Rede von
Dr.
Klaus W.
Lippold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Herr Minister Stolpe, wer sich mit Ihren Ausführun-
gen der letzten Zeit zur Verkehrsproblematik befasst hat,
wird festgestellt haben, dass wir sehr vieles von dem, was
Sie befürchten, in vollem Umfang teilen.
Annette Faße
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Dr. Klaus W. Lippold
Ihre Meinung, dass Standortproblematik und Ver-
kehrsproblematik zusammen betrachtet werden müssen
und dass wir hier Prioritäten setzen müssen, teilen wir. Sie
haben – das haben Sie heute nicht so stark betont; das ha-
ben Sie heute etwas eleganter überspielt – die dramatische
Situation des Verkehrsnetzes in Deutschland sehr deutlich
dargestellt. Auf diesen Punkt Ihrer früheren Ausführungen
müssen wir noch einmal zurückkommen. Wir wollen ge-
nauso wie Sie einen massiven Ausbau der Infrastruktur –
nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland. Wir
teilen auch Ihre Akzentsetzung, die Sie für die neuen Bun-
desländer vornehmen wollen, weil es hier unbestreitbar
Nachholbedarf gibt, den wir abarbeiten wollen.
Herr Minister, Sie haben gleichzeitig gesagt, dass Sie
die Erleichterung der Bildung von Wohneigentum für ei-
nen wichtigen gesellschaftspolitischen Stabilitätsfaktor
halten. Auch das teilen wir. Aber gerade diese letzte Be-
merkung nehme ich zum Anlass, deutlich zu machen, dass
wir Sie natürlich in Zukunft an Ihren Aussagen messen
werden; denn es geht nicht nur um Zielformulierungen,
sondern es geht darum, wie diese Ziele in die Tat umge-
setzt werden.
Angesichts der gesellschaftspolitischen Wertschätzung
von Wohneigentum ist es offensichtlich, dass Sie mit der
Kürzung der Eigenheimzulage in die völlig falsche Rich-
tung gehen.
Das ist in dieser Form nicht Ihnen persönlich anzulasten,
denn nach Ihren Äußerungen haben auch Sie das kritisiert.
Aber, Herr Minister, Ihnen ist anzulasten, dass Sie sich
mit Ihrer Kritik nicht durchgesetzt haben. Das ist der ent-
scheidende Punkt.
Weil wir heute schon mehrfach über einen Untersu-
chungsausschuss gesprochen haben,
muss ich sagen, dass die Frage der Eigenheimzulage
– Herr Schmidt, das erspare ich Ihnen nicht – natürlich ein
Beleg für die Wählertäuschung ist. Ich zitiere Herrn
Markwort, der im „Focus“ zu Beginn dieser Woche noch
einmal ganz deutlich aufgelistet hat, dass Sie in verschie-
denen Äußerungen
das ganze letzte Jahr hindurch gesagt haben, dass Sie hier
nichts ändern wollen,
dass die Eigenheimzulage bleibt,
dass sie ungeheuer wichtig ist und deshalb aufrechterhal-
ten wird. Dann haben Sie sie gekürzt. Der Kanzler, der ja
für die Politik verantwortlich ist, hat kurz vor der Wahl in
einem Interview deutlich gemacht, Zweifel seien nicht an-
gebracht. Er stehe de facto dazu. Das ist in der „Sied-
lerzeitung“ nachzulesen. Wenn das Wort „Wählertäu-
schung“ hier von einem Journalisten gebraucht wird,
werden Sie darauf hoffentlich in anderer Weise reagieren
und es nicht, wie Sie sonst üblich, als parteipolitische Po-
lemik abtun.
Nein, so kann man es nicht machen: noch bis zur letz-
ten Sekunde sagen: „Das steht; das ist stabil; es ändert sich
nichts“ und hinterher ganz rasch nach dem Motto „Wird
ja wohl nicht besonders auffallen“ Einschnitte vorneh-
men. Das ist Wählertäuschung. Das lassen wir Ihnen nicht
durchgehen.
Ich sage das, weil es natürlich in einem grundsätzli-
chen Zusammenhang mit der miserablen Situation in der
Bauwirtschaft steht.
