Menschenrechts-
rbeit im In- und Ausland zu fördern sowie das Gedenken
n Leben und Werk Magnus Hirschfelds zu pflegen. All
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5439
(A) )
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das sind und bleiben aus Sicht der Grünen wichtige Auf-
gaben für unsere Gesellschaft.
Seit Gründung unserer Partei engagieren wir uns ge-
gen gesetzliche und gesellschaftliche Diskriminierung.
Seit jeher unterstützen wir die Emanzipations-, Bürger-
rechts- und Menschenrechtsarbeit von Lesben und
Schwulen.
Vor diesem Hintergrund werden wir den vorliegenden
Gesetzentwurf vorbehaltlos prüfen und freuen uns auf
eine intensive Sacharbeit in den Ausschüssen.
Jörg van Essen (FDP): Die FDP macht mit ihrem
Gesetzentwurf einen erneuten Anlauf, um die Magnus-
Hirschfeld-Stiftung doch noch zu errichten. Homosexu-
elle waren im Nationalsozialismus schweren Verfolgun-
gen ausgesetzt. Dies hat auch der Deutsche Bundestag
am 7. Dezember 2000 in einer Erklärung einstimmig
festgestellt, die besagt, dass es sich bei der Verfolgung
von Homosexuellen während des Nationalsozialismus
um typisches nationalsozialistisches Unrecht handelt.
Während der nationalsozialistischen Verfolgung wurde
die gesamte schwule und lesbische Infrastruktur zer-
schlagen. Einen Ausgleich dafür hat es bis heute nicht
gegeben. Lange nach den Verbrechen der NS-Diktatur
soll jetzt – mit der Errichtung der Magnus-Hirschfeld-
Stiftung im Sinne eines kollektiven Ausgleichs – das von
den Nationalsozialisten an den Homosexuellen verübte
Unrecht anerkannt und die homosexuelle Bürger- und
Menschenrechtsarbeit gefördert werden.
Der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirsch-
feld ist durch seine wissenschaftliche Tätigkeit und auch
als Streiter für die Rechte der Homosexuellen besonders
hervorgetreten. Die Stiftung wird dazu beitragen, das ho-
mosexuelle Leben in Deutschland wissenschaftlich zu
erforschen und darzustellen. Die nationalsozialistische
Verfolgung soll aufgearbeitet und in Erinnerung gehalten
werden. Mit der Öffentlichkeitsarbeit der Magnus-
Hirschfeld-Stiftung soll ein weiterer Beitrag erreicht
werden, der nach wie vor vorhandenen gesellschaftli-
chen Diskriminierung homosexueller Männer und
Frauen entgegenzuwirken.
In der vergangenen Legislaturperiode war eine Eini-
gung in dieser Frage über alle Fraktionsgrenzen hinweg
in greifbarer Nähe. In letzter Minute legten die Koali-
tionsfraktionen eine Liste über die Besetzung des Kura-
toriums vor, von der sie klar wissen mussten, dass die
Opposition ihr nicht zustimmen konnte. Aus den Reihen
der SPD weiß ich, dass auch sie mit diesem Vorgehen
ganz und gar nicht einverstanden waren. Die Grünen wa-
ren es, die diese Einigung bewusst verhindert haben.
Hier wurde versucht, rücksichtslos Verbandsinteressen
durchzusetzen, die Bundestagswahl dabei fest im Blick.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich daher ent-
schlossen, die Initiative erneut in den Bundestag einzu-
bringen und zu einer Zeit zu beraten, die nicht geprägt ist
von den lauten Tönen des Wahlkampfs. Wir haben im-
mer deutlich gemacht, dass dieses wichtige Thema dafür
gänzlich ungeeignet ist. Wir glauben, dass die Zusam-
mensetzung des Kuratoriums, so wie unser Gesetzent-
wurf sie vorsieht, eine breite Zustimmung durch den
Deutschen Bundestag ermöglicht. Für uns ist es wichtig,
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ass alle relevanten Gruppierungen die Möglichkeit ha-
en, gleichberechtigt im Kuratorium mitwirken zu kön-
en. In dem Gesetzentwurf sehen wir daher für jede
ruppierung einen Sitz im Kuratorium vor. Das gerade
ür junge Homosexuelle besonders wichtige Jugendnetz-
erk Lambda gehört selbstverständlich in das Kurato-
ium. Da die Stiftung den Namen des Sexualwissen-
chaftlers Magnus Hirschfeld tragen soll, ist eine
eteiligung von Vertretern der Sexualwissenschaft
benso unerlässlich.
Ich hoffe, dass die Grünen von ihrer kompromisslo-
en Position aus der vergangenen Legislaturperiode Ab-
tand nehmen und heute mehr die historische Aufarbei-
ung des Unrechts, die Interessen der Opfer und die
atsächlichen Stiftungsziele in den Vordergrund stellen.
Im Kampf um den Abbau der gesellschaftlichen Dis-
riminierung von Homosexuellen ist es in der rot-grünen
undesregierung insgesamt still geworden. Unser Ge-
etzentwurf ist die erste Initiative in dieser Legislaturpe-
iode, die diesen Faden wieder aufnimmt. Ich würde es
aher außerordentlich begrüßen, wenn wir in dieser
ichtigen Frage möglichst schnell zu einer Einigung
ommen könnten.
nlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht: Wieder-
belebung des Friedensprozesses in Kolum-
bien
– Beschlussempfehlung und Bericht: Neue Ini-
tiative zur Wiederbelebung des kolumbiani-
schen Friedensprozesses international unter-
stützen
(Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztagesord-
nungspunkt 4)
Petra Pau (fraktionslos): Es ist zweifellos richtig,
ass sich der Deutsche Bundestag endlich wieder der Si-
uation in diesem seit Jahrzehnten von Krieg, Terror,
taatlicher Repression, paramilitärischer Willkür und
lindwütigem Morden, Entführungen von Zivilistinnen
nd Zivilisten und US-amerikanischer Einmischung von
ußen zerrissenem Land zuwendet. Gestatten Sie mir,
arauf hinzuweisen, dass die PDS bereits 1996 auf einer
on ihr veranstalteten internationalen Konferenz anläss-
ich des 50. Jahrestages der UN-Menschenrechtskonven-
ionen darauf hingewiesen hatte, dass Kolumbien zwei-
ellos von einem der schwerwiegendsten Bürgerkriege
it den meisten Todesopfern und Verschwundenen ge-
rägt ist. Ich musste selbst damals furchtbare Erlebnis-
erichte der Menschenrechtsbeauftragten und von Mit-
liedern der Eisenbahnergewerkschaft aufnehmen und
abe seitdem mehrmals direkt mit von Bürgerkrieg un-
ittelbar betroffenen Kolumbianerinnen und Kolumbia-
ern, darunter auch indigenen Menschen, gesprochen.
s ist zweifellos richtig, dass wir zur Lösung des Kon-
liktes mehr unternehmen müssen.
5440 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
(A) )
(B) )
Ich halte es dennoch für fragwürdig, wenn in dem An-
trag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die EU und
die deutsche Regierung aufgefordert werden, die kolum-
bianische Regierung unter dem Präsidenten Uribe dahin
gehend zu unterstützen, ein Gewaltmonopol herzustel-
len, das neutral und nicht im Interesse von Sondergrup-
pen auszuüben ist. Gerade auch die Regierung Uribe
selbst ist doch in das Konfliktknäuel in Kolumbien ver-
wickelt. Uribe sieht sich als Exekutor des amerikani-
schen „Plan Colombia“ und ist maßgeblich für dessen
Realisierung verantwortlich. Eine Friedenslösung wird
jedoch nur möglich sein, wenn endlich der Dialog zwi-
schen den verschiedenen Konfliktparteien, wozu auch
die Guerilla-Bewegungen FARC und ELN gehören, er-
öffnet wird, in dem die verschiedenen Interessen offen
und gleichberechtigt auf den Verhandlungstisch gelan-
gen.
Die PDS wendet sich energisch gegen eine Regionali-
sierung des Konflikts, die letztlich das Übergreifen der
Gewalt in Kolumbien auf Nachbarstaaten und eine aus-
ländische Instrumentalisierung zugunsten internationaler
Konzerne und der Herstellung ihrer Kontrolle über die
Ressourcen und somit die Zerstörung der Lebensräume,
vor allem auch der in diesen Gebieten lebenden indige-
nen Völkern, zur Folge hätte. Wir befürworten vielmehr
eine internationale Konferenz unter UN-Mandat, an der
alle Konfliktparteien gleichberechtigt teilnehmen müs-
sen und die auf eine sofortige Beendigung jeglicher mili-
tärischer Handlungen und einen unverzüglichen Waffen-
stillstand gerichtet sein muss. Nur so wird sich eine
zivilgesellschaftliche Partizipation am Ingangsetzen ei-
nes Friedensprozesses ermöglichen lassen. Wir teilen die
Auffassung, dass dabei auch die vermittelnde Rolle der
katholischen Kirche in Anspruch genommen werden
sollte. Wir meinen zugleich, dass die Staaten der Region
– vor allem Venezuela und Ecuador – stärker als Vermitt-
ler in den Friedensprozess eingebunden werden sollten.
Sie verfügen über Erfahrungen alternativer Gesellschafts-
entwicklung und nehmen die Beseitigung der monströ-
sen sozialen Widersprüche in diesen Ländern in Angriff.
Das Scheitern der jüngsten 5. Ministerkonferenz der
WTO in Cancun zeigte einmal mehr, dass gerade wir in
den entwickelten Ländern, in der EU und auch in
Deutschland ernsthafter darüber nachdenken müssen,
wie Entwicklungszusammenarbeit konkret zur Lösung
sozioökonomischer Ursachen von Konflikten, zur Besei-
tigung von Armut und Perspektivlosigkeit großer Bevöl-
kerungsteile für ein menschenwürdiges Leben auszuge-
stalten ist.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung über den Entwurf eines Gesetzes
zur Sicherung der Hilfsmittelversorgung von
Pflegebedürftigen (Hilfsmittelsicherungsgesetz –
HSG) (Tagesordnungspunkt 11)
Dr. Erika Ober (SPD): Der Bundesrat hat Anfang
dieses Jahres den Gesetzentwurf zur Sicherung der
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ilfsmittelversorgung von Pflegebedürftigen auf den
eg gebracht. Mit dem HSG will er Abgrenzungsstrei-
gkeiten zwischen Kranken- und Pflegekassen lösen.
ie Frage, die im Mittelpunkt dieses Entwurfes steht,
utet: Wer ist für die Versorgung von Pflegebedürftigen
it Hilfsmitteln sowohl ambulant als auch stationär zu-
tändig?
Diese Frage beantwortet bereits das bestehende
echt.
Deshalb ist aus meiner Sicht auch das im Bundesrats-
ntwurf avisierte Ziel obsolet, der mit dieser Initiative
ie Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöhen will.
m dieses Ziel zu erreichen, stellt der Entwurf den Vor-
chlag in den Raum, die ambulante und stationäre Hilfs-
ittelgewährung nach § 40 Pflegeversicherungsgesetz
larzustellen und einschlägige Ergänzungen im SGB V
u machen.
Ich möchte gerne, bevor ich auf den stationären Be-
eich zu sprechen komme, auf den ambulanten Bereich
ingehen. Für den ambulanten Bereich bestätigt der
undesratsbeschluss durch Ergänzung des § 40 SGB XI
ie Subsidiaritätsklausel. Diese Nachrangigkeitsklausel
tellt aber schon jetzt ausdrücklich klar, dass die Pflege-
assen nur dann herangezogen werden, wenn die Hilfs-
ittelversorgung durch die Krankenkasse nicht greift.
ofern der Verwendungszweck eines Hilfsmittels ganz
berwiegend darin besteht, die Pflege zu ermöglichen
der zu erleichtern, ist die Pflegekasse in der Pflicht
iese Leistung bereitzustellen.
Der bestehende Paragraph regelt also bereits eindeutig
ie Leistungspflicht der Pflegeversicherung. Die Pflege-
ersicherung tritt dann ein, wenn eine Leistungspflicht
er GKV nicht vorliegt. Die Trennung der Auflistung
on Hilfsmittelverzeichnis und Pflegehilfsmittelver-
eichnis mit klarer Nachrangigkeit der Leistungspflicht
er Pflegeversicherung ist im Gesetz bereits geregelt.
Es ist bekannt, dass manche Krankenkassen diese be-
tehende Subsidiaritätsklausel in der Praxis bei der Be-
illigung nicht hinreichend beachtet haben. So gab es in
er Vergangenheit Fehlbuchungen, die zu Lasten der
flegeversicherung vorgenommen wurden. Erfahrungs-
emäß wurden diese Fehlbuchungen in den meisten Fäl-
n korrigiert. Dies bestätigt auch der Bundesratsbe-
chluss: In seiner Begründung wird ausdrücklich darauf
ingewiesen, dass die meisten Krankenkassen die ge-
annte Rechtsauffassung bezüglich der Nachrangigkeit
er Pflegeversicherung teilen.
Der Bundesratsentwurf bezieht sich auf Einzelfallent-
cheidungen. Es heißt, die Entscheidung über die Zu-
tändigkeit dürfe nicht vom Einzelfall abhängig sein.
as ist zwar richtig. Denn wenn ein Sachbearbeiter einer
ranken- und Pflegekasse in jedem Einzelfall entschei-
en würde, stünde Tür und Tor auf, Kosten der Kranken-
ersicherung auf die Pflegeversicherung zu verlagern
nd so die Kosten der gesetzlichen Krankenkasse gerin-
er zu halten. Doch ändert sich durch den Entwurf nichts
aran, dass die bestehende Rechtslage bereits jetzt keine
inzelfallentscheidungen vorsieht.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5441
(A) )
(B) )
Im stationären Bereich sieht der Bundesratsentwurf
Ergänzungen der §§ 75 Abs. 2 und 80 Abs. 2 vor, das
heißt, die Zuständigkeit der Grundausstattung der Pfle-
geheime mit Hilfsmitteln soll geklärt werden. Hierzu ist
aber zu sagen: Die Partner der Selbstverwaltung haben
auch derzeit das Recht, die Grundausstattung der Heime
mit Hilfsmitteln zu regeln. Zum stationären Bereich hat
das Bundessozialgericht in seinen letzten Urteilen aus
2002 ausdrücklich erklärt, dass die Ausstattung der Pfle-
geheime mit Hilfsmitteln zu regeln ist – konkret in § 80 a
SGB XI in Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen. Der
Bundesrat hingegen bezieht sich auf ein zwei Jahre älte-
res Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2000.
Das Bundessozialgericht vertritt in diesem Urteil die
Auffassung, dass die Leistungspflicht der Krankenversi-
cherung dort ende, wo die Vorhaltepflicht des Pflegehei-
mes einsetze.
Daneben soll laut Entwurf die Bundesregierung in § 84
SGB XI durch eine Ergänzung ermächtigt werden, zu ent-
scheiden, welche Hilfsmittel bei Bemessung der Pflege-
sätze zu berücksichtigen wären, damit sie als Anlagegüter
gelten und unter die Investitionspflichten der Länder nach
§ 9 SGB XI fallen würden.
