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ID1501301600

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 871 A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bun- deshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2003 (Haushaltsgesetz 2003) (Drucksache 15/150) . . . . . . . . . . . . . . 871 B b) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2002 (Nach- tragshaushaltsgesetz 2002) (Drucksache 15/149) . . . . . . . . . . . . . . 871 B c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht über den Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Fi- nanzwirtschaft des Bundes (Drucksache 15/151) . . . . . . . . . . . . . . 871 B Einzelplan 04 in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag des Abgeordneten Dr. Wolfgang Schäuble und der Fraktion der CDU/CSU: Für ein glaubwürdiges Angebot der EU an die Türkei (Drucksache 15/126) . . . . . . . . . . . . . . . . 871 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 871 D Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 876 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . 886 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . 889 D Katrin Dagmar Göring-Eckardt BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 891 A Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 896 D Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 905 C Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . 908 D Steffen Kampeter CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 910 B Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 913 A Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 913 D Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915 B Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 916 B Eckhardt Barthel (Berlin) SPD . . . . . . . . . . . 917 C Bernhard Kaster CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 918 B Einzelplan 05 in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 3: a) Beratung des Antrags der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Menschenrechte als Leitlinie der deutschen Politik (Drucksache 15/136) . . . . . . . . . . . . . . 920 B Plenarprotokoll 15/13 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 13. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 I n h a l t : b) Antrag der Abgeordneten Rainer Funke, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nicht vergessen (Drucksache 15/64) . . . . . . . . . . . . . . . 920 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 920 C Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 921 C Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 923 B Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 924 D Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928 A Ruprecht Polenz CDU/CSU . . . . . . . . . . 928 D Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 929 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 930 B Dr. Christoph Zöpel SPD . . . . . . . . . . . . . . . 932 C Dr. Gerd Müller CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 934 A Dr. Ludger Volmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935 D Michael Roth (Heringen) SPD . . . . . . . . . . . 936 C Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 D Christa Nickels BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 939 D Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940 D Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 941 B Rainer Eppelmann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 942 B Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 944 B Angelika Graf (Rosenheim) SPD . . . . . . . . . 944 C Einzelplan 14 Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 945 D Dietrich Austermann CDU/CSU . . . . . . . . . . 948 C Verena Wohlleben SPD . . . . . . . . . . . . . . 949 D Alexander Bonde BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 950 C Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 952 B Rainer Arnold SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 C Günther Friedrich Nolting FDP . . . . . . . . 954 A Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . 954 B Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 957 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 D Helga Daub FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 961 A Dr. Hans-Peter Bartels SPD . . . . . . . . . . . . . 962 A Thomas Kossendey CDU/CSU . . . . . . . . . . . 963 C Einzelplan 23 Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . 967 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . 969 D Thilo Hoppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 970 C Markus Löning FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 B Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 973 B Arnold Vaatz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 974 D Karin Kortmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 975 A Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . . . . . . . 975 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . 975 C Detlef Dzembritzki SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 977 B Einzelplan 06 Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 979 A Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 981 B Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast SPD . . . . . 982 B Thomas Strobl (Heilbronn) CDU/CSU . . . . . 983 A Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984 D Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 986 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 988 A Dagmar Freitag SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989 B Susanne Jaffke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 990 A Sebastian Edathy SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 C Stephan Mayer (Altötting) CDU/CSU . . . . . 993 A Einzelplan 07 Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 994 B Dr. Wolfgang Götzer CDU/CSU . . . . . . . . . . 996 C Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 D Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 B Otto Fricke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002 B Joachim Stünker SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 C Norbert Barthle CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 1005 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 D Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1007 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 1009 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 871 13. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Norbert Barthle Berichtigung 12. Sitzung, Seite 744 (B), der letzte Absatz ist wie folgt zu lesen: Wir haben eine Menge getan, um die Eigenkapitalbildung des Mit- telstandes zu erleichtern. Aufgrund unserer Steuerreform ist inzwi- schen die obere Grenzbelastung – 1998 lag sie bei 69 Prozent – auf 51 Prozent gesenkt worden. So etwas haben sie in Ihrer Regierungs- zeit nie zuwege gebracht. Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 1009 (C)(A) Adam, Ulrich CDU/CSU 04.12.2002* Borchert, Jochen CDU/CSU 04.12.2002 Bury, Hans Martin SPD 04.12.2002 Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 04.12.2002 Hartmut Caesar, Cajus CDU/CSU 04.12.2002 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 04.12.2002 Herta Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 04.12.2002 Gradistanac, Renate SPD 04.12.2002 Großmann, Achim SPD 04.12.2002 Hörster, Joachim CDU/CSU 04.12.2002* Hofbauer, Klaus CDU/CSU 04.12.2002 Kubicki, Wolfgang FDP 04.12.2002 Lintner, Eduard CDU/CSU 04.12.2002* Dr. Lötzsch, Gesine fraktionslos 04.12.2002 Dr. Lucyga, Christine SPD 04.12.2002* Möllemann, Jürgen W. FDP 04.12.2002 Dr. Pinkwart, Andreas FDP 04.12.2002 Rauber, Helmut CDU/CSU 04.12.2002** Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 04.12.2002 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung des OSZE entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Ich erteile das Wort der Kollegin Katrin

    Göring-Eckardt, Bündnis 90/Die Grünen.


    (A)



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    (D)


    890


    (A)



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    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 891


    (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
    Herr Westerwelle, Sie haben dem Bundeskanzler gerade
    vorgeworfen, er sei zu heftig gewesen. Ich muss sagen:
    Ihnen hat es wieder einmal nicht an Heftigkeit gefehlt; in
    Ihrer Rede hat es nur an Substanz gefehlt. Aber das sind
    wir schon gewohnt, Stichwort „18 Prozent“.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Sie haben sich hier hingestellt und gesagt, die Massen-
    arbeitslosigkeit in Deutschland – sie ist in der Tat ein
    großes Problem, das wir mit allen Mitteln angehen – sei
    demokratiegefährdend. Ich will Ihnen sagen, was ich für
    demokratiegefährdend halte: Ich halte es für demokratie-
    gefährdend, dass Sie, Herr Westerwelle, dabei zusehen,
    wie in Ihrer eigenen Partei mit antisemitischen Ressenti-
    ments Wahlkampf gemacht wird.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Es ist in der Tat sehr bemerkenswert – der Bundes-
    kanzler hat zu Recht darauf hingewiesen –, was wir hier
    in den letzten Wochen von der Opposition und von Teilen
    der politischen Rechten im Land erleben, alles getarnt
    als politische demokratische Auseinandersetzung. Das,
    meine Damen und Herren, ist wirklich beispiellos in der
    Geschichte. Was Sie veranstalten, Frau Merkel, ist heuch-
    lerisch, es ist eine unredliche Kampagne ohnegleichen,
    nur nach hinten, ohne Inhalt.


    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)


    Wir – damit meine ich Rot und Grün – werden diese Art
    von Kampagne und diese Art von Schauspiel nicht hin-
    nehmen. Das erleben Sie heute hier in diesem Hause.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Liebe Frau Merkel, ich frage Sie allen Ernstes: Woher
    nehmen Sie eigentlich die Unverfrorenheit zu dieser maß-
    losen Inszenierung? Sie haben heute schon wieder Michel
    Glos auf die Bühne geschickt, um genau das weiterzutrei-
    ben, was Sie seit Wochen hier veranstalten.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Haha!)

    Ausgerechnet Sie, die im Bundestagswahlkampf wie
    eine Drückerkolonne von Haus zu Haus gelaufen sind, mit
    unverfrorenen Versprechungen, bei denen Sie das Blau-
    Weiße vom Himmel versprochen haben,


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weiß-Blau, wenn schon!)


    stellen sich heute hier hin und wollen über Wahrheit re-
    den.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sie haben ein Sofortprogramm für 20 Milliarden Euro
    auf den Tisch gelegt und die ganzen Verheißungen kosten
    über 70 Milliarden Euro. Glauben Sie denn allen Ernstes,

    dass die Menschen in Deutschland das schon vergessen
    haben?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Da fragt man sich schon, was Sie geritten hat, sich von
    Herrn Koch den Untersuchungsausschuss aufschwatzen
    zu lassen. Vielleicht hatten Sie heute Morgen schon Gele-
    genheit zur Zeitungslektüre. Die Attribute übertreffen
    sich von Blatt zu Blatt. „Irrwitzig“ ist noch eines der
    harmloseren. Herr Westerwelle, auch Sie haben sich ge-
    rade dafür ausgesprochen. Herr Döring, Ihr Parteikollege,
    hat das als größten politischen Schwachsinn bezeichnet.
    Ich kann dem Mann nur zustimmen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie müssen ja ganz schön Muffe haben!)


    Frau Merkel, Sie lassen sich ausgerechnet von einem
    Herrn Koch instrumentalisieren, in dessen Verantwor-
    tungsbereich CDU-Schwarzgelder in jüdische Vermächt-
    nisse umgelogen werden. Haben Sie denn keine Möglich-
    keit mehr, die Realität in diesem Lande wahrzunehmen?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ausgerechnet der „brutalstmögliche Aufklärer“, der seiner-
    zeit erklärt hat, dass sein einziger Fehler gewesen sei, die
    Öffentlichkeit falsch informiert zu haben! Frau Merkel,
    kehren Sie zurück zur politischen Kultur und zum gesun-
    den Menschenverstand in diesem Lande!


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da haben wir ja keine Chance!)


    Jetzt kommt er also, der Untersuchungsausschuss, der
    „große konzeptionelle Renner der Opposition“, so hat es
    die „Neue Zürcher Zeitung“ genannt. Mehr ist es nicht.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Was Sie alles lesen!)


    Herr Glos, ich habe auch schon eine Idee, womit sich der
    Untersuchungsausschuss beschäftigen kann. Sie haben
    vorhin in der Debatte schon deutlich gemacht, was Sie ei-
    gentlich wollen. Sie haben hier nämlich in Richtung Re-
    gierungsbank gesagt, einer Mehrwertsteuererhöhung
    würden Sie zustimmen. Das haben wir alle gehört


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Aber Sie müssen sie vorschlagen und dann müssen wir reden!)


    und werden es im Protokoll nachlesen können. Das ist
    doch eine gute Aufgabe für den Untersuchungsausschuss,
    was Michel Glos hier zum Thema Mehrwertsteuer-
    erhöhung sagt. Vielen Dank! Dabei werden Sie Herrn
    Westerwelle wahrscheinlich an Ihrer Seite haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Glos [CDU/CSU]: Schauen Sie einmal in den Protokollen nach, ob das stimmt! Das ist eine Unterstellung! Für das Protokoll, Herr Präsident!)


    Ich wüsste gerne, wo Ihre Vorschläge zur Reform der
    Rentensysteme in Deutschland, zur Reform des Gesund-
    heitssystems, Ihre Alternativen zur Haushaltssanierung

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Katrin Dagmar Göring-Eckardt
    bleiben. Vielleicht haben Sie, Frau Merkel, heute noch
    Gelegenheit, deutlich zu sagen, worum es Ihnen eigent-
    lich geht.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie müssen nur mal zuhören!)


    Wir haben Sozialsysteme, die in der Tat auf den Prüf-
    stand gehören. Die Sozialsysteme müssen der Altersent-
    wicklung der Gesellschaft gerecht werden. Das müssen
    wir nicht nur in Bezug auf heute und auf das Rentenni-
    veau, das wir heute erreichen können, überlegen, sondern
    auch mit Blick darauf, wie es in 20, 25 oder 30 Jahren aus-
    sieht. Genau darauf kommt es an. Deswegen brauchen wir
    weitere Reformen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Bisher hören wir von Ihnen nichts weiter als Klamauk
    und Tamtam. Ich bin wirklich erschüttert: Was ist nur aus
    der bürgerlichen Volkspartei CDU geworden?


