Rede von
Dr. h.c.
Gernot
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Glos, mir ist Ihre Neigung zu komplexen
Aussagen durchaus bewusst.
Ich nehme sie zur Kenntnis. Aber es ist doch eine Tatsa-
che, dass es lange Zeit einen Konsens darüber gegeben
hat – diesen Konsens habe ich angesprochen; auch Sie ha-
ben ihn genutzt –, dass es durchaus eine Abgrenzung zwi-
schen der uneingeschränkten Solidarität auf der einen
Seite und dem Abenteuer, das Sie ausdrücklich mit dem
Irak in Verbindung gebracht haben, auf der anderen Seite
gibt. Dafür haben Sie einen Beleg geliefert.
Herr Kollege Schäuble, Sie rechnen mit dem kurzen
Gedächtnis der Menschen in diesem Lande. Dabei ver-
rechnen Sie sich. Die Menschen haben noch nicht verges-
sen, wie Ihr Kanzlerkandidat, Herr Stoiber, in der Schluss-
phase des Wahlkampfes versucht hat, sich immer mehr an
die Neinposition des Bundeskanzlers zum Irak-Krieg he-
ranzurobben und sie in populistischer Weise zu wieder-
holen; wir haben vorhin hier darüber gesprochen. Die
Menschen haben auch nicht vergessen, dass dabei anti-
amerikanische Töne zu hören waren. Ich erinnere an seine
Aussage zu den Überflugrechten. Und Sie wollen uns or-
ganisierten Antiamerikanismus unterstellen?
Herr Schäuble, erklären Sie der Öffentlichkeit, wie
Ihre Wahlversprechen hinsichtlich Irak und Außenpolitik
gelautet haben. Die Stimmen waren noch nicht ausge-
zählt, da haben Sie sich schon von dem, was Ihr Kanzler-
kandidat bis dahin gesagt hat, distanziert
und haben mit der Treibjagd auf das Nein der Bundesre-
gierung zu einem militärischen Vorgehen im Irak begon-
nen.
Sie, Herr Schäuble, benutzen selbst einen geradezu
verräterischen Begriff: Schon einige Male haben Sie, al-
lerdings vergeblich, über das Umfallen des Bundeskanz-
lers „in die richtige Richtung“ frohlockt. Das wird nicht
passieren. Jeder weiß: Die „richtige Richtung“ ist für Sie
– das haben Sie immer vertreten – die Beteiligung an ei-
nem solchen Krieg. Sie werden bei uns ein solches Um-
fallen nicht erleben. Aber wir wissen jetzt, was Sie unter
der „richtigen Richtung“ verstehen.
Auch das ist ein interessantes Thema für den Untersu-
chungsausschuss über nicht gehaltene Wahlversprechen,
den Sie herbeizwingen wollen.
Herr Schäuble, es reicht Ihnen offensichtlich nicht, den
falschen Vorwurf des organisierten Antiamerikanismus zu
verbreiten. Sie setzen noch eins drauf und versteigen sich
weiter in Ihrer verbalen Aufrüstungsspirale gegen die
Bundesregierung. Bisheriger Höhepunkt ist aus meiner
Sicht ein Satz aus dem schon erwähnten Artikel in der
„Frankfurter Rundschau“ von gestern, den ich Ihnen
gerne vorlesen möchte. Er lautet:
Mit populistischen Attacken und der Unterstützung
mehr oder weniger aggressiver und krimineller Ak-
tionen gegen angeblich US-geführte weltwirtschaft-
liche Verschwörungen verspielt Rot-Grün allerdings
auch in dieser Frage jede Glaubwürdigkeit.
Sie erheben hier den Vorwurf, Herr Schäuble, Rot-
Grün unterstütze kriminelle Aktionen. Das ist ungeheuer-
lich, umso mehr, als Sie nicht den Hauch eines Beleges
hierfür anführen.
Herr Kollege Schäuble, ich fordere Sie in aller Ruhe, aber
auch in aller Entschiedenheit auf: Belegen Sie diesen
unerhörten und ungeheuerlichen Vorwurf der Unterstüt-
zung krimineller Akte oder schaffen Sie ihn aus der Welt!
So kann man nicht miteinander umgehen.
Ich sage noch einmal: Wir sind zur Diskussion, zur
Zusammenarbeit wie auch zum Streit über die richtigen
politischen Strategien in dieser außerordentlich gefährli-
chen Nachseptemberwelt bereit. Diese zwingt uns zur
Ruprecht Polenz
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
Gernot Erler
Vernunft und zur Kooperation, verbietet uns aber, unsere
Ressourcen und unsere Kräfte am falschen Platz zu vergeu-
den. Genau das tun Sie aber, wenn Sie mit Ihrer faktenleeren
Aggression und Ihrer verantwortungsvergessenen Destruk-
tivität gegenüber allem, was diese Bundesregierung auch in
der Außen- und Sicherheitspolitik macht, fortfahren.
Wir sind – das kann ich Ihnen versichern – bei diesem
Thema sehr selbstbewusst. Deutschland hat weltweit
noch nie so viele internationale Verpflichtungen über-
nommen wie heute. Darunter sind mehrere militärische
Verpflichtungen, aber noch mehr zivile. Wir werden an ei-
nem europäischen Modell für die globale Politik in der
Nachseptemberwelt weiterarbeiten – mit Ihnen, wenn Sie
wollen, aber auch ohne Sie, wenn Sie sich weiter so ver-
weigern wie bisher.
Wir sind stolz auf einen Bundeskanzler und auf einen
Außenminister, die es geschafft haben, für diesen Kurs,
für den es in diesem Land in vielen Punkten in den ver-
gangenen Jahren keine Mehrheit gegeben hätte, eine Zu-
stimmung um mehr als 80 Prozent der Bevölkerung zu er-
halten. Das ist eine solide Grundlage für die Arbeit, die
wir in den nächsten vier Jahren vorhaben. Auf dieser
Grundlage werden wir weiterarbeiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.