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    Plenarprotokoll 15/32 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht (31. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkte 5 Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . bis 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2530 D 2534 B 2536 C 2540 C 2542 A 2543 D 2547 B 2547 B 2549 C 2550 D 32. Sit Berlin, Freitag, de I n h a Tagesordnungspunkt 13: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler: Mut zum Frieden und zur Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 2479 A 2479 B 2493 B 2505 A 2511 C 2515 C 2520 D 2528 C zung n 14. März 2003 l t : Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – GATS-Verhandlungen – Bildung als öffentliches Gut und kulturelle Vielfalt sichern – GATS-Verhandlungen – Transparenz und Flexibilität sichern 2545 C 2547 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2479 (A) (C) (B) (D) 32. Sit Berlin, Freitag, de Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2547 (A) (C) (B) (D) Randinformationen hinaus durchsetzen. Wir glauben, dass die veränderte Form internationaler Rechtssetzung einmal, ob dies nicht der bessere Weg wäre. Dann wä- ren wir in der Lage, gemeinsame generelle Regeln zu wollen die Beteiligungsrechte des Parlaments über Herren von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen noch Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – GATS-Verhandlungen – Bildung als öffent- liches Gut und kulturelle Vielfalt sichern – GATS-Verhandlungen – Transparenz und Flexibilität sichern (31. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkte 5 bis 7) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Ich spreche zum Koali- tionsantrag GATS-Verhandlungen – Transparenz und Flexibilität. Mir liegt als erstes daran, zu sagen, dass wir einen bestimmten Grundtenor des Antrages teilen. Wir Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 14.03.2003 Austermann, Dietrich CDU/CSU 14.03.2003 Breuer, Paul CDU/CSU 14.03.2003 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.03.2003 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 14.03.2003 Hartnagel, Anke SPD 14.03.2003 Laurischk, Sibylle FDP 14.03.2003 Lehn, Waltraud SPD 14.03.2003 Möllemann, Jürgen W. fraktionslos 14.03.2003 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 14.03.2003 Rühe, Volker CDU/CSU 14.03.2003 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 14.03.2003 Schmidt (Salzgitter), Wilhelm SPD 14.03.2003 Schneider, Carsten SPD 14.03.2003 Seib, Marion CDU/CSU 14.03.2003 Volquartz, Angelika CDU/CSU 14.03.2003 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 14.03.2003 Wieczorek (Böhlen), Jürgen SPD 14.03.2003 Anlagen zum Stenografischen Bericht über multilaterale Verhandlungen dringend einer stärke- ren Beteiligung des Parlaments bedarf, wenn der Prozess der Globalisierung Akzeptanz in den Augen der Bevöl- kerung finden soll. Es gibt einen Anspruch der interessierten Öffentlich- keit auf frühzeitige Information, auf voraussehbare Dis- kussions- und Beteiligungsformen. Es gibt einen An- spruch des Parlaments als Gesetzgeber in einer Welt, in der immer mehr Regeln und Festsetzungen über supra- nationale und multilaterale Verhandlungen herbeigeführt werden. Soweit der Antrag von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen dieses Ziel verfolgt, unterstützen wir ihn. Anlass und Art des Vorgehens der Koalition scheinen mir aber sehr fragwürdig zu sein, um nicht zu sagen, falsch: Es ist ein purer Zufall, dass anlässlich der Ab- gabe der Verhandlungsangebote zu den GATS-Verhand- lungen durch die Europäische Kommission dieser An- trag gestellt wird. Es ist auch zufällig, dass gerade die GATS-Verhandlungen den Anlass für diese Diskussion und für den Antrag bieten, weil interessierte Abgeord- nete sich gerade diesen Teil der EU-Angebote ausge- sucht haben. Wir haben uns nicht mit gleicher Intensität um andere Offers bzw. um andere Teile der Verhandlun- gen in den Verhandlungsgruppen der WTO gekümmert. Im Prinzip habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn die Koalition ein Exempel gegen die eigene Regierung statuieren will, um ihr einmal zu zeigen, wie sie sich nach der Auffassung der Koalition eigentlich verhalten sollte. Ich gehöre zu denen, die seit Jahren sagen, dass wir andere Formen der vorbereitenden Beteiligung des Parlaments brauchen, und bin auch schon lange der Auffassung, dass die Regierung von sich aus nicht nur eine Information, sondern eine Beteiligung des Parlaments herbeiführen soll. Wenn wir die Situation verändern wollen, dann muss allerdings das ganze Parlament darauf dringen, dass es fest geregelte, formalisierte Beteiligungsformen gibt, die bisher nicht existieren und deshalb entwickelt werden müssen. Die Vorbereitung von Verhandlungspositionen wie auch wesentliche Schritte der Verhandlungen selbst müs- sen transparent sein. Auch insofern folge ich der Inten- tion des Antrages. Ich glaube, dass der Deutsche Bun- destag durch sein beharrliches Drängen auf frühzeitige Information und Öffentlichkeit bereits dazu beigetragen hat, dass ein großes Maß der früheren Geheimniskräme- rei aufgehört hat. Jetzt geht es darum, dass über die Kenntnisnahme der Positionen auch die Abwägung, die politische Diskussion und die Abschätzung der Folgen in eine geordnete Bahn gelenkt werden und ein Prozess im Bundestag vereinbart wird, der die Beteiligung des Par- laments regelt. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es sicher sinn- voll, wenn die Koalition ihren Antrag zurückziehen würde. Vielleicht überlegen Sie, meine Damen und 2548 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 (A) (C) (B) (D) entwickeln, in welcher Form die Bundesregierung in Zukunft die zuständigen Ausschüsse des Bundestages bei welcher Gelegenheit und in welchem Umfang und zu welcher Zeit befassen muss, um eine tatsächliche Beteiligung des Parlaments zu gewährleisten. Es darf in Zukunft nicht dem zufälligen Engagement einiger Abgeordneter und dem guten Willen des Ministe- riums überlassen bleiben, ob es eine Parlamentsbeteili- gung gibt oder nicht. Zum Antrag selbst stelle ich fest, dass man ihm sehr deutlich anmerkt, dass er mit der heißen Nadel gestrickt ist. Er ist an einigen Stellen sehr oberflächlich. Er enthält formulierte Befürchtungen, die nach Kenntnis der Unter- lagen nicht haltbar sind. Einige Fragen des Antrages sind nur aufrechtzuerhalten, wenn man beharrlich nicht zur Kenntnis nimmt wie das GATS konstruiert ist. Damit kein Irrtum aufkommt: Der Bundestag hat die Pflicht zur Abschätzung der Folgen von zu erwartenden internatio- nalen Vereinbarungen. Unklarheiten müssen aufgeklärt werden. Deshalb ist die vom Wirtschaftsausschuss be- schlossene Anhörung insbesondere zu Mode 4 des GATS-Angebotes wichtig und sinnvoll. Nach unserer Auffassung muss man dazu aber das Verfahren zwischen Berlin, Brüssel und Genf nicht an- halten. Der Parlamentsvorbehalt ist deshalb eine über- triebene Reaktion, die auch nur zufällig an dieser Frage aufgehängt wird. Wir wissen, dass alle jetzt entwickelten Verhandlungsangebote veränderbar sind, dass uns nichts daran hindert, auch im weiteren Verlauf noch Grenzen einzuziehen, insbesondere dann, wenn es uns gelingt, das Netzwerk der nationalen Parlamente in Europa wei- ter zu verstärken. Manches aus dem Antrag muss man auch gar nicht verstehen. Heute Morgen wurde in der Debatte zum Zu- wanderungsgesetz noch für die dort vorgesehene Aufhe- bung des Anwerbungsstopps geworben. Heute Abend gibt es große Befürchtungen bei offensichtlich sehr ge- ringen Öffnungen, die die Bundesregierung nach ihren eigenen Aussagen auch noch von Arbeitsmarktprüfun- gen abhängig machen will. Eines muss man jedoch anerkennen: Die EU-Ange- bote sind im Vergleich zu dem, was wir von anderen Ländern fordern, eher bescheiden und lösen bei Ent- wicklungsländern keinerlei Jubel aus. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass man auf Dauer nicht erwarten kann, dass andere ihre Märkte für uns öffnen, wir selbst aber in Restriktionen und Abschottung erstar- ren. Sie schreiben, meine Damen und Herren von der Koalition, mit Recht in Ihrem Antrag, dass der Teil des Dienstleistungshandels noch weit hinter dem Dienstleis- tungsanteil an der Wertschöpfung Deutschlands zurück- steht. Gerade das GATS bietet deshalb große Möglich- keiten für deutsche Dienstleistungserbringer auf anderen Märkten. Dazu gehört natürlich auch das Signal, dass dieser Prozess keine Einbahnstraße ist und wir wissen aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass nur dann auf Dauer eine hohe Leistungskraft in bestimmten Bran- chen erreicht werden kann, wenn sie auch tatsächlich dem Wettbewerb ausgesetzt ist. Dann erwecken Sie in Ih- rem Antrag erneut den Eindruck, es gebe einen Zwang zur Liberalisierung hoheitlich erbrachter Dienstleistun- gen, was nach dem Angebot der EU-Kommission in kei- ner Weise zu erwarten ist. Gerade das GATS ermöglicht es wie kein anderes Abkommen der WTO, die nationa- len Sonderheiten auch national zu regeln. Wieviel GATS jedes Land will, entscheidet es im Prinzip selbst. In dem Antrag heißt es unter III., die EU-Kommission müsse die Zeitabläufe der nationalen Parlamente stärker be- rücksichtigen und auf Vertraulichkeit verzichten. Dem stimmen wir im Prinzip zu; allerdings muss umgekehrt auch gesagt werden, dass die nationalen Parlamente die Zeitabläufe der multilateralen Verhandlungen berück- sichtigen müssen und dass wir selbst schneller werden müssen, wenn wir unsere Beteiligungsrechte wahrneh- men wollen. Im Übrigen habe ich mich darüber gefreut, dass die Bundesregierung sich der Forderung nach schnellerer Öffentlichkeit der Verhandlungsgrundlagen angeschlos- sen hat und dass Herr Lamy bei seinem Gespräch mit Mitgliedern des Bundestages auch erklärt hat, dass nach der Zustimmung des Rates die EU-Position ins Internet eingestellt würde. Im Punkt 2 des Kapitels 3 fordern Sie, die betroffenen Fachausschüsse des Deutschen Bundestages müssten frühzeitig, regelmäßig, umfassend und detailliert über den Fortgang der GATS-Verhandlungen informiert wer- den. Das scheint mir nach allem, was wir in der Vergan- genheit erfahren haben, zu wenig zu sein. Man kann der Bundesregierung nicht nachsagen, dass sie ihre, vor al- len Dingen informellen Informationen gegenüber inter- essierten Abgeordneten nicht verbessert haben. Jetzt geht es darum zu überlegen, in welcher Form ein stan- dardisiertes und formalisiertes Beteiligungsverfahren or- ganisiert werden kann. Unter III Punkt 5 formuliert die Koalition einen Par- lamentsvorbehalt; dieser Position können wir uns nicht anschließen. Wir sind vielmehr der Meinung, dass wir damit unserem Land und dem Fortgang des Verhand- lungsprozesses einen schlechten Dienst erweisen wür- den. Wie allen bekannt ist, gibt es ohnehin eine Reihe von Zeitüberschreitungen im Verhandlungsprozess. Wir sollten nicht dazu beitragen, dass das Verfahren noch weiter verzögert und erschwert wird. So kann man im Übrigen nur vorgehen, wenn man nicht erkannt hat, dass im Zusammenhang mit den GATS-Verhandlungen es auch um die Durchsetzung von nationalen Interessen und um die Gefährdung eigener Vorteile geht. Diese Position können wir umso leichter einnehmen, als mittlerweile ja bekannt geworden ist, dass zu sensib- len Bereichen die Bundesregierung bereits einen aus- drücklichen Prüfvorbehalt eingelegt hat, sodass auch nachträgliche Korrekturen noch möglich sind. Ebenso scheint ja der Vorschlag auf eine Konditionierung durch eine „wirtschaftliche Bedarfsprüfung“ bei Sektoren mit erkennbaren Arbeitsmarktproblemen ein Weg zu sein, der vorhandene Bedenken bereits berücksichtigt. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Bundes- regierung, auch im Gespräch mit fachkundigen Instituten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2549 (A) (C) (B) (D) und Verbänden, die Zweifelsfälle weiter klären soll, die auch Gegenstand der Anhörung sein werden, sodass man sagen kann, dass die Diskussion bereits Ergebnisse ge- zeitigt hat. Was ich überhaupt nicht verstehe und was offensicht- lich nur so zu erklären ist, dass in der SPD-Fraktion jede Arbeitsgruppe wieder ihr Steckenpferd geritten hat, ohne allzu viele Kenntnisse über die Zusammenhänge zu ha- ben, dass auch im Zusammenhang mit GATS nun alle Themen, die in der WTO überhaupt eine Rolle spielen, auf die GATS-Verhandlungen draufgesattelt werden sol- len. Ich glaube, dass wir die Themen, die zusätzlich an- gesprochen sind, wie Umwelt und Sozialstandards dort behandeln sollten, wo sie hingehören, nämlich in den je- weils dafür vorgesehenen Vertragsverhandlungen. Man kann nicht alle Themen an einer Stelle bearbeiten. In ihrem Antrag ist unter Ziffer 5 dann eine Frage an- gesprochen, ob „geltende nationale und EU-weite Anfor- derungen und Regelungen fortbestehen“, wobei explizit auch die Frage von Tarifverträgen und Mindestlöhnen einbezogen sein soll. Ich weiß wirklich nicht, warum man einen Prüfauftrag vergeben soll für etwas, was aus dem Text des Verhandlungsangebots der EU so unmiss- verständlich hervorgeht wie nur irgend möglich. Und im Übrigen haben sowohl die Bundesregierung als auch der Handelskommissar Lamy das immer wieder geklärt. Ich habe den Eindruck, dass Sie ihrer eigenen Regierung mittlerweile überhaupt nichts mehr glauben. Weiterhin Klärungsbedarf sehe ich bei den so genann- ten „independent professionals“. In diesem Bereich gibt es sehr viel Misstrauen auch von außerhalb des Parla- ments und ich glaube, dass tatsächlich Definitionen ge- funden werden müssen, die frühzeitig klären, was sich dahinter verbirgt. Es hat keinen Sinn, Bereiche zu ver- handeln, derer Umfang im eigenen Verständnis nicht klar ist. Verwundert hat mich, dass in Ihrem Antrag erneut Sorgen zum Ausdruck kommen über eine Öffnung der Dienstleistungsmärkte für verschiedene Bereiche aus der öffentlichen Daseinsfürsorge. Das verwundert deshalb, weil Sie wissen, dass die Europäische Union dazu über- haupt keine Angebote gemacht hat und auch nicht beab- sichtigt zu machen. Übereinstimmen kann ich mit Ihrem Antrag wieder in der Forderung nach einer klaren Defi- nition der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das würde si- cher auch in Zukunft Interpretationsschwierigkeiten ver- meiden. Wenn Sie unter Punkt 6 formulieren, dass Flexibili- tät und Transparenz erhöht werden sollen, und dann die Forderung erheben, „dies betrifft zum einen die souveräne Entscheidung der WTO-Mitglieder, welche Sektoren sie in welchem Ausmaß für ausländische An- bieter öffnen wollen, zum anderen, welche Sektoren sie von den GATS-Verpflichtungen ausnehmen wol- len“, so würde ein solche Formulierung auf uns selbst zurückfallen und Arbeitsplätze kosten. Bei all dem, was letztendlich vereinbart wird und was nicht ohne- hin in der freien Entscheidung der Nationalstaaten steht, muss das Recht auf Gegenseitigkeit gelten, sonst machen Abkommen keinen Sinn. Insgesamt sind wir der Meinung, dass der Antrag in keiner Weise geeignet ist, um die eigentlich bestehenden Probleme sachgerecht anzusprechen, und deshalb stim- men wir ihm nicht zu. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass eine funktionierende Dienstleistungswirtschaft, bei- spielsweise in Sektoren wie der Finanzwirtschaft, der Te- lekommunikation oder dem Verkehr weltweit von Bedeu- tung ist und als eine entscheidende Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung gelten kann, wird heute sel- ten bestritten. Seit jetzt mehr als zehn Jahren entwickelt sich gerade der Dienstleistungssektor als dynamischster Bereich der Weltwirtschaft. Fast ein Fünftel des gesamten Welthandels mit Gütern und Dienstleistungen entfällt auf den Bereich der Dienstleistungen. Schätzungen gehen da- von aus, dass im Jahr 2020 der Anteil der Dienstleistun- gen am grenzüberschreitenden Handel 50 Prozent ausma- chen wird. Bereits heute entfallen mehr als die Hälfte der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen auf den Dienstleistungssektor. Also gewinnt dieses Thema ge- rade auch für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie die unsere an Bedeutung. Die EU ist sowohl der größte Importeur als auch der größte Exporteur von Dienstleis- tungen weltweit. Schon daraus lässt sich ablesen, welche Bedeutung die Dienstleistungswirtschaft für die gesamte Wirtschaftsentwicklung der Mitgliedstaaten hat. Dies gilt mithin auch für Deutschland. So liegt beispielsweise auf der Hand, dass der Markt für Umweltdienstleistungen in allen Weltregionen in den kommenden Jahren massiv wachsen wird. Hieraus ergeben sich erhebliche Poten- ziale für deutsche Unternehmen. Andererseits erstreckt sich das Dienstleistungsabkom- men potenziell auch auf Sektoren, die als äußerst sensi- bel anzusehen sind, beispielsweise den Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen, der Bildung, der Was- serversorgung oder der Gesundheitsdienstleistungen, also auch auf so genannte hoheitliche Aufgaben. Die GATS-Verhandlungen sind ein Teil der laufenden Welthandelsrunde. Sie sollen also gemeinsam mit der so genannten „Entwicklungsagenda“ (Doha Development Agenda), den Agrarverhandlungen, über die wir heute ebenfalls im Bundestag diskutieren, und der Präzisierung des Abkommens zum Schutz des geistigen Eigentums zu einem ausgewogeneren internationalen Handelssystems führen. Aktuell ist unsere Debatte über die GATS-Verhand- lungen, da die Europäische Kommission derzeit ihr Ver- handlungsangebot im Rahmen der Welthandelsrunde der Welthandelsorganisation WTO für das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS-Abkommen) vorbereitet. Dazu sind die Mitglied- staaten aufgefordert, bis zum Ende dieses Monats den Entwurf des Kommissionsvorschlags zu bewerten und in die Welthandelsorganisation einzubringen. Sollen die Schulen von McDonald’s übernommen werden, die Krankenhäuser von Red Bull?, so Verdi und Attac in einem gemeinsamen Flugblatt über die GATS- Verhandlungen. Unbewusst oder bewusst werden damit 2550 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 (A) (C) (B) (D) Ängste geschürt gegen die Globalisierung und Liberali- sierung. Ich halte das nicht für verantwortungsbewusst. Über Bildung, Gesundheit, Kultur und Warenversorgung, das hat die EU mit ihrem Verhandlungsangebot klar ge- macht, wird gar nicht verhandelt. Und niemand – so sind die Verhandlungsstrukturen – kann die EU dazu zwin- gen. Für die grüne Fraktion möchte ich erklären, dass wir es außerordentlich begrüßen, dass die Europäische Union in ihrer Verhandlungsposition die Bereiche Bil- dung, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen sowie Gesundheitsdienstleistungen von den Liberalisierungs- verhandlungen ausgenommen hat. Gerade hier hat es in der Öffentlichkeit Einwände und Befürchtungen gege- ben, die sich im Lichte des EU-Angebots nicht bestäti- gen werden. Wir erwarten, dass in diesen Bereichen auch durch die Dynamik der Verhandlungen, an deren Anfang wir ja erst stehen, von der Kommission keine weiteren Angebote gemacht werden. Also: Lasst uns sachlich über die tatsächlichen Verhandlungspunkte zum Beispiel Modus 4 und die Auswirkungen auf die freien Berufe wie zum Beispiel Architekten sprechen und da- bei nicht nur die Gefahren, sondern auch die Chancen sehen. Dass die Diskussion über das GATS-Abkommen in der Öffentlichkeit erhebliche Sorgen und Befürchtungen ausgelöst hat, ist aber zu einem erheblichen Teil auf ein zentrales hausgemachtes Problem der Europäischen Kommission und der WTO-Verhandlungen insgesamt zurückzuführen: Und das besteht in mangelnder Trans- parenz. Ein zentrales Motiv des Koalitionsantrages ist es also, die Transparenz der laufenden Verhandlungen zu erhö- hen. Eine transparente, partizipatorische Beteiligung al- ler WTO-Staaten, der demokratisch legitimierten Parla- mente und der Zivilgesellschaft ist die Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen. Gerade die Parlamente können ein wichtiges Scharnier zwischen Zivilgesellschaft und Verhandlungen bilden. Was bei anderen internationalen Verhandlungen gang und gäbe ist – die Veröffentlichung zentraler Dokumente im Internet –, muss auch bei diesen Verhandlungen gel- ten. Daher fordere ich ganz ausdrücklich, die relevanten Forderungen und Angebote entsprechend zu veröffent- lichen. In den bisherigen Parlamentsberatungen wurde mit Recht beklagt, dass die Zeit nicht ausreicht, sich intensiv mit den Auswirkungen des GATS-Abkommens zu befas- sen. Wir Grünen sprechen uns dafür aus, dies in allen re- levanten Ausschüssen zu tun. Der Wirtschaftsausschuss wird zu diesem Zweck Anfang April eine Anhörung zum Thema durchführen. So gibt es beispielsweise im Bereich der grenzüber- schreitenden, zeitlich begrenzten Dienstleistungen durch Personen (so genannter Modus 4) eine Reihe von offe- nen Fragen, die wir im Parlament mit Vertretern von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen beraten müssen. Nicht zuletzt deshalb halte ich es für richtig, vor einem abschließenden, bindenden Votum dem Parlament die Möglichkeit zu geben, seine geplanten Anhörungen durchzuführen und die parlamentarische Willensbildung zügig fortzusetzen. Entwicklungsländer drängen auf die Ausweitung der Liberalisierungsverpflichtungen für den grenzüberschrei- tenden Verkehr natürlicher Personen zur Erbringung von Dienstleistungen. Obwohl mir bekannt ist, dass es sich hier teils um sensible Fragen handelt, sollte sich die EU als einer der Hauptexporteure und -importeure von Dienst- leistungen gegenüber den Anliegen aus Entwicklungslän- dern aufgeschlossen zeigen. Generell gilt, dass wir vor der Übernahme von Ver- pflichtungen im Rahmen des GATS-Abkommens poli- tisch und gesellschaftlich transparent über die Folgen auf die einzelnen Dienstleistungssektoren debattieren müs- sen. Dabei sollte das Tempo der Verhandlungen nicht zu- lasten der Gründlichkeit gehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele Entwicklungsländer von der Vielzahl der Verhandlungen überfordert sind. Aber auch die gesell- schaftliche Debatte in den Industrieländern braucht mehr Zeit. An dieser Stelle ist mir wichtig, einige Grundanliegen bezogen auf die GATS-Verhandlungen aufzugreifen. Die EU sollte selbstverständlich keine Verpflichtungen ein- gehen, die geltendes EU-Recht unterlaufen oder die Ver- einbarung hoher Standards und Normen innerhalb der EU erschweren würde. Die Flexibilität des GATS-Ab- kommens sollte erhalten bleiben. Dies betrifft vor allem die souveräne Entscheidung von Staaten über das Aus- maß der Liberalisierung und das Recht, einzelne Sekto- ren von den GATS-Verpflichtungen auszunehmen. Nicht nur die Industrieländer, sondern auch gerade Ent- wicklungsländer sollten bei der Erbringung von Dienstleis- tungen in ihrem Hoheitsgebiet, Dienstleistungssektoren im Einklang mit den nationalen politischen Zielsetzungen regulieren können. Grünes Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Verhandlungsergebnisse auch zur wirtschaftli- chen und sozialen Entwicklung in Entwicklungsländern beitragen. Das GATS-Abkommen ist ein äußerst komplexes Ab- kommen, dessen Nuancen und Fallstricke sich nicht im- mer direkt erschließen. Wir sollten als Parlamentarier mit Selbstbewusstsein die Zeit einfordern, die eine ange- messene Befassung mit dem Thema erfordert, denn wir sind diejenigen, die die Verhandlungsergebnisse in die- sem Hause ratifizieren müssen. Gerade bei komplexen internationalen Verhandlungen hat das Parlament auch die Aufgabe der „Übersetzung“ bzw. Vermittlung neuer internationaler Vereinbarungen und Verträge in die Gesellschaft. Dem gerecht zu wer- den, auch das zeigen die GATS-Verhandlungen, ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2551 (A) (C) (B) (D) der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2002 bis 2006 – Drucksachen 14/9751, 15/345 Nr. 46 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand und die voraussichtliche Ent- wicklung der Finanzwirtschaft des Bundes – Drucksachen 15/151, 15/402 – Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschreibung des Rheumaberichtes der Bundesregie- rung – Drucksachen 13/8434, 15/345 Nr. 66 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Radverkehrsplan 2002 bis 2012 „FahrRad“ – Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs in Deutschland – Drucksachen 14/9504, 15/345 Nr. 70 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht 2002 der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit – Drucksache 14/9950 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2002 – Drucksachen 14/8950, 15/345 Nr. 74 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Eu- ropäischen Parlaments 2002 – Drucksachen 15/340, 15/389 Nr. 1.3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 15/173 Nr. 1.9 Drucksache 15/173 Nr.1.10 Finanzausschuss Drucksache 15/339 Nr. 2.11 Drucksache 15/339 Nr. 2.12 Drucksache 15/339 Nr. 3.1 Haushaltsausschuss Drucksache 15/392 Nr. 2.45 Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/103 Nr. 2.28 Drucksache 15/173 Nr. 1.3 Drucksache 15/173 Nr. 1.8 Drucksache 15/173 Nr. 1.15 Drucksache 15/173 Nr. 2.5 Drucksache 15/173 Nr. 2.6 Drucksache 15/173 Nr. 2.9 Drucksache 15/173 Nr. 2.10 Drucksache 15/173 Nr. 2.13 Drucksache 15/173 Nr. 2.14 Drucksache 15/173 Nr. 2.17 Drucksache 15/173 Nr. 2.18 Drucksache 15/173 Nr. 2.19 Drucksache 15/173 Nr. 2.21 Drucksache 15/173 Nr. 2.22 Drucksache 15/173 Nr. 2.23 Drucksache 15/173 Nr. 2.29 Drucksache 15/173 Nr. 2.30 Drucksache 15/173 Nr. 2.32 Drucksache 15/173 Nr. 2.35 Drucksache 15/173 Nr. 2.36 Drucksache 15/173 Nr. 2.37 Drucksache 15/173 Nr. 2.40 Drucksache 15/173 Nr. 2.42 Drucksache 15/173 Nr. 2.43 Drucksache 15/173 Nr. 2.47 Drucksache 15/173 Nr. 2.62 Drucksache 15/173 Nr. 2.67 Drucksache 15/173 Nr. 2.71 Drucksache 15/173 Nr. 2.76 Drucksache 15/173 Nr. 2.82 Drucksache 15/173 Nr. 2.83 Drucksache 15/173 Nr. 2.88 Drucksache 15/173 Nr. 2.90 Drucksache 15/268 Nr. 2.25 Drucksache 15/268 Nr. 2.27 Drucksache 15/268 Nr. 2.28 Drucksache 15/268 Nr. 2.31 Drucksache 15/268 Nr. 2.36 Drucksache 15/268 Nr. 2.42 Drucksache 15/268 Nr. 2.43 Drucksache 15/268 Nr. 2.44 Drucksache 15/268 Nr. 2.45 Drucksache 15/268 Nr. 2.46 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 15/103 Nr. 2.69 Drucksache 15/103 Nr. 2.111 Drucksache 15/103 Nr. 2.112 Drucksache 15/268 Nr. 2.4 Drucksache 15/268 Nr. 2.8 Drucksache 15/268 Nr. 2.9 Drucksache 15/268 Nr. 2.11 Drucksache 15/268 Nr. 2.13 Drucksache 15/268 Nr. 2.14 Drucksache 15/268 Nr. 2.15 Drucksache 15/268 Nr. 2.16 Drucksache 15/268 Nr. 2.18 Drucksache 15/268 Nr. 2.30 Drucksache 15/339 Nr. 2.30 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 15/103 Nr. 2.7 Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Drucksache 15/103 Nr. 2.5 Drucksache 15/103 Nr. 2.66 2552 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 (A) (C) (B) (D) Drucksache 15/173 Nr. 2.33 Drucksache 15/173 Nr. 2.53 Drucksache 15/268 Nr. 2.3 Drucksache 15/345 Nr. 67 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 15/392 Nr. 2.61 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 15/103 Nr. 1.9 Drucksache 15/173 Nr. 2.78 Drucksache 15/173 Nr. 2.80 Drucksache 15/173 Nr. 2.81 Drucksache 15/173 Nr. 2.87 Drucksache 15/268 Nr. 2.22 Drucksache 15/268 Nr. 2.34 Drucksache 15/268 Nr. 2.39 Drucksache 15/268 Nr. 2.47 Drucksache 15/339 Nr. 2.9 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 15/345 Nr. 73 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 15/339 Nr. 2.25 Drucksache 15/339 Nr. 2.35 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 15/345 Nr. 78 Drucksache 15/345 Nr. 79 Drucksache 15/345 Nr. 80 Drucksache 15/345 Nr. 81 Drucksache 15/345 Nr. 82 Drucksache 15/392 Nr. 1.3 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 15/173 Nr. 1.14 nd 91, 1 22 32. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. März 2003 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Franz Müntefering