    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Auf Ihre Sorgen können wir verzichten!)


    Sie können noch nicht einmal ordentlich Opposition be-
    treiben; man stelle sich vor, Sie hätten regieren müssen.
    Gute Nacht, Deutschland, kann ich da nur sagen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Wenn wir heute über den Haushalt debattieren, meine
    Damen und Herren, dann tun wir das vor dem Hintergrund
    einer wirklich schwierigen wirtschaftlichen Situation.
    Nicht nur im Bundeshaushalt muss gespart werden. Auch
    in den Ländern muss gespart werden, ebenso in vielen Un-
    ternehmen im Land, von den großen Verlagen bis zu den
    kleinen mittelständischen Unternehmungen. Diese Lage ist
    nicht schönzureden – das tut hier auch niemand –, sondern
    damit muss man umgehen, und zwar mit zwei Dingen: mit
    vernünftigem Sparen und mit intelligenten Reformen, die
    wir auf den Weg bringen.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Bis sie bankrott sind!)


    Aber es macht keinen Sinn, Herr Glos und Herr Merz, die
    Situation schlechter zu reden, als sie ist. Sie scheinen ja
    Ihre Berufung genau darin gefunden zu haben. Herr Merz
    sprach gestern hier von der Psychologie des Schlechtre-
    dens. Wer ist es denn hier im Hause, der tut, als sei
    Deutschland bereits ein Entwicklungsland? – Das sind
    Sie.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie sind auf dem besten Weg mit Ihrer Regierung, es dazu zu machen!)


    Wer ist es denn, der behauptet, Deutschland stünde am
    Abgrund? – Das sind wiederum Sie. Und wer ist es, ver-
    dammt noch mal, der versucht, das Ansehen dieses Lan-
    des international zu beschädigen?


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das machen Sie!)


    Es gelingt Ihnen nicht, aber Sie versuchen es. Das sind
    wiederum Sie.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Tatsache ist doch: Es geht uns in diesem Land nicht
    mehr so gut wie vor Jahren


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Warum wohl?)

    – im Osten wusste man das übrigens schon etwas länger –,
    aber viele klagen auf relativ hohem Niveau. Und was fiel
    Ihnen, Herr Merz, gestern in Ihrer Rede ein? – Nicht die
    Arbeitslosenhilfeempfänger, nein, Ihnen fallen die
    Dienstwagen- und Hausbesitzer ein. Das ist der Unter-
    schied zwischen uns.


    (Beifall des Abg. Dieter Grasedieck [SPD])

    Wir sagen: „Alle müssen anpacken“ und Sie machen
    kleinkarierte Klientelpolitik. Das werden die Menschen in
    diesem Land wissen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wir können uns ja einmal vorstellen, wie es wäre,
    wenn Stoiber nun unser Kanzler wäre. Dann hätten wir
    nämlich statt des Steuersongs den Stoibersong und Frau
    Merkel spielte wahrscheinlich die Schalmei dazu.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jetzt wird es!)

    Dann hätten wir jetzt den „Jetzt habt ihr mich gewählt“-
    Song für Stoiber. Ich sage Ihnen: Dann hätten wir wirk-
    lich den Salat.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Donnerwetter noch mal! – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das war nicht einmal witzig! – Michael Glos [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben? Sie sollten einmal den Redenschreiber wechseln!)


    Erstens. Die Kassen wären leer, in Bayern, in Hessen
    und im Bund. Die Maastricht-Kriterien würden nicht ein-
    gehalten, weil die Steuereinnahmen mehr als gedacht
    zurückgegangen sind, in Bayern, in Hessen und im Bund.
    Hätte die Union auch noch ihr Sofortprogramm umgesetzt,
    dann lägen wir bei den Maastricht-Kriterien nicht bei über
    3 Prozent, sondern bei fast 5 Prozent. Das ist die Realität.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Zweitens. Der hessische Ministerpräsident müsste
    einen Lügenausschuss einrichten, weil die Wahlverspre-
    chen der Union in keinem einzigen Punkt realisiert wor-
    den wären. Familiengeld? – Fehlanzeige. Kinderbetreu-
    ung? – Wollten Sie gar nicht machen; machen wir dafür.
    Reform am Arbeitsmarkt? – Gequatsche; wieder Fehlan-
    zeige. Mittelstand? – Steuern runter bestimmt nicht, da
    kein Geld vorhanden. Ihre 40-40-40-Nummer schließlich
    würde 170 Milliarden Euro kosten. Das wäre das Ende
    jeglicher Ausgaben des Bundes in der Sozial- und Ar-
    beitsmarktpolitik. Damit würde sich der Lügenausschuss
    dann beschäftigen, meine Damen und Herren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    892


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 893

    Ich verstehe schon, dass Edmund Stoiber sich ein biss-
    chen ärgert; denn wäre er Kanzler geworden, egal wie,
    hätte er jetzt wenigstens ein Lied für sich. Nun hat nur
    noch die leichte Sonnenbräune und einen Beraterkreis um
    sich herum, der ihm das Gefühl gibt, er hätte doch noch
    irgendwie gewonnen.


    (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Diese Rede entspricht dem Niveau der Bundesregierung! Parterre, Untergeschoss!)


    Das ist wie in dem Märchen vom Kaiser mit den neuen
    Kleidern. Irgendjemand muss es ihm einmal sagen.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Merkel, vielleicht können Sie es einmal tun. Sagen
    Sie ihm: erstens, der Kaiser ist nackt, und zweitens,
    Stoiber ist nicht Bundeskanzler. Das ist die Lage im Land.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wenn ich mir die Lage in Hessen ansehe – 2 Milliar-
    den Neuverschuldung statt 800 Millionen –, muss ich sa-
    gen: Das ist eine reife Leistung. Man braucht Ausschüsse
    im Bund, um davon abzulenken: Wann hat Koch eigent-
    lich was genau gewusst?


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Der Typ kommt mir vor wie ein volltrunkener Piratenka-
    pitän, der auf einem halb abgesoffenen Kahn steht und
    blind vor Gier noch ein viel größeres Schiff rammen will.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ich sage Ihnen: Dieses große Schiff, der rot-grüne Kahn,
    ist verdammt in Ordnung und weiß vor allen Dingen, wo-
    hin es fahren will.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Den Eindruck haben die Leute auch!)


    Im Gegensatz zu Ihrem Steuersenkungsfundamentalis-
    mus haben wir ein ausgewogenes Paket vorgelegt. Herr
    Westerwelle, es stimmt eben nicht, dass nicht beim Staat
    gespart wird, sondern nur bei den Bürgerinnen und Bür-
    gern. Zwei Drittel der Sparmaßnahmen liegen beim
    Staat und ein Drittel liegt bei den Bürgerinnen und Bür-
    gern. Das die Wahrheit; mit der sollten Sie sich einfach
    einmal auseinander setzen.

    Ja, wir erhöhen die Staatsverschuldung maßvoll. Ja, wir
    beseitigen Steuervergünstigungen. Wir haben auch Maß-
    nahmen zur Sicherung der Sozialsysteme ergriffen. Man
    muss nicht mit jeder Maßnahme einverstanden sein. Es ist
    richtig, dass man in der Koalition darüber diskutiert. Wer
    aber etwas anderes will, der muss auch einmal ehrlich sa-
    gen, was er will. Meine Damen und Herren von der Union,
    allein die Aussetzung der Ökosteuer würde die Renten-
    beiträge flott auf über 20 Prozent ansteigen lassen. Wenn
    es das ist, was Sie wollen, dann sagen Sie das hier bitte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Machen Sie Ihre Steuersenkungsversprechungen auf
    Kosten höherer Schulden? Sagen Sie uns bitte, wie Sie
    das umsetzen wollen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Sagen Sie uns endlich einmal, welche Reformen Sie auf
    den Weg bringen wollen und welche Sie wenigstens ein-
    mal durchgerechnet haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Es stimmt, dass wir es in Deutschland mit einer sehr

    speziellen Psychologie zu tun haben, wenn es um große
    und wichtige Reformen geht: Den einen ist schon die
    kleinste Reparatur am Haus Deutschland zu viel, die an-
    deren wollen das Haus am liebsten gleich ganz abreißen
    und neu aufbauen. Was beide Akteure nicht merken, ist,
    dass sie beide Teil jener Reformblockade sind, die sich ge-
    rade anbahnt. In aller Freundschaft zu den Gewerkschaf-
    ten und mit aller Freundlichkeit zu den Verbänden sage
    ich: Reform heißt immer auch, bei sich selbst anzufangen,
    auch und gerade wenn es um Einschränkungen geht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Angela Merkel [CDU/CSU]: Genau! Bei den Grünen!)


    Ich sage das aber auch in Ihre Richtung, Frau Merkel.
    Der Maximalismus der Union – Sie stellen Forderungen
    und setzen immer noch eins drauf – ist in Wahrheit die
    größte Reformblockade, mit der wir in Deutschland zu
    kämpfen haben. Meine Damen und Herren von der Op-
    position, Frau Merkel, auch die Opposition trägt eine Ver-
    antwortung für das Land und ist nicht nur dafür da, mög-
    lichst viel Krawall zu schlagen. Sie reden Deutschland
    schlecht und ziehen Deutschland herunter.

    In Deutschland gab es noch nie eine Opposition, die die
    demokratischen Institutionen der Republik derart schlecht-
    geredet hat und so mit Dreck beworfen hat, wie Sie das
    machen:


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Erst war es der Bundespräsident, dann der Bundestagsprä-
    sident, dann gab es zwischendurch Klamauk im Bundesrat
    und jetzt ist es der deutsche Bundeskanzler.


    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Erbärmlich!)

    Dabei reden Sie von Patriotismus. Wer sind denn die
    wahren vaterlandslosen Gesellen in diesem Land?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Donnerwetter! – Michael Glos [CDU/CSU]: Was Sie alles wissen, gnädige Frau! So ein gescheites Mädchen!)


    Sie sind nicht nur schlechte Verlierer, sondern auch
    eine miserable Opposition. Wie würden Sie die Kom-
    plettblockade bezeichnen? Was nicht alles blockiert wer-
    den soll: Wir haben die Rentenblockade, die Ökosteuer-
    blockade, die Arbeitsmarktblockade usw.

    Ich kann Sie nur auffordern, mitzumachen und sich an
    der Debatte konstruktiv zu beteiligen.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wäre für Deutschland tödlich!)


    Katrin Dagmar Göring-Eckardt

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Katrin Dagmar Göring-Eckardt
    Vielleicht kriegt sich ja sogar Herr Koch noch ein.

    Die Hartz-Vorschläge sind nach wie vor eine wirklich
    große Herausforderung an Politik und Gesellschaft. So
    viel Reformgeist hat es auf dem Arbeitsmarkt in Deutsch-
    land noch nie gegeben: Personal-Service-Agenturen, Ich-
    und Familien-AGs, Minijobs. All diese Maßnahmen brin-
    gen Bewegung in den Arbeitsmarkt. Sie wollen dabei
    außen vor bleiben? Ich kann Sie im Interesse der Men-
    schen, die ohne Arbeit sind, nur bitten: Machen Sie mit!


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Es gibt aber noch mehr Bereiche, bei denen es auf ge-

    meinsames Handeln und gemeinsame Verantwortung an-
    kommt. Wer den Sozialstaat erhalten will, der muss jetzt
    handeln. In Deutschland befinden wir uns zum ersten Mal
    in einer Situation, in der alles nicht einfach nur immer
    mehr wird. Frau Merkel, das war auch der zentrale Fehler
    in Ihrem Wahlkampf. Die Leute haben Ihnen nicht ge-
    glaubt, dass man immer weiter auf Wachstum setzen
    kann. Jetzt kommt es darauf an, die Sozialsysteme zu-
    kunftsfest zu machen. Das heißt auch, dass wir den Men-
    schen wieder mehr Eigenverantwortung und Entschei-
    dungsfreiheit zurückgeben müssen.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn wir das gesagt haben, haben Sie von Zuzahlung geredet!)


    Darauf wird es ankommen.
    Für den sozialen Schutz der Menschen kann es in Zu-

    kunft nicht mehr so wichtig sein, ob jemand abhängig be-
    schäftigt oder selbstständig ist. Die modernen Berufsbio-
    grafien sind nicht mehr so eindeutig. Einmal ist man in
    einem Unternehmen beschäftigt, einmal ist man selbst-
    ständig und einmal in Erziehungszeit. Der Sozialstaat hat
    nicht allein die Aufgabe, zu versorgen und zu betreuen. Er
    muss die Menschen in die Lage versetzen, ihr Leben in die
    eigene Hand zu nehmen und sich selbst helfen zu können.
    Darum geht es bei der Reform des Sozialstaates.

    Gerade weil wir eine Gesellschaft wollen, die denen
    zur Seite steht, die in existenzielle Nöte geraten sind, müs-
    sen wir das Anspruchsdenken des Versorgungsstaates
    überwinden. Deswegen brauchen wir langfristig ange-
    legte Reformen der sozialen Systeme und keine, die nur
    bis morgen oder übermorgen reichen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Gerade in schwierigen Situationen wissen wir, dass wir
    eine Gesellschaft von sehr verantwortungsbewussten
    Bürgerinnen und Bürgern sind. Darauf muss die Politik
    bauen.

    Um die Freiheit der Entscheidung und um Eigen-
    verantwortung geht es auch in der Wirtschaft. Trotz der
    Probleme in der Konjunktur kann man auch positive Bei-
    spiele nennen: Nordex, Windkrafthersteller, zum Beispiel
    verkündet in diesen Tagen einen Gewinnanstieg um
    26 Prozent. Dies ist ein Unternehmen von vielen, das in
    die Zukunft investiert und Zukunft hat.

    Wenn die Grünen auch oft belächelt worden sind,
    bleibt dennoch richtig: Öko schafft Arbeitsplätze und

    schreibt schwarze Zahlen in dieser Republik. Das sollten
    Sie sich einmal anschauen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wichtig ist, dass wir bei den wirtschaftlichen Rahmen-
    bedingungen nicht reglementieren, sondern reformieren.
    Dafür ist die Arbeitsmarktreform ein wirklich gutes Bei-
    spiel. Das betrifft solche Dinge wie den Ladenschluss, der
    – jenseits des Sonntags natürlich – gelockert werden muss.

    Das betrifft die Entbürokratisierung derWirtschaft.
    Der Bundeskanzler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
    sie mit großen Schritten vorangehen muss. Der Arbeits-
    markt muss durchlässiger werden. Mit den Möglichkeiten
    der Wahl zwischen Minijobs und Zeitarbeit, Selbststän-
    digkeit und Weiterbildung, die wir schaffen, machen wir
    endlich die Mauer zwischen dem überregulierten Markt
    der Arbeitsplatzbesitzer, den riskanten Selbstständigen
    und den Arbeitslosen durchlässig. Dafür wurde es höchs-
    te Zeit.

    Die Lohnnebenkosten müssen ohne Wenn und Aber
    herunter, damit in Deutschland wieder in Arbeit investiert
    wird.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Entscheidungsfreiheit ist aber auch ein Thema in der
    Familienpolitik. Das war allen hier im Hause vor den
    Wahlen relativ wichtig; ich erinnere mich gut. Was wir
    machen, ist, Betreuungsmöglichkeiten für kleine Kinder
    und Ganztagsschulen auf den Weg zu bringen und damit
    gerade für Frauen Entscheidungsfreiheit herzustellen,
    wirklich zwischen Beruf und Familienarbeit wählen zu
    können.

    Eines aber muss auch klar sein: Eltern müssen in die-
    sem Land selbst entscheiden können, wie sie ihre Kinder
    betreuen lassen. Hier ist jetzt die Innovationsfreude der
    Länder sehr gefragt. Ob das zum Beispiel in Form von
    Gutscheinen oder anderem geschieht, ob man sich für eine
    Tagesmutter, für die Kinderkrippe, für einen Waldkinder-
    garten oder die Betreuung zu Hause entscheidet, das muss
    dem Staat in Deutschland egal sein.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Jetzt plötzlich!)


    Das gilt auch für die Schulen. Eine Verbesserung der
    Qualität erreicht man nun einmal nicht zentralistisch und
    von oben herab, sondern indem jede Schule Entschei-
    dungsfreiheit hat und in den Wettbewerb mit anderen tritt.
    Wie wichtig es ist, dass wir in Deutschland ein Bildungs-
    system haben, das innovativ ist, und wie sehr das eine
    Frage der sozialen Verantwortung ist, das wissen wir. Ge-
    rade deswegen muss es vielfältige Angebote und die Ei-
    geninitiative von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern und
    natürlich von den Schülern selbst geben.

    Die Reformbereitschaft ist so groß wie der Reform-
    bedarf in unserem Land. Wir brauchen den Mut dazu. Rot-
    Grün hat ihn.

    Das gilt auch für die Außenpolitik. Im Gegensatz zu
    Ihnen von der Opposition haben wir da eine sehr klare


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    894


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 895

    Haltung. Was heißt denn, wir hätten mit Kriegsangst
    Wahlkampf gemacht? Immer noch hoffen wir – die Bun-
    desregierung hat wirklich alles dazu getan –, dass es kei-
    nen Angriff auf den Irak gibt. Wollen Sie denn wirklich je-
    mandem weismachen, dass es sich dabei nicht um eine
    reale Gefahr handelt? Wo leben Sie denn?


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    In Wahrheit sind Sie es doch, die in dieser Frage seit
    Monaten einen politischen Eiertanz vorführen: Mal sollen
    wir aus Solidarität zum Angriff bereit sein und dann will
    Stoiber die Überflugrechte nicht einräumen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Sie reden einen solchen Unfug! Darf hier jeder reden, was er mag, Herr Präsident?)


    Was wir wollen und tun, das ist klar: keine Beteiligung an
    einer Intervention im Irak; denn wir halten sie für falsch.
    Was Sie wollen und tun, ist offensichtlich nicht klar. Bei
    Ihnen geht es je nachdem, wie es gerade kommt und wie
    es einem einfällt.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Glos, dass wir unseren Verpflichtungen nach-
    kommen, das ist ja wohl selbstverständlich. Dabei handelt
    es sich um keine indirekte Beteiligung, sondern um Ver-
    tragstreue.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das muss sie jetzt ihrer eigenen Fraktion erklären!)


    Dass man Ihnen das hier erklären muss, das ist bizarr und
    peinlich; aber ich tue es trotzdem.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Nun zu Ihrer Haltung zum EU-Beitritt der Türkei;

    dazu ist heute Morgen schon einiges gesagt worden. Es
    geht Ihnen doch gar nicht um die Türkei oder die EU. In
    Wahrheit geht es um eine Neuauflage des ausländerfeind-
    lichen Wahlkampfes in Hessen.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Sie halten an dem Bild der undemokratischen und unre-
    formierbaren Türkei bzw. an dem des bäuerlich rückstän-
    digen Türken fest. Schon wieder bauen Sie ein
    Schreckensszenario auf, mit dem Sie dem Land und der
    europäischen Einigung schaden. Das ist bizarr und das
    werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was wollt ihr da machen?)


    Natürlich hat die Türkei noch einen langen Weg
    zurückzulegen, aber wir können doch nicht die positiven
    Prozesse, die gerade jetzt angestoßen worden sind, im An-
    satz zerstören, indem wir einen Rückzieher in der Frage
    des EU-Beitritts machen. Ich kann nur davor warnen,
    schon wieder in Ihrer üblichen Spaltermanier Wahlkampf
    auf Kosten von Minderheiten zu betreiben. Die Menschen
    wollen die Hetze gegen Ausländer und Minderheiten in
    diesem Land nicht. Sie erinnern sich noch gut an die

    Schmutzkampagne zur letzten Landtagswahl in Hessen
    und so etwas wollen sie nicht wieder erleben.

    Hören Sie endlich auf, immer dann, wenn es Probleme
    in der Wirtschaft und im Land gibt, diese auf die Schwa-
    chen oder die Minderheiten, im Zweifelsfall sogar auf die
    Ökologie zu schieben.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


    Das ist billig und das wissen Sie auch. Die wirtschaftliche
    Lage im Land und das gesellschaftliche Klima hängen
    eng zusammen.

    Die Stammtischparolen Ihres Herrn Koch sind beides:
    gefährlich für die Schwachen und gefährlich für die Wirt-
    schaft, die alles andere braucht als ein Klima von Angst
    und Repression.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    An dieser Stelle lassen Sie mich eines sagen, was
    mich in den letzten Monaten sehr umgetrieben hat. Paul
    Spiegel ist als Vorsitzender des Zentralrates der Juden
    wieder gewählt worden. Ich gratuliere ihm von dieser
    Stelle aus sehr herzlich.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Kurz vor seiner Wahl hat er wiederholt, dass sich die Ju-
    den allein gelassen fühlen in ihrem Kampf gegen den Anti-
    semitismus in Deutschland. Meine Damen und Herren,
    wenn das trotz aller Beteuerungen und Versuche so ist, dann
    müssen wir uns tiefe Gedanken um die Situation in unserem
    Land machen. Dann müssen wir energisch und sehr, sehr
    klar sein! Darauf kommt es an – in der Politik, aber vor al-
    lem bei den Kindern und Jugendlichen in den Schulen.

    Immer mehr Jüdinnen und Juden entscheiden sich, in
    Deutschland zu leben. Ich bin unendlich froh darüber und
    deswegen ist es nur folgerichtig, dieser Entwicklung mit
    einem Staatsvertrag Rechnung zu tragen, wie das der
    Bundeskanzler getan hat. Wir alle müssen aber dafür sor-
    gen, dass diejenigen, die sich für ein Leben in Deutsch-
    land entschieden haben, diese Entscheidung niemals be-
    reuen. Das ist eine Aufgabe für uns alle.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Deswegen meine dringende Bitte: Es darf keinen
    Wahlkampf geben auf Kosten von Minderheiten in die-
    sem Land.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Frau Merkel weiß das im Grunde auch längst. Sie hat die
    Müller-Kommission zur Zuwanderung unterstützt und ist
    dann leider eingeknickt.


    (Joachim Poß [SPD]: Die knickt immer ein, die Frau Merkel, immer vor dem Herrn Koch! Sie sollte Knickerbockerhosen tragen!)


    Sie hat eine innerparteiliche Programmdebatte angestoßen
    und sofort wieder einkassiert. Die Programmdebatte liegt

    Katrin Dagmar Göring-Eckardt

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Katrin Dagmar Göring-Eckardt
    wahrscheinlich in der Kammer des Schreckens der Union,
    gut bewacht vom starken Roland.

    Nun wird viel über die Stimmung in der Koalition ge-
    redet und geschrieben. Ich sage Ihnen: Die Stimmung ist
    gut.


    (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das sage ich Ihnen allen Ernstes.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das haben wir auch nicht anders erwartet! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die ist so gut, dass die Sozis nicht einmal zu ihrer Rede kommen!)


    Wir haben große Probleme in diesem Land zu schul-
    tern und wir diskutieren über den richtigen Weg. Die Dis-
    kussion über den richtigen Weg ist genau das, was Ihnen
    fehlt. Das schweißt diese Koalition zusammen und darauf
    kommt es in diesem Land an.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Noch nie gab es in einer wirtschaftlich angespannten
    Situation derart klares Handeln im Sinne der Schwachen,
    der Familien und der künftigen Generationen. Sie, Frau
    Merkel, wissen noch nicht einmal, wohin die Reise gehen
    soll, geschweige denn wie man am besten ankommt.

    Stattdessen haben Sie zwei echte Revolutionäre an Ih-
    rer Seite, den bekannten Frankfurter Straßenkämpfer
    Frank Schirrmacher und den Altrevoluzzer Arnulf Baring.
    Jetzt höre ich, da will sich auch Edmund Stoiber einrei-
    hen. Ich stelle mir das lustig vor, wenn der Edmund vor
    der Bayerischen Staatskanzlei im schwarzen Block neuen
    Typs mitmarschiert. Vielleicht kriegt er dann doch noch
    ein Lied oder wenigstens einen coolen Spruch nach dem
    Motto: Stoiber läßt’s Regieren sein, kommt herunter, reiht
    sich ein.


    (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wolfgang Gerhardt hilft auch mit. Die Lahmlegung ei-
    nes Finanzamtes ist der schönste zivile Protest, sagte er.


    (Joachim Poß [SPD]: Der Revolutionär Gerhardt!)


    Meine Güte, jetzt verstehe ich das endlich. Dass Sie Ihre
    Parteikasse an den Regeln des Steuerrechts vorbei gefüllt
    haben, ist in Wirklichkeit ein Akt zivilen Ungehorsams in
    der Republik.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Joseph Fischer, Bundesminister: So ist es nun einmal!)


    Ganze Finanzämter und Staatsanwaltschaften werden so
    lahm gelegt und von der Arbeit abgehalten. Ich stelle mir
    das jetzt einmal praktisch vor, Herr Gerhardt. Da lassen Sie
    sich im zugegebenermaßen steuerfinanzierten Dienstwa-
    gen vorfahren und ketten sich am Finanzamt in der Hei-
    matstadt an. Diese Vorstellung ist einfach wunderbar.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Aber wahrscheinlich ist es richtig: Die FDP muss sich ir-
    gendwie auf die außerparlamentarische Opposition vor-
    bereiten. Da braucht man so etwas. Da macht man so et-
    was. Tun Sie es bitte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Die Grünen sind immer mit Dienstwagen zur Demo gefahren!)


    Im Land allerdings geht es um andere Dinge. Im Kern
    geht es um Generationengerechtigkeit und Nachhaltig-
    keit. Im Kern geht es um gerechte Teilhabe an Arbeit und
    Bildung. Im Kern geht es um gerechte Globalisierung. Es
    geht um Chancen. Es geht um Freiheit und es geht um Ver-
    antwortung. Dafür wird diese Regierung arbeiten, vier
    Jahre lang erfolgreich und mit dem notwendigen Mut für
    Reformen.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Donnerwetter!)

    Sie, Frau Merkel, sollten endlich aus der Schmuddel-

    ecke kochscher Politik kommen. Beenden Sie den pri-
    vaten Nachwahlkampf und kehren Sie zur Sachpolitik
    zurück. Angesichts der Lage im Land ist das bitter nötig.
    Wir handeln. Die Politik von Rot-Grün ist Politik mit Ver-
    antwortung. Sie haben die Chance, mitzumachen oder zu
    bleiben, wo Sie sind.

    Vielen Dank.

    (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der SPD)




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Angela Merkel von

der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tagelang

    war Berlin angesichts der für heute erwarteten Rede in
    eine größere Aufregung versetzt.


    (Franz Müntefering [SPD]: Niemand hat auf Ihre Rede gewartet! Was glauben Sie denn!)


    Herr Bundeskanzler, ich sage Ihnen ganz offen: Ich habe
    für die Menschen im Lande gehofft, dass die für heute an-
    gekündigte große Rede auch wirklich eine große Rede
    werden würde,


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    eine Rede, bei der die Menschen bei allem Streit, den wir ha-
    ben müssen, eine Linie und ein wenig Licht am Ende des
    Tunnels hätten erkennen können. Was Sie uns dann aber ge-
    boten haben – besonders beeindruckend in den Passagen,
    bei denen Sie geradezu gebrüllt haben –, war im Grunde der
    Eindruck, dass da ein Mann mit dem Rücken an der Wand
    steht und nichts weiter kann, als die Opposition zu verdäch-
    tigen, zu verleumden und in ein schlechtes Licht zu rücken.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Deutschland hat in diesen Tagen eine Sehnsucht nach

    Führung, nach Verlässlichkeit und vor allem – das wäre


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    896


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 897

    erst einmal ein Beginn – nach Wahrnehmung der realen
    Situation, wie sie in unserem Lande besteht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Wer führt denn bei Ihnen? Herr Koch oder Sie?)


    Bei Ihnen haben die heute verkündeten Arbeitslosen-
    zahlen überhaupt keine Rolle gespielt. Ich weiß nicht, ob
    die 4 Millionen Menschen Sie interessieren. Ich weiß
    nicht, was in Ihnen vorgeht – das muss ich Sie ganz ehr-
    lich fragen –, wenn es heute über 200 000 mehr sind als vor
    einem Jahr. Ich weiß nicht, ob Sie sich innerlich damit aus-
    einander setzen, dass der Anstieg gegenüber Oktober drei-
    mal so hoch war wie sonst im Durchschnitt der letzten
    zehn oder 20 Jahre. Das interessiert aber die Menschen.

    Damit hier nun nicht wieder gesagt wird, wir würden
    das Land schlechtreden,


    (Zurufe von der SPD: Genau!)

    darf ich einmal zitieren. Sie haben ja langsam einen Tun-
    nelblick in Bezug auf das, was die Realität in diesem
    Lande ausmacht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie haben einen KochBlick!)


    Herr Schrempp, immerhin einer Ihrer geschätzten Ge-
    sprächspartner – ich habe nichts dagegen, der Mann hat
    für viele Arbeitsplätze in diesem Land gesorgt –, ist ange-
    sichts der Lage sprachlos. Herr Scholl von Merck, einem
    Unternehmen im MDax, kann sich nicht erinnern – und
    das sind nicht meine Worte –, dass es je „eine solche Per-
    version von Wahlversprechen“ gegeben habe. Herr Haupt
    von Tengelmann sagt, Deutschland sei führungslos.


    (Anhaltende Zurufe von der SPD)

    – Hören Sie genau zu; Sie müssen sich schon mit der Rea-
    lität in diesem Land auseinander setzen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Der Vorstandsvorsitzende von Merck sagt: Wir sind be-
    straft, dass wir so lange am Standort Deutschland festge-
    halten haben. – Der Chef von Infineon sagt: Wir werden uns
    schwer tun, in Deutschland noch zu investieren. – Tausende
    und Abertausende andere sagen gar nichts mehr, sie han-
    deln einfach und lassen ihr Kapital außer Landes wandern.
    Das ist die Wahrheit über Deutschland in diesen Tagen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, hinter dem steht, was in den letz-

    ten Jahren passiert ist:

    (Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommen Ihre Vorschläge! – Weitere Zurufe von der SPD: Vorschläge!)


    Die Menschen haben Sie inzwischen durchschaut. Sie
    glauben Ihnen nicht mehr, weil sie wissen, dass alles, was
    Sie einmal sagen, kaum berechenbare Halbwertzeiten hat,
    dass dies manchmal nicht einmal die Dauer einer Unter-
    richtung überlebt – ich erinnere nur an die Sache mit dem
    Fuchs: Spürpanzer oder Transportpanzer? –, dass sich die
    Autoren Ihrer Vorschläge schneller von allem verabschie-
    det haben, als Sie gucken können, weil sie sehen, dass Sie

    das alles nicht richtig umsetzen. Ihre eigene Glaubwürdig-
    keit ist verloren gegangen. Das ist für die Führung eines
    Landes einer der größten Verluste, die passieren können.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun gibt es in dieser ganzen Sache eine neue Platte, die

    da heißt: „Zerstörung meiner sozialen Integrität“. Diese
    Platte spielen Sie dann gleich als Ehepaar; ich möchte
    mich dazu nicht weiter äußern.


    (Zurufe von der SPD: Oh!)

    Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, können Sie sich ei-
    gentlich noch erinnern, was Sie den Menschen in diesem
    Lande schon alles zugemutet haben? Von 1998 bis 2000
    waren Sie stolz, „Genosse der Bosse“ genannt zu werden.
    Danach hatten wir einen Sommer der „ruhigen Hand“. Im
    Wahlkampf dann haben Sie begonnen, die Wirtschaft in
    diesem Lande zu beschimpfen, und sie als „fünfte Ko-
    lonne der Opposition“ bezeichnet. Diejenigen, welche die
    Arbeitsplätze in diesem Lande schaffen, sind in den Au-
    gen des Herrn Bundeskanzlers die „fünfte Kolonne der
    Opposition“; Sie haben in diesem Zusammenhang auch
    noch von „Kettenhunden“ und „Helfershelfern“ gespro-
    chen. Und, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, als Sie ge-
    rade etwas Oberwasser im Wahlkampf hatten,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Hochwasser hatte er!)


    waren Sie es, der – ich hätte mir eine solche Aussage
    zweimal überlegt – dem Wettbewerber im Wahlkampf die
    Führungsfähigkeit für dieses Land abgesprochen hat.


    (Joachim Poß [SPD]: Er hat nur das gesagt, was Ihre Meinung ist!)


    Sie haben damit eine Schärfe in die Debatte gebracht, die
    es bisher im Wahlkampf nicht gegeben hat. Deshalb: Be-
    klagen Sie sich bitte nicht über die Zerstörung Ihrer so-
    zialen Integrität. Sie haben die Stimmung angeheizt.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Schon nach der Wahlniederlage in Sachsen-Anhalt
    sind Sie zu unser aller großem Erstaunen aus einer Präsi-
    diumssitzung der SPD gekommen mit den Worten: „Er
    oder ich!“ – Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht: Sie
    oder wir, Stillstand oder Fortschritt,


    (Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Koch oder Sie?)


    Staat oder Freiheit, Belastung oder Entlastung, Täu-
    schung oder Verlässlichkeit, das sind die Alternativen in
    diesem Lande.


    (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP– Joachim Poß [SPD]: Merkel oder Koch? – Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist die größte Lachnummer, die ich je gehört habe!)


    Um diese Alternativen geht es.

    (Waltraud Lehn [SPD]: Sagen Sie mal was zum Fortschritt! – Weitere Zurufe von der SPD – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ruhe! – Lachen des Bundeskanzlers Gerhard Schröder)


    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel
    –Wissen Sie, was die Leute besonders gut leiden können?
    Das ist Ihr dauerndes Grinsen und Lachen auf der Regie-
    rungsbank.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Kommen Sie doch mal zur Sache! – Weitere Zurufe von der SPD)


    Natürlich leben wir in einer Zeit, in der sich alles ver-
    ändert. Ich glaube, in einem sind wir uns einig: Diese Ver-
    änderung beschreiben wir gemeinsam mit Globalisierung.
    Nur bezüglich der Frage, was wir denn angesichts dieser
    Globalisierung machen, gibt es einen grundsätzlichen
    Unterschied.


    (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Untersuchungsausschüsse! – Joachim Poß [SPD]: Was machen Sie denn?)


    Für Sie ist das so etwas wie höhere Gewalt. Für Sie ist
    das die Grundlage für Ausreden nach dem Motto, dass es
    nicht anders sein kann. Für uns ist es eine Chance, eine
    Hoffnung auf die richtigen Veränderungen mit den richti-
    gen Wirkungen für die Menschen im Lande.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie spüren, dass die Menschen Ihnen das mit der höhe-

    ren Gewalt und der Globalisierung nicht abnehmen, weil
    sie sehen, dass sich die Dinge in anderen Ländern besser
    entwickeln. Herr Bundeskanzler, wann hat es das eigent-
    lich gegeben, dass man in einem Nachbarland von
    Deutschland eine Wahl deutlich gewinnt, weil man sagt:
    So wie in Deutschland soll es bei uns nicht werden? Das
    ist doch nun wirklich Ausdruck der Tatsache, dass andere
    Länder wissen, sie können es anders machen als Deutsch-
    land. Dies ist der Unterschied zwischen uns und den an-
    deren: Dort weiß man um die Gestaltungsmöglichkeiten
    und handelt. Sie gestalten Politik eben nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Bundeskanzler, nun haben Sie in den letzten Tagen

    viele Interviews gegeben und sich mit dem Gemeinwohl
    befasst. Sie haben einen Gegensatz zwischen den Partiku-
    larinteressen, den Einzelinteressen und dem Gemeinwohl
    beschrieben. Sie haben gesagt: Ich muss mir den Freiraum
    dafür erkämpfen, dass ich das Gemeinwohl gegen die Ein-
    zelinteressen durchsetzen kann.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Jawohl! – Hubertus Heil [SPD]: Genau!)


    Ich möchte Sie als Erstes bitten, dass Sie von dieser
    Pauschaldiffamierung aller Verbände in diesem Land ein
    Stück Abstand nehmen. Es gibt viel ehrenamtliches En-
    gagement, ohne das wir in diesem Land nicht auskommen
    würden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Welches sind die Alternativen?)


    Ich frage Sie: Was tritt denn eigentlich an die Stelle der
    von Ihnen so verfemten Verbände? Wer soll denn, bitte
    schön, das Gemeinwohl definieren?


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Deutsche Gewerkschaftsbund!)


    Ich gewinne hier den Eindruck, dass an die Stelle aller
    Verbände nur noch einer tritt, der die Definitionshoheit,
    also sozusagen den Alleinvertretungsanspruch hinsicht-
    lich des Gemeinwohls hat, und das ist der Bundeskanzler
    der Bundesrepublik Deutschland. Das hielte ich nun wirk-
    lich für fatal. Hierbei machen wir mit Sicherheit nicht mit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Herr Müntefering leitet ein: Weniger für den privaten

    Konsum ausgeben und dem Staat das Geld geben, damit
    die Kasse stimmt! – Herr Gabriel in Niedersachsen tönt
    dazu: Die Menschen verballern immer noch Millionen zu
    Silvester. Auch dies könnte dem Staat zufließen. – Ich
    werde jetzt meine überschüssigen Wunderkerzen abge-
    ben, die ich noch zu Hause in der Schublade habe. Viel-
    leicht hilft es ja.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Ministerpräsident Beck möchte natürlich auch dabei sein.
    Zitat: „Beinahe würde ich mit Asterix sagen: Die spinnen –
    nicht die Römer, sondern in dem Fall die Deutschen.“

    Wir sind ganz kurz davor, dass wir mit Bertolt Brecht
    fragen müssen:

    Wäre es nicht einfacher, die Regierung löste das Volk
    auf und wählte ein anderes?

    Das sind Ihre Maxime und wohl Ihre Hoffnung, Herr Bun-
    deskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Nun weiß auch ich, dass wir uns natürlich um das Ge-

    meinwohl kümmern müssen.

    (Lothar Mark [SPD]: Das ist aber neu!)


    Die Definition des Gemeinwohls steht im Übrigen – das
    sage ich auch – keiner Person zu,


    (Hubertus Heil [SPD]: Plattitüde!)

    sondern das Gemeinwohl entsteht in einer Demokratie,
    wenn Parteien in einem fairen Wettstreit um die beste po-
    litische Lösung ringen.


    (Beifall bei der SPD)

    Genau an diesem fairen Wettstreit werden wir uns betei-
    ligen.


    (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt hören wir zu! – Waltraud Lehn [SPD]: Das wäre einmal was!)


    Deshalb müssen wir einmal überlegen: Was sind ei-
    gentlich unsere Maßstäbe dafür, wie wir vorgehen wol-
    len? Herr Bundeskanzler, ich habe mir viel Mühe gege-
    ben, vor dieser Rede einmal zu überlegen: Was könnte
    denn ein Maßstab oder eine verlässliche Grundlage sein,
    auf der wir hier miteinander darum ringen können: Tun
    wir das Richtige? Tun wir das Falsche? Wie sind unsere
    Ideen zu bewerten?

    Ich habe gedacht, ein Fundament könnte doch sein:
    Wenn sich eine Bundesregierung einen Sachverstän-
    digenrat beruft – das tut sie selbst und gibt eine Menge
    Geld dafür aus –,


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: 20 Punkte!)



    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    898


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 899

    dann könnten wir uns in diesem Haus doch einfach ein-
    mal über die Ratschläge der Sachverständigen unterhalten


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Ja!)

    und fragen: Wie steht welche Partei zu dem Ratschlag der
    Sachverständigen?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Guter Vorschlag! Machen wir mit!)


    Nun bin ich gestern Abend natürlich wieder in leichte
    Depression verfallen;


    (Zurufe von der SPD: Oh!)

    denn der Herr Stiegler, der heute gar nicht mehr richtig auf
    Deck darf,


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Die haben den versteckt!)


    hat uns gesagt, dass alles das, was von Leuten mit Profes-
    sorentitel kommt, irgendwie Geschwätz ist. Sie haben
    sich diese Meinung nicht zu Eigen gemacht, Sie haben das
    aber auch nicht zurückgenommen. Ich vertraue weiterhin
    darauf, dass die von Ihnen berufenen Sachverständigen-
    räte hinreichend Neutralität haben – drei der Professoren
    sind übrigens in der SPD –, sodass wir uns darüber unter-
    halten können.

    Der Sachverständigenrat setzt sich gleich im ersten
    Punkt damit auseinander, wie es weitergehen muss, und
    mit der Frage, warum wir eine Wachstumskrise haben. Ich
    unterstelle jetzt einmal den Fall: Wir können uns noch da-
    rauf verständigen – da bin ich mir bei den Grünen leider
    nicht so sicher –, dass Wachstum ein Schlüssel für eine
    gute Entwicklung dieser Gesellschaft ist. Dazu sagt der
    Sachverständigenrat, dass nur ein konsequenter Steuer-
    senkungskurs die Not in diesem Land wenden kann.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Punkt eins! Sehr richtig!)


    Dieser Steuersenkungskurs müsse sicherlich mit einer
    Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, aber gleichzei-
    tig auch


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Steuersenkung!)


    mit einer Senkung der Steuersätze verbunden sein. Sie
    verbreitern die Bemessungsgrundlage, aber Sie erhöhen
    die Steuern, statt sie zu senken – glatte Fehlentscheidung
    gegenüber der Empfehlung des Sachverständigenrats!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    All die Steuererhöhungen, die Sie vorhaben, er-

    schließen sich ohnehin kaum noch – für Hundefutter
    bleibt die Mehrwertsteuer bei 7 Prozent; kriegt die Kuh
    Futter, gilt ein höherer Mehrwertsteuersatz –; ich weiß
    nicht, ob Sie das alles besser verstehen. Ich bin Physike-
    rin; mir ist das zu hoch. Es scheint aber auch in den Rei-
    hen der SPD schwer verständlich zu sein; denn unsere
    schleswig-holsteinischen CDU-Kollegen haben einen fle-
    henden Brief der Landwirtschaftsministerin aus Schles-
    wig-Holstein bekommen, nach dem sie sich doch dafür
    einsetzen möchten, dass die Erhöhung der Besteuerung

    von Baumschulen in Schleswig-Holstein verhindert wird.
    Die Opposition sozusagen als tatkräftiger Helfer gegen-
    über dem Unsinn der Regierung – diese Rolle nehmen wir
    gern an, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Nun kommen wir mal zu der im Augenblick ja in aller
    Munde befindlichen Vermögensteuer.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?)


    Unbeschadet dessen, dass eine Kompensation dafür, dass
    die Vermögensteuer nicht mehr erhoben wird, bereits er-
    folgt ist, gibt es jetzt den Vorschlag, die Vermögensteuer
    wieder einzuführen.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt einen Vorschlag?)


    Ganz vornweg sind dabei Herr Gabriel und Herr Bökel,
    die ja unter besonderem Druck stehen.

    Jetzt sage ich Ihnen ganz einfach: Das können wir tun.
    Wir werden das so machen, dass wir Gesetzentwürfe mit
    dem Ziel der Außerkraftsetzung des Torsos der bundes-
    weiten Grundlage zur Erhebung der Vermögensteuer ein-
    bringen – das werden wir im Bundesrat tun, damit sich
    Herr Gabriel auch gleich dazu äußern kann –, und darin
    werden wir ausdrücklich regeln, dass der Bund auf seine
    Kompetenz, diese Steuer zu erheben, verzichtet. Dann
    können die Länder zuschlagen, wo immer sie wollen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Dann können wir die Finanzämter lahm legen!)


    Herr Bundeskanzler, als Herr Gabriel, der Ministerprä-
    sident in Niedersachsen, davon gehört hat, hat er gleich
    gesagt, so gehe das nicht;


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Alles korrekt! – Zuruf von der FDP: Natürlich geht das!)


    denn wenn das gemacht werde und Niedersachsen die
    Steuer erhöbe, führte das dazu, dass sich das Kapital aus
    Niedersachsen in andere Bundesländer verflüchtige, was
    er nicht wolle.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Hat er das erkannt? Ist er dem auf die Schliche gekommen?)


    Herr Bundeskanzler, was für das Verhältnis von Nie-
    dersachsen zu Nordrhein-Westfalen oder Bayern gilt, das
    gilt auch für das Verhältnis von Deutschland zu Österreich
    und Holland. Bei der Globalisierung geht so etwas eben
    nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es ist abenteuerlicher Unsinn, eine Steuer zur Finan-

    zierung der Bildung erheben zu wollen. Ich sage Ihnen:
    Die niedersächsischen Schüler hätten mehr davon, wenn
    Sie die Tausenden von Beamten, die Sie zur Erhebung der
    Vermögensteuer brauchen, als Lehrer in Niedersachsen
    anstellen würden. Dann hätten sie in den nächsten zwei
    Jahren wenigstens vollen Unterricht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel

    Das eigentlich Gravierende, das an all Ihren Maßnah-
    men deutlich wird, ist, dass Sie nicht an Wachstum glau-
    ben. Sie glauben nicht daran, dass man auch auf anderem
    Weg mehr Geld in die Kasse bekommen kann als dadurch,
    unentwegt an der Steuerschraube zu drehen. Und das tun
    Sie auch noch in einer Art und Weise, die all diejenigen
    bestraft, die versuchen, für die Risiken ihres Lebens Vor-
    sorge zu tragen. Es kommt derjenige gut durch, der auf
    den Bahamas alles verjubelt hat oder der sein Geld jeden
    Abend in der Kneipe verprasst.


    (Waltraud Lehn [SPD]: Oh nein! Himmel! Das ist ja entsetzlich!)


    Schlecht weg kommen hingegen diejenigen, die Anteile
    kaufen, die in Fonds anlegen, die Aktien kaufen oder Le-
    bensversicherungen abschließen. Sie alle werden ge-
    schröpft. Das ist der falsche Weg, wenn Sie, wie Frau
    Göring-Eckardt beteuert, mehr Eigenverantwortung wol-
    len.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie spielen jetzt Herrn Glos! Das ist das Niveau von Glos!)


    Ich hätte erwartet, von Ihnen heute wenigstens eine
    mittelfristige Vision dazu zu hören, wie man aus diesem
    Steuerkuddelmuddel wieder herauskommt.
    Es gibt in unserer Gesellschaft vielerlei Versuche, zum
    Beispiel von Herrn Professor Kirchhof, mit einer durch-
    schlagenden Steuerreform die Akzeptanz der Bürger für
    das, was in Deutschland passiert, zu erhöhen. Wir haben
    uns davon nicht verabschiedet. Wir werden dranbleiben
    und werden eine Steuerreform ausarbeiten, die einfach,
    transparent und für die Bürger verständlich ist. Wenn Sie
    nicht mitmachen, dann legen wir alleine einen Vorschlag
    dazu vor.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ein weiterer großer Komplex über den Sie heute ge-
    sprochen haben und der auch im Sachverständigengut-
    achten behandelt wird, ist der Arbeitsmarkt.


    (Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommen die Alternativen!)


    Deutschland hat nicht nur weniger Wachstum als die
    meisten Länder um uns herum, unser Land braucht auch
    ein besonders hohes Wachstum, bevor hier neue Arbeits-
    plätze entstehen. Es wäre ein ganz ehrenwertes Ziel, wir
    würden es schaffen, dass wie in anderen Ländern auch be-
    reits bei einem Wachstum von 1,5 Prozent neue Arbeits-
    plätze entstehen und nicht erst bei einem Wachstum von
    2,5 Prozent.


    (Franz Müntefering [SPD]: Das machen wir mit Hartz! – Lothar Mark [SPD]: Das glaubt sie selbst nicht mehr!)


    Wie ist das zu schaffen? Sie versuchen das mit dem
    Hartz-Konzept.


    (Franz Müntefering [SPD]: Ja, sicher!)

    Wenn Sie den Vorschlag von Hartz wenigstens eins zu
    eins umsetzen würden! Aber Sie müssen ja sogar aufpas-

    sen, dass Ihnen Herr Hartz nicht das Gebrauchsrecht für
    den Namen entzieht, weil er selber so unzufrieden ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich sage Ihnen:


    (Walter Schöler [SPD]: Jetzt kommt’s!)

    Wir müssen die Selbstständigkeit fördern.


    (Hubertus Heil [SPD]: Oh, Frau Glos, tolle Idee! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Dummkopf!)


    Dazu reicht es aber nicht aus, durch die Zusammenlegung
    von zwei schon bestehenden Banken eine neue Bank zu
    gründen. Dazu müssen vor allen Dingen die Sparkassen
    beitragen, von denen ich, wie Sie, der Meinung bin, dass
    sie ihre Arbeit machen müssen. Man braucht auch nicht
    die Ausrede Basel II heranzuziehen. Aber da die konjunk-
    turelle Lage in unserem Land im Moment so ist, dass es
    40 000 Insolvenzen gibt, ist offentsichtlich auch die Be-
    rechenbarkeit für die Vergabe von Krediten für die deut-
    schen Bankinstitute schlechter geworden. Sorgen Sie des-
    halb dafür, dass es nicht so viele Insolvenzen gibt; dann
    können die Banken auch wieder bessere Kredite verge-
    ben. Das ist die Wahrheit, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Sie werden mit der verquasten Ich-AG keine neuen
    Arbeitsplätze und keine Deregulierung auf dem Arbeits-
    markt schaffen. Das deutsche Handwerk ist froh, dass
    seine Berufe endlich aus der Definition herausgenommen
    wurden, und der Bundesfinanzminister ist bis heute noch
    nicht in der Lage, einen Steuersatz dafür festzulegen. Was
    soll das also für eine Institution sein? Deshalb fordern wir
    – auch Friedrich Merz hat das gestern gesagt –: Wir brau-
    chen eine richtige Förderung aller Selbstständigen durch
    weniger Bürokratie und durch die Abschaffung des
    Scheinselbstständigkeitsgesetzes.


    (Lothar Mark [SPD]: Wollen Sie nun, dass wir das Hartz-Konzept umsetzen oder nicht?)


    Das wäre heute ein offenes Wort von Ihnen wert gewesen.
    Unsere Zustimmung wäre Ihnen sicher.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Darauf reduziert sich das: nichts Konkretes! Nichts, nichts, nichts!)


    – Hören Sie zu, Herr Poß, bevor Sie wieder schreien:
    Nichts, nichts, nichts!

    Ich komme auf die Entlastung im Dienstleistungsbe-
    reich in Zeiten der Globalisierung zu sprechen. Sie schla-
    gen uns Folgendes vor: Wenn Sie die Tür von innen wi-
    schen, gibt es 500 Euro. Das ist die eine Sorte der
    Beschäftigung.


    (Lothar Mark [SPD]: Das haben wir schon gehört!)


    Eine andere Sorte von Beschäftigung ist: Wenn Sie die Tür
    von außen streichen, wird nach dem alten 630-DM-Gesetz
    bezahlt. Eine dritte Sorte von Beschäftigung ist: Wenn Sie
    das Schloss an der Tür durch jemanden von der Personal-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    900


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 901

    Service-Agentur reparieren lassen, wird nach Verdi-Tarif
    und möglichst noch nach BATbezahlt. – Das ist die Wahr-
    heit Ihrer Entbürokratisierung. Dazu haben wir wirklich
    bessere Vorschläge.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wagen Sie doch den mutigen Sprung im Bundesrat!

    Die Türen sind doch gar nicht verschlossen; ich weiß gar
    nicht, wovon Sie da die ganze Zeit geredet haben. Im Bun-
    desrat ist alles an den Vermittlungsausschuss überwiesen
    worden.


    (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das haben die nicht mitbekommen!)


    Nichts ist blockiert oder abgelehnt worden. Morgen findet
    die Sitzung statt. Dann überlegen wir einmal, was gut für
    Deutschland ist.

    Herr Bundeskanzler, Sie legen sich ja derzeit mit jedem
    in Deutschland an, aber in der „Zeit“ haben Sie als Erstes
    erklärt, dass dies mit den Gewerkschaften nicht nötig ist.
    Nun haben Sie uns heute umfänglich das Konzept bei der
    Leih- und Zeitarbeit erläutert: ein Riesenpaket von Ta-
    rifverhandlungen mit allen möglichen Abstufungen nach
    oben und unten. Können Sie mir einmal erklären, warum
    es in Deutschland nicht möglich ist, für eine begrenzte
    Zeit, maximal zwölf Monate, einfach den Betrieben, den
    Entleihern und den Leihern zuzutrauen, sich ohne ein rie-
    siges Paket von abgestuften Tarifverträgen und Regelun-
    gen einigen zu können? Das muss doch in diesem Land
    möglich sein.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    All diese umständlichen Regelungen, die uns jetzt

    beim Kampf zwischen den Branchengewerkschaften wie-
    der ereilen werden, ob hier Verdi, die IG Chemie oder die
    IG Metall tätig werden darf, beschließen Sie doch nicht,
    weil Sie sie für richtig halten. Das wissen wir doch: Nicht
    einmal Herr Clement hält sie für richtig; bei den anderen
    weiß ich das nicht. – Das ist schlicht Ihr Dankeschön für
    die Unterstützung der Gewerkschaften, die von ihrer Par-
    teiunabhängigkeit abgewichen sind und die Sozialdemo-
    kraten in diesem Wahlkampf unterstützt haben. Das ist die
    reine Wahrheit. Es geht nicht um die Menschen, sondern
    um ein einfaches Dankeschön.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Jetzt kommt wieder unsere Alternative. Globalisierung

    bedeutet, dass die betriebliche Realität viel vielfältiger
    wird, als das in der Industriegesellschaft der Fall war.


    (Joachim Poß [SPD]: Ach, das ist Ihre Alternative? – Lothar Mark [SPD]: Tolle Alternative!)


    Weil das so ist, sagen wir: Wenn es um die Sicherung von
    Beschäftigung geht,


    (Johannes Kahrs [SPD]: Keine Inhalte!)

    dann sollten wir im Betriebsverfassungsgesetz den Be-
    triebsräten die Möglichkeit eröffnen, mit den Arbeitge-
    bern betriebliche Bündnisse für Arbeit zu schließen,


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    gegen die die Tarifpartner bei einem begründeten Wider-
    spruch Einspruch erheben können.

    Ich frage Sie: Warum trauen Sie das den Menschen
    nicht zu? Sie haben es im Übrigen dort, wo Sie als Helfer
    tätig waren, nämlich bei Holzmann, durchgedrückt. Aber
    wenn es der normale kleine Mittelständler haben will,


    (Joachim Poß [SPD]: Der keinen Betriebsrat hat!)


    dann sperren Sie sich, weil Sie eben nicht bereit sind,
    Flexibilisierung zuzulassen und Vertrauen in die Men-
    schen vor Ort zu setzen. Das ist die Wahrheit: Regulierung
    durch den Staat ist auf alles Ihre Antwort.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dies ist übrigens ein Vorschlag des Sachverständigen-

    rates, den Sie nicht umsetzen. Genauso fordert der Sach-
    verständigenrat: Wir müssen schnellstens dahin kommen,
    dass sich Arbeit lohnt. Wer arbeitet, muss mehr bekom-
    men, als wenn er nicht arbeitet. Dazu brauchen wir fle-
    xible Regelungen. Die hessische Landesregierung hat
    dazu eine entsprechende Initiative in Form des OFFEN-
    SIV-Gesetzes im Bundesrat eingebracht. Damit könnte
    experimentiert werden. Sie haben es aufgehalten, weil Sie
    im Bundestag dagegen gestimmt haben, sonst wäre
    Deutschland weiter.


    (Dr. Elke Leonhard [SPD]: Ach Gott!)

    Deshalb fordere ich Sie auf: Stimmen Sie diesem Gesetz
    zu! Dann kann es morgen in Kraft treten und wir gewin-
    nen endlich Spielräume in Deutschland.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Darüber hinaus hat sich der Sachverständigenrat rich-
    tigerweise mit den sozialen Sicherungssystemen ausei-
    nander gesetzt, insbesondere mit dem Gesundheitssys-
    tem.Die grundsätzlichen Empfehlungen, die auch ich nicht
    alle im Detail teile – das sage ich ganz ausdrücklich –, ge-
    hen in eine Richtung: mehr Wettbewerb.


    (Katrin Dagmar Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir machen das schon!)


    Was Sie in der Bundesregierung machen, hat mit Wettbe-
    werb im Allgemeinen wirklich nichts zu tun.

    Sie haben über die Apotheken gesprochen. Sagen Sie
    doch bitte einmal die Wahrheit darüber, was Sie bei den
    Apotheken vorhaben! Haben Sie mit dem Apothekerver-
    band gesprochen und sich das aktuelle Verfahren erklären
    lassen? Dass sie den Krankenkassen einen Rabatt ge-
    währen müssen, sind die Apotheker bereits gewöhnt. Da-
    rüber hinaus sind aber auch Rabatte für den Großhandel
    und den Arzneimittelhersteller vorgesehen.


    (Walter Schöler [SPD]: Umsatz gleich Gewinn!)


