Rede von
Klaus
Brandner
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und
neue Arbeitsplätze zu schaffen ist die Hauptaufgabe der
Beschäftigungspolitik.
Diese wird nur erledigt werden können, wenn wir den
Konsolidierungskurs beschreiten. An ihm führt kein Weg
vorbei. Der Haushalt des neuen Ministeriums für Wirt-
schaft und Arbeit berücksichtigt genau dieses Ziel.
Ich habe mich sehr gewundert, Herr Laumann, dass Sie
zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und zum
Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Ar-
beit nichts, aber auch gar nichts gesagt haben.
Insbesondere Sie von der CDU/CSU-Fraktion tun immer
noch so, als spiele die Verschuldung in diesem Land über-
haupt keine Rolle.
Sie tun so, als könnten Sie sich gemütlich in den Fernseh-
sessel zurücklehnen und herumkritteln. Qualifizierte Vor-
schläge habe ich bisher nicht gehört.
Meine Damen und Herren, wir haben nichts, aber auch
gar nichts gegen Ausruhen, wenn man eine qualifizierte
Leistung gebracht hat. Dann hat man sogar einen An-
spruch darauf. Aber Ihre Hinterlassenschaft war – um das
deutlich zu sagen – eben keine gute Leistung. Ihre Hin-
terlassenschaft waren die höchsten Schulden, die wir je-
mals in diesem Land gehabt haben. Ihre Hinter-
lassenschaft war der höchste Steuerstand, den wir jemals
gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft waren die höchsten
Sozialversicherungsbeiträge, die wir jemals in diesem
Land gehabt haben. Ihre Hinterlassenschaft war die höchs-
te Arbeitslosigkeit, die wir jemals gehabt haben.
Kollege Laumann, in diesem Zusammenhang sprechen
Sie von einer Grundphilosophie, die in jedem Volk fast
eingemauert sein solle, nämlich dass man netto mehr in
der Tasche haben solle. Da müssen Sie aber 16 Jahre lang
nicht aufgepasst haben; da müssen Sie 16 Jahre lang ge-
schlafen haben. Jetzt wollen Sie uns eine Philosophie ein-
reden, für die Sie in der Vergangenheit überhaupt kein Ohr
gehabt haben. Wer so etwas macht, hat die Versetzung
nicht verdient. Er hat insbesondere verdient, in der Oppo-
sition zu bleiben, weil er in seiner Politik seine eigenen
Ansprüche nicht erfüllt hat.
Meine Damen und Herren, eine nachhaltige Beschäfti-
gungsstrategie ist ohne eine Konsolidierung des Staats-
haushaltes wahrlich nicht denkbar. Konsolidierung ist al-
lerdings für uns Sozialdemokraten kein Selbstzweck. Wir
werden jeden Spielraum für Wachstumspolitik nutzen.
Schon die Hartz-Gesetze sind in diese Strategie voll ein-
gebunden.
Die gestrigen Arbeitsmarktzahlen sind aus unserer
Sicht beileibe kein Grund zum Jubeln. Aber die Schwarz-
malerei der CDU/CSU, die wir heute wieder erlebt haben,
hilft erst recht nicht weiter. Denn die Arbeitslosenquote in
Deutschland liegt im europäischen Mittelfeld. Nach der
EU-Statistik liegt sie bei 8,3 Prozent gegenüber 8,4 Pro-
zent im Durchschnitt des Euroraums.
Die Hartz-Gesetze werden vor allem bewirken, dass
das Wachstum beschäftigungswirksamer wird. Das heißt,
bei gleichem Wachstum wird es mehr Arbeitsplätze ge-
ben. Hinzu kommt die Erschließung neuer Beschäfti-
gungsfelder vor allem im Bereich der haushaltsnahen
Dienstleistungen. Wir haben die Gestaltungsspielräume
genutzt.
Insgesamt sparen wir durch die Hartz-Gesetze unab-
hängig von Effizienzgewinnen allein im ersten Jahr
2,5 Milliarden Euro und danach circa 3,5 Milliarden Euro
ein. Wir machen beispielsweise bereits jetzt einen ersten
Schritt zur Zusammenführung von Arbeitslosen- und
Sozialhilfe:Wir nähern die Regelungen zur Anrechnung
von Einkommen und Vermögen in beiden Systemen an-
einander stark an. Hinzu kommen noch die Einsparungen
beim Unterhaltsgeld.
