Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sowohl in
den Reden der Frau Ministerin als auch in der Rede, die
Frau Kollegin Kortmann soeben gehalten hat, fällt auf,
wie sehr die Vertreter der Koalition nach vier Jahren
Rot-Grün noch immer versuchen, Ihre rückwärts ge-
wandte Politik zu verteidigen und in diesem Sinne zu ar-
gumentieren. Irgendetwas im BMZ-Haushalt scheinen
Sie verstecken zu wollen; sonst müssten Sie nicht so ar-
gumentieren, wie Sie es getan haben.
Wenn man in einer solchen Haushaltsdebatte, Herr Kol-
lege Hoppe, gegenüber den Menschen, zum Beispiel in den
Entwicklungsländern, wirklich ehrlich sein will, dann sollte
man eigentlich nicht weiterhin die Mär verbreiten, der Ent-
wicklungshilfehaushalt wachse von 2002 auf 2003 um
2,3 Prozent an; denn das stimmt schlichtweg nicht.
Frau Ministerin, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von Rot-Grün, bitte lesen Sie doch die Zahlen, die das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
selbst publiziert hat. Im Jahre 2002 verfügt das BMZ ins-
gesamt über etwas mehr als 3,851Milliarden Euro. Um es
genau zu sagen: Es verfügt über 3,699 Milliarden Euro
aus dem Einzelplan 23 und über 152,258 Millionen Euro,
die ihm aus dem so genannten Antiterrorpaket und aus
dem so genannten Afghanistan-Paket im Einzelplan 60
zur Bewirtschaftung zugewiesen worden sind.
Was hier vorgetragen wird, ist übrigens nicht die „Zähl-
weise Peter Weiß“, sondern die offizielle Zählweise des
BMZ, publiziert in diesem wunderschönen, bunten Heft.
Am Anfang dieses Heftes sind ein schönes Bild der Frau
Ministerin und ein Vorwort. Im hinteren Teil dieses Hef-
tes ist der Haushalt des Ministeriums aufgeführt. Da heißt
es auf Seite 43: Der Haushalt des BMZ 2002 hat einen Ge-
samtumfang von 3 851 238 000 Euro.
Arnold Vaatz
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
PeterWeiß
Im Haushaltsentwurf 2003 sind – das ist auch richtig –
die so genannten Antiterror- und Afghanistan-Mittel in die
Einzelpläne integriert. Das ist auch beim Einzelplan 23,
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, der Fall. Allerdings tauchen in diesem
Einzelplan nur noch 3,784Milliarden Euro auf. Damit das
im Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2003 nicht
so auffällt, hat das Bundeskabinett am 20. November be-
schlossen, dass das BMZ 30 Millionen Euro aus seinem
Haushalt für Afghanistan an das Auswärtige Amt abzutre-
ten hat. Dies ist übrigens kein einmaliger Vorgang, son-
dern das soll auch in den Folgejahren geschehen. So blei-
ben dem BMZ im Jahre 2003 noch 3,754Milliarden Euro;
das bedeutet ein Minus von über 97 Millionen Euro. Der
Umfang des Haushalts des BMZ steigt nicht, sondern
sinkt. Das ist die Realität, die sich in Ihren Zahlen wider-
spiegelt.
Ich finde es überhaupt nicht lustig, dass Sie das jetzt
ständig bezweifeln und trotz der Korrektheit der Zahlen
Gegenteiliges erzählen. Das hat nämlich nur eines zur
Folge: Die Glaubwürdigkeit Ihrer Entwicklungspolitik
sinkt noch mehr. Wenn man so lügt, wie Sie es hier tun,
dann geht der letzte Rest an Glaubwürdigkeit verloren.
Sie haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt – dieses Ziel
haben Sie hier bestätigt; es wurde auch in der Regierungs-
erklärung des Kanzlers formuliert –: Im Jahre 2006 sollen
0,33 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Ent-
wicklungshilfe ausgegeben werden. Allerdings steht schon
heute fest, dass Sie dieses Ziel mit dem BMZ-Haushalt,
den wir hier beraten, und mit der ebenfalls vom Kabinett
beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung bis zum
Jahr 2006 überhaupt nicht erreichen können.
Der BMZ-Haushalt hat heute einen Anteil von rund
70 Prozent an der so genannten ODA-Quote, also an dem
0,33-Prozent-Ziel. Ein nur geringes Wachstum des Brut-
tonationaleinkommens unterstellt – zu mehr wird es ange-
sichts der katastrophalen Wirtschaftspolitik von Rot-Grün
nicht reichen –,
müsste der BMZ-Etat bis zum Jahr 2006 auf 4,5 Milliar-
den Euro anwachsen, damit das 0,33-Prozent-Ziel er-
reicht wird. Die mittelfristige Finanzplanung weist aber
nur 3,96 Milliarden Euro aus.
Natürlich könnte man das 0,33-Prozent-Ziel auch er-
reichen, indem man andere Etatansätze, die für die Be-
rechnung der ODA-Quote ebenfalls relevant sind, steigert,
zum Beispiel den deutschen Beitrag zum Entwicklungshil-
fehaushalt der Europäischen Union. Nur: Der EU-Ent-
wicklungshilfehaushalt 2001 ist kleiner als der EU-Ent-
wicklungshilfehaushalt 2000. In der Finanzplanung der
EU bis 2006, die uns ebenfalls vorliegt, werden die Fi-
nanzmittel für externe Politikbereiche gerade einmal um
0,86 Prozent gesteigert,
also auch da ist nichts, mit dem man die ODA-Quote von
0,33 Prozent erreichen kann.
Meine Damen und Herren, erfolgreiche Entwicklungs-
politik ist auch, ja vielleicht sogar in erster Linie eine Frage
der Verlässlichkeit. Unsere Partnerländer, die Menschen in
diesen Partnerländern wie auch die nationalen und inter-
nationalen entwicklungspolitischen Akteure sollten sich
auf ein international aktionsfähiges Deutschland verlassen
können. Bei einer Regierung wie dieser, bei der Worte und
Taten so weit auseinander klaffen, ist jedoch nur auf eines
Verlass: auf die Unzuverlässigkeit.
In der enumerativen Aufzählung vieler guter Absich-
ten, Frau Ministerin, geht meines Erachtens völlig verlo-
ren, was das eigentliche strategische Ziel der deutschen
Entwicklungszusammenarbeit ist. Mit der Elfenbeinküste
zum Beispiel bricht in diesen Tagen ein weiteres afrikani-
sches Land auseinander.
Angesichts des zunehmenden Staatenzerfalls in einigen
Regionen der Welt, angesichts immer neuer Enttäuschun-
gen, weil Regime sich als korrupt und unfähig erweisen
oder beispielsweise Herr Nujoma solche Interviews gibt,
wie er sie gegeben hat, stellt sich die Frage: Fehlen der
staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, die ja zualler-
erst auf Verabredungen zwischen zwei Regierungen ba-
siert, zunehmend die geeigneten Partner?
Zu dieser Frage, die die Aktionsfähigkeit staatlicher Ent-
wicklungszusammenarbeit fundamental betrifft, fehlt jeg-
liche konzeptionelle Antwort der Bundesregierung.
Eine Antwort könnte und sollte meines Erachtens sein, die
Zivilgesellschaft als Motor einer nachhaltigen Entwick-
lung zu stärken.
Das geschieht verbal, auch heute, aber nicht im Bundes-
haushalt 2003.
Die nominalen Steigerungen für Kirchen, Stiftungen
und Nichtregierungsorganisationen basieren einzig und
allein darauf, dass, wie von mir vorhin dargestellt, Mittel
aus dem Stabilitätspakt Südosteuropa, für Afghanistan
und aus dem Antiterrorpaket auf die normalen Haushalts-
mittel draufgerechnet werden. Unter dem Strich sind es
exakt 0 Euro,
das heißt, es gibt keine Stärkung der zivilgesellschaft-
lichen Zusammenarbeit im Bundeshaushalt 2003.
Wenn nun schon eine Bundesregierung finanziell nicht
viel für die Entwicklungszusammenarbeit anbietet,
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 977
gibt es dann wenigstens ein stringentes Konzept zur Stär-
kung dieser Politikfelder, wie Sie immer vortragen?
Ich meine, das Thema, das die Entwicklungspolitik end-
lich aus ihrem Schattendasein herausholen und ins Zen-
trum nationaler wie internationaler Politik rücken müsste,
ist die Globalisierung. Das BMZ wäre prädestiniert für
ein erweitertes politisches Aufgabenverständnis als Glo-
balisierungsministerium. In einem BMZ als Globalisie-
rungsministerium würden nicht nur alle die Globalisie-
rung betreffenden Fragen unter einem Dach vereint,
sondern endlich auch globale Kontexte aus der Einzel-
sichtweise von Fachressorts herausgeholt und übergrei-
fend sichtbar gemacht werden.
Um das zu leisten, bedarf es aber zuallererst eines über-
zeugenden politischen Leitbildes für den Globalisie-
rungsprozess. Wir glauben, dass die Idee einer interna-
tionalen sozialen Marktwirtschaft das Grundgerüst für
ein System internationaler Kooperation, zur Nutzung der
Globalisierungschancen und zur Bewältigung von Globa-
lisierungsproblemen liefert.
Aber wie soll eine Bundesregierung international eine
solche Leitidee voranbringen, die sich nicht einmal zu
Hause auf die Politik der sozialen Marktwirtschaft ver-
steht?
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine beschei-
dene Bitte ist: Unterlassen Sie erstens die Falschmeldun-
gen bezüglich des Entwicklungshaushalts und bekennen
Sie sich zu Ihren eigenen Zahlen. Stellen Sie zweitens ei-
nen realistischen und finanzierbaren Plan vor, wie Sie bis
zum Jahr 2006 das Ziel von 0,33 Prozent tatsächlich errei-
chen wollen. Dann haben wir auch eine gemeinsame Ba-
sis, auf der wir eine Politik für die Menschen in den Ent-
wicklungsländern formulieren und durchsetzen können.
Vielen Dank.