    Abgesehen davon, dass Sie gegenüber der pharmazeuti-
    schen Industrie wortbrüchig geworden sind,


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist doch nichts Neues!)


    bleibt es jetzt dem Apotheker überlassen, die unterschiedli-
    chen Rabatte vom Hersteller bis zum Großhändler wieder

    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel
    einzutreiben. Das heißt, Sie schaffen mehr Bürokratie,
    statt sie abzubauen. Deshalb sind wir dagegen, Herr Bun-
    deskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich weiß nicht, was das Gerede der Frau Bundesge-

    sundheitsministerin über die Vielzahl von Krankenkas-
    sen soll. Schließlich hat sich der Markt in diesem Bereich
    schon ein Stück weit entwickelt. Statt der einst 600 Kran-
    kenkassen gibt es nur noch etwas mehr als 300.


    (Walter Schöler [SPD]: Immer noch viel zu viel!)


    Das ewige Gerede über die große Zahl der Krankenkas-
    sen mit dem Hintergedanken, die AOK werde am besten
    zu einer Allgemeinen Zentralen Krankenkasse umgestal-
    tet, werden wir nicht mittragen, weil der Wettbewerb zwi-
    schen den Krankenkassen ein Element des Wettbewerbs
    im Gesundheitswesen darstellen wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Mit all unseren Vorstellungen, ob Gesundheit, Arbeits-

    markt oder Steuern, stehen wir – das kann ich sicherlich
    weitgehend unwidersprochen feststellen –


    (Joachim Poß [SPD]: Haben Sie Herrn Koch gefragt?)


    dem von Ihnen einberufenen Sachverständigenrat wohl
    näher als Sie. Ich wundere mich schon darüber, dass Sie
    in einem solchen Umfang Steuermittel einsetzen, ohne
    sich auch nur einmal auf Ihren eigenen Sachverständi-
    genrat zu berufen. Sie könnten zumindest erläutern,
    warum Sie die Ratschläge nicht annehmen. So aber kann
    es nicht weitergehen. Dann berufen Sie lieber keine Sach-
    verständigenräte mehr ein, sondern sagen gleich, dass Sie
    sich selbst genug sind. Das wäre schließlich auch eine Er-
    kenntnis für das deutsche Volk.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Zum Thema Rente. Auch wir haben – das gebe ich

    wieder ehrlich zu –

    (Joachim Poß [SPD]: Ach, der Rest war nicht ehrlich?)

    zu lange gesagt, die Rente sei sicher. Wir haben dann aber
    1998 als ersten wichtigen Schritt den demographischen
    Faktor eingeführt. Wir haben heute bereits über den poli-
    tischen Umgang miteinander gesprochen. Lassen Sie
    mich in diesem Zusammenhang feststellen: Seinerzeit
    war das Verhetzungspotenzial gegen die Einführung des
    demographischen Faktors wider besseres Wissen so groß,
    dass Sie sich, als Sie die Wahl gewonnen hatten, selbst
    nicht mehr getraut haben, den demographischen Faktor
    beizubehalten. Anschließend mussten Sie sogar Herrn
    Riester entlassen, weil er den blümschen demographi-
    schen Faktor nicht erhalten durfte und deshalb so viel
    Murks machen musste. Das ist die Wahrheit!


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Als wir seinerzeit den demographischen Faktor einge-

    führt haben, haben wir darauf hingewiesen, dass dies nur
    ein erster Schritt sein kann. Deshalb war es vom Grund-
    satz her richtig, dass Sie eine freiwillige private kapital-

    gedeckte Vorsorge eingeführt haben. Jetzt wollen Sie sie
    zu einer zweiten Säule der Rentenversicherung weiterent-
    wickeln. Eine zweite Säule der Rentenversicherung haben
    Sie bereits, nämlich die Zapfsäule. Die funktioniert gut.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr gut!)


    Aber wenn die private kapitalgedeckte Vorsorge wirk-
    lich zu einer zweiten Säule weiterentwickelt werden soll,
    darf man nicht, wie Sie es heute ausgeführt haben – ich
    habe es genau mitgeschrieben –, sagen: „Vereinfachung,
    wo notwendig!“. Sie regieren schließlich jetzt und stellen
    nicht irgendwelche Vorhaben für die Zeit in zehn Jahren
    vor. Schmeißen Sie doch den gesamten bürokratischen
    Schrott heraus und beschränken Sie sie auf wenige Krite-
    rien; dann wird die private Vorsorge auch wirklich eine
    zweite Säule! Wir beteiligen uns, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Ich habe im Interesse der Menschen, vor allem der äl-

    teren Menschen, eine Bitte. Ich halte das, was die Grünen
    erreicht haben, zwar für richtig, nämlich dass eine Kom-
    mission zur Weiterentwicklung der sozialen Siche-
    rungssysteme eingesetzt wird. Als beschwerlich emp-
    finde ich es aber, dass Sie den Chef dieser Kommission
    nicht davon abhalten können, jedes Wochenende irgend-
    ein Interview abzusondern. Noch schlimmer erscheint
    mir, dass sich nun auch noch jemand aus Ihren Reihen
    über das „Professorengeschwätz“ und Sonstiges be-
    schwert. Ich möchte mich dazu an dieser Stelle nicht wei-
    ter äußern.

    Sie müssen schon zum Ausdruck bringen, was Sie wol-
    len, Herr Bundeskanzler. Hat diese Kommission Ihre Un-
    terstützung oder ist sie nur eine Beruhigungspille für die
    Grünen? Ist es Ihnen eigentlich völlig egal, was bei dieser
    Kommission herauskommt? Soll in den nächsten zehn
    Jahren überhaupt etwas passieren oder wollen Sie weiter-
    hin von Tag zu Tag abwarten? Auf diese Fragen haben Sie
    heute keine Antwort gegeben. Sie haben nichts, aber auch
    gar nichts dazu gesagt.


    (Walter Schöler [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört!)


    Wir werden Vorschläge auch für eine langfristige Siche-
    rung der Sozialsysteme vorlegen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Die Wahrheit ist: Sachverstand in Deutschland liegt

    vor. Der von Ihnen eingesetzte Sachverstand ist von mir
    zitiert worden. Ich sage Ihnen aber: Mit der jetzigen Ko-
    alition und insbesondere mit der jetzigen SPD-Truppe
    können Sie, Herr Bundeskanzler, die notwendigen Refor-
    men in Deutschland nicht auf den Weg bringen. Deshalb
    sind Sie führungsschwach und den Aufgaben, die heute in
    Deutschland zur Erledigung anstehen, nicht gewachsen.
    Das ist die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Soziale Marktwirtschaft bedeutet auch heute auf der ei-

    nen Seite wirtschaftliche Effizienz – darüber, dass diese
    mit Ihnen nicht zustande kommt, habe ich eben gespro-
    chen – und auf der anderen Seite moralische Qualität. Da-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    902


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 903

    mit komme ich auf gesellschaftspolitische Fragen zu spre-
    chen. Ich möchte ganz klar sagen: Wo immer Frauen und
    Männer, Väter und Mütter erwerbstätig sein wollen, wer-
    den wir sie unterstützen und die Grundlagen für die Ver-
    einbarkeit von Beruf und Familie verbessern; das ist
    keine Frage. Aber wir wollen eine Politik, die die Kom-
    munen vor Ort – um deren Zustimmung müssen auch Sie
    jetzt buhlen – finanziell in die Lage versetzt, die entspre-
    chenden Aufgaben durchzuführen. Deshalb fordere ich
    Sie auf: Machen Sie eine ordentliche Steuerreform und
    beteiligen Sie die Kommunen angemessen am Steuerauf-
    kommen! Dann wird sich auch das Kinderbetreuungsan-
    gebot verbessern. Machen Sie nicht den Umweg über die
    Ganztagsbetreuung von oben! Das ist Reichszentralismus
    und entspricht nicht dem, was wir unter Subsidiarität in
    Deutschland verstehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie haben einen neuen Generalsekretär, der auch uns ab

    und an überrascht. Er hat für die Sozialdemokratie weg-
    weisende Äußerungen – diesen ist bis heute nicht wider-
    sprochen worden – über die Notwendigkeit einer kultu-
    rellen Revolution gemacht und will die Lufthoheit über
    den Kinderbetten erobern. Glauben Sie – ich frage das vor
    allen Dingen die Grünen – eigentlich ernsthaft, dass deut-
    sche Eltern sehnlichst darauf warten, dass der Generalse-
    kretär Olaf Scholz als Vertreter der deutschen Avant-
    garde an ihrer Haustür klingelt, das Kind aus dem
    Laufställchen reißt, der Mutter am besten noch ein rotes
    Stirnband von Che Guevara umbindet und anschließend
    erklärt, dass es eine Besuchserlaubnis für die Eltern nur
    noch jeden letzten Montag im Monat gebe, aber auch nur
    dann, wenn sie vorher auf das Ehegattensplitting verzich-
    teten und nach 20 Uhr aus dem Büro kämen?


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Solange die Union in Deutschland etwas zu sagen hat,
    werden wir dafür sorgen, dass sich über deutsche Kinder-
    betten die deutschen Eltern und sonst niemand beugt. Das
    ist unser Ansinnen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Waltraud Lehn [SPD]: Das ist wirklich peinlich! – Gerhard Rübenkönig [SPD]: Stellen Sie sich vor, das hören die Leute auch!)


    In Zeiten der Globalisierung ist es wichtig und notwen-
    dig, dass ein Land nicht nur im Innern erfolgreich ist, son-
    dern auch Verlässlichkeit nach außen ausstrahlt. Es ist
    schon relativ absurd – das ist noch freundlich formuliert –,
    dass Sie, der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
    land, der in schamloser Weise Wahlkampf mit der Kriegs-
    angst der Menschen gemacht hat,


    (Walter Riester [SPD]: Was Sie sagen, ist absurd!)


    es wagen, uns vorzuwerfen, die Diskussion über die Mit-
    gliedschaft der Türkei in der EU werde deshalb geführt,
    weil wir Wahlkämpfe gewinnen wollten. Das ist absurd
    und fern der Realität, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Ich finde es bemerkenswert, dass Sie heute nur aufgrund
    unseres Antrages zu diesem wichtigen Thema etwas
    sagen.


    (Lachen bei der SPD)

    Der Rat in Helsinki – ich habe es mir inzwischen von
    Leuten erzählen lassen, die dabei waren – hat in einer Art
    Überfallaktion und in wenigen Minuten darüber befun-
    den, dass man der Türkei eine Vollmitgliedschaft in Aus-
    sicht stellen will. Es gab keine Debatte dort über den jet-
    zigen Zustand, es gab keine Debatte in der Bevölkerung
    und in diesem Parlament. Heute heißt es: Weil es Helsinki
    gab, müssen wir natürlich in Kopenhagen weitermachen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Glos [CDU/CSU]: Bravo!)


    Herr Bundeskanzler, das Thema ist in jeder Hinsicht – ich
    hoffe, Frau Roth ist noch anwesend, damit sie nachher
    nicht wieder falsches Zeug erzählt – zu ernst. Die Türkei
    ist in einem komplizierten außenpolitischen und innenpo-
    litischen Prozess. Es darf nicht sein, dass ein großes Land
    wie Deutschland und die Europäische Union Signale aus-
    senden, die für die Türkei innenpolitisch so verstanden
    werden können, dass wir sie zurückweisen und ihnen
    falsche Versprechungen machen. Deshalb sage ich Ihnen:
    Es war ein Fehler, dass in Europa über Jahre zu wenig
    Ehrlichkeit in der Frage der Türkei geherrscht hat.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lothar Mark [SPD]: Was sagen Sie zum KohlZitat?)


    – Auf das Kohl-Zitat komme ich gleich zu sprechen. Ich
    wünschte mir, Helmut Kohl wäre immer so oft Ihr Kron-
    zeuge, wie er es heute ist. Dann wären wir in Deutschland
    weiter, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Die Türkei ist in einem ausgesprochen schwierigen
    Prozess. Der Internationale Währungsfonds hat massiv
    stützen müssen, damit die wirtschaftlichen Daten so sind,
    wie sie sind. Die Türkei hat heute 60 Millionen Einwoh-
    ner – sie wird in zehn Jahren vielleicht mehr Einwohner
    haben als wir –, ein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von
    22 Prozent des europäischen Durchschnitts, in diesem
    Jahr eine Inflationsrate von 40 Prozent und ein Staatsde-
    fizit von 15 Prozent,


    (Joachim Poß [SPD]: Wenn die Kriterien nicht erfüllt sind, gibt es auch keine Aufnahme!)


    sodass alleine schon die ökonomischen Grundlagen dafür
    sprechen, dass man außerordentlich vorsichtig sein muss.


    (Joachim Poß [SPD]: Das wissen wir!)

    Derzeit – das wissen auch die Grünen – gibt es in der

    Türkei ein Strafverfahren gegen die Mitarbeiter der po-
    litischen Stiftungen. Der Bundespräsident hat sich dan-
    kenswerterweise der Sache angenommen.


    (Joachim Poß [SPD]: Solange die Kriterien so sind, wie sie sind, wird sie nicht aufgenommen!)


    Gegen die Mitarbeiter unserer Stiftungen gibt es massive
    Gefängnisandrohungen für ganz normale politische

    Dr. Angela Merkel

    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002
    Dr. Angela Merkel
    Betätigungen. Glauben Sie wirklich, dass jetzt der rich-
    tige Zeitpunkt ist, der Türkei zu sagen, ab 2004 können
    wir vielleicht Beitrittsverhandlungen führen?


    (Lothar Mark [SPD]: Sie müssen doch erst die Kriterien erfüllen!)


    Sie begeben sich doch in einen unglaublichen Beschleuni-
    gungsprozess. Sie stehen doch am Ende unter einem
    großen Druck. Mit der Begründung, wenn wir es jetzt nicht
    machen, dann geht in der Türkei die Entwicklung nicht
    richtig voran, begeben Sie sich in eine Zwangslage, die ich
    mir für die Europäische Union niemals vorstellen konnte
    und die ich nicht für richtig halte, meine Damen und Her-
    ren. Darüber muss in diesem Hause gesprochen werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Sie sind in einer KochZwangslage! Das ist die einzige Zwangslage!)


    Herr Bundeskanzler, 1963 ging es um eine Zollunion.
    1997 hatten sich die Dinge weiterentwickelt. Die Per-
    spektiven, die Helmut Kohl damals genannt hat, halte ich
    persönlich immer noch für optimistisch. Damals schienen
    sie jedoch erreichbarer als heute. Heute sprechen wir je-
    doch nicht über Mittelfristigkeit, über irgendwann und ir-
    gendwo, sondern beim Rat in Kopenhagen – wir sind ge-
    spannt, was Sie heute Abend mit Jacques Chirac
    besprechen – wahrscheinlich über den 1. Januar 2004. Die
    Türken werden natürlich Erwartungen mit diesem Tag
    verbinden. Wenn man so meilenweit in der politischen
    Struktur von dem entfernt ist, was man in Europa – auch
    im Verfassungskonvent – unter dem politischen gemein-
    samen Europa versteht, dann darf und kann man solche
    Angebote nicht machen. Ich halte das für unverantwort-
    lich. Das hat mit Wahlkampf überhaupt nichts zu tun.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Über die Grünen wundere ich mich wirklich. Sehen Sie
    sich das doch einmal an. Bauen Sie doch einmal eine Kir-
    che in der Türkei. Sehen Sie sich einmal den Umgang mit
    Minderheiten und das Frauenbild an.


    (Zuruf von der SPD: Darum geht es doch gar nicht!)


    Glauben Sie, in den nächsten zwölf Monaten wird sich dort
    etwas verändern? Meine Damen und Herren, wir nehmen
    gerade zehn neue Länder in die Europäische Union auf.
    Die Menschen müssen der Politik folgen können. Es hilft
    der Türkei nicht, wenn wir sagen: Nur weil ihr nicht das
    richtige Angebot bekommt, haben wir Verständnis dafür,
    wenn euer politischer Prozess nicht vernünftig läuft.


    (Zuruf von der SPD: Hässliche Demagogie!)

    Es kann nicht zum Prinzip der Europäischen Union

    werden – das sage ich noch einmal in allem Ernst –, dass
    ein Land, wenn man ihm einen Gefallen nicht tut, sich
    falsch entwickelt.


    (Lothar Mark [SPD]: Jetzt zeigen Sie Ihr wahres Gesicht!)


    Ein Land muss seinen Demokratisierungsprozess einzig
    und allein aus sich selbst heraus schaffen. Ansonsten ist
    das Fundament auf Sand gebaut. Davon bin ich zutiefst
    überzeugt, Herr Bundeskanzler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Die außenpolitischen Probleme mit Amerika sind
    natürlich überhaupt nicht geglättet.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Auch gar nicht angesprochen!)


    Sie schmücken sich jetzt mit der UN-Resolution, Sie
    schmücken sich mit Kofi Annan. Kofi Annan war beim
    amerikanischen Präsidenten und hat das Vorgehen be-
    sprochen. Es wäre kein einziger Inspekteur heute im Irak,
    wenn man nach deutschem Gusto verfahren wäre. Diese
    Entwicklung ist Amerika zu verdanken und sonst nie-
    mandem.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Was die Verlässlichkeit im Verhältnis zu Amerika an-

    geht, gibt es erhebliche Zweifel. Alle spannenden Fragen
    sind offen. Ich hoffe genauso wie Sie, dass es im Irak zu
    keinem Krieg kommt. Aber wenn es dazu kommt, ist doch
    überhaupt nicht klar, wie in der Bundesregierung bei den
    einzelnen Fragen vorgegangen wird. Wie wird es denn mit
    den Spürpanzern werden – Anruf in Deutschland, War-
    nung über Amerika: biologischer Alarm oder chemischer
    Alarm? Was macht dann der deutsche Spürpanzer? Darf
    der Soldat darin seinem amerikanischen Kameraden hel-
    fen oder darf er es nicht? Wen muss er fragen? Wer ent-
    scheidet?

    Sagen Sie uns beizeiten, wie Sie sich das alles vorstel-
    len. Es besteht ein großes Wirrwarr, weil Sie Ihre falschen
    Wahlversprechungen aufrechterhalten wollen und falsche
    Brandmauern ziehen. Zumindest die Meinung der Union
    ist: Wir werden amerikanischen Soldaten immer helfen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Ist das Ihre Alternative?)


    Überlegen Sie sich einmal, wie es sich mit der Verläss-
    lichkeit bei einem ganz einfachen, aber entscheidenden
    Projekt verhält. Wenn wir möchten, dass Europa im Ver-
    hältnis zu Amerika auch eigene Interessen vertreten kann,
    dann brauchen wir in Europa eine eigenständige militäri-
    sche Rüstungsentwicklung.

    Jetzt sehen Sie sich einmal die Geschichte – fast hätte
    ich gesagt: die Skandalgeschichte – zur Beschaffung des
    Transportflugzeuges A400M an, geschmückt mit unse-
    ren Gängen zum Bundesverfassungsgericht. Ganz Europa
    wird danken, wenn sich endlich nach Monaten die deut-
    sche Regierung dazu durchringt, eine abschließende Zahl
    für diese Transportflugzeuge zu nennen. Wir haben die
    Nerven und die Bereitschaft der europäischen Rüstungs-
    industrie bei diesem einen öffentlich bekannt gewordenen
    Punkt bis aufs Äußerste gespannt. Ich will nicht wissen,
    bei wie vielen Projekten wir europäische Initiativen ver-
    säumen, weil Deutschland eben keine Steigerung beim
    Verteidigungsetat hat. Eine solche Steigerung muss es in
    Deutschland geben, damit dieses Land in Europa und in
    der Welt mitspielen kann.


    (Beifall bei der CDU/CSU)

    Deshalb ist Verlässlichkeit innenpolitisch und außen-

    politisch so wichtig.
    Roman Herzog hat nicht ohne Bedacht gesagt, wir

    hätten in Deutschland eine handfeste Vertrauenskrise.


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    904


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 4. Dezember 2002 905

    Wir haben nicht nur Politikverdrossenheit, sondern wir
    haben eine Krise des Vertrauens in Deutschland.


    (Joachim Poß [SPD]: Die haben Sie mit herbeigeführt!)


    – Hören Sie zu und schreien Sie nicht immer so viel, Herr
    Poß.

    Ohne das Vertrauen der Bürger werden Sie keinen ein-
    zigen Bürger davon überzeugen, dass Veränderungen in
    unserem Land notwendig sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Wenn Sie wirklich ein einsichtiger und großer Bundes-

    kanzler hätten werden wollen, dann hätten Sie sich heute
    hier hingestellt, hätten sich bei den Deutschen für Ihren
    Wahlbetrug entschuldigt und hätten gesagt, Sie beriefen
    sich auf den Sachverstand und Sie seien bereit, mit der
    Opposition jedes Jahr einmal zu messen, wie weit
    Deutschland vorangekommen sei. Dann hätten wir es
    nicht nötig gehabt, noch einmal das auf die Tagesordnung
    zu bringen, was wir im Untersuchungsausschuss auf die
    Tagesordnung bringen müssen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD: Stoiber!)


    Ich sage ganz klar: Wir kämpfen mit diesem Untersu-
    chungsausschuss dafür,


    (Joachim Poß [SPD]: Dass Herrn Koch geholfen wird! Das ist das Ziel!)


    dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes einen
    Wahlkampf, wie sie ihn zuletzt erlebt haben, und solche
    Momente gespielter Überraschung am Tag nach der Wahl
    nicht wieder erleben müssen. Das ist unser Ansinnen. Wir
    müssen Ihnen mit diesem Untersuchungsausschuss auf den
    Zahn fühlen und herausbekommen, was Sie gewusst haben,
    ob Sie gelogen, betrogen oder Wahrheiten verschwiegen
    haben.


    (Joachim Poß [SPD]: Sie haben gelogen!)

    Wir werden dort ohne Schaum vorm Mund, ganz sachlich
    und auf die Zukunft ausgerichtet reden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Lassen Sie mich mit einem Zitat von Gerhard Schröder
    enden. Er hat in einer bemerkenswerten Rede gesagt:

    Demokratie ... braucht starke Charaktere, starke Per-
    sönlichkeiten. Nicht Stärke, sondern Schwäche
    kommt zum Vorschein, wenn Politiker dem Bürger,
    dem Wähler nicht zutrauen, dass er die Wahrheit ver-
    trägt. ... Ein derartiges Verhalten greift die Wurzeln
    der Demokratie an,


    (Nina Hauer [SPD]: Sie greifen sie an!)

    es ruiniert Glaubwürdigkeit und Vertrauen, ohne die
    die Demokratie nicht leben und funktionieren kann.


    (Walter Schöler [SPD]: Recht hat er!)

    Ich hätte mir gewünscht, Gerhard Schröder wäre wie die-
    ser Gerhard Schröder. Aber leider sagte dies der von der

    CDU gestellte Außenminister Gerhard Schröder ver-
    gangener Jahre. Dem heutigen Bundeskanzler Gerhard
    Schröder kämen solche Aussagen nicht über die Lippen.
    Er ist heute nicht jener Gerhard Schröder, sondern der
    Bundeskanzler, der von einer ziemlich unfähigen Fraktion
    getragen wird.

    Herzlichen Dank.

    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der FDP)