Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir über Arbeitsmarktpolitik reden, dann reden wir
über vier Millionen Arbeitslose und noch viel mehr
betroffene Menschen. Ich sage das den Statistikern. Ich
wiederhole: Es geht in dieser Debatte um Menschen und
Menschenrechte.
Wenn Minister Clement meint, wir hätten keinen
Grund zur Schwarzmalerei, dann halte ich dagegen: Wir
haben keinen Grund zur Hartz-Prahlerei, wie wir sie seit
gestern früh pausenlos hören.
Nun habe ich wohl vernommen, was gestern in der Re-
gierungserklärung dazu gesagt wurde:
Mit den Vorschlägen der Hartz-Kommission ist es
gelungen, ... ein schlüssiges Gesamtkonzept vorzu-
legen. Diese Vorschläge, die wir ohne Abstriche um-
setzen, werden die größte Arbeitsmarktreform seit
Bestehen der Bundesrepublik bewirken.
Wahrlich große Worte. Aber reden wir konkret über die
Hartz-Vorschläge. Im September waren 290 000 Berline-
rinnen und Berliner ohne Arbeit. Dem standen in der
Hauptstadt 9 000 offene Stellen gegenüber. Bislang
konnte mir niemand schlüssig erklären, wie 290 000 Ar-
beitslose effektiver in 9 000 offene Stellen zu vermitteln
sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich war im Französi-
schen Dom dabei, als die Hartz-Vorschläge als das Non-
plusultra feilgeboten wurden. Nur einer fiel damals aus
dem feierlichen Rahmen: der Arbeitsminister von Meck-
lenburg-Vorpommern. Er stellte eine ganz simple Frage,
nämlich was das viel gelobte Konzept im Osten bewirken
solle oder könne. Die Antwort: Wir sind im Jahr zwölf der
Vereinigung. Er, Holter, möge endlich sein Ostdenken ab-
legen. Ich kommentiere das jetzt nicht. Aber ich empfehle
Ihnen, Herr Bundesminister Clement, und auch Ihnen,
Herr Ostminister Stolpe: Konsultieren Sie die PDS-Ar-
beitsminister in Berlin und Schwerin. Herr Wolf und Herr
Holter arbeiten intensiv daran, Ansätze aus dem Hartz-
Konzept auch im Osten lebenstauglich zu machen.
Das eigentlich Neue am so genannten Arbeitsmarkt be-
steht darin, dass es Vollbeschäftigung im herkömmlichen
Sinne nie mehr geben wird. Ergo brauchen wir neue Ant-
worten. Rot-Grün gibt diese Antworten leider nicht. Dabei
gibt es durchaus bereits diskutierte und anerkannte neue
Ansätze. Ich kann an dieser Stelle nur einige Stichworte
nennen: öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, exis-
tenzsichernde Grundsicherung, drastische Arbeitszeitver-
kürzung sowie eine wirkliche Steuer- und Sozialreform.
Ein derart neues Denken vermisse ich bei Rot-Grün.
Von Schwarz-Gelb habe ich es im Übrigen gar nicht erst
erwartet.
Deshalb fragen Sie bitte nicht, Herr Bundeskanzler, was
ich für den Staat tun kann. Fragen Sie mich besser, was Sie
für die Gesellschaft tun können! Ich sage es Ihnen gerne.