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    Plenarprotokoll 15/32 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht (31. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkte 5 Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . bis 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2530 D 2534 B 2536 C 2540 C 2542 A 2543 D 2547 B 2547 B 2549 C 2550 D 32. Sit Berlin, Freitag, de I n h a Tagesordnungspunkt 13: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundeskanzler: Mut zum Frieden und zur Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . Dr. Edmund Stoiber, Ministerpräsident (Bayern) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Clement, Bundesminister BMWA 2479 A 2479 B 2493 B 2505 A 2511 C 2515 C 2520 D 2528 C zung n 14. März 2003 l t : Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – GATS-Verhandlungen – Bildung als öffentliches Gut und kulturelle Vielfalt sichern – GATS-Verhandlungen – Transparenz und Flexibilität sichern 2545 C 2547 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2479 (A) (C) (B) (D) 32. Sit Berlin, Freitag, de Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2547 (A) (C) (B) (D) Randinformationen hinaus durchsetzen. Wir glauben, dass die veränderte Form internationaler Rechtssetzung einmal, ob dies nicht der bessere Weg wäre. Dann wä- ren wir in der Lage, gemeinsame generelle Regeln zu wollen die Beteiligungsrechte des Parlaments über Herren von der SPD und Bündnis 90/Die Grünen noch Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – GATS-Verhandlungen – Bildung als öffent- liches Gut und kulturelle Vielfalt sichern – GATS-Verhandlungen – Transparenz und Flexibilität sichern (31. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkte 5 bis 7) Erich G. Fritz (CDU/CSU): Ich spreche zum Koali- tionsantrag GATS-Verhandlungen – Transparenz und Flexibilität. Mir liegt als erstes daran, zu sagen, dass wir einen bestimmten Grundtenor des Antrages teilen. Wir Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Adam, Ulrich CDU/CSU 14.03.2003 Austermann, Dietrich CDU/CSU 14.03.2003 Breuer, Paul CDU/CSU 14.03.2003 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 14.03.2003 Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 14.03.2003 Hartnagel, Anke SPD 14.03.2003 Laurischk, Sibylle FDP 14.03.2003 Lehn, Waltraud SPD 14.03.2003 Möllemann, Jürgen W. fraktionslos 14.03.2003 Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 14.03.2003 Rühe, Volker CDU/CSU 14.03.2003 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 14.03.2003 Schmidt (Salzgitter), Wilhelm SPD 14.03.2003 Schneider, Carsten SPD 14.03.2003 Seib, Marion CDU/CSU 14.03.2003 Volquartz, Angelika CDU/CSU 14.03.2003 Wettig-Danielmeier, Inge SPD 14.03.2003 Wieczorek (Böhlen), Jürgen SPD 14.03.2003 Anlagen zum Stenografischen Bericht über multilaterale Verhandlungen dringend einer stärke- ren Beteiligung des Parlaments bedarf, wenn der Prozess der Globalisierung Akzeptanz in den Augen der Bevöl- kerung finden soll. Es gibt einen Anspruch der interessierten Öffentlich- keit auf frühzeitige Information, auf voraussehbare Dis- kussions- und Beteiligungsformen. Es gibt einen An- spruch des Parlaments als Gesetzgeber in einer Welt, in der immer mehr Regeln und Festsetzungen über supra- nationale und multilaterale Verhandlungen herbeigeführt werden. Soweit der Antrag von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen dieses Ziel verfolgt, unterstützen wir ihn. Anlass und Art des Vorgehens der Koalition scheinen mir aber sehr fragwürdig zu sein, um nicht zu sagen, falsch: Es ist ein purer Zufall, dass anlässlich der Ab- gabe der Verhandlungsangebote zu den GATS-Verhand- lungen durch die Europäische Kommission dieser An- trag gestellt wird. Es ist auch zufällig, dass gerade die GATS-Verhandlungen den Anlass für diese Diskussion und für den Antrag bieten, weil interessierte Abgeord- nete sich gerade diesen Teil der EU-Angebote ausge- sucht haben. Wir haben uns nicht mit gleicher Intensität um andere Offers bzw. um andere Teile der Verhandlun- gen in den Verhandlungsgruppen der WTO gekümmert. Im Prinzip habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn die Koalition ein Exempel gegen die eigene Regierung statuieren will, um ihr einmal zu zeigen, wie sie sich nach der Auffassung der Koalition eigentlich verhalten sollte. Ich gehöre zu denen, die seit Jahren sagen, dass wir andere Formen der vorbereitenden Beteiligung des Parlaments brauchen, und bin auch schon lange der Auffassung, dass die Regierung von sich aus nicht nur eine Information, sondern eine Beteiligung des Parlaments herbeiführen soll. Wenn wir die Situation verändern wollen, dann muss allerdings das ganze Parlament darauf dringen, dass es fest geregelte, formalisierte Beteiligungsformen gibt, die bisher nicht existieren und deshalb entwickelt werden müssen. Die Vorbereitung von Verhandlungspositionen wie auch wesentliche Schritte der Verhandlungen selbst müs- sen transparent sein. Auch insofern folge ich der Inten- tion des Antrages. Ich glaube, dass der Deutsche Bun- destag durch sein beharrliches Drängen auf frühzeitige Information und Öffentlichkeit bereits dazu beigetragen hat, dass ein großes Maß der früheren Geheimniskräme- rei aufgehört hat. Jetzt geht es darum, dass über die Kenntnisnahme der Positionen auch die Abwägung, die politische Diskussion und die Abschätzung der Folgen in eine geordnete Bahn gelenkt werden und ein Prozess im Bundestag vereinbart wird, der die Beteiligung des Par- laments regelt. Unter diesem Gesichtspunkt wäre es sicher sinn- voll, wenn die Koalition ihren Antrag zurückziehen würde. Vielleicht überlegen Sie, meine Damen und 2548 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 (A) (C) (B) (D) entwickeln, in welcher Form die Bundesregierung in Zukunft die zuständigen Ausschüsse des Bundestages bei welcher Gelegenheit und in welchem Umfang und zu welcher Zeit befassen muss, um eine tatsächliche Beteiligung des Parlaments zu gewährleisten. Es darf in Zukunft nicht dem zufälligen Engagement einiger Abgeordneter und dem guten Willen des Ministe- riums überlassen bleiben, ob es eine Parlamentsbeteili- gung gibt oder nicht. Zum Antrag selbst stelle ich fest, dass man ihm sehr deutlich anmerkt, dass er mit der heißen Nadel gestrickt ist. Er ist an einigen Stellen sehr oberflächlich. Er enthält formulierte Befürchtungen, die nach Kenntnis der Unter- lagen nicht haltbar sind. Einige Fragen des Antrages sind nur aufrechtzuerhalten, wenn man beharrlich nicht zur Kenntnis nimmt wie das GATS konstruiert ist. Damit kein Irrtum aufkommt: Der Bundestag hat die Pflicht zur Abschätzung der Folgen von zu erwartenden internatio- nalen Vereinbarungen. Unklarheiten müssen aufgeklärt werden. Deshalb ist die vom Wirtschaftsausschuss be- schlossene Anhörung insbesondere zu Mode 4 des GATS-Angebotes wichtig und sinnvoll. Nach unserer Auffassung muss man dazu aber das Verfahren zwischen Berlin, Brüssel und Genf nicht an- halten. Der Parlamentsvorbehalt ist deshalb eine über- triebene Reaktion, die auch nur zufällig an dieser Frage aufgehängt wird. Wir wissen, dass alle jetzt entwickelten Verhandlungsangebote veränderbar sind, dass uns nichts daran hindert, auch im weiteren Verlauf noch Grenzen einzuziehen, insbesondere dann, wenn es uns gelingt, das Netzwerk der nationalen Parlamente in Europa wei- ter zu verstärken. Manches aus dem Antrag muss man auch gar nicht verstehen. Heute Morgen wurde in der Debatte zum Zu- wanderungsgesetz noch für die dort vorgesehene Aufhe- bung des Anwerbungsstopps geworben. Heute Abend gibt es große Befürchtungen bei offensichtlich sehr ge- ringen Öffnungen, die die Bundesregierung nach ihren eigenen Aussagen auch noch von Arbeitsmarktprüfun- gen abhängig machen will. Eines muss man jedoch anerkennen: Die EU-Ange- bote sind im Vergleich zu dem, was wir von anderen Ländern fordern, eher bescheiden und lösen bei Ent- wicklungsländern keinerlei Jubel aus. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass man auf Dauer nicht erwarten kann, dass andere ihre Märkte für uns öffnen, wir selbst aber in Restriktionen und Abschottung erstar- ren. Sie schreiben, meine Damen und Herren von der Koalition, mit Recht in Ihrem Antrag, dass der Teil des Dienstleistungshandels noch weit hinter dem Dienstleis- tungsanteil an der Wertschöpfung Deutschlands zurück- steht. Gerade das GATS bietet deshalb große Möglich- keiten für deutsche Dienstleistungserbringer auf anderen Märkten. Dazu gehört natürlich auch das Signal, dass dieser Prozess keine Einbahnstraße ist und wir wissen aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte, dass nur dann auf Dauer eine hohe Leistungskraft in bestimmten Bran- chen erreicht werden kann, wenn sie auch tatsächlich dem Wettbewerb ausgesetzt ist. Dann erwecken Sie in Ih- rem Antrag erneut den Eindruck, es gebe einen Zwang zur Liberalisierung hoheitlich erbrachter Dienstleistun- gen, was nach dem Angebot der EU-Kommission in kei- ner Weise zu erwarten ist. Gerade das GATS ermöglicht es wie kein anderes Abkommen der WTO, die nationa- len Sonderheiten auch national zu regeln. Wieviel GATS jedes Land will, entscheidet es im Prinzip selbst. In dem Antrag heißt es unter III., die EU-Kommission müsse die Zeitabläufe der nationalen Parlamente stärker be- rücksichtigen und auf Vertraulichkeit verzichten. Dem stimmen wir im Prinzip zu; allerdings muss umgekehrt auch gesagt werden, dass die nationalen Parlamente die Zeitabläufe der multilateralen Verhandlungen berück- sichtigen müssen und dass wir selbst schneller werden müssen, wenn wir unsere Beteiligungsrechte wahrneh- men wollen. Im Übrigen habe ich mich darüber gefreut, dass die Bundesregierung sich der Forderung nach schnellerer Öffentlichkeit der Verhandlungsgrundlagen angeschlos- sen hat und dass Herr Lamy bei seinem Gespräch mit Mitgliedern des Bundestages auch erklärt hat, dass nach der Zustimmung des Rates die EU-Position ins Internet eingestellt würde. Im Punkt 2 des Kapitels 3 fordern Sie, die betroffenen Fachausschüsse des Deutschen Bundestages müssten frühzeitig, regelmäßig, umfassend und detailliert über den Fortgang der GATS-Verhandlungen informiert wer- den. Das scheint mir nach allem, was wir in der Vergan- genheit erfahren haben, zu wenig zu sein. Man kann der Bundesregierung nicht nachsagen, dass sie ihre, vor al- len Dingen informellen Informationen gegenüber inter- essierten Abgeordneten nicht verbessert haben. Jetzt geht es darum zu überlegen, in welcher Form ein stan- dardisiertes und formalisiertes Beteiligungsverfahren or- ganisiert werden kann. Unter III Punkt 5 formuliert die Koalition einen Par- lamentsvorbehalt; dieser Position können wir uns nicht anschließen. Wir sind vielmehr der Meinung, dass wir damit unserem Land und dem Fortgang des Verhand- lungsprozesses einen schlechten Dienst erweisen wür- den. Wie allen bekannt ist, gibt es ohnehin eine Reihe von Zeitüberschreitungen im Verhandlungsprozess. Wir sollten nicht dazu beitragen, dass das Verfahren noch weiter verzögert und erschwert wird. So kann man im Übrigen nur vorgehen, wenn man nicht erkannt hat, dass im Zusammenhang mit den GATS-Verhandlungen es auch um die Durchsetzung von nationalen Interessen und um die Gefährdung eigener Vorteile geht. Diese Position können wir umso leichter einnehmen, als mittlerweile ja bekannt geworden ist, dass zu sensib- len Bereichen die Bundesregierung bereits einen aus- drücklichen Prüfvorbehalt eingelegt hat, sodass auch nachträgliche Korrekturen noch möglich sind. Ebenso scheint ja der Vorschlag auf eine Konditionierung durch eine „wirtschaftliche Bedarfsprüfung“ bei Sektoren mit erkennbaren Arbeitsmarktproblemen ein Weg zu sein, der vorhandene Bedenken bereits berücksichtigt. Wir sind allerdings der Meinung, dass die Bundes- regierung, auch im Gespräch mit fachkundigen Instituten Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2549 (A) (C) (B) (D) und Verbänden, die Zweifelsfälle weiter klären soll, die auch Gegenstand der Anhörung sein werden, sodass man sagen kann, dass die Diskussion bereits Ergebnisse ge- zeitigt hat. Was ich überhaupt nicht verstehe und was offensicht- lich nur so zu erklären ist, dass in der SPD-Fraktion jede Arbeitsgruppe wieder ihr Steckenpferd geritten hat, ohne allzu viele Kenntnisse über die Zusammenhänge zu ha- ben, dass auch im Zusammenhang mit GATS nun alle Themen, die in der WTO überhaupt eine Rolle spielen, auf die GATS-Verhandlungen draufgesattelt werden sol- len. Ich glaube, dass wir die Themen, die zusätzlich an- gesprochen sind, wie Umwelt und Sozialstandards dort behandeln sollten, wo sie hingehören, nämlich in den je- weils dafür vorgesehenen Vertragsverhandlungen. Man kann nicht alle Themen an einer Stelle bearbeiten. In ihrem Antrag ist unter Ziffer 5 dann eine Frage an- gesprochen, ob „geltende nationale und EU-weite Anfor- derungen und Regelungen fortbestehen“, wobei explizit auch die Frage von Tarifverträgen und Mindestlöhnen einbezogen sein soll. Ich weiß wirklich nicht, warum man einen Prüfauftrag vergeben soll für etwas, was aus dem Text des Verhandlungsangebots der EU so unmiss- verständlich hervorgeht wie nur irgend möglich. Und im Übrigen haben sowohl die Bundesregierung als auch der Handelskommissar Lamy das immer wieder geklärt. Ich habe den Eindruck, dass Sie ihrer eigenen Regierung mittlerweile überhaupt nichts mehr glauben. Weiterhin Klärungsbedarf sehe ich bei den so genann- ten „independent professionals“. In diesem Bereich gibt es sehr viel Misstrauen auch von außerhalb des Parla- ments und ich glaube, dass tatsächlich Definitionen ge- funden werden müssen, die frühzeitig klären, was sich dahinter verbirgt. Es hat keinen Sinn, Bereiche zu ver- handeln, derer Umfang im eigenen Verständnis nicht klar ist. Verwundert hat mich, dass in Ihrem Antrag erneut Sorgen zum Ausdruck kommen über eine Öffnung der Dienstleistungsmärkte für verschiedene Bereiche aus der öffentlichen Daseinsfürsorge. Das verwundert deshalb, weil Sie wissen, dass die Europäische Union dazu über- haupt keine Angebote gemacht hat und auch nicht beab- sichtigt zu machen. Übereinstimmen kann ich mit Ihrem Antrag wieder in der Forderung nach einer klaren Defi- nition der öffentlichen Daseinsvorsorge. Das würde si- cher auch in Zukunft Interpretationsschwierigkeiten ver- meiden. Wenn Sie unter Punkt 6 formulieren, dass Flexibili- tät und Transparenz erhöht werden sollen, und dann die Forderung erheben, „dies betrifft zum einen die souveräne Entscheidung der WTO-Mitglieder, welche Sektoren sie in welchem Ausmaß für ausländische An- bieter öffnen wollen, zum anderen, welche Sektoren sie von den GATS-Verpflichtungen ausnehmen wol- len“, so würde ein solche Formulierung auf uns selbst zurückfallen und Arbeitsplätze kosten. Bei all dem, was letztendlich vereinbart wird und was nicht ohne- hin in der freien Entscheidung der Nationalstaaten steht, muss das Recht auf Gegenseitigkeit gelten, sonst machen Abkommen keinen Sinn. Insgesamt sind wir der Meinung, dass der Antrag in keiner Weise geeignet ist, um die eigentlich bestehenden Probleme sachgerecht anzusprechen, und deshalb stim- men wir ihm nicht zu. Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass eine funktionierende Dienstleistungswirtschaft, bei- spielsweise in Sektoren wie der Finanzwirtschaft, der Te- lekommunikation oder dem Verkehr weltweit von Bedeu- tung ist und als eine entscheidende Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung gelten kann, wird heute sel- ten bestritten. Seit jetzt mehr als zehn Jahren entwickelt sich gerade der Dienstleistungssektor als dynamischster Bereich der Weltwirtschaft. Fast ein Fünftel des gesamten Welthandels mit Gütern und Dienstleistungen entfällt auf den Bereich der Dienstleistungen. Schätzungen gehen da- von aus, dass im Jahr 2020 der Anteil der Dienstleistun- gen am grenzüberschreitenden Handel 50 Prozent ausma- chen wird. Bereits heute entfallen mehr als die Hälfte der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen auf den Dienstleistungssektor. Also gewinnt dieses Thema ge- rade auch für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie die unsere an Bedeutung. Die EU ist sowohl der größte Importeur als auch der größte Exporteur von Dienstleis- tungen weltweit. Schon daraus lässt sich ablesen, welche Bedeutung die Dienstleistungswirtschaft für die gesamte Wirtschaftsentwicklung der Mitgliedstaaten hat. Dies gilt mithin auch für Deutschland. So liegt beispielsweise auf der Hand, dass der Markt für Umweltdienstleistungen in allen Weltregionen in den kommenden Jahren massiv wachsen wird. Hieraus ergeben sich erhebliche Poten- ziale für deutsche Unternehmen. Andererseits erstreckt sich das Dienstleistungsabkom- men potenziell auch auf Sektoren, die als äußerst sensi- bel anzusehen sind, beispielsweise den Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen, der Bildung, der Was- serversorgung oder der Gesundheitsdienstleistungen, also auch auf so genannte hoheitliche Aufgaben. Die GATS-Verhandlungen sind ein Teil der laufenden Welthandelsrunde. Sie sollen also gemeinsam mit der so genannten „Entwicklungsagenda“ (Doha Development Agenda), den Agrarverhandlungen, über die wir heute ebenfalls im Bundestag diskutieren, und der Präzisierung des Abkommens zum Schutz des geistigen Eigentums zu einem ausgewogeneren internationalen Handelssystems führen. Aktuell ist unsere Debatte über die GATS-Verhand- lungen, da die Europäische Kommission derzeit ihr Ver- handlungsangebot im Rahmen der Welthandelsrunde der Welthandelsorganisation WTO für das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS-Abkommen) vorbereitet. Dazu sind die Mitglied- staaten aufgefordert, bis zum Ende dieses Monats den Entwurf des Kommissionsvorschlags zu bewerten und in die Welthandelsorganisation einzubringen. Sollen die Schulen von McDonald’s übernommen werden, die Krankenhäuser von Red Bull?, so Verdi und Attac in einem gemeinsamen Flugblatt über die GATS- Verhandlungen. Unbewusst oder bewusst werden damit 2550 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 (A) (C) (B) (D) Ängste geschürt gegen die Globalisierung und Liberali- sierung. Ich halte das nicht für verantwortungsbewusst. Über Bildung, Gesundheit, Kultur und Warenversorgung, das hat die EU mit ihrem Verhandlungsangebot klar ge- macht, wird gar nicht verhandelt. Und niemand – so sind die Verhandlungsstrukturen – kann die EU dazu zwin- gen. Für die grüne Fraktion möchte ich erklären, dass wir es außerordentlich begrüßen, dass die Europäische Union in ihrer Verhandlungsposition die Bereiche Bil- dung, Kultur und audiovisuelle Dienstleistungen sowie