Rede von
Dr.
Dieter
Wiefelspütz
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es schauen und hören uns in diesen Minuten viele
Menschen zu. Ich weiß nicht, ob wir uns dessen immer be-
wusst sind. Herr Altmaier, sie schauen uns allen zu. Für
diesen Deutschen Bundestag hat jeder von uns seine Ver-
antwortung.
Der Deutsche Bundestag hat seit 1949 insgesamt
32 Untersuchungsausschüsse eingesetzt. Manche waren
sehr wichtig, andere vielleicht nicht ganz so wichtig. Aber
der Untersuchungsausschuss, den wir in den kommenden
Tagen oder Wochen einzusetzen gedenken, ist der über-
flüssigste, der jemals in Deutschland diskutiert worden ist.
Das ist die große, breite Stimmung in der Bevölkerung.
Diese Position vertreten im Grunde auch viele von Ihnen.
Der eine oder andere tut es sogar laut. Da muss ich nicht
unbedingt in den eigenen Reihen suchen. Die Kronzeugen
für diese Position gibt es in Ihren Reihen.
Meine Damen und Herren, das Untersuchungsrecht
ist ein ganz wichtiges Instrument des Parlamentes.
Ich habe heute Morgen einen französischen Diplomaten
zum Antrittsbesuch bei mir gehabt. Er sagte mir, so etwas
gebe es in Frankreich gar nicht. Solche Untersuchungs-
möglichkeiten sehe das französische Verfassungsrecht
nicht vor. Was Sie zu unternehmen anstehen, sei in Frank-
reich undenkbar.
Ich habe ihm gesagt: Wir sind stolz darauf, dass wir ein
solches Untersuchungsrecht haben, das durch Art. 44 des
Grundgesetzes verbürgt ist. Es hat den Sinn, einen Sach-
verhalt aufzuklären, Herr Altmaier, und ihn politisch zu
bewerten, auch in der politischen Kontroverse.
Peter Altmaier
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Dr. DieterWiefelspütz
Ein Untersuchungsausschuss hat nicht den Sinn und
die Aufgabe, eine Bundestagswahl infrage zu stellen.
Er hat nicht die Aufgabe – und das wollen Sie –,
im Nachhinein eine Bundestagswahlentscheidung unse-
res Volkes zu delegitimieren. Das ist Ihr Ziel und das wer-
den wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Ein Untersuchungsausschuss ist auch nicht die Verlän-
gerung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln. Der Wahl-
kampf war am Sonntag, dem 22. September 2002, um
18 Uhr zu Ende. Begreifen Sie das endlich einmal! Sie ha-
ben die Wahl verloren. Sie werden sie nicht durch einen
Untersuchungsausschuss gewinnen.
Noch nie war ein Untersuchungsausschuss so über-
flüssig. Wir blamieren uns vor unseren Wählerinnen und
Wählern
mit solch einem Untersuchungsausschuss.
Wir haben alle miteinander eine Verantwortung für dieses
Parlament und für unsere Institutionen.
Herr Kollege Altmaier, wir haben mindestens eines ge-
meinsam – vermutlich haben wir auch noch andere Ge-
meinsamkeiten –: Sie und ich, wir dürfen nicht lügen. Sie
und ich, wir dürfen auch nicht heucheln und nicht vorver-
urteilen. Sie sagen hier: Ich habe einen seriösen Anspruch.
– Gleichzeitig sind Sie aber schon mit Ihrem Vorurteil fer-
tig. Sie verurteilen Menschen.
Was wollen Sie eigentlich? Wollen Sie nur eine Bestäti-
gung Ihrer Vorurteile? Wo ist das Mindestmaß an Fairness
im Umgang miteinander?
Ich sage: Sie beschädigen die Institutionen, wenn Sie
so vorgehen. Wir haben bei allem Streit und Kampf nicht
das Recht, einander zu diffamieren. Wir beschädigen da-
mit die demokratische parlamentarische Kultur. Verlierer
sind wir letzten Endes alle, wenn wir das so betreiben.
– Ich bitte Sie sehr, sich zurückzunehmen. Ich pflege nicht
dummes Geschwätz am Rednerpult im Deutschen Bun-
destag von mir zu geben. Ich bitte Sie wirklich, auf dem
Teppich zu bleiben.
Wir entschuldigen uns nicht dafür, dass dieser zweifel-
hafte Untersuchungsantrag im Geschäftsordnungsaus-
schuss auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft wird.
Ich habe erhebliche Zweifel, ob Sie nicht in Wirklichkeit
eine Wahl delegitimieren wollen.
Ich habe erhebliche Zweifel, ob Sie den Kernbereich exe-
kutiver Eigenverantwortung ausforschen wollen. Das
wird geprüft. Wir werden das nicht beliebig lange, son-
dern sehr zügig tun.
– Wovor habe ich Angst?
– Sie werden doch wohl nicht glauben, dass ich mich ent-
schuldige oder dafür schäme, dass wir das Grundgesetz
auf Ihren Antrag anwenden. Ich bitte Sie! Wo sind wir
denn eigentlich?
Wir werden das zeitnah prüfen, Kollege Altmaier. Ich
denke durchaus, dass wir eine Chance haben, einen ver-
fassungskonformen Untersuchungsantrag noch vor Weih-
nachten installieren zu können.
Wir schauen uns Ihren Antrag an und behalten uns vor,
ihn so zu ergänzen, dass er nicht einäugig ist. Die Wahr-
heit sieht man nur mit zwei Augen, nicht mit einem. Auch
dafür entschuldigen wir uns nicht.