Rede von
Ludwig
Stiegler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich halte mich an die Pressemitteilung des Statistischen
Bundesamts vom 22. November dieses Jahres.
Das Statistische Bundesamt veröffentlicht Zahlen,
während Creditreform Schätzungen veröffentlicht. Ihrer
Behauptung, die Zahl der Insolvenzen sei höher, ist ent-
gegenzuhalten, dass es sich dabei um eine Prognose für
ein bis zwei Monate handelt. Mit dieser Prognose sollten
Sie nicht durch die Lande ziehen und die Leute verunsi-
chern.
Man sollte nämlich nicht den schwarzen Teufel an die
Wand malen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1043
Sie wollen Nebenjobs von Steuern und Sozialabgaben
befreien. Ich sage Ihnen voraus, dass Sie anschließend
wieder über Ausfälle bei den Sozialversicherungsbeiträ-
gen jammern werden. Sie wollen die Verdienstgrenze für
geringfügige Beschäftigungsverhältnisse anheben. An-
schließend jammern Sie dann wieder, wenn die Sozial-
versicherungsbeiträge steigen. Allerdings räume ich ein,
dass wir über das eine oder andere reden können, wenn
zum 31. März der Bericht über die bisherigen Erfahrun-
gen vorgelegt wird. Man kann aber nicht einerseits Be-
schäftigungsverhältnisse in großen Teilen sozialversiche-
rungsfrei regeln und alle anderen die Lasten tragen lassen
und andererseits über die Lohnnebenkosten jammern. Sie
sollten in Ihrer Argumentation schon konsequent bleiben.
Wenn ich mir die Entwicklung der Scheinselbststän-
digkeit anschaue, dann stelle ich fest: Wir haben die alte
Tradition, die in Ihrer Regierungszeit eingerissen ist,
nämlich zum Beispiel einem LKW-Fahrer einen Lastwa-
gen unterzujubeln, ihn mit Krediten zu belasten und so
sein Leben zu ruinieren, zu Recht beendet.
Sie schlagen des Weiteren laufend vor, die befristeten
Arbeitsverhältnisse auszuweiten. Aber gleichzeitig for-
dern Sie Verbrauchervertrauen. Wie kann man mit Arbeit-
nehmern, die in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis
wie Tagelöhner arbeiten müssen – solche Arbeitnehmer
findet man in allen Generationen –, die Wirtschaft ankur-
beln? Bei den 55-Jährigen möchte ich nur auf die Vor-
schläge der Hartz-Kommission verweisen.
Sie wollen den Menschen außerdem den Rechtsan-
spruch auf Teilzeit nehmen. Aber wir brauchen gerade in
Zukunft eine hohe Erwerbstätigenquote bei den Frauen.
Daher sollten wir mehr in ein intelligentes Personalma-
nagement und in die Qualifikation der Unternehmer in-
ves-tieren, statt den Menschen die Spielräume zu nehmen.
Ein intelligentes Personalmanagement ist auch im deut-
schen Mittelstand möglich.
Die Potenziale der Zeitarbeit, die Sie uns zu nutzen
auffordern, erschließen wir mit dem Hartz-Konzept. Aber
im Gegensatz zu Ihnen werden wir die Menschen nicht für
vogelfrei erklären. Sie sollen vielmehr weiterhin einen ta-
rifvertraglichen Schutz haben.
Wenn ich mir anschaue, was Sie über die betrieblichen
Bündnisse für Arbeit sagen, dann muss ich feststellen:
Sie wollen in der Tat die Unverbrüchlichkeit, die Unab-
dingbarkeit und die Unmittelbarkeit der Tarifverträge
wieder aufbrechen. Das ist zuallererst ein Verfassungs-
problem; denn die Tarifvertragsfreiheit ist im Grundge-
setz verankert. Außerdem spielt die Frage der Gleichbe-
handlung der Branchen eine wichtige Rolle. Ich bin ganz
erstaunt – ich habe das mit Freude im Gutachten des Sach-
verständigenrats gelesen –, dass ausgerechnet mein Freund
Professor Rürup massiv gegen das Aufbrechen der Tarif-
verträge zu Felde zieht und dass er uns die Friedensfunk-
tion der Tarifverträge nahe zu bringen versucht. Ich sage
Ihnen – ich habe das in eigener Verantwortung x-mal er-
lebt –: Man kann zwar mit den Tarifpartnern Sanierungs-
verträge abschließen. Aber man muss dabei auch sicher-
stellen, dass die Arbeitnehmerinteressen gewahrt sind. Sie
wollen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gene-
rell den tarifvertraglichen Schutz nehmen. Wir werden ihn
dagegen erhalten. Tarifverträge sind nämlich keine Emp-
fehlungen. Sie gelten vielmehr unmittelbar und unab-
dingbar. Das ist eine Errungenschaft der deutschen Revo-
lution von 1918, an der wir nicht rütteln lassen.
Wenn ich mir alle Ihre Vorschläge anschaue, dann muss
ich sagen: Die Menschen sind bei uns weiß Gott besser
aufgehoben.
Ich möchte jetzt auf die Hauptthemen zu sprechen
kommen. Die kleinen und mittleren Unternehmen haben
in der Tat ein Problem mit der Kapitalbeschaffung. Der
Minister hat – Gott sei Dank – die Gründung einer Mit-
telstandsbank angestoßen. Sie alleine wird die Probleme
sicherlich nicht lösen können. Aber sie wird eine wichtige
Rolle spielen.
– Ich hoffe, dass der Zentralbankrat heute die Leitzinsen
senkt. Dann werden die Kredite auch bei uns günstiger.