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)



    Bis zum Sommer werden wir drei große Komplexe in
    Gesetzesform zusammenbinden: das Gesundheitswesen,
    die Gemeindefinanzreform einschließlich Arbeitshilfe
    und Sozialhilfe und den großen Komplex Mittelstand,
    Wachstum, Handwerksordnung, Arbeitsmarkt, Arbeits-
    recht. Wenn die Koalition die Eckpunkte hierfür fertig
    hat, werden wir die Opposition einladen, gemeinsam mit
    uns im Deutschen Bundestag diese Gesetze zu beraten
    und zu verabschieden.

    Es wäre nicht schlecht für die politische und demo-
    kratische Kultur in unserem Land, wenn wir uns nicht
    auf die scheinbare Selbstverständlichkeit einließen, dass
    sich in der ersten Lesung die Koalition und die Opposi-
    tion gegenüberstehen und dass das Vorhaben dann in den
    Bundesrat kommt, wo es sozusagen im Rat der Weisen
    beraten und letztlich im Vermittlungsausschuss entschie-
    den wird. Es wäre weiß Gott nicht schlecht für dieses
    Parlament, wenn wir nach der ersten Lesung, in der sich
    unsere Meinung und die der Opposition gegenüberste-
    hen, den Mut und die Entschlossenheit aufbringen wür-
    den, in den Sitzungen der Ausschüsse und auch in Ge-
    sprächen dafür zu sorgen, dass wir in der zweiten und
    dritten Lesung zu gemeinsamen Entscheidungen kom-
    men können. – Herr Seehofer nickt. Lassen Sie uns das
    also einmal versuchen!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    Ich will Ihnen auch noch einen Tipp geben, Frau
    Merkel. Ich kann Frau Merkel gerade nicht entdecken.


    (Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU] meldet sich)


    – Entschuldigung. – Alle Gesetze, die wir im Bundestag
    gemeinsam zustande bringen, bedeuten: Vorteil Merkel.


    (Heiterkeit bei der SPD)


    Alles, was wir im Bundesrat bzw. im Vermittlungsaus-
    schuss erreichen, bedeutet: Vorteil Stoiber. Das ist doch
    auch ein schönes Argument. Denken Sie deshalb einmal
    darüber nach, wie Sie damit umgehen wollen!


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, Frau Merkel hat es bereits
    angesprochen: Die deutsche Sozialdemokratie wird in
    wenigen Wochen, am 23. Mai, 140 Jahre alt. Was die
    Frage der Werte angeht, brauchen wir keine Ratschläge.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Als die Sozialdemokraten seinerzeit zusammentraten,
    hat der spätere Präsident des Allgemeinen Deutschen
    Arbeitervereins, Lassalle, ein Schreiben an die Konfe-
    renz gerichtet, die nach seinen Beweggründen gefragt
    hatte. Damals gab es in Deutschland nur die Arbeiterbil-
    dungsvereine. – Sie, meine Damen und Herren von der
    Opposition, gab es noch gar nicht. –


    (Heiterkeit bei der SPD)


    Daraufhin hat Lassalle gewissermaßen das erste Pro-
    gramm meiner Partei verfasst. Damals waren die Pro-
    gramme noch kürzer. Ich habe sie immer gerne gelesen.


    (Heiterkeit bei der SPD)


    Er hat zwei Grundwerte formuliert: Wenn du willst,
    dass es besser wird, dann mach dich auf den Weg und
    warte nicht ab, dass irgendjemand kommt, der das für
    dich tut.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der zweite lautet: Wenn du willst, dass es besser wird,
    dann musst du wissen: Allein schaffst du das nicht. Du
    brauchst Leute, mit denen zusammen du das tust.


    (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Für diese Erkenntnis habt ihr vier Jahre gebraucht!)


    Er hat damals gesagt: Geh in einen Verein! Wir würden
    heute sagen: Mach in einer der demokratischen Parteien
    mit! Am besten in unserer; das ist klar.

    Das sind die Grundwerte, an denen wir uns orientie-
    ren, Frau Merkel. Es geht darum, sich nicht mit den Ge-
    gebenheiten abzufinden. Es geht nicht darum, zu glau-
    ben, dass das Paradies auf Erden oder die Schaffung
    eines neuen Menschen möglich sind. Es waren immer
    linke oder rechte Fundamentalisten, die das geglaubt ha-
    ben. Die Sozialdemokraten waren dagegen immer Refor-
    mer, die gewusst haben: Wenn wir zwei Schritte nach
    vorn gehen, gehen wir einen oder manchmal sogar zwei
    Schritte zurück. Aber wir lassen uns dabei nicht in die
    Knie zwingen.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich versichere Ihnen: Wir werden auch das schaffen.
    Wir werden Deutschland und der internationalen Gesell-
    schaft zeigen, dass wir auf internationaler Ebene wie
    auch in Deutschland diejenigen sind, die besser als alle
    anderen politischen Gruppen in diesem Land in dieser
    Koalition mit den Grünen garantieren können, dass in
    Deutschland Wohlstand und soziale Gerechtigkeit dauer-
    haft gewährleistet bleiben.

    Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


    (Langanhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bundeskanzler Gerhard Schröder überreicht dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering einen Blumenstrauß – Bundesminister Otto Schily gratuliert dem Fraktionsvorsitzenden)




Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für die FDP erhält jetzt der Abgeordnete Guido
Westerwelle das Wort.


(Beifall bei der FDP)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Guido Westerwelle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)



    Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
    Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
    Kollege Müntefering, ich möchte mich jetzt nicht über
    die bei Ihnen und bei mir neu entdeckte Leidenschaft für
    Handtaschen unterhalten. Aber das, was gerade stattge-
    funden hat, nämlich dass der Bundeskanzler Ihnen, Herr
    Kollege Müntefering, hier einen Blumenstrauß über-
    reicht hat, ist bemerkenswert.


    (Franz Müntefering [SPD]: Da ist leider ein bisschen viel Gelb darin, Herr Westerwelle!)


    – Um das klar zu sagen: Blumen können gar nicht genug
    Gelb haben. – Das ist, in allem Ernst, deshalb besonders
    bemerkenswert, Herr Kollege Müntefering, weil Sie
    während und besonders am Schluss Ihrer Rede genau
    das zum Ausdruck gebracht haben, was wir als Opposi-
    tion an Ihnen kritisieren. Für Sie ist zum Beispiel soziale
    Gerechtigkeit ausschließlich eine Kategorie des Staates.
    Wir setzen dagegen auf die Bürgergesellschaft. Das ist
    der große Unterschied.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Es ist auch bemerkenswert, wie Sie am Schluss Ihrer
    Rede die große Tradition der Sozialdemokraten – nie-
    mand würde ihnen diese absprechen – beschworen ha-
    ben. Sie haben im Grunde genommen darauf verwiesen,
    was vor 140 Jahren wie besprochen wurde. Vor dem
    Hintergrund dieses Weltbilds des 19. Jahrhunderts den-
    ken und handeln Sie heute noch immer. Das ist das Pro-
    blem der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Guido Westerwelle
    Sie haben vor etwa drei Monaten gegenüber dem „Ta-
    gesspiegel“ wörtlich gesagt – das ist, auf drei Sätze ge-
    bracht, die Geisteshaltung der Sozialdemokraten in die-
    sem Haus –:

    Dennoch, was wir machen, ist richtig. Weniger für
    den privaten Konsum und dem Staat Geld geben,
    damit Bund, Länder und Gemeinden ihre Aufgaben
    erfüllen können. Dazu muss man sich auch beken-
    nen.

    Herr Bundeskanzler, genau dazu – mehr für den Staat,
    weniger für die Bürger – haben Sie sich mit Ihrem Kon-
    junkturprogramm bekannt. Wir sind der Meinung, dass
    es umgekehrt besser ist, und sagen deshalb: Gebt den
    Bürgern mehr Freiheit, mehr Mittel und mehr Möglich-
    keiten, dann geht es auch dem Staat besser! Das ist der
    fundamentale Unterschied zwischen Regierung und Op-
    position.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Die heutige Regierungserklärung des Bundeskanz-
    lers, vor allem die Schlusspointe, hat durchaus einen be-
    merkenswerten Sinn für Humor offenbart. Am Schluss
    seiner Rede hat der Bundeskanzler wörtlich gesagt:

    Aber ich bin entschlossen, nicht mehr zuzulassen,
    dass Probleme auf die lange Bank geschoben wer-
    den.

    Das fällt einem Bundeskanzler ein, der am heutigen Tag
    1 600 Tage im Amt ist! Genau das ist das Problem: Die
    Reden des Bundeskanzlers bewirken nichts. Sie müssen
    handeln und endlich Ihren Worten Taten folgen lassen.
    In der heutigen Regierungserklärung war keine Linie.
    Sie war eine einzige Liste, nicht mehr!


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Die heutige Regierungserklärung sollte eigentlich
    – tatsächlich ist nur ein bisschen Vibration übrig geblie-
    ben – eine „Ruck-Rede“ werden. Sie ist vom Kanzleramt
    inszeniert worden. Sie haben vorab entsprechende Erklä-
    rungen an die Öffentlichkeit geben lassen. Allein das
    Vorspiel zu dieser Rede – es wurde zum Beispiel die
    Frage erörtert, welche Erwartungen man haben darf –
    war bemerkenswert. Als ich dann aber die Regierungs-
    erklärung, die mir gestern Nacht nach Hause gefaxt
    wurde, gelesen habe, habe ich mich gefragt: Wo ist der
    Ruck? Es war lediglich ein bisschen Gezitter, Gebibber
    und Rhetorik. Diese Rede bestand in weiten Teilen aus
    Lyrik. Sie haben vor allen Dingen dann geklatscht, wenn
    es darum ging, die Interessen der Gewerkschaftsfunktio-
    näre zu verteidigen, aber nicht, wenn es darum ging, das
    Land zu modernisieren.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Übrigens, Herr Kollege Müntefering, man kann sich
    im Deutschen Bundestag sicherlich eine Menge vorwer-
    fen. Aber es ist, glaube ich, nicht angemessen, dass Sie
    Oppositionspolitikern dieses Hauses vorwerfen, sie seien
    nur Formaldemokraten. Darüber sollten Sie noch einmal
    nachdenken.

    Während Herr Kollege Müntefering hier erklärt hat,
    wie wichtig die Politik der Gewerkschaftsfunktionäre
    sei, ist über die Agenturen die Nachricht über die erste
    Reaktion Ihres grünen Parteifreundes Bsirske, des Verdi-
    Chefs, verbreitet worden. Er sagte zur Regierungserklä-
    rung von Gerhard Schröder wörtlich:

    Nach 16 Jahren Umverteilung von unten nach oben
    wird uns jetzt gesagt: Es war noch nicht genug Um-
    verteilung.

    Ich sage Ihnen dazu: Wir brauchen in Deutschland starke
    Gewerkschaften, auch starke Tarifparteien. Aber wenn
    Gewerkschaftsfunktionäre nicht mehr die Interessen ih-
    rer Mitglieder, der Arbeitslosen oder der Arbeitnehmer
    vertreten, dann gehören sie mit ihrem funktionärischen
    Denken entmachtet und das werden wir in Angriff neh-
    men, wobei wir auch einen Konflikt nicht scheuen.


    (Beifall bei der FDP)


    Genau das ist es doch, was in Wahrheit von Ihnen
    hätte kommen müssen. Deswegen ist es in der Regie-
    rungserklärung auch nicht gebracht worden. Wo Sie kon-
    kret hätten werden müssen, haben Sie, Herr Bundes-
    kanzler, Ausflüchte gemacht. Beispiel: Was ist denn in
    Wahrheit das große Problem im Tarifvertragsrecht? Nie-
    mand sagt doch: Das Tarifvertragsrecht soll abgeschafft
    oder aufgehoben werden. Was wir sagen, ist, dass das
    Flächentarifvertragsrecht so nicht mehr in eine mo-
    derne Dienstleistungsgesellschaft passt. Das hat einen
    ganz einfachen Grund. Wir erfahren immer wieder bei
    Gesprächen und Verhandlungen auch in der Politik, dass
    eine Unternehmerschaft und die Belegschaft eines Un-
    ternehmens sich auf etwas verständigt haben oder ver-
    ständigen wollen und anschließend Gewerkschaftsfunk-
    tionäre kommen und im wahrsten Sinne des Wortes
    einen roten Strich durch das machen, was souverän in
    den Betrieben vereinbart wurde. Das hätte die Antwort
    des Bundeskanzlers werden müssen, was die Flexibili-
    sierung des Arbeitsmarktes betrifft. Wenn sich
    75 Prozent einer Belegschaft mit der Betriebsführung
    auf etwas verständigen, dann soll das auch gelten dürfen,
    ohne dass ein Gewerkschaftsfunktionär auf seinem Le-
    dersessel das verhindern kann.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Dasselbe Problem zeigt sich bei dem, was hier zum
    Kündigungsschutz gesagt worden ist. Ich freue mich,
    dass der Bundeswirtschaftsminister noch da ist. Es ist
    ohnehin eine Frage des Stils, was wir heute Vormittag er-
    lebt haben. Vielen Dank an diejenigen von der Regie-
    rung, die noch hier sind.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Bundeskanzler kommt gleich wieder!)


    – Dass jemand einmal kurz weg ist, ist kein Problem. Ich
    will Ihnen trotzdem eines dazu sagen, bei allem Respekt.
    Ich habe das Verhalten der Regierung während der Rede
    von Frau Kollegin Merkel verfolgt. Man kann zu jeder
    Rede in diesem Hause eine bestimmte Meinung haben,
    aber wie sich diese Regierung auf der Regierungsbank
    mit Faxen und zum Teil Klamauk verhält, wenn Leute
    von der Opposition reden,


    (Zuruf von der SPD: Klamauk machen Sie doch!)