Gesundheitsdienstleistungen von den Liberalisierungs- verhandlungen ausgenommen hat. Gerade hier hat es in der Öffentlichkeit Einwände und Befürchtungen gege- ben, die sich im Lichte des EU-Angebots nicht bestäti- gen werden. Wir erwarten, dass in diesen Bereichen auch durch die Dynamik der Verhandlungen, an deren Anfang wir ja erst stehen, von der Kommission keine weiteren Angebote gemacht werden. Also: Lasst uns sachlich über die tatsächlichen Verhandlungspunkte zum Beispiel Modus 4 und die Auswirkungen auf die freien Berufe wie zum Beispiel Architekten sprechen und da- bei nicht nur die Gefahren, sondern auch die Chancen sehen. Dass die Diskussion über das GATS-Abkommen in der Öffentlichkeit erhebliche Sorgen und Befürchtungen ausgelöst hat, ist aber zu einem erheblichen Teil auf ein zentrales hausgemachtes Problem der Europäischen Kommission und der WTO-Verhandlungen insgesamt zurückzuführen: Und das besteht in mangelnder Trans- parenz. Ein zentrales Motiv des Koalitionsantrages ist es also, die Transparenz der laufenden Verhandlungen zu erhö- hen. Eine transparente, partizipatorische Beteiligung al- ler WTO-Staaten, der demokratisch legitimierten Parla- mente und der Zivilgesellschaft ist die Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen. Gerade die Parlamente können ein wichtiges Scharnier zwischen Zivilgesellschaft und Verhandlungen bilden. Was bei anderen internationalen Verhandlungen gang und gäbe ist – die Veröffentlichung zentraler Dokumente im Internet –, muss auch bei diesen Verhandlungen gel- ten. Daher fordere ich ganz ausdrücklich, die relevanten Forderungen und Angebote entsprechend zu veröffent- lichen. In den bisherigen Parlamentsberatungen wurde mit Recht beklagt, dass die Zeit nicht ausreicht, sich intensiv mit den Auswirkungen des GATS-Abkommens zu befas- sen. Wir Grünen sprechen uns dafür aus, dies in allen re- levanten Ausschüssen zu tun. Der Wirtschaftsausschuss wird zu diesem Zweck Anfang April eine Anhörung zum Thema durchführen. So gibt es beispielsweise im Bereich der grenzüber- schreitenden, zeitlich begrenzten Dienstleistungen durch Personen (so genannter Modus 4) eine Reihe von offe- nen Fragen, die wir im Parlament mit Vertretern von Verbänden und Nichtregierungsorganisationen beraten müssen. Nicht zuletzt deshalb halte ich es für richtig, vor einem abschließenden, bindenden Votum dem Parlament die Möglichkeit zu geben, seine geplanten Anhörungen durchzuführen und die parlamentarische Willensbildung zügig fortzusetzen. Entwicklungsländer drängen auf die Ausweitung der Liberalisierungsverpflichtungen für den grenzüberschrei- tenden Verkehr natürlicher Personen zur Erbringung von Dienstleistungen. Obwohl mir bekannt ist, dass es sich hier teils um sensible Fragen handelt, sollte sich die EU als einer der Hauptexporteure und -importeure von Dienst- leistungen gegenüber den Anliegen aus Entwicklungslän- dern aufgeschlossen zeigen. Generell gilt, dass wir vor der Übernahme von Ver- pflichtungen im Rahmen des GATS-Abkommens poli- tisch und gesellschaftlich transparent über die Folgen auf die einzelnen Dienstleistungssektoren debattieren müs- sen. Dabei sollte das Tempo der Verhandlungen nicht zu- lasten der Gründlichkeit gehen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass viele Entwicklungsländer von der Vielzahl der Verhandlungen überfordert sind. Aber auch die gesell- schaftliche Debatte in den Industrieländern braucht mehr Zeit. An dieser Stelle ist mir wichtig, einige Grundanliegen bezogen auf die GATS-Verhandlungen aufzugreifen. Die EU sollte selbstverständlich keine Verpflichtungen ein- gehen, die geltendes EU-Recht unterlaufen oder die Ver- einbarung hoher Standards und Normen innerhalb der EU erschweren würde. Die Flexibilität des GATS-Ab- kommens sollte erhalten bleiben. Dies betrifft vor allem die souveräne Entscheidung von Staaten über das Aus- maß der Liberalisierung und das Recht, einzelne Sekto- ren von den GATS-Verpflichtungen auszunehmen. Nicht nur die Industrieländer, sondern auch gerade Ent- wicklungsländer sollten bei der Erbringung von Dienstleis- tungen in ihrem Hoheitsgebiet, Dienstleistungssektoren im Einklang mit den nationalen politischen Zielsetzungen regulieren können. Grünes Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Verhandlungsergebnisse auch zur wirtschaftli- chen und sozialen Entwicklung in Entwicklungsländern beitragen. Das GATS-Abkommen ist ein äußerst komplexes Ab- kommen, dessen Nuancen und Fallstricke sich nicht im- mer direkt erschließen. Wir sollten als Parlamentarier mit Selbstbewusstsein die Zeit einfordern, die eine ange- messene Befassung mit dem Thema erfordert, denn wir sind diejenigen, die die Verhandlungsergebnisse in die- sem Hause ratifizieren müssen. Gerade bei komplexen internationalen Verhandlungen hat das Parlament auch die Aufgabe der „Übersetzung“ bzw. Vermittlung neuer internationaler Vereinbarungen und Verträge in die Gesellschaft. Dem gerecht zu wer- den, auch das zeigen die GATS-Verhandlungen, ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 2551 (A) (C) (B) (D) der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2002 bis 2006 – Drucksachen 14/9751, 15/345 Nr. 46 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über den Stand und die voraussichtliche Ent- wicklung der Finanzwirtschaft des Bundes – Drucksachen 15/151, 15/402 – Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschreibung des Rheumaberichtes der Bundesregie- rung – Drucksachen 13/8434, 15/345 Nr. 66 – Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationaler Radverkehrsplan 2002 bis 2012 „FahrRad“ – Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs in Deutschland – Drucksachen 14/9504, 15/345 Nr. 70 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Jahresbericht 2002 der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit – Drucksache 14/9950 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2002 – Drucksachen 14/8950, 15/345 Nr. 74 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Eu- ropäischen Parlaments 2002 – Drucksachen 15/340, 15/389 Nr. 1.3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 15/173 Nr. 1.9 Drucksache 15/173 Nr.1.10 Finanzausschuss Drucksache 15/339 Nr. 2.11 Drucksache 15/339 Nr. 2.12 Drucksache 15/339 Nr. 3.1 Haushaltsausschuss Drucksache 15/392 Nr. 2.45 Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit Drucksache 15/103 Nr. 2.28 Drucksache 15/173 Nr. 1.3 Drucksache 15/173 Nr. 1.8 Drucksache 15/173 Nr. 1.15 Drucksache 15/173 Nr. 2.5 Drucksache 15/173 Nr. 2.6 Drucksache 15/173 Nr. 2.9 Drucksache 15/173 Nr. 2.10 Drucksache 15/173 Nr. 2.13 Drucksache 15/173 Nr. 2.14 Drucksache 15/173 Nr. 2.17 Drucksache 15/173 Nr. 2.18 Drucksache 15/173 Nr. 2.19 Drucksache 15/173 Nr. 2.21 Drucksache 15/173 Nr. 2.22 Drucksache 15/173 Nr. 2.23 Drucksache 15/173 Nr. 2.29 Drucksache 15/173 Nr. 2.30 Drucksache 15/173 Nr. 2.32 Drucksache 15/173 Nr. 2.35 Drucksache 15/173 Nr. 2.36 Drucksache 15/173 Nr. 2.37 Drucksache 15/173 Nr. 2.40 Drucksache 15/173 Nr. 2.42 Drucksache 15/173 Nr. 2.43 Drucksache 15/173 Nr. 2.47 Drucksache 15/173 Nr. 2.62 Drucksache 15/173 Nr. 2.67 Drucksache 15/173 Nr. 2.71 Drucksache 15/173 Nr. 2.76 Drucksache 15/173 Nr. 2.82 Drucksache 15/173 Nr. 2.83 Drucksache 15/173 Nr. 2.88 Drucksache 15/173 Nr. 2.90 Drucksache 15/268 Nr. 2.25 Drucksache 15/268 Nr. 2.27 Drucksache 15/268 Nr. 2.28 Drucksache 15/268 Nr. 2.31 Drucksache 15/268 Nr. 2.36 Drucksache 15/268 Nr. 2.42 Drucksache 15/268 Nr. 2.43 Drucksache 15/268 Nr. 2.44 Drucksache 15/268 Nr. 2.45 Drucksache 15/268 Nr. 2.46 Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Drucksache 15/103 Nr. 2.69 Drucksache 15/103 Nr. 2.111 Drucksache 15/103 Nr. 2.112 Drucksache 15/268 Nr. 2.4 Drucksache 15/268 Nr. 2.8 Drucksache 15/268 Nr. 2.9 Drucksache 15/268 Nr. 2.11 Drucksache 15/268 Nr. 2.13 Drucksache 15/268 Nr. 2.14 Drucksache 15/268 Nr. 2.15 Drucksache 15/268 Nr. 2.16 Drucksache 15/268 Nr. 2.18 Drucksache 15/268 Nr. 2.30 Drucksache 15/339 Nr. 2.30 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 15/103 Nr. 2.7 Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung Drucksache 15/103 Nr. 2.5 Drucksache 15/103 Nr. 2.66 2552 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 14. März 2003 (A) (C) (B) (D) Drucksache 15/173 Nr. 2.33 Drucksache 15/173 Nr. 2.53 Drucksache 15/268 Nr. 2.3 Drucksache 15/345 Nr. 67 Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen Drucksache 15/392 Nr. 2.61 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 15/103 Nr. 1.9 Drucksache 15/173 Nr. 2.78 Drucksache 15/173 Nr. 2.80 Drucksache 15/173 Nr. 2.81 Drucksache 15/173 Nr. 2.87 Drucksache 15/268 Nr. 2.22 Drucksache 15/268 Nr. 2.34 Drucksache 15/268 Nr. 2.39 Drucksache 15/268 Nr. 2.47 Drucksache 15/339 Nr. 2.9 Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Drucksache 15/345 Nr. 73 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 15/339 Nr. 2.25 Drucksache 15/339 Nr. 2.35 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 15/345 Nr. 78 Drucksache 15/345 Nr. 79 Drucksache 15/345 Nr. 80 Drucksache 15/345 Nr. 81 Drucksache 15/345 Nr. 82 Drucksache 15/392 Nr. 1.3 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 15/173 Nr. 1.14 nd 91, 1 22 32. Sitzung Berlin, Freitag, den 14. März 2003 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Franz Müntefering


