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Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend.
Als erster Rednerin erteile ich der Bundesministerin Frau
Renate Schmidt das Wort.
Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Herren! Meine sehr geehrten Damen! Der Einzelplan 17
macht deutlich, wo diese Bundesregierung ihre Prioritä-
ten setzt. Der Einzelplan des Familienministeriums ist
nicht, wie oftmals in der Geschichte – und zwar sowohl
bei konservativ geführten als auch bei SPD-geführten
Bundesregierungen –, zum Steinbruch für notwendige
Sparmaßnahmen gemacht worden. Bei den Ausgaben für
Familien, Senioren, Frauen und für die Jugend in meinem
Ressortbereich wird zu Recht nicht gespart. Wir haben da-
mit die Chance, Gesellschaftspolitik zu gestalten.
Damit will ich aber in keiner Weise vertuschen, dass
Einsparungen in anderen Ressorts auch unseren Bereich
berühren. Doch konnten wir bei allen Sparnotwendig-
keiten die Belastungen für Familien wenigstens mil-
dern. Ich nenne als Beispiel die Eigenheimzulage, bei
der es Manfred Stolpe und mir gelungen ist, gegenüber
dem ersten Entwurf deutliche Verbesserungen zu errei-
chen.
Vor allen Dingen haben wir es geschafft, den Vertrauens-
schutz zu gewährleisten, anders als im Freistaat Bayern,
wo Familien, die bereits Zusagen erhalten hatten, von ei-
nem Tag auf den anderen erfahren mussten, dass sie keine
Wohnungsbauförderung bekommen.
Das halte ich nicht für richtig. Wir verfahren anders, in-
dem wir im nächsten Jahr in diesem Bereich Minimalbe-
träge einsparen.
Natürlich sind – das will ich in keiner Weise abstreiten –
die materiellen Rahmenbedingungen für Familien von er-
heblicher Bedeutung. Sie sind wichtig, aber sie sind nicht
am wichtigsten. In allen Umfragen nennen junge Familien
eine familienfreundliche Gesellschaft mit guten Betreu-
ungs- und Bildungseinrichtungen für ihre Kinder als ihren
wichtigsten Verbesserungswunsch. Diesem Ziel werden wir
in dieser Legislaturperiode ein gutes Stück näher kommen.
Junge Frauen wie junge Männer wollen heute beides:
Beruf und Familie.Das scheitert aber häufig an den man-
gelnden Kinderbetreuungsmöglichkeiten. 70 Prozent der
nicht erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter 12 Jahren
würden gerne eine Erwerbsarbeit aufnehmen, wenn die
Kinderbetreuung gesichert wäre. Hier drückt die jungen
Familien in Deutschland der Schuh. Wir brauchen des-
halb, meine sehr geehrten Herren und Damen insbeson-
dere von der Union, keine Ideologie, sondern praktische
Unterstützung für Familien. Das werden wir in dieser Le-
gislaturperiode anpacken.
Familien sind und bleiben – wir sollten uns an dieser
Stelle nicht immer wieder in Kämpfe verstricken – die
wichtigste Institution für Kinder. Das steht für uns außer
Frage. Hier ist der Ort, an dem sie Vertrauen und Wärme
erfahren und an dem sich Persönlichkeit und Charakter
entwickeln. Deshalb werden wir die zahlreichen Projekte
und Maßnahmen zur Stärkung der Erziehungskompetenz
von Eltern in meinem Ressortbereich auch im nächsten
Jahr weiterführen und dabei neue Impulse setzen.
Wir brauchen in unserer Gesellschaft ein Erziehungs-
klima, das auf Förderung, Fürsorge und Respekt ausge-
richtet ist.
Aber es gibt in der heutigen Zeit auch eine gesellschaftli-
che Mitverantwortung für das Aufwachsen von Kindern.
Es geht darum, dass alle ihren Teil dazu beitragen, um
Kinder stark zu machen. Deshalb werden wir in den
nächsten Jahren mit 4Milliarden Euro vonseiten des Bun-
des Ganztagsschulen in Deutschland fördern.
300 Millionen Euro stehen im Haushalt 2003 dafür zur
Verfügung.
Ich habe die Diskussion zu dem Einzelplan 30, dem
Ressort von Edelgard Bulmahn, vorhin mit verfolgt.
