Rede von
Hartmut
Schauerte
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte versuchen, mit Ihnen einmal darüber
nachzudenken, wie man Vertrauen in der Volkswirtschaft
herstellen könnte, wie wichtig das wäre und woran es lie-
gen könnte, wenn wir das nicht schaffen.
Warum sollte in Deutschland bei den Mittelständlern,
die eigentlich am liebsten über volle Auftragsbücher re-
den und nur sehr ungern jammern, und bei den Arbeit-
nehmern, die gern über ausreichende Mittel für ihren
Konsum verfügen und ebenfalls nicht gern jammern, die
Hoffnung entstehen, dass sich die Dinge jetzt ändern, dass
es jetzt besser wird? Was ist die Ursache dafür, wenn das
nicht gelingt?
Wenn ich einmal darüber nachdenke, wie der Start der
Regierung war, wie sie sich präsentiert hat, mit einer Viel-
zahl von sich zum Teil heftig widersprechenden Vor-
schlägen, die nicht zu Ende gedacht waren, und wie so die
erste große allgemeine Verunsicherung produziert wurde,
stelle ich fest: Das trägt wahrlich nicht dazu bei, dass Ver-
trauen wachsen kann, das wichtig ist, um die Konjunktur
wieder nach vorn zu bringen.
Was dagegen die CDU/CSU vorgelegt hat – ein-
schließlich der zehn Punkte, die Christian Wulff jetzt vor-
gestellt hat –, ist exakt das, was wir in unserem Regie-
rungsprogramm versprochen haben. Wir unterscheiden
uns von der SPD zurzeit dadurch, dass wir den Menschen
unser Programm noch einmal zeigen und sagen können:
„Das haben wir vorher gesagt und das tun wir hinterher“,
während Sie es mit einer unglaublichen Brutalität exakt
umgekehrt machen.
Sie tun bei einer sehr großen Anzahl von Maßnahmen das
Gegenteil dessen, was Sie den Menschen vor der Wahl
versprochen haben. Das ist eine für das Vertrauen in die
Volkswirtschaft lebensgefährliche Operation.
Ein zweites Element, durch das Vertrauen wachsen
könnte, wäre die Ernennung eines wirklichen Superminis-
ters. Was heißt eigentlich „Superminister“? Superminister
ist jemand, der so viele Erfolge in seinem Leben aufzu-
weisen hat, dass er sich für die nächste Aufgabe den Ver-
trauensvorschuss verdient hat, dass er diese Aufgabe auch
packen wird. Herr Clement, Ihre Ergebnisse in Nordrhein-
Westfalen sind aber wirklich nicht zum Vorzeigen geeig-
net und taugen nicht dazu, dass Ihnen deswegen als Per-
son besonderes Vertrauen zuwächst.
Sie wissen, dass Sie fast alle Baustellen in Nordrhein-
Westfalen unfertig verlassen haben. Sie wissen, dass
Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr von allen Flächen-
ländern einschließlich der neuen das schlechteste Wirt-
schaftswachstum hatte, minus ein Prozent,
und das, nachdem Sie 13 Jahre zentrale Verantwortung für
die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen getragen hatten.
Ihre Leistungsbilanz ist also nicht geeignet, Vertrauen
wachsen zu lassen.
Superminister kann man jemanden nennen, der eine
besonders große Aufgabe gestellt bekommen hat, und die
haben Sie, der sie aber auch erfüllt. Sie haben immerhin
sieben Staatssekretäre, mit denen diese Aufgabe bewältigt
werden soll. Das muss man sich einmal auf der Zunge zer-
gehen lassen. Wie setzen Sie diese Autorität, diese Macht,
diese besondere Gestaltungskraft, die Sie bekommen ha-
ben, jetzt konkret ein, um Vertrauen wachsen zu lassen?
Wo ist erkennbar, dass Clement zu schwierigen Entschei-
dungen steht? Die erste Entscheidung, die Sie treffen
mussten, betraf das Hartz-Konzept. Sie hätten es eins zu
eins umsetzen können. Herr Clement, wenn Sie es getan
hätten, hätten Sie gezeigt, dass Sie stark sind und dass Sie
sich durchsetzen können. Es wäre Vertrauen gewachsen
und das wäre wichtig gewesen. Stattdessen haben Sie sich
schon bei Ihrer ersten Operation wieder von der gewerk-
schaftlichen Sperrmacht in Ihrer Fraktion bremsen lassen;
Sie sind wieder zurückgewichen und nutzen das Potenzial
zur Gestaltung nicht so aus, wie es die Volkswirtschaft
jetzt braucht.
Sie wissen ganz genau, dass Sie mit der Einführung des
Prinzips von Equal Pay in der Zeitarbeit einen Weg be-
schreiten, der Arbeitsplätze bei den Zeitarbeitsunter-
nehmen zerstört – 100 000 sind uns prognostiziert –, und
Sie haben damit noch nicht einen einzigen zusätzlichen
Arbeitnehmer über die Personal-Service-Agenturen ver-
mittelt.
Wo sagen Sie etwas dazu, wie Sie sich in Zukunft Be-
lastungssenkungen für den Mittelstand und die Konjunk-
tur vorstellen? Nirgendwo! Es gibt keine Aussage von
Ihnen! Herr Brandner hat gerade angekündigt – interes-
santerweise bevor Sie die Erhöhung der Belastungen be-
schlossen haben –, irgendwann würden Sie die Belastung
Klaus Brandner
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Hartmut Schauerte
auch wieder senken. Das war die erste positive Aussage,
die ich gehört habe. Von Clement gibt es betreffend einer
solchen Vision keine Aussage, kein Mutmachen, nichts. Sie
sind dabei, die Belastungen rundherum zu erhöhen, zei-
gen an keiner Stelle einen Pfad für Wachstum, einen Weg
nach vorn, neuen Optimismus
und werfen uns vor, wir machten das Land schlecht. Wo
ist Ihr Hoffnungssignal? Wo ist Ihr Maßnahmenpaket
dafür, dass es bald besser wird? Nichts davon ist zu er-
kennen! Sie verstricken sich in Widersprüche, bieten nur
halbe Lösungen an.
Ich will ein Beispiel nennen: Vermögensteuer. Aus
dieser Debatte erwächst für die Volkswirtschaft eine un-
glaublich große Verunsicherung.
– Entschuldigen Sie mal! Selbst der Bundeskanzler ist ja
schon nachdenklich geworden. Er hat möglicherweise
mehr Zugang zu dem einen oder anderen als Sie. – Wo ist
bei der Diskussion um die Vermögensteuer, die im Prin-
zip eine Unternehmensvermögensteuer sein wird, die Ar-
beitsplätze in Deutschland gefährdet und vernichtet, die
Stimme des Wirtschaftsministers?
Wo ist er der Hüter der Interessen einer wachstumsorien-
tierten Wirtschaftspolitik?
Wo ist der Garant dafür, dass sich die Gewerkschaftsfront
in Ihrem Lager nicht permanent durchsetzt?
Wir haben auf Sie gehofft, Herr Clement. Wir sehen zu
wenig. Nur Mut, Sie Löwe vom Rhein! Nur Mut, nicht nur
eindrucksvoll gähnen wie der Löwe von Metro Goldwyn
Mayer, sondern auch beißen! Gehen Sie ran!
Sie werden nie wieder so viel Einfluss zur positiven Ge-
staltung von Wirtschaftspolitik haben wie zurzeit.
Wenn Sie die Zeit jetzt nicht nutzen, schmilzt Ihr Einfluss
– das garantiere ich Ihnen – wie Schnee an der Sonne.
Nutzen Sie die Zeit! Machen Sie Mut! Geben Sie Gas in
der Wirtschaftspolitik! Nichts davon ist zu erkennen. Des-
wegen ist die Lähmung, die bleierne Schwere, die über
der deutschen Volkswirtschaft liegt, mittlerweile ein Er-
gebnis Ihrer Entschlusslosigkeit.
Sie hätten der Hoffnungsträger, die Lichtgestalt sein kön-
nen. Dunkelmann sind Sie.
Jetzt noch einmal dazu, wo wir Sie vermissen. Wir ver-
missen zum Beispiel eine klare Aussage von Ihnen zu der
Frage: Was soll in der Energiepolitik in Zukunft passie-
ren?
Die Faktenlage ist, dass nach der Liberalisierung, die wir
beschlossen hatten, eine Energiepreisreduzierung für alle
deutschen Verbraucher mit einem Gesamtvolumen von
etwa 30 bis 40 Milliarden DM eingetreten ist. Mit den
jetzt gerade angekündigten Preiserhöhungen der Energie-
konzerne, die interessant begründet werden – nämlich:
der Wettbewerbsdruck sei nicht mehr so groß, man könne
jetzt ohne weiteres sechsprozentige Preiserhöhungen
durchsetzen; das ist übrigens Ergebnis der Energiewett-
bewerbspolitik der letzten vier Jahre –, sind die gesamten
Vorteile in der Energiepolitik, die wir erreicht haben, wie-
der aufgezehrt. Ein Teil ist zurückzuführen auf das, was
Umweltfinanzierung ist, was im Prinzip nur dazu dient,
die Staatsquotendiskussion zu umgehen; man drückt in
die Preise, was man sonst über Steuern gemacht hat; das
sind 15 bis 20 Milliarden Euro. Jetzt kommen die nächs-
ten Preiserhöhungen dazu.
Herr Clement, Sie müssen sich jetzt irgendwann erklä-
ren. Die Grünen sagen nach wie vor: Energie ist in
Deutschland zu billig. Sie muss teurer werden, damit we-
niger verbraucht wird. – Die deutsche Wirtschaft möchte
gern hören: Was denkt der Wirtschaftsminister, der ehe-
malige Ministerpräsident des Landes, in dessen Grenzen
40 Prozent der Energieerzeugung der Bundesrepublik
Deutschland stattfindet, darüber? Müssen wir mit weite-
ren Verschlechterungen in diesem Bereich rechnen oder
können wir von ihm hören: „Nein, jetzt ist das Ende der
Fahnenstange erreicht; der Trend muss eher umgekehrt
werden“?
– Entschuldigen Sie einmal! Wenn Sie in Deutschland
hohe Löhne, hohe Energiepreise und dann auch noch viel
Bürokratie haben wollen, dann geht die Wettbewerbs-
fähigkeit kaputt.
Also: Erklären Sie sich! Beziehen Sie einmal klar Po-
sition und sagen Sie, was Sie in der Energiepolitik wollen!
Ich komme zum Schluss.
– Ja, Sie wollen nach Hause; das ist klar.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1055
Aber die Lage in Deutschland ist sehr ernst. Sie sollten ru-
hig nachsitzen, damit die Arbeit erledigt wird, die wir in
diesem Land haben.
Wir von der Opposition handeln einzig und allein nach
folgender Prämisse: Wir werden alle Maßnahmen unter-
stützen, die unserem Land erkennbar nach vorne helfen;
leider sehe ich bei Ihnen nur wenige Maßnahmen, die
wirklich helfen. Mit dem gleichen Ernst und der gleichen
Verantwortung werden wir Vorhaben, die dem Land scha-
den, blockieren müssen; denn wir können nicht die Hand
reichen bei falschen Rezepten, die uns tiefer in das Loch
hineinreißen und die uns nicht auf den Weg des Wachs-
tums zurückführen werden.
Herzlichen Dank.