Wenn wir aber Zinssubventionen tätigen, dann schreien
Sie ja wieder, dass wir zu viel ausgäben. Ich sage Ihnen:
Die Konzeption der geplanten Mittelstandsbank ist okay.
Mit dem Programm „Kapital fürArbeit“machen wir
einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Wir appel-
lieren – das ist durchaus angebracht – an die deutschen
Banken, die Unternehmer, die auf der Grundlage dieses
Programms Kredite aufnehmen möchten, nicht einfach
abzuweisen. Es wird Ihnen sicherlich genauso gehen wie
mir: Jeden Tag kommen abgewiesene Unternehmer zu
mir und beklagen sich darüber, dass die Banken nicht mit-
machten bzw. dass sie, wenn sie die Bundesmittel ausrei-
chen, die Kreditlinien kürzten. So kann man mit einem
wichtigen Programm nicht umgehen. Wir erwarten, dass
die Banken dieses Programm ohne Vorbehalte umsetzen;
denn nur dann leisten sie einen Beitrag dazu, dass Kapital
und Arbeit wieder zusammengebracht werden.
Der Mittelstand leidet in anderen Bereichen in der Tat
unter einer Kreditkrise; denn in den glorreichen 16 Jahren
der CDU/CSU-FDP-Regierung ist die Eigenkapitalaus-
stattung des deutschen Mittelstandes weggeschmolzen
wie der Schnee in der Sonne. Man müsste denken, dass in
Ihren paradiesischen Zeiten alle mittelständischen Be-
triebe Eigenkapital aufgebaut haben. Wer aber die Be-
richte der Deutschen Bundesbank liest, der weiß, dass der
deutsche Mittelstand aus tausenderlei Gründen nicht
genügend Eigenkapital hat. Jedenfalls hat er jetzt ein
schlechtes Rating und Probleme bei den Banken. Ich
finde, hier haben wir alle miteinander in Gesprächen mit
den Banken und mit den Beteiligten dafür zu sorgen, dass
die Unternehmensfinanzierung gelingt.
Ich möchte mich in dieser Legislaturperiode besonders
dafür einsetzen, dass regionale Beteiligungsgesellschaf-
ten eingerichtet werden. Die Leute sollen nicht an der
Ludwig Stiegler
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Ludwig Stiegler
Börse spekulieren, sondern meinetwegen über die Aus-
gabe von Genussscheinen der Sparkassen und Genossen-
schaftsbanken Beteiligungskapital ansammeln, damit wir
unsere regionalen Unternehmen finanzieren können. Das
scheint mir ein ganz wichtiger Auftrag zu sein. Hier genü-
gen nicht Exit-Orientierung oder Venturekapitalisten, die
im Grunde nicht nachhaltig im Mittelstand bleiben, son-
dern wir brauchen eine dauerhafte und solide Finanzie-
rung der kleinen und mittleren Unternehmen.
Meine Damen und Herren, das Wichtigste ist aber jetzt,
dass wir den Menschen auch die positiven Zeichen vermit-
teln, nämlich Preisstabilität und die Tatsache, dass bei der
Nachfrage und bei den Geschäftsklimaindizes die Deut-
schen im europäischen Vergleich im Mittelbereich liegen.
Wir müssen den Menschen vermitteln, dass wir Pro-
bleme mit der Bewältigung der deutschen Einheit haben.
Der Aufbau Ost kostet viel Geld. Aber wir sagen Ja zu die-
sen Kosten. Diese Volkswirtschaft läuft eben mit einem
Rucksack herum.
Je früher wir den Aufbau Ost schultern, desto eher kom-
men wir in Fahrt. Darum werden wir die Förderung Ost
und die Investitionsförderung auf hohem Niveau halten.
Herr Brüderle, Sie sagten, der Haushalt sei zu optimis-
tisch. Wir unterstützen Hans Eichel ausdrücklich aus kon-
junkturpolitischen Gründen, den Haushalt nicht auf pessi-
mistischen Erwartungen aufzubauen,
damit zur Not die Stabilisatoren wirken können. Denn
wenn wir ihn auf Rand nähen würden, würden wir prozy-
klisch sparen. Wir wollen aber die Wachstumsspielräume
halten. Das sollten Sie nicht kritisieren. Sie sollten uns
vielmehr dabei unterstützen, meine Damen und Herren.
Es kommt in den nächsten Wochen und Monaten darauf
an, dass wir nicht ständig den Untergang beschwören,
sondern dass wir die Chancen sehen, die in dieser Ent-
wicklung liegen.
In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes an
die Adresse der deutschen Wirtschaft sagen: Wenn es gut
läuft, klopfen sich alle Manager auf die Schulter und sa-
gen: Wir sind tolle Hechte, sind innovativ und kreativ und
haben Aktienoptionspläne verdient. – Wenn es Schwie-
rigkeiten gibt, war es jedoch der Staat. Diese Arbeitstei-
lung, meine Damen und Herren, kann nicht richtig sein.
Ich erinnere an den Sachverständigenrat, der deutlich gesagt
hat: Schwierige Zeiten sind gerade eine Bewährungsprobe
– Ernst, ich bin schon fertig; du kommst zu spät – für krea-
tive Unternehmer. Hier zeigt sich, ob in den Kerlen etwas
steckt oder ob sie nur Schönwetterkapitäne sind. Wir er-
warten von den wirtschaftlichen Eliten, dass sie sich von
Ihnen nicht in die Trübsal blasen lassen, sondern dass Sie
sich von Wolfgang Clement die Fanfare zum Aufbruch
blasen lassen. Das ist der Auftrag. Ich bin dankbar dafür,
dass wir einen Minister haben, der nicht Schamade
schlägt wie Sie, sondern die Fanfare bläst. Damit werden
wir erfolgreich sein.