Ich habe eine Bitte: Widerstehen wir doch dieser absurden
Neigung, auch über dieses Ressort ausschließlich ideolo-
gisch zu diskutieren.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 827
Kein Mensch, der einigermaßen bei Sinnen ist, geht da-
von aus, dass Ganztagsschulen das einzige Konzept sind,
um in vergleichenden Bildungsstudien endlich Fort-
schritte zu erzielen. Aber sie sind ein Baustein dafür. Kein
Mensch behauptet, dass der Bund jetzt in die Förderung
von Ganztagsschulen der Länder eintreten will. Vorhin ist
aber gefordert worden, den Ländern freie Hand zu lassen.
Was hat uns die freie Hand der Länder denn in den ver-
gangenen Jahren gebracht? Eine zehnprozentige Versor-
gung mit Ganztagsschulen in Westdeutschland. Das reicht
aber nicht!
Im Freistaat Bayern, dem größten Flächenland, sind es
gerade einmal 24 Ganztagsschulen. Die Diskussion dreht
sich um die Frage, ob noch 30 weitere hinzu kommen
können. Das reicht nicht. Wir wollen nicht etwa die Län-
der bevormunden, sondern eine Initialzündung starten.
Wir werden ihnen alle Freiheiten dabei lassen, wie sie die-
ses Programm ausgestalten wollen und welche pädago-
gischen Konzepte sie dabei verfolgen. Das ist unser Kon-
zept.
Wenn ich sehe, dass die Hessische Landesregierung
der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden, die laut der
PISA-Studie nicht nur die beste Schule in ganz Deutsch-
land war, sondern auch im weltweiten Vergleich die bes-
ten Ergebnisse vorzuweisen hatte – sie war besser als alle
Schulen in Finnland und ihre Schüler haben mit ihren ma-
thematischen Fähigkeiten sogar die japanischen
überholt –, unter Umständen mit Schließung droht, weil
sie nicht als Versuchsschule weitergeführt werden soll,
dann muss ich sagen: Das ist Ideologie und dem müssen
wir endlich entgegenwirken.
Jetzt hätte ich mich beinahe aufgeregt.
Wir brauchen bessere Betreuungsmöglichkeiten und
Bildungsangebote nicht nur für Schülerinnen und
Schüler, sondern auch für die kleinen Kinder. Deshalb
werden wir ab Ende 2004 jährlich 1,5 Milliarden Euro für
bessere Betreuungsmöglichkeiten durch Krippen oder Ta-
gesmütter für unter Dreijährige bereitstellen. Auch daran
wird nicht gerüttelt werden.
Wir werden im kommenden Jahr die geplanten großen
Projekte in Zusammenarbeit mit den Ländern, den Ge-
meinden und den Trägern der Einrichtungen sorgfältig
prüfen. Ein Punkt ist mir dabei besonders wichtig: Seit der
PISA-Studie wird auch von der breiten Öffentlichkeit in
Deutschland endlich erkannt, wie entscheidend für den
späteren Lebensweg die frühzeitige Bildung unserer Kin-
der ist. Kinder müssen möglichst früh über spielerisches
Lernen Impulse für eine gesunde körperliche, geistige und
seelische Entwicklung erhalten. Das ist in erster Linie
natürlich die Aufgabe der Eltern. Aber das ist auch die
Aufgabe der Kindertageseinrichtungen. Deshalb müssen
Kindertagesstätten mehr als bisher zu Einrichtungen der
frühkindlichen Bildung werden.
Wir werden deswegen für die Kindertagesstätten verbind-
liche Bildungsziele und Qualitätsmerkmale vereinbaren.
Uns geht es um den Dreiklang Betreuung, Erziehung und
Bildung. Wir wissen uns darin übrigens mit den meisten
Bundesländern, auch mit den unionsregierten, einig.
Auch mit dem Hartz-Konzept werden die Interessen
der Familien gestärkt. Alleinerziehende, die bisher So-
zialhilfe bezogen haben, werden in die Vermittlungsakti-
vitäten des Arbeitsamtes einbezogen. Die neuen Minijobs
können auch bei der Kinderbetreuung eingesetzt werden.
Das hilft erwerbstätigen Eltern und eröffnet auch neue
Möglichkeiten für qualifizierte Tagesmüttermodelle.
Eine steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen wird
immer wichtiger, um die Leistungsfähigkeit unserer
Volkswirtschaft zu erhalten und damit auch die Folgen
des demographischen Wandels zu bewältigen. Aber das
bedeutet natürlich auch, dass Frauen endlich die gleichen
Chancen auf berufliche Entwicklung und Karriere haben
müssen wie Männer.
Wir alle kennen die Zahlen und Fakten, die zeigen,
dass Deutschland im Vergleich zu seinen europäischen
Nachbarn noch einen großen Nachholbedarf hat. Wir wer-
den deshalb die entsprechenden EU-Richtlinien zur
Gleichstellungspolitik umgehend in nationales Recht
umsetzen. Deutschland wird in Zukunft auch ein Land
sein, das für seine Gleichstellungspolitik bekannt ist.
Dazu gehört das Einrichten einer nationalen Gleichstel-
lungsstelle. Dazu gehört auch, dass wir den Aktionsplan
zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen fortschreiben
und dass das Gender Mainstreaming zum Handlungs-
maßstab nicht nur im öffentlichen Dienst, sondern in un-
serer gesamten Gesellschaft wird.
Unsere Gesellschaft braucht die Beteiligung junger
Menschen. Die Beteiligung von Jugendlichen ist das bes-
te Lernprogramm für die Demokratie. Dass die Jugendli-
chen bereit sind, sich zu engagieren, zeigt die jüngste
Shell-Jugendstudie: 35 Prozent der Jugendlichen sind
regelmäßig gesellschaftlich aktiv, weitere 41 Prozent ge-
legentlich. Der Jugend geht es eben nicht nur um Spaß.
Sie ist in hohem Maß leistungsbereit und will sich in die-
ser Gesellschaft engagieren. Um die Beteiligung von Ju-
gendlichen nachhaltig zu sichern, wird die 2001 gestartete
Beteiligungsbewegung unter dem Motto „Ich mache Po-
litik“ auch in den nächsten Jahren fortgesetzt,
und zwar gemeinsam mit starken Partnern, nämlich der
Bundeszentrale für politische Bildung und dem Deut-
schen Bundesjugendring.
Bundesministerin Renate Schmidt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Bundesministerin Renate Schmidt
Wir machen deutlich, dass wir die jungen Menschen in
unserem Land ernst nehmen. Das zeigt sich auch daran,
dass es gelungen ist, entgegen dem ursprünglichen Fi-
nanzplanansatz für 2003 zusätzliche Mittel im Kinder-
und Jugendplan des Bundes einzustellen. Weil wir wissen,
dass das Zukunftsinvestitionen sind, geben wir in diesen
Bereichen – auch, wenn wir in anderen Bereichen sparen
müssen – mehr Geld aus.
Das bedeutet konkret, dass wir das Programm „Jugend
für Toleranz und Demokratie“, mit dem jugendlichen Ini-
tiativen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeind-
lichkeit gefördert werden, auf dem bisherigen Niveau
weiterführen können. Das bedeutet, dass wir die Pro-
gramme für sozial benachteiligte Jugendliche genauso
wie die Freiwilligendienste für junge Menschen auswei-
ten werden.
Ferner wollen wir Kinder und Jugendliche so gut wie
möglich vor Gefahren verschiedenster Art schützen. Mit
dem neuen Jugendschutzgesetz haben wir hier einen Mei-
lenstein gesetzt, und zwar sowohl beim Schutz vor Sucht-
gefahren durch Alkohol und Tabak wie auch beim Schutz
vor schädlichen Einflüssen durch Medien. Gemeinsam
mit dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag der Länder
wird das Gesetz am 1. April 2003 in Kraft treten. Ganz
wichtig ist mir auch der bestmögliche Schutz von Kindern
vor sexueller Gewalt und Ausbeutung. Wir werden dazu
in Kürze einen nationalen Aktionsplan vorlegen.
Ich möchte betonen, dass ich die Vorstellungen der Bun-
desjustizministerin für eine härtere Bestrafung bei sexu-
ellen Vergehen an Kindern ausdrücklich teile.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-
men, angesichts der Rentendebatte in den letzten Wochen
will ich als Ministerin, die sowohl für die Jugend wie für
die Senioren verantwortlich ist, Folgendes ganz deutlich
sagen: Wir alle sollten uns davor hüten, einen „Krieg der
Generationen“ in unsere Gesellschaft hineinzutragen.
Unsere Verantwortung, insbesondere die Verantwortung
meines Ministeriums, heißt, den Zusammenhalt der Ge-
sellschaft zu stärken und nicht ihre Spaltung zu betreiben
und Vorurteile zu schüren. Nehmen wir es doch zur
Kenntnis und sagen wir es den anderen: Junge Menschen
sind entgegen landläufiger Meinung meistens stark enga-
giert. Die Älteren beuten nicht die Jungen aus, sondern sie
leisten erhebliche materielle Unterstützung für die Jünge-
ren. Sie helfen im Alltag und bei der Betreuung ihrer En-
kelkinder und machen so die Erwerbstätigkeit ihrer eige-
nen Kinder überhaupt erst möglich. Ferner stellen sie ihre
Lebenserfahrung und ihre Kompetenzen ehrenamtlich zur
Verfügung. Es ist wichtig, dass wir nicht das Gegenei-
nander, sondern das Miteinander betonen.
Dieses Füreinander-Einstehen ist der Kern eines Ge-
nerationenvertrags, der mehr als staatliche Sozialsys-
teme umfasst. Wir brauchen ein Verständnis von Jugend,
das Jugendlichkeit nicht zum Maßstab aller anderen Le-
bensalter macht. Ferner brauchen wir ein Bild des Alters,
das diesen Lebensabschnitt nicht mit Hilfsbedürftigkeit
und Krankheit gleichsetzt. Die gute Mischung von Alt und
Jung ist für die Gesellschaft, aber auch für die Wirtschaft
ein unverzichtbares Kapital, das sie endlich besser als bis-
her nutzen sollte. Wir werden in dieser Legislaturperiode
die Möglichkeiten aktiver alter Menschen und ihrer ge-
sellschaftlichen Teilhabe weiter stärken.
Zu einem realistischen Bild des Alters gehört aber
ebenso, dass wir darauf reagieren, wenn wegen der weiter
steigenden Lebenserwartung auch die Zahl der Menschen
zunehmen wird, die im hohen Alter auf Schutz und Hilfe
angewiesen sind. Diese Bundesregierung hat in den letz-
ten Jahren in diesem Bereich viel geleistet. Ich erinnere
nur an das neue Heimgesetz und das Pflege-Qualitätssi-
cherungsgesetz. Endlich haben wir auch gegen den jahr-
zehntelangen Widerstand aus Bayern ein bundeseinheitli-
ches Altenpflegegesetz.
Die Ausbildung nach dem neuen Recht kann ab dem
1. August 2003 beginnen.
Wir werden in den kommenden Monaten und Jahren
den Weg der Qualitätssicherung und -verbesserung für äl-
tere Menschen konsequent weitergehen. Wir werden die
Rechte der Aktiven und die Rechte der Nutzer ambulan-
ter Dienste stärken. Wir wollen mit allen, die in der Al-
tenhilfe Verantwortung tragen, insbesondere mit den
Wohlfahrtsverbänden, Vereinbarungen treffen, wie wir
die Situation pflegebedürftiger Menschen verbessern
können. Der Bundespräsident hat mit Recht auf Folgen-
des hingewiesen:
Wir haben die Kraft, den demographischen Wandel
zu gestalten, statt ihn zu erleiden.
Mein Ministerium wird seinen Beitrag zu diesem Gestal-
tungsauftrag leisten.
Meine sehr geehrten Herren, meine sehr geehrten Da-
men, der Zivildienst in Deutschland kann auf eine fast
42-jährige Geschichte zurückblicken. Hunderttausende
von jungen Männern haben soziales Engagement gezeigt,
geholfen und entscheidende Erfahrungen für ihr weiteres
Leben gemacht. Der Zivildienst war jedoch gerade in
jüngster Zeit ein Dienst, der auf gesellschaftliche Verän-
derung reagiert. Ich erinnere daran, dass am 1. August
2002 eine Änderung des Zivildienstgesetzes in Kraft ge-
treten ist, wonach auch die Ableistung eines freiwilligen
ökologischen oder eines freiwilligen sozialen Jahres als
Zivildienst anerkannt ist. Wir setzen auf Freiwilligkeit
und lehnen deshalb eindeutig und unmissverständlich
eine allgemeine Dienstpflicht, wie sie Herr Koch in Hes-
sen zum wiederholten Male vorschlägt, ab.
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Nur Diktaturen kennen eine solche. Unsere Verfassung
verbietet sie. Wir haben uns in internationalen Verträgen
gegen eine allgemeine Dienstpflicht ausgesprochen. Des-
halb sollte diese Diskussion endlich beendet werden.