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ID1500401100

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Tagesordnungspunkt 1: Regierungserklärung des Bundeskanz- lers mit anschließender Aussprache . . . . . 51 A Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 51 B Dr. Angela Merkel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 61 B Franz Müntefering SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 D Dr. Guido Westerwelle FDP . . . . . . . . . . . . . . 74 B Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 77 D Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 81 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 81 D Ernst Bahr (Neuruppin) SPD . . . . . . . . . . . . . 82 B Michael Glos CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 84 C Sabine Bätzing SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 C Olaf Scholz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B Petra Pau fraktionslos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 D Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 93 D Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . . . . . . 97 A Gernot Erler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 A Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . . 102 A Dr. Angelica Schwall-Düren SPD . . . . . . . . . 104 B Peter Hintze CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 A Rudolf Bindig SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 B Dr. Werner Hoyer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 A Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 111 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 113 C Dr. Peter Struck, Bundesminister BMVg . . . . 115 C Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . . . . . . 115 D Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 117 A Reinhold Robbe SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 A Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- rin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 C Dr. Christian Ruck CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 122 C Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . 123 D Dr. Gesine Lötzsch fraktionslos . . . . . . . . . . . 124 D Brigitte Zypries, Bundesministerin BMJ . . . . 125 D Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . 127 D Dr. Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . 130 C Hans-Joachim Hacker SPD . . . . . . . . . . . . . . 131 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 D Jerzy Montag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 136 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . 137 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 139 D Otto Schily SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 C Jörg Tauss SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 A Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 C Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . 146 B Hartmut Koschyk CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 147 B Silke Stokar von Neuforn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 B Dr. Christina Weiss, Staatsministerin BK . . . . 150 C Dr. Norbert Lammert CDU/CSU . . . . . . . . . . 151 B Plenarprotokoll 15/4 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 I n h a l t : Monika Griefahn SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) FDP . . . . . . . 154 C Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 155 C Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 157 B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 158 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 B Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 A Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . . . . . . 164 D Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 166 C Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 171 A Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002II (A) (B) (C) (D) Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 51 4. Sitzung Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 Beginn: 10.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (A) (B) (C) (D) 170 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 4. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002 171 (C)(A) entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage zum Stenografischen Bericht Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 29.10.2002 Marieluise DIE GRÜNEN van Essen, Jörg FDP 29.10.2002 Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 29.10.2002 Meyer (Tapfheim), CDU/CSU 29.10.2002 Doris Möllemann, Jürgen W. FDP 29.10.2002 Niebel, Dirk FDP 29.10.2002 Nolting, Günther FDP 29.10.2002 Friedrich Pieper, Cornelia FDP 29.10.2002 Thiele, Carl-Ludwig FDP 29.10.2002 Violka, Simone SPD 29.10.2002 Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Joseph Fischer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

    lege Westerwelle, von Sprachverwirrung konnte ich bei
    Ihnen nichts feststellen; Sie sprachen deutsch. Aber ich
    frage mich: In welcher Realität sind Sie eigentlich zu
    Hause, wenn Sie hier der Bundesregierung und der Ko-
    alition Lug und Trug vorwerfen? Das sagt einer der
    Hauptprotagonisten des Projekts 18,


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    das sagt ausgerechnet derjenige, der hier meinte, mit einer
    Politik vorankommen zu können, die sich nicht zu schade
    war, Antisemitismus und antisemitische Stimmungen zu
    mobilisieren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Von so jemandem wird Wahrheit und Klarheit eingefor-
    dert.

    Es rentiert sich eigentlich nicht, auf diese Rede weiter
    einzugehen. Allerdings lohnt es sich, etwas zu der Frage

    Dr. Guido Westerwelle




    Bundesminister Joseph Fischer
    der politischen Kultur in diesem Lande zu sagen. Das wer-
    den Sie nicht hinbekommen, Herr Westerwelle, indem Sie
    sagen, Möllemann sei der allein Verantwortliche; die FDP
    und der Vorsitzende der FDP hätten mit der Strategie des
    kalkulierten Wahnsinns, wie die „FAZ“ es genannt hat,
    nichts zu tun.

