Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Kollegen von der Opposition, es ist immer wie-
der ein kostbares Gefühl, in älteren Protokollen zu blät-
tern und zu sehen, wie sich Ihre Argumentation seit
damals verändert hat. Da lesen wir im Stenografischen
Bericht über die Haushaltsberatungen 1997 in der Rede
von Herrn Kollegen Austermann:
Die notwendige Modernisierung der Bundeswehr
muss wegen der veränderten Finanzsituation ge-
streckt werden.
Kollege Rühe sagte:
Das, was eingespart werden muss, muss bei den Be-
schaffungen eingespart werden. Einige Sachen müs-
sen gestrichen werden und andere Sachen müssen
gestreckt werden.
So war das mit den Sachen 1997. Streichen, Strecken und
Deckeln, das war Ihre Politik nach 1990. Ohne Struktur-
konzept! Bundeswehrpolitik nach Kassenlage! Damit ha-
ben wir Schluss gemacht.
Noch einmal ein Zitat von Volker Rühe, diesmal zur
Rechtfertigung des Haushalts 1998:
Welche Größenordnung eine Armee auch immer hat,
sie wird immer knapp bei Kasse sein, und – das wird
Sie vielleicht wundern – in einem gewissen Umfang
ist es auch notwendig. Ich kenne keine Armee auf der
ganzen Welt, die finanziell üppig versorgt wäre.
Wo er Recht hat, hat er Recht.
Üppig war es nicht, üppig ist es nicht und üppig wird
es auch in Zukunft nicht sein. Diese Realität sollten auch
Sie heute anerkennen. Wenn Sie für die Bundeswehr mehr
verlangen, dann sollten Sie sagen, wo Sie das heute bei
veränderter Kassenlage – sie verändert sich immer; das
war so in Ihrer Zeit und ist zu unserer natürlich auch so –
hernehmen wollen. Sagen Sie, wie Sie Mehrausgaben für
die Bundeswehr finanzieren wollen! Es nur zu fordern ist
einfach und billig.
– Für Kiel immer.
Wir haben für die Jahre 2003 bis 2006, also für die
nächsten Jahre, eine verlässliche, stabile Haushaltslinie:
24,4Milliarden Euro. Stabil viermal dieselbe Summe! Da-
mit steigt der Anteil des Verteidigungsetats am Gesamt-
haushalt wieder; denn die Gesamtausgaben des Bundes
werden sinken. Sie müssen sinken, weil wir die Einkom-
mensteuersätze und die Nettoneuverschuldung weiter sen-
ken. Gegenüber 2002 gehen die Gesamtausgaben des
Bundes 2003 um 1,5 Prozent zurück. Wenn man den
Nachtragshaushalt berücksichtigt, den wir in dieser Wo-
che beschließen, dann wird der Rückgang von 2002 auf
2003 sogar bei 1,8 Prozent liegen.
Der Bundeswehretat bleibt dagegen stabil. Die Bun-
deswehr bleibt ganz solide finanziert, wenn wir jetzt die
Strukturreform und insbesondere die Beschaffungen
langfristig nachjustieren. Die Bundeswehr braucht an ih-
rer finanziellen Basis Verlässlichkeit und Planbarkeit. Ge-
nau das garantiert die Politik, die wir jetzt machen.
Uns allen miteinander muss klar sein, dass die Bun-
deswehr keine Universalarmeewerden kann. Sie war nie
eine Universalarmee, sie ist keine und sie muss es auch in
Zukunft nicht sein. Natürlich gibt es hier und da – in der
Politik und auch in den Streitkräften – noch das absolute
Souveränitätsdenken, wonach deutsches Militär alles
selbst können muss. Nach diesem Ideal streben wir nicht.
Wir müssen uns nicht entschuldigen, wenn wir es nicht er-
reichen; denn es ist nicht die regulative Idee unserer
Sicherheitspolitik.
Wir Deutsche waren, als es vor allem um unsere eigene
Sicherheit ging, auf starke Bündnispartner angewiesen,
auf Bündnispartner, die über die Mittel verfügten, die See-
wege über den Atlantik und den Himmel über Deutsch-
land offen zu halten. Wir konnten, wollten und mussten
uns im Kalten Krieg nicht allein auf uns selbst verlassen.
Warum sollten wir dann jetzt, da wir vor allem ein Partner
für andere sind, den Anspruch erheben, ganz allein han-
deln zu können? Die Bundeswehr muss nicht alles können.
Klar ist aber auch: Sie muss heute anderes können. Sie
muss verlegefähiger, durchhaltefähiger und zusammenar-
beitsfähiger sein. Deshalb war die Bundeswehrreform
2000 ein Aufbruch zu neuen Ufern. Ich glaube, im Grund-
satz bestreitet niemand in diesem Hause, dass die Rich-
tung stimmt. Über die Frage der Mittel, der finanziellen
und der militärischen, lohnt es sich immer wieder nach-
zudenken. Als Konsequenz des Denkens lohnt es sich
außerdem, nachzusteuern.
Wenn wir eine gewisse Arbeitsteilung in Europa und
in der NATO – beide werden in absehbarer Zeit größer
sein – wollen, dann müssen wir etwas tun, was Soldaten
gewiss ungern tun: erklären, was wirklich unsere Stärken
sind, was wir in Bündnisse und Koalitionen besonders
einbringen wollen und wo wir uns stärker auf die Fähig-
keiten anderer verlassen wollen.
