Rede von
Ludwig
Stiegler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Meine Damen und Herren! Nachdem man den begab-
ten Polemiker Brüderle, den Untergangspropheten, gehört
hat, fragt man sich: Wo war er eigentlich, als FDP und
CDU/CSU regiert haben? Er hat hier das Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz beschworen. Wenn Sie danach gelebt
hätten, Herr Brüderle, dann hätten Sie eine Konjunktur-
ausgleichsrücklage geschaffen, sodass wir heute aus dem
Vollen schöpfen könnten. Stattdessen haben uns
CDU/CSU und FDPeine Schuldenlast mit jährlich 40 Mil-
liarden Euro Zinsen hinterlassen. Sie sind ständig auf der
Flucht vor Ihrer eigenen Vergangenheit.
Sie sind ständig dabei, die Verantwortung für vorange-
gangenes Tun abzuwälzen.
Sie beklagen die Höhe der Lohnnebenkosten, die Sie
selber in Ihrer Zeit hochgefahren haben. Sie beklagen den
gestiegenen Staatsanteil. Das sind wirklich wohlfeile Vor-
schläge. Wenn wir von Ihnen ein geordnetes Staatswesen
übernommen hätten, würden wir mit der derzeitigen wirt-
schaftlichen Krise spielend fertig werden.
16 Jahre lang hatten Sie Gelegenheit, Ihre wunderbaren
Vorschläge zu formulieren und umzusetzen. Hier treten Sie
wie der alte Cato mit seinem ewigen ceterum censeo auf.
Wo waren Sie denn in der Zeit, als Sie handeln konn-
ten? Hören Sie mir mit diesen wohlfeilen Vorschlägen
auf, die mit der aktuellen Lage nichts zu tun haben! Hören
Sie zusammen mit den Schwarzen auf, schwarze Brühe in
die Wirtschaft zu gießen, wohingegen der Wirtschaftsmi-
nister mit Schwung und Tatkraft in die Glut bläst! Das ist
es, was wir jetzt brauchen: die Glut anzufachen und nicht
alles mit schwarzer Brühe zu übergießen.
Die Union hat lange Zeit nach dem Sonthofener Rezept
von Franz Josef Strauß gehandelt: Schwarzmalerei ist an-
gesagt, man muss eine Hysterie auslösen. – Erst jetzt
kommen ein paar Vorschläge, mit denen ich mich ausei-
nander setzen möchte. Stichwort: Gegensteuern statt
neuer Steuern! Die Union beginnt im ersten Absatz ihres
Konzeptes mit einer faustdicken Lüge.
So dumm können Ihre Referenten nicht sein, als dass
man das als Fahrlässigkeit abtun könnte. Sie schreiben:
Rainer Brüderle
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3
2) Namensliste der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 4
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Ludwig Stiegler
45 000 Unternehmen werden in diesem Jahr Konkurs
machen.
– Sie Hellseher! – Das Statistische Bundesamt meldet
21 000 Konkurse. Sie aber rechnen die Verbraucherin-
solvenzen mit den Unternehmensinsolvenzen zusammen.
Sie sind dreiste Schwindler und Schwarzmaler, die den
Menschen Angst machen wollen. Sie sind Angstritter und
wollen davon zehren.
In Wahrheit verhält es sich anders: Wir haben den Ver-
brauchern die Möglichkeit geboten, sich von ihrer Ver-
schuldung zu befreien. Die Verbraucher- und die Unter-
nehmensinsolvenzen zusammenzuzählen ist ungehörig
und falsch. Bleiben Sie bei der Wahrheit, wenn Sie die
Leute schon pessimistisch einstimmen wollen!
Sie haben die Selbstständigenquote bejammert. Das
Statistische Bundesamt hat festgehalten, dass es 1998, als
Sie die Regierung abgeben mussten, 3 974000 Selbststän-
dige gab, denen im dritten Quartal 2002 4 099000 Selbst-
ständigen gegenüberstehen. Die Zahl der Selbstständigen
ist also derzeit höher als in Ihrer Regierungszeit. Wir ha-
ben inzwischen eine höhere Selbstständigenquote als die
Vereinigten Staaten. Wie passt das in Ihr Weltbild? Wer-
fen Sie einen Blick in Ihre Bilanzen und machen Sie sich
endlich kundig, bevor Sie über andere herfallen!
Die Zahl der Arbeitnehmer betrug zu dem Zeitpunkt,
als Sie die Regierung abgeben mussten, 33 812 000.
Unter unserer Regierung beträgt die Zahl im dritten Quar-
tal 2002 34 556 000.
Es schwindelt sich so schlecht, wenn man sich mit den
wahren Zahlen beschäftigt. Henri Nannen soll einmal ge-
sagt haben: Jungs, recherchiert nicht so viel; es schreibt
sich dann so schlecht.
Daran erinnert mich Ihr Verhalten in diesem Zusammen-
hang. Hören Sie auf, die Situation in diesem Land wahr-
heitswidrig schwarz zu malen! Sie sollten jetzt aufhören,
beleidigt zu sein, weil Sie nicht gewählt worden sind. Sie
sollten vielmehr dazu übergehen, mit uns ordentlich zu-
sammenzuarbeiten.
Wenn ich mich in Ihrem Papier weiter voranhangele
– ich mache das mit Freude –, komme ich zu Ihrer Fest-
stellung, die strukturellen Verkrustungen des Arbeits-
markts seien aufzubrechen. Da Sie die 16 Jahre vor uns re-
giert haben, frage ich mich, wer dafür die Verantwortung
trägt; aber ich will an dieser Stelle gnädig sein. Wir haben
jedenfalls mit der Hartz-Kommission die notwendigen
Entscheidungen getroffen und Möglichkeiten geschaffen,
Fortschritte zu erzielen.