Rede von
Dr. h.c.
Gernot
Erler
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
15 Monate nach dem 11. September 2001 wird immer
deutlicher: Noch nie war internationale Kooperation zwi-
schen Ländern mit unterschiedlichen gesellschaftlichen
Systemen, mit unterschiedlicher ethnischer Zusammen-
setzung und unterschiedlicher kultureller Prägung so
wichtig wie heute. Noch nie war diese Kooperation die
einzige Möglichkeit, um auf die global agierenden Terro-
risten erfolgreich zu reagieren.
Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereit-
schaft bis hin zum Dialog der Kulturen sind die wichtigs-
te Antwort auf den 11. September 2001.
Dieser zielte auf die Spaltung der Welt, auf einen Kampf
der Kulturen. Insoweit haben die Attentäter des 11. Sep-
tember 2001 bisher keinen Erfolg gehabt.
Bisher ist es aber auch nicht gelungen, die terroristi-
sche Herausforderung unter Kontrolle zu bringen. Wir se-
hen diese schreckliche Blutspur von Djerba über Bali,
über den Anschlag auf den Tanker „Limburg“ bis zu den
Attentaten in Kenia. Dies bedeutet, dass die Notwendig-
keit der Zusammenarbeit, ja der Zwang dazu, unverändert
bestehen bleibt.
Zusammenarbeit und Diskussion schließen sich nicht
aus. Im Gegenteil: Es ist sogar notwendig, über die rich-
tigen Antworten und die richtigen Prioritätensetzungen zu
streiten und zu ringen. Natürlich gibt es unterschiedliche
Auffassungen – auch in diesem Hause – darüber, welches
die Prioritäten sind, wie wichtig die politische Allianz ge-
gen den Terrorismus ist, wie wichtig es ist, regionale Kon-
flikte anders als früher zu behandeln, wie wichtig es ist, in
diesem Testfall Afghanistan tatsächlich einen Erfolg zu
erringen, und schließlich auch, wie wichtig das Engage-
ment für eine gerechtere und fairere Weltordnung ist, um
die Rekrutierungsströme des Terrorismus durch eine glo-
bale strukturelle Prävention zu unterbinden.
Die Frage ist auch, welche Funktion militärische Maß-
nahmen haben, ob sie im Kampf gegen den Terrorismus
helfen oder ob sie da kontraproduktiv sind. Das ist, kurz
gesprochen, die entscheidende internationale Agenda.
Über diese Fragen müssen wir in unserem Land, in Eu-
ropa und im transatlantischen Dialog ringen, aber dann
auch Entscheidungen treffen. Dazu sind wir von dieser
Regierungskoalition bereit. Aber die Frage ist, ob auch
Sie von der CDU/CSU dazu bereit sind.
In dem Zusammenhang muss ich einmal feststellen, Herr
Kollege Schäuble, dass das, was Sie jetzt eben wiederholt
haben, was Sie zum Beispiel auch gestern in einem Grund-
satzartikel in der „Frankfurter Rundschau“ unter dem Titel
„Bewusst geschürter Antiamerikanismus“ vorgetragen ha-
ben, eine Art von verbaler Aufrüstung ist, die schon fast
nicht mehr zu überbieten ist. Das kann nur als eine Totalab-
sage an jede Zusammenarbeit mit uns verstanden werden.
Sie wollen offenbar, dass diese Wirkung entsteht.
Sie wissen natürlich in Wirklichkeit ganz genau, dass
dieser Vorwurf eines organisierten Antiamerikanismus
völlig unhaltbar ist. Entsprechend erbärmlich sind auch
die Belege, die Sie dafür anführen. Sie konzentrieren sich
auf zwei Punkte. Sie beziehen sich auf einen Artikel von
Herrn Naumann in der „Zeit“, den Sie offenbar nicht ge-
lesen haben – der Artikel ist nämlich in Wirklichkeit dif-
ferenziert und nicht amerikakritischer als die amerikani-
schen Belege, die er heranzieht –, und Sie ziehen zum
wiederholten Mal den Begriff des Abenteuers heran. Da-
bei wissen Sie, Herr Schäuble, ganz genau, dass dieser
Begriff nie personalisiert angewandt worden ist, schon
gar nicht vom Bundeskanzler, und dass dieser Begriff wie
ein Zwilling zu einem anderen gehörte, den der Bundes-
kanzler schon am 12. September 2001 geprägt hat, näm-
lich dem der uneingeschränkten Solidarität mit dem
angegriffenen Amerika. Das war das proamerikanischste
Bekenntnis, das je ein deutscher Regierungschef zum
Ausdruck gebracht hat.
Im Übrigen war die Abgrenzung von Abenteuern lange
Zeit gemeinsames politisches Gedankengut in Deutsch-
land, weit über Rot-Grün hinaus.
Ein heute hier schon einmal zitierter bedeutender deut-
scher Politiker hat am 16. August dieses Jahres in der
ARD wörtlich gesagt – ich zitiere –:
Es besteht bei uns keinerlei Absicht, das kann ich
auch für den Kanzlerkandidaten sagen, sich an einem
militärischen Abenteuer irgendwo in der Welt zu be-
teiligen – schon gerade nicht in Irak.
Das war der Kollege Michael Glos, seines Zeichens CSU-
Fraktionsvorsitzender.