Ich glaube, dass es uns dabei gut ansteht, bei der Be-
wältigung der besonders komplexen, der besonders an-
spruchsvollen Aufgaben voranzugehen, gemeinsam mit
Frankreich, Großbritannien oder Italien. Marinefliegerei,
Sanitätsversorgung, Aufklärung oder auch moderne, mo-
bile bodengebundene Luftabwehr werden für andere eu-
ropäische Bündnispartner noch schwerer bereitzustellen
sein als für uns. Deshalb sind das vor allem unsere Auf-
gaben.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 963
Also: Der Mut zur Erweiterung der NATO wird nur
dann praktisch, wenn wir uns auch zutrauen, zu differen-
zieren, das heißt, die Fähigkeiten der einzelnen Partner in-
nerhalb des neuen Ganzen zu spezialisieren. Das hat
Grenzen; das ist völlig klar. Es muss Redundanzen geben.
Aber dies ist die Richtung: Integration und Differenzie-
rung. Das – nicht die einsame deutsche Universalarmee –
soll die regulative Idee unserer Sicherheitspolitik auf
lange Sicht sein.
Einige Worte zu unseren amerikanischen Freunden.
Manchmal, wenn man die Verlautbarungen der europä-
ischen wehrtechnischen Industrie zur Kenntnis nimmt
oder manche politische Stimme diesseits des Atlantiks
hört, könnte man meinen, wir stünden kurz vor dem Be-
ginn eines neuen Wettrüstens mit unserem größten Ver-
bündeten, wir Europäer müssten alles, was die Amerika-
ner haben, auch haben – um ernst genommen zu werden,
heißt es dann. Dieses transatlantische Konkurrenzdenken
geht meines Erachtens in die Irre. Wir brauchen gewiss
manch neue, andere und zusätzliche Fähigkeit in den
europäischen Streitkräften, aber nicht immer mehr von
genau dem, was der amerikanischen Politik zur Verfü-
gung steht.
Niemand sollte sich teuren Illusionen hingeben: Die
wirklich großen Konflikte dieser Welt sind ohne oder ge-
gen die USA nicht lösbar. Sie sind aus unserer Sicht auch
kaum in erster Linie militärisch lösbar. Wenn aber doch,
dann werden es kaum die Europäer sein, die ohne ameri-
kanische Beteiligung oder gar gegen den Rat der USA
selbst militärisch intervenieren. Deshalb gilt im Verhält-
nis zu den USA: mehr Selbstständigkeit ja, gerechtere
Lastenverteilung – Burden Sharing – ja, aber keine Ver-
dopplung oder Verdreifachung von Kapazitäten aus Prin-
zip, keine ehrpusselige Konkurrenz.
Der Historiker Heinrich August Winkler schreibt in ei-
nem Zeitschriftenbeitrag über die neue NATO:
Amerika militärisch einzuholen und selbst Super-
macht zu werden: Niemand käme auf den Gedanken,
der EU ein derart unrealistisches Ziel anzusinnen.
Aber nötig sei
ein Mindestmaß gemeinsamer militärischer Kapa-
zitäten, um in Fragen der eigenen Sicherheit nicht
nur auf die USA angewiesen zu sein.
Zu diesem Minimum gehören ohne Zweifel das neue
europäische Transportflugzeug A400M, der NH90, der
Tiger, wenn auch vielleicht – der Panzerbedrohung hier
und anderswo entsprechend – in verringerter Stückzahl,
der Eurofighter mit der entsprechenden Bewaffnung Me-
teor und Iris-T, der Schützenpanzer 3, die neuen U-Boote
und Korvetten, Seefernaufklärer und Aufklärungssatelli-
ten – immer der Maßgabe des Vorvorgängers Rühe fol-
gend: Es ist nie genug, aber nicht alles ist finanzierbar. Ich
bin dankbar dafür, dass dies auch innerhalb der Bundes-
wehr so gesehen wird. Unsere Soldaten sind Realisten.
Vor einigen Wochen habe ich das deutsche Marine-
kontingent in Dschibuti besucht. Das ist keine schöne
Gegend, der Dienst dort ist nicht leicht, aber die Einstel-
lung vieler Soldaten ist erstaunlich. Sie sind auch an die-
sem Ende der Welt neben ihrem eigentlichen Auftrag,
dem Antiterrorkampf, gute Botschafter unseres Landes.
Sie helfen bei der medizinischen Versorgung, sammeln
Geld für das örtliche Waisenhaus, lassen sich, auch wenn
das nicht ganz ungefährlich ist, in der Stadt sehen und ar-
beiten mit vielen lokalen Institutionen zusammen. Sie
sind auch in der Fremde Staatsbürger in Uniform, dank in-
nerer Führung frei zum Kontakt mit der Außenwelt.
Ich will damit sagen, dass bei allen Fähigkeiten, die
von der Ausrüstung und der Struktur der Bundeswehr ab-
hängen, eine Fähigkeit ganz kostengünstig ist bzw. gar
nicht zu bezahlen wäre: Das ist das Selbstbewusstsein un-
serer Soldaten. Darauf baut alles andere auf. Dafür sollten
wir hier gemeinsam sorgen.
Schönen Dank.