Dieser Punkt trägt mit dazu bei, aber er ist nicht der ein-
zige. Die miserable Situation in der Bauwirtschaft ist zum
einen durch die Konjunktur bedingt. Aber durch das Um-
feld, das Klima, das Sie schaffen,
tragen Sie ganz erheblich dazu bei, dass die Lage für die
Bauwirtschaft immer schlechter wird. Ich denke an die
stetigen Diskussionen um die Vermögensteuer und um die
Erhöhung der Erbschaftsteuer. Was Sie sich in der letzten
Zeit für ein Chaos in der Vermögensteuerdiskussion ge-
leistet haben, können Sie überall nachlesen. Hier ist etwas
gesagt worden, dort ist etwas gesagt worden. Der Kanzler
hat zum 25. Mal ein Machtwort gesprochen: Ende der
Diskussion. – Das wird so sein wie bei den 24 Malen vor-
her: Das Machtwort hält genau einen Tag und dann geht
die Diskussion weiter,
weil dieser Kanzler nicht nur in der Öffentlichkeit an Ver-
trauen verloren hat, sondern sich mittlerweile auch in der
eigenen Fraktion nicht mehr durchsetzen kann.
Es ist doch erstaunlich, dass er die Frage der Vermögen-
steuer nicht hier, in der Generaldebatte im Deutschen
Bundestag, anspricht, sondern im ZDF, wo er Herrn
Müntefering nicht ins Gesicht gucken muss. Er würde ihm
natürlich deutlich machen: So läuft es nicht, Junge. Das
ist ein anderes Spiel. – Nein, so geht das nicht.
Die Frage der Besteuerung von Immobilien stellt sich
auch im Zusammenhang mit der Alterssicherung. Sie dür-
fen sich doch nicht wundern, dass nicht nur der Einfami-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1109
lienhausbau, sondern dass auch Mietwohnungsbau und
Industriebau zurückgehen. Das verdanken Sie dem Um-
feld, dem Klima, das politisch Sie zu verantworten haben.
Deshalb sind Sie auch verantwortlich für den Rückgang
der Zahl der Arbeitsplätze in der Bauindustrie.
Wir lassen dem Kanzler auch überhaupt nicht durch-
gehen, dass er gestern in einem Halbsatz – er hat ja sonst
über Arbeitslosigkeit nicht gesprochen, weil das für ihn
ein Sekundärproblem in dieser Republik ist – davon ge-
sprochen hat, die Bauwirtschaft sei „übersetzt“. Er stellt
das somit quasi als einen Normalisierungsvorgang dar.
Nein, das ist Folge verfehlter Politik.
Wie stellt sich denn die Situation dar? Wir hatten Ende
der 80er-Jahre im Westen dieser Republik 960000 Arbeits-
plätze in der Bauwirtschaft, nach der Wiedervereinigung
waren es 1,5 Millionen. Man kann sicherlich sagen: Das
war übersetzt. Aber jetzt, Herr Stolpe, haben wir 860000 im
glücklicherweise wieder vereinigten Deutschland. Dies
ist nicht mehr übersetzt. Jetzt greift die Strukturkrise in
Verbindung mit der generellen Konjunkturkrise und be-
wirkt, dass Arbeitsplätze, die erhalten werden könnten,
verloren gehen, und der Kanzler schaut mit der ruhigen
Hand zu.
Ferner wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie auch Pro-
gramme überprüfen würden, die Sie vor der Wahl zum
Beispiel im städtischen Bereich für ein Jahr aufgelegt,
aber nach der Wahl sofort auf Null gestellt haben. Das hat
nichts mit Kontinuität zu tun.
Herr Minister, ich möchte Sie insbesondere darum bit-
ten, dass Sie die Bahn nicht wie Ihr Vorgänger, dem ich
das mehrfach vorgeworfen habe, einfach so aus dem
Ruder laufen lassen. Herr Bodewig tanzte nach der Melo-
die, die Herr Mehdorn vorgegeben hat. Dies hatte fatale
Folgen. Nach außen wird gesagt: Die Bahn bedient die
Fläche. Realität aber ist: Anschlüsse, Gleise und Verbin-
dungen werden stillgelegt. Das kann es nicht sein, Herr
Mehdorn – Entschuldigung, Herr Stolpe. Dies ist mir auch
bei Herrn Bodewig passiert, den ich immer mit Mehdorn
angeredet habe, weil dieser der eigentliche Inspirator war.
