Rede von
Volker
Beck
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Schauerte, wenn es um Aufklärung
ginge, gäbe es – gerade hat der Herr Stadler gesprochen –
noch einen Gegenstand, der wahrlich einen parlamentari-
schen Untersuchungsausschuss lohnen würde,
nämlich die Frage, wer über die FDP-Finanzen Bescheid
wusste und wer auf Parteitagen, bei denen Herr
Möllemann seine Position vorgetragen hat, immer ge-
schlafen hat und trotzdem applaudieren konnte.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin sicher, dieser Untersuchungsausschuss neuen
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1069
Typs wird in die Geschichte der Ausschüsse eingehen als
Pharisäerausschuss.
Dieser Ausschuss ist rückwärts gewandt. Er wird unser
Land nicht voranbringen. Er wird uns kein Jota bei den
Reformen weiterbringen, die wir anpacken müssen. Er
hilft uns nicht, die gegenwärtige wirtschaftliche Situation
zu verbessern. Er ist schlecht für die Demokratie, weil Sie
ein ganz wichtiges Parlamentsrecht klamaukartig für den
Wahlkampf von Herrn Koch missbrauchen, weil Sie die-
ses Instrument, das eines der höchsten Güter der parla-
mentarischen Opposition zur Kontrolle einer Regierung
ist, inflationieren und so in einer Art und Weise gebrau-
chen, dass es dem Instrument nur schaden kann.
In der Vergangenheit wurden Parlamentarische Unter-
suchungsausschüsse vorwiegend eingerichtet, um krimi-
nelles Verhalten zu untersuchen, um dem Verdacht der
Korruption oder der Vetternwirtschaft nachzugehen oder
zumindestens schwere Regelverstöße aufzuklären. Ich er-
innere an die „Spiegel“-Affäre, an die Angelegenheit
Fibag – beide betreffen Strauß –, an die Flick-Affäre, an die
Neue Heimat und an den Parteispendenskandal Helmut
Kohl. Die Untersuchungsausschüsse zu all diesen The-
men hatten einen realen Gegenstand und sollten etwas
aufklären, sollten Zusammenhänge aufzeigen und sie da-
mit der Öffentlichkeit transparent machen. Dies ist hier
nicht der Fall. Hier geht es darum, Ahnungen, Vermutun-
gen von Regierungsmitgliedern zum Gegenstand von par-
lamentarischen Untersuchungen zu machen. Auf so etwas
zielt dieses Instrument nicht.
Sie zeigen damit auch: Frau Merkel tanzt nach der Pfeife
von Herrn Koch. Herr Koch hat sich den Ausschuss ge-
wünscht. Viele in der Union sagen gegenüber Presseagen-
turen und hinter vorgehaltener Hand, dass dieser Klamauk
der Sache nicht dienlich ist. Trotzdem wird das durchgezo-
gen. Das zeigt, wer in der CDU/CSU das Sagen hat.
Ihr Parteifreund, der frühere Bundespräsident Richard
von Weizsäcker, hat im heutigen „Stern“ das Richtige
dazu gesagt – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
Was soll herauskommen? Angriff, Gegenangriff, ge-
genseitige Schmutzladungen. Geschädigt ist am
Ende das Ansehen der Parteien. Die Einsetzung des
Ausschusses ist die Fortsetzung des Wahlkampfes.
Recht hat der Herr von Weizsäcker. Es wäre schön, wenn
sein Wort in Ihren Reihen noch etwas gelten würde.
Das ganze Projekt ist auch der Gipfel der Heuchelei.
Ich bin sicher: Am Ende wird diese Veranstaltung nach
hinten losgehen.
Ich weiß auch gar nicht, warum Sie sich in Ihrer Rede
vorhin so aufgeregt haben. Sie tun geradezu so, als habe
Rot-Grün den Menschen im Land blühende Landschaften
versprochen. Ich meine, das ist jemand anderes gewesen.
Kommen wir jetzt zum Wahlkampf und dazu, wer da
was gesagt hat. Am 30. August hat Herr Stoiber sein So-
fortprogramm vorgelegt, das immerhin 20 Milliarden
Euro kosten sollte.
Darin heißt es:
Unsere Maßnahmen können solide finanziert werden
... durch Privatisierungserlöse sowie durch Umschich-
tungen und Einsparungen innerhalb des Bundeshaus-
haltes. Weitere Einsparpotenziale ergeben sich im
Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit.
So weit das Sofortprogramm der Union, das Sie bis zum
22. September auf allen Wahlveranstaltungen landauf,
landab tapfer vertreten haben.
Ihr Kollege Austermann wusste ausweislich einer Pres-
semitteilung vom 5. September aber schon, dass nach sei-
ner Berechnung bei der Bundesanstalt für Arbeit 2 Mil-
liarden Euro fehlen. Am 11. September legte er noch einmal
nach und vertrat die Auffassung, man habe die 3-Prozent-
Hürde schon längst gerissen; das Staatsdefizit liege über
60 Milliarden Euro.
– Sie sagen: Er hatte doch Recht. – Woher wusste er denn
das?
Er weiß das aus Berechnungen, aus Vermutungen, aus
Hochrechnungen. Die konnte damals offensichtlich jeder
anstellen.
Aber wie konnten Sie in Kenntnis dieser Ihrer Prognosen
ins Land gehen und den Menschen erzählen, welche
Wahlgeschenke Sie ihnen noch machen wollen?
Das ist doch die Heuchelei! Sie haben den Leuten etwas
vorgemacht. Sie hätten die längsten Nasen hier im Haus,
wenn sich Lügen wie in dem Märchen von Pinocchio in
der Verlängerung von Nasen auswirken würden.
Die Leute aus Ihren eigenen Reihen gestehen es ja auch
zu. Herr Perschau hat im Deutschlandfunk gesagt: Die
Länder kannten die Situation sehr wohl und haben sie
auch beschrieben. – War denn Ihr Kanzlerkandidat, der
Herr Stoiber, kein Ministerpräsident? Hat er denn nichts
Volker Beck
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Volker Beck
gewusst? Aber er hat anders gehandelt als Hans Eichel,
der hier eine solide Haushaltspolitik gemacht hat.
– Ja! Der Bund hat bereits am 19. August eine Haushalts-
sperre verhängt, um seine Finanzen in diesem schwieri-
gen Haushaltsjahr und nach der Flut unter Kontrolle zu
behalten.
Herr Austermann sagte am 11. September:
Die Steuereinnahmen aller öffentlichen Haushalte
– hört, hört! –
brechen aufgrund der äußerst schwachen Konjunktur
... dramatisch weg.
Wann hat Herr Faltlhauser reagiert? – Er hat erst nach
der Steuerschätzung Mitte November eine Haushalts-
sperre verhängt, obwohl man in sechs Wochen nun wirk-
lich nicht mehr viel sparen kann. Jeder vernünftige Haus-
hälter weiß, dass dann die Chose gelaufen ist. Wann hat
Herr Weimar in Hessen seinen Nachtragshaushalt vorge-
legt? – Das war, nachdem die Steuerschätzung vorgelegen
hat. Alle haben angeblich nichts gewusst, obwohl die Lan-
desminister diejenigen sind, die dem Bundesfinanzmi-
nisterium die Entwicklung bei den Steuereinnahmen mel-
den müssen.
Das wird auf Sie zurückfallen. Das werden wir im Aus-
schuss diskutieren.
Einen letzten Satz zu dem Antrag, den Sie vorgelegt
haben – Sie haben sich eine Begründung dazu vorsichts-
halber erspart, damit wir verfassungsrechtliche Argu-
mente hier erst gar nicht erörtern können –: Die Annahme,
Verabredungen innerhalb der Bundesregierung gehörten
nicht zum Eigenbereich der Exekutive und dürften von ei-
nem Untersuchungsausschuss ausgeforscht werden, ist
völlig abwegig.
Meine Damen und Herren, wir scheuen diesen Unter-
suchungsausschuss in keiner Weise. Wir werden uns dem
stellen und werden die Wahrheit ans Licht bringen. Wir
werden Ihnen aber nicht ersparen, dass auch Ihre Leute,
die Landesfinanzminister und Ministerpräsidenten Ihrer
Partei, die Hosen herunterlassen müssen. Am Ende wer-
den wir Bilanz ziehen. Ich sage Ihnen: Sie werden bis aufs
Hemd nackt dastehen.