    Ich werde nie das nette und kesse Sprüchlein – dafür
    sind Sie ja immer gut – vergessen, das Sie damals auf dem
    FDP-Parteitag in der Auseinandersetzung mit Herrn
    Möllemann formuliert haben: Auf allem, was da dampft
    und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt, und das bin
    ich, Guido Westerwelle.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Aber es rentiert sich nicht, weiter darauf einzugehen.

    Die entscheidende Frage ist die Herausforderung, vor der
    unser Land, vor der wir tatsächlich stehen. Frau Merkel,
    Sie sind vorhin noch einmal auf die Bundestagswahlen zu
    sprechen gekommen. Mir wird, nachdem ich Ihrer Rede
    zugehört habe, sehr klar, warum Sie diese Wahlen verlo-
    ren haben.


    (Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

    Die Opposition kann die Regierung in der jetzigen Situa-
    tion kritisieren; das verstehe ich wohl. Das ist Ihre Pflicht,
    die Sie freudig erfüllen. – Das „freudig“ streichen wir, das
    ist natürlich nicht wahr, das wissen Sie so gut wie ich; Sie
    würden lieber auf der Regierungsbank sitzen. Aber Sie ha-
    ben die Wahlen verloren, weil Sie in Ihrer Rede wie im
    Wahlkampf nicht die alternativen Vorstellungen der
    Union, was in diesem Land konkret anders gemacht wer-
    den soll, dargestellt haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Sie haben keine eigene Antwort gebracht – von Herrn
    Westerwelle rede ich da gar nicht –, weder auf die Frage
    der gerechten Gestaltung der Globalisierung und Deutsch-
    lands Rolle in diesem Zusammenhang noch auf die Krise
    der Weltwirtschaft. Sie können die Regierung trefflich
    kritisieren; aber Sie können nicht ignorieren, dass es kein
    Spezifikum der bundesrepublikanischen Wirtschaft ist,
    sondern im gesamten EU-Raum, in den Vereinigten Staa-
    ten und in Japan so ist, dass wir mit einer krisenhaften
    Entwicklung der Weltwirtschaft rechnen müssen. Sie ha-
    ben dazu nichts gesagt.

    Mich würde einmal interessieren, wie die Antwort der
    Union darauf ist. Wenn wir Wachstumszahlen zwischen
    0,2 und 0,6 Prozent schreiben, können wir dann noch die-
    selben Antworten geben wie bei Wachstumszahlen über
    1 Prozent, 2 Prozent oder gar 3 Prozent? Ich behaupte, se-
    riöse Politik kann das nicht. Von der Opposition muss man
    verlangen können, dass sie sich hierzu äußert.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Schließlich zu der Frage – das werden wir im außen-
    politischen Teil noch etwas ausführlicher zu debattieren
    haben – der terroristischen Bedrohung. In diesem Zu-
    sammenhang wünsche ich mir eine Aussprache darüber,
    ob der Irak in der Tat das zentrale Problem ist, ob wir an-
    gesichts des 11. September letzten Jahres, angesichts von

    Djerba, angesichts von Bali oder auch angesichts des
    jüngsten tschetschenischen Terrors wirklich gut beraten
    sind, hier eine Prioritätenveränderung vorzunehmen. Ich
    meine, nein. Der Terrorismus ist die große strategische
    Bedrohung für uns. Aber den Antworten darauf muss im
    Sinne des Bundeskanzlers ein umfassender Sicherheits-
    begriff zugrunde liegen; man darf hier nicht versuchen,
    durch Lippenbekenntnisse einen innenpolitischen Vorteil
    zu erlangen. Auch dazu haben Sie bis zur Stunde keine
    Antwort gegeben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Stattdessen haben Sie, Frau Merkel – das sollten Sie ru-
    hig weiterhin machen –, aus Ihrer Rede eine Fragestunde
    gemacht, in der Sie Fragen an die Bundesregierung ge-
    stellt haben. Das fand ich sehr bemerkenswert. Das heißt,
    Sie nehmen die Oppositionsrolle an; die Opposition fragt
    und die Regierung muss darauf antworten.

