Ich erteile der Kollegin Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-
ber Kollege Vaatz, wenn ausgerechnet Sie den naturnahen
Ausbau, die Pflege und den sorgfältigen Umgang mit der
Elbe als „verkommen“ beschreiben, stockt mir etwas der
Atem. Aber ich möchte ein Stück weit zu der Debatte
zurückkehren, die wir vorhin geführt haben; denn ich
meine, wir sollten bei der Ressortdebatte bleiben.
Ich muss als Erstes in Richtung von Herrn Paziorek
und Frau Homburger sowie zu Ihren beiden Fraktionen
sagen: Sie reden – mir fällt kein anderes Wort ein – mit ge-
spaltener Zunge.
Sie fordern als Fachpolitiker ständig mehr Geld für die
Umweltpolitik.
Ich habe vorhin genau zugehört, als Herr Merz und Herr
Austermann ihre Reden gehalten haben. Sie fordern prak-
tisch, dass wir sparen und gleichzeitig Steuergeschenke
machen sollen. Ich frage mich, wie das zusammenpassen
soll. Ich habe den Eindruck, dass Sie eine doppelbödige
Politik betreiben. Ihre Fachpolitiker fordern immer mehr
Geld, während Ihre Generalpolitiker uns klar machen
wollen, wie Umweltpolitik auch ohne mehr Geld betrie-
ben werden kann. Das passt doch nicht zusammen.
Ich möchte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen
kommen. Die Fachpolitiker wie Herr Paziorek und Frau
Homburger erklären uns – das ist wunderbar –, dass die
Umweltpolitik von Rot-Grün inhaltlich nicht perfekt sei.
Uns wird regelmäßig vorgeworfen, dass unsere Ökosteuer
nicht gut genug sei und dass die Energiewende nicht kon-
sequent genug betrieben werde. Das sind herrliche Sonn-
tagsreden. Aber wer steht dahinter? Ihre eigenen Fraktio-
nen stehen absolut nicht hinter dem, was Sie fordern. Sie
stimmen immer dagegen. In der letzten Legislaturperiode
sind praktisch alle unsere umwelt- und energiepolitischen
Initiativen – bei einigen haben Sie sich enthalten; nur we-
nigen haben Sie zugestimmt – von Ihren Fraktionen ab-
gelehnt worden. Im Prinzip sind Sie dagegen, obwohl
Herr Stoiber während des Wahlkampfes die Umweltpoli-
tik zur Chefsache erklärt hat. Wir wissen aber bisher ei-
gentlich nicht, ob Ihr Chef überhaupt etwas von Umwelt-
und Energiepolitik versteht; denn er hat sich bis heute
dazu nicht geäußert. Ihre Fadenscheinigkeit, die dadurch
offenbar wird, dass Sie Fachpolitiker vorschicken, sich
aber bei den eigentlich wichtigen Themen nicht engagie-
ren, halte ich für skandalös.
Die eigentliche Politik Ihrer Fraktion bedeutet nichts
anderes, als auf das Anspringen der Konjunktur zu war-
ten, gegen die Ökosteuer zu polemisieren und sich für de-
ren Abschaffung zu engagieren, obwohl Sie nicht wissen,
wie Sie die Sozialversicherungsbeiträge, insbesondere die
zur Rentenversicherung, finanzieren wollen. Gleichzeitig
fordern Sie die Senkung der Lohnnebenkosten. Des Wei-
teren wollen Sie mit der Einführung von Instrumenten zur
ökologischen Lenkung so lange warten, bis auch der
Letzte im europäischen Geleitzug mitmacht. Das alles
passt nicht zusammen. Wo sind eigentlich Ihre Vorschläge
für eine andere, aber machbare Umwelt- und Energie-
politik? Ich kenne sie bis heute nicht.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002 795
Sie sagen nichts dazu, und das in Zeiten, in denen Um-
weltkatastrophen in zunehmendem Maße auf uns zu-
kommen bzw. schon da sind. Die Lage ist wirklich dra-
matisch. Ich muss nur auf die Schiffs- und Ölkatastrophe,
die sich momentan vor Galizien abspielt, auf die Elbkata-
strophe, auf die Überschwemmungen in Oberitalien so-
wie auf die Erdrutsche und Muren in den Alpen verwei-
sen. Angesichts dessen wird die Umweltpolitik immer
wichtiger. Ich fordere deshalb die Opposition auf, an die-
ser Stelle endlich konstruktiv zu werden und als Erstes
wenigstens das anzuerkennen, was wir seit vier Jahren mit
großem Engagement gemacht haben und was wir mit
großer Entschlossenheit in den kommenden vier Jahren
vorantreiben werden, und zwar mit oder ohne Ihre Zu-
stimmung.
