Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! „Der Staat muss sicherstellen, dass jeder einen
seiner Leistungsfähigkeit entsprechenden Beitrag im
Rahmen einer gerechten und sinnvollen Besteuerung des
Einkommens aus Arbeit und Vermögen leistet.“ Das ha-
ben wir in unserem Wahlprogramm verkündet und daran
halten wir uns.
Wir haben in unserem Wahlprogramm auch angekün-
digt, dass wir Subventionen abbauen werden. Wir haben
immer gesagt, dass wir die Politik der Haushaltskonsoli-
dierung und der Entlastung der Bürger mit dem Abbau
von Sonderregelungen und Subventionen kombinieren
wollen. Darüber bestand nie ein Zweifel.
Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass uns das, was
wir jetzt mit dem Gesetzesvorhaben, das heute einge-
bracht wird, tun, Ihren Vorwurf, wir hätten die Wähler
getäuscht, einbringen kann. Wir haben nur das umgesetzt,
was wir während des Wahlkampfes angekündigt haben.
Die Bürger haben sich damit auch auseinander gesetzt.
Sie haben mehrheitlich diesen Weg gewählt. Das darf man
nicht beiseite schieben.
Dass es Sie ärgert, dass Sie mit Ihren Sprüchen nicht
durchgekommen sind, kann ich zwar verstehen, aber
trotzdem liegen Sie mit Ihrem Vorwurf, wir hätten ir-
gendjemanden getäuscht, völlig daneben.
Ich erinnere, was Herr Stoiber am 29. August während
der Debatte über die Entschädigung der Hochwasserge-
schädigten im Deutschen Bundestag angekündigt hat. Er
hat gesagt: Warum sollten wir die Entlastung der Bürger
um ein Jahr verschieben und die Stufe der Steuerreform,
die für 2003 vorgesehen war, auf 2004 verlegen? Das
könne man doch alles auch durch die Anhebung der
Verschuldung machen. Er hat dann den sagenhaften Satz
gesprochen:
Denn höhere Zinsen sind ein kleineres Übel als
höhere Steuern.
Das war das Konzept der Union und ich habe von Ihnen,
Herr Austermann, damals keinen Widerspruch dagegen
gehört.
Den Weg in die Verschuldung, den Ausweg, neue
Schulden zu machen, den Sie immer gewählt haben, so-
bald es schwierig wurde, den gehen wir nicht mit.
An diesem Konzept – Hans Eichel hat das immer die bei-
den Leitplanken genannt –, Haushaltskonsolidierung und
Entlastung der Bürger, aber auch Durchsetzung des Steu-
eranspruchs des Staates sowie – das muss man in einer
solchen konjunkturellen Situation allerdings tun – vo-
rübergehendes Wirkenlassen der automatischen Stabilisa-
toren, halten wir fest. Deswegen nehmen wir hin, dass die
Bartholomäus Kalb
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Jörg-Otto Spiller
Neuverschuldung in diesem Jahr höher sein wird, als ur-
sprünglich geplant.
Da Sie systematisch versuchen, die Bürger zu täu-
schen, möchte ich jetzt noch einmal darlegen, wie sich die
steuerliche Belastung für Normalbürger in Deutsch-
land selbst unter Einschluss der Sozialabgaben wirklich
entwickelt hat. Jeder, der vergleicht, wie es ihm 1998 er-
gangen ist und wie es ihm heute, 2002, geht,
kann daraus seine Schlüsse ziehen. Ich nehme als Beispiel
einen verheirateten Arbeitnehmer mit zwei Kindern. Dem
verblieben von seinem Bruttoeinkommen von 5 000 DM
im Jahre 1998 77,3 Prozent netto. Wenn man das in Euro
umrechnet,
um in das heutige Schema zu kommen, dann war es im
Jahre 1998 ein Bruttoeinkommen von 2 514 Euro, von
dem 1 944 Euro, 77,3 Prozent, verblieben. In diesem Jahr,
2002, hat der gleiche Arbeitnehmer unter Einbeziehung
der durchschnittlichen tariflichen Steigerungen
ein Bruttoeinkommen von 2 751 Euro, von dem ihm
2248 Euro, 81,7 Prozent, netto verbleiben.
Im Jahre 1998 blieben einem durchschnittlichen Arbeit-
nehmerhaushalt mit zwei Kindern also 77,3 Prozent netto
und im Jahre 2002 bei uns 81,7 Prozent.
Das haben die Leute wahrgenommen und Ihnen deswegen
kein Vertrauen geschenkt.
Was in dem Gesetzentwurf, der heute zur Debatte steht,
im Kern angekündigt wird, ist nicht eine Erhöhung von
Steuern,
sondern es ist die Anwendung des Rechts, die Durchset-
zung des Rechts.
– „Steuerterror“, sagt Herr Austermann.
Ich sage Ihnen einmal, was er damit meinen muss: Im
Jahre 2001 war das Aufkommen der Körperschaft-
steuer gleich null und das Gleiche gilt für das erste Halb-
jahr 2002,
obwohl die Erträge der Unternehmen insgesamt solide
waren. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir
Gestaltungsmöglichkeiten der Unternehmen einschrän-
ken, beispielsweise über Organschaften oder über den so
genannten Mantelkauf, bei dem Verluste einer anderen
Gesellschaft eingekauft werden, um eigene Gewinne vor
dem Finanzamt verschwinden zu lassen. Damit werden
wir erreichen, dass Unternehmen, die Gewinne machen,
auch Steuern zahlen.
– Dass Sie besonders naiv sind, weiß ich ja, aber Sie soll-
ten damit nicht den Betrieb des Deutschen Bundestages
aufhalten.
Dass sich ein Unternehmen vor dem Finanzamt sozu-
sagen arm rechnen kann, indem es Verluste aus früheren
Geschäftsjahren so in den Jahresabschluss des laufenden
Geschäftsjahres einbringt, dass nie eine Steuerpflicht ent-
steht, ist eine Manipulation, die man auf Dauer nicht hin-
nehmen kann. Deswegen schlagen wir vor, dass es eine
Mindestbesteuerung des Gewinns gibt und der Verlust-
vortrag
gestreckt wird.
– Lachen Sie nur. Das Schöne ist nämlich, dass die Fi-
nanzminister auch Ihrer Landesregierungen das
sehr interessant finden.
Wir haben einen zweiten Bereich im Gesetzentwurf:
die Mehrwertsteuer. Seit eh und je gilt der Grundsatz:
Den ermäßigten Mehrwertsteuersatz gibt es für Nah-
rungsmittel, für Verlagserzeugnisse und für den öffentli-
chen Personennahverkehr.
Bei einigen Dingen fragt man sich: Warum eigentlich?
Herr Eichel hat vorhin gefragt, warum beispielsweise Ba-
bywindeln mit dem vollen Mehrwertsteuersatz
und Schnittblumen mit dem halben Mehrwertsteuersatz
belegt werden. Sie müssten sich einmal erkundigen – ich
weiß nicht, ob Sie mit ihm noch reden –, wie Herr Uldall
das sieht. Der Grundsatz, dass man Steuern nicht durch
alle möglichen Sonderregelungen durchlöchert, schien in
diesem Hause eigentlich mehrheitsfähig zu sein. Aber ich
bemerke, es trifft nicht zu, dass alle Fraktionen dahinter-
stehen. Sie sind weiterhin dafür, dass man viele Ausnah-
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men und Sonderregelungen einführt, je nachdem, wie es
passt.
Kommen wir zum Bereich der direkten Subventionen.
Wir haben immer gesagt, wir werden Subventionen auf
den Prüfstand stellen. Und das muss auch regelmäßig ge-
schehen.
Subventionen haben normalerweise für eine gewisse Zeit
ihre Berechtigung; aber dann gehören sie auf den Prüf-
stand.
Ein Beispiel dafür ist die Eigenheimzulage. Natürlich
ist es vernünftig, auch den Bau von Eigenheimen zu för-
dern. Aber das muss doch nicht heißen, dass man auf
Dauer, unabhängig von der Wohnungsmarktlage, unab-
hängig auch von den öffentlichen Kassen festlegt: Die Ge-
samtheit der Bürger verschuldet sich etwas mehr, damit
sich Häuslebauer nicht so stark verschulden müssen.
Dafür braucht man jeweils eine Begründung. Wir haben
uns entschieden, wir konzentrieren Eigenheimförderung
auf Familien mit Kindern. Das ist voll gerechtfertigt.
Es gibt noch einige solche Bereiche im Einkommen-
steuerrecht. Einer ist von einem Ihrer Redner genannt
worden: Firmenwagen.Als wäre es etwas besonders Ver-
werfliches, sich über die Besteuerung der privaten Nut-
zung von Firmenwagen zu unterhalten! Es geht um die
Besteuerung nur der privaten Nutzung eines Firmenwa-
gens.
Ich mache die derzeitige Regelung an einem Beispiel
deutlich. Ein Arbeitnehmer hat von seiner Firma
einen komfortablen Mittelklassewagen im Wert von
30 000 Euro zur Verfügung gestellt bekommen, den er un-
entgeltlich auch privat nutzen darf. Heute hat er monatlich
1 Prozent davon – das sind 300 Euro – als geldwerten Vor-
teil zu versteuern. Bei einem Grenzsteuersatz von 40 Pro-
zent – unterstellen wir einmal, es ist jemand, der ein bes-
seres Einkommen hat – heißt das, dass er 120 Euro im
Monat für einen komfortablen Mittelklassewagen zahlt,
der ihm voll zur Verfügung steht.
Jetzt vergleichen Sie dies einmal mit dem, was jemand
aus einem versteuerten Einkommen für ein gleichwerti-
ges Auto für private Zwecke aufwenden muss.
Das ist wesentlich mehr. Wenn wir diese Steuer also um
50 Prozent von 120 Euro auf 180 Euro anheben, ist das
immer noch eine wesentlich günstigere Behandlung, als
wenn das entsprechende Bruttoentgelt direkt als Arbeits-
einkommen ausgezahlt würde.
Letzter Punkt: Besteuerung von
Kapitalerträgen und Veräußerungsgewinnen. In
Deutschland besteht seit eh und je eine Steuerpflicht für
Kapitalerträge.
Es besteht auch seit langem eine Steuerpflicht für Ver-
äußerungsgewinne, die innerhalb gewisser Fristen erzielt
werden. Es besteht bloß ein deutlicher Mangel
bei der Durchsetzung des Rechts.
In Amerika ist es seit eh und je gang und gäbe,
dass Kapitalerträge steuerpflichtig sind. Auch findet kein
US-Bürger etwas Negatives daran, dass dem Finanzamt
mitgeteilt wird: Dies ist ein erfolgreicher Mensch, er hat
auch Kapitalerträge.
Vorhin hat Herr Solms gesagt, hiermit wäre ein uner-
träglicher Aufwand verbunden. Merkwürdigerweise geht
dies in Amerika schon seit langem hervorragend. Ich habe
auch noch nie gehört, dass die Kapitalmärkte in den USA
besonders schwach wären
und dass es dort überhaupt nicht funktioniert, dass bei-
spielsweise Kapital nicht einer produktiven Verwendung
zugeführt wird. Es funktioniert dort.
Den Einwand, der dann kommt, nämlich sie hätten an-
geblich – bei näherer Betrachtung ist dies so deutlich
nicht – eine niedrigere Gesamtsteuerbelastung, kann man
auch umdrehen: Professor Kirchhof argumentiert völlig
zu Recht, unsere Steuern seien in Deutschland auch des-
wegen höher als in Amerika, weil Kapitalerträge nicht
oder zumindest nicht zuverlässig erfasst würden.
Viele Bürger nehmen schon heute die Erträgnisaufstel-
lung ihrer Bank als Serviceleistung in Anspruch, wenn sie
ihre Steuererklärung machen. Die Masse der Bürger ist
steuerehrlich und gibt dies auch beim Finanzamt an, ohne
dass sich irgendjemand kontrolliert fühlt, wenn die Bank
eine Erträgnisaufstellung macht.
Es gibt aber eben auch Bürger, die nicht steuerehrlich
sind. Vor die stellen Sie sich, Herr Austermann
Jörg-Otto Spiller
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 3. Dezember 2002
Jörg-Otto Spiller
und Herr Solms. Auf die Spitze getrieben hat dies Herr
Gerhardt. Herr Gerhardt, der Fraktionsvorsitzende der
FDP, hat sich nicht geschämt, in einer Diskussion zu er-
klären, er unterstütze den Vorschlag, Finanzbeamte mit
Telefonterror zu belästigen, um damit die Finanzverwal-
tung lahm zu legen. Herr Gerhardt sagte weiter: Zitat
Die Lahmlegung eines Finanzamtes ist der schönste
zivile Protest, den ich mir vorstellen kann.