Ich erteile das Wort dem Kollegen Karl-Theodor
Freiherr von und zu Guttenberg, CDU/CSU-Fraktion.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Die bisherige Beteiligung deutscher Streitkräfte
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002 1013
am Mazedonieneinsatz war zweifellos ein Erfolg. Herr
Staatssekretär, das haben Sie richtig und in unserem Sinne
dargestellt. Es handelt sich um einen Erfolg, der den Frie-
den gesichert hat und der sich auf die hochprofessionelle
und erstklassige Auftragserfüllung durch unsere Solda-
tinnen und Soldaten gegründet hat. Diese große Leistung
verdient auch von unserer Seite größten Respekt, Aner-
kennung, Dank und Beifall.
Es wäre allerdings schon viel gewonnen, wenn sich die
Außenpolitik der Bundesregierung in diesen Monaten
und Wochen auf einen ähnlichen Maßstab hochprofessio-
neller und erstklassiger Auftragserfüllung berufen könnte.
Herr Bundesaußenminister, Erfolgsgeschichten beruhen
auf Verlässlichkeit und außenpolitische Verlässlichkeit
beruht auf dem Umstand, dass ein Land in seinen diesbe-
züglichen Grundaussagen berechenbar bleibt und gegebe-
nenfalls stabile Mehrheiten vorweisen kann.
Die CDU/CSU wird der Verlängerung des Mandats
heute zustimmen und damit einen Beitrag zu dieser Sta-
bilität leisten, so wie wir vor Jahresfrist Ihnen gerne
nachdrücklich und auch notwendigerweise unter die
schweißnassen Arme gegriffen haben, als es darum ging,
den Einsatz erstmals mit der notwendigen Mehrheit aus-
zustatten.
Herr Staatssekretär, bei aller Einigkeit über Zielset-
zung und wesentliche Inhalte des Antrags stehen aller-
dings einige Fragen noch äußerst unbefriedigend beant-
wortet in diesem hohen Raume. Es ist – anders als im
Kosovo oder in Bosnien – fraglos gelungen, dem Land ei-
nen Ausweg aus der drohenden Gewaltspirale aufzuzei-
gen. Fraglos ist es auch gelungen, den Ausbruch eines
Krieges im rechten Augenblick zu verhindern. Die fried-
lichen Wahlen haben – das wurde bereits aufgezeigt – dem
beredtes Zeugnis gegeben und sind ein wirklich ermun-
ternder Fingerzeig für diesen Prozess.
Gleichwohl ist Mazedonien von verlässlicher Stabilität
noch viel weiter entfernt, als es heute dargestellt wurde.
Herr Staatssekretär, das Weichzeichnen harter Fakten
nutzt niemandem, am wenigsten unseren Soldaten sowie
einer Öffentlichkeit, die für das notwendige Engagement
auf dem Balkan immer wieder aufs Neue gewonnen und
von der Notwendigkeit überzeugt werden muss. Auch
sollte die spürbare Euphorie des Wahltages in Mazedonien
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein zutiefst
gebeuteltes Land handelt; das kennen wir ja irgendwoher.
Das gesellschaftliche Klima wird weiter von tiefem
Misstrauen und Ressentiments bestimmt. Slawische und
albanische Mazedonier leben in komplett unterschied-
lichen Welten. Noch immer besteht eine latente Gefahr
gewalttätiger Konflikte. Auch haben viele Albaner die
Option gewaltsamer Auseinandersetzungen weder begra-
ben noch in irgendeiner Weise fallen gelassen.
Nach dem so wichtigen Ohrid-Abkommen hat offi-
ziell zwar eine multiethnische Polizeigruppe die Kon-
trolle über das Staatsgebiet. Faktisch herrscht aber in
den von den Albanern besiedelten Gebieten ein Macht-
vakuum, in dem so hübsche Gestrüppe wie Klanstruktu-
ren und eben auch Bandenwesen munter gedeihen können.
Weitere Stichpunkte: umfassende und durchaus beun-
ruhigende Waffenfunde – es waren nicht lediglich Silves-
terknaller –, der Boykott des parlamentarischen Betriebes
durch die zwei größten Oppositionsparteien aus Protest
gegen – ich darf zitieren, weil das den Konfliktstoff
durchaus demonstrieren kann – „die erniedrigende Koali-
tion mit Terroristen“, Schmuggel, Menschenhandel,
Geldwäsche – vor allem vom Kosovo aus – usw. Die Liste
ließe sich fortführen.
– Herr Bundesaußenminister, wenn diese Dinge benannt
worden wären, müssten Sie jetzt nicht dazwischenquen-
geln.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die mazedonische Re-
gierung – auch das ist wichtig – mit ihrer inneren Politik der
Versöhnung, die sie seit der Wahl anstrebt, unmittelbare
und sichtbare Erfolge vorweisen muss, um nicht erneut in
einen Strudel der Instabilität hineinzugeraten. Keines der
dringenden Probleme Mazedoniens – dieser Illusion sollten
wir uns nicht hingeben – kann in Kürze gelöst werden.
