Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte
zuerst gerne auf das eingehen, was Sie, Herr Haupt, ge-
sagt haben. Ich finde es zwar gut, wenn man Zahlen aus
dem Haushalt aufführt; denn dann kann man beweisen,
dass man ihn gelesen hat. Aber das heißt noch lange nicht,
dass man ihn interpretieren kann und richtig verstanden
hat. Das, was Sie zur neuen Staatssekretärin im Fami-
lienministerium gesagt haben, stimmt so nicht. Auch Sie
müssten wissen, dass sie vorher dort nicht angesiedelt
war, dass es sich also um eine Verlagerung handelt und
dass deshalb der entsprechende Haushaltsposten von ei-
nem Ministerium zum anderen gewandert ist. Wenn Sie
das erwähnt hätten, hätte das zu Wahrheit und Klarheit
beigetragen.
Des Weiteren haben Sie angeführt, dass unser Haushalt
um 5,4 Prozent gekürzt werde. Es stimmt zwar, dass es
Kürzungen gibt. Wenn Sie sich aber genau anschauen,
wo gekürzt wird, dann stellen Sie fest, dass zum Teil Mo-
dellprojekte ausgelaufen sind. Sie wissen doch genau
– Sie sind ja lange genug Mitglied des Parlaments –, dass
es bei Modellprojekten um Einmalfinanzierungen geht,
die nicht ewig fortgeschrieben werden. Wenn Sie das er-
wähnt hätten, hätte auch das zu Wahrheit und Klarheit bei-
getragen.
Es ist angesichts der Debatten, die zurzeit geführt wer-
den und die zum Teil von der Opposition massiv geschürt
werden, schwierig, einen Haushalt vorzulegen. Ich frage
mich immer, ob Sie tatsächlich Ihre eigene politische Ver-
gangenheit im Blick haben und sich noch erinnern. Viel-
leicht – ich möchte darüber eigentlich nicht spekulieren –
hoffen Sie darauf, dass die Wählerinnen und Wähler ein
kurzes Gedächtnis haben
und dass sich niemand mehr daran erinnert, was in den
16 Jahren, in denen Sie regiert haben, tatsächlich im Be-
842
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 843
reich der Familien, der Kinder, der Senioren und der
Frauen geschehen ist, nämlich nichts bzw. Vernachlässig-
bares. Ich möchte nur an Folgendes erinnern: Wir wollten
einen Armuts- und Reichtumsbericht. Frau Nolte hat
ihn 1998 so kurz vor der Bundestagswahl vorgelegt, dass
ihn niemand mehr lesen konnte. Sie hat das getan, damit
ja keine Explosion stattfindet. Der damalige Bericht hat
außerdem nur einen schmalen Bereich abgedeckt. Wir ha-
ben den Ersten Armuts- und Reichtumsbericht in Auftrag
gegeben. Er ist so rechtzeitig vorgelegt worden, dass
Maßnahmen aus ihm abgeleitet werden konnten, die dann
auch gegriffen haben. Meine Kolleginnen und Kollegen
haben Ihnen ja schon vieles von dem aufgezeigt, was wir
getan haben.
Der jetzt vorliegende Einzelplan 17 zeichnet sich im
Gegensatz zu früher dadurch aus, dass er zukunftsfähig
und generationengerecht ist. Zukunftsfähigkeit und Ge-
nerationengerechtigkeit – darauf ist schon ein paarmal
hingewiesen worden; aber ich denke, das kann man gar
nicht oft genug sagen – bedeuten Nachhaltigkeit – dieses
Prinzip bestimmt unsere Politik –, das heißt, sowohl für
die jetzt lebenden Generationen als auch für die nach-
wachsenden zu sorgen. Deswegen legen wir einen Haus-
halt für alle Generationen vor.
Ich möchte an ein paar Beispielen aufzeigen, dass das
tatsächlich so ist.
Wir haben den Reformstau aufgelöst. Wir hatten in
dem zur Diskussion stehenden Bereich enorme Probleme.