    Aber das wird zur Gestaltung der Zukunft unseres Lan-
    des nicht reichen. Die Koalition hat hier eine klare Posi-
    tion. Wir müssen Erneuerung, Wachstum, Nachhaltigkeit
    und Gerechtigkeit für unser Land erreichen. In der
    gegenwärtigen negativen wirtschaftlichen Entwicklung
    werden die Probleme und Schwachstellen in unserem
    Wirtschaftssystem und unserem Sozialsystem, die wir seit
    langem mit uns herumschleppen, offen gelegt. Deswegen
    müssen wir sie anpacken. Es hätte mich gefreut, wenn Sie
    mit Blick auf die Wirtschaftskrise etwas zu Ihren alter-
    nativen Konzepten gesagt hätten.

    Was sind denn die konkreten Antworten in dieser Si-
    tuation? Wie geht die Union denn mit der Tatsache um,
    dass es allein im Bundeshaushalt – von den anderen staat-
    lichen Ebenen rede ich erst gar nicht – ein Defizit von
    annähernd 14 Milliarden Euro gibt? Wie soll dieses Loch
    denn geschlossen werden? Denkt die Union an Steuerer-
    höhungen? Ist das ihr Konzept? Oder spricht sie von
    Einsparungen? In diesem Fall würde es uns interessieren,
    wo sie Einsparungsalternativen sieht. Die Koalition hat
    hierzu ihre Vorstellungen klar auf den Tisch gelegt. Oder
    ist die Union vielleicht für Leistungskürzungen? Dann
    sollten Sie, Frau Merkel, hier im Deutschen Bundestag sa-
    gen, dass Sie zum Beispiel die Renten kürzen wollen und
    wenn, in welcher Größenordnung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Eine solche Diskussion macht nur dann Sinn, wenn wir
    konkret werden. Die Koalition ist konkret geworden. Als
    erste unmittelbare Reaktion auf den Koalitionsvertrag er-
    leben wir jetzt, dass alle Interessengruppen aufschreien.
    Das ist in einer Demokratie aber auch völlig legitim.

    Als ich von den Koalitionsverhandlungen nach Hause
    ging, begegnete ich einem Apotheker. Er hielt mich an
    und sagte mir: Das könnt ihr doch nicht allen Ernstes be-
    schließen. Ich fragte ihn: Was? Er antwortete nur: Das,
    was ihr in eurem Vorschaltgesetz vorhabt. Ich habe ihn ge-
    fragt, was wir denn genau vorhätten. Es stellte sich he-
    raus: Er hat jahrelang die Legende geglaubt, dass es Wind-
    fall-Profite für die deutsche Pharmaindustrie geben soll.
    Deswegen dürften wir nicht den Handel über Internet ein-
    führen und hätten am Forschungsstandort Deutschland


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    78


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    höhere Preise. Sieht man sich die Situation in anderen
    Ländern an, so stellt man aber fest, dass an den
    Forschungsstandorten Großbritannien, Japan und USA
    kräftig geforscht wird, teilweise auch von deutschen Un-
    ternehmen in Größenordnungen, die beachtlich sind. Ich
    höre aber nicht, dass dort die Preise höher sind.

    Deswegen frage ich Sie ganz konkret: Wird die Union
    etwas gegen die Freigabe des Internethandels einwen-
    den? Haben Sie etwas dagegen, dass zum Beispiel das
    Verbot des Mehrfacheigentums an Apotheken angegan-
    gen wird? Oder ich frage Sie nach dem Monopol der Kas-
    senärztlichen Vereinigungen. Man lernt hier ja einiges.
    Wollen wir dieses Monopol tatsächlich infrage stellen?
    Soll die Wahlfreiheit von Kassenpatienten – hier spricht
    ein Kassenpatient – auch in Zukunft in den Händen der
    Kassenärztlichen Vereinigungen bleiben oder wollen
    wir darüber hinausgehen und direkte Beziehungen zwi-
    schen Ärzten und den Kassen ermöglichen, um somit kos-
    tengünstigere Strukturen zu schaffen? Das sind Fragen,
    auf die wir uns auch von Ihnen Antworten wünschen
    würden. Wir hätten heute gerne die Position der Opposi-
    tion gehört.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich komme nun zu der entscheidenden Problematik,
    mit der wir es zu tun haben. Reden wir also nicht darum
    herum. Der Bundeskanzler hat zu Recht auf den 9. No-
    vember 1989 hingewiesen. Die deutsche Einheit ist ein
    großes Glück für unser Land. Aber es ist zugleich eine
    langfristige Herausforderung, die Folgen von Nationalso-
    zialismus, Zweitem Weltkrieg und vier Jahrzehnten deut-
    scher Teilung zu überwinden. Dass die bundesrepublika-
    nische Volkswirtschaft diese großen Herausforderungen
    stemmen kann, zeigt, wie stark sie tatsächlich ist.