    (C)



    (B) (D)


    Dr. Guido Westerwelle
    wirft die Frage nach dem Stil auf. Dieser Stil tut meiner
    Einschätzung nach der Demokratie nicht gut.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Der eine telefoniert mit dem Handy, der Außenminister
    wandert durch die Gänge und macht irgendwelche Fa-
    xen. Sie benehmen sich auf der Regierungsbank zum
    Teil wie pubertierende Schüler im Aufklärungsunter-
    richt. Das ist mittlerweile unerträglich geworden.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich bitte das Präsidium des Bundestages, sich dieser
    Frage einmal anzunehmen und vor allen Dingen der Re-
    gierung mitzuteilen, dass hier das Verfassungsorgan
    Deutscher Bundestag tagt und die Regierung gefälligst
    mit Respekt gegenüber den Parlamentariern aufzutreten
    hat. Das muss an dieser Stelle endlich einmal gesagt
    werden.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Aber es ist ja bemerkenswert, Herr Bundeskanzler,
    um zur Sache zu kommen, zu dem zweiten konkreten
    Punkt – –


    (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Na endlich!)


    – Das zeigt es wieder einmal. In Ihrem Alter sollte man
    aus der Pubertät wirklich langsam heraus sein. Wirklich,
    das ist notwendig. Furchtbar: mit 60 wie ein 14-Jähriger!


    (Franz Müntefering [SPD]: Da muss er ja selbst lachen!)


    Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte
    jetzt noch auf etwas in der Regierungserklärung antwor-
    ten, auf etwas, was der Bundeskanzler zu einem ent-
    scheidenden Thema gesagt hat. Das war in dem Kon-
    zept, das Sie uns zur Verfügung gestellt haben, noch weit
    konkreter. Da war man ja überrascht. In dem Konzept
    hieß es zum Tarifvertragsrecht, Sie seien der Überzeu-
    gung, es müsse mehr betriebliche Vereinbarungen geben,
    aber das letzte Wort sollten dann die Tarifvertragspar-
    teien haben. Denn alles, was innerbetrieblich vereinbart
    werden solle, müsse sowieso von den Tarifvertragspar-
    teien sanktioniert werden. Das ist doch das, was wir ha-
    ben, und deshalb funktioniert es nicht.

    Was Sie gesagt haben, Herr Bundeskanzler, war reine
    Lyrik und reine Rhetorik. Sie sagen: Der Bundeswirt-
    schaftsminister hat die volle Unterstützung, wenn er über
    den Kündigungsschutz redet. Aber dazu haben Sie nichts
    gesagt. Sie sagen, dass der Bundeswirtschaftsminister
    die Unterstützung habe, Sie würden es so machen, wie er
    es angekündigt habe, aber anschließend tragen Sie uns
    zwei Gedankenmodelle vor, wie man es machen könnte.
    So oder so, das ist Ihre Rede.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Das ist für eine Regierungserklärung zu wenig.
    Ich habe mit Interesse verfolgt, was der Bundeswirt-
    schaftsminister – ich möchte ihm aus Sicht der Freien
    Demokraten an dieser Stelle ausdrücklich Recht geben –
    gestern in München gesagt hat. Herr Clement, Ihre Äu-
    ßerungen werden folgendermaßen wiedergegeben – ich
    zitiere –:

    Unterdessen schlug der Bundesminister Wolfgang
    Clement in der Debatte um eine Lockerung des
    Kündigungsschutzes vor, Kleinstbetrieben mit bis
    zu fünf Mitarbeitern künftig eine unbegrenzte Zahl
    befristeter Neueinstellungen zu erlauben.

    Das ist der entscheidende Punkt. Lassen Sie uns das
    doch machen! Herr Bundeskanzler, bekennen Sie sich
    dazu, ob Sie es machen oder ob Sie es nicht machen!


    (Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Haben Sie das nicht verstanden? Ich habe es doch vorgetragen!)


    – Nein, Sie haben Wolken vor sich hergeschoben. Vorge-
    tragen haben Sie eben nicht das, was man konkret erwar-
    tet hat.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Herr Bundeskanzler, genau das ist das Problem: Sie mei-
    nen, eine medial geschickte Floskel sei schon ein Ersatz
    für Regierungspolitik. Das funktioniert nun einmal nicht
    und das merkt man an dieser Stelle ganz genau. Sie müs-
    sen endlich Butter bei die Fische tun. Ein Bundeskanzler
    der Bundesrepublik Deutschland darf sich nicht daran
    messen lassen wollen, ob er seine Ziele im Jahr 2010 er-
    reicht hat. Er muss erklären, welche Ergebnisse seine
    Politik bis zum Ende der Legislaturperiode erzielt haben
    soll und zu welchen Zeitpunkten er welche konkreten
    Maßnahmen ergreift.


    (Hubertus Heil [SPD]: Das hat er gerade getan! – Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört! So schwach waren Sie noch nie, Herr Westerwelle!)


    In Wahrheit tun Sie nichts. Sie bleiben unverbindlich,
    wo Sie konkret werden müssten. Konkret wurden Sie
    nur da, wo Sie gesagt haben, was Sie nicht machen wol-
    len. Das ist weiß Gott zu wenig.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir haben gestern schon einmal erlebt, dass Sie sich
    davon verabschiedet haben, das zu tun, was wirklich not-
    wendig wäre. Die Debatte über die Neufassung des La-
    denschlussgesetzes hat Bände gesprochen.

    Das, was für einen Neuanfang in diesem Land not-
    wendig wäre, lässt sich mit der Überschrift „Marktwirt-
    schaftliche Erneuerung“ zusammenfassen. Es geht um
    eine Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, zu der
    Sie sich hätten bekennen müssen. Das heißt aber, dass
    man sich den Problemen stellt. Sie müssten Steuersen-
    kungen und Steuervereinfachungen vornehmen. Hier
    kündigen Sie das Gegenteil an, nämlich die faktische
    Ausweitung der Gewerbesteuer. Damit verabschieden

    (A)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Guido Westerwelle
    Sie sich vom Ziel der Einkommensteuerreform im Sinne
    von mehr Steuergerechtigkeit.


    (Beifall bei der FDP)


    Das passt einfach nicht zusammen.

    Sie hätten sagen müssen, wie Sie das Tarifrecht kon-
    kret ändern wollen. Im Hinblick auf das Kündigungs-
    schutzgesetz hätten Sie sagen müssen: Das ist es, was
    wir machen wollen. Besser wäre es, denjenigen Arbeit-
    gebern, die bisher nur fünf Beschäftigte haben, die
    Chance zu geben, bei einer guten Auftragslage einen
    sechsten Arbeitnehmer zu beschäftigen, ohne dass das
    für sie bedeutet – das wäre das Ergebnis eines erweiter-
    ten, nicht rücknehmbaren Kündigungsschutzes –, in
    schlechten Zeiten die gesamte Belegschaft entlassen und
    Konkurs anmelden zu müssen. Die Situation in Deutsch-
    land wäre besser, wenn es mehr Arbeitsplätze mit etwas
    weniger Kündigungsschutz als eine Massenarbeitslosig-
    keit mit vollem Kündigungsschutz gäbe.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Zu alldem kommt von Ihnen nichts Konkretes.

    Sie behaupten, Ihr Vorhaben sei ein Investitionspro-
    gramm und in Wahrheit gar kein Konjunkturprogramm.
    Genauso hat man sich auch in den 70er-Jahren immer
    ausgedrückt. In den 70er-Jahren hat es exakt vier Pro-
    gramme wie das gegeben, das Sie heute vorgestellt ha-
    ben: Im Jahre 1974 gab es zwei solcher Programme und
    in den Jahren 1975 und 1977 je eins. Das Ergebnis waren
    – das laste ich gar nicht einer Partei allein an; in dieser
    Hinsicht haben wir genauso unser Lehrgeld gezahlt – zu-
    nächst eine halbe Million Arbeitslose; später hat sich die
    Arbeitslosenzahl mehr als verdoppelt.

    Auch die Finanzierung Ihres Programms durch Mittel
    der Kreditanstalt für Wiederaufbau bedeutet in Wahrheit
    nichts anderes als eine Erhöhung der staatlichen Ausga-
    ben. Sie setzen eben doch auf mehr Schulden. Ihre Re-
    gierungserklärung enthielt bereits Begründungen für das
    Scheitern Ihrer Politik. Ende des Jahres wird von zwei
    Ursachen die Rede sein.

    Erstens: die Weltlage. Sie werden sagen: Der instabile
    Frieden und ein möglicher Krieg haben uns daran gehin-
    dert, unsere Ziele zu erreichen. Ich wiederhole: Sie legen
    schon jetzt Begründungen für das Scheitern Ihrer Politik
    vor.

    Zweitens – sehr bemerkenswert! –: Ihre Äußerungen
    zum Stabilitätspakt.


    (Albert Schmidt [Ingolstadt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist das eine langweilige Rede! Sagen Sie doch einmal, was Sie wollen!)


    – Ich gehe genau auf die Regierungserklärung ein. Ich
    glaube, dass der Bundeskanzler nach dieser langen Re-
    gierungserklärung – die Regierungserklärungen werden
    ja immer länger, auch wenn immer weniger drinsteht –
    das Recht auf konkrete Antworten hat.
    Sie sprechen von dem, was Sie vorbereiten. Sie sagen
    zum Stabilitätspakt:

    Dieser Pakt darf eben nicht statisch interpretiert
    werden. Er lässt Raum ... für Reaktionen auf unvor-
    hergesehene Ereignisse.

    Damit sagen Sie in Wahrheit schon jetzt: Sie glauben
    gar nicht mehr daran, dass Sie eine stabile Finanzpolitik
    durchhalten können. Sie haben die Katze aus dem Sack
    gelassen. Das ist erstens schlecht für die Menschen, die
    es betrifft; denn nichts ist so unsozial wie eine Weich-
    währung. Zweitens ist es eine Katastrophe für Europa.
    Wenn Deutschland diesen Weg der Instabilität geht, wer-
    den die anderen Europäer ebenfalls ihren Reformdruck
    sausen lassen. Dann ist der Euro irgendwann eine
    Weichwährung. Das wollen wir Freidemokraten verhin-
    dern.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie wollen ein Konjunkturprogramm wie in den 70er-
    Jahren auflegen; aber wenn es konkret werden soll, sind
    Sie nicht konkret geworden. Auf der Bundesratsbank saß
    eben, wie ich finde, eine berechtigterweise große Zahl
    von Ministerpräsidenten. Sie hätten sich bei Ihren eige-
    nen Ministerpräsidenten einmal erkundigen können, was
    sie zum Teil in ihren Ländern machen. Wenn Gutes um-
    gesetzt wird, sollte das auch erwähnt werden. Das ist
    doch kein Problem. Man freut sich schließlich darüber,
    wenn das in die Debatte eingebracht werden kann. Es
    geht dabei doch nicht um einen Streit über Urheber-
    rechte. Aber wenn in einer Regierungserklärung zum
    Thema Zukunft der Wirtschaft und Zukunft des Landes
    kein einziges Wort zum Krebsübel des Mittelstandes und
    unserer wirtschaftlichen Entwicklung gesagt wird,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr wahr!)


    dazu, wie man das bürokratische Monstrum Staat etwas
    zurückschneiden kann, zeigt das, dass Sie mit der Reali-
    tät in Wahrheit nichts mehr zu tun haben.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Eine Regierungserklärung, die Deutschland eine neue
    Perspektive geben soll, sich aber nicht an das Thema
    Staatsausgaben – sprich: Subventionsabbau, Privatisie-
    rungspolitik – herantraut, die sich vor der Flexibilisie-
    rung des Arbeitsmarktes ins Unverbindliche flüchtet, die
    auch noch das ganze Thema Bürokratieabbau ausspart,
    eine solche Regierungserklärung ist nicht geeignet, die-
    ses Land voranzubringen. So wird das nichts.


    (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Das ist bedauerlich für die Menschen. Ich glaube,
    meine sehr geehrten Damen und Herren, dass wir an die-
    ser Stelle als Opposition die große Aufgabe haben, mit
    unserer gemeinsamen Mehrheit im Bundesrat richtig zu
    handeln. Frau Kollegin Merkel hat Recht, wenn sie da-
    rauf hinweist, dass Sie zu derselben Stunde, in der wir
    im Deutschen Bundestag beraten, im Bundesrat Steuer-
    erhöhungen zur Abstimmung stellen. Sagen Sie nicht,






    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Guido Westerwelle
    wir seien, weil wir diese Steuererhöhungen im Bundesrat
    blockieren, die Übeltäter der Republik.


    (Zuruf von der SPD: Doch, das seid ihr!)


    Nein, wir werden auch künftig das unterstützen, was
    in die richtige Richtung geht. Erneuerung der sozialen
    Marktwirtschaft ja, aber mehr bürokratische Staatswirt-
    schaft nein.


    (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


    Wenn Sie die Steuern erhöhen wollen, bekommen Sie
    das bei den neuen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat
    nicht durch. Dafür werden die Oppositionsparteien in
    diesem Hause und im Bundesrat sorgen.


    (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


    Es ist sehr bedauerlich, dass Sie Ihre Chance nicht ge-
    nutzt haben. Sie haben im Vorfeld eine große Erwar-
    tungshaltung geschaffen. Diese Erwartungshaltung hat
    dazu geführt, dass sehr viele Menschen heute Vormittag
    Ihre Rede gehört haben, weil sie gedacht haben, wunders
    was da kommt.


    (Peter Dreßen [SPD]: Bei jeder Rede hätten Sie das gesagt!)


    Sie dachten, jetzt käme eine Ruckrede wie damals von
    Herzog. Das war es aber nicht.


    (Franz Müntefering [SPD]: Ihre 18 Minuten sind um!)


    Meine Damen und Herren, es wäre sehr schön gewe-
    sen, wenn es an dieser Stelle heute mehr Bewegung ge-
    geben hätte. Wir hätten Ihnen gerne Beifall gespendet.


    (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Krista Sager [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ein bisschen mehr Ehrlichkeit würde Ihnen gut stehen, Herr Westerwelle!)


    Aber dieser Politik können wir keine Zustimmung ge-
    ben, weil sie das Land eher zurückführt, als es nach
    vorne zu bringen. Sie sind auf dem alten Weg. Sie haben
    sich nicht an das erinnert, was Sie 1999 gemeinsam mit
    Tony Blair aufgeschrieben haben. Das hätten Sie hier sa-
    gen sollen. Sie hätten Ihr altes Papier vorlegen sollen.
    Darauf hätten wir vielleicht gesagt: Das kommt zwar ein
    paar Jahre zu spät, aber wenigstens gehen Sie jetzt in die
    richtige Richtung.

    Sie sind mit dieser Regierung gescheitert und so kom-
    men Sie nicht mehr auf die Beine. So bekommen Sie ein
    paar Blumen von den Sozen, aber nicht die Zustimmung
    des Volkes, meine sehr geehrten Damen und Herren.


    (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU/CSU)