Rede von
Dr.
Hans-Peter
Friedrich
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kollege Altmaier hat gerade unseren Antrag
in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit vorgetragen.
– Das Gebrüll, das aus Ihren Reihen kommt, zeigt: Sie ha-
ben vor diesem Ausschuss verdammt viel Angst.
Dass sich Herr Beck in der Diskussion um diesen Aus-
schuss an der Verwirrung der Begriffe beteiligt, habe ich
erwartet. Von Ihnen, Herr Wiefelspütz, habe ich das nicht
erwartet.
Ich will Ihnen klar machen, worum es bei diesem Un-
tersuchungsauftrag eigentlich geht.
Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land wissen ganz
genau, wie sie Wahlkämpfe einzuschätzen haben. Sie wis-
sen, dass in Wahlkämpfen überzeichnet wird, dass oft
übertrieben wird und dass in der Hitze des Gefechts man-
ches etwas leichtfertig versprochen wird.
Die Versprechen kann man dann glauben oder nicht. Der
Bürger verlässt sich dabei auf seinen politischen Spür-
sinn, auf seinen gesunden Menschenverstand und auf
Daten und Fakten, die ihm bekannt werden.
Genau das ist der Punkt: Es geht bei diesem Untersu-
chungsausschuss nicht darum, Wahlversprechen zu unter-
suchen – diese sind Gegenstand der allgemeinen täglichen
Auseinandersetzung; die Quittung dafür gibt es bei der
nächsten Wahl –, sondern darum, ob die Tatsachen und die
Fakten, die der Bürger gebraucht hat, um sich ein politi-
sches Urteil fällen und um Sachverhalte richtig beurteilen
zu können, bewusst und gewollt gefälscht worden sind.
Wenn der begründete Verdacht besteht – wenn Sie sich
mit den Bürgerinnen und Bürgern im Land unterhalten,
dann werden Sie merken, dass das der Fall ist –, dass Tat-
sachen und Fakten mit regierungsamtlicher Autorität
eines Bundesministers oder gar des Bundeskanzlers
falsch dargestellt worden sind, dann ist das sehr gravie-
rend und kann mit Wahlkampf weder entschuldigt noch
erklärt werden.
Das Prinzip muss doch sein, dass sich der Bundestag
ebenso wie die Bevölkerung auf die Fakten verlassen kön-
nen müssen, die von der Bundesregierung dargelegt wer-
den.
Die Erscheinungsformen der demokratischen Aus-
einandersetzung haben sich im Laufe der Jahrzehnte sicher
ständig verändert. Wir haben in diesem Wahlkampf ge-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1071
spürt: Die Selbstdarstellung, die mediale Erscheinung
spielen eine immer zentralere Rolle. Fakten treten oft in den
Hintergrund. Daher ist es umso wichtiger, dass die relevan-
ten Fakten, die in der Diskussion noch eine Rolle spielen,
richtig sind, damit sich die Menschen auf diese Fakten ver-
lassen können. Sie müssen sich darauf verlassen können,
dass diese Fakten und Tatsachen nicht von Ministern, die
ein ganzes Ministerium mit Tausenden von Beamten hinter
sich haben, die die Bewertung vornehmen können und wo
alle Fäden zusammenlaufen, verfälscht werden.
Wollen wir wirklich zulassen, dass für den Macht-
erhalt alles erlaubt ist, selbst das Regierungsamt zu miss-
brauchen und die Unwahrheit zu sagen? Ich meine, das
darf nicht sein. Deswegen ist dieser Untersuchungsaus-
schuss nicht überflüssig, lieber Herr Wiefelspütz, sondern
er ist notwendig und richtig.
Wir brauchen eine Grundsatzdebatte über die politi-
sche Kultur.
Peter Altmaier hat dies in dieser Woche richtig gesagt. Wir
müssen uns die Frage stellen, ob die Maßstäbe, die wir an
Regierungsmitglieder anlegen, auch in der Zukunft noch
gelten sollen. Deswegen ist dieser Untersuchungsausschuss
nicht rückwärts gewandt, sondern nach vorne gerichtet. Er
muss klären: Wo sind die Grenzen für die Durchsetzung von
Machtinteressen? Wo sind die Grenzen für den Machterhalt
eines Bundeskanzlers und eines Bundesministers?
Es muss eine solche Grenze geben; denn die Wahrheit darf
den Machtinteressen und der Machterhaltung nicht geop-
fert werden.
Lieber Herr Eichel, dieser Untersuchungsausschuss ist
Teil der legitimen Kontrolle des Parlaments gegenüber
der Exekutive. Das ist Ausdruck der Gewaltenteilung.
Wenn Sie vorgestern in Ihrer Rede darüber gejammert ha-
ben, dass die kritischen Fragen, die die Opposition zu stel-
len hat, die politische Klasse insgesamt kaputtmachen
– Sie haben sogar von Weimarer Verhältnissen gespro-
chen –, dann gilt das gleiche Prinzip, das wir in den letz-
ten Wochen und Monaten schon immer festgestellt haben:
Wenn dieser Bundesregierung kritische Fragen gestellt
werden, dann wird das sofort als Majestätsbeleidigung
ausgelegt. Inzwischen weigern Sie sich sogar, kritische
Fragen von Sachverständigen und von Verbänden anzu-
nehmen, und beschimpfen sie.
Dieser Untersuchungsausschuss ist und bleibt legitim.
Wenn er als „Klamauk“, als „unanständig“ und von Herrn
Müntefering heute als „Instrument der Diffamierung“ be-
zeichnet wird,
dann steckt hinter diesen Überreaktionen die pure Angst
und Ihr schlechtes Gewissen.
Sie haben zu Recht ein schlechtes Gewissen; denn Sie ha-
ben sich seit der Auseinandersetzung um den blauen Brief
und das Theater, das Herr Eichel damals schon aufgeführt
hat, Stück für Stück in ein Lügengebäude verstrickt, das
es nun aufzuklären gilt.
Ich bedaure es außerordentlich, dass die Regierungs-
koalition jetzt mit irgendwelchen Geschäftsordnungs-
tricks versucht, den Ausschuss zu verzögern und aus-
zuhöhlen. Lesen Sie zu unseren rechtlichen
Möglichkeiten die Worte von Herrn Morlok, einem Ver-
fassungsrechtler, vom heutigen Tag nach. Er hat gesagt,
dass es keine rechtlichen Zweifel an diesem Ausschuss
gebe. Ich darf Sie daran erinnern, dass Herr Morlok im
letzten Untersuchungsausschuss von Ihnen immer wieder
als Sachverständiger benannt worden ist. Ich bin also ge-
spannt, welche Ausdrücke Herr Stiegler für Herrn Morlok
demnächst finden wird.
Ich sage Ihnen: Wir werden – Sie können die Einset-
zung ruhig ein bisschen verzögern, wir werden die De-
batte notfalls öffentlich führen – diesen Untersuchungs-
ausschuss durchführen. Wir werden nicht zulassen, dass
Sie ihn verwässern.