Herr Seehofer, durch Ihre Spargesetze 1996 und 1997,
mit denen Sie eigentlich große Einsparungen erreichen
wollten, haben Sie unter anderem fast die medizinische
Reha ad acta gelegt. Das wollte ich dazu noch einmal sa-
gen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1093
– Richtig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die konjunk-
turelle Schwäche hat in Deutschland zurzeit deutliche
Spuren in den öffentlichen Haushalten hinterlassen. Dies
gilt selbstverständlich auch für die Sozialkassen.
Während die Ausgaben ansteigen, gibt es gleichzeitig im-
mer weniger Beitragszahler. Immer weniger Beschäftigte
müssen die Ausgaben der Krankenversicherung finan-
zieren. Dies führt selbstverständlich auch zu steigenden
Beiträgen. Mit anderen Worten: Wir müssen sparen. Wir
sparen aber sozial gerecht.
Aus diesem Grunde wird es im kommenden Jahr erst-
mals auch bei den Leistungserbringern zu einer Minde-
rung der Ausgaben kommen. Mit dem Gesetz zur Siche-
rung der Beitragssätze in der GKVhaben wir bereits einen
bedeutenden Schritt getan, um die Finanzgrundlage der
gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren und
den finanziellen Spielraum, den wir für die notwendigen
strukturellen Reformmaßnahmen brauchen, zu bekom-
men.
Gleichzeitig werden wir diese Strukturen im
stationären Sektor gezielt fortentwickeln. So sollen
Krankenhäuser, die bereits im kommenden Jahr nach dem
neuen Abrechnungsmodus der Fallpauschalen arbeiten,
auch im Jahre 2003 die ursprünglich vorgesehene Steige-
rungsrate erhalten. Von dem neuen Abrechnungssystem
erhoffen wir uns eine höhere Effizienz, sodass seine
schnelle Einführung eine entsprechende Ausnahme zu
rechtfertigen vermag.
Wir haben mit diesem Gesetz eine Nullrunde be-
schlossen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass im kom-
menden Jahr der gleiche Betrag zur Verfügung stehen
wird wie in diesem Jahr. Für niedergelassene Ärzte,
Zahnärzte und Krankenhäuser wird im kommenden Jahr
also mindestens der gleiche Betrag zur Verfügung stehen
wie im auslaufenden Jahr. Es ist also nicht so, wie es oft
gesagt wird, dass weniger Geld zur Verfügung steht.
Auch im ambulanten Bereich, Herr Thomae, halten
wir trotz Sparkurs an unseren innovativen Reformen fest.
– Richtig, innovative Reformen. – Ärzte, die sich an Di-
sease-Management-Programmen beteiligen, zum Bei-
spiel in den Bereichen Brustkrebs und Diabetes, können
mit den Krankenkassen hierfür besondere Vergütungen
aushandeln. Das Gleiche gilt auch für Hausarztverträge.
Besonders ausgeprägt waren und sind die Ausgaben-
zuwächse bei den Arzneimitteln. Das ist hier schon ein-
mal kurz angeklungen. Es ist davon auszugehen, dass sich
die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen im Zeit-
raum 2000 bis 2002 je Mitglied um 15 Prozent erhöht ha-
ben. Im Jahre 2001 sind die GKV-Arzneimittelausgaben
um 2,2 Milliarden Euro gestiegen und im Jahre 2002 wird
sicher noch 1 Milliarde Euro dazu kommen. Daher kann
und muss auch der Arzneimittelsektor seinen Beitrag zur
Stabilisierung der GKV-Finanzen leisten.
Das Beitragssatzsicherungsgesetz legt allen, von den
pharmazeutischen Herstellern bis zu den Apotheken, ein
Einsparopfer von 1,37Milliarden Euro auf. Das heißt, un-
sere Reformen haben Augenmaß.
Zwischen 1996 und 2001 stieg der Umsatz der Apo-
theken inflationsbereinigt um 22,2 Prozent. Das teilte das
Statistische Bundesamt in der vergangenen Woche mit.
Der gesamte deutsche Einzelhandel konnte seine Umsätze
im gleichen Zeitraum lediglich um 1,5 Prozent erhöhen.
Dieser Trend hat sich auch im laufenden Jahr fortgesetzt.
Während die Einzelhändler teilweise sogar Umsatzrück-
gänge verkraften müssen, können die Apotheken erneut
einen Zuwachs von 5,3 Prozent verbuchen. Lassen wir
uns also nicht beirren. Darüber hinaus wollen wir dafür
Sorge tragen, dass weniger Geld für vergleichbare Arz-
neimittel ausgegeben wird. Hierüber ist schon einiges ge-
sagt worden.
