Rede von
Joseph
Fischer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das war
gerade eine wichtige Abstimmung. Sie stand im Zusam-
menhang mit einem zentralen Thema, das wir in Kopen-
hagen, wo der Gipfel der Europäischen Union sehr bald
stattfinden wird, weiter erörtern werden. Ich hoffe, dass
wir in Kopenhagen zu einer sehr vernünftigen Abschluss-
erklärung kommen werden. Ich komme darauf noch zu
sprechen.
In der Debatte über den Einzelplan des Auswärtigen
Amtes sprechen wir über Deutschlands internationale
Rolle, also über einen Teil unserer Außenpolitik. Diese
Politik gründet auf den langen Linien der bundesrepubli-
kanischen Außenpolitik. Es ist unsere Verpflichtung, für
Gewaltfreiheit und für Menschenrechte einzutreten. Dies
ist unsere Verpflichtung gegenüber der europäischen Inte-
gration und gegenüber dem transatlantischen Verhältnis.
Dieses Eintreten liegt auch in unserem Interesse. Unser
Sonderverhältnis zu Israel bestimmt diese langen Linien.
Auf dieser Grundlage hat auch diese Bundesregierung
ihre Politik entwickelt.
Herr Glos hat bereits heute Morgen in einem wirklich
zukunftsweisenden Beitrag darauf hingewiesen, dass er
die Außenpolitik der Bundesregierung im Wesentlichen
von außenpolitischem Dilettantismus bestimmt sieht.
Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Unsere Partner sehen das
völlig anders.
– Doch. Selbst der Abgeordnete Pflüger sieht das insge-
heim völlig anders, auch wenn er das hier nicht so dar-
stellt.
Wir nehmen unsere Verpflichtungen in einem umfas-
senden Sinne wahr. Dies gilt umso mehr seit dem 11. Sep-
tember letzten Jahres. Der internationale Terrorismus
ist eine Bedrohung für uns alle. Der internationale Terro-
rismus ist eine Bedrohung, der wir auf zwei Ebenen
entgegentreten müssen. Wir haben zuletzt in Mombasa
wieder erlebt, mit welcher Menschenverachtung dieser
Terrorismus zuschlägt. Er gibt vor, gegen Israel zu kämp-
fen, und er mordet unschuldige Menschen israelischer
Staatsbürgerschaft, aber genauso unschuldige Menschen
kenianischer Staatsbürgerschaft. Das zeigt das ganze Maß
an Verachtung gegenüber den Grundsätzen von Mensch-
lichkeit. Mit einer Politik – es fällt mir schwer, hier den
Begriff „Politik“ zu verwenden –, die sich dieser Instru-
mente bedient, wird man nicht verhandeln können. Eine
solche Politik wird man in internationaler Solidarität nie-
derkämpfen müssen; man wird dem Terrorismus ent-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 921
schlossen entgegentreten und die Strukturen zerstören
müssen.
Die Bundesrepublik Deutschland leistet dazu ihren
Beitrag. Wir – Kollege Pflüger, Kollege Nachtwei und an-
dere waren dabei – konnten uns in Kabul davon überzeu-
gen, dass wir unseren Beitrag leisten. Das geschieht nicht
nur auf der Ebene des direkten Kampfes gegen den Terro-
rismus, gegen die al-Qaida- und die Taliban-Strukturen,
sondern auch – da komme ich zum zweiten Punkt –, indem
den Menschen im Rahmen der UN-Friedensmission wie-
der eine Perspektive gegeben wird. Die Terrorismus-
bekämpfung spielt auch in dieser Hinsicht eine entschei-
dende Rolle. Überall, wo terroristischer Nährboden
existiert, muss dieser trockengelegt werden.
Das setzt ein langfristiges Engagement beim Wieder-
aufbau zerbrochener Strukturen, bei der Hilfe für Staaten
wie etwa Afghanistan voraus, wo sich eine Gefahr für in-
ternationalen Frieden und internationale Sicherheit ent-
wickeln konnte. Darüber haben wir lange hinwegge-
schaut. Ich sage das auch mit einer gewissen Selbstkritik.
Wir haben in diesem Hause über Jahre hinweg – ich meine
das nicht auf diese Bundesregierung bezogen, sondern
mehr auf die Zeit, als wir in der Opposition waren und Sie
in der Regierung – schlicht und einfach unterschätzt, wel-
che Gefahren darin liegen, dass relevante Gruppen, rele-
vante Teile der Bevölkerung keine Zukunft mehr sehen.
Bei der Frage der Zukunftsperspektive geht es nicht nur
um eine Armutsperspektive – damit ich hier nicht miss-
verstanden werde –, sondern es geht dabei oft auch um
Modernisierungsblockaden, um ideologische Verblen-
dung. Wir alle kennen das auch von dem einen oder an-
deren Punkt aus der europäischen Geschichte.
Deswegen gilt: Wer den Kampf gegen den Terrorismus
ernst meint, der darf nicht dazu beitragen, dass mehr
Gründe entstehen, auf die terroristische Propaganda he-
reinzufallen, sondern muss dafür sorgen, dass es weniger
solcher Gründe gibt und dass Strukturen geschaffen wer-
den, die möglichst vielen Völkern und Staaten wieder eine
Perspektive geben.
Ich sehe mit einer gewissen Sorge das Übergreifen des
Terrorismus auf andere Regionen, vor allen Dingen in
Ost- und Westafrika.Man kann nicht selbstverständlich
davon ausgehen, dass die afrikanische Krise, die hier
schon oft besprochen wurde, nicht von völlig unverant-
wortlichen terroristischen Kräften und Strukturen genutzt
wird.
Das macht klar, dass Globalisierung nicht nur und vor
allen Dingen eine Frage der Wirtschaft ist – das ist sie
auch –, sondern ebenso eine Frage der Gerechtigkeit, eine
Frage des Zugangs zu Bildung und Ausbildung, eine
Frage der sozialen Sicherheit, der Berufsperspektive für
die jungen Menschen. Das sind ganz entscheidende Fra-
gen. Auch die Frage der Menschenrechte ist seit dem
11. September vergangenen Jahres anders zu sehen. Es
handelt sich dabei zwar nach wie vor um eine zutiefst mo-
ralische und rechtliche Frage; aber die Durchsetzung der
Menschenrechte ist einer der ganz entscheidenden Punkte
im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, weil
das essenziell zur Zukunftsgestaltung gehört.
Herr Schäuble, ich schätze die Kontroverse mit Ihnen
sehr, aber dass Sie uns Antiamerikanismus vorwerfen, ist
mir unverständlich. Der nächste Schritt wird sein, dass Sie
„Freiheit oder Sozialismus“ wieder aus der Mottenkiste
holen. Ich möchte ja gar nicht zitieren, was Ihr Herr
Stoiber im Wahlkampf alles verkündet hat.
– Das will ich gerne tun. Es war Herr Stoiber, der sich ge-
gen die Überflugrechte der USA ausgesprochen hat, noch
in der letzten Woche.