Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verspro-
chen – gebrochen!
Unter diese Überschrift gehört auch der Haushalt für Bil-
dung und Forschung 2003.
Noch im September, wenige Tage vor der Bundestags-
wahl, hat die Bundesregierung hier im Deutschen Bun-
destag ihren ersten Haushalt für 2003 eingebracht. Die
Ausgaben für Bildung und Forschung sollten demnach
um 2,6 Prozent steigen.
Jetzt, zwei Monate später, ist davon keine Rede mehr. Der
aktuelle Entwurf, über den wir heute debattieren, sieht de
facto keinerlei Steigerungen vor. Wenn man zum Beispiel
die sachfremden Kosten für die Sanierung des ehemaligen
Bonner Abgeordnetenhochhauses unberücksichtigt lässt,
gibt es für Bildung und Forschung sogar weniger als 2002.
Versprochen – gebrochen! Dennoch rechnet uns die Mi-
nisterin nun eine Steigerung von 3,7 Prozent vor. Nur steht
die gar nicht in ihrem eigenen Haushalt.
Sie berücksichtigen dabei die Mittel für Ihr Schulbaupro-
gramm, die in die allgemeinen Finanzausgaben beim Fi-
nanzminister eingestellt sind.
Hinzu kommt die globale Minderausgabe. 340 Milli-
onen Euro waren es, 200 Millionen Euro haben Sie bereits
verteilt, bleiben 140 Millionen Euro, die Sie noch vertei-
len müssen. Ich bin gespannt darauf, wie Sie das tun wol-
len.
Das Projekt Ganztagsschule – ich sage: Schulbaupro-
gramm – wird von Ihnen nun als Wundermedizin gegen
die insbesondere in den SPD-geführten Ländern deutlich
gewordenen PISA-Defizite angeführt.
Frau Ministerin Bulmahn erklärt heute in der „Welt“:
PISA hat uns den Spiegel vorgehalten. – Nein, PISA hat
nicht uns den Spiegel vorgehalten, sondern Ihnen, den
SPD-geführten Ländern.
Sie können es einfach nicht ertragen, dass die von CDU
und CSU geführten Bundesländer seit Jahren eine bessere
Bildungspolitik gemacht haben. Das ist die Wahrheit.
Sie haben den Ländern einen noch nicht einmal ausge-
reiften Vorschlag für eine Verwaltungsvereinbarung
übersandt. Das, was von meiner Kollegin Böhmer vorge-
stellt wurde, ist lediglich ein Entwurf. Die Finanzierung
ist nicht gesichert, es soll kofinanziert werden. Aber in ei-
nem Punkt haben Sie sich bereits ganz klar geäußert: An
den Schulen sollen Hinweistafeln angebracht werden, auf
denen steht „Vom Bund geförderte Ganztagsschule“,
Ulla Burchardt
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Katherina Reiche
vielleicht mit Bild der Ministerin oder des Bundeskanz-
lers. Wenn das das Einzige ist, wo Sie konkret werden, ist
das wirklich wenig.
Es bleibt dabei: Der Bund finanziert die Suppenküchen
und die Länder müssen die Suppe auslöffeln, die Sie ih-
nen einbrocken. Zu Recht achten Länder wie Baden-
Württemberg, Bayern und Sachsen sorgsam darauf, dass
sie nicht über den Hebel der aktuellen Bundespolitik, wie
von Frau Burchardt vorgeschlagen, mit dem sozialdemo-
kratischen unteren Mittelmaß infiziert werden.
Ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn die Länder,
übrigens auch die SPD-geführten, sich sehr zögerlich ver-
halten,
denn sie haben für die Folgekosten für Personal- und
Sachausgaben aufzukommen.
Wir setzen auf eine bedarfs- und kindgerechte Ganz-
tagsbetreuung. Wir wollen die Wahlfreiheit für Fami-
lien, damit die Eltern Familie und Beruf besser miteinan-
der vereinbaren können.
Wir brauchen eine Vielfalt an qualitativ hochwertigen Be-
treuungsangeboten. Aber durch Ihre Steuer- und Finanzpo-
litik, meine Damen und Herren von der Koalition, stehen
die Länder finanziell mit dem Rücken zur Wand. Trotzdem
investieren Länder wie Hessen und Bayern weiterhin in
Bildung, übrigens gerade auch im Ganztagsbereich.
Als nationale Antwort auf PISA ist das von Ihnen vor-
geschlagene Schulbauprogramm -– mehr ist es nicht – un-
geeignet.
Die Herausforderung, vor die uns PISA stellt, lautet: qua-
litativ besserer Unterricht und besser ausgebildete und
motivierte Lehrer.
Ich nenne die Fakten zum Einzelplan 30: Er sieht dra-
matische Kürzungen, vor allem in der Forschung, vor.