Wir werden und müssen über neue Wege bei der Fi-
nanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nach-
denken und die erforderlichen Maßnahmen in dieser Le-
gislaturperiode auf den Weg bringen. Im Klartext: Wir
haben nicht nur ein Ausgabeproblem, wir haben auch ein
Einnahmeproblem. Denken wir zum Beispiel nur einmal
an die Fehlversorgung. Selbst wenn wir die Überversor-
gung auf der einen Seite abbauen, verbleibt doch immer
noch die Unterversorgung in anderen Bereichen. Ich
denke hier auch an die Bereiche Prävention und Rehabi-
litation sowie an Chroniker. Hier fehlen uns immer noch
ausreichende Angebote. Das kann man nicht einfach weg-
diskutieren. Selbst wenn wir die Überversorgung ab-
bauen, ist das erst die halbe Miete. Einsparungen, die sich
in niedrigeren Beitragssätzen niederschlagen würden, ha-
ben wir damit aber noch lange nicht erreicht. Zunächst
einmal müssen wir die Unterversorgung beseitigen und
das kostet, wie wir alle wissen, auch Geld.
Wenn es wirklich stimmt, dass es bei jeder zweiten
Röntgenuntersuchung zu einer Fehldiagnose kommt, und
wenn es wirklich wahr ist, dass jede dritte Röntgenunter-
suchung überflüssig ist, zeigt das, dass wir hier handeln
müssen.
Aus diesem Grund haben wir in den Haushalt einen Be-
trag von 2 Millionen Euro eingestellt, mit dem die Vorun-
tersuchungen zur Entwicklung und Einführung einer
elektronischen Gesundheitskarte finanziert werden sol-
len. Die weiteren Kosten für ein entsprechendes Modell-
projekt zur Erprobung dieser Karte werden von den Kas-
sen aufgebracht. Diese Karte soll auch Notfalldaten und
Informationen über erforderliche Voruntersuchungen ent-
halten.
Neben der Gesundheitskarte verspricht auch das In-
strument einer Patientenquittung ein steigendes Maß an
Transparenz und Kostenersparnis.
Eckhart Lewering
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Eckhart Lewering
In diesem Punkt bestehen ja durchaus Gemeinsamkeiten
zwischen uns.
– Doch.
Die Finanzierung im Gesundheitswesen ist teilweise
auch deshalb defizitär, weil sich die Strukturen geändert
haben.
Ein weiteres Drehen an der Beitragsschraube ist daher
keine Lösung. Also müssen auch wir Strukturanpassun-
gen vornehmen, wenn wir die Finanzierung sicherstellen
wollen. Dies ist eine entscheidende Aufgabe für diese Le-
gislaturperiode. Wir werden dies tun, aber ohne den soli-
darischen Charakter unseres Gesundheitswesens zu op-
fern.
Immer wieder werden die Verwaltungskosten der
Krankenkassen als zu hoch bezeichnet. Wir handeln jetzt
und wollen erreichen, dass auch die Kassen selber ihren
Beitrag zum Sparen leisten, indem sie ihre Verwaltungs-
ausgaben im kommenden Jahr auf den Betrag des laufen-
den Jahres begrenzen. Also auch eine Nullrunde für die
Krankenkassen selbst.
Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Änderung des
SGB IX. Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Ar-
beitslosigkeit Schwerbehinderter haben wir die Kompe-
tenzen und Fähigkeiten behinderter Menschen in Arbeit
und Beruf in den Mittelpunkt gestellt.
Als Anreiz wurde gleichzeitig die Pflichtquote zur
Beschäftigung schwerbehinderter Menschen von 6 auf
5 Prozent gesenkt. Diese Initiative war ein durchschla-
gender Erfolg.
In nur zwei Jahren ist es mithilfe der neuen Instrumente
gelungen, vielen Tausend behinderten Menschen einen Ar-
beitsplatz zu vermitteln. Der Rückgang der Arbeitslosen-
zahlen auf diesem Gebiet lag Ende Oktober 2002 bei fast
24 Prozent.
Nach der geltenden Gesetzeslage müsste die Pflicht-
quote trotzdem zum 1. Januar 2003 wieder auf 6 Prozent
angehoben werden. Dies wäre aber genau das falsche
Signal. Es würde die Arbeitgeber mit circa 340 Milli-
onen Euro Mehrkosten belasten und ihre Motivation, auch
weiterhin behinderte Menschen einzustellen, nicht er-
höhen. Dies würde den erfolgreichen Reformprozess ge-
fährden. Um dies zu verhindern, wollen wir mit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf die Anhebung der Pflichtquote
um ein Jahr bis zum 1. Januar 2004 aussetzen.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es dem
neuen Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Si-
cherung gelungen ist, nun einen gemeinsamen Haushalt
für die Bereiche Gesundheit und soziale Sicherung vor-
zulegen, der einen wichtigen Beitrag zum politisch ge-
wollten Sparziel leistet und gleichzeitig die fachpoliti-
schen Ziele voll erfasst.
Ich danke Ihnen.