Wer an Qualifizierungsmaßnahmen teilnimmt, soll
dies nicht in erster Linie tun, um den Anspruch auf Lohn-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1051
ersatzleistungen zu verlängern. Die aktive Förderung
steht bei uns im Vordergrund. Dies wird im Übrigen auch
durch die Umstellung auf Bildungsgutscheine erreicht.
Hier setzt eine umfangreiche Entbürokratisierung ein, die
zu mehr Effizienz bei der Bundesanstalt für Arbeit führen
wird. Die Bildungsträger werden sich aktiver in die Ar-
beitsvermittlung einschalten. Deshalb wird es immer sel-
tener vorkommen, dass die Teilnehmer im Anschluss an
Maßnahmen immer noch arbeitslos sein werden.
Viel wichtiger aber noch ist die schnelle Vermittlung.
Die Einrichtung von Personal-Service-Agenturen und
weitere Instrumente bringen Einsparungen von insgesamt
2,3 Milliarden Euro. Das ist ein Effizienzgewinn, denn im
Endeffekt gibt es weniger Arbeitslose. Das entlastet die
Bundesanstalt für Arbeit. Ihr Haushalt wird zum ersten
Mal seit Jahren ohne Zuschuss des Bundes auskommen.
Allein das ist schon ein großer Erfolg.
Deutlich zurück geht auch der Ansatz für die Arbeits-
losenhilfe, nämlich um insgesamt 2,5 Milliarden Euro.
Natürlich fällt uns eine solche Operation nicht leicht. Die
Ausrichtung des Haushalts folgt jedoch strikt der Maxime
des Förderns und Forderns. Das ist unsere Philosophie in
der Arbeitsmarktpolitik.
Dennoch wird es bei den Betroffenen, die über nur we-
nig Geld verfügen, zu erheblichen Einschnitten kommen.
Aber Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, geht das alles noch nicht weit genug. Sie fordern viel
tiefere Einschnitte. Sie lamentieren dagegen aber bei je-
dem Abbau von Steuervergünstigungen öffentlich herum.
Hier muss deutlich gesagt werden: Jedes Maß ist Ihnen da
verloren gegangen.
Die CDU/CSU macht es sich allerdings entschieden zu
einfach, wenn sie sofort die Arbeitslosenhilfe auf das So-
zialhilfeniveau absenken will. Das ist ja ihre Forderung.
Die Systeme müssen aus unserer Sicht so zusammenge-
führt werden, dass die aktive Hilfe aus einer Hand im Vor-
dergrund steht. Dabei gilt unser Versprechen: Die neue
Leistung, das Arbeitslosengeld II, wird über dem Niveau
der Sozialhilfe liegen.
Die Menschen wissen, dass der Staat sparen muss, aber
bitte mit Augenmaß. Völlig einseitige Vorschläge, wie Sie
sie durchsetzen wollen, sind mit uns auch im Vermitt-
lungsausschuss nicht zu machen. Wir stehen für einen
konstruktiven Kompromiss.
Sie haben heute das Thema Zeitarbeit angesprochen.
Sie wollen darüber reden; doch dabei vernebeln Sie die
Situation.
Die Personal-Service-Agenturen können auf der Ba-
sis jetziger Tarifverträge ihre Arbeit beginnen, sie können
sofort starten. Mit Ihrer Diskussion sorgen Sie aber dafür,
dass die Situation unklar wird. Das trägt nicht dazu bei,
dass Personal-Service-Agenturen schnell entstehen und
ihre Arbeit offensiv machen können.
Bitte sorgen Sie für Klarheit! Sagen Sie den Menschen,
dass es überhaupt keine Hemmnisse gibt, die den Einstieg
der Personal-Service-Agenturen behindern.
Ansonsten sind Sie doch für Deregulierung. Tagein tag-
aus reden Sie darüber in Sonntagsdebatten. Jetzt, da wir die
größte Deregulierung in der Zeitarbeit vornehmen, werfen
Sie uns vor, dass wir die Flexibilität für die Betriebe durch
tarifvertragliche Bindungen aufgeben wollen. Ich habe den
Eindruck, dass Sie hierbei einseitig Arbeitgeberinteressen
vertreten. Wenn CDA-Vertreter hier so eindeutig gegen Ta-
rifverträge und Gewerkschaften wettern, dann zeigt das
deutlich, wohin die CDU/CSU, insbesondere die Christ-
lich-Demokratische Arbeitnehmerschaft, marschiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Teile der Arbeitgeber
– wir wissen das – sind prinzipiell gegen Tarifverträge.
Das ist eine Politik, die mit uns nicht zu machen ist. Ta-
rifverträge haben sich als soziales Schlichtungsinstru-
ment, als Friedensinstrument in dieser Republik bewährt.
Sie sind betriebsnah und geben den notwendigen Schutz.
Gleichzeitig gewährleisten sie eine entsprechende Flexi-
bilität. Deshalb stehen wir zu Tarifverträgen und bauen
darauf, dass die Gewerkschaften, wie sie es zugesagt ha-
ben, mit den Arbeitgebern schnellstens zu tarifvertragli-
chen Regelungen kommen werden.
Indem Sie sich mit Teilen des BZA und anderen Ver-
bänden im Arbeitgeberbereich zum Sprachrohr der Ar-
beitgeberseite machen und dafür streiten, dass die
Arbeitgeberseite möglichst nicht tariffähig ist, sorgen Sie
dafür, dass die Zeitarbeit nicht in dem Maße, wie wir es
vorschlagen, dereguliert werden kann.
Im Übrigen sprechen Sie die 325-Euro-Verhältnisse
an. Die Zeit ist scheinbar vorbei, in der Herr Laumann
Arm in Arm mit Herrn Blüm gegen Überstunden und das
Ausfransen des Normalarbeitsverhältnisses marschiert
ist. Es gab genügend Aktivitäten vor der letzten Legisla-
turperiode, um diesen Bereich tarifvertraglich und gesetz-
lich vernünftig zu regeln.
Nun wird gefordert, die 325-Euro-Beschäftigungsver-
hältnisse quasi sozialversicherungsfrei zu gestalten, um
damit nichts anderes zu bewirken, als dass Überstunden
zukünftig in diesem Land generell sozialabgabenfrei sein
sollen. Das muss man sich vor dem Hintergrund der Ar-
beitslosigkeit in unserem Land einmal vorstellen. Anstatt
für den Abbau von Überstunden zu streiten und dafür
maßgeschneiderte Regelungen zu organisieren, beginnen
Sie eine Neiddebatte und gaukeln den Menschen vor, dass
auf die Sozialabgaben, die auf 325-Euro-Jobs erhoben
werden, verzichtet werden kann. Sie werden damit die So-
zialkassen plündern und bewirken, dass zusätzliche
Beitragssatzanhebungen erfolgen müssen.
Das mag für Sie eine Legitimation sein, um einen stärke-
ren Sozialabbau durchführen zu können. Mit uns ist ein
solches Chaosprogramm jedenfalls nicht zu machen.
Klaus Brandner
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Klaus Brandner
Beim Kündigungsschutz sind Sie ähnlich schief ge-
wickelt. Vor der letzten Legislaturperiode hatten Sie den
Kündigungsschutz in kleinen Betrieben abgeschafft und
öffentlich angekündigt, dass es dafür im Gegenzug
Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen geben würde.
– 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze allein im Handwerk,
Herr Hinsken!
– Soll ich Ihnen die Pressemitteilungen raussuchen? Wer-
den Sie doch nicht nervös!
Sie wissen aber genau, dass es mehr Arbeitslose und nicht
weniger gegeben hat. Wir haben es 1998 korrigieren müs-
sen. Anstatt mitzuhelfen, dass die Debatte über den Kün-
digungsschutz auf eine solide Basis gestellt wird, polemi-
sieren Sie weiter in der Öffentlichkeit und tun so, als wäre
ein Mindestmaß an sozialem Schutz verantwortlich für
die Arbeitslosigkeit in diesem Land. Das ist nicht in Ord-
nung.
Wir haben befristete Arbeitsverhältnisse. Wir haben
Zeitarbeit. Wir haben im Hartz-Gesetz geregelt, dass
50-jährige Arbeitslose ohne Sachgrund dauerhaft befristet
beschäftigt werden können. Wenn es Ihnen so am Herzen
liegt, dann stimmen Sie dem Hartz-Gesetz doch zu; dann
haben Sie die Möglichkeit, die Sie wollen.
Eines steht fest: Zur Schaffung von Tagelöhnern und
von amerikanischen Verhältnissen des Heuerns und Feu-
erns sind wir jedenfalls nicht bereit. Wir werden weiter-
hin notwendige Flexibilitäten mit sozialer Sicherheit
verbinden. Das ist unser Auftrag. Ich bin davon überzeugt,
die Mehrheit in diesem Land wird diesen Auftrag als rich-
tig ansehen.
Herr Fuchtel hat sich wieder so geäußert – wie es so
seine Masche ist –, als wäre Hartz ein Projekt für die
Großindustrie. Nein, Hartz ist ein Projekt für den typi-
schen Mittelstand. Was werden die Personal-Service-
Agenturen denn machen? Sie werden bei den mittelständi-
schen Unternehmen, die keine großen Personalabteilungen
haben, Beschäftigungschancen organisieren, indem diese
auf Personal aus den Service-Agenturen zurückgreifen
können. Auf der anderen Seite erleichtern Personal-Ser-
vice-Agenturen damit den Einstieg in den Arbeitsprozess.
Die Personal-Service-Agenturen werden gerade mittel-
ständischen Unternehmen Personaldienstleistungen ab-
nehmen. Ein besseres Programm für den Mittelstand als
Hartz gibt es nicht.
Das Gleiche trifft auch für die Frage der Qualifizierung
zu. Die Großbetriebe haben eigene Qualifizierungsabtei-
lungen. Sie brauchen nicht auf die gesetzlichen Maßnah-
men zurückzugreifen. Aber die Kleinbetriebe sind darauf
angewiesen, in einer Zeit, in der sich die Qualifizierungs-
anforderungen so schnell wandeln, staatliche Unterstüt-
zung zu bekommen, von arbeitsmarktpolitischen Mitteln
profitieren zu können. Deshalb haben wir sowohl im Job-
AQTIV-Gesetz als auch bei anderen Maßnahmen ganz be-
sondere Förderinstrumente für kleine Betriebe vorgese-
hen. Sie aber wollen der Öffentlichkeit weismachen, das,
was wir hier beschließen wollen, wäre ein Werk für die
Großindustrie. Das ist völlig verfehlt. Lenken Sie doch
nicht von den Inhalten des Gesetzes ab! Gestehen Sie ein-
mal ein, dass wir ein Gesetz für den Mittelstand machen,
zu dem Sie nicht in der Lage sind!
Im Vermittlungsausschuss wollen Sie mit uns zusam-
menarbeiten und ein konkretes Vermittlungsergebnis er-
zielen. Was Sie heute dazu gesagt haben, lässt jedoch eher
darauf schließen, dass Sie nur so tun, als wollten Sie das.
Tatsächlich aber bauen Sie die Hürden und die Strukturen
so, dass deutlich wird, dass Sie ein Vermittlungsergebnis
überhaupt nicht erzielen wollen.
Denn richtig ist: Die Vorschläge, die Sie gemacht haben,
sind nicht konstruktiv. Ihre Forderung zur Zeitarbeit – ich
habe darüber gesprochen – ist ebenso erledigt wie die zum
Kündigungsschutz. Bei den 325-Euro-Jobs können Sie
nicht zulassen, dass Überstunden sozialversicherungs-
pflichtig sind. Die Minijobs, die Sie fordern, sind im
Hartz-Paket vorgesehen.
Insofern meine ich, haben Sie eigentlich allen Grund,
unserem Paket zuzustimmen. Wenn Sie sich aus wahltak-
tischen Gründen im Hinblick auf den 2. Februar des
nächsten Jahres damit schwer tun, dann sollten Sie we-
nigstens so ehrlich sein und wie Ihr ehemaliger Supermi-
nisterkandidat sagen: Hartz ist eine revolutionäre Idee. –
Wir setzen Hartz eins zu eins um. Jetzt stehen Sie doch
endlich einmal zu dem Paket!
Lassen Sie mich auch mit Blick auf die Sozialversi-
cherungsbeiträge und auf die Lohnnebenkosten zum
Schluss Folgendes sagen: Mit Hartz und mit dem arbeits-
marktpolitischen Programm schlagen wir eine Richtung
ein, die dazu führen wird, dass die Lohnnebenkosten lang-
fristig gesenkt werden können. Bereits im Laufe des Jah-
res 2003 werden wir eine Stabilisierung und gegen Ende
einen Wiederanstieg der Beschäftigung haben. 2004
kommt dann noch die große Reform durch die Zusam-
menlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hinzu.
Als weiterer Impuls für den Arbeitsmarkt könnte dann
nach meiner Einschätzung auch eine Beitragssenkung fol-
gen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1053
Wir jedenfalls – das will ich deutlich sagen – haben
Konsolidierungsanstrengungen für eine positive Wachs-
tumspolitik unternommen. Wir haben die Weichen in die
richtige Richtung gestellt. Wir haben den Grundstein ge-
legt. Sie haben allen Grund mitzumachen, damit es
zukünftig auch mit Ihrer parlamentarischen Unterstüt-
zung weniger Arbeitslose in diesem Land gibt.