Eines ist klar: Wir haben Deutschland im Bereich des
Umweltschutzes weltweit zum Reformmotor gemacht.
Deutschland ist hier kein Schlusslicht, sondern Spitzen-
reiter beim Klimaschutz, bei der Energiewende und beim
Atomausstieg. Ich möchte in diesem Zusammenhang
noch einen Satz zu Ihnen, Herr Paziorek, sagen. Sie haben
sich beschwert, die Standorterkundungsverfahren würden
ja erst 2006 fortgesetzt werden.
Ich kann dazu nur sagen: Das stimmt nicht. Wir erarbei-
ten die Kriterien und werden ab 2003 – das ist nicht mehr
lang hin – in einen konstruktiven Dialog mit der Bevöl-
kerung über die Kriterien eintreten.
– Natürlich machen wir das zuerst ganz allgemein. Wir
werden es nicht wie Sie machen, nämlich auf autoritäre
Art und Weise einen Standort bestimmen und sich dann
wundern, wenn die Bevölkerung auf die Barrikaden geht.
Wir machen daraus ein transparentes und demokratisches
Verfahren.
Wir wissen sehr wohl, dass das ein schwieriger Prozess
ist. Aber Ihre Politik, wie Sie sie bei Gorleben und
Schacht Konrad betrieben haben, entspricht nicht unserer
Herangehensweise. Wir sind sehr froh, dass wir bei der
Lösung solcher Probleme mit der Bevölkerung anders
umgehen, als Sie meinen, dass wir es tun sollten.
Ich nenne noch andere Themen wie die Kraft-Wärme-
Kopplung, Energieeinsparung und Energieeffizienz,
nachwachsende Rohstoffe, Ökolandbau, gesunde Nah-
rungsmittel sowie die Verknüpfung von Landschafts- und
Naturschutz mit sanftem Tourismus und mit der Land-
wirtschaft in ganz neuer Form. All das haben wir auf den
Weg gebracht. Wir haben für eine Verbindung von Um-
weltschutz und Klimaschutz mit einer veränderten
Form der Wirtschaftspolitik gesorgt, die nicht die Um-
weltpolitik separiert, sondern Umwelt und Wirtschaft,
Umwelt und Arbeit sowie – last, not least – Umwelt und
Gesundheit konstruktiv zusammenführt.
Wir sind fest davon überzeugt: Mit dieser Form der
Modernisierung von Gesellschaft und Wirtschaft integrie-
ren wir die Umweltfragen in die anderen Ressorts. Damit
betreiben wir intelligente Politik und nicht einfach nur Po-
litik mit Geld, so wie Sie das ständig meinen machen
zu müssen. Wir integrieren Umweltpolitik in die Wirt-
schaftspolitik, in die Agrar- und Verbraucherschutzpoli-
tik, in das Bau- und Verkehrsressort und last, not least mit
unserer Strategie für Nachhaltigkeit auch in das Kanzler-
amt. Kommen Sie erst einmal dahin, nicht nur einzelne
Fachpolitiker vorzuschicken, sondern das Thema in Ihren
Fraktionen zu verankern. Das wünsche ich Ihnen.