Rede von
Peter
Altmaier
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden
mit diesem Untersuchungsausschuss klären, ob und, wenn
ja, inwieweit die Bundesregierung den Bundestag oder die
Öffentlichkeit über die Lage des Bundeshaushaltes, über die
Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien und über die Finanz-
lage der Renten- und Krankenversicherungen falsch oder
unvollständig informiert hat. Wir sind durch die verhee-
rende öffentliche Diskussion in den letzten Wochen,
durch den rapiden Vertrauensverfall der Bundesregierung
sowie durch die unverfrorenen, widersprüchlichen und
völlig unbefriedigenden Aussagen der Regierung zu den
gegen sie erhobenen Vorwürfen zu diesem Schritt ge-
zwungen.
Hans-Ulrich Jörges, Journalist vom „Stern“, ein kluger
Kopf und weiß Gott nicht im Verdacht besonderer CDU-
Nähe, schreibt:
Gäbe es noch Anstand in der Politik, wäre – in Japan
kennt man solche Demutsgesten – eine Entschuldi-
gung des Kanzlers fällig für das beispiellose Be-
trugs- und Verschleierungsmanöver ... und zwar im
Bundestag.
Recht hat er und er ist beileibe nicht der Einzige, der sol-
che Vorwürfe gegen Sie erhebt.
Die Kritik am Untersuchungsausschuss, die Sie land-
auf, landab hören, lautet, man solle sich lieber den Zu-
kunftsfragen zuwenden, denn dass die Regierung gelogen
und die Unwahrheit gesagt habe, wisse inzwischen ohne-
hin jeder.
Hans Eichel
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Peter Altmaier
Meine Damen und Herren, wenn wir es zuließen, dass es
für selbstverständlich und normal gehalten wird, dass Re-
gierungen falsch informieren oder die Unwahrheit sagen,
dann wäre dies nichts anderes als die Selbstaufgabe und
Bankrotterklärung unseres politischen Systems. Solches
Fehlverhalten aufzudecken, ist Dienst an der politischen
Kultur und zukunftsgerichtet.
Es geht uns nicht – wie Sie vielleicht vermutet haben –
um irgendwelche Reden von SPD-Wahlkämpfern, es geht
uns nicht um die Schönfärberei in Ihrem Regierungspro-
gramm
und auch nicht um die Verlautbarungen von Herrn
Müntefering. Diese haben uns vermutlich mehr Wähler
gebracht als Ihnen. Nein, es geht uns darum, dass die
Regierung als Staatsorgan, dass die Minister und Staats-
sekretäre die verfassungsrechtliche Pflicht haben, das
Parlament und die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu in-
formieren, und zwar unabhängig davon, ob gerade Wahl-
kampf ist oder nicht.
Weil wir den Untersuchungsauftrag so formuliert ha-
ben, dass er sich ausdrücklich und ausschließlich auf das
Verhalten der Regierung gegenüber dem Bundestag und
den Bürgern bezieht, ist seine Formulierung über jeden
verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben und die Einschal-
tung des Vermittlungsausschusses durch die rot-grüne
Mehrheit ohne jede Berechtigung und Begründung.
Der Ausschuss ist notwendig. Herr Gabriel erklärt: Die
Wahrheit vor der Wahl? – Das hätten Sie wohl gern ge-
habt. Frau Simonis erklärt: Sie wussten die Zahlen, wie
wir sie gewusst haben. Herr Metzger, Ihr ehemaliger
Haushaltsexperte, sagt, die Bundesregierung und auch der
Bundesfinanzminister hätten sich fürs Weiterregieren und
gegen die Ehrlichkeit entschieden. Nur Sie, Herr Eichel,
als der zuständige Minister erklären unverdrossen, Sie
seien nach der Wahl aus allen Wolken gefallen und hätten
von alledem nichts gewusst. Herr Bundesminister, ich
vermute, Sie haben während der entscheidenden Monate
Urlaub auf der Insel der Ahnungslosen gemacht. Jetzt sind
Sie zurück in der Realität. Dieser Realität müssen Sie sich
stellen.
Die Sache ist zu ernst,
als dass Sie sie auf die leichte Schulter nehmen können.
In Deutschland und in anderen Ländern sind Minister und
Staatssekretäre zurückgetreten, weil sie dem Parlament
die Unwahrheit gesagt haben.
Das weiß natürlich auch Herr Eichel. Deshalb hat er, an-
ders als Herr Gabriel und Frau Simonis, auch gar keine
andere Wahl, als an der offiziellen Version festzuhalten,
auch wenn sie inzwischen noch so unglaubwürdig ist.
Herr Eichel, Sie haben ein Recht darauf, dass wir Sie
mit Ihrer Version ernst nehmen und dass wir uns im Un-
tersuchungsausschuss sachlich, akribisch und eingehend
mit Ihrer Version beschäftigen. Das will ich Ihnen zusa-
gen. Wir werden Ihrer Version das gegenüberstellen, was
uns die Akten vermitteln und was uns die Beamten aus
den Ministerien und die Sachverständigen sagen.
Wenn sich jemand findet, der überzeugend und schlüssig
nachweist, dass sich zwischen dem Tag der Bundestags-
wahl, dem 22. September, und dem Tag des Abschlusses
der Koalitionsvereinbarung, dem 24. Oktober, alle volks-
wirtschaftlichen Basisdaten plötzlich in ihr Gegenteil ver-
kehrten, dann werde ich den Betreffenden höchstpersön-
lich für den Nobelpreis für Neuentdeckungen in der
Wirtschaftswissenschaft vorschlagen.
Ich fürchte, Sie werden diesen Nachweis nicht führen
können. Das ist der Grund für die heillose Verwirrung,
die inzwischen in Ihren Reihen Platz gegriffen hat: Herr
Schröder spricht von Klamauk; Herr Gabriel findet den
Ausschuss gut; Herr Müntefering sieht verfassungs-
rechtliche Probleme; Herr Schmidt will Eichel und
Schröder noch vor Weihnachten in den Zeugenstand
rufen; Herr Wiefelspütz hofft auf den Geschäftsord-
nungsausschuss. Im Vergleich zu diesem Wirrwarr sind
sogar die täglich wechselnden Erklärungen von Herrn
Müntefering und Herrn Scholz zum Thema Mehrwert-
steuererhöhung geradezu ein Ausbund an Klarheit und
Konsequenz.
Inzwischen habe ich den Eindruck, Sie setzen auf Ver-
zögerung und Verschiebung, solange es nur irgendwie
geht. Damit tun Sie sich und der Sache keinen Gefallen.
Deshalb appelliere ich an Sie: Hören Sie damit auf und
sorgen Sie dafür, dass der Ausschuss unverzüglich seine
Arbeit aufnehmen kann!
Wir wollen aufklären, was war, um für die Zukunft zu
verhindern, dass sich Derartiges wiederholt, und zwar
ganz gleich, wer im Bund oder in den Ländern regiert.
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Wir Politiker sind im besonderen Maße abhängig vom Ver-
trauen und vom Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger.
Es ist die Grundlage unserer Legitimation. Deshalb dür-
fen wir nicht zulassen, dass dieses Vertrauen immer wei-
ter beschädigt und ausgehöhlt wird.
Herr Kollege Dr. Wiefelspütz, aus den vergangenen
acht Jahren in diesem Parlament schätze ich Ihre Sach-
kunde und Ihre Integrität.
Ich wünsche mir, dass dies so bleibt. Ich freue mich auf
eine gute Zusammenarbeit im Untersuchungsausschuss.
Herr Kollege Benneter, Sie sind neu in diesem Haus.
Aber ich erinnere mich an Ihre Zeit als Juso-Bundesvor-
sitzender,
wo Sie den Mut hatten, auch gegen die Obrigkeit das zu
vertreten, was Sie für richtig gehalten haben. Sie werden
ein verantwortungsvolles Amt haben. Ich bitte Sie: Ver-
wechseln Sie im Interesse der gemeinsamen Sache das
Amt des Ausschussvorsitzenden nicht mit dem des Spre-
chers der SPD-Fraktion in diesem Untersuchungsaus-
schuss!
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich
möchte Ihnen über die gesetzlichen Regelungen hinaus
einen Fairnesspakt anbieten,
in dem wir die Grundlagen für eine faire, gedeihliche und
zügige Ausschussarbeit vereinbaren. Ich möchte Sie um
eines herzlich bitten: Sie haben im Spendenuntersu-
chungsausschuss an das Verhalten der Politiker aus den
Reihen der Union strenge moralische Maßstäbe angelegt.
Wir fordern jetzt von Ihnen ein, dass wenigstens ein Teil
dieser Maßstäbe auch für das Verhalten der Bundesregie-
rung gilt.
Meine Damen und Herren, wenn wir gemeinsam bereit
sind, in diesem Ausschuss auf die übliche Polemik zu ver-
zichten,
wenn wir bereit sind, auch einmal vor der eigenen Tür zu
kehren, auch wenn es wehtut,
dann können wir mit diesem Ausschuss einen Beitrag zur
politischen Kultur und zur Wiedergewinnung von Glaub-
würdigkeit in diesem Land leisten.
Vielen herzlichen Dank.