Rede von
Dr.
Gesine
Lötzsch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
ehrte Gäste, ich bin Abgeordnete der PDS.
Die wenigen Minuten, die mir zur Verfügung stehen,
will ich dem Thema Leiharbeit widmen. Leiharbeit ist als
die zentrale Lösung entdeckt worden. Sie soll zu massiven
Einsparungen im Bundeshaushalt führen. Leiharbeit wird
als das Herzstück des Hartz-Konzeptes gefeiert. Schaut
man sich allerdings in anderen Ländern um, dann sieht
man, dass dort der Anteil der Leiharbeiter an der Gesamt-
zahl der Beschäftigten nur einen Bruchteil ausmacht. Selbst
in den Vereinigten Staaten, die immer als Beispiel herange-
zogen werden, ist der Anteil verschwindend gering.
Der Ansatz von Hartz geht davon aus, dass die Leih-
arbeit ein niedrigschwelliges Angebot für Unternehmen
ist. Sie haben die Möglichkeit, den arbeitslosen Leih-
arbeiter im Arbeitsprozess kennen zu lernen, um dann zu
entscheiden, ob sie ihn übernehmen wollen oder nicht. So
entsteht der Eindruck, dass man, wenn man sich halbwegs
anständig benimmt und seine Arbeit gut macht, übernom-
men wird.
Wer allerdings nicht übernommen wird, hat ein Pro-
blem. Er ist wieder arbeitslos und steht gleichzeitig unter
dem Verdacht, dass er sich offensichtlich nicht ordentlich
genug benommen hat, dass er nicht ordentlich gearbeitet
hat, dass er geklaut hat oder dass er vielleicht auch nur un-
pünktlich war. So entsteht durch Arbeitslosigkeit und fehl-
geschlagene Vermittlung eine doppelte Stigmatisierung.
Dabei ist es in der Regel wohl eher so, dass die Leihar-
beiter Produktionsspitzen auffangen oder die Stamm-
belegschaft sogar teilweise ersetzen sollen. Doch das wird
der Öffentlichkeit kaum vermittelt. Der arbeitslose Leihar-
beiter gerät in Erklärungsnot gegenüber seiner Familie und
seinem Freundeskreis. Ich denke, dass Leiharbeit die psy-
chischen Probleme der Arbeitslosen noch potenzieren wird.
Herr Clement, versuchen Sie, sich nur einen Moment
vorzustellen, Sie wären nicht als Superminister vom
Kanzler geholt worden, sondern als Leihbeamter bzw.
Leihminister. Selbst wenn Ihnen das gleiche Geld wie
Ihren Ministerkollegen geboten worden wäre, Sie wären
nicht so einfach nach Berlin gekommen; es musste schon
ein Superministerium sein. Ich kann mich in Ihre Psyche,
Herr Clement, gut hineinversetzen. Die Frage ist, ob Sie
sich in die Psyche derArbeitslosen hineinversetzen kön-
nen, die zu Leiharbeitern gemacht werden sollen.
Meine Damen und Herren, nach der Ablehnung des
Konzepts durch den Bundesrat gibt es eine große Diskus-
sion darüber, ob die Leiharbeiter unter Tarif angestellt
werden sollen. Für Langzeitarbeitslose und Schwer-
vermittelbare hält Herr Gerster Arbeitslöhne von 20 bis
30 Prozent unter dem normalen Tarif für angemessen.
Auch Frau Simonis und andere sozialdemokratische Mi-
nisterpräsidenten sind dieser Meinung.
Ich finde, dass diese Diskussion das Pferd von hinten
aufzäumt. Es lohnt sich, darüber einmal nachzudenken.
Warum stellt sich eigentlich keiner die Frage, ob nicht die
Zwischenschaltung von Zeitarbeitsfirmen, die an der
Vermittlung ein bisschen verdienen wollen, die Lohnkos-
ten für die Leiharbeiter zusätzlich zu stark erhöht?
Ich habe mich in der letzten Woche mit einem Berliner
Unternehmer aus dem Hightechbereich unterhalten. Er
hat eine Produktion mit 35 Beschäftigten und würde bei
Auftragsspitzen gerne Leiharbeiter einstellen. Doch die
sind, da die Leiharbeitsfirmen daran verdienen, teurer als
seine eigenen Arbeitnehmer.
Er zieht daraus einen ganz anderen Schluss als Frau
Simonis und Herr Gerster. Er fragt sich, warum er für eine
Leiharbeitsfirma bezahlen soll, wenn es Arbeitslose gibt,
die er bei Produktionsspitzen einstellen könnte.
– Hören Sie bitte noch weiter an, was ich sagen werde, be-
vor Sie sich noch weiter aufregen, meine Herren!
Aus meiner Sicht mangelt es nicht an Arbeitskräften,
sondern an Kapital und an Aufträgen. Damit können die
Leiharbeitsfirmen wohl nicht weiterhelfen – und die
Bundesregierung offensichtlich auch nicht.
Es ist nötig, sich Gedanken über die Schaffung von neuen
Arbeitsplätzen zu machen. Das ist die Aufgabe, die von
der Bundesregierung zu wenig angegangen wird.
Herzlichen Dank.