    Doch es führt umgekehrt kein Weg daran vorbei, zu be-
    greifen, was der Aufbau Ost, der eine langfristige He-
    rausforderung darstellt, die nur die Bundesrepublik
    Deutschland im EU-Wirtschaftsraum hat, tatsächlich be-
    deutet. Für diese Herausforderung sind wir dankbar. Aber
    wir müssen doch auch begreifen, dass deswegen diese
    ganzen Schlusslicht-Debatten hinken. Bedeutende Mit-
    gliedstaaten der Europäischen Union, die 1 Prozent ihres
    Bruttoinlandsprodukts durch Transfers von Brüssel be-
    kommen und gleichzeitig meinen, uns Ratschläge geben
    zu können, sollten das angesichts dieser Sondersituation,
    in der wir uns befinden, besser sein lassen. Wir werden die
    Erneuerung anpacken, wissend, dass wir mit dem Zusam-
    menwachsen unseres Landes eine Sonderherausforderung
    langfristiger Natur zu stemmen haben. Das werden wir
    schaffen. Das versprechen wir den Menschen in den
    neuen Bundesländern.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich komme auf Hartz zu sprechen. Was ist das Problem
    des deutschen Arbeitsmarktes? Es wird immer so schön
    darüber geredet und gesagt, der Arbeitsmarkt sei zu stark
    reguliert. Wir haben nicht nur hinsichtlich der Debatte
    über den Arbeitsmarkt, sondern auch im Zusammenhang
    mit unserem Steuersystem die Erfahrung gemacht, dass
    alle sagen, wir brauchten den Abbau von Subventionen

    im Steuersystem. Aber wehe, man geht einen konkreten
    Punkt an: Dann kommt eine Interessengruppe und sagt,
    das sei eine Steuererhöhung. Natürlich ist der Abbau von
    Subventionen keine Steuersenkung. Für denjenigen, der
    die Subvention bekommt, ob es nun ein halber Mehrwert-
    steuersatz ist oder ein Fördersteuersatz, wirkt der Abbau
    natürlich belastend. Aber das ist mehr oder weniger die
    Konsequenz eines solchen Abbaus staatlicher Leistungen.
    Wir haben die Erfahrung gemacht – das galt heute auch
    für Frau Merkel –, dass Sie sich hinstellen und sagen,
    einerseits würden wir zu wenig an Subventionen abbauen,
    andererseits würden unsere Maßnahmen aber höhere Be-
    lastungen für die Menschen bedeuten. Sie müssen schon
    sagen, wie Sie es gerne hätten, gnädige Frau.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich komme zurück zu Hartz. Der entscheidende Punkt
    ist: Der Arbeitsmarkt ist bei uns in der Bundesrepublik
    Deutschland so gestaltet, dass bei einem Wachstum von
    etwa 2 Prozent und mehr eingestellt wird. Bei unseren
    Nachbarländern, die früher notwendige Reformen ange-
    packt haben, wurde diese Eintrittsschwelle des Wieder-
    einstellens gesenkt. Genau um diese Aufgabe wird es in
    Zukunft gehen. Ich sage Ihnen: Die Reform des Arbeits-
    marktes ist für die Koalition der strategische Ansatzpunkt,
    um die Systeme der sozialen Sicherung zu erneuern und
    zu entlasten, um unseren Sozialstaat neu zu gestalten und
    um die Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen.

    Ich möchte Ihnen jetzt kurz erläutern, worin der strate-
    gische Ansatz liegt: Gegenwärtig ist die Situation so, dass
    es aufgrund des konjunkturellen Wegbrechens der Welt-
    wirtschaft ab dem Frühsommer des letzten Jahres trotz der
    Zuzahlung über die Ökosteuer – etwa bei den Rentenver-
    sicherungen und dem Staatsanteil – zu einer Überwölbung
    gekommen ist, sodass die Arbeitslosigkeit die Reformen,
    die wir angepackt haben, aufzufressen droht oder bereits
    aufgefressen hat.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unfug!)

    – Herr Merz, es ist überhaupt kein Unfug, dass es auf-
    grund der steigenden Arbeitslosigkeit zu höheren Belas-
    tungen kommt – Sie können das pro Hunderttausend so-
    gar quantifizieren – und dass diese Belastungen
    entsprechend negativ wirken.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das hat mit der Weltwirtschaft nichts zu tun!)


    – Entschuldigung, das Wegbrechen der Konjunktur im
    Frühjahr letzten Jahres – – Die Bundestagswahlen sind
    jetzt doch vorbei.


    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Selbst von einem Weltökonomen wie Ihnen kann jetzt,
    nach den Bundestagswahlen, doch anerkannt werden,
    dass die Bundesrepublik Deutschland bezogen auf die
    Wachstumszahlen in der EU nicht mehr Schlusslicht ist,
    sondern dass wir uns mit unseren niedrigen Wachstums-
    zahlen im unteren Mittelfeld bewegen. Das kann doch
    auch der Weltökonom Merz nicht abstreiten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


    Bundesminister Joseph Fischer




    Bundesminister Joseph Fischer
    – Ich verstehe überhaupt nicht, warum Sie sich so aufre-
    gen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Wer regt sich denn auf?)


    – Ich verstehe es wirklich nicht.

    (Michael Glos [CDU/CSU]: Brüllen Sie doch nicht so herum!)

    Insofern kann ich an diesem Punkt nur sagen: Der ent-
    scheidende strategische Ansatz ist, dass wir die Einstel-
    lungsschwelle durch diese Reformen am Arbeitsmarkt
    nach unten senken.


    (Albert Deß [CDU/CSU]: Ich glaube Ihnen, dass Sie von Wirtschaftspolitik nichts verstehen!)


    Meines Erachtens hat das Hartz-Konzept hierzu drei
    wesentliche Elemente. Uns würden die Argumente inte-
    ressieren, die Sie diesen entgegenzusetzen haben.

    Als Erstes schaffen wir mit der Umsetzung des Hartz-
    Konzeptes sozusagen ein Arbeitslosengeld Teil 2. Damit
    werden wir eine Entlastung des kommunalen Bereichs er-
    möglichen und somit die Investitionsmöglichkeiten ge-
    rade auf der kommunalen Ebene erhöhen.

    Mit der Möglichkeit, von der Arbeitslosigkeit leichter
    in die Selbstständigkeit zu kommen, bieten wir – zwei-
    tens – gleichzeitig nicht nur Anreize zur Aufnahme von
    Arbeit, sondern wir schaffen vor allen Dingen ein Stück
    weit auch die Möglichkeit, legale Arbeit wieder aufzu-
    nehmen. Das ist in vielen Bereichen von entscheidender
    Bedeutung.

    Der dritte und wichtigste Punkt in diesem Zusammen-
    hang wird das Förderprogramm in Verbindung mit der Re-
    form der Bundesanstalt für Arbeit sein. Wir müssen die
    Leiharbeit ausweiten. Damit schaffen wir die Möglichkeit
    eines flexibleren Arbeitsmarktes, wodurch die Einstellungs-
    schwelle insgesamt nach unten gebracht werden kann.

    Für uns ist das der erste und zentrale Schritt. Ich denke,
    das ist ein wichtiger Schritt, den Sie nicht kleinreden kön-
    nen, und ein wichtiger und entscheidender Ansatz.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ich habe es vorhin, bezogen auf die Gesundheitsre-
    form, schon gesagt: Ich bin wirklich gespannt, wie Ihre
    Interessenvertretung im Parlament – wenn die Vorschläge
    im Zusammenhang mit dem Vorschaltgesetz auf dem
    Tisch liegen – zum Tragen kommt.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Herr Dr. h. c. Fischer!)


    Ich bin gespannt, ob Sie im Interesse des Allgemeinwohls
    handeln oder ob Sie gruppenspezifische Interessen ver-
    treten werden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Dasselbe gilt für den Bürokratieabbau.
    Ich würde gerne noch den Punkt Zuwanderung an-

    sprechen. Amerika wird, bezogen auf die wirtschaftliche

    Entwicklung, unter vielen Gesichtspunkten immer als
    großes Vorbild hingestellt. Damit ich nicht missverstan-
    den werde: Ich behaupte gar nicht, dass wir Amerika ko-
    pieren können. Der kulturelle und der historische Hinter-
    grund im Europa der Nationalstaaten ist nämlich anders.
    Die Zuwanderung ist aber einer der wesentlichen dyna-
    mischen Wachstumsfaktoren der amerikanischen Volks-
    wirtschaft. Das wollen wir nicht vergessen.

    Mit Ihrer im Grunde genommen reaktionären Position
    meinen Sie gegenwärtig bei den Menschen in diesem
    Land Stimmungen und Ängste mobilisieren und gegen
    das Zuwanderungsgesetz polemisieren zu können. Dazu
    kann ich Ihnen nur sagen: Wenn das Ihre Position ist, dann
    haben Sie mit Wachstum und Zukunftsfähigkeit in unse-
    rem Land wirklich nicht viel zu tun; genau damit sind Sie
    gescheitert.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Ein weiterer Punkt. Neben der strukturellen Erneue-
    rung, neben der Konsolidierung, neben dem Kampf gegen
    die Arbeitslosigkeit ist die Frage der strategischen Zu-
    kunftsinvestitionen von entscheidender Bedeutung. Diese
    strategischen Zukunftsinvestitionen betreffen vor allen
    Dingen den ökologischen Bereich. Damit führen wir fort,
    was wir in den ersten vier Jahren angepackt haben.

    Die ökologische Erneuerung ist wichtig, weil jetzt
    klar wird, dass wir es beim Klimaschutz nicht mit einem
    theoretischen Problem zu tun haben. Gleichzeitig müssen
    wir neue Beschäftigungsfelder erschließen. Das heißt, wir
    müssen Klimaschutz auch unter beschäftigungspoliti-
    schen und wettbewerblichen Gesichtspunkten für den
    Standort Deutschland als unternehmerisches Problem an-
    packen. Genau das tun wir mit der Umsetzung der Koali-
    tionsvereinbarung.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Die ökologische Erneuerung ist für uns im Verkehrsbe-
    reich und im Energiebereich von zentraler Bedeutung.
    Genau damit werden wir auch fortfahren.

    Noch wichtiger ist angesichts der demographischen
    Entwicklung, aber auch eines veränderten Rollenver-
    ständnisses gerade junger Frauen – dieses Thema ist Ih-
    nen im Wahlkampf um die Ohren geflogen, deswegen
    führen Sie die Strategiedebatte vor allen Dingen an die-
    sem Punkt –, dass die Vereinbarkeit von Kindern und
    Beruf in Deutschland nicht mehr allein bei den jungen
    Frauen abgeladen wird, wie es bis heute die Realität ist.
    Das haben wir klipp und klar gesagt.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


    Deswegen werden wir für Kinder von null bis drei Jah-
    ren einen flächendeckenden Versorgungsgrad von 20 Pro-
    zent in der Bundesrepublik Deutschland durchsetzen. Der
    Bund lässt sich hier in die Pflicht nehmen. Wir werden ei-
    nen solchen Versorgungsgrad gesetzlich festschreiben.
    Dieses Gesetz wird hier im Bundestag beschlossen wer-
    den. Das ist der Einstieg in ein kinderfreundliches
    Deutschland, in dem es nicht mehr darum geht, diesen Be-
    reich zu privatisieren und an einem antiquierten Rollen-


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)


    80


    (A)



    (B)



    (C)



    (D)






    verständnis von Frauen festzuhalten. Wir wollen vielmehr
    Ja zu Kindern und gleichzeitig Ja zu Beruf und Karriere
    vor allