Rede:
ID1500402900

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 8
    1. Das: 1
    2. Wort: 1
    3. hat: 1
    4. der: 1
    5. Kollege: 1
    6. Gernot: 1
    7. Erler,: 1
    8. SPD-Fraktion.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache . . . . . 51 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 51 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 61 B Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 74 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 77 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 81 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 81 D Ernst Bahr (Neuruppin) SPD . . . . . . . . . . . . . 82 B Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 93 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 97 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 102 A Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . . . . . . . 104 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 A Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 111 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 113 C Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 115 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 115 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 117 A Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 122 C Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 123 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . . 124 D Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 125 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 127 D Dr. Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . 130 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 131 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 D Jerzy Montag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 136 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . 137 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 139 D Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 146 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 147 B Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 150 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 151 B Plenarprotokoll 15/4 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 I n h a l t : Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 154 C Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 155 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 157 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 158 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 164 D Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 166 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 171 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 51 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 Beginn: 10.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (A) (B) (C) (D) 170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 171 (C)(A) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 29.10.2002 Marieluise DIE GRÜNEN van Essen, Jörg FDP 29.10.2002 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.10.2002 Meyer (Tapfheim), CDU/CSU 29.10.2002 Doris Möllemann, Jürgen W. FDP 29.10.2002 Niebel, Dirk FDP 29.10.2002 Nolting, Günther FDP 29.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 29.10.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 29.10.2002 Violka, Simone SPD 29.10.2002 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Wolfgang Schäuble


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

    Herr Bundesaußenminister, Sie sind geübt, wenn es da-
    rum geht, von den eigentlichen Problemen abzulenken.


    (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Und sonst haben Sie keine Antwort?)


    – Darauf komme ich noch zu sprechen. Lassen Sie mich
    wenigstens zwei Sätze im Zusammenhang sagen, bevor
    Sie dazwischenrufen.

    Das eigentliche Problem ist doch nicht, dass man nicht
    darüber reden kann, welches die angemessene Antwort
    auf die terroristische Bedrohung ist, dass man mit den
    Vereinigten Staaten von Amerika nicht darüber reden
    kann, welches die richtige Politik ist, und dass es unter-
    schiedliche Meinungen gibt. Sie entwerfen ja ein Zerrbild
    von den Vereinigten Staaten von Amerika. Das eigentliche
    Problem der letzten Monate ist doch vielmehr Folgendes
    gewesen – ich lese Ihnen einmal vor, was Kleine-
    Brockhoff und Thumann in der Ausgabe der „Zeit“, die in
    der Woche nach der Bundestagswahl erschienen ist, unter
    der Überschrift „Das Gift der Gerd-Show“ geschrieben ha-
    ben; die Autoren sind auch sicherlich keine Kettenhunde –:

    Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepu-
    blik hat eine große Volkspartei Wahlkampf mit ker-
    nig antiamerikanischen Parolen geführt. Zum ersten
    Mal seit 1945 hat ein Bundeskanzler amerikanische
    Politiker angegriffen und dafür auf den Marktplätzen
    tosenden Beifall erhalten. Zum ersten Mal hat eine
    deutsche Ministerin den amerikanischen Präsidenten
    – wie verklausuliert auch immer – mit Adolf Hitler
    verglichen.

    Das ist das Problem gewesen.

    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Es geht auch nicht um die Frage, ob der Irak die rich-
    tige Priorität ist. Darüber kann man diskutieren. Das Pro-
    blem ist vielmehr, dass wir, wenn wir den Gefahren des
    21. Jahrhunderts, denen wir durch neue Formen der Be-
    drohung ausgesetzt sind – asymmetrische Kriegs-
    führung und Terrorismus klingen in meinen Ohren wie
    eine halbe Privatveranstaltung; die asymmetrische

    Kriegsführung ist angesichts der Tatsache, dass sich alles
    miteinander vermischt, viel komplizierter geworden –,
    begegnen wollen, unsere Bemühungen um die interna-
    tionale Solidarität, und zwar sowohl um die atlantische
    als auch um die europäische, verstärken müssen. Darauf
    sind wir auf Gedeih und Verderb angewiesen. Deswegen
    geht es nicht um Meinungsfreiheit – die braucht man
    gegenüber den Amerikanern nicht zu verteidigen –, son-
    dern um europäische Geschlossenheit, atlantische Soli-
    darität und die Handlungsfähigkeit der Vereinten Natio-
    nen. Diese haben Sie schwer geschädigt und das war der
    Fehler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Daran können Sie nicht vorbeireden.

    In vielem sind wir ja gar nicht unterschiedlicher Mei-
    nung. Über die Einzelheiten wird man in den kommen-
    den Jahren weiter diskutieren. In den Diskussionen wird
    es darum gehen, wie wir ein großes und starkes, ein
    handlungsfähiges, ein effizienteres Europa zustande
    bringen, wie wir die Rolle Europas in globaler Verant-
    wortung, in atlantischer Partnerschaft stärken, sodass
    europäisches Engagement keine Alternative zu atlanti-
    scher Solidarität ist, weil wir die atlantische Partner-
    schaft nur wirkungskräftig erhalten werden, wenn das
    Ungleichgewicht zwischen dem amerikanischen Teil
    und dem europäischen Teil nicht immer größer wird,
    wenn die Europäer einen stärkeren Beitrag leisten, mehr
    mit einer Stimme sprechen, mehr Fähigkeiten haben.
    Das alles ist richtig. Aber in den letzten Monaten haben
    Sie Europa in der entscheidenden Frage handlungsun-
    fähig gemacht, indem Sie Europa durch Ihren Allein-
    gang blockiert haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Es geht nicht um unterschiedliche Meinungen. Die Christ-
    lich-Demokratische Union, CDU und CSU haben in die-
    sem Wahlkampf vom ersten Tag an gesagt: Wir treten
    dafür ein – das ist nicht die Position aller Amerikaner –,
    dass wir nur auf der Grundlage von Beschlüssen der Ver-
    einten Nationen und nur im Rahmen von Beschlüssen der
    Vereinten Nationen handeln. Aber Sie haben gesagt: Was
    immer auch die Vereinten Nationen beschließen, wir je-
    denfalls werden uns nicht beteiligen.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Da liegt der Kern!)


    Das war der Alleingang, die Isolierung Deutschlands, und
    das war ein Fehler.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Dafür zahlen wir einen erheblichen Preis.

    Zunächst einmal haben Sie im Wahlkampf natürlich
    Ihre eigenen Anhänger getäuscht. Wir werden das noch
    sehen, Fortsetzung folgt in diesem Theater. Das Mandat
    Enduring Freedom wird zum 15. November verlängert
    werden müssen. Dann wird Ihr Verharmlosungsmanöver,
    für das es sehr gute Gründe gibt, aber man muss es so nen-
    nen, deutlich werden. Es täuscht die Menschen in unse-
    rem Lande über den Ernst der Lage. Wenn Sie von Af-
    ghanistan reden, sprechen Sie immer nur von dem
    Beitrag, den die Bundeswehr aufgrund der Beschlüsse,

    Bundesminister Joseph Fischer




    Dr. Wolfgang Schäuble
    die auf dem Petersberg gefasst wurden, leistet. Sie reden
    überhaupt nicht über den Beitrag, den die Soldaten der
    Bundeswehr – KSK heißt die Einheit – im Rahmen des
    Mandats von Enduring Freedom leisten. Sie tun so, als
    wären Sicherheitspolitik und Kampf gegen den Terroris-
    mus nur eine Art von Friedensarbeit und polizeilicher
    Tätigkeit. Nein, es ist ein hochgefährlicher Beitrag, den
    die Soldaten der Bundeswehr leisten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Das muss ausgesprochen werden, sonst wird der Dank un-
    ehrlich. Wir unterstützen den Dank und haben großen
    Respekt, aber wir sind dagegen, die Bevölkerung über die
    wirkliche Bedrohung und die wirklichen Gefahren zu täu-
    schen.


    (Joseph Fischer, Bundesminister: Wer macht denn das?)


    Mit dem, was Sie zum Problem Tschetschenien gesagt
    haben, stimmen wir weitgehend überein. Das ist ja über-
    haupt in vielem so, Herr Bundesaußenminister. Sie haben
    die lange Linie der Kontinuität deutscher Außen- und Si-
    cherheitspolitik erwähnt, die von Konrad Adenauer bis
    Helmut Kohl gut gewesen ist. Wir haben Sie in der ver-
    gangenen Legislaturperiode in den Grundfragen von
    Außen- und Sicherheitspolitik mehr unterstützt als die
    Regierungsparteien. Sie konnten sich auf die Opposition
    eher verlassen als auf Ihre eigenen Reihen. Das ist doch
    die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Aber Sie haben diese Gemeinsamkeit im Wahlkampf ein-
    seitig verraten. Auch das ist die Wahrheit. Wenn Sie zu
    dieser Gemeinsamkeit zurückkehren, werden wir unsere
    Verantwortung weiterhin wahrnehmen. Aber es bleibt da-
    bei, dass Sie aus reinen Wahlkampfinteressen die Grund-
    linien, die Verantwortung, die Kontinuität deutscher
    Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Wahlkampf ver-
    raten haben. Dafür zahlen wir einen hohen Preis.

    Zum Thema Tschetschenien gehört für mich schon,
    dass man sagt: Es braucht politische Lösungen und Russ-
    land muss auf dem Weg zum Westen und zur Demokratie
    diese Anforderungen für sich gelten lassen. Man muss
    übrigens hinzufügen: Solch schreckliche Erfahrungen wie
    die der letzten Tage machen uns im Westen gelegentlich
    ein bisschen weniger selbstsicher. Wir müssen vielleicht
    erkennen, dass wir Fragen, die wir bei Problemen an an-
    dere stellen, gelegentlich mit den Augen anderer sehen
    und auch für uns gelten lassen müssen. Wir brauchen also
    in jedem Fall politische Lösungen und repressive Maß-
    nahmen zugleich.

    Das andere muss aber auch klar sein: Was immer die
    politischen Konflikte auf dieser Welt sein mögen, es geht
    nicht an, dass unschuldige unbeteiligte Menschen, ob im
    World Trade Center in New York oder im Theater in Mos-
    kau, von irgendwelchen Irregeleiteten getötet oder als
    Geiseln genommen werden. Die Welt muss zusammen-
    stehen, um so etwas zu unterbinden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Da darf es keine Alleingänge geben; denn damit
    schwächen wir die internationale Gemeinschaft, die Ge-
    meinschaft der zivilisierten Welt. Da lag Ihr Fehler.


    (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wo denn?)

    – Sie schwächen die Vereinten Nationen, wenn Sie sagen:
    Was immer auch der Sicherheitsrat der Vereinten Natio-
    nen beschließt – wir machen jedenfalls nicht mit. Der
    deutsche Weg, von dem der Außenminister jetzt nach der
    Wahl sagt „Vergessen Sie es!“ – vor der Wahl hat der Bun-
    deskanzler den deutschen Weg gepredigt –, ist nichts an-
    deres als das Wiederaufleben des alten „Ohne mich“-
    Standpunkts aus der Frühzeit der Bundesrepublik
    Deutschland.


    (Uta Zapf [SPD]: Wenn man das für falsch hält, ist es auch vernünftig, „ohne mich“ zu sagen!)


    Sie haben gefährliche Ressentiments angesprochen, Herr
    Bundeskanzler. Sie werden dafür einen hohen Preis be-
    zahlen. Die Geister, die man ruft, wird man oft nicht wie-
    der los. Das ist nicht nur beim „Zauberlehrling“ so.


    (Zuruf von der SPD)

    – Wir werden sehen. Der Herr stellvertretende Fraktions-
    vorsitzende Ströbele hat in der vergangenen Woche schon
    in einer bemerkenswerten Weise zwischen den einzelnen
    Bundeswehreinsätzen unterschieden. All das wird uns be-
    gleiten.

    Ich will Ihnen zu dem Thema Türkei Folgendes sagen:
    Wir haben schon den Verdacht, dass die Veränderung der
    Position, was die Mitgliedschaft der Türkei anbetrifft
    – das klang in den Äußerungen des Bundeskanzlers vor
    der Wahl ganz anders als in der letzten Woche –, ein Teil
    des Preises ist, den man bezahlen muss. Ich will Ihnen
    deshalb sagen, was unsere Meinung in Sachen Türkei war
    und noch immer ist.

    Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Türkei
    untrennbarer Bestandteil des Westens bleibt.


    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist klar!)


    – Natürlich, Frau Roth; da ist überhaupt kein Unterschied;
    ich stelle gerade unsere Position dar. Dass die Türkei in ei-
    ner möglichst engen Beziehung zu Europa bleiben soll, ist
    völlig unstreitig.

    Unsere Vorstellung von dem, was die Europäische
    Union ist und noch werden soll, ist die einer handlungs-
    fähigen politischen Einheit auf der Grundlage gemeinsa-
    mer Identität; denn freiheitliche Organisation bekommt
    man nicht ohne eine hinreichende Grundlage an Identität,
    Zusammengehörigkeit und gemeinsamen Werten. Unsere
    Vorstellung von der Europäischen Union – dazu gibt es
    unterschiedliche Meinungen in Deutschland und auch un-
    ter unseren Partnern in Europa – ist die einer politischen
    Identität der Europäischen Union.


    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine auch!)


    Das heißt dann aber auch, dass man genauer prüfen
    muss, ob diese Europäische Union nicht auch Grenzen
    braucht, ob man für solche Länder, die zum Teil zu Europa


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    98


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    gehören, zum Teil aber eben auch nicht – Russland ist ein
    solches Land; Sie haben mich ausgelacht, als ich vor ein
    paar Jahren die Parallele gezogen habe; heute lacht nie-
    mand mehr –, in deren Interesse – auch die Türkei braucht
    ihre eigene Identität für ihre Stabilität und ihre Zukunfts-
    chancen – nicht besser eigene Formen der Zugehörigkeit
    zu Europa vereinbart. – Das ist unsere Position. Das ist
    nicht Türzuschlagen, sondern das ist der bessere Weg.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Die Europäische Union und auch schon die Europä-
    ischen Gemeinschaften haben, wenn ich es richtig weiß,
    der Türkei seit 1964, also seit 38 Jahren – das waren nicht
    immer Sie, Herr Bundeskanzler Schröder, und Ihre Re-
    gierung; es waren auch schon andere –, die Perspektive
    einer vollen Mitgliedschaft in der Europäischen Union
    angeboten.


    (Zuruf von der SPD: Ludwig Erhard!)

    – Ja, 1964. So lang ist das her. – Deswegen sage ich: Die
    Lösung, von der ich rede, können wir nicht der Türkei
    oktroyieren. Wir sollten offen und ehrlich und im Hin-
    blick auf das gemeinsame Ziel mit der Türkei darüber
    sprechen, ob das nicht im gemeinsamen Interesse der bes-
    sere Weg ist. Das ist ehrlicher, als eine Debatte zu führen,
    bei der es im Grunde nur nach dem Motto geht: Jetzt ist
    die Bundesregierung dafür – in der Hoffnung, dass in Ko-
    penhagen genügend andere dagegen sein werden, damit
    nichts vorankommt. Die Türkei hat doch längst begriffen,
    dass ihr immer die Wurst hingehalten und dann wieder
    weggezogen wird. So darf man mit der Türkei nicht um-
    gehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Herr Bundeskanzler, ich glaube im Übrigen, dass über
    Ihre Regierungserklärung schon deswegen wenig zu sa-
    gen ist, weil sie wenig enthalten hat. Ich habe mir immer
    wieder die Frage gestellt: Was machen Sie aus diesem
    nichts sagenden Koalitionsvertrag in Ihrer heutigen
    Regierungserklärung? Sie sind mit Ihrer Regierungser-
    klärung wirklich noch unter dem Niveau des Koalitions-
    vertrages geblieben.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Es war wirklich nichtssagend.
    Was überhaupt gefehlt hat – ich glaube, das wird wich-

    tiger werden –, war, den Menschen in unserem Lande zu
    erklären, wie wichtig es ist, dass wir außenpolitische Ver-
    antwortung, außenpolitische Interessen, sicherheitspoliti-
    sche Interessen und Risiken ernst nehmen. Wenn wir den
    Menschen einreden: „Wir haben so viele Probleme, dass
    wir uns nicht auch noch um andere kümmern können;
    denn wir haben mit uns selbst schon genug zu tun“, dann
    werden wir die Reformkräfte in unserer Gesellschaft nicht
    stärken. Ein Volk, das zu Introvertiertheit neigt, weil es
    glaubt, es habe so viele eigene Sorgen, dass es sich nicht
    auch noch um die der anderen kümmern könne, und weil
    es glaubt, dass die Bedrohung nicht so groß werde, wenn
    es sich in der Nische verstecke, wird eher Besitzstände

    verteidigen. Wir müssen aber mehr Besitzstände auf den
    Prüfstand stellen.

    Ich hätte mir deshalb in Ihrer Regierungserklärung eine
    realistische Bedrohungsanalyse gewünscht. Ich hätte mir
    gewünscht, dass Sie darstellen, worin deutsche Interessen
    und deutsche Verantwortung eigentlich bestehen und was
    im Zusammenwirken zwischen Außenpolitik, Entwick-
    lungspolitik und Sicherheitspolitik notwendig ist, damit
    wir, unsere Kinder und unsere Enkel in sicherem Frieden
    leben können. Der jetzige Friede ist nämlich bedroht; der
    Terrorismus bedroht auch uns. Wir leisten nicht nur Soli-
    darität mit den Amerikanern – darauf weisen Sie zur Be-
    gründung von Enduring Freedom gelegentlich hin –, son-
    dern wir nehmen auch unsere eigenen Interessen, unsere
    eigene Verantwortung wahr. Das muss gesagt werden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Sie werden ganz schnell erkennen, dass die Art, wie Sie
    mit der Bundeswehr umgehen, völlig unverantwortlich
    ist.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Auch das will ich Ihnen schon an dieser Stelle sagen. Ver-
    ehrter Herr Struck, als Sie Verteidigungsminister wurden,
    haben Sie erst einmal nur Wahlkampf gemacht. Ihre Ver-
    antwortung als Verteidigungsminister haben Sie erst nach
    der Wahl entdeckt. Sie werden die Probleme der Bundes-
    wehr noch nicht einmal im Ansatz lösen können, wenn
    Sie den Weg fortsetzen, der Bundeswehr immer mehr
    Aufgaben aufzubürden, auch wenn Sie mittlerweile den
    Weizsäcker-Bericht, in dem von einer realistischen Be-
    drohungsanalyse die Rede war, entdeckt haben, was Sie
    zumindest verbal zum Ausdruck bringen.

    Ein Preis, den wir für Ihre antiamerikanischen Entglei-
    sungen zahlen müssen, ist, dass Sie das deutsche Engage-
    ment in der afghanischen Hauptstadt, in Kabul, durch
    Übernahme der Führung der internationalen Schutztruppe
    stärken wollen. Das würde uns noch teurer zu stehen kom-
    men. Es stellt sich übrigens die Frage, worin, was die Si-
    cherheit anbetrifft, die höchste Priorität besteht.

    Sie haben kein Wort zum NATO-Gipfel in Prag ge-
    sagt. Was ist eigentlich mit dem amerikanischen Vor-
    schlag im Hinblick auf eine schnelle Eingreiftruppe? Wol-
    len Sie Deutschland – Frau Merkel hat Sie das gefragt –
    auch auf dem NATO-Gipfel in die Isolierung führen? Was
    ist eigentlich mit der Umsetzung des richtigen Beschlus-
    ses von Helsinki? Ich denke an die europäische Sicher-
    heitskomponente und die 60 000 Mann. Für nichts ist die
    finanzielle Grundlage da.


    (Joseph Fischer, Bundesminister: Ist doch nicht wahr!)


    Jetzt wird der Bundeswehr die halbe Milliarde Euro schon
    wieder entzogen, die ihr aufgrund der Steuererhöhungen,
    die Sie nach dem 11. September 2001 beschlossen haben,
    zukommen sollten. So wird die Bundeswehr ihre Aufga-
    ben nicht erfüllen können. So werden wir unserer Verant-
    wortung gegenüber den Soldaten und gegenüber der Zu-
    kunft zu wenig gerecht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Dr. Wolfgang Schäuble




    Dr. Wolfgang Schäuble

    Sie haben von den Leitlinien der deutschen Außen-
    politik gesprochen. Wir haben diese Leitlinien in den Jah-
    ren, in denen wir in der Opposition waren, mitgetragen.
    Wir werden das auch weiterhin tun. Diese Regierung hat
    im Zweifel ohne jede Verantwortung und gewissenlos die
    Interessen der Bundesrepublik Deutschland den Wahl-
    kampfgesichtspunkten untergeordnet.


    (Zuruf von der SPD)

    – So war der Wahlkampf. Ich könnte Ihnen stundenlang
    entsprechende Zitate vorlesen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

    Wir werden die Alternative zu einer solchen Regierung

    sein, eine Alternative der Verlässlichkeit und der Bere-
    chenbarkeit. Wir haben in der Endphase der Regierung
    Schmidt gegen die Linke atlantisches Engagement und
    Solidarität vertreten. Die Menschen in unserem Lande
    und unsere Partner in der Welt können sich darauf verlas-
    sen, dass die CDU auch in der Endphase der Regierung
    Schröder die Alternative bleiben wird, die für Verlässlich-
    keit und Berechenbarkeit steht.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)




Rede von Dr. h.c. Susanne Kastner
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Das Wort hat der Kollege Gernot Erler, SPD-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Gernot Erler


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In-

    ternationale Politik ist nicht mehr etwas Fernes, von der
    Innenpolitik Abgetrenntes. Internationale Politik hat Aus-
    wirkungen auf unser Alltagsleben, sie dringt regelrecht in
    unsere Lebenswelt ein. Das haben wir mehr als bisher
    nach dem 11. September, bei den Vorgängen auf Djerba,
    in Bali und jetzt bei der Tragödie in Moskau erfahren.
    Dies hat uns gelehrt: Globalisierung spielt sich nicht nur
    auf den Finanzmärkten und in der Ökonomie ab; Globali-
    sierung heißt auch: Kein Konflikt auf dieser Welt ist mehr
    so fern, dass er uns unberührt lässt. Jeder Konflikt kommt
    in irgendeiner Weise bei uns an, kann unsere Sicherheit
    beeinträchtigen, kann uns sogar zu einem anderen Leben
    zwingen. Die Trennung von Innen- und Außenwelt wird
    tendenziell gegenstandslos. Sie hebt sich von allein auf.

    In den nächsten vier Jahren wird viel davon abhängen,
    ob wir in unserem Denken und Handeln mit dieser Ent-
    wicklung Schritt halten. Herr Kollege Schäuble, es tut mir
    Leid, dies sagen zu müssen: Mit dem Auskippen eines
    Zettelkastens, in dem nur die Schablonen des Wahlkampfs
    enthalten sind, werden Sie diesem Anspruch von Politik
    wirklich nicht gerecht.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Wir, die SPD-Bundestagsfraktion und die Koalition,
    werden uns der Aufgabe stellen, die Innovationsforderung
    über die Gesellschaftspolitik hinaus auch für die interna-
    tionale Politik zu stellen, und zeigen, dass wir dieser He-
    rausforderung gerecht werden. Hier fangen wir nicht bei
    Null an. In den letzten Jahren hat es in Europa bereits

    wichtige Lernprozesse gegeben. So wissen wir, dass Eu-
    ropa in der Praxis eine Gemeinsame Außen- und Sicher-
    heitspolitik braucht und auch Instrumente, sowohl zivile
    als auch militärische, um diese Politik umzusetzen.

    Mit Trauer und Zorn blicken wir darauf zurück, dass
    Europa nicht imstande war, in den der 90er-Jahren vier
    blutige Kriege auf europäischem Boden zu verhindern.
    Aber Europa hat die Kraft zu einer umfassenden Integra-
    tionsstrategie entwickelt: mit dem Instrument des Stabi-
    litätspakts für Südosteuropa und mit der Stabilisierungs-
    und Assoziierungsstrategie gegenüber den Ländern, die
    bisher nicht an dem europäischen Integrationsprozess
    teilgenommen haben. Im Fall Mazedoniens gelang
    schließlich erstmals die Verhinderung einer weiteren blu-
    tigen Katastrophe in unserer Nachbarschaft. Das war der
    Erfolg einer Präventionspolitik, die primär auf Diplo-
    matie, auf Verhandlungen, aber ohne Ausschluss einer Si-
    cherheitskomponente, setzte. Wir haben in der letzten
    Woche darüber gesprochen.

    Herr Kollege Schäuble, wenn ich Sie noch einmal an-
    sprechen darf: Ich habe, ehrlich gesagt, nicht begriffen,
    warum letzte Woche vier Kollegen aus Ihren Reihen mit
    Nein gestimmt und sich sechs der Stimme enthalten ha-
    ben, als es darum ging, diese wichtige und erfolgreiche
    Mission fortzusetzen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Mitten in den Erfolg einer regionalen Prävention, wie

    sie in Mazedonien stattgefunden hat, platzte dann der
    11. September 2001. Dies war ein Schock nicht nur we-
    gen der Zahl der Opfer, sondern auch, weil die bisherigen
    Antworten für diese Herausforderung neuer Dimensionen
    offensichtlich ungeeignet waren. So waren die 13 Monate
    nach dem 11. September ein neuer, schwieriger Lernpro-
    zess für uns alle. Ich behaupte, dass sich bei der Beant-
    wortung der Herausforderungen der Nach-September-
    Welt allmählich so etwas wie ein europäisches Modell
    für eine neue internationale Politik herausstellt, durch-
    aus in Parallele zu jenem europäischen Gesellschaftsmo-
    dell, von dem heute Vormittag der Bundeskanzler gespro-
    chen hat.

    Das Nachdenken über ein solches europäisches Modell
    ermöglicht uns auch eine bessere Einordnung bestimmter
    aktueller Dissenspunkte in der internationalen Politik. Ich
    bin sicher, hinter dem internationalen Ringen darüber, ob
    es richtig ist, jetzt mit militärischen Mitteln das Regime
    Saddam Hussein zu beseitigen, steckt mehr als eine un-
    terschiedliche Bewertung in einer Einzelfrage. Hier geht
    es letztlich um die Grundausrichtung der internationalen
    Politik in der Nach-September-Welt. Dabei gibt es viele
    transatlantische Gemeinsamkeiten – ich begrüße das –,
    aber eben auch einige besondere europäische Ansätze, für
    die wir werben und die es in unseren Augen wert sind, dis-
    kutiert zu werden. Ich sehe in diesem Zusammenhang
    fünf wichtige Komponenten des europäischen Modells:

    Als Erstes ist die Notwendigkeit der weiteren unmittel-
    barenVerfolgung derMitglieder von Terrornetzwerken
    zu nennen. Es hat hier ja Erfolge gegeben, auch militäri-
    sche. Wir müssen aber feststellen: Die Netzwerke sind im-
    mer noch handlungsfähig. Wichtige Führer wie Bin Laden
    und Mullah Omar sind immer noch nicht gefasst. Deswe-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    100


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    gen haben im europäischen Modell die Aufrechterhaltung
    und Stärkung der großen politischen Koalition gegen den
    Terrorismus höchste Priorität. Diese ist, Herr Schäuble,
    eben nicht nur eine transatlantische Veranstaltung, son-
    dern bezieht ihre Wirksamkeit gerade daraus, dass die
    große Mehrheit der arabischen und moslemisch geprägten
    Staaten daran teilnimmt.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es ist notwendig, die Arbeitsfähigkeit dieser großen Koa-
    lition zu erhalten. Weiterhin brauchen wir die Zusam-
    menarbeit der Polizei und der Dienste und auch militäri-
    sche Zusammenarbeit. Jede Gefährdung dieser Koalition,
    egal wodurch, gefährdet auch den Erfolg im Kampf gegen
    den internationalen Terrorismus.

    Die zweite Komponente, die ich hier nennen möchte,
    kann man mit dem Stichwort „Testfall Afghanistan“
    beschreiben. Afghanistan ist ein exemplarischer Fall.
    Afghanistan entscheidet darüber, ob wir bei den Menschen
    Vertrauen gewinnen, die gegen Taliban und al-Qaida auf-
    gestanden sind.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Das deutsche Engagement in Form von humanitärer
    Hilfe, beim Post-Taliban-Prozess in Form der Petersberg-
    Konferenz und jetzt vor Ort beim Wiederaufbau, beim
    Bau von Schulen, bei der Schaffung von Voraussetzungen
    für Gleichberechtigung, beim Bau einer Polizeiakademie
    und bei der dort schon angelaufenen Ausbildung von Po-
    lizisten, das finanzielle und militärische Engagement bei
    ISAF – all das machen wir nicht planlos, sondern dahin-
    ter steckt die Überzeugung, dass wir diesen Testfall ge-
    winnen müssen. Dahinter steht die Einsicht, dass das rich-
    tig ist, was uns an dieser Stelle hier Kofi Annan, der
    Generalsekretär der Vereinten Nationen, über nachhaltige
    Friedensstrategien, über „sustainable peace“, gesagt hat.
    Afghanistan ist der Testfall. Deswegen hat es aus unserer
    Sicht oberste Priorität, diese Mission zum Erfolg zu
    führen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die dritte Komponente besteht in der neuen Einsicht,
    welche Bedeutung regionalen Konflikten zukommt.
    Joschka Fischer hat hier schon über den Nahen Osten ge-
    sprochen. Bin Laden hat sich ja immer auf die Demütigung
    der Palästinenser bezogen, wenn er irgendeine Legi-
    timation für sein Handeln anführen wollte. Der Kaschmir-
    Konflikt ist erwähnt worden. Man könnte hinzufügen, dass
    uns in den letzten Tagen noch einmal in Erinnerung ge-
    bracht und deutlich gemacht worden ist, welche Gefahren
    von dem ungelösten Tschetschenien-Konflikt ausgehen.
    Aber all diese Konflikte sind doch nicht nur auf terroristi-
    sche Gewalt zurückzuführen, sondern aus ihnen gehen
    auch zu allem bereite terroristische Potenziale hervor.
    Deshalb muss es oberste Priorität in der internationalen
    Politik sein, diese regionalen Konflikte zu analysieren und
    zu lösen. Es dürfen nicht neue Schauplätze eröffnet wer-
    den, sondern dort muss mit dem Kampf gegen den Terro-
    rismus angefangen werden.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die vierte Komponente des europäischen Modells
    stellt die Einsicht dar, welche bedeutende Rolle der
    regionalen Stabilität zukommt. In Amerika sind For-
    scher zu der Erkenntnis gekommen, dass „failing states“,
    „failed states“ und No-go-Areas – das heißt, das Ver-
    schwinden von staatlicher Autorität auf großen Teilen un-
    seres Globusses – die Privatisierung von Gewaltanwen-
    dung und Rechtlosigkeit zur Folge haben und im Grunde
    genommen die Voraussetzung für die Entwicklung von
    Terrorismus darstellen. Deswegen ist ein solches Ver-
    schwinden von staatlicher Kontrolle schon aus sicher-
    heitspolitischen Gründen nicht hinnehmbar. Die Antwort
    muss doch sein, dass wir uns mehr bei der Etablierung von
    Stabilitätsregimen engagieren. Wir haben unsere Erfah-
    rungen damit auf dem Balkan gemacht; ich habe den Sta-
    bilitätspakt schon angesprochen. Das Gleiche ist notwen-
    dig in der Region Afghanistan, in der Region Kaukasus,
    in Zentralasien und ganz besonders in Afrika. Wir haben
    doch nicht vergessen, was 1993 in Somalia passiert ist.
    „Restore Hope“ hieß die Mission dort. Dann, ganz plötz-
    lich, nach einigen Verlusten, zog sich nicht nur Amerika,
    sondern die ganze westliche Welt zurück. Heute ist das
    genau eine solche Region eines „failing state“ und wir
    wissen ganz genau, dass dort die gefährlichsten Entwick-
    lungen ablaufen. Deswegen wird ja auch darüber disku-
    tiert, dort militärisch zu intervenieren. Das zeigt, welche
    Bedeutung regionale Stabilitätsregime im Kampf gegen
    den Terrorismus haben.

    Schließlich die fünfte Komponente: Kampf um eine
    gerechtere Weltordnung. Dort wo die Verteilung von
    Lebenschancen und materiellen Gütern zu Verbitterung,
    Demütigung und Marginalisierung führt, entstehen Bio-
    tope für Extremismus und Terrorismus. In der langen Li-
    nie bekommen Entwicklungspolitik und Entwicklungszu-
    sammenarbeit dadurch eine ganz andere Bedeutung. Sie
    werden zu einem zentralen Instrument der internationalen
    Sicherheitspolitik. Das ist die Bedeutung auch der Festle-
    gung in unserem Regierungsprogramm auf die Fortset-
    zung der Antiarmutspolitik, der Entschuldungspolitik, der
    Politik gegen Seuchen, besonders der Ausbreitung von
    Aids in Afrika, und der Festlegung auf das Ziel von
    0,33 Prozent bis zum Jahre 2006, die der Bundeskanzler
    heute noch einmal bestätigt hat. Das wird die SPD-Bun-
    destagsfraktion wegen des genannten Zusammenhangs
    sehr aufmerksam und sehr engagiert begleiten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Das ist übrigens auch immer mehr europäische Politik
    und ein wesentliches Element dieses europäischen Mo-
    dells.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese fünf Kompo-
    nenten weisen in der Tat einen Weg über vier Jahre hinaus,
    einen Weg, der uns von der regionalen Prävention zu der
    Notwendigkeit des Aufbaus einer globalen, strukturellen
    Prävention führen wird, und zwar im Sinne einer Ge-
    samtstrategie in der Nach-September-Welt. Das ist ein
    großer Anspruch, ein großes Ziel. Man kann auch sagen:
    Das ist eine Vision. Aber am Anfang eines neuen vier-
    jährigen Auftrags ist wohl auch die Gelegenheit, einmal
    über so etwas zu reden. Wann denn eigentlich sonst? Über
    dieses Politikmodell, über diese Gesamtstrategie wollen

    Gernot Erler




    Gernot Erler
    wir auch mit denen reden, die andere Modelle, andere Vi-
    sionen haben.

    Transatlantische Partnerschaft kann nicht heißen, dass
    der Schwächere irgendwann doch dem Stärkeren nach-
    gibt, ohne überzeugt zu sein. Transatlantische Partner-
    schaft kann nicht heißen, dass alle schon aufatmen, wenn
    erwachsene Menschen mit anderen erwachsenen Men-
    schen erwachsen umgehen, indem sie sich, wenn sie sich
    begegnen, wieder die Hand geben. Transatlantische Part-
    nerschaft, wenn sie den Anspruch auf Verantwortungs-
    partnerschaft überzeugend vorbringen will, heißt, dass
    wir über unterschiedliche Politikmodelle, unterschiedli-
    che Vorstellungen von einer stabilen und Sicherheit pro-
    duzierenden Weltordnung ernsthaft diskutieren vor dem
    Hintergrund beiderseitig pluralistischer Gesellschaften
    – das gilt zum Glück für Amerika wie auch für Europa –,
    und zwar mit dem Ziel, das, was Konsens ist, auszuwei-
    ten und zur Grundlage gemeinsamen Handelns zu ma-
    chen.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)