Die Ergänzungen, die der Bundesratsentwurf zu den
§§ 40, 75, 80 SGB XI macht, sind aus fachlicher Sicht
nicht zu beanstanden. Jedoch sind sie bei sachgerechter
Anwendung geltenden Rechts nicht erforderlich. Be-
schrieben werden im hier zu diskutierenden Entwurf le-
diglich konkrete Handlungsanweisungen geltenden
Rechts.
In der stationären Pflege gibt es keinen Individualan-
spruch auf Leistungspflicht. Hier ist die Selbstverwal-
tung gefragt. Sicherlich darf es für Patienten und Patien-
tinnen nicht von Nachteil sein, wenn Kranken- und
Pflegekasse die Abgrenzungen vornehmen. Eine sofor-
tige Regelung seitens des Gesetzgebers verlangt die Pra-
xis aus meiner Sicht nicht. Die bestehenden Gesetze lie-
fern klare und eindeutige Regelungen. Es kann
festgehalten werden, dass manche Kassen den Gesetzge-
ber auf nicht beabsichtigte Weise interpretieren. Sollte
die Selbstverwaltung die ihr vom Gesetzgeber zugestan-
dene Flexibilität nicht im Sinne der Pflegebedürftigen
nutzen, sollte der Gesetzgeber dem entgegenwirken.
Ich möchte auch dazusagen, welches Vorgehen ver-
nünftig wäre: Anstatt dass Detailfragen auf die Tagesord-
nung gesetzt werden – wie sie im uns heute vorliegenden
Bundesratsentwurf vorgeschlagen werden –, müssten ge-
eignete Maßnahmen in einen Gesamtzusammenhang der
Schnittstellenfrage zwischen Pflege- und Krankenkasse
gebracht werden. Dieser Gesamtzusammenhang sollte
auch die Bereiche medizinische Behandlungspflege, ge-
riatrische Rehabilitation sowie Pflegeüberleitung und
Case-Management einbeziehen. Folgt man also der Auf-
fassung, dass Krankenkassen trotz eindeutiger Rechts-
lage konkrete Handlungsanweisungen benötigen – also
nicht nur bei der Hilfsmittelversorgung –, so sollten sie
Teil einer Lösung der gesamten leistungsrechtlichen
Schnittstellenfrage zwischen Kranken- und Pflegeversi-
cherung sein, damit eine Doppelbefassung der Gesetzge-
bungsorgane vermieden wird.
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Ich habe das bei der ersten Lesung auch schon gesagt:
ir fordern die Kostenträger dazu auf, sich verbindlich
nd eindeutig an die gesetzlichen Vorgaben bei der Auf-
aben- und Finanzierungsverteilung zwischen Pflege-
nd Krankenkasse zu halten. Es kann uns nicht daran ge-
egen sein, wenn Abgrenzungstaktierereien auf dem Rü-
ken der Pflegebedürftigen ausgeübt werden.
Das HSG hat uns auch in der öffentliche Anhörung
m 7. Mai 2003 beschäftigt. Dabei wurde Folgendes
eutlich: Der gesetzgeberische Handlungsbedarf in Be-
ug auf den Bundesratsentwurf wird von den anwesen-
en Verbänden und Einrichtungen unterschiedlich beur-
eilt. Ich möchte dazu einige Meinungen, die während
ieser Anhörung geäußert wurden, zusammenfassend
nführen: Tenor der Krankenkassen – Spitzenverband
nd AOK – war: Der neue Abgrenzungskatalog der
elbstverwaltungspartner vom März 2003 schaffe die
chwierigkeiten zwischen Kranken- und Pflegekassen
us der Welt. Ergänzungen und Änderungen, wie sie der
undesratsentwurf vorsieht, würden nicht helfen. Man
önne sowohl auf der Basis eines Gesetzes als auch auf
er Basis des vorliegenden Entwurfes arbeiten.
Vonseiten der Wohlfahrtsverbände findet man den
esetzentwurf des Bundesrates zwar tendenziell nütz-
ich und kritisiert die Bewilligungspraxis am Beispiel
on Rollstühlen. Gleichwohl müsse eine Einschränkung
emacht werden: Da es stets eine Einzelfallprüfung
ebe, könne kein Gesetzentwurf den Interpretations-
pielraum eines Sachbearbeiters ganz aushebeln.
Seitens der privaten Krankenversicherer zeigte sich
ine große Sympathie für ein Tätigwerden der Bundesre-
ierung, damit „in irgendeiner Form“ etwas Verbindli-
hes in die Welt gesetzt werde. Ich denke, wir können es
icht verantworten, „in irgendeiner Form“ tätig zu wer-
en. Pflegebedürftige können zu Recht erwarten, dass
ie bei gesundheitspolitischen Belangen konsistent be-
andelt werden.
Man kann nach der Anhörung zum HSG bilanzieren,
ass die Aussagen der gehörten Vertreter nicht den
chluss zulassen, das HSG wäre in besonderer Weise ge-
ignet, die Schnittstellenfrage zwischen Pflege- und
rankenkasse zu behandeln. Auch die Pflegebedürftigen
rauchen keine isolierte Herangehensweise mit kleins-
em Lösungsansatz zu dieser Schnittstellenfrage. Pflege-
edürftigen müssen Leistungen vollständig zur Verfü-
ung stehen.
Wir haben in der Koalitionsvereinbarung angekün-
igt, uns in der laufenden Legislaturperiode der Schnitt-
telle zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und
flegeversicherung nochmals zu widmen. Es wird dann
uch darauf ankommen, die Kostenträger in die Pflicht
u nehmen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die
ie per Gesetz haben.
Matthias Sehling (CDU/CSU): Heute beraten wir in
weiter und dritter Lesung den Gesetzentwurf zum
ilfsmittelsicherungsgesetz, den der Bundesrat vorge-
egt hat.
5442 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
(A) )
(B) )
Dieses Hilfsmittelsicherungsgesetz soll den entwürdi-
genden Abgrenzungsstreitigkeiten ein Ende bereiten, die
seit Jahren zwischen den gesetzlichen Krankenkassen ei-
nerseits und den andererseits betroffenen Pflegebedürfti-
gen und Pflegeheimen um Verschreibungsmöglichkeit
und Kostentragung von Hilfsmitteln stattfinden.
In der Anhörung vom 7. Mai haben fast alle anwesen-
den Institutionen und Sachverständigen zum Ausdruck
gebracht, dass sie dringenden Handlungsbedarf sehen.
Die einzigen Gegner eines solchen Gesetzes sind die
Krankenkassen, die immer wieder aufgrund der unzurei-
chenden Gesetzeslage unberechtigte Vorteile bei der
Kostentragung gezogen haben. Dass die Regierungskoa-
lition ein solches Gesetz ablehnt, ist jedoch unverständ-
lich. Vielleicht liegt es daran, dass der zu beratende
Gesetzentwurf eine Initiative der bayerischen Sozialmi-
nisterin Christa Stewens ist. Vielleicht sollten Sie aber
nach dem Wahlausgang vom letzten Sonntag erkennen,
dass in Bayern doch recht gute Politik gemacht wird und
dies auch von der Bevölkerung offensichtlich so gesehen
wird.
Es geht darum, Klarheit und Rechtssicherheit bei der
Verordnung und Finanzierung von Hilfsmitteln zu errei-
chen: für die Pflegebedürftigen ebenso wie für die ver-
schreibenden Ärzte, für die Krankenkassen, für die Pfle-
gekassen und für die Pflegeheimträger.
Das Gesetz will zwei große Fallgruppen zu Streitfra-
gen über Hilfsmittel regeln, erstens im Falle der ambu-
lanten Pflege die Frage der Zuständigkeit zwischen
Krankenkasse und Pflegekasse, zweitens im Falle der
stationären Pflege die Frage der Zuständigkeit für Hilfs-
mittel zwischen den Krankenkassen einerseits und den
Pflegeheimen andererseits.
Die Bundesregierung hat in ihrer damaligen Gegen-
äußerung im Bundesratsverfahren nichts Besseres ge-
wusst, als sämtliche Regelungsvorschläge für nicht er-
forderlich zu erklären.
Ich frage Sie von der Bundesregierung und Sie von
den Koalitionsfraktionen: Warum wehren Sie sich denn
gegen eine eindeutige Klarstellung im Gesetz, nachdem
die Streitigkeiten vor Jahr und Tag einen Riesenverwal-
tungsaufwand der Beteiligten und Prozesse bis hin zum
Bundessozialgericht ausgelöst haben? Darf ich in diesem
Zusammenhang einmal mehr ein offenbar unbedeuten-
des Dokument, weil sich ohnehin niemand von Ihrer
Seite daran hält oder auch nur erinnert, nämlich Ihre
Koalitionsvereinbarung zitieren? Darin heißt es in voll-
mundiger Ankündigung: „Wir stimmen die Leistungen
der Kranken- und der Pflegeversicherung … besser auf-
einander ab“. Das ist jetzt gerade ein Jahr her und doch
wollen sie davon auch in diesem Punkt – nur weil die
Initiative vom Bundesrat ausgeht – jetzt nichts mehr wis-
sen. Stattdessen trösten Sie die betroffenen Pflegebe-
dürftigen mit einer ungewissen und zeitlich nicht greif-
baren Ankündigung einer zukünftigen
Gesetzesinitiative.
Der Bundesrat schlägt also für den Bereich der ambu-
lanten Pflege vor, dass solche Hilfsmittel von der Kran-
kenversicherung zu leisten sind, die sowohl der Kran-
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enbehandlung oder dem Ausgleich einer Behinderung
ls auch und zugleich der Erleichterung der Pflege die-
en. Der unwürdige Streit muss ein Ende haben darüber,
er den Rollstuhl zu zahlen hat, der sowohl zu Spazier-
ahrten als auch zum Transport vom Bett ins Bad benutzt
ird.
Die Koalitionsparteien machen es sich in den Aus-
chussberatungen genauso einfach wie die Bundesregie-
ung. Sie halten die Regelung für überflüssig, weil im
esetz eine Subsidiaritätsklausel enthalten sei, die die
orrangige Leistungspflicht der Krankenversicherung
hnehin anordne. Wenn dies so klar wäre, warum haben
ann die Krankenkassen damit angefangen, ihre Leis-
ngspflicht im Einzelfall und damit meist auf dem
ücken der Versicherten umständlich und lang andau-
rnd prüfen zu wollen?
Das Hilfsmittelsicherungsgesetz soll nach unseren
orstellungen von CDU und CSU ein zweites großes
roblemfeld endgültig klären: Es geht um die Versor-
ung mit Hilfsmitteln im Pflegeheim: Welche Hilfsmit-
el hat das Pflegeheim als Grundausstattung vorzuhalten
nd welche Hilfsmittel kann und muss der Heimbewoh-
er/die Heimbewohnerin von der Krankenversicherung
eanspruchen?
Das Pflegeheim kann zwar einige Rollstühle vorhal-
en, jedoch nicht auf die individuellen Bedürfnisse ein-
ehen. Eine 60 Kilogramm schwere Frau braucht einen
nderen Rollstuhl als ein 100 Kilogramm schwerer
ann, der einen individuell angefertigten Rollstuhl be-
ötigt. Lehnt die Krankenkasse die Bezahlung des Roll-
tuhls ab, wäre es zuviel erwartet, dass deshalb das Pfle-
eheim – quasi von sich aus – die Kosten übernimmt.
In der Anhörung hat uns zum Beispiel der Sachver-
tändige der Arbeiterwohlfahrt aus der Praxis berichtet:
ft wird in einem solchen Streitfall das Gericht angeru-
en. Schon bis zur Eröffnung des Rechtsstreits vergehen
onate, bis zu seinem Abschluss manchmal sogar Jahre.
esonders sozial schwächer gestellte Patienten wollen
äufig nicht das Risiko eines Prozessverlustes eingehen,
nterlassen den Gang zum Gericht und verzichten auf
hre Ansprüche.
Ich frage die Kolleginnen und Kollegen von Rot-
rün: Warum wollen Sie gerade diesem Personenkreis
icht – durch die ausdrückliche gesetzliche Regelung –
nter die Arme greifen?
Für den Bereich des Pflegeheims lautet die Grundidee
es Hilfsmittelsicherungsgesetzes im Übrigen wie folgt:
ofern die Hilfsmittel zu einer genau definierten und teil-
eise auch pflegesatzfähigen Grundausstattung des Pfle-
eheims gehören, muss das Hilfsmittel vom Pflegeheim
orgehalten werden. Gehört das benötigte Hilfsmittel
icht zur Grundausstattung, ist die Krankenversicherung
es Heimbewohners/der Heimbewohnerin zuständig. So
infach könnte das sein.
Die Koalitionsparteien haben sich im Ausschuss be-
uemerweise die Auffassung der Bundesregierung aus
hrer Gegenäußerung zu eigen gemacht: Rot-Grün zog
ich auf den Ohne-mich-Standpunkt zurück: die vorge-
chlagene Regelung gelte nach der Rechtsprechung des
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5443
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(B) )
Bundessozialgerichts ohnehin, eine Gesetzesregelung
sei hier ebenso überflüssig.
In Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden
Mehrheit der Sachverständigen tritt die CDU/CSU aber
auch hier für eine ausdrückliche gesetzliche Regelung
ein, damit unnötige Rechtsstreite vermieden werden.
Eine gesetzliche Regelung ist auch nicht überflüssig
geworden etwa durch den neuesten Abgrenzungskatalog
vom 14. März dieses Jahres, den die Spitzenverbände
der Krankenkassen zehn Tage vor unserer Anhörung aus
dem Hut gezaubert haben.
Diesem Abgrenzungskatalog fehlt es naturgemäß an
der rechtlichen Verbindlichkeit, sodass neuerliche
Rechtsstreitigkeiten nicht auszuschließen sind. Abgese-
hen davon ist dies nicht der erste Abgrenzungskatalog.
Solche Abgrenzungskataloge gab es schon des Öfteren,
die dann scheibchenweise den BSG-Urteilen folgend
Rechte der Versicherten wieder zugestehen mussten.
Und schauen Sie sich den „neuen“ Abgrenzungskatalog
doch an, fast überall sind Doppelkreuze, das heißt, er
bringt erneut Doppeldeutigkeit, weitere Doppelzustän-
digkeiten und weitere Einzelfallentscheidungen. Eine
Vielzahl von Sozialprozessen ist damit vorprogram-
miert.
Der Bundesrat sieht im Hilfsmittelsicherungsgesetz
im Übrigen auch die effektive Durchsetzung der Be-
schaffung der Grundausstattung der Pflegeheime mit
Hilfsmitteln durch die Pflegeheime vor. So sollen die auf
Landesebene abzuschließenden Rahmenverträge künf-
tig eigene verbindliche Inhalte über die Grundausstat-
tung der Pflegeheime mit Hilfsmitteln enthalten.
Unverständlich bleibt auch hier die Ablehnung dieses
weiteren Vorschlags durch Rot-Grün und die Bundesre-
gierung unter Hinweis auf die ohnehin existierende
höchstrichterliche Rechtsprechung. In der Praxis wird in
diese Rahmenverträge auf Landesebene erfahrungsge-
mäß nur das hineingeschrieben und hat nur das vor
Schiedsämtern und oft auch vor Gerichten dauerhaften
Bestand, was ausdrücklich im Gesetz vorgesehen ist.
Darum sollte man sich schon der Mühe unterziehen, die-
sen Rahmenvertragsinhalt zur Grundausstattung der
Pflegeheime mit Hilfsmitteln ausdrücklich und ver-
pflichtend in das SGB XI aufzunehmen.
Das Hilfsmittelsicherungsgesetz ermächtigt des Wei-
teren die Bundesregierung durch Verordnung festzustel-
len, welche Hilfsmittel, die zur Grundausstattung eines
Pflegeheimes gehören, pflegesatzfähig sind. Damit müs-
sen nicht allein die Pflegeheime die Hilfsmittel der
Grundausstattung bezahlen. Indirekt leistet so auch die
Pflegeversicherung ihren Anteil zur Finanzierung der
Grundausstattung. Wenn schon heute eine Hilfsmittel-
Pflegesatz-Verordnung erlassen worden wäre, würde
schon heute die Grundausstattung der Pflegeheime mit
Hilfsmitteln besser ausschauen und wäre schon heute für
ein Stück „Mehr Qualität im Pflegeheim“ gesorgt. Ich
frage Rot-Grün und die Bundesregierung: Warum sper-
ren Sie sich gegen Verordnungsermächtigung und Ver-
ordnungsmöglichkeit und gegen mehr Qualität im Pfle-
geheim jetzt?
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Die meisten Sachverständigen jedenfalls waren sich
n der Anhörung mit der Union einig: Insgesamt stellt
ieses Hilfsmittelsicherungsgesetz eine Sammlung äu-
erst hilfreicher praktischer Verbesserungen des Pflege-
ersicherungsgesetzes dar. Deshalb unterstützt die CDU/
SU-Fraktion diesen Gesetzentwurf.
Verehrte Kollegen von Rot-Grün, schade, dass Sie
ich im Ausschuss nicht zu einer sofort wirksamen Ent-
astung der Pflegebedürftigen entschließen konnten,
chade, dass Sie im Ausschuss als Zeitpunkt für die Vor-
age eines eigenen Gesetzentwurfs nur den Sankt-Nim-
erleins-Tag genannt haben, schade, dass auch hier wie-
er der Spruch zu Ihrem Koalitionsvertrag gilt:
ersprochen – gebrochen.
Petra Selg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorlie-
ende Gesetzentwurf des Bundesrats sieht vor, die Ver-
orgung Pflegebedürftiger mit Hilfsmitteln gesetzlich
eu zu bestimmen. Ziel ist es, Auseinandersetzungen
wischen Kassen und Leistungserbringern über die
ilfsmittelversorgung in Pflegeheimen zu beenden. Des-
alb soll neu geregelt werden, welche Hilfsmittel das
flegeheim vorzuhalten hat und welche Hilfsmittel ein
eimbewohner von der Krankenversicherung beanspru-
hen kann.
Die Frage ist nun, ob die vorgesehene Neuregelung das
roblem tatsächlich löst. Ich glaube das nicht. Zwar teile
h die auch im Gesetzentwurf vertretene Auffassung,
ass den betroffenen Akteuren im Gesundheitswesen ein
lares Verständnis für die bestehenden Regelungen fehlt.
eshalb kommt es oft zu Zuständigkeitsstreitigkeiten.
as belastet das Heimpersonal, die Heimbewohner und
or allem unsere Sozialgerichte. Ich habe aber große
weifel, dass dieses Gesetz diese Missstände beheben
ürde.
Die Expertenanhörung im Ausschuss hat klar gezeigt,
ass die gegenwärtige Rechtslage vor dem Hintergrund
er Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eindeutig
st. Das sehen nicht nur die Kassenvertreter so, sondern
uch zahlreiche Vertreter der Leistungserbinger. Deshalb
rauchen wir kein Gesetz, das die bestehende Rechtslage
onkretisiert.
Das Problem ist doch ein anderes: Einige Sozialversi-
herungsträger halten sich leider nicht immer an die ge-
etzlichen Vorgaben. Das betrifft sicher nicht alle, aber
inige schwarze Schafe gibt es eben leider doch. Das be-
ommen wir nicht durch neue Regelungen in den Griff.
a hilft nur eine konsequentere Aufsicht, um die Kassen
u zwingen, sich an bestehendes Recht zu halten.
Wer in der Anhörung den Ausführungen der Experten
ufmerksam gelauscht hat, der muss außerdem die Be-
ürchtung haben, dass dieses Gesetz die Rechtslage so-
ar komplizierter macht. Die Experten haben deutliche
weifel daran geäußert, dass die vorgesehenen Regelun-
en zu den Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen für
ie Akteure handhabbar sind. Unter Umständen nehmen
ürokratischer Aufwand und Unübersichtlichkeit sogar
u. Insbesondere ist fraglich, ob die Ärzte bei den dann
u erwartenden Einzelverträgen für jedes Heim den
5444 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
(A) )
(B) )
Überblick behalten können, wenn sie Hilfsmittel verord-
nen müssen. Dazu kommt, dass es auch weiterhin Ein-
zelfallprüfungen und damit Interpretationsspielräume
geben würde, auch wenn in der Gesetzesbegründung et-
was anderes suggeriert wird. Also wird es auch weiter-
hin Meinungsunterschiede geben. Da würde dieses Ge-
setz gegenüber der heutigen Situation nichts verbessern.
Damit ist der Nutzen dieses Gesetzes mehr als ungewiss.
Dazu kommt, dass wir auch in der Pflegeversicherung
vor umfassenden Reformen stehen. Dann wird es unter
anderem darum gehen, die Schnittstellenprobleme zwi-
schen Kranken- und Pflegeversicherung umfassend zu
regeln. Deshalb wäre es kontraproduktiv, jetzt eine De-
tailregelung zu verabschieden. Wir wissen ja gar nicht,
ob diese Detailregelung im Rahmen der angestrebten
Veränderungen überhaupt Bestand haben würde. Des-
halb plädiere ich für eine Reform aus einem Guss. Der
vorliegende Gesetzentwurf ist folglich nicht nur inhalt-
lich problematisch, er kommt auch zum falschen Zeit-
punkt. Jetzt etwas zu regeln, was in einigen Monaten
schon wieder obsolet sein könnte, das schafft nur Büro-
kratie und Verwirrung bei denen, die das Recht anwen-
den müssen.
Fassen wir also zusammen: Wir brauchen keine Klar-
stellung des bestehenden Rechts, da es bereits heute ein-
deutig ist. Im Übrigen ist sogar zu befürchten, dass die-
ses Gesetz die bestehende Rechtslage komplizierter
macht. Außerdem beendet dieses Gesetz keineswegs die
Streitigkeiten zwischen Kassen und Leistungserbringern.
Dazu bedarf es eines konsequenten Durchgreifens sei-
tens der Aufsichtsbehörden, damit geltendes Recht ein-
gehalten wird. Und zu guter Letzt stehen wir vor einer
umfassenden Reform der Pflegeversicherung, sodass
schon aus diesem Grund eine wie auch immer geartete
Detailregelung nicht sinnvoll ist. Das sind sehr viele sehr
gute Gründe, die gegen diesen Gesetzentwurf sprechen.
Deshalb werde ich ihm nicht zustimmen.
Daniel Bahr (Münster)(FDP): Der Bundesrat hat
die Initiative zum Hilfsmittelsicherungsgesetz mit dem
Ziel ergriffen, gesetzlich und vertraglich eindeutig zu re-
geln, in welchen Fällen Kranken- oder Pflegekassen die
Kosten für Hilfsmittel übernehmen müssen und welche
Hilfsmittel grundsätzlich von Pflegeheimen vorzuhalten
sind. Nach dem HSG soll dies nicht mehr wie bisher von
den Umständen des Einzelfalls abhängen, sondern ist
rechtlich eindeutig geregelt. Damit werden die Streitig-
keiten der Vergangenheit überflüssig. Unter anderem
stellt das Hilfsmittelsicherungsgesetz klar, dass Hilfsmit-
tel, die zur Krankenbehandlung dienen, auch von den
Krankenkassen erstattet werden müssen, wenn der Arzt
dies für medizinisch erforderlich hält und so verordnet.
Das gilt unabhängig davon, wie alt der Pflegebedürftige
ist und ob er zu Hause oder im Heim lebt. Damit ist das
für den Patienten unwürdige Gezerre um die Finanzie-
rungszuständigkeit in einem bedeutenden Bereich beige-
legt.
Die FDP begrüßt und unterstützt den vorliegenden
Gesetzentwurf des Bundesrates, der eine Konkretisie-
rung der Finanzierungsfragen von Hilfsmitteln im Sozial-
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esetzbuch vorsieht. Es ist eine Verbesserung, dass der
ilfsbedürftige Mensch – neben seinen körperlichen Be-
inträchtigungen – nicht noch zusätzlich unter den Strei-
igkeiten der Kostenträger zu leiden hat, wer denn nun
ie benötigten Hilfsmittel finanziert. In der Anhörung
um HSG, die der Ausschuss am 7. Mai 2003 durchge-
ührt hat, sprachen sich mit Ausnahme der Vertreter der
esetzlichen Krankenversicherungen alle Sachverständi-
en für eine gesetzliche Klarstellung aus.
Meine Damen und Herren von der Koalition! Diese
timmen aus der Praxis sollten sie zur Zustimmung er-
untern! Der Nachbesserungsbedarf an der aktuellen
esetzgebung wurde von den Sachverständigen ein-
rucksvoll belegt und damit die Auffassung der Bundes-
egierung, dass die Gesetzeslage eindeutig sei, wider-
egt. Es muss eine bundesweit einheitliche und
erbindliche Regelung geschaffen werden, die zurzeit
ur in einer gesetzlichen Klarstellung gesehen werden
ann. Es kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, für
ede einzelne Hilfsmittelgruppe die Kostenzuständigkeit
or dem Bundessozialgericht klären zu lassen, nur weil
er von den Spitzenverbänden der Krankenkassen verab-
chiedete Abgrenzungskatalog anscheinend nicht genü-
end Rechtssicherheit bei der Kostenbewilligung für
ilfsmittel im Pflegeheim gibt. Initiativen, wie der Vor-
chlag aus Bayern für ein Hilfsmittelsicherungsgesetz,
ie für mehr Klarheit sorgen und die Versorgung der Pa-
ienten in Pflegeheimen mit medizinisch notwendigen
ilfsmitteln sicherstellen, werden von der FDP unter-
tützt.
Die Fraktion der FDP stimmt dem vorgelegten Ge-
etzentwurf zu, weil er zu einer Verbesserung der derzei-
igen Situation führt.
Meine Damen und Herren, ich möchte aus der Rede
er Kollegin Petra Selg von den Grünen anlässlich der
rsten Lesung zum HSG zitieren:
„Wir werden auch das Verhältnis zwischen der Kran-
en- und der Pflegeversicherung auf den Prüfstand stel-
en, um bestehende Abgrenzungsprobleme der Pflege-
ersicherung und der Krankenversicherung endlich
ufzuheben und so die Verschiebebahnhöfe zu beseiti-
en. Unser Ansatz ist damit breiter und umfassender als
er in diesem Gesetzentwurf, denn er betrifft natürlich
nd selbstverständlich auch die Frage der Hilfs- und
eilmittelversorgung in den Heimen. Ich kann Ihnen sa-
en: Wir machen unsere Hausaufgaben. Ich denke, wir
ind sogar Meisterschüler.“
So weit das Zitat.
Frau Kollegin Selg, Ihr Ansatz war so breit und um-
assend, dass in dem morgen zur Abstimmung stehenden
MG keinerlei Änderungen zu den entsprechenden Pas-
agen des SGB XI zu finden sind. Ihre Hausaufgaben ha-
en Sie nicht gemacht! Für die FDP ist das HSG – das
ill ich hier klar sagen – nur ein erster Schritt – also eine
bergangslösung – in die richtige Richtung, hin zu einer
mfassenden Lösung der gesamten Schnittstellenfrage
wischen Kranken- und Pflegeversicherung.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5445
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Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht: Ergän-
zung der Fahrerlaubnisverordnung
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Heidi Wright (SPD): Wir reden und entscheiden
heute über die Ergänzung der Fahrerlaubnisverordnung.
Ich freue mich über unsere Übereinkunft, die Fahrer-
laubnisverordnung dahin gehend zu ändern, dass zum ei-
nen zukünftig für das Führen von motorisierten Kran-
kenfahrstühlen kein Mindestalter mehr vorgeschrieben
sein wird. Zum anderen wird die Fahrerlaubnis der
Klasse M, der Mopedführerschein, insofern erweitert
werden, als sie auch zum Führen von dreirädrigen
Leichtkrafträdern berechtigt.
Vor dem jetzt geschaffenen Wegfall des Mindestalters
war es behinderten Kindern, die das 15. Lebensjahr noch
nicht vollendet hatten, grundsätzlich verboten, motori-
sierte Krankenfahrstühle im öffentlichen Verkehr selbst-
ständig zu führen. Wenn auch verschiedene Bundeslän-
der unter bestimmten Voraussetzungen Einzelausnahmen
zuließen, fehlten jedoch konkrete Vorgaben für deren Er-
teilung. Diese unklare Rechtslage stellte eine schwere
Härte für behinderte Kinder und die betroffenen Eltern
dar.
Die neue gesetzliche Regelung sichert im Interesse
der behinderten Kinder eine alters- und entwicklungsent-
sprechende Teilnahme am Straßenverkehr und hebt die
bisherige ohne sachlichen Grund betriebene Ungleichbe-
handlung behinderter und nicht behinderter Kinder auf.
Es ist wichtig, mit einer genauen gesetzlichen Regelung
behinderten Kindern, die zu ihrer Fortbewegung auf ei-
nen Elektrorollstuhl angewiesen sind, die selbstbe-
stimmte, ihrem Alter und ihrer Entwicklung entspre-
chende Teilnahme am Straßenverkehr zu ermöglichen.
Die bislang notwendige Beantragung einer Ausnahme-
genehmigung war eine unnötige und grundlose Er-
schwernis, ja gar eine Diskriminierung.
Auch die Neuregelung der Fahrerlaubnis der Klasse
M dient insbesondere den Interessen Gehbehinderter so-
wie älterer Menschen, die sich im Straßenverkehr unsi-
cher fühlen. Ein leicht motorisiertes Dreirad ist für diese
Personengruppe wesentlich stand- und fahrsicherer als
ein entsprechendes Zweirad und unterstützt sie in ihrem
Wunsch, im öffentlichen Verkehrsraum mobil zu blei-
ben. Bislang verlangte das deutsche Fahrerlaubnisrecht
für das Führen eines dreirädrigen Fahrzeugs grundsätz-
lich einen Führerschein der Klasse B, also einen PKW-
Führerschein. Letzterer war damit auch in jedem Fall für
das Führen eines dreirädrigen Fahrrads mit Hilfsmotor
oder eines dreirädrigen Mopeds mit einer Spitzenge-
schwindigkeit von nicht mehr als 45 km/h erforderlich,
was für die betroffene Personengruppe angesichts we-
sentlich höherer Anforderungen und Kosten des PKW-
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ührerscheinerwerbs in vielen Fällen unzumutbar war.
ur Sicherung der Mobilitätsbedürfnisse dieses Perso-
enkreises ist daher die neue Fahrerlaubnisklasse ge-
chaffen worden. Sie kann von allen genutzt werden,
ommt aber insbesondere älteren und gehbehinderten
enschen zugute, weil sie eine Lücke zwischen dem
ahrerlaubnisfreien, aber relativ langsamen motorisierten
rankenfahrstuhl und dem PKW ausfüllt. Wir erreichen
amit eine klare Verbesserung für behinderte Menschen
nd das ist gut so!
Gero Storjohann (CDU/CSU): Wir diskutieren
eute einen Antrag der Regierungsfraktionen zur Ände-
ung der Fahrerlaubnisverordnung. Vordergründig geht
s hierbei um Erleichterungen für in erster Linie gehbe-
inderte Menschen. Diesen soll ermöglicht werden, zur
berwindung ihrer Gehbeschwerden bestimmte Fahr-
euge ohne das Vorliegen jetzt bestehender gesetzlicher
egelungen benutzen zu dürfen. Doch worum geht es im
inzelnen?
Zielsetzung des Gesetzesantrages in Ziffer l ist es, die
ahrerlaubnis in der Weise zu ändern, dass künftig für
as Führen von motorisierten Krankenfahrstühlen mit ei-
er bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht
ehr als 6 Stundenkilometer – also Elektrorollstühle –
ein Mindestalter mehr vorgeschrieben wird. Diesem
nliegen geben wir von der CDU/CSU-Fraktion in vol-
em Umfang unsere Zustimmung.
Darüber hinaus aber, so Ziffer 2 des Antrages, möch-
en Sie die Fahrerlaubnisklasse für den Mopedführer-
chein erweitern. Bisher ist es ja so, dass von der Klas-
e M nur zweirädrige Leichtkrafträder erfasst werden.
etzt wollen die Antragsteller die Bundesregierung prü-
en lassen, ob die Fahrerlaubnisklasse M dahin gehend
rweitert werden kann, dass sie auch zum Führen von
reirädrigen Kraftfahrzeugen mit einer Höchstgeschwin-
igkeit von 45 Stundenkilometern berechtigt. Als wür-
en Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
egierungsfraktionen, ahnen, dass Sie sich mit dieser
orderung auf sehr dünnem Eis bewegen, stellen Sie
uch sofort einen Alternativantrag. Sollte Ihrem Wunsch
icht entsprochen werden, so wollen Sie für besagte
reirädrige Leichtkrafträder eine ganz neue Fahrerlaub-
isklasse geschaffen wissen. Diese soll, wenn es nach
hren Vorstellungen geht, hinsichtlich der Ausbildung
nd Prüfungsanforderungen unter denen der Klasse B
iegen.
Warum das alles? Wenn ich mir in Ihrem Gesetzesan-
rag die Begründung zu Ziffer 2 durchlese, so erkenne
ch auf den ersten Blick ein durchaus erstrebenswertes
iel. Dort heißt es wörtlich – ich zitiere: „Dreirädrige
leinkrafträder sind im Straßenverkehr relativ selten an-
utreffen. Sie entsprechen im Wesentlichen den Interes-
en Gehbehinderter und älterer Menschen, die sich im
traßenverkehr auf Grund von Gleichgewichtsproble-
en eher unsicher fühlen. Für diese Personengruppe ist
in leichtmotorisiertes Dreirad stand- und fahrsicherer
ls ein entsprechendes Zweirad und unterstützt sie dabei,
m Straßenverkehr mobil zu bleiben“. Weiter heißt es
ann: „Für die Mobilitätserfordernisse insbesondere
5446 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
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dieses Personenkreises soll daher eine neue Fahrerlaub-
nisklasse geschaffen werden“.
Beim näheren Hinsehen kommen mir dann aber doch
erhebliche Bedenken. Behinderten Personen können
doch schon heute im Wege von Einzelausnahmen Er-
leichterungen beim Erwerb der Fahrerlaubnis gewährt
werden. Keine Behörde würde doch bei Vorliegen ent-
sprechender Voraussetzungen einem behinderten Mit-
bürger diese Ausnahmegenehmigung verweigern. Aus
fachlicher Sicht besteht also überhaupt keine Notwen-
digkeit für eine Änderung der jetzt bestehenden Rechts-
lage. Bereits im Ausschuss haben wir von der CDU/
CSU-Fraktion den von Ihnen angestrebten Prüfungsauf-
trag an die Bundesregierung deswegen bereits abgelehnt.
An unserer Haltung in dieser Frage hat sich bis heute
auch nichts geändert.
Das angesprochene Problem kann – wie bisher auch –
über Einzelerlaubnisse gelöst werden. Offensichtlich be-
zwecken Sie mit Ihrem Gesetzesantrag aber noch etwas
ganz anderes. Ich werde den Eindruck nicht los, dass
hier auf Schleichwegen versucht werden soll, so genann-
ten „Fun-Fahrzeugen“, also „Spaßmobilen“, das Tor für
einfachere Fahrerlaubnisklassen zu öffnen.
Auch Ihnen dürfte ja durchaus bekannt sein, dass es
derzeit einen großen Trend zur Entwicklung von solchen
Exotenfahrzeugen gibt. Skateboards mit Motorantrieb,
kleine dreirädrige Fahrzeuge mit Benzinmotorantrieb so-
wie neuartige Luftkissenfahrzeuge gehören dazu. Diese
Fahrzeuge würden der von Ihnen angestrebten neuen
Fahrerlaubnisklasse dann ebenfalls unterfallen. Ich kann
nur davor warnen, die Anforderungen an den Betrieb
solcher Fahrzeuge – wie von Ihnen beabsichtigt – herun-
terzuschrauben. Diese „Spaßmobile“ werden doch in
erster Linie von jungen Leuten verwendet, die wenig Er-
fahrung im Straßenverkehr besitzen. Es besteht die Ge-
fahr, dass die jungen Menschen ganz schnell eine Fahr-
erlaubnis für die „Fun-Fahrzeuge“ erwerben könnten.
Was wäre die Folge? Junge Leute würden sich ver-
stärkt auf öffentlichen Straßen „austoben“ und eine Ge-
fahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen. Der Ver-
kehrssicherheit ist damit sicherlich wenig gedient.
Deswegen ist die Ziffer 2 Ihres Antrages aus Sicht der
CDU/CSU-Fraktion als äußerst problematisch zu bewer-
ten. Da allerdings die behinderten und älteren Menschen
bei diesem Antrag im Vordergrund stehen, wird die
CDU/CSU sich bei der Abstimmung der Stimme enthal-
ten.
Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Der vorliegende Än-
derungsentwurf des Straßenverkehrsgesetzes ist der rich-
tige Weg, den Kommunen die entscheidenden Gestal-
tungsmöglichkeiten bei den Parkgebühren zu geben.
Damit wird nicht nur die kommunale Selbstverwaltung
gestärkt, sondern auch ein Schritt hin zu Bürokratieab-
bau und zur Flexibilisierung der Verwaltung unternom-
men.
Die Änderungen dieser Regelung im Straßenver-
kehrsgesetz waren überfällig. Wir müssen uns im Klaren
sein, dass in vielen Städten und Gemeinden ein zeitlich
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egrenztes Freiparken bereits praktiziert wird. Gerade
ür kleine und mittlere Städte hat diese Möglichkeit für
ie Innenstadtbelebung eine außerordentliche Bedeu-
ung. In vielen Kommunen wird das Angebot an öffentli-
hen Verkehrsmitteln nicht im nötigen Maße angenom-
en. Zahlreiche Einwohner und Besucher nutzen daher
ieber den PKW, um in die Innenstadt zu gelangen. Wür-
en in diesen Fällen grundsätzlich Parkgebühren erho-
en, hätte dies zur Folge, dass die Mehrzahl der Ein-
äufe vor der Stadt auf der grünen Wiese getätigt würde.
ie Gebührenhoheit bei den Gemeinden steht damit
icht zuletzt auch im Interesse des innerstädtischen Ein-
elhandels.
Gleiches gilt für die vorgesehene Möglichkeit zur
inführung von Gebührenintervallen. Das grundsätzli-
he Bemühen, die Innenstädte autofrei zu halten, muss
eute viel differenzierter gehandhabt werden. Die ver-
ehrstechnischen Voraussetzungen sind von Kommune
u Kommune verschieden. Viele Innenstädte werden nur
och durch einen geregelten PKW-Durchgangsverkehr
m Leben gehalten. Weiterhin haben sich zahlreiche Ge-
einden durch bessere Verkehrsführung und bessere
erkehrsinfrastruktur auf das höhere Autoaufkommen
er letzten Jahre eingestellt. Eine gezielte Innenstadtbe-
ebung kann im Wesentlichen nur durch flexiblere Mög-
ichkeiten zum Kurzzeitparken und durch die Verhinde-
ung des flächendeckenden Langzeitparkens erfolgen.
estaffelte Gebührensysteme in Anlehnung an tageszeit-
iche Schwankungen geben den Kommunen die notwen-
ige Handhabe.
Die Regelung stärkt das kommunale Selbstverwal-
ungsrecht und trägt zur Entbürokratisierung bei. Dies
arf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass unsere
ommunen unter einer ständig steigenden Aufgabenlast
eiden und sich in einer schwerwiegenden Finanzkrise
efinden. Ohne eine grundlegende kommunale Finanz-
eform wird es für die Gemeinden immer schwieriger,
hre Selbstverwaltungsrechte wahrzunehmen.
Rot-Grün hat sich einer Reform zur Sicherung der
emeindefinanzen lange verweigert. Das Einsetzen der
emeindefinanzreformkommission wurde verzögert,
hre Arbeitsaufträge waren zu eng und letztlich ist die
ommission gescheitert. Hinzu kommt, dass die Bun-
esregierung bei ihren Reformmodellen mit geschönten
ahlen arbeitet. Die von Rot-Grün erwarteten Einnah-
ezuwächse durch die vorgesehene Gewerbesteuerre-
orm sind nach Berechnungen der kommunalen Spitzen-
erbände um bis zu 1,5 Milliarden Euro zu hoch
ngesetzt. Die Bundesregierung verspricht den Kommu-
en schon seit Jahren millardenschwere Entlastungen,
ehalten wurde noch nichts.
Die Union hat hingegen ein klares kommunales So-
orthilfeprogramm vorgelegt. Eine Rücknahme der Er-
öhung der Gewerbesteuerumlage und die Erhöhung des
emeindeanteils am Aufkommen an der Umsatzsteuer
uf 3 Prozent würden den Kommunen 3,4 Milliarden
uro Sofortentlastung bringen.
Die Überlassung der Parkgebührengestaltung an die
ommunen ist zu begrüßen. Damit wird das kommunale
elbstverwaltungsrecht gestärkt. Die Kommunen kön-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5447
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nen ihre Selbstverwaltung jedoch nur umfassend wahr-
nehmen, wenn sie finanziell auf sicherem Boden stehen.
Dies ist die Bundesregierung unseren Städten und Ge-
meinden bis heute schuldig geblieben.
Peter Hettlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
dem ersten Teil des Antrags der Koalitionsfraktionen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Ergänzung der
Fahrerlaubnisverordnung wird an dieser eine dringend
notwendige und zeitgemäße Korrektur im Hinblick auf
die Benutzung von motorisierten Krankenfahrstühlen
mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von
nicht mehr als 6 km/h vorgenommen.
Bislang war es behinderten Kindern grundsätzlich
verboten, einen derartigen Rollstuhl selbstständig zu
führen, solange sie noch nicht das 15. Lebensjahr vollen-
det hatten. Eine Vielzahl von Sonder- und Ausnahmege-
nehmigungen in einigen Bundesländern führte zu einer
nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit, die die ohnehin
schon schwierigen Lebensumstände von behinderten
Kindern und Jugendlichen und deren Eltern unnötig be-
lasten. Daher ist es konsequent und folgerichtig, die
Fahrerlaubnisverordnung an dieser Stelle entsprechend
zu korrigieren, besser gesagt zu ergänzen.
Dabei gilt es eine Abwägung zwischen einer eventuel-
len Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrsraums
und dem Anspruch auf eine möglichst weitgehende Parti-
zipation junger Behinderter am gesellschaftlichen und
sozialen Leben vorzunehmen. Dabei wird deutlich, dass
das Gefährdungspotenzial als gering und vernachlässig-
bar angesehen werden und keinen Grund darstellen
kann, behinderten Kindern und Jugendlichen die Teil-
nahme am Straßenverkehr weiterhin zu verweigern.
Bündnis 90/Die Grünen unterstützen daher ausdrück-
lich den Antrag der Koalitionsfraktionen, den § 10 Abs. 3
der Fahrerlaubnisverordnung um eine entsprechende
bundesweit geltende Ausnahmegenehmigung zu ergän-
zen, die eine gänzliche Aufhebung der bisherigen Min-
destalterregelung vorsieht. Ich bin mir sicher, dass uns
an dieser Stelle auch die Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und FDP unterstützen werden.
Die Erweiterung der Fahrerlaubnis der Klasse M auf
dreirädrige Leichtkrafträder, die bisher nur zum Führen
von Mopeds, das heißt von zweirädrigen Leichtkraft-
rädern mit einer Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h,
berechtigt, halte ich persönlich ebenfalls für längst über-
fällig und im Sinne eines allseitigen Wunsches nach Bü-
rokratieabbau auch für geboten. Eine mögliche Argu-
mentationslinie gegen die Erweiterung der Klasse M, die
auf ein größeres Gefährdungspotenzial von dreirädrigen
Leichtkrafträdern abzielt, halte ich für wenig stichhaltig.
Wir sollten berücksichtigen, dass der technologische
Fortschritt der letzten Jahre dazu geführt hat, dass heute
gebaute dreirädrige Leichtkrafträder leichter sind als
zum Beispiel ein vor 20 Jahren gebautes Moped und da-
mit auch eine geringere kinetische Energie, das heißt
eine geringere Aufprallenergie, haben. Daher ist ihr Ge-
fährdungspotenzial für den öffentlichen Straßenverkehr
als eher gering anzusehen, wobei der höhere Schutz der
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ahrerin bzw. des Fahrers hingegen als deutlicher Plus-
unkt angesehen werden muss.
Es gibt eine große Anzahl von gehbehinderten und äl-
eren Menschen, aber auch Jugendlichen, denen wir mit
ieser einfach zu erwerbenden und vor allen Dingen
reiswerten Fahrerlaubnis neue Möglichkeiten für die
rfüllung ihrer Mobilitätswünsche ermöglichen können.
er Führerschein B als nächsthöhere Fahrerlaubnisstufe
tellt nach meiner Ansicht für viele Betroffene eine zu
roße und unnötige Hürde dar. Somit könnte es uns mit
ieser unkomplizierten Regelung gelingen, die Lücke
wischen den langsamen fahrerlaubnisfreien Kranken-
ahrstühlen und dem Pkw sinnvoll auszufüllen.
Es sei an dieser Stelle auf die aus bündnisgrüner Sicht
ehr reizvolle und unterstützenswerte Perspektive hinge-
iesen, dass es in diesem Fahrzeugsegment eine Viel-
ahl von umweltfreundlichen Fahrzeugen mit Elektro-,
olar- oder Kombinationsantrieben – Pedal/Solar oder
edal/Elektro – gibt, sodass zum Beispiel Jugendlichen
in Einstieg in eine ökologische, innovative und mo-
erne Fahrzeugtechnologie ermöglicht würde. Außer-
em reizen diese Fahrzeuge aufgrund ihrer Technologie
icht dazu, durch „Frisieren“ ein Höchstmaß an Ge-
chwindigkeit zu erzielen. Auch das wäre als ein weite-
er Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr anzusehen.
Ich wünsche mir zu guter Letzt, dass die Überprüfung
es zweiten Teils unseres Antrages zu einer einfachen
nd unkomplizierten Regelung führen wird, die uns die
chaffung einer neuen Fahrzeugklasse erspart. Wenn wir
s mit dem Bürokratieabbau wirklich ernst meinen, dann
ollten wir uns auch bei der Fahrerlaubnisverordnung
on diesem Gedanken leiten lassen.
Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Im Gegensatz zu
onstigen verkehrspolitischen Entscheidungen scheinen
eine Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsparteien
ei der vorliegenden Initiative endlich einmal Vernunft
u zeigen. Durch die Änderung bezüglich der Aufhe-
ung des Mindestalters für das Führen von motorisierten
rankenfahrstühlen wird nicht nur die Mobilität behin-
erter Kinder erleichtert, sondern auch ihre Diskriminie-
ung beendet. Außerdem fällt eine Rechtsverordnung
eg, die schon längst abgeschafft sein sollte. Abgesehen
on dem sozialen und familienpolitischen Aspekt dieses
ntrags, könnte man schon fast von einer entbürokrati-
ierenden Maßnahme sprechen. Ich wünschte, solche
lugen Einfälle würden Sie öfter haben.
Das Gleiche gilt für die Erweiterung der Fahrerlaub-
is der Klasse M für dreirädrige Leichtkrafträder. Auch
ier wird den Bürgerinnen und Bürgern ein höheres Maß
n Mobilität garantiert. Es kann nicht sein, dass die Nut-
erinnen und Nutzer dreirädriger Leichtkrafträder mit
ehr bürokratischen Hürden und Kosten zu kämpfen ha-
en als Mopedfahrer. Erstere sind überwiegend ältere
enschen mit Behinderungen, die bisher einen Fahr-
eugschein Klasse B vorweisen müssen. Angesichts der
atsache, dass Fahrradfahrer, Inline-Skater oder Skate-
oarder höhere Geschwindigkeiten erreichen, ist diese
erordnung geradezu lachhaft.
5448 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
(A) )
(B) )
Eine sinnvolle Begleitmaßnahme – das gilt übrigens
für alle Führerscheinklassen – wäre die Verbesserung der
Fahrlehrerausbildung sowie eine früher ansetzende Ver-
kehrserziehung.
Zu dem zweiten Teil des heutigen Tagesordnungs-
punktes 12 kann ich die Fraktionen der Regierungskoali-
tion nur auffordern, auch hier von ihrer sonstigen Linie
der bürokratischen Vollerfassung des menschlichen Le-
bens Abstand zu nehmen und die Initiative der Länder zu
unterstützen. Es gilt, eine Regelung abzuschaffen, die
nicht nur in der Praxis eine umständliche Handhabung
der Parkgebühren für die Kommunen zur Folge hat, son-
dern vielmehr wirtschafts- und mittelstandsfeindlich ist.
Durch das Festlegen der Mindestparkgebühr und das
abzurechnende Intervall von einer halben Stunde ist es
den Gemeinden unmöglich, Regelungen wie die so ge-
nannte „Brötchentaste“ einzuführen. Eine solche Rege-
lung wäre aber eben vor dem Hintergrund sinnvoll, dass
Einzelhändler ohnehin einen Überlebenskampf gegen
Einkaufszentren und Warenhäuser führen müssen. Hier
ist es gerade für diese ein entscheidender Nachteil, dass
der Kunde nicht nur schwer einen Parkplatz in der Nähe
des Ladens findet, nein, er muss auch noch für den Kauf
seiner Brötchen Parkgebühren für eine halbe Stunde ent-
richten. Ferner verwaisen unsere Innenstädte in den letz-
ten Jahren ohnehin zusehends und wir sollten eine solch
einfache Möglichkeit, die Konsum- und Wohnbedingun-
gen in Städten zu verbessern, nicht ungenutzt lassen.
Zu guter Letzt habe ich den Eindruck, dass diese Re-
gelung gegen den Grundsatz der Subsidiarität verstößt.
Nur die Kommunen selbst können sinnvoll entscheiden,
wo und in welcher Höhe ab wann Parkgebühren erhoben
werden sollten. Denn nur sie können sich mit ihrem Wis-
sen um die genaue Situation vor Ort den einzelnen Be-
dürfnisse anpassen.
Darum kann ich nur allen Mitgliedern des Hauses
empfehlen, sich nicht gegen die Streichung der disku-
tierten Regelung zu stellen.
Iris Gleicke, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Im Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 15/1093 wird die
Bundesregierung aufgefordert, zum Führen von Elektro-
rollstühlen bis 6 km/h künftig kein Mindestalter mehr
vorzuschreiben sowie zu prüfen, ob mit einer Fahrer-
laubnis der Klasse M – Moped – künftig auch dreiräd-
rige Fahrzeuge bis 45 km/h gefahren werden können
oder ob eine neue Fahrerlaubnisklasse für diese Fahr-
zeuge geschaffen werden soll.
Der erste Punkt zielt auf die Abschaffung des Min-
destalters für das Führen von langsamen Elektrorollstüh-
len im Straßenverkehr, um die Mobilität gehbehinderter
Kinder zu fördern. Hintergrund ist eine entsprechende
Anfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behin-
derte beim BMVBW. Bislang beträgt das Mindestalter
15 Jahre; jedoch werden in der Praxis schon heute sei-
tens der zuständigen Länderbehörden Einzelausnahmen
auf Antrag erteilt. Dies ist natürlich mit Verwaltungsauf-
wand und Kosten für alle Beteiligten verbunden. Wir ha-
ben daher die Frage, ob eine generelle Abschaffung des
Mindestalters für das Führen von langsam fahrenden
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lektrorollstühlen im öffentlichen Straßenverkehr aus
erkehrssicherheitsgründen zu vertreten ist, mit den
ändern im Bund/Länder-Fachausschuss „Fahrerlaub-
iswesen“ diskutiert. Das Ergebnis ist eindeutig und er-
reulich. Es wird nicht mehr für notwendig erachtet, eine
indestaltersvorschrift von 15 Jahren in § 10 FeV für
erartige Fallgestaltungen vorzusehen; § 10 FeV wird
aher von uns entsprechend geändert. Allerdings gibt es
och Detailfragen, insbesondere zur genauen techni-
chen Definition. Die Erfahrungen mit Krankenfahrstüh-
en, die in Wirklichkeit „kleine“ PKW waren, haben ge-
eigt, dass man hier sehr sorgfältig arbeiten muss. Im
rgebnis kann aber dem Entschließungsantrag hierzu
oll und ganz zugestimmt werden.
Der zweite Punkt ist dagegen nicht so leicht. Eine
einfache“ Ausdehnung der Berechtigung der Fahrer-
aubnis der Klasse M – Moped – auf dreirädrige Fahr-
euge bis 45 km/h scheidet aus; denn die Klasse M um-
asst – übrigens schon immer – nur zweirädrige
raftfahrzeuge. Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften
ind also auf zweirädrige Fahrzeuge zugeschnitten, die
in gänzlich anderes Fahrverhalten als drei- bzw. vier-
ädrige Kraftfahrzeuge haben. Den Gehbehinderten, auf
ie der Antrag zielt, wäre mit einer bloßen Ausweitung
er Klasse M also nicht geholfen, da Ausbildung und
rüfung weiterhin auf dem zweirädrigen Fahrzeug der
lasse M erfolgen würden. Auch die Länder, die im
undesrat einer entsprechenden Verordnungsänderung
ustimmen müssten, haben sich bereits gegen eine „ein-
ache“ Ausdehnung der Klasse M auf dreirädrige Fahr-
euge ausgesprochen. Auch eine Einbeziehung unter die
egelungen zu „Krankenfahrstühlen“ scheidet aus, da
iese unter anderem Elektroantrieb brauchen und nicht
chneller als 15 km/h sein dürfen.
Nach derzeitiger Rechtslage ist also grundsätzlich
ine Fahrerlaubnis der Klasse B – PKW – für dreirädrige
eicht-KfZ zu fordern. Dies hat sich für die Zielgruppe
er behinderten Personen in der Praxis bislang auch
icht als problematisch erwiesen; denn ihnen werden
chon heute im Wege von Einzelausnahmen Erleichte-
ungen beim Erwerb der Fahrerlaubnis gewährt bzw. sie
önnen eine „maßgeschneiderte Fahrerlaubnis“ erhalten.
uch Beschwerden von Behinderten sind hier noch nicht
ekannt geworden. Es geht also insbesondere um die In-
eressen der Hersteller und darum, durch möglichst nied-
ige Fahrerlaubnisanforderungen ihre Absatzchancen zu
rhöhen. Da die Fahrzeuge, die hierzu umgebaut wer-
en, vor allem aus Italien und Frankreich stammen, wird
llerdings die deutsche Automobilindustrie, die spezielle
ahrzeugumrüstungen für Behinderte anbietet, zumin-
est nicht gefördert.
Ich bin auch deshalb so kritisch, weil es mittlerweile
inen Trend zur Entwicklung von „Exotenfahrzeugen“
nd „Spaßmobilen“ gibt. Auf viele diese Fahrzeuge
passt“ keine der derzeitigen Fahrerlaubnisklassen.
uch EG-Vorgaben fehlen, sodass sich künftig die Frage
tellt, ob wir für jedes auf dem Markt angebotene Fahr-
eug, das eine Straßenzulassung besitzt, eine neue Fahr-
rlaubnisklasse entwickeln und eine weitere Zersplitte-
ung der Klassen fördern wollen. Hier ist der Weg über
ine Einzelfallbetrachtung gegebenenfalls mit entspre-
henden Ausnahmen bei Härtefällen meines Erachtens
ft der bessere.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5449
(A) )
(B) )
Im Ergebnis schlagen wir eine Einbeziehung von
dreirädrigen Leicht-Kfz in eine noch zu schaffende, neue
Fahrerlaubnisklasse für vierrädrige Leicht-Kfz – so ge-
nannte Micro-Cars, vor. Diese neue Klasse soll bzw.
muss geschaffen werden, weil die Europäische Kommis-
sion zu vierrädrigen Leicht-Kfz ein Vertragsverletzungs-
verfahren eingeleitet hat. Im Kern geht es dabei um die
Frage, ob das Erfordernis der Fahrerlaubnis der Klasse B
– PKW – zum Führen von vierrädrigen Leichtkraftfahr-
zeugen ein Handelshemmnis darstellt. Wenn man hier
Lösungen gegebenenfalls im Kompromisswege sucht,
muss eines immer beachtet werden: die Verkehrssicher-
heit. Die Arbeiten für diese neue Klasse haben bereits
begonnen. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern
von TÜV, DEKRA, Fahrlehrerverband und BMVBW,
hat die Arbeiten aufgenommen, um angemessene Prü-
fungs- und Ausbildungsanforderungen für eine neue
Fahrerlaubnisklasse für drei- und vierrädrige Kraftfahr-
zeuge bis 45 km/h möglichst bald zu schaffen.
Lassen Sie mich damit abschließend zu Buchstabe b
dieses Tagesordnungspunktes kommen: der ersten Bera-
tung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes.
Der Gesetzentwurf des Bundesrates auf Bundestags-
drucksache 15/1496 sieht im Wesentlichen eine Ände-
rung des § 6 a Abs. 6 des Straßenverkehrsgesetzes vor.
Derzeit ist hier noch eine Mindestparkgebühr von
0,05 Euro je angefangene halbe Stunde für Parkschein-
automaten oder Parkuhren festgelegt. Künftig soll die
Erhebung der Parkgebühren in die freie Disposition des
Gebührengläubigers gestellt werden. Dies sind weit
überwiegend die Kommunen. Damit wäre künftig auch
die Zulassung eines kostenfreien Parkens in einem vor
Ort festzulegenden Zeitabschnitt möglich. Die Gebühren
könnten pro Zeitintervall schrittweise unterschiedlich
gestaltet werden. Es könnten auch kürzere Taktzeiten als
eine halbe Stunde vorgegeben werden und die Gebühren
könnten je nach Parkdruck gestaffelt werden.
Sie können die Bewertung des Gesetzentwurfes durch
die Bundesregierung ebenfalls der Bundestagsdrucksa-
che 15/1496 entnehmen. Dieser grundsätzlich positiven
Stellungnahme schließe ich mich ausdrücklich an. Ange-
sichts der von der CDU/CSU-Fraktion am 11. September
veröffentlichten Pressemeldung mit einer ebenfalls posi-
tiven Stellungnahme zu dieser Gesetzesänderung dürfen
wir einer sehr harmonischen Beratung im federführend
zuständigen Ausschuss für Verkehr, Bau- und Woh-
nungswesen entgegensehen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung über die Anträge:
– Deutschen Schiffbau aus der Schlechtwet-
terlage in sicheres Fahrwasser leiten
– Sicherung von Standort und Know-how des
deutschen Schiffbaus
(Tagesordnungspunkt 13 und Zusatztagesord-
nungspunkt 5)
Johannes Kahrs (SPD): Der Antrag der CDU blen-
det in seiner Betrachtung ein wichtiges Standbein des
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eutschen Schiffbaus völlig aus. Als stellvertretendes
itglied im Verteidigungsausschuss und als Hamburger
bgeordneter ist es mir daher ein wichtiges Anliegen, an
ieser Stelle auch einmal den Marineschiffbau zu thema-
isieren.
Bei einem Jahresumsatz der deutschen Schiffbauin-
ustrie von etwa 8 Milliarden Euro entfallen 76 Prozent
uf den Handelsschiffbau und 23 Prozent auf den Mari-
eschiffbau. Das ist eine enorme Summe, hinter der ent-
prechende Ingenieurs- und Fertigungskapazitäten lie-
en, die man nicht einfach unterschlagen darf.
Maßgebliches Kennzeichen für den deutschen Schiff-
au ist die Integration von Handels- und Marineschiff-
au. Der militärische Schiffbau hat hier für den Erhalt
och qualifizierter Ingenieurskapazitäten sowie für die
ontinuierliche Auslastung und die Rentabilität des
chiffbaus insgesamt große Bedeutung. Um dies zu ver-
eutlichen: Im Jahre 2002 waren rund ein Fünftel der
eutschen Schiffbauer im Bau oder in der Reparatur von
arineschiffen tätig gewesen.
Allerdings – und nun komme ich zur Kehrseite der
edaille – auch der Marineschiffbau kommt in Be-
rängnis. Die Aufträge für die deutsche Marine konnten
n den vergangenen Jahren nur teilweise die Auslastung
er vorhandenen Marineschiffbau-Kapazitäten sicher-
tellen.
Wenn wir uns aber politisch einig sind, dass wir auch
n der Bundesrepublik eine eigenständige wehrtechni-
che Industrie mit bestimmten Kernfähigkeiten halten
ollen, dann müssen wir auch hierfür die Voraussetzun-
en schaffen. Und wir haben in Deutschland gerade im
arineschiffbau Kenntnisse, die es in jedem Falle wert
ind erhalten zu bleiben. Häufig und zu Recht genannt
ei hier stellvertretend der U-Boot-Bau, aber auch im
ereich der Fregatten und Korvetten setzt unsere noch
eutsche Marineindustrie überragende Ingenieurleistun-
en um.
Der Erhalt dieser Kernfähigkeiten, insbesondere der
ngenieurtechnischen Kapazitäten, erfordert aber aus be-
riebswirtschaftlichen Gründen eine möglichst kontinu-
erliche Auslastung. Diese kann aber bei planmäßiger
ortführung der Vorhaben für die deutsche Marine und
ei der Erfüllung der bestehenden Exporterwartungen
ur noch bis etwa 2006 als gesichert angesehen werden.
Gleichzeitig muss man wissen, dass eine Verlagerung
er Ingenieurkapazitäten auf technologisch hochwertige
ivile Schiffe nicht möglich ist. Wenn wir es aber nicht
chaffen, diese hochqualifizierten Ingenieure auszulas-
en, geht das Know-how mittelfristig verloren. Im Er-
ebnis sind somit die Kernfähigkeiten der deutschen
arinewerften auf absehbare Zeit gefährdet.
Und ich möchte an dieser Stelle einen anderen weit
erbreiteten Irrtum aufklären. Die angeführte Problema-
ik trifft nicht nur die Küstenländer wie Schleswig-
olstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern,
remen und Hamburg. Nein – 22 Prozent der Zulieferin-
ustrie des deutschen Schiffbaus liegen in Baden-
ürttemberg und 15 Prozent in Bayern. Damit nehmen
eide Länder eine Spitzenstellung ein.
5450 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
(A) )
(B) )
Wenn ich jetzt den Blick auf den derzeit bevorstehen-
den Verkauf von HDW richte, tun sich an dieser Stelle
auf lange Sicht weitaus größere Probleme auf. Hier droht
tatsächlich der Ausverkauf deutscher Spitzentechnologie
und ich möchte an dieser Stelle einige Anmerkungen zu
einer möglichen Lösung sagen – wie sie sich in Ansätzen
auch in unserem Antrag wiederfindet.
Eher kurz- als mittelfristig muß sich auch die deut-
sche Marineindustrie konsolidieren, will sie auf einem
immer härter werdenden internationalen Markt weiterhin
bestehen können.
Der Verkauf von HDW eröffnet jetzt die Möglichkeit,
einen starken Deutschen Marinewerftenverbund ins Le-
ben zu rufen.
Wenn man sich auf dem Markt umsieht, kommt für
eine Führungsrolle meiner Ansicht nach nur die Thys-
sen-Krupp AG in Frage. Aber mit welcher Perspektive
sollte sich die Thyssen-Krupp AG mit mehr als 50 Pro-
zent oder gar 100 Prozent bei HDW engagieren? Doch
nur dann, wenn eine entsprechende Auftragslage eine
wirtschaftliche Auslastung verspricht. Und diese Auslas-
tung wird nicht nur durch Exporte zu realisieren sein.
Hier haben wir als Politiker über die Gestaltungsmög-
lichkeiten des Titels Schiffbau im Verteidigungshaushalt
eine maßgebliche Verantwortung der wir uns bewusst
sein müssen und die in diesem Zusammenhang nicht un-
ter den Tisch gekehrt werden darf.
Eine solche nationale Werftenkonsolidierung ist auch
zwingende Voraussetzung für mögliche weitere Schritte.
An erster Stelle wäre hier eine europäische Lösung nach
dem erfolgreichen Vorbild der EADS vorstellbar. Aller-
dings – und das möchte ich hier einschränkend zu Proto-
koll geben – würde ich mir hier eine Zusammenarbeit
von gleichberechtigten, frei am Markt operierenden Un-
ternehmen wünschen. Einen Eingriff durch ausländische
staatlich kontrollierte Konzerne in unsere eigenen Struk-
turen sollten wir durchaus selbstbewusst ablehnen. Nur
so ist eine faire, gleichberechtigte Partnerschaft und Ko-
operation möglich.
Einer anderen möglichen Option sollte man sich
ebenfalls nicht verschließen – es wäre dies eine transat-
lantische Kooperation. Bei all diesen Überlegungen dür-
fen wir aber nicht aus den Augen verlieren, dass Grund-
lage für solche Szenarien ein gestärkter deutscher
Marinewerftenverbund ist.
Bei allen denkbaren Formen der Kooperation müssen
wir aber Rahmenbedingungen schaffen, in denen ein
deutscher Partner stets gleichberechtigt ist. Nur dann
werden eine europäische und/oder die transatlantische
Lösung zu einem Erfolg führen. Egal von wie vielen
Säulen ein solches Haus getragen würde – wäre eine
Säule schwächer als andere, liefe das Haus schnell Ge-
fahr in Schieflage zu geraten.
Der vorgelegte Antrag ist unserer Ansicht nach gut
geeignet, solche Schieflagen zu vermeiden. Es kann aber
nur ein Anfang sein und es ist an uns, die Umsetzung
kritisch und fördernd zugleich zu begleiten.
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Dr. Margrit Wetzel (SPD): Zweifellos macht die
siatische Konkurrenz der deutschen und der gesamten
uropäischen Schiffbauindustrie schwer zu schaffen. Mit
nhaltenden Dumpingpreisen hält Korea bis jetzt bereits
5 Prozent der Schiffsneubauaufträge 2003. Finanzie-
ungs- und Planungskosten fließen nach wie vor nicht in
ie Kalkulation koreanischer Werften ein. Trotz einer
taatsverschuldung von 40 Prozent des BIP interveniert
ie koreanische Notenbank am Devisenmarkt.
Japan bleibt offenbar unnachahmlich in der Stärkung
er eigenen Industrie durch die inländische Wirtschaft.
s hält seine Stellung am Weltschiffbaumarkt zur Hälfte
llein durch die intensive Inlandsnachfrage. Aktuell
urden auch dort Wechselkursmanipulationen festge-
tellt.
China agiert konkurrenzlos im Einfachschiffbau, ist
zwischen weltweit die Nummer eins in der Schiffs-
inanzierung und verdrängt europäische Banken mit
iedrigzinsen bei internationalen Großkrediten.
Riesige moderne Werften, billige Arbeitskräfte, ver-
esserte Infrastruktur, ständig steigende Produktivität
nd immer höhere Qualität der Produkte: Das ist das
pektrum, gegenüber dem sich die deutschen Werften
ehaupten müssen.
Auch deutsche Schiffsfinanzierer sehen sich auf Er-
olgskurs, sie erwarten für 2003 ein Rekordjahr: Steuer-
orteile, gute Renditen und die Klarheit bei der Tonna-
esteuer locken Kapitalanleger; die Charterraten steigen
eutlich, die Häfen verbuchen erkleckliche Umsatzzu-
ächse. Der Bedarf an neuen Schiffen ist vorhanden.
ürden bei uns – wie Japaner in Japan – die deutschen
eeder ihre Schiffe in Deutschland bestellen, so hätten
ir statt magerer 1,8 Prozent schon satte 25 Prozent der
iesjährigen Neubauaufträge erhalten. 90 Prozent der
eubauaufträge 2003 füllen die Auftragsbücher asiati-
cher Werften! Deutsche Eigner betreiben 24 Prozent der
elthandelsflotte, sie platzieren ihre Aufträge klar in
sien.
Umso schlimmer ist es, dass in deutschen wie in euro-
äischen Werften immer wieder Leute entlassen werden
üssen. Schiffbauliches Know-how geht uns damit ver-
oren und die betroffenen Arbeitnehmer sind arbeitslos
n einem weltweit boomenden Markt! Das ist schon eine
esondere Schizophrenie!
Aber: die Industrie jammert nicht, sie ist sich ihrer
tärken bewusst und blickt mutig nach vorn. Und dafür
ebührt allen Beteiligten größter Respekt.
In wirklich hervorragender Zusammenarbeit, mit ho-
em Verantwortungsbewusstsein und großer Kompro-
issbereitschaft zwischen Industrie, Gewerkschaften,
etriebsräten und Behörden wird der notwendige Stel-
enabbau so sozial verträglich wie möglich vorgenom-
en, ist oft mit Weiterqualifizierungsmaßnahmen für
itarbeiter verbunden, damit diese fit für andere Ar-
eitsverhältnisse sind.
Apropos „andere Arbeitsverhältnisse“: Wir könnten
och etliche zukunftsfähige maritime Industriebereiche
m Zusammenwirken von Politik und Unternehmergeist
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5451
(A) )
(B) )
erschließen. Neben den vielfältigen nichtschiffbaulichen
maritimen Technologien, für die die Offshoretechnik nur
ein Beispiel ist, scheinen mir auch die Pilotprojekte der
Unterwasser-Kraftwerke in Norwegen und Großbritan-
nien hoch interessant zu sein.
Der europäische Schiffbauverband CESA will mit
dem Konzept Leader Ship 2015 die führende Rolle euro-
päischer Werften für den komplexen Handelsschiffbau,
für Spezialschiffe, Kreuzfahrtschiffe und Luxusjachten
ausbauen. Dabei haben die technologische Kompetenz
und das Beherrschen komplexester Systeme, das viele
deutsche Werften mit unterschiedlichsten Fähigkeiten
auszeichnet, eine faire Chance auf Marktführerschaft.
Unsere Stärken sind die mittelständische Struktur, die
Vielseitigkeit und der Mix der Werften, die hohe Qualität
ihrer Produkte, die weltweit Standards setzt, wenn wir
nur an die virtuelle Entwicklung und Fertigung denken,
an die Doppelhülle, die Weltmarktführerschaft bei Pro-
duktentankern, deren Nachfrage aufgrund neuer Sicher-
heitsbestimmungen deutlich gestiegen ist.
Daneben verlangt das Konzept aber auch, wieder Fuß
zu fassen beim Bau von Standardschiffen in Serienferti-
gung: Nur damit können die Beschäftigungseffekte deut-
lich erhöht werden. Potenzielle Auftraggeber sind reich-
lich vorhanden. Neben den Großcontainerschiffen, die
wir Korea kaum mehr abnehmen können, müssen zahl-
reiche Feederschiffe gebaut werden. Ein Feederschiff
trägt heute durchaus schon bis zu 4 000 TEU – ein loh-
nendes Geschäft, wenn wir es denn einwerben können.
Diese Initiative findet unsere volle Unterstützung.
Aber das reicht nicht: Die Platzierung der Aufträge in
Europa folgt deutlich dem Beihilferegime, der Nothilfe
gegenüber dem asiatischen Dumping. Das Schiffbau-Re-
kordjahr 2000 hat die Auslastung der Werften bis jetzt
einigermaßen gesichert. Die Fortsetzung der Beihilfen
ist befristet, zunächst bis März 2004, weil man bis dahin
das Ergebnis der WTO-Klage erwartet hatte. Um Auf-
träge tatsächlich akquirieren zu können, die den Werften
immerhin noch bis ins Jahr 2007 hinein Auslastung brin-
gen könnten, müssen die 6 Prozent Schiffbaubeihilfen
aber auch gewährt werden. Wer den Markt beobachtet,
weiss, dass die Nachfrage gerade jetzt boomt, dass die
Aufträge in den kommenden Monaten platziert werden:
Ich appelliere in aller Deutlichkeit und mit großem
Nachdruck an unsere Haushaltspolitiker, den deutschen
Werften die notwendige Unterstützung nicht zu versagen
und zu überprüfen, ob die im Haushalt vorgesehenen
Mittel ausreichen, die anstehenden Aufträge zu bedie-
nen. Wenn unsere Werften jetzt nicht zugreifen können,
gehen die Aufträge nach Asien oder an die europäischen
Wettbewerber!
Wir müssen deshalb auch dafür sorgen, dass die
Schutzmaßnahmen gegen Preisdumping bis zum Ende
des WTO-Streitbeilegungsverfahrens gegen Südkorea
beibehalten werden und auch keiner „Subventionsabbau-
kommission“ zum Opfer fallen. Die Schiffbaubeihilfen
sind keine Subventionen, sondern befristete Schutzmaß-
nahmen und Nothilfe zum Überleben asiatischer Kampf-
preise.
Mit der Einberufung regelmäßiger nationaler mariti-
mer Konferenzen, dem Maritimen Bündnis und der Ein-
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etzung eines maritimen Koordinators hat der Bundes-
anzler wichtige Inititalzündungen gegeben für einen
euen Dialog zwischen Unternehmen, Gewerkschaften,
olitik und Wissenschaft, der auf breiter Basis ergebnis-
rientiert arbeitet und die maritime Politik der Bundes-
egierung prägt.
Viele Veränderungen der politischen Rahmenbedin-
ungen dienen der Schifffahrt und auch damit dem mari-
imen Standort Deutschland. Forschung, Entwicklung
nd der Ausbau der nichtschiffbaulichen maritimen
echnologien werden unterstützt. Die maritime Wirt-
chaft steht in engen Wechselbeziehungen, die sich ge-
enseitig stützen und stärken. Deshalb sind die mariti-
en Konferenzen auch weit mehr als die Summe ihrer
inzelentscheidungen!
Vergessen wir auch nicht, dass etwa ein Viertel der
eutschen Schiffbauproduktion im Bereich der Marine-
erften entsteht. Zu den Bemühungen um einen Marine-
erftenverbund, der eine starke Stellung in der europäi-
chen Marinewerftenstruktur hat, wird mein Kollege
ohannes Kahrs noch Ausführungen machen.
Neu ist das 60-Millionen-Euro-Programm für die pro-
uktnahe Innovation, die den speziellen Bedürfnissen
es Schiffbaus besser Rechnung trägt. Es ist auf die ge-
amte Wertschöpfungskette „Schiff“ bezogen und soll
ugleich die Strukturverbesserungen bei den Werften un-
erstützen.
Wir haben Haushaltsmittel eingestellt für die neue
ECD-Exportkreditvereinbarung CIRR, die Unterstüt-
ung langfristiger Bankkredite zu günstigen Festsatzzin-
en. Daraus resultierende Verluste dürfen mit staatlichen
itteln ausgeglichen werden. Die Bundesregierung hat
it Nachdruck erfolgreich darauf hingewirkt, dass hem-
ende bürokratische Vorschriften der EU – wie die Ein-
elnotifizierung bei FuE-Projekten – abgebaut werden.
Vereinbarungen über die Zulässigkeit von Landes-
ürgschaften für die Schiffbaukredite – für die Werften
nverzichtbar – sind unmittelbar vor dem Abschluss.
as sind sichtbare, schöne politische Erfolge, die unse-
en Werften ganz konkret nützen und die aus diesem en-
en Miteinander des stetigen Dialogs entwickelt wurden.
arauf dürfen wir stolz sein! Dafür dürfen wir auch
anke sagen!
Wir halten nichts davon, die Anteile der Kofinanzie-
ung der Länder noch zu verändern. Wir alle wissen,
ass es sich um auslaufende Stützungsmaßnahmen han-
elt, die mit der Streitbeilegung vor der WTO oder dem
bschluss des OECD-Abkommens, der für Ende 2005
rwartet wird, endgültig auslaufen dürften. Wenn das
reisdumping ein Ende hat und Sanktionen gegen Ver-
töße möglich sind, haben unsere starken deutschen
erften auch wieder echte Chancen, Flaggschiffe in und
ür Europa zu sein und zu bauen. Glück auf dabei!
Wolfgang Börnsen (CDU/CSU): „Die europäischen
erften sind in ihrer schwersten Krise seit 30 Jahren“,
o die zusammenfassende Feststellung der EU-Kommis-
ion zum jüngsten Bericht über die Lage des Schiffbaus.
ährend der Schiffbau weltweit boomt und Jahr für Jahr
5452 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
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neue Rekorde bei den Auftragseingängen verzeichnet,
stürzt der europäische Schiffbau weiter ab – auf die
Hälfte innerhalb nur einen Jahres. Nur noch 5,6 Prozent
der weltweiten Neubauaufträge gingen im ersten Halb-
jahr 2003 nach Europa und 1,8 Prozent an die deutschen
Schiffbauer, aber 53,9 Prozent nach Korea. Dabei wird
weltweit jedes vierte Schiff von einem deutschen Auf-
traggeber bestellt. Noch vor sieben Jahren lagen die
Schiffbauer in der EU und Korea mit jeweils 21 Prozent
Marktanteil gleich auf. Ursache ist die anhaltende Struk-
turkrise im Schiffbau und die fehlende Planungssicher-
heit bei den politischen Rahmenbedingungen, so die
deutschen und europäischen Branchenvertreter. Selbst
die AWES-Länder mit Lohnvorteilen wie Polen sind
klare Verlierer der Entwicklung. Japan – und jetzt auch
die VR China – sind die Gewinner im Jahre 2002.
Auf dem Weltschiffbaumarkt geht es nicht mit fairen
Mitteln zu, gibt es keine gleichen Wettbewerbschancen
für alle Schiffbauer. 20 Prozent unter den Herstellungs-
kosten verkauft Korea seine Schiffe, wie die EU-Kom-
mission im Mai 2003 in einer Untersuchung feststellte.
Bundeskanzler Schröder stellte im Mai auf der Lübecker
Maritimen Konferenz fest: „Neben dem, was es ohnehin
an Wettbewerbsschwierigkeiten durch internationale
Dumpingpraktiken und Quersubventionierungen gege-
ben hat, kommen externe Einflüsse hinzu, die nicht un-
mittelbar mit diesem Wirtschaftszweig zu tun haben.“
Doch statt Perspektiven aufzuzeigen, zählte er nur die
halbherzigen Maßnahmen der Vergangenheit auf; so die
sechsprozentige Abwehrbeihilfe für die Schiffbauer, de-
ren Finanzierung sein klammer Hans zu zwei Dritteln
auf die ohnehin finanzschwachen Küstenländer abge-
schoben hat.
Auch zur Zukunft von HDW, der größten deutschen
Werft, hat sich jetzt der Kanzler geäußert. Er befürwortet
eine französische gegen eine US-Lösung bei einem mög-
lichen Verkauf. Aber wäre es nicht angebracht, auch auf
eine deutsche Lösung zu setzen? Denn diese Werft ist
nicht nur im Handelsschiffbau tätig, sondern besitzt eine
Schlüsselposition im Marineschiffbau. Hier erwarten wir
ein klares Wort aus der Regierung.
Erst letzte Woche forderten die Wirtschafts- und Ver-
kehrsminister der fünf Küstenländer in Husum, die Las-
ten gerechter zu verteilen. Auf 25 000 Schiffbauer an der
Küste kommen rund 70 000 Beschäftigte bei den Zulie-
ferern im Binnenland, vor allem in Bayern und Baden-
Württemberg. Hier werden 80 Prozent der Wertschöp-
fung eines Schiffes produziert. Die Lasten tragen die
Küstenländer zum größten Teil allein. Schleswig-Hol-
stein und Hamburg verweigern sich jedoch, sodass es zu
einer zusätzlichen Wettbewerbsverzerrung innerhalb
Deutschlands kommt. Der Verweis des Kanzlers auf die
Werftenhilfe ist deshalb für die Schiffbauer in Schles-
wig-Holstein und Hamburg falsch. Schleswig-Holstein
schuf durch das jahrelange unsolidarische Verhalten ei-
nen Präzedenzfall. Es liefert damit den Gegnern der
Werftenhilfe Argumente für deren generelle Abschaf-
fung.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll dies be-
reits im März 2004 geschehen. Das eingeleitete Anti-
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umpingverfahren vor der Welthandelsorganisation ge-
en Korea wird jedoch frühestens im Sommer 2004
ntschieden; Sanktionen greifen noch später. Bis dahin
tehen die Schiffbauer wieder im Regen. Einen „Zick-
ack-Kurs“ nennt der Sprecher der Papenburger Meyer-
erft die Haltung der EU-Kommission, und ergänzt:
Die EU schafft es einfach nicht, verlässliche Rahmen-
edingungen zu setzen. Wir reden hier nicht über ein
aarshampoo für 1,99 Euro, sondern über eine Investi-
ion von 400 Millionen Euro.“
Gefahr droht auch auch von anderer Seite: EU-Wett-
ewerbskommissar Mario Monti will die Landesbürg-
chaften bei der Schiffsfinanzierung verbieten. Der bis
or kurzem zuständige Staatssekretär Dr. Axel Gerlach
at sich in beispielhafter Weise für den Erhalt der be-
ährten Finanzierung eingesetzt. Während seiner Amts-
eit als Koordinator für die maritime Wirtschaft hat er in
ooperativer Zusammenarbeit stets versucht, die deut-
chen Interessen zu wahren – doch des Kanzlers Rück-
alt fehlte. Fünf Jahre lang haben die Bundesregierung
ie die EU nichts, rein gar nichts gegen Koreas Dum-
ingpreise getan und auch bei den Bürgschaften wird nur
albherzig gehandelt. Ein Seemannssprichwort lautet:
Wir können den Wind nicht beeinflussen, aber wir kön-
en die Segel richtig setzen.“ Die Schiffbauer versuch-
en stets, die Segel richtig im Wind zu halten; von der
U-Kommission kam aber stets der Befehl zum Reffen.
ie Bundesregierung konnte sich auf die Takelage nicht
estlegen und berief jedes Jahr eine maritime Konferenz
in. Versprochen wurde bei der ersten Konferenz eine
nitialzündung für die maritime Wirtschaft. Außer Posi-
ionspapieren ist dabei nichts herausgekommen – leider!
ie Küste hätte nicht nur Worte, sondern Taten verdient.
In Brüssel scheint es nun einen Umdenken zu geben.
in hoher EU-Beamter räumte kürzlich ein: „Der Schiff-
au ist das ungeliebte Kind der EU“ und sprach von ei-
er „Hassliebe, die die Werften in schweres Fahrwasser
ebracht hat.“ Jetzt will die Kommission gegensteuern
nd das Programm „Leader-Ship 2015“ vorlegen. Eine
ruppe aus sieben EU-Kommissaren, Top-Managern der
ndustrie und EU-Abgeordneten hat sich darin Gedanken
emacht. In der Zwischenzeit läuft die Zeit davon, so
ritisieren die Branchenverbände in Hamburg und Brüs-
el. Am Horizont ist bereits ein neues Problem aufge-
aucht: Da alle Aufträge in Dollar abgerechnet werden,
leibt beim schwachen Dollar nur wenig in Euro übrig.
Seit mehreren Jahren fordert die Union von der Bun-
esregierung, in WTO und bei den G-7- bzw. G-8-Gip-
eln auf ein Welthandelsabkommen im Schiffbau zu
rängen und so lange die Werften zu schützen. Stattdes-
en werden Konferenzen abgehalten, Positionspapiere
eschrieben und um Zehntel-Prozentpunkte bei der
erftenhilfe gefeilscht. Doch Kanzler Schröder hat bei
einem der Gipfeltreffen ein weltweites Antisubventions-
bkommen eingebracht. Unsere Werften sind bereit und
n der Lage, sich der Konkurrenz zu stellen, wenn es
eltweit keine Wettbewerbsverzerrungen mehr gibt.
In diese Reihe der Versäumnisse passt die Missach-
ung der Opposition. Heute wird auch über einen Antrag
on Rot-Grün debattiert, den außer den Regierungsfrak-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5453
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tionen bis gestern niemand kannte. Es ist ein unparla-
mentarisches Verhalten, Anträge ohne Beratung in den
Fachausschüssen im Plenum behandeln zu lassen. Eine
ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung mit dem
Thema ist so nicht möglich und wohl auch nicht er-
wünscht. Die heutige Debatte geht auf eine Initiative der
Union vom 3. Juni zurück. Jeder Interessierte hatte die
Möglichkeit, sich mit diesem Antrag auseinander zu set-
zen und konstruktive Änderungsanträge einzubringen.
Stattdessen betreibt Rot-Grün Aktionismus ohne ernst-
haften Lösungswillen. Damit schadet man den Interes-
sen der Küste.
Kernstück unserer Forderungen – und deshalb unter-
streiche ich noch einmal unseren Antrag – ist die Schaf-
fung weltweit fairer Wettbewerbsbedingungen im Han-
delsschiffbau. Über den Weg dahin können wir hier
gerne streiten. Die deutschen und europäischen Schiff-
bauer sind hoch innovativ und Technologieführer. Gegen
Dumpingpreise aus Fernost können sie sich jedoch nicht
durchsetzen. Wir sind der Ansicht, Leistung muss sich
lohnen. Aufgabe der Politik ist es, die dafür notwendigen
Rahmenbedingungen zu schaffen. Auf globalisierten
Märkten lässt sich das nur durch einen internationalen
Ordnungsrahmen erreichen. Deshalb brauchen wir ein
Welthandelsabkommen im Schiffbau im Rahmen der
OECD. Für dieses Ziel muss sich die Bundesregierung
auf den G-7- bzw. G-8-Gipfeln einsetzen. Nur so werden
wir Fortschritte für die heimischen Schiffbauer erzielen.
Die technologische Führung des deutschen und euro-
päischen Schiffbaus muss auch für die Zukunft gesichert
werden. Hierzu sind Begleitmaßnahmen in Forschung,
Entwicklung und Innovation notwendig. Das EU-Pro-
gramm „LeaderSHIP 2015“ bietet hierfür gute Ansätze.
Es ist unsere Aufgabe in Deutschland, diese Initiative
schnellstmöglich durch nationale Maßnahmen zu flan-
kieren. Dann können wir auch den dramatischen Ar-
beitsplatzabbau im Schiffbau stoppen. Allein in diesem
Jahr gehen bei HDW in Kiel 750, bei der Meyer-Werft in
Papenburg 800 und bei Aker in Mecklenburg-Vorpom-
mern 553 Werftarbeitsplätze verloren.
Die Werftindustrie – Flaggschiff der maritimen Wirt-
schaft – gerät immer stärker in eine Schlechtwetterlage.
Die politischen Lotsen in Brüssel und Berlin geben seit
Jahren keinen klaren Kurs vor. Wer so fahrlässig ver-
fährt, der bringt damit eine gesamte Industrie in eine
Existenzkrise und setzt Tausende von Arbeitsplätze aufs
Spiel. Wir, die Union, mahnen Handeln an, um eine Per-
spektive für den Schiffbau zu geben.
Werner Kuhn (Zingst) CDU/CSU): Der 7. Schiff-
baubericht der Europäischen Kommission nennt als
Gründe für die Schwierigkeiten auf dem Schiffbauwelt-
markt ein Überangebot in der Vergangenheit, eine welt-
weit rückläufige Konjunktur, die Nachwirkungen des
11. September 2001 und die politische Instabilität im
Nahen Osten. Dies sind erschwerte Bedingungen, aber
sie sind für alle Schiffbaunationen gleich. Was uns viel
mehr Kopfzerbrechen bereitet und von der Kommission
abermals bestätigt wurde, ist die Tatsache, dass die vom
fernöstlichen Verdrängungswettbewerb für die EU-
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erften herbeigeführten Schwierigkeiten kritische Aus-
aße annehmen.
Konkret für Deutschland bedeutet dies massive Auf-
ragseinbrüche und Arbeitsplatzverluste. An drei Punk-
n lässt sich diese Entwicklung festmachen:
Erstens haben zahlreiche deutsche Werften in der Ver-
angenheit angekündigt, Mitarbeiter entlassen zu müs-
en, weil neue Aufträge nicht in ausreichender Zahl he-
eingenommen werden konnten. Um zwei Beispiele zu
ennen: Die fusionierten Werften in Wismar und Warne-
ünde, Aker Yards und Kvaerner, planen einen Abbau
m circa 560 Mitarbeiter. Die größte deutsche Werft,
DW in Kiel, will sich von 750 Mitarbeitern trennen.
ndere Standorte, andere Werften: Die Probleme sind
ie Gleichen, ob in Warnemünde oder in Kiel. Doch um
ecklenburg-Vorpommern steht es besonders schlecht.
ecklenburg-Vorpommersche Werften haben Ärger mit
er EU. Für die Sanierung der alten DDR-Werften flos-
en EU-Subventionen. Im Gegenzug musste die Produk-
on begrenzt werden, durfte die Werftauslastung nur
0 Prozent betragen. Heute läuft in Brüssel ein Rechts-
treit wegen einer Strafe, die die EU der Warnemünder
erft wegen Kapazitätsüberschreitungen auferlegte.
is Mitte 2004 sind die deutschen Werften noch mit Auf-
rägen aus den Jahren 2000 und 2001 beschäftigt.
nschlussaufträge fehlen. Und damit fehlen auch die Vo-
aussetzungen, um die überdurchschnittliche Ausbil-
ungsbereitschaft und -kraft unserer Werften aufrechter-
alten zu können. Wir brauchen eine nationale
usbildungsoffensive und wir müssen unsere Schiffbau-
ndustrie unterstützen, damit sie einen qualifizierten Bei-
ag dazu leisten kann.
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Den
erften geht die Arbeit aus. Und warum? In den Seg-
enten Tanker-, Container- und Handelsschiffbau, ent-
cheidend für Deutschland, konkurrieren derzeit Japan,
üdkorea und China miteinander. Der Bau solcher
chiffe erfolgt in diesen Ländern in Serienproduktion.
a der Wettbewerb fast ausschließlich über den Preis ge-
ührt wird, der nicht selten unter den Produktionskosten
iegt, werden kaum Gewinne erzielt. Da deutsche, wie
lle EU-Werften, in diesen Marktsegmenten mit niedri-
er Wertschöpfung nicht mehr konkurrieren können,
eht die Produktion infolgedessen auf unseren Werften
urück. Die Nachfrage auf dem Weltmarkt ist gegeben,
n der mittelfristigen Entwicklung ist von einem deutli-
hen Wachstum auszugehen. An Bedeutung werden auf-
endige Fähr- und Passagierschiffe gewinnen, bei denen
ie deutschen Werften in der Vergangenheit systemtech-
isches Know-how und ihre partnerschaftlich ausgerich-
te Zusammenarbeit mit den leistungsfähigen deutschen
ulieferbetrieben erfolgreich zur Geltung bringen konn-
en.
Zu den weiteren Schiffsneubauten werden Doppelhül-
ntanker gehören, die höchste Sicherheits- und Umwelt-
chutzanforderungen verlangen. Die von der EU geneh-
igten Abwehrbeihilfen in Höhe von 6 Prozent stellen
inen wichtigen Schritt dar, sie reichen aber bei weitem
icht aus, um das zusätzliche Preisdumping südostasiati-
cher Werften auf Dauer zu bestehen. Wir brauchen faire
5454 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
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Wettbewerbsbedingungen für die Werften weltweit und
dürfen eine solche zwangsverordnete Fehlentwicklung
nicht hinnehmen. Dazu muss sich auch die Bundesregie-
rung bekennen. Und dazu gehört auch, durch europäi-
sche Abwehrmaßnahmen gemeinsam gegen unfairen
Wettbewerb vorzugehen, solange dieser anhält. Da es
nach Aussage der Bundesregierung spätestens Ende
März 2004 keine Abwehrbeihilfen mehr geben wird,
wäre mein Vorschlag, eine Aufbauhilfe von 6 Prozent
auszuhandeln, die investiert in intensivere, flexiblere
und zeitnahe Förderung von Forschung, Entwicklung
und Innovation, es unseren Werften ermöglicht, sich im
Segment kleiner Spezialschiffe, wo Spitzentechnologie
gefragt ist, marktführend behaupten zu können.
Zweitens leidet die deutsche Zulieferindustrie unter
der sinkenden Inlands- und Auslandsnachfrage. Der
Umsatz der etwa 400 Zulieferunternehmen mit rund
70 000 Mitarbeitern betrug 2002 Milliarden Euro, die
Gesamtexportquote 60 Prozent. Deutsche Werften waren
mit Abstand der wichtigste Abnehmer. Die südostasiati-
schen Länder greifen zunehmend auf ihre eigenen Pro-
dukte zurück, die billiger sind, aber kaum den deutschen
Qualitätsstandards entsprechen.
Und drittens fehlen auch für den Marineschiffbau die
Aufträge.
Die seit Jahren chronisch unterfinanzierte Marine
kann doch ihre vielen Aufträge schon lange nur noch un-
ter großen Mühen erfüllen. Es müssen die Voraussetzun-
gen dafür geschaffen werden, eine wehrtechnische In-
dustrie zu entwickeln, die vom Wettbewerb und nicht
von Staatswerften wie in Frankreich, Italien oder Spa-
nien bestimmt wird.
Für die deutsche Schiffbauindustrie wird sich die
schwierige Nachfragesituation unter fairen Wettbe-
werbsbedingungen ausgleichen. Denn unsere Werften
können auf ihre Stärken der Technologieführerschaft,
der Termintreue und Flexibilität vertrauen.
Jetzt muß gehandelt werden, da sonst die deutschen
Werften akut gefährdet sind. Womit auch unsere, von
Bundeskanzler Schröder zur Chefsache erklärte mari-
time Wirtschaft insgesamt eine Schlagseite bekäme, da
der Schiffbau zum Kernbereich unserer maritimen Wirt-
schaft zählt.
Die bisher durchgeführten nationalen maritimen Kon-
ferenzen, die ganz wesentlich dem Schiffbau dienen
sollten, haben zu keinem Ergebnis geführt. Konferenzen
sind zwar vernünftig, ersetzen aber kein politisches Han-
deln.
Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
kenne die schwierige Situation, in der sich die deutsche
Schiffbauindustrie derzeit befindet. Die Auftragslage in
Deutschland gestaltet sich schwierig. Auf dem durch ko-
reanische Dumpingpreise gestörten Schiffbauweltmarkt
kann der deutsche Handelsschiffbau gegenwärtig nur
schwer neue Aufträge akquirieren; der Vorwurf des
Lohndumpings von Südkorea wird derzeit vor der WTO
verhandelt. Durch die Probleme am Weltmarkt sind bei
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en Werften unmittelbar Arbeitsplätze bedroht. Insofern
st eine Unterstützung der Politik geboten.
Aufgrund der Haushaltslage muss man aber auch be-
ondere Sorgfalt bei allen Subventionstatbeständen wal-
en lassen. Deshalb muss auch gesagt werden, dass die
eutsche Schiffbauindustrie auch unter fairen Wettbe-
erbsbedingungen aufgrund ihrer Strukturdefizite gerin-
ere Marktchancen hätte. Die bestehenden Kosten- und
roduktivitätsdefizite gegenüber der fernöstlichen Kon-
urrenz können nur von den Unternehmen selbst besei-
igt werden. Die für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit
otwendigen Strukturverbesserungen können jedoch im
nteresse der Sicherung und Schaffung von wettbe-
erbsfähigen Arbeitsplätzen durch entsprechende Rah-
enbedingungen begleitet werden.
Zur Unterstützung der Werften wurden bereits ver-
chiedene Initiativen eingeleitet. So zielt das vom euro-
äischen Schiffbauverband CESA initiierte Projekt
LeaderSHIP 2015“ auf die Stärkung der europäischen
erften im Bereich komplexer Handelsschiffe und auch
tandardschiffe ab. Dieses Nebeneinander für zwei un-
erschiedliche Bereiche des Schiffbaus ist für die deut-
che Schiffbauindustrie typisch. Im Passagier- und Spe-
ialschiffbau erfolgreiche, zumeist kleine oder
ittelständische Werften arbeiten neben großen, Contai-
erschiffe bauenden Werften, die auf einem sehr schwie-
igen Markt agieren.
Um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Schiffbauin-
ustrie aufrechtzuerhalten, fördern wir Forschung und
ntwicklung sowie die Einführung anwendungsorien-
ierter Innovationen. Erstmalig im Haushaltsjahr 2004
oll für die Förderung der Schiffswerften mit einem In-
ovationsbeihilfeprogramm mit einem Gesamtvolumen
on 60 Millionen Euro für die Jahre 2004 bis 2007 be-
onnen werden. Dabei sind auch umweltfreundliche An-
riebstechnologien wie Biotreibstoffe und Windantriebe
u erforschen. Bei diesem Programm wollen wir innova-
ive Schiffsentwicklungen bis hin zu Prototypen fördern.
ei entsprechendem Erfolg sollen beispielsweise Darle-
en für Innovationen an den Bund zurückgezahlt wer-
en.
Wir wollen keine strukturkonservierenden Subventio-
en. Deshalb setzen wir auf die Förderung von Innovati-
nen, denn die ist auch unter ökonomischen Gesichts-
unkten sinnvoll und vertretbar. Zugleich soll die
ewährung von Mitteln zur Förderung von Innovation
n die Erfüllung von Bedingungen geknüpft werden, die
eeignet sind, zur strukturellen Verbesserung der deut-
chen Schiffbauindustrie beizutragen. Als Beispiel sei
ie Gemeinschaftsentwicklung oder Mehrfachnutzung
er Innovationen durch verschiedene Schiffbauunterneh-
en genannt. Die europarechtliche Grundlage für dieses
örderinstrument wird derzeit noch verhandelt, die Be-
illigungsrichlinie liegt noch nicht vor. Es besteht je-
och Konsens, dass dieses Instrument auch in Zukunft
ulässig sein soll.
Sie sehen, dass wir sehr wohl die Probleme der
chiffbauindustrie erkennen. Unsere Maßnahmen kön-
en aber nur unterstützend und begleitend sein, denn die
trukturreformen müssen von den Unternehmen selbst
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003 5455
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angegangen werden. Dafür wollen wir die richtigen zu-
kunftsweisenden Rahmenbedingungen gerne schaffen.
Partikuliere in der Lage sind, ohne eine Änderung des
§ 6 b aus dieser Misere herauszukommen. Das von
Staatssekretär Nagel propagierte „Bündnis für die Bin-
nenschiffahrt“ bleibt solange eine hohle Phrase, wie Sie
Hans-Michael Goldmann (FDP): Es ist positiv, dass
wir uns wieder einmal mit maritimen Fragen befassen.
Doch wieder einmal ist der Anlass eher negativ, und
zwar in zweifacher Hinsicht.: Wie alle Beteiligten wis-
sen, ist die Wettbewerbssituation im Schiffbau nach wie
vor geprägt von einem ruinösen Wettbewerb, ausgelöst
durch das viel beklagte Dumping der Koreaner. Eher
traurig sind außerdem die Anträge die Sie, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der CDU/CSU und von der
Koalition, vorgelegt haben. Diese Anträge belegen ein-
drucksvoll, wie man mit vielen Worten die wenigen
Möglichkeiten, die wir auf nationaler Ebene haben, dem
deutschen Schiffbau im internationalen Wettbewerb
wirklich zu helfen, erfolgreich umschiffen kann. Wir
sollten bei der Fachberatung einen interfraktionellen An-
trag gestalten, der möglichst hohe Substanz hat. Die Un-
terschiede scheinen mir überbrückbar zu sein.
Unbestritten haben die Nationalen Maritimen Konfe-
renzen, insbesondere die letzte in Lübeck, Erfolge aufzu-
weisen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, es
ist doch sinnvoll, das zu loben, was die Regierung rich-
tig macht, gerade da so etwas nicht so häufig vorkommt.
Richtig ist aber auch, liebe Kolleginnen und Kollegen
von Rot-Grün, dass die Konferenzen im Hinblick auf
den Schiffbau nicht für einen Durchbruch gesorgt haben.
Und da wären wir wieder bei unserem Ausgangspro-
blem: Wie können wir auf nationaler Ebene wirklich et-
was für den Schiffbau erreichen?
Da, wo dies möglich wäre, bleibt man auffällig allge-
mein oder klammert dies ganz einfach aus: Alle Fach-
leute wissen doch, dass die Binnenländer zu mehr als
zwei Dritteln von der Wertschöpfungskette im Schiffbau
profitieren, die Küste nicht einmal zu einem Drittel. Des-
halb müssen wir dringend überprüfen, ob eine Verteilung
der auftragsbezogenen Schiffbauhilfen – ein Drittel
Bund, zwei Drittel Länder – noch hilfreich und sinnvoll
ist. Das Problem wird ja auch noch dadurch vergrößert,
dass das rot-grüne Schleswig-Holstein gar nicht in der
Lage ist, seinen Kofinanzierungsteil aufzubringen. Auch
den anderen Küstenländern fällt es immer schwerer, die
hierfür benötigten Geldmittel aufzubringen.
Ein weiterer wichtiger Punkt, zu dem Sie sich leider
ausschweigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Union und der Koalition, ist eine Ankurbelung des Neu-
baus von Binnenschiffen. Lange warteten wir auf die
Vorlage des von der Bundesregierung in Auftrag gegebe-
nen Gutachtens zu den Chancen der deutschen Binnen-
schifffahrt. Die zentrale Forderung, eine Änderung des
§ 6 b Einkommensteuergesetz, ist bislang auf Ungnade
im Finanzministerium und bei den Finanzpolitikern von
CDU/CSU und SPD gestoßen. Dabei wissen wir Fach-
politiker doch alle parteiübergreifend, wie veraltet die
deutsche Binnenschifffahrtsflotte ist und wie wenig die
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icht Ihre Finanzpolitiker überzeugen, einer Änderung
es § 6 b zuzustimmen. Die Binnenschiffer weisen zu
echt darauf hin, dass wegen der investiven Effekte eine
nderung des § 6 b den Steuerzahler gar nichts kosten
ürde. Der FDP-Antrag hierzu ist bereits im Verfahren.
enn Ihre Fraktionen sich einen Ruck geben könnten,
rreichten wir eben nicht nur viel für die Binnenschiff-
ahrt, sondern auch für den Schiffbau. Bei einem Durch-
chnittsalter von 30 Jahren bei Tankschiffen und 50 Jah-
en bei anderen Schiffen kann sich jeder selbst
usrechnen, welchen enormen Nachholbedarf es in die-
em Bereich gibt.
Im Moment erhalten europäische Werften gerade wie-
er einige Aufträge. Doch der Grund dafür ist leider
icht positiv: Die koreanischen Werften sind so voll,
ass sie Aufträge abweisen mussten. Wir sollten aber
icht den Fehler machen, nur auf Korea zu schauen. In
hina wächst ein weiterer mächtiger Konkurrent heran.
ie Bundesregierung muss künftig stärker in Brüssel
orstellig werden, damit die EU-Kommission ihren Ein-
atz in der WTO für einen fairen Wettbewerb im Schiff-
au erhöht. Vor allem darf es nicht wieder zu einseitigen
orleistungen kommen. Die Koreaner haben eindeutig
nter Beweis gestellt, dass sie mit Vorleistungen nicht zu
eeindrucken sind. Deshalb ist auch gerade die einzige
irklich konkrete und nützliche Forderung im Antrag
er Koalition so wichtig: Das WTO-Verfahren gegen
üdkorea wird voraussichtlich nicht vor dem Sommer
ächsten Jahres abgeschlossen sein; die befristeten Wett-
ewerbsbeihilfen laufen aber zum 31. März 2004 aus.
ier ist die Bundesregierung dringend gefordert, sich
echtzeitig in Brüssel für eine ausreichende Verlänge-
ung einzusetzen.
Einige unserer europäischen Nachbarn handhaben die
rise im Schiffbau um einiges klüger als wir Deutschen.
o ist es schon erstaunlich, welch großes Auftragsvolu-
en im Bereich des französischen und italienischen
riegsschiffbaus geplant ist. Da könnten wir uns einiges
bschauen – zumal der Einsatz am Horn von Afrika ge-
eigt hat, wie dringend die Bundesmarine neues techni-
ches Gerät benötigt. Doch anstatt wenigstens das Inves-
itionsniveau zu halten, soll es nach 2004 drastisch
urückgefahren werden. Deswegen ist der Hinweis im
ntrag von Rot-Grün auf einen besseren Marinewerft-
erbund auch ein Stück Augenwischerei. Wir brauchen
or allem stabile und sicherheitspolitisch sinnvolle Auf-
räge für die deutschen Marinewerften. Eine Reduzie-
ung der Investitionen in diesem Bereich um mehr als
in Drittel, wie ihn die Bundesregierung ab 2005 vor-
ieht, ist eine Katastrophe für den maritimen Standort
eutschland und wird zum Verlust von Spitzentechnolo-
ie führen.
63. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 25. September 2003
Inhalt:
Redetext
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8