Sowohl bei der Projektförderung als auch bei den For-
schungseinrichtungen gehen die Ansätze drastisch
zurück: Bei allen Zukunftstechnologien, der Biotechnolo-
gie, der molekularen Medizin, der Informationstechnolo-
gie, der Nanotechnologie und der nationalen Weltraum-
forschung, wird massiv, nämlich um 4,5 Prozent, gekürzt.
Gerade in der Biotechnologie und in der molekularen Me-
dizin sind allerdings weitere Anstrengungen vonnöten. In
beiden Forschungsfeldern bleibt der neue Haushalt um
5 bzw. 10 Millionen Euro hinter dem von der Bundesre-
gierung selbst festgestellten Bedarf zurück. Versprochen
– gebrochen!
Frau Burchardt, es sind dramatische Kürzungen vorge-
sehen, die zulasten des Umweltschutzes gehen: Im Be-
reich Mobilität und Verkehr ist ein Minus von 11 Prozent
und bei Projekten der globalen Umweltforschung ein Mi-
nus von 8 Prozent vorgesehen. Versprochen – gebrochen!
Der Ansatz für naturwissenschaftliche Grundlagenfor-
schung geht sogar um 12 Prozent zurück.
Wie will die Bundesregierung die Empfehlungen des Wis-
senschaftsrates zur Anschaffung neuer Großgeräte für die
Grundlagenforschung umsetzen? Ich sehe dafür keinerlei
Vorsorge im Haushalt. Versprochen – gebrochen!
Die neuen Länder haben Sie offensichtlich vollstän-
dig abgeschrieben. Die Förderung der innovativen regio-
nalen Wachstumskerne in den neuen Ländern geht gegen-
über 2002 um 4,5 Prozent zurück.
Für den Inno-Regio-Wettbewerb waren vor drei Monaten
noch 80Millionen Euro vorgesehen; jetzt sind es nur noch
65 Millionen Euro.
Das Ausbildungsplatzsonderprogramm für die neuen
Länder geht um 12 Prozent zurück, obwohl in den neuen
Ländern immer noch 55 000 junge Menschen einen Aus-
bildungsplatz suchen.
Gerade für die neuen Länder wäre eine Strategie zur
Förderung des Mittelstandes erforderlich. Tatsache ist,
dass die kleinen und mittleren Unternehmen unter einer
Flut verschiedener Förderprogramme ersticken, die vom
Wirtschaftsministerium und vom Forschungsministerium
unkoordiniert angeboten werden.
Bei den institutionell geförderten Forschungsorgani-
sationen gibt es ebenfalls massive Einschnitte. Frau
Bulmahn, noch im Juni haben Sie mit Bund und Ländern
Zuwachsraten zwischen 3 und 3,5 Prozent einvernehm-
lich vereinbart.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 817
Die Max-Planck-Gesellschaft muss gegenüber dem be-
schlossenen Wachstum nun ein Minus von 3,5 Prozent
verkraften. Die Tarifsteigerungen und die Inflationsrate
müssen auch noch ausgeglichen werden. Der Präsident,
Professor Gruss, hat bereits angekündigt, dass er wohl
20 Abteilungen, wenn nicht sogar ein ganzes Institut
schließen muss. Versprochen – gebrochen!
Großforschungseinrichtungen, die gerade dabei sind,
den von der Bundesregierung selbst vorgeschlagenen Re-
formprozess umzusetzen, sind von den Einsparungen
ebenfalls betroffen. Die Helmholtz-Gemeinschaft rech-
net mit notwendigen Einsparungen in Höhe von 25 bis
30 Millionen Euro. In der kommenden Woche will die
HGF die ersten positiv evaluierten Projektverbünde aus
der Programmsteuerung bewilligen. Betroffen sind insbe-
sondere Projekte in der Gesundheits-, Verkehrs- und Welt-
raumforschung. Es ist ein völlig falsches Signal, wenn ge-
rade bei diesen Projekten Einschnitte vorgenommen
werden. Die nur mühsam erreichte Akzeptanz der gesam-
ten Programmsteuerung wird damit konterkariert.
Die Fraunhofer-Gesellschaft erhält 2,3 Prozent weni-
ger als in diesem Jahr, obwohl sie das Heinrich-Hertz-In-
stitut mit zu finanzieren hat.
Der neue Präsident, Professor Bullinger, hat im Sommer
angemahnt, die versprochene Steigerung um 5 Prozent zu
realisieren. Auch hier gilt: Versprochen – gebrochen!
Auch die DFG muss mit dem gleichen Betrag auskom-
men, den sie 2002 zur Verfügung hatte. Das bedeutet Min-
derausgaben in Höhe von 43Millionen Euro, die aufgrund
von Tarifteuerungen eingespart werden müssen. Der
DFG-Präsident Winnacker hat gesagt, dass eine Reihe
von Sonderforschungsbereichen eingespart werden
müsse. Die Fertigstellung der Diplom- und Doktorarbei-
ten von 2 000 Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nach-
wuchswissenschaftlern ist mangels finanzieller Mittel un-
gewiss; sie werden wahrscheinlich nicht fertig gestellt.