Herr Stolpe, der Hauptpunkt ist: Wenn wir mehr Wett-
bewerb schaffen und dafür sorgen, dass die Strecken, die
die Deutsche Bahn nicht mehr will, von anderen genutzt
werden können, sieht die Situation ganz anders aus. Des-
halb erwarte ich, dass Sie zu mehr Wettbewerb und zu
mehr Verlagerung nicht nur etwas sagen, sondern auch et-
was tun. Auch daran werden wir Sie messen.
Ich habe gehört, dass Sie, der Kanzler und noch ein
Dritter jetzt wieder eine Pilgerfahrt nach Schanghai un-
ternehmen werden. Ich will noch einmal deutlich sagen:
Es kann nicht richtig sein, jetzt permanent in Schanghai
zu demonstrieren, was deutsche Technologie ist. Sie hät-
ten sich früher überlegen sollen, den Transrapid hier ein-
zusetzen; dann wäre es ganz anders gekommen.
Lassen Sie mich noch etwas zur ICE-Strecke Erfurt-
Nürnberg und den Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“
sagen, weil ich das für sehr wichtig halte. Den Ausbau der
ICE-Strecke von Erfurt nach Nürnberg haben – das haben
wir nicht vergessen – Ihre Freunde 1999 gestoppt. Wenn
dieser Ausbau jetzt endlich mit dem nötigen Nachdruck
versehen wird, ist dies aus meiner Sicht richtig. Wenn man
später über den Anschluss Erfurt-Berlin nachdenkt, ist das
angebracht; denn wir brauchen auch diese Verbindung.
Ich glaube, dass wir hier einer Meinung sind. Herr Stolpe,
ich erwarte aber auch, dass Sie so konsequent handeln,
wie Sie es hier angekündigt haben. Hoffentlich werden
Sie das auch einhalten.
Einige wenige Sätze zum Straßenbau: Ich halte die
Art und Weise, wie Sie die Einnahmen durch die Maut
verwenden wollen, für nicht akzeptabel. Sie stopfen damit
die eichelschen Haushaltslöcher, statt dieses Geld in
vollem Umfang in die Infrastrukturmaßnahmen zu
stecken und damit zum Ausbau des Straßen- und Schie-
nennetzes beizutragen.
Ich wiederhole es: Die Maut ist nicht dazu da, die
eichelschen Haushaltslöcher zu stopfen. Hier müssen die
Akzente anders gesetzt werden. Wir müssen ferner die
Belastungen des Verkehrsgewerbes durch die Harmoni-
sierung in der EU einigermaßen ausgleichen, damit – wie
dies einige Vorredner schon gesagt haben – das deutsche
Verkehrsgewerbe nicht kaputtgeht, das ausländische Ver-
kehrsgewerbe auf den deutschen Markt drängt und somit
auch hier, wie im Baubereich, Arbeitsplätze verloren ge-
hen, die wir in unserer Republik erhalten sollten und
müssten.
Ich möchte noch eine kurze Anmerkung zu den Was-
serstraßen machen. Meine sehr verehrten Damen und
Herren von der Regierungskoalition, man kann Wasser-
straßen auch ökologisch verträglich ausbauen. Was Sie
hier diskutieren, ist der Versuch, die Hochwasserkatastro-
phe zu instrumentalisieren. Sie gehen einen falschen Weg.
Wir brauchen die Wasserstraßen. Wir brauchen auch die
Flusswasserstraßen, um Alternativen zum Straßenverkehr
zu haben. Das kann in ökologischer Weise geschehen und
Sie sollten sich nicht gegen jeglichen Ausbau – dies steckt
ja hinter Ihren Ausführungen – sträuben.
In dem Sinne haben wir noch viel zu tun. Gehen wir es
gemeinschaftlich an.