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)



    Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
    Herren! Das hätte nun die Antwort der Opposition auf
    die Regierungserklärung des Kanzlers sein sollen – war
    es aber nicht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Man hat schon gemerkt, wie Frau Merkel immer vor-
    sichtig nach links hinten geguckt hat, um zu sehen, ob
    ihr da nicht jemand im Nacken sitzt, der anschließend
    die eigentliche Rede des Tages hält.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Deshalb hat sie 20 Minuten gebraucht, um zum ersten
    Konkreten zu kommen. Das erste ganz Konkrete nach all
    den Dingen, die sie zunächst angesprochen hat, war die
    Schornsteinfegerbereichsverordnung.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Das ist ein bisschen weniger als das, was man von der
    Opposition erwarten darf.

    Das Zweite war ihre Feststellung, dass die kommuna-
    len Finanzen so tief in den Keller gegangen sind. Das ist
    nicht neu. Interessant wird es, wenn man sich einmal die
    Statistik anguckt – wie es manchmal so ist, hat man sie
    in der Tasche –: 1992 33,14 Milliarden, 1998 24,4 Mil-
    liarden. Gucken Sie sich einmal dieses Diagramm an: So
    war das. Das war in der Zeit, als Sie regiert haben. In der
    Zeit ist die Investitionsfähigkeit der Kommunen so zu-
    rückgegangen, wie es auf diesem Diagramm zu sehen
    ist. Nachlesbar ist das im DIW-Wochenbericht 31/02.

    Als Allererstes aber hat Frau Merkel gesagt, ohne sich
    nach links hinten umzugucken – darauf muss man noch
    einmal zurückkommen –, eigentlich gehörten die Minis-
    terpräsidenten heute Morgen in den Bundesrat. Sie hat
    Herrn Stoiber zur unerwünschten Person erklärt. Inzwi-
    schen ist er wohl auch gegangen.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


    Ich weiß nicht, ob ihm das so richtig bewusst gewesen
    ist.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie waren auch schon besser!)


    Eine Opposition, die in dieser Situation nicht weiß,
    wer bei ihr die erste Geige spielt, ist eine schwache Op-
    position. Sie sind eine schwache Opposition. Sie wissen
    nicht, wer bei Ihnen das Sagen hat.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das gilt für die Innenpolitik und das gilt für die Au-
    ßenpolitik. Frau Merkel, dazu muss doch noch ein Wort
    gesagt werden. Die ungewöhnlich gebückte Haltung, in
    der Sie über den Teich geflogen sind, und die Klassen-
    strebermentalität, in der Sie sich in den USA erklärt ha-
    ben, waren peinlich für die Führerin der Opposition in
    Deutschland.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Da nutzt kein Schönreden und da nutzt es auch nichts,
    sich die Weltpolitik nachher sozusagen aus dem Stabil-
    baukasten noch einmal selbst zu erklären.

    Die schlichte Wahrheit ist heute: Wenn Sie auf der
    Regierungsbank hier säßen, wäre das Bemühen Deutsch-
    lands um eine friedliche Lösung des Irakkonflikts nicht
    so erfolgreich und wäre die Welt nicht so weit gekom-
    men. Wir sind stolz auf das, was Gerd Schröder und
    Joschka Fischer hier geleistet haben und auch in Zukunft
    leisten werden.


    (Lebhafter Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Das war mutig und vorausschauend, als viele, auch bei
    uns im Land, noch gezweifelt haben. Es erweist sich nun
    als richtig.

    Mutig und vorausschauend war auch das, was der
    Bundeskanzler heute dem Deutschen Bundestag


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nicht gesagt hat!)


    für die Politik im Inneren des Landes verdeutlicht hat.
    Herr Bundeskanzler, Sie haben die volle Unterstützung
    der SPD-Bundestagsfraktion für diese Politik.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Donnerwetter, Müntefering! )


    Deutschland hat Struktur- und Konjunkturprobleme –
    andere Länder übrigens auch; aber das ist kein Trost.
    Anstrengung ist gefordert. Wohlstand ist in Deutschland
    aufbauend auf den Trümmern von 1945 gewachsen. Wir
    haben uns in Deutschland an Wohlstand gewöhnt, daran,
    dass er wächst, und haben nicht immer realisiert, dass er






    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    nicht selbstverständlich ist, dass er stets immer wieder
    neu und unter anderen Bedingungen gesichert und wei-
    terentwickelt werden muss, dass Wohlstand Vorausset-
    zungen hat. Wenn wir uns in Deutschland anstrengen,
    dann brauchen wir keine Angst zu haben. Wenn sich je-
    der und jede anstrengen, brauchen wir keine Sorgen zu
    haben, was die Zukunft angeht. Das Potenzial für eine
    gute Zukunft in Deutschland, dafür, in Wohlstand und
    sozialer Sicherheit zu leben, ist gegeben.


    (Beifall bei der SPD)


    Richtig, die Regierung muss sich anstrengen. Aber
    auch die Parteien, der Bundestag, der Bundesrat und
    viele andere im Land müssen sich anstrengen. Wir sind
    dazu bereit. Auch die Opposition muss sich im Übrigen
    anstrengen. Ein bisschen weniger Besserwisserei, Herr
    Merz, und ein bisschen weniger Selbstgerechtigkeit,
    Frau Merkel, was die Opposition angeht, wären schon
    gut.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Oberlehrer!)


    Blockieren allein, Herr Wulff und Herr Stoiber, reicht
    nicht.

    In Deutschland sitzen zu viele auf der Tribüne – die
    Opposition gehört dazu; ich meine nicht Sie hier oben
    auf der Tribüne, sondern die politische Landschaft, die
    Gesellschaft –, die zuschauen und sagen, was alles nicht
    geht und wie schlimm alles in diesem Land ist. Es sind
    zu wenige, die bereit sind, die Ärmel hochzukrempeln
    und die Dinge voranzubringen. Lassen Sie uns das mit-
    einander machen!


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir sind selbstkritisch genug, um zuzugestehen: Ja-
    wohl, wir machen Fehler. Aber ich sage Ihnen ebenfalls:
    Wer sich, auch wenn er Fehler macht, anstrengt, ist tau-
    sendmal besser als diejenigen, die nur herumsitzen und
    sich das Maul zerreißen über das, was nicht geht. Wir
    brauchen Leute, die bereit sind, die Ärmel hochzukrem-
    peln, anzupacken und das Land nach vorne zu bringen.
    Darum geht es.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Da sind auch Sie von der Opposition gefragt. Das
    geht nicht ohne Sie. Wir brauchen Sie dabei – nicht uns-
    retwegen, sondern für das Land. Es wird eine große He-
    rausforderung an die gesamte Opposition sein, wie sie
    sich dieser Aufgabe stellt. Die Opposition gehört zur De-
    mokratie. Sie muss ihren Teil dazu beitragen, dass die
    Dinge gelingen können.

    Die Strukturprobleme und Fragen – vielleicht auch die
    Strukturkrise –, die wir haben, sind übrigens nicht neu.
    Die Folgen der Globalisierung, der Europäisierung und
    der demographischen Entwicklung waren schon in den
    90er-Jahren erkennbar. Wir haben in Deutschland in den
    90er-Jahren – ich meine das nicht nur parteipolitisch – die
    Zeit verschlafen.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Wir haben nicht hinreichend begriffen, dass außenpoli-
    tisch und innenpolitisch viel zu tun gewesen wäre. Wir
    haben uns in Deutschland mit Helmut Kohl an der Spitze
    darauf verlassen, dass der liebe Gott sozusagen von al-
    lein die Landschaften blühen lässt. Es ist nicht so. Wir
    müssen unseren Teil dazu beitragen. Da ist innenpoli-
    tisch und außenpolitisch einiges nachzuholen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja Unsinn! Wir haben Europa vorangebracht! Der Euro ist nicht von allein gekommen!)


    – Herr Kauder, es ist schlimmer: Sie haben nicht nur die
    Dinge, die hätten getan werden müssen, verschlafen, son-
    dern haben die deutsche Einheit im Wesentlichen auf der
    Grundlage unserer sozialen Sicherungssysteme finan-
    ziert.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Unter großer Zustimmung der SPD!)


    Jetzt schimpfen Sie, dass diese Sicherungssysteme nicht
    funktionieren. Sie waren hauptschuldig daran, dass die-
    ser Bereich explodiert ist.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ihre Ministerpräsidenten haben doch zugestimmt!)


    Der Kanzler hat Ihnen die Zahlen genannt: Anstieg
    der Lohnnebenkosten von 32 auf 43 Prozent. Es waren
    doch Sie, die das zugelassen und dafür gesorgt haben,
    dass Kosten hineingerechnet worden sind, die eigentlich
    nicht hineingehört hätten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich wundere mich im Übrigen immer, mit welcher To-
    leranz Sie zugestehen, dass der gesamte Bereich der ille-
    galen Beschäftigung zunehmend alle sozialen Siche-
    rungssysteme belastet. Unternehmen, die in den großen
    Unternehmensverbänden von Herrn Rogowski und
    Herrn Hundt vertreten sind, sorgen mit Schwarzarbeit,
    illegaler Beschäftigung und Subsubunternehmen, also an
    den großen Unternehmen vorbei, dafür, dass der ehrliche
    Unternehmer und der ehrliche Arbeitnehmer – das ist in
    Deutschland leider wahr – die Dummen sind und die an-
    deren sich ins Fäustchen lachen. Das darf so in Deutsch-
    land nicht bleiben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben zwischen 1998 und 2002 vieles in
    Deutschland in Bewegung gebracht.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das kann man sagen!)


    Wir haben uns außenpolitisch neu justiert. Diese Neujus-
    tierung – gerade kam der Zuruf „Das kann man sagen“ –
    ist uns zwar nicht leicht gefallen, aber wir alle sind stolz,
    dass wir während unserer Regierungszeit – und nicht Sie –






    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    diese Neujustierung vorgenommen haben. Die Bereit-
    schaft, dass Deutschland als souveränes Land in Europa
    Rechte und Pflichten mit allen Konsequenzen über-
    nimmt, wie zum Beispiel auf dem Balkan, in Afghanis-
    tan oder in anderen Teilen der Welt, geht auf die Erfolgs-
    politik von Schröder und Fischer zurück und nicht auf
    Ihre Politik.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    In den vier Jahren von 1998 bis 2002 haben wir die ga-
    loppierende Neuverschuldung gebremst. 1998 musste
    der Bundesfinanzminister von jeder Mark aus den Steu-
    ereinnahmen des Bundes 22 Pfennig an Zinsen zahlen.
    Heute sind es nur noch 19 Pfennig. Wir sind stolz auf
    das, was wir in diesen vier Jahren erreicht haben. Diesen
    Weg, die Höhe der Nettokreditaufnahme zu senken, wer-
    den wir weitergehen und wir werden dieses Ziel weiter-
    hin im Auge behalten, weil unsere Kinder und Kindes-
    kinder von uns etwas anderes erben sollen als nur
    Schuldscheine und Hypotheken.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben in den letzten vier Jahren im Kern auch die
    zusätzliche Alterssicherung beschlossen. Sie ist nun aus-
    zugestalten.

    Wir stehen nun vor der schweren Aufgabe – das ist
    die Hauptaufgabe in dieser Legislaturperiode; ihre Erle-
    digung wird allerdings länger als vier Jahre dauern –,
    den Wohlstand dauerhaft zu sichern und den Sozialstaat
    in seiner Substanz zu garantieren. So sagt es auch der
    Koalitionsvertrag mit den Worten Erneuerung, Gerech-
    tigkeit und Nachhaltigkeit. Im Regierungsprogramm der
    Sozialdemokraten stehen dafür die Worte Erneuerung
    und Zusammenhalt.

    Wir wollen Wohlstand sichern und die Substanz des
    Sozialstaates garantieren. Wenn man beide Aufgaben
    ernst nimmt, erkennt man, dass man zuerst den Wohl-
    stand sichern muss. Wir alle, die wir über soziale Ge-
    rechtigkeit sprechen und sie erhalten wollen, müssen
    immer bedenken, dass es soziale Gerechtigkeit auf ho-
    hem wie auch auf niedrigem Niveau gibt. Wir alle gehen
    automatisch davon aus, dass das Niveau der sozialen Ge-
    rechtigkeit in Deutschland hoch ist und dass der Wohl-
    stand, der über 50 Jahre gewachsen ist, mindestens so
    bleibt wie heute. Das wollen wir auch erhalten. Aber
    selbstverständlich ist das nicht. Deshalb ist es die vor-
    rangige Aufgabe unserer Politik, dafür zu sorgen, dass
    wir dieses hohe Niveau der sozialen Gerechtigkeit erhal-
    ten, um darauf aufbauend den Sozialstaat in seiner Sub-
    stanz so zu organisieren, wie diese Koalition das will.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Zur Sicherung des Wohlstands tragen auch Investi-
    tionen in Bildung und Forschung bei. Ich kann nur be-
    stätigen, was manche Redner angesprochen haben und
    was der Bundeskanzler zum Schluss seiner Regierungs-
    erklärung verdeutlicht hat. Auch in der Rede von Frau
    Merkel kam dieses Thema vor, allerdings hat sie es
    falsch interpretiert. Frau Merkel, was Innovationen und
    was Forschung und Technologie angeht, können wir uns
    mit dem, was wir in den letzten vier Jahren erreicht ha-
    ben, sehr gut sehen lassen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der Etat des Ministeriums für Bildung und Forschung ist
    seit 1998 um 25 Prozent gestiegen. Deshalb war es mög-
    lich, auch in diesem Jahr die Mittel für die Deutsche For-
    schungsgemeinschaft um 2,5 Prozent zu erhöhen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Deshalb liegen wir im internationalen Vergleich, was die
    Ausgaben bei Forschung und Entwicklung angeht, im
    oberen Mittelfeld. Bei den kleinen Biotechnologieunter-
    nehmen sind wir Spitze. Die Quote der Studienanfänger
    ist von 1999, als sie bei 28,5 Prozent lag, auf jetzt
    35,6 Prozent gestiegen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    In den letzten Jahren haben wir 40 Lehrstühle für Exis-
    tenzgründer geschaffen.

    Trotz der guten Zahlen aus den letzten Jahren ist die
    Aufgabe aber noch nicht erfüllt. Wenn man die Alters-
    sicherung und die Sicherung des Sozialstaates gewährleis-
    ten will, sind Innovationen und das Investieren in die
    Köpfe und in die Herzen der Jungen, in die Forschung, in
    die Entwicklung, in die Technologie und in die Existenz-
    gründungen der entscheidende Punkt. Wichtiger als alles
    andere ist, in die Köpfe und die Herzen der jungen Men-
    schen zu investieren. Das ist die Zukunft des Landes. Dort
    muss der Schwerpunkt unserer Politik in Zukunft liegen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zur Wohlstandssicherung gehört, dass Jugendliche
    eine Chance haben. Ich unterstütze ausdrücklich, was
    Sie, Herr Bundeskanzler, zur Erwartung an die Unter-
    nehmen gesagt haben. Darüber hinaus müssen auch die
    Schulen, die Eltern und die jungen Menschen ihren Teil
    dazu beitragen. Das Ziel, das sich die Koalition auf die
    Fahnen geschrieben hat, ist, dass kein junger Mensch
    von der Schulbank in die Arbeitslosigkeit rutscht. Das ist
    eine der wichtigsten Forderungen, die wir stellen und an
    der wir festhalten müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Das Schlimmste, was wir jungen Menschen zumuten
    können, ist, dass sie lernen, dass sie pauken – wir sagen
    ihnen immer, wie wichtig das ist –, und wenn sie die
    Schule beendet haben, müssen wir ihnen sagen, dass es
    leider keine Stelle für sie gibt: Setze dich in die Ecke, du
    bekommst Stütze, halte den Mund und störe uns nicht!
    Das ist das Schlimmste, was jungen Menschen passieren
    kann. Das verstößt gegen die Würde des Menschen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    Deshalb brauchen wir das, was die Unternehmer und
    die Politik leisten können, um an dieser Stelle zu stoppen
    und die jungen Menschen zu fördern und zu fordern. Ich
    unterstütze Wolfgang Clement ausdrücklich dabei, alles
    dafür zu tun, dass wir an dieser Stelle anfangen. In
    Deutschland gibt es 580 000 arbeitslose junge Menschen
    unter 25 Jahre. Zwei Drittel davon haben keine Ausbil-
    dung. Der Sockel der nicht ausgebildeten jungen Men-
    schen steigt immer weiter. Das kann so nicht weiterge-
    hen; denn das ist der Sockel, der in dieser Wirtschaft
    später nicht mehr erwerbsfähig ist.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Zur Wohlstandssicherung gehört auch der Bereich der
    Investitionen; der Kanzler hat es angesprochen und deut-
    lich gemacht. Ich hoffe, dass Herr Stoiber inzwischen im
    Bundesrat ist und dort dafür sorgt, dass das Steuer-
    vergünstigungsabbaugesetz doch beschlossen wird;


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    denn davon hängt es ab, ob die Gemeinden bis zum
    Jahre 2006 etwa 7 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfü-
    gung haben. Man muss sich das noch einmal auf der
    Zunge zergehen lassen: 7 Milliarden Euro erhalten die
    Kommunen durch das Steuervergünstigungsabbauge-
    setz zusätzlich.

    Frau Merkel, es war Heuchelei und nicht ehrlich, dass
    Sie uns hier mit Kulleraugen erzählt haben, man müsse
    den Gemeinden helfen, damit sie ihren Aufgaben gerecht
    werden können; denn Sie veranlassen gleichzeitig, dass
    Ihre Ministerpräsidenten im Bundesrat dafür sorgen,
    dass gegen das Gesetz gestimmt wird.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Die Opposition muss dafür sorgen, dass die Kommunen
    handlungsfähig sind.

    Die CDU- und CSU-Oberbürgermeister und -Bürger-
    meister haben die Folgen des Steuervergünstigungs-
    abbaugesetzes schon längst in ihren Haushalten der
    nächsten Jahre berücksichtigt. Es ist so absurd: Sie
    kämpfen hier und im Bundesrat dagegen und die CDU-
    und CSU-Oberbürgermeister und -Bürgermeister rech-
    nen dringend mit dem Geld, das wir ihnen geben wollen.
    Sie wollen es ihnen aber verweigern.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wohlstandssi-
    cherung gehört auch das schwierige Kapitel, das ich mit
    folgender Leitlinie überschreiben will: Alle Arbeit, die
    es in Deutschland gibt, muss von denen getan werden,
    die legalerweise in Deutschland sind. An dieser Stelle
    kneifen wir oft. Es gibt nicht nur die Arbeitslosigkeit,
    sondern es gibt auch die Erwartung, dass eine bestimmte
    Arbeit mit einem bestimmten Status und einem be-
    stimmten Stundenlohn an einer bestimmten Stelle an-
    fällt. Das geht nicht zusammen. Ich bitte dringend, dass
    wir intensiv darüber diskutieren, was man hier machen
    kann und muss. Es kann nicht sein, dass wir in Deutsch-
    land eine hohe Arbeitslosenzahl haben und es Arbeit
    gibt, die nicht getan wird, sodass Menschen aus dem
    Ausland geholt werden müssen, die sie leisten. Es kann
    nicht sein, dass Arbeitslose bestimmte Arbeiten wegen
    des Status nicht erledigen.

    Die Lösung dieses Problems ist nicht leicht. Durch
    die Umsetzung des Hartz-Konzeptes haben wir damit
    begonnen. Mit den Projekten, über die wir jetzt reden,
    gehen wir die nächsten Schritte. Hierin stecken Fördern
    und Fordern. Die, die wir dabei angucken, müssen wis-
    sen, dass wir es ehrlich meinen. Wir wollen das nicht auf
    Kosten der unteren Schicht und derer, die arbeitslos sind,
    austragen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie im Kleinen
    und im Großen die Chance haben, in den Arbeitsmarkt
    hineinzuwachsen. Das ist unsere Aufgabe, an ihr haben
    wir zu arbeiten. Ich bestehe aber darauf: Wir müssen al-
    les dafür tun, dass die Arbeit, die es in Deutschland gibt,
    von denen getan wird, die in legaler Weise in diesem
    Land sind.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dabei bleibt die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit
    die Aufgabe aller. Hier hat Hartz Recht gehabt – das ist
    in den Debatten der vergangenen Monate ein wenig un-
    tergegangen –: Er hat immer gesagt, dass die Politik das
    nicht alleine kann und dass alle in der Gesellschaft an
    der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu beteiligen sind.
    Deshalb appelliere auch ich noch einmal an die Gemein-
    den, die Landkreise und die Länder: Steigen Sie nicht
    aus der Finanzierung von Beschäftigungsinitiativen und
    Qualifizierungsgesellschaften vor Ort aus, damit die
    Menschen eine Anlaufstelle haben und unterkommen
    können. Wir brauchen sie auch in Zukunft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der Kanzler hat deutlich gemacht – der Wirtschafts-
    und Arbeitsminister tut das auch –, dass wir die Brücke
    von der jetzigen Situation, die unbefriedigend ist, zu
    dem, was Hartz bedeutet, bauen wollen. Das gilt auch
    für das, was im nächsten Jahr, wenn die Arbeitslosen-
    und die Sozialhilfe zusammenwachsen, Schritt für
    Schritt zu leisten ist.

    Zur Wohlstandssicherung gehört ein ehrliches Wort
    über die Länge unserer Lebensarbeitszeit. Das waren
    früher 50 Jahre. Mit 13 oder 14 Jahren begann man ei-
    nen Beruf, mit 64 oder 65 Jahren stieg man aus dem Er-
    werbsleben aus. Heute liegt das Durchschnittsalter beim
    Arbeitsbeginn bei 21 Jahren, weil viele studieren. Übri-
    gens sind das nicht zu viele, sondern eher noch zu we-
    nig; manche finden auch keinen Job. Das Durchschnitts-
    alter beim Ausstieg aus dem Erwerbsleben liegt bei
    59 Jahren. Die Lebenserwartung liegt heute höher als
    1950, nämlich um sieben Jahre. Aber die Lebensarbeits-
    zeit wird kürzer. Die ganze Last konzentriert sich auf die
    38 Arbeitsjahre zwischen 21 und 59 Jahren. Das kann so
    nicht weitergehen.

    Deshalb müssen wir klar sagen: Es ist nötig, dass sich
    das faktische Renteneintrittsalter von 59 Jahren auf
    65 Jahre verschiebt. Das müssen wir erreichen. Wir müs-






    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    sen uns von der Vorstellung trennen, es sei schick und so-
    zialpolitisch vernünftig, einen Menschen mit 50, 52 oder
    55 Jahren in Rente zu schicken. Nein, ein Mensch kann
    und muss auch noch mit 55, 60 oder 65 Jahren die Chance
    bekommen zu arbeiten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Dabei wird deutlich, dass ein vernünftiger Umgang
    mit der Dauer des Arbeitslosengeldes an dieser Stelle
    Sinn macht. Der frühe Ausstieg aus dem Erwerbsleben
    ist kein biblisches Gesetz. Das ist vor zehn Jahren ge-
    macht worden – viele haben damals Blüm Beifall ge-
    klatscht –, als es darum ging, den großen Unternehmen
    die Möglichkeit zu geben, Sozialpläne zu finanzieren.
    Bei diesem Punkt geht es um Ehrlichkeit bzw. Unehr-
    lichkeit. – Herr Gerhardt, Sie nicken; Frau Merkel kennt
    diese Praxis noch nicht so genau. – Damals sind die Ar-
    beitslosenversicherungsbeiträge kräftig angehoben wor-
    den, damit große Unternehmen Menschen mit 55 oder
    57 Jahren entlassen konnten, die ein hohes Arbeitslosen-
    geld bekamen, um danach in Rente zu gehen. Das ist die
    Wahrheit.

    Wenn wir deutlich machen, dass wir es uns nicht leis-
    ten können, dass Menschen mit 55 oder 57 Jahren in
    Rente gehen, dann müssen wir auch sagen, wie wir dies
    anders regeln. Dies wird keine Strafaktion. Da gibt es ei-
    nen Vertrauensschutz. Aber wir müssen eine sinnvolle
    Regelung finden, um die Wirtschaft und den Arbeits-
    markt an dieser Stelle zu reformieren.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Zum Wohlstand gehört, dass wir ein anderes großes
    Arbeitspotenzial, das wir haben, besser als bisher nutzen.
    Ich spreche von der Arbeitskraft der Frauen, von der Ge-
    neration der jüngeren Frauen in diesem Land.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Erwerbstätigkeit der Frauen liegt im Westen bei
    60 Prozent, im Osten bei 73 Prozent. Das kann so nicht
    bleiben. Wir brauchen das Wissen, das Können und die
    Kreativität von Frauen. Wir müssen ihnen auch Lebens-
    chancen bieten. Das verbindet sich mit dem, was zwar
    heute nicht Hauptthema ist, aber was ebenfalls auf unse-
    rer Agenda steht: Hilfe zur Ganztagsbetreuung, damit
    die Frauen die Chance bekommen, Familie und Beruf zu
    vereinbaren.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir wollen in diesem Jahrzehnt endlich erreichen,
    dass auf Parteitagen nicht nur über Quoten gesprochen
    wird, sondern dass die Generation unserer Töchter und
    Enkeltöchter die reale Chance hat, Familie und Beruf
    vernünftig miteinander zu verbinden.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wohlstand und soziale Gerechtigkeit: Soziale Gerech-
    tigkeit ist nicht dasselbe wie Gleichheit. Gerechtigkeit
    beinhaltet immer auch die Frage von Leistungsfähigkeit
    und Leistungswilligkeit des Einzelnen. Soziale Gerech-
    tigkeit ist aber nur möglich, wenn der Zusammenhalt in
    der Gesellschaft organisiert ist.

    Der Begriff der Eigenverantwortung, Frau Merkel,
    schreckt uns nicht. Sie wissen: Die sozialdemokratische
    Überzeugung orientiert sich immer am Einzelnen. Ei-
    genverantwortung wird bei uns groß geschrieben. Aber
    Eigenverantwortung ist nur glaubhaft, wenn bei aller
    Verantwortung, die Eltern für ihre Kinder haben, der
    Staat, die Gemeinschaft aller – der Staat ist keine Krake,
    die die Menschen ausbeuten will, sondern die berech-
    tigte und vereinbarte Organisation der Gesellschaft –,


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    in der Lage ist, die Rahmenbedingungen für Kindergär-
    ten, Schulen und Hochschulen so zu gestalten, dass auch
    Kinder aus Arbeiterfamilien diese Schulen besuchen
    können.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Sie können so viel reden, wie Sie wollen: Wir laufen
    vor dem Staat nicht weg. Wir wissen, dass der Staat allen
    Grund hat, sparsam zu sein und schlank zu werden. Jeder
    Euro, den er ausgibt, ist das hart verdiente Geld seiner
    Bürger. Aber ohne den Staat geht es nicht. Auch für die Zu-
    kunft muss gelten: Eigenverantwortung und Zusammen-
    halt, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit haben damit zu
    tun, dass alle Menschen in der Gesellschaft handlungsfähig
    bleiben und die Chance zur Selbstverwirklichung und
    Eigenverantwortung erhalten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir sprechen viel über Generationengerechtigkeit.
    Bei all dem, was wir zu den Sozialversicherungssyste-
    men zu sagen haben, wird uns das noch beschäftigen.
    Dafür bleibt heute nicht viel Zeit. Ich will aber deutlich
    machen, dass wir nicht dem manchmal geäußerten Irr-
    glauben anhängen, dass die totale Privatisierung aller
    Lebensrisiken das Beste wäre. Ich sage Ihnen: Es gibt
    in einer Gesellschaft nichts Besseres, als dass Menschen
    für Menschen da sind


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    und man sich bei existenziellen Lebensproblemen auf
    Menschen verlassen kann. Diese sozialen Sicherungssys-
    teme, die wir finanzieren, sind sicherer als alle Lebens-
    versicherungen und Aktien. Wir wollen, dass Generatio-
    nen auch in Zukunft im vernünftigen Gleichschritt – nach
    dem Motto: Jeder trägt seine Last – füreinander sorgen.
    Das ist besser als alles andere.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das gilt im Übrigen auch – ich bin sehr dankbar dafür,
    dass es in diesem Zusammenhang klare Worte gab – für
    die gesetzliche Krankenversicherung. Manche sagen:
    Ich weiß nicht, ob ich das wieder herausbekomme, was






    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    ich eingezahlt habe. Das ist in der Tat so. Das ist aber
    auch nicht der Sinn. Eine Krankenversicherung ist kein
    Sparklub. Die Krankenversicherung funktioniert nur,
    wenn viele wissen, dass sie mehr einzahlen, als sie he-
    rausbekommen, damit einige, die darauf angewiesen
    sind, mehr herausbekommen, als sie einzahlen. So funk-
    tioniert das ganze System.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Jeder kann der Betroffene sein, jeder kann – auch in
    jungen Jahren – verunglücken oder behindert sein und
    viele Jahre lang darauf angewiesen sein, dass sich die
    Gesellschaft für ihn engagiert. Insofern steht dieses Prin-
    zip nicht zur Disposition.

    Zur sozialen Gerechtigkeit gehört, dass alle Gruppen
    – der Kanzler hat das deutlich gemacht –, auch der öf-
    fentliche Bereich, ihren Teil leisten. Ohne jemandem
    vorzugreifen, sage ich deshalb: Die Koalitionsfraktionen
    haben gestern vereinbart, dem Deutschen Bundestag
    vorzuschlagen, zum 1. Januar 2004 die Diäten nicht zu
    erhöhen und das übliche Sterbegeld für Abgeordnete ab-
    zuschaffen. Mit diesem Vorschlag leisten wir einen Teil
    unseres Beitrages.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn wir in Deutschland die Dinge in den Griff be-
    kommen wollen, brauchen wir das Miteinander. Das
    wissen wir. Ein Großteil dessen, was der Kanzler vorge-
    schlagen hat, können wir nicht allein mit der Mehrheit
    des Bundestages erreichen. Dafür brauchen wir die Zu-
    sammenarbeit und die Zustimmung des Bundesrats. Bei
    allem Streit muss es im Interesse des Landes möglich
    sein – darauf setzen wir –, dass das gelingt.

    Die Koalition und diejenigen aus der CDU/CSU, die
    mit sozialer Marktwirtschaft noch etwas anfangen kön-
    nen, können zusammenarbeiten und gemeinsam vernünf-
    tige Gesetze machen. Herr Schäuble, von Ihnen – Frau
    Merkel sehe ich im Augenblick nicht – erwarte ich, dass
    Sie diejenigen stoppen, die mit großer Lust und Arro-
    ganz dabei sind, grundlegende Gemeinsamkeiten zu zer-
    stören. Ich spreche Herrn Merz, Herrn Westerwelle und
    auch Herrn Rogowski an: Das, was in den letzten Tagen
    und Wochen gelaufen ist, muss aufhören. Herr Merz
    sprach in Bezug auf die Gewerkschaften vom „Sumpf
    austrocknen“. Betriebsräte sollte es im Osten nur noch in
    Betrieben mit über 80 Beschäftigten und im Westen in
    Betrieben mit über 20 Beschäftigten geben. Das Wahl-
    recht sollte so geändert werden, dass nicht so viele Ab-
    geordnete im Deutschen Bundestag Mitglied in einer
    Gewerkschaft sein könnten.


    (Zuruf von SPD: Unverschämtheit!)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, das rührt an die
    Grundwerte unserer Demokratie. Das ist kein Spaß
    mehr, sondern das demaskiert Sie.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

    Leute, die so reden, sind formal Demokraten, sie ha-
    ben aber nicht verstanden, dass Wirtschaft und Demo-
    kratie etwas miteinander zu tun haben. Die Wirtschaft ist
    für die Menschen da und nicht umgekehrt. Die Demo-
    kratie gehört zur Wirtschaft.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wenn ich Herrn Westwelle höre, dann sehe ich Frau
    Thatcher schon ihr Handtäschchen schwingen.


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ihre Vorschläge gehen in die Richtung, die man von
    Großbritannien kennt. Darauf lassen wir uns aber nicht
    ein.

    Der Deutsche Bundestag wird bei dem, was jetzt zu
    tun ist, eine wichtige Rolle spielen.


    (Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] hält eine Damenhandtasche hoch – Heiterkeit im ganzen Hause)


    – Herr Westerwelle, das habe ich doch vermutet.


    (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Nein! Das haben Sie gewusst, mein Lieber!)




Rede von Dr. Antje Vollmer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eventkultur im Deutschen Bundestag.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Franz Müntefering


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)



    Bis zum Sommer werden wir drei große Komplexe in
    Gesetzesform zusammenbinden: das Gesundheitswesen,
    die Gemeindefinanzreform einschließlich Arbeitshilfe
    und Sozialhilfe und den großen Komplex Mittelstand,
    Wachstum, Handwerksordnung, Arbeitsmarkt, Arbeits-
    recht. Wenn die Koalition die Eckpunkte hierfür fertig
    hat, werden wir die Opposition einladen, gemeinsam mit
    uns im Deutschen Bundestag diese Gesetze zu beraten
    und zu verabschieden.

    Es wäre nicht schlecht für die politische und demo-
    kratische Kultur in unserem Land, wenn wir uns nicht
    auf die scheinbare Selbstverständlichkeit einließen, dass
    sich in der ersten Lesung die Koalition und die Opposi-
    tion gegenüberstehen und dass das Vorhaben dann in den
    Bundesrat kommt, wo es sozusagen im Rat der Weisen
    beraten und letztlich im Vermittlungsausschuss entschie-
    den wird. Es wäre weiß Gott nicht schlecht für dieses
    Parlament, wenn wir nach der ersten Lesung, in der sich
    unsere Meinung und die der Opposition gegenüberste-
    hen, den Mut und die Entschlossenheit aufbringen wür-
    den, in den Sitzungen der Ausschüsse und auch in Ge-
    sprächen dafür zu sorgen, dass wir in der zweiten und
    dritten Lesung zu gemeinsamen Entscheidungen kom-
    men können. – Herr Seehofer nickt. Lassen Sie uns das
    also einmal versuchen!


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Franz Müntefering
    Ich will Ihnen auch noch einen Tipp geben, Frau
    Merkel. Ich kann Frau Merkel gerade nicht entdecken.


    (Abg. Dr. Angela Merkel [CDU/CSU] meldet sich)


    – Entschuldigung. – Alle Gesetze, die wir im Bundestag
    gemeinsam zustande bringen, bedeuten: Vorteil Merkel.


    (Heiterkeit bei der SPD)


    Alles, was wir im Bundesrat bzw. im Vermittlungsaus-
    schuss erreichen, bedeutet: Vorteil Stoiber. Das ist doch
    auch ein schönes Argument. Denken Sie deshalb einmal
    darüber nach, wie Sie damit umgehen wollen!


    (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, Frau Merkel hat es bereits
    angesprochen: Die deutsche Sozialdemokratie wird in
    wenigen Wochen, am 23. Mai, 140 Jahre alt. Was die
    Frage der Werte angeht, brauchen wir keine Ratschläge.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Als die Sozialdemokraten seinerzeit zusammentraten,
    hat der spätere Präsident des Allgemeinen Deutschen
    Arbeitervereins, Lassalle, ein Schreiben an die Konfe-
    renz gerichtet, die nach seinen Beweggründen gefragt
    hatte. Damals gab es in Deutschland nur die Arbeiterbil-
    dungsvereine. – Sie, meine Damen und Herren von der
    Opposition, gab es noch gar nicht. –


    (Heiterkeit bei der SPD)


    Daraufhin hat Lassalle gewissermaßen das erste Pro-
    gramm meiner Partei verfasst. Damals waren die Pro-
    gramme noch kürzer. Ich habe sie immer gerne gelesen.


    (Heiterkeit bei der SPD)


    Er hat zwei Grundwerte formuliert: Wenn du willst,
    dass es besser wird, dann mach dich auf den Weg und
    warte nicht ab, dass irgendjemand kommt, der das für
    dich tut.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Der zweite lautet: Wenn du willst, dass es besser wird,
    dann musst du wissen: Allein schaffst du das nicht. Du
    brauchst Leute, mit denen zusammen du das tust.


    (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Für diese Erkenntnis habt ihr vier Jahre gebraucht!)


    Er hat damals gesagt: Geh in einen Verein! Wir würden
    heute sagen: Mach in einer der demokratischen Parteien
    mit! Am besten in unserer; das ist klar.

    Das sind die Grundwerte, an denen wir uns orientie-
    ren, Frau Merkel. Es geht darum, sich nicht mit den Ge-
    gebenheiten abzufinden. Es geht nicht darum, zu glau-
    ben, dass das Paradies auf Erden oder die Schaffung
    eines neuen Menschen möglich sind. Es waren immer
    linke oder rechte Fundamentalisten, die das geglaubt ha-
    ben. Die Sozialdemokraten waren dagegen immer Refor-
    mer, die gewusst haben: Wenn wir zwei Schritte nach
    vorn gehen, gehen wir einen oder manchmal sogar zwei
    Schritte zurück. Aber wir lassen uns dabei nicht in die
    Knie zwingen.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich versichere Ihnen: Wir werden auch das schaffen.
    Wir werden Deutschland und der internationalen Gesell-
    schaft zeigen, dass wir auf internationaler Ebene wie
    auch in Deutschland diejenigen sind, die besser als alle
    anderen politischen Gruppen in diesem Land in dieser
    Koalition mit den Grünen garantieren können, dass in
    Deutschland Wohlstand und soziale Gerechtigkeit dauer-
    haft gewährleistet bleiben.

    Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


    (Langanhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bundeskanzler Gerhard Schröder überreicht dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering einen Blumenstrauß – Bundesminister Otto Schily gratuliert dem Fraktionsvorsitzenden)