Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Politik für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im
Schatten von Wirtschaftsflauten und internationalem Ter-
rorismus ist schwieriger, weil internationale Wachstums-
spielräume eingeengt und politische Fronten verhärtet
sind, aber auch notwendiger denn je. Wir alle wissen, dass
wir vor einer neuen Dimension von Globalisierung ste-
hen. Konflikte und Gewalt, Flüchtlingsströme, Hunger,
Armut und Umweltkatastrophen finden vor unserer Haus-
tür statt. Auch wir reichen Industrieländer können uns
dem nicht entziehen und müssen entschlossen die Ursa-
chen der negativen Erscheinungen dieser Globalisierung
bekämpfen.
Dazu gehört die Änderung von wirtschaftlichen Struk-
turen, von politischen Rahmenbedingungen sowohl bei
uns als auch in den Ländern des Südens. Wenn Deutsch-
land dazu einen spürbaren Beitrag leisten soll, muss un-
sere Entwicklungszusammenarbeit drei Voraussetzungen
erfüllen: Sie braucht eine überzeugende Konzeption und
eine effiziente Umsetzung. Sie braucht ferner politische
Glaubwürdigkeit, vor allem was die Mittelausstattung an-
geht. In allen drei Bereichen gibt es für uns Anlass zu mas-
siver Kritik an der rot-grünen Politik der letzten vier
Jahre,
aber auch an dem, was Sie an Perspektiven zum Beispiel
im vorliegenden Haushaltsentwurf präsentiert haben.
Stichwort: Konzeption. Es ist schade, Frau Ministe-
rin, dass Sie konzeptionell kaum etwas gesagt haben. Die
von Ihnen vorgenommene Schwerpunktsetzung hat
schwere Mängel. Sie hat große Personalressourcen ver-
schlungen und diplomatisches Porzellan zerschlagen.
Auch wenn höfliche Partner es nicht offen auf dem poli-
tischen Marktplatz verkünden: Unsere typische Neigung
zur Kategorisierung von Qualität der Zusammenarbeit in
Schwerpunkt- oder eben nur in Partnerländer ist für un-
sere Partner schwer verständlich. Die Schwerpunktset-
zung hat zu wesentlich weniger Flexibilität geführt, vor
allem durch die rigide bürokratische Umsetzung. Eine in-
nere Logik ist auch nicht erkennbar. Sollen die Mittel
dorthin gehen, wo sie am dringendsten gebraucht werden
oder wo sie den größten Erfolg versprechen? Soll man
Good Governance unterstützen oder Bad Governance
korrigieren?
Unverständlich ist für mich auch ein Rückzug aus der
für uns strategisch so wichtigen Region Osteuropa. Oder
welche Begründung sollte es sonst für eine Kürzung der
dafür vorgesehenen Sondermittel in Höhe von 53 Milli-
onen Euro geben? Und schließlich: Eine regionale
Schwerpunktsetzung, die die Zahl der Empfängerländer
wieder auf über 100 erhöht, ist eben keine Schwerpunkt-
setzung.
Sektoral sind unter rot-grüner Regierung nach wie vor
wichtige Themen im Hintertreffen. Der Schlüsselsektor
für Entwicklung ist der Bereich Bildung und Ausbil-
dung. Das ist Hilfe zur Selbsthilfe in Reinkultur. Ausge-
rechnet dieser Bereich hat die meisten Regierungsver-
handlungen in den letzten Jahren nicht überlebt. Von 2001
Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Dr. Christian Ruck
auf 2002 sind die Ausgaben aus dem Haushalt Ihres Hau-
ses für die bilaterale finanzielle und technische Zusam-
menarbeit in diesem Bereich um glatte 42 Prozent gefal-
len. Dies wurde auch erst kürzlich von Welthungerhilfe
und terre des hommes in ihrer Bestandsaufnahme heftig
kritisiert. Beide Organisationen monierten völlig zu
Recht, dass die meisten Entwicklungsziele eben nicht er-
reicht werden könnten, wenn die Mittel insbesondere für
die Grundbildung nicht aufgestockt würden.
Denn Kinder ohne Bildung werden besonders häufig Op-
fer von Ausbeutung und Armut. Wir werden uns als Union
nicht nur gegen weitere Kürzungen in diesem wichtigen
Bereich wehren, sondern für deren künftig bessere finan-
zielle Ausstattung kämpfen.
Ein anderes Markenzeichen der deutschen Entwick-
lungszusammenarbeit ist der Umwelt- und Ressourcen-
schutz. Obwohl die Probleme ständig zunehmen, rudert
ausgerechnet Rot-Grün zurück, von 2000 auf 2002 um
immerhin 12 Prozent. Das sind annähernd 50 Millionen
Euro.
Frau Ministerin, auch das Konzept der HIPC-Initiative,
die wir im Grundsatz immer unterstützt haben, hat offen-
sichtliche Schwächen. Nach mehreren Jahren konnten
bisher nur sechs Entwicklungsländer konkret entschuldet
werden. Auch dies muss man hinterfragen: Kann man bei
Uganda zum Beispiel wirklich von guter Regierungs-
führung reden angesichts der nicht erledigten Entwick-
lungsaufgaben zu Hause, der tiefen Verwicklung Ugandas
in die Kriegseinsätze und der Ausplünderung im Nach-
barstaat Kongo?
Aber es gibt weitere eigentlich richtige Ansätze, die
von Ihnen nur mangelhaft angepackt wurden. So ist zum
Beispiel Ihr Krisenpräventionskonzept von seiner
Grundidee her richtig – ohne die Bekämpfung von Krisen
und Kriegen sind Entwicklungshilfe und Aufbauhilfe
sinnlos –; aber Ihre Werkzeuge sind völlig unzureichend.
Der von Ihnen so hoch gelobte Zivile Friedensdienst mit
100 engagierten Leuten ist nicht in der Lage, der Kon-
flikte in den Entwicklungsländern Herr zu werden. Viel
wichtiger wäre es hier, den regionalen und internationalen
Mandaten mehr Biss zu verleihen oder auch eine viel en-
gere Verknüpfung zwischen Außen-, Entwicklungs- und
Verteidigungspolitik herzustellen. Das ist genau das, was
wir auch auf dem Balkan oder in Afghanistan bisher ver-
missen.
Dass sich die Bundesregierung einen zweiten, beim Aus-
wärtigen Amt angesiedelten Friedensdienst leistet, ist eine
wirklich unnötige Doppelstruktur und ein Symbol in die
falsche Richtung.
Für wichtige neue Themenstellungen, zum Beispiel
eine effiziente Entwicklungszusammenarbeit mit islami-
schen Ländern, haben Sie überhaupt kein erkennbares
Konzept.
Wir begrüßen zwar Ihren Versuch, alle Sondertöpfe
und Sonderaufgaben wieder in die eigentlichen Titel ein-
zugliedern, aber wir kritisieren nach wie vor, dass Sie im-
mer noch auf zu viele Überschriften aufspringen, sich und
unsere entwicklungspolitischen Institutionen damit ver-
zetteln und damit auch unserer Entwicklungspolitik die
Schlagkraft nehmen.
Damit bin ich beim zweiten Stichwort: Schlagkraft
und effiziente Umsetzung. Natürlich ist es schwierig,
mangelhafte Konzepte überhaupt umzusetzen. Aber die
entwicklungspolitische Effizienz Ihrer Regierung hat
auch mit anderen hausgemachten Schwierigkeiten zu
kämpfen: In die notwendige Reform der deutschen Ent-
wicklungsstrukturen ist mit der Zusammenführung von
DSE und Carl-Duisberg-Gesellschaft zwar Bewegung ge-
kommen; wir hoffen auf einen positiven Ausgang. Aber
wie soll es weitergehen? Wo soll der Weg hinführen? Ist
etwa die Halbierung der Zahl der Institutionen schon ein
Selbstzweck? Oder muss nicht vielmehr die Frage im Vor-
dergrund stehen, wie sich das BMZ selbst in einem inter-
national veränderten Umfeld strukturieren soll?
Dazu gehört zum Beispiel auch das Stichwort Außen-
struktur, ein seit Jahren wiederholter Kritikpunkt der
OECD-Prüfberichte. Wir alle wissen: Deutsche Entwick-
lungspolitik muss heute stärker als früher vor Ort gestal-
tet und auch entschieden werden. Aber es gibt bisher kein
einziges deutsches Haus in der Entwicklungszusammen-
arbeit, das vom BMZ geleitet wird und die Vertretungen
der Durchführungsorganisationen unter einem Dach zu-
sammenführt. Stattdessen belastet sich das viel zu geringe
und überlastete Personal des BMZ mit Detailfragen.
Wen wundert es, wenn dann dem BMZ bei der äußerst
angespannten Personalsituation die Kapazität für die
wirklich notwendigen Koordinierungs- und Führungsauf-
gaben fehlt? Wen wundert es, dass Sie, Frau Ministerin,
bei den ungelösten Strukturfragen in Ihrem eigenen Haus
das Heil im Multilateralismus suchen und dabei das deut-
sche Markenzeichen der weltweit anerkannten bilateralen
Zusammenarbeit verkümmern lassen?
Wir jedenfalls tragen Ihre Tendenz nicht mit, das Ent-
wicklungsbudget immer mehr weg von den bilateralen
deutschen hin zu den multilateralen Entwicklungsinstitu-
tionen zu verschieben, ohne dass damit die entsprechende
politische Einflussnahme erfolgt. Unsere Devise lautet:
Geld für die multilateralen Entwicklungsinstitutionen nur
bei entsprechender Qualität und garantierter deutscher
Einflussnahme auf Mittelverwendung und Zielsetzung.
Dies gilt vor allem und insbesondere für die EU. Wir
begrüßen es, dass dem europäischen Entwicklungsfonds
erst einmal für 35 Millionen Euro der Hahn abgedreht
wurde. Dies ist aber natürlich keine Dauerlösung. Wir
brauchen gerade auch im Verhältnis zur Europäischen
Entwicklungszusammenarbeit, wo fast jede dritte Mark
aus Deutschland kommt, effizientes Management, schlüs-
sige Konzeptionen, die unsere Handschrift tragen, und
eine übersichtliche und klare Aufgabenabgrenzung vom
bilateralen und internationalen Bereich. Hier, Frau Minis-
terin, haben Sie bisher keine Fortschritte erzielt.
Was auf gar keinen Fall passieren darf, ist der Aufbau
einer neuen europäischen Durchführungsbürokratie, wenn
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 969
wir im eigenen Land auch für die Erfüllung europäischer
Aufgaben ausgezeichnete Organisationen haben. Auch
hier sind Sie gefordert, Frau Ministerin.
Besonders stark leidet die Effizienz der rot-grünen Ent-
wicklungspolitik jedoch an der fehlenden Kohärenz der
Regierungspolitik, namentlich bei der Unterstützung
durch den Außenminister. Kohärenz ist schon immer ein
schwieriges Thema gewesen, gegenüber der Landwirt-
schaft und der Außenwirtschaft. Das Auswärtige Amt ver-
weigert dem BMZ in wichtigen entwicklungspolitischen
Vorhaben die Unterstützung, ja sogar das Interesse. Wenn
das Entwicklungsministerium zum Beispiel in Fragen von
Good Governance oder der Zielabstimmung mit wichti-
gen anderen Ländern allein dasteht, ist es mit der politi-
schen Effizienz der deutschen Entwicklungspolitik vor-
bei. Dies sieht man gerade auch in Afrika.
Dabei bin ich bei meinem dritten Stichwort, der
Glaubwürdigkeit der Entwicklungspolitik. Diese
Glaubwürdigkeit leidet, wenn man sich in Aktionismus
verzettelt und wenn man ambitiöse Ankündigungen für
die Zukunft macht, ohne sie mit konkreten Zahlen im
Haushalt zu unterfüttern. Sie leidet auch, wenn man die
Unwahrheit sagt. Vor wenigen Tagen wurde aus Ihrem
Ministerium, Frau Ministerin, verlautbart – ich zitiere –:
Der dramatische Abwärtstrend ... bei den Entwick-
lungsmitteln ... ist von der SPD-geführten Bundesre-
gierung inzwischen gestoppt und umgekehrt worden.
Auch Sie haben eben an dieser Stelle von einer Erhö-
hung der Mittel gesprochen. Das aber ist reine Täuschung.
Man kann dies schnell erkennen, wenn man die Zahlen des
BMZ-Haushalts – also Ihre eigenen Zahlen – von 1998 und
2003 miteinander vergleicht: 1998 waren es 4,05 Milliar-
den Euro, 2003 sind es 3,784 Milliarden Euro. Davon ge-
hen laut Kabinettsbeschluss auch noch 30MillionenEuro an
das Auswärtige Amt. Dies bedeutet ein Minus von 97 Mil-
lionen Euro gegenüber dem Haushalt 2002 und von sage
und schreibe 300 Millionen Euro gegenüber dem letzten
Entwicklungshaushalt unter Unionsverantwortung.
– Schütteln Sie ruhig den Kopf. – Entsprechend fällt das
Fazit von Welthungerhilfe und terre des hommes aus, die
von „einem enttäuschenden Stand der deutschen Beiträge
zur Entwicklungsfinanzierung“ sprechen.
Ich fordere Sie auf, Frau Ministerin, zu Ihren eigenen
Zahlen zu stehen und nicht Äpfel mit Birnen zu verglei-
chen. Sie können auch ganz ungeniert den Grund für die
schlechte Haushaltssituation nennen, nämlich die beispiel-
los schlechte Finanz-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik Ih-
res Kanzlers und Ihrer Ministerkollegen. Dies zieht natür-
lich auch den Entwicklungshaushalt in Mitleidenschaft.
Ich fordere Sie auf, klar und deutlich zu dem Beschluss
zu stehen, die ODA-Quote bis zum Jahre 2006 auf
0,33 Prozent zu erhöhen.
Im bisherigen Haushaltsentwurf kann ich dies jedenfalls
auch nicht ansatzweise erkennen. Auch die mittelfristige
Finanzplanung deutet keine entscheidende Verbesserung
an. Denn bis zum Jahre 2006 soll der BMZ-Etat schritt-
weise lediglich auf 3,96 Milliarden Euro steigen. Er liegt
damit immer noch unter dem Ansatz von 1998. So wird
Deutschland das seinen internationalen Partnern gege-
bene Versprechen nicht einlösen können.
Ich möchte ausdrücklich auch davor warnen, bei der
ODA-Quote herumzutricksen. Es würde nicht nur die
Glaubwürdigkeit der Entwicklungspolitik im Inland be-
schädigen, sondern es würde auch unsere internationale
Glaubwürdigkeit ruinieren, wenn wir das gegenüber der
EU, der internationalen Staatengemeinschaft und den
Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern
gegebene Versprechen brechen oder durch plumpe Tricks
umgehen. Es wäre auch ein Betrug an den Tausenden ide-
alistischen freiwilligen und beruflichen Entwicklungsex-
perten, die den guten Ruf der deutschen Entwicklungspo-
litik in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben.