Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies
ist der erste Haushalt, den Minister Struck als verantwort-
licher Verteidigungsminister dem Parlament vorlegt. Lie-
ber Herr Minister, jetzt beginnt auch für Sie der Weg
durch die Höhen und Tiefen, weil es darum geht, in Euro
und Cent auszuweisen, was uns die Sicherheit unseres
Landes wirklich wert ist. Wir wünschen Ihnen von
ganzem Herzen, auch im Interesse unseres Landes, unse-
rer Bündnispartner, aber ebenso der Soldaten und der zi-
vilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundeswehr,
dass Sie dieser wichtigen Aufgabe wirklich gerecht wer-
den können, vor allem, dass Sie das Hauptproblem der
nächsten Jahre in den Griff bekommen: Bewältigen Sie
bitte die Erblast aus den letzten vier Jahren, die Ihnen von
Ihrem Vorgänger hinterlassen worden ist.
Werden Sie wieder ein verlässlicher Partner nach innen
und außen und machen Sie vor allen Dingen Deutschland
wieder zu einem verlässlichen Partner im Bündnis. Nach
innen sollen Sie verlässlich werden, weil viele Soldaten
und die zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
letzten Jahren ihre Motivation verloren haben und weil sie
dringend wieder eine Perspektive brauchen, nach außen,
weil das Ansehen Deutschlands als Bündnispartner min-
destens ebenso dringend einer Verbesserung bedarf.
Allerdings wird Ihnen dieser Haushaltsentwurf, den
Sie uns heute vorlegen, dabei keine Hilfe sein. Er weist
keine Perspektive auf, sondern er ist letztendlich der
untaugliche Versuch, mit einem Wust von Zahlen zu ver-
decken, was die Hauptaussage ist: Es gibt weniger Geld
für Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, als wirklich
notwendig ist. Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit
lässt dieser Entwurf vermissen.
Als wir vor noch gar nicht so langer Zeit die Finanzie-
rung einiger Großprogramme angezweifelt haben, wur-
den wir von Ihnen und Ihrem Vorgänger als Schwarzmaler
Dr. Hans-Peter Bartels
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Thomas Kossendey
angeprangert. Heute ist Streichen, Schieben und Strecken
zur Leitlinie Ihres Haushaltsgebarens geworden. Der Kol-
lege Bartels hat auf die Vergangenheit verwiesen und
Minister Rühe zitiert. Lieber Herr Bartels, Sie sind ange-
treten mit der Perspektive: Wir wollen nicht alles anders,
aber vieles besser machen.
Wie sehr haben Sie sich davon verabschiedet, wenn jetzt
der Rückgriff auf Rühe als Maßstab für Ihre Leistungen
herhalten muss.
Lassen Sich mich eines deutlich sagen. Als Rühe das
von Ihnen Zitierte 1997 gesagt hat, hatten wir 48 Milliar-
den DM im Verteidigungshaushalt und zusätzlich das
Geld, das wir für internationale Einsätze brauchten. Sie
bezeichnen schon viermal 24,4 Milliarden Euro als Fort-
schritt. Viermal 24,4 Milliarden Euro in den nächsten vier
Jahren heißt: weniger Geld. Sie müssen die Inflation
berücksichtigen, Sie müssen die jährlichen Gehalts-
steigerungen der Soldaten und der zivilen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter davon abziehen. Wir werden in
den nächsten vier Jahren mit weniger Geld auskommen
müssen, als eigentlich notwendig ist.
Herr Minister, Sie haben sich in diesen Tagen – es ist
hier erwähnt worden – noblerweise für einen Faxfehler
beim Kanzler entschuldigt. Wann wollen Sie sich eigent-
lich für die Täuschungsversuche in Haushaltsfragen Ihrer
Regierung, Ihrer Koalition gegenüber den Soldaten und
dem Parlament einmal entschuldigen? Ich glaube, dafür
wäre es an der Zeit.
Was waren das für optimistische Sätze, die Sie noch am
27. August, vor gerade drei Monaten, in Hamburg bei der
Führungsakademie gepredigt haben? Sie haben für das
Transportflugzeug eine Stückzahl von 73 Flugzeugen
noch einmal ausdrücklich bestätigt und versichert, im
Haushaltsentwurf 2003 sei die Finanzierung dafür geklärt.
Sie haben darauf hingewiesen, dass Sie beim Haushalts-
entwurf 2003 Anpassungsbedarf nach oben nicht aus-
schließen wollten. Sie haben wörtlich gesagt: Ich habe
hervorragende Beziehungen zu den Haushältern der Ko-
alitionsfraktionen. Da können auch noch kleine Verbesse-
rungen für den Verteidigungsminister herausspringen.
Was ist daraus geworden? Wo sind Ihre guten Be-
ziehungen zu den Haushältern? Funktionieren diese alten
Seilschaften überhaupt noch? Der Kollege Wagner ist auf-
gestiegen, der Kollege Kröning ist umgestiegen, der Kol-
lege Metzger ist ausgestiegen. Nichts von dem, was Sie
damals erwartet haben, hat sich wirklich in die Tat umset-
zen lassen.
Ganz nebenbei, lieber Herr Kollege Nachtwei: Was ist
das eigentlich für eine Bundesregierung, die für die Um-
setzung ihrer Sicherheits- und Verteidigungspolitik im
Haushaltsausschuss auf persönliche Beziehungen des Mi-
nisters zu den Abgeordneten angewiesen ist? Wo ist denn
eigentlich in diesem Zusammenhang der Bundeskanzler?
Er ist es doch in erster Linie, der auf den internationalen Ta-
gungen auf europäischer Ebene deutsche Beiträge zur Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik verspricht und der sei-
nem Finanzminister eben nicht in den Arm fällt, wenn dieser
ihm wieder das Geld aus der Kasse nimmt. Was ist aus der
Defense Capabilities Initiative geworden? Was ist aus den
European Headline Goals geworden? Alles mit deutscher
Unterschrift, die Umsetzung lässt auf sich warten.
Das Ergebnis ist: Sie passen den Umfang und die Aus-
rüstung nicht der Auftragslage an, sondern Sie formen
eine Bundeswehr nach den Vorgaben des Finanzministers.
Deswegen werden wir den Haushalt in dieser Form ab-
lehnen.
Auch die für morgen angekündigte Streichorgie wird
Ihnen nicht helfen, die Probleme in den Griff zu bekom-
men. Damit mögen Sie vielleicht die nicht ganz infor-
mierten Kollegen Ihrer Koalition vorübergehend mit et-
was Sand in den Augen beruhigen können, vielleicht
werden Sie sogar bei einigen Altpazifisten Freudentränen
erzeugen, eine seriöse Planung für die mittlere Zukunft ist
das auf jeden Fall nicht.
Vor allen Dingen: Wo bleibt eigentlich das Parla-
ment? Vor zwei Wochen haben wir hier noch die Parla-
mentsarmee Bundeswehr beschworen und heute sind wir
froh, wenn wir übermorgen aus der Zeitung erfahren dür-
fen, was Sie mit der Ausrüstung dieser Parlamentsarmee
vorhaben. Wenn wir wirklich erst übermorgen in der Zei-
tung lesen, was Sie uns heute im Parlament, heute Mor-
gen im Ausschuss und morgen früh in der Obleuterunde
eben nicht sagen wollen, dann wird das Konsequenzen ha-
ben. Das werden wir als Parlamentarier nicht hinnehmen.
Es mag sein, dass Sie im Jahre 2003 noch die Restpos-
ten aus der so genannten 25-Millionen-Liste von 2001 ab-
arbeiten können. Ab 2004 sieht es aber rabenschwarz aus.
Neubeginner werden nicht mehr möglich sein, weil die
Spielräume dafür längst ausgenutzt und mit beschlos-
senen Vorhaben belegt sind.
Auch die Streichliste, die Sie morgen vorlegen wer-
den, wird Ihnen nicht helfen, da sie, was die nächsten
Jahre angeht, im Wesentlichen aus Luftbuchungen be-
steht. Wenn Sie zum Beispiel die Stückzahl der A400M
reduzieren wollen, wird das frühestens im Jahre 2008
haushaltswirksam, weil vorher sowieso kein Geld dafür
eingeplant ist. Wenn Sie die Stückzahl des Systems
Meteor reduzieren wollen, wird das frühestens ab 2010
haushaltswirksam, weil für die Beschaffung vorher kein
Geld im Haushalt vorgesehen ist.
Natürlich kann man über die Stückzahlen diskutieren
– das biete ich Ihnen ausdrücklich an –; aber man sollte
zwei Denkfehler dabei vermeiden, Herr Minister. Ich
halte es für wichtig, dass man sich, bevor über Stückzah-
len entschieden wird, zunächst auf eine Struktur festlegt.
Nur dann macht eine Anpassung der Stückzahlen über-
haupt Sinn. Zweitens darf man nicht vergessen, dass eine
Reduzierung der Stückzahl sehr viel später haushalts-
mäßig wirksam wird und darum bei den aktuellen Proble-
men nicht helfen kann. Diese Umstände haben Sie – ich
möchte sagen: fahrlässig – außer Acht gelassen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 965
Wenn Sie die nächsten vier Jahre mit gesunden Haus-
halten überleben wollen, bleiben Ihnen eigentlich nur
noch andere Entlastungsmöglichkeiten. Wenn man da-
rüber nachdenkt, stellt man fest, dass es nur noch
zwei Stellschrauben gibt, an denen Sie drehen können: die
sonstigen Investitionen und der Bereich des Betriebs.
Bei den sonstigen Investitionen werden Sie kaum An-
satzmöglichkeiten finden. Bei Eingriffen in den Betrieb
muss man wissen, dass die Bundeswehr schon heute an
der Untergrenze des Möglichen arbeitet.
Hier gilt, was Richard von Weizsäcker uns so vortreff-
lich aufgeschrieben hat: Wer sparen will, muss investie-
ren. – Wer zum Beispiel die maroden Heizungsanlagen in
den Kasernen sanieren und auf einen ökologisch sinnvol-
len Stand bringen will, der muss neue beschaffen. Dafür
ist aber kein Geld da. Das alte Material ist mit steigenden
Kosten verbunden; man müsste in neues Gerät investie-
ren. Aber auch dafür werden Sie kaum das Geld finden.
Ich glaube, dass Sie auch das im Haushalt 2003 gar nicht
eingeplant haben.
Es gibt eine weitere Stellschraube, an der gedreht
werden soll: der Soldat als Kostenfaktor. Man hört, Sie
wollen Schnellboote früher außer Dienst stellen und ein
Marine-Tornado-Geschwader stilllegen. Neben dem Um-
stand, dass die dabei eingesparten Mittel erst sehr viel spä-
ter kassenwirksam werden, sollten Sie bitte auch an die
Menschen denken, die Sie mit diesen Vorhaben überzie-
hen: Die Menschen können Sie nicht stilllegen. Für die
Motivation der Soldatinnen und Soldaten, aber auch der
zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist nichts
schlimmer, als wenn sie ohne Material und konkreten
Auftrag, gewissermaßen arbeitslos im Dienst der Bun-
deswehr, an der Pier stehen und keine Perspektive haben.
Für die Nachwuchslage ist es geradezu verheerend, wenn
junge Menschen feststellen müssen, dass ihre berufliche
Karrierechance nur aus der Perspektive des Finanzmi-
nisters betrachtet wird.
Um Menschen geht es auch bei der letzten möglichen
Stellschraube: die Grundwehrdienstleistenden. Ein klu-
ger Mann hat ausgerechnet, dass, wenn Sie 1 000 Wehr-
pflichtige einsparen, 12 Millionen Euro weniger Kosten
im Haushalt haben. Manch ein Planer wird verleitet sein,
zu sagen: Dann ziehen wir doch einfach genauso viel
weniger Wehrpflichtige ein, wie uns Geld im Investiv-
anteil fehlt. Das ist eine einfache Rechnung, aber ein
absolut falscher Ansatz, weil Sie den Bestand der Wehr-
pflicht damit letztendlich vom Wohlwollen des Finanz-
ministers abhängig machen. Wenn Ihnen am Bestand der
Wehrpflicht wirklich so viel liegt, wie Sie es uns heute
wieder vorgetragen haben, sollten Sie die Finger von die-
ser Stellschraube lassen.
Wie immer man es drehen und wenden mag: Im Ein-
zelplan 14 fehlt es nicht nur an Geld, sondern vor allen
Dingen an Perspektive. Es wäre gut, wenn das Weißbuch,
das Ihr Vorgänger angekündigt hat, und die verteidi-
gungspolitischen Richtlinien irgendwann einmal zu Pa-
pier gebracht würden. Das Papier soll Herr Scharping ja
schon gekauft haben; Sie müssten es eigentlich nur noch
bedrucken.
Wenn Sie die Zeit bis zur endgültigen Verabschiedung
des Haushalts im März nächsten Jahres nutzen, uns bis da-
hin eine Struktur vorlegen und eine Perspektive für die
Bundeswehr aufzeigen, dann können wir auch über Um-
fang und Ausrüstung reden und die dafür erforderlichen
Mittel bereitstellen. Nur, bitte gehen Sie den Weg in diese
Richtung und nicht andersherum. Wer sich, ausgehend von
den immer geringer werdenden Mitteln, eine immer klei-
nere Bundeswehr zurechtschnippelt, wird den sicherheits-
politischen Interessen unseres Landes nicht gerecht, der hat
das Vertrauen der Bündnispartner, der Soldaten, der zivilen
Mitarbeiter und vor allem dieses Parlaments nicht verdient.
Herzlichen Dank.