Diese Punkte verdeutlichen, dass der auf dem Abkom-
men von Ohrid basierende Friedensprozess noch Jahre
benötigen wird und von der internationalen Gemeinschaft
begleitet und mit entsprechenden politischen Konzepten
unterfüttert werden muss, auch von unserer Bundesregie-
rung.
Deshalb wage ich zu fragen: Weshalb benennen Sie
keinen dieser Punkte in dieser Deutlichkeit? Wo sind die
Ansätze der Bundesregierung, um dieser Entwicklung
entsprechend zu begegnen? Herr Außenminister, sie sind
offenbar im Nebel Ihrer stets dampfenden Worte ir-
gendwo wabernd verflogen.
Zugestanden: Einige Punkte sind benannt worden;
aber, Herr Staatssekretär, ich frage mich, wo der Ansatz
über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik zu finden ist
und wie es mit dem so notwendigen und von Ihnen immer
wieder benannten Berlin-plus-Prozess weiterzugehen hat.
Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung dazu?
– Dazu hätten wir heute gern etwas im Plenum gehört,
Herr Außenminister.
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 14. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. Dezember 2002
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes wird die
Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik als
Schlüsselprojekt der europäischen Einigung bezeichnet.
Das ist auch richtig, es ist ein Schlüsselprojekt. Es ist eine
wunderbare Formulierung für jemanden – das muss man
erst einmal schaffen –, der ohne den passenden Schlüssel
vor einer Tür steht, die er sich selber vor der Nase zuge-
knallt hat.
Wenn es bis heute entgegen zahlreicher Ankündigun-
gen nicht gelungen ist, eine Europäisierung des Mazedo-
nien-Einsatzes unter der benannten Formel „Berlin plus“
herbeizuführen, dann darf ich fragen: Welchen Beitrag
wird es hierzu von der Bundesregierung geben?
Was versucht die Bundesregierung zu unternehmen, um
den ursprünglichen Zeitplan für eine einsatzfähige euro-
päische Eingreiftruppe in Mazedonien oder einem ande-
ren Krisenherd einzuhalten?
Man hört nur wenig bzw. wir haben vor kurzem gehört,
man hoffe darauf – das muss man sich auf der Zunge zer-
gehen lassen –, dass bezüglich Berlin plus in der kom-
menden Woche in Kopenhagen eine Einigung zustande
kommen wird. Wenn man in Kopenhagen mittlerweile
mehr auf Hoffnungen als auf selbst geschaffene Erfolge
und Fakten bauen muss, Herr Bundesminister, wird einem
angst und bange um die entsprechende Darstellung unse-
rer Politik im Ausland.
Letztlich droht daraus eine Politik der enttäuschten
Hoffnungen zu werden; unser amerikanischer Partner
weiß davon ein Lied zu singen. Auch 80 Millionen Men-
schen in diesem Land wissen das bestens einzuschätzen.
Was kann man im Zusammenhang mit der europä-
ischen Eingreiftruppe wünschen? Ich hoffe, dass sie nicht
zu einer Geistertruppe verkommt. Liest man den hier vor-
liegenden Antrag der Bundesregierung, dann erstaunt
schon, dass eine etwaige Europäisierung des Einsatzes
mit keinem einzigen Wort Erwähnung findet.
Dabei steht neben der Stabilisierung der Region eine
noch weit wichtigere Prämisse mit auf dem Spiel, nämlich
die Zukunft einer gemeinsamen Außen- und Sicherheits-
politik der Europäer, die diesen Namen auch wirklich ver-
dient und irgendwann von unserem Land wieder maßgeb-
lich mitbestimmt wird.
Neben der Antwort auf die Frage – darüber wurde
schon diskutiert –, ob die Bundesregierung überhaupt in
der Lage wäre, den deutschen Anteil an einer Eingreif-
truppe von 18 000 Mann finanziell zu gewährleisten,
vermisse ich auch eine Antwort darauf, inwieweit im Falle
eines etwaigen durch die Europäische Union übernom-
menen Mandats ab Februar – das ist geplant – diesem Ein-
satz angesichts seines Umfangs lediglich eine symbol-
hafte Bedeutung zuzumessen ist. Ich frage mich auch, ob
die Gefahr besteht, dass die europäische Eingreiftruppe
im Falle einer Eskalation oder eines Notfalls – das ist
durchaus im Bereich des Möglichen – wiederum auf die
Unterstützung der NATO angewiesen wäre.
Auch hierüber haben wir in den vorherigen Aus-
führungen nichts gehört. Es gibt viele Fragen, wenig Ant-
worten und wenig Einfluss in diesem Prozess.
Die CDU/CSU stimmt, wie bereits ausgeführt, dem
Antrag zu, bittet aber nachdrücklich um eine klarere Dar-
stellung zu den eben genannten Punkten.
Es bleibt die Hoffnung, Kollege Weisskirchen, dass
sich Deutschlands Außenpolitik, insbesondere der Ein-
fluss in Kopenhagen, nicht an den Ereignissen in Prag
messen lassen muss, wo sich der Stellenwert weniger am
tatsächlichen Vertrauen als an der Dauer eines nicht ein-
mal warm geschüttelten Händedrucks auszurichten hatte.