Was hat sich denn im Gegensatz zu Ihnen unter unserer
Regierung verändert? Wir haben Kinder – damit möchte
ich beginnen – nicht als Vorstufe von Menschen betrach-
tet, die irgendwann erwachsen werden. Wir haben als
Erste Kinder als eigenständige Wesen mit eigenen doku-
mentierten Rechten ernst genommen. Ich kann mich noch
an das Bauchgrimmen und an die Widersprüche erinnern,
als wir nur den Satz formulierten: Kinder haben ein Recht
auf gewaltfreie Erziehung. Das sollte eigentlich so
selbstverständlich sein wie das Amen in der Kirche.
Das war es aber nicht.
Dass es etwas ganz Besonderes ist, dass wir diesen Satz
rechtlich verankert haben, ist uns auf der Weltkonferenz
gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugend-
lichen bestätigt worden. In der Schlussrede wurde ganz
besonders hervorgehoben, dass es der Deutsche Bundes-
tag mit der Mehrheit der rot-grünen Koalition geschafft
hat, ein Gesetz zu verabschieden, das einen solchen Satz
enthält. Kinder sind nun nicht mehr Objekte, sondern
Rechtssubjekte. Daraus leiten wir alles ab, was wir tun.
Deshalb wollen wir, dass Kinder an Entscheidungen im
gesellschaftlichen Leben beteiligt werden. Wir haben in
erheblichem Maße Mittel für die Beteiligungsbewegung,
das heißt für die Verwirklichung des Prinzips der Partizi-
pation eingestellt; denn nur von demjenigen Menschen,
der sich aktiv beteiligt und der tatsächlich – und zwar im-
mer altersbezogen – gefragt wird, wenn es um die eigenen
Anliegen geht, kann man erwarten, dass er ein engagier-
ter Bürger wird, das heißt, dass er sich in unsere Gesell-
schaft einbringt.
Die Shell-Jugendstudie belegt, dass viele junge Menschen
ehrenamtlich tätig sind. Ich hätte mir auch gewünscht,
liebe Kollegin von der Opposition, Frau Tillmann, wenn
Sie deutlich gesagt hätten, dass wir das Ehrenamt durch
die Erhöhung der so genannten Übungsleiterpauschale
um 50 Prozent gestärkt haben.
Wenn Sie sich den Etat ansehen, dann müssen Sie ehr-
lich sagen, dass der Etat so gestaltet ist, dass die dort ent-
haltenen Mehrkosten für das Jahr des Ehrenamtes be-
stimmt waren. Das alles waren Modelle und Projekte, die
wir in dieser Zeit gefördert haben. Wir halten den Haus-
haltstitel für das Ehrenamt auch weiterhin vor, weil er not-
wendig ist, um das Ehrenamt zu fördern.
Ehrenamtlich Tätige sind auch bereit, Freiwilligen-
dienste zu leisten; diese haben wir im letzten Jahr refor-
miert. Dafür haben wir beachtliche zusätzliche Mittel in
den Haushalt eingestellt. Auf diesem hohen Niveau ver-
stetigen wir das Ganze. Wir haben es so gestaltet, dass
junge Menschen sozialversicherungsrechtlich abgesichert
sind, sodass nicht nur reiche Kinder ein freiwilliges so-
ziales Jahr machen können, weil Mama und Papa eine pri-
vate Krankenversicherung haben und für das Alter und ei-
nen Unfall vorsorgen. Wir sind der Meinung, dass, wenn
jemand einen Dienst für die Gesellschaft leistet, die Ge-
sellschaft auch dafür aufkommen muss. Wir glauben
auch, dass es eine gute Möglichkeit zum Erlernen von To-
leranz ist, wenn man Kinder und Jugendliche ins Ausland
gehen lässt. Deshalb haben wir das auf das außereuropä-
ische Ausland ausgedehnt.
Ein weiterer Aspekt ist, dass nicht nur Gymnasiasten
diese Möglichkeit in Anspruch nehmen sollen, sondern
auch Kinder und Jugendliche, die aus Familien mit weni-
ger Geld kommen, sodass sie direkt nach der Schulpflicht
in diesen Dienst gehen können. Diese Zeit können sie sich
auf die Zivildienstzeit anrechnen lassen. – Das sind die
Dinge, die in diesem Bereich für Kinder und Jugendliche
geschehen sind.
Auch für die Chancengleichheit und den sozialen
Ausgleich wurden Mittel eingestellt; als Beispiele nenne
ich die Programme „E & C“, „Soziale Stadt“ und JUMP.
Diese sind für die Integration von jungen Menschen wirk-
lich notwendig. Nur wer sich integriert fühlt, wer wirklich
das Gefühl hat, dass er auf Augenhöhe mit dem anderen
ist, wird den anderen auf Augenhöhe aushalten und mit
ihm kommunizieren. Das haben wir mit unseren Pro-
grammen im Bereich Chancengleichheit auf den Weg
gebracht.
Ich hätte mir auch gewünscht, Sie hätten sich die im
Bereich Gewalt und Intoleranz eingesetzten Mittel ge-
nauer angesehen. Dann hätten Sie festgestellt, dass der
Mitteleinsatz zum größten Teil in Absprache mit den Län-
dern vorgenommen worden ist. In Bayern zum Beispiel
Marlene Rupprecht
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Marlene Rupprecht
sind die gesamten Mittel an den Landesjugendring gege-
ben worden; der hat die Mittel auf die Projekte verteilt.
Wenn es also nicht funktioniert hat, dann müssen wir prü-
fen, ob es dort nicht funktioniert hat. Ansonsten wurden
die Mittel so kanalisiert, dass sie sinnvoll eingesetzt wer-
den konnten. Damit gewinnen wir Respekt vor ethni-
schen, kulturellen und sozialen Minderheiten. Niemand
wird aufgrund seiner Herkunft ausgegrenzt.
Wir werden die drei in diesem Bereich aufgelegten Pro-
gramme ENTIMON, CIVITAS und XENOS fortschrei-
ben.
Im Zuge der Generationengerechtigkeit führen wir
Jung und Alt zusammen. Die heutige Jugend erhält in ei-
nem hohen Maße Unterstützung und Solidarität. Wir hof-
fen natürlich, dass sie dies bewusst wahrnimmt und es,
wenn sie später die ältere Generation ist, weitergibt. Das
entspricht dem Generationenvertrag und der Generatio-
nengerechtigkeit. Denn nur gemeinsam und nicht gegen-
einander können wir die Herausforderungen des demo-
graphischen Wandels bewältigen.
Wir haben in der Seniorenpolitik die Forschungsmit-
tel auf dem gleichen Niveau wie bisher weitergeführt, um
die Probleme des demographischen Wandels bewältigen
zu können und ältere Menschen aktiv einzubinden. Wir
müssen endlich wegkommen von der Einspurigkeit in der
Wahrnehmung von Alter und um das ganze Spektrum ent-
decken, das im Alter steckt, nämlich von „Fit wie ein
Turnschuh“ und „Alle Berge erklimmen“ bis hin zur Mor-
bidität, das heißt bis zur Hinfälligkeit und völligen Hilflo-
sigkeit. Dem werden wir gerecht. Ich möchte nicht alles,
was vorhin schon gesagt wurde, wiederholen. Frau
Schewe-Gerigk hat bereits das Pflegegesetz und das
Heimgesetz angesprochen. Ein weiteres Projekt ist das
modellhafte Bauprojekt derAltenhilfe.Darüber wollen
wir feststellen, wie das Wohnen gestaltet sein muss, damit
ältere Menschen menschen- und wirklich seniorengerecht
leben können. Das sind Zukunftsprojekte für moderne
Wohn- und Siedlungspolitik.
Der Weltaltenplan wird im kommenden Jahr in einen
nationalen Aktionsplan umgesetzt. Wenn wir das ge-
schafft haben, können wir wirklich sagen: Wir handeln
und wir gestalten damit die Zukunft für uns, unsere Kin-
der und unsere Enkel.
Ich bin in einer Familie groß geworden, die Zusam-
menhalt und Geborgenheit vermittelt hat, und deshalb
habe ich auch die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuar-
beiten. Ich wünsche mir, dass es in diesem Saale viele
gibt, die das erfahren durften.
Ich fordere Sie auf, mit uns gemeinsam an dieser Welt
und an dieser Bundesrepublik weiter zu arbeiten, damit
sie zukunftsfähig ist. Ich glaube, dieses Modellprojekt
„Zukunft Deutschland“ hat wirklich eine Chance. Ich for-
dere Sie auf – und ich wünsche mir das –: Machen Sie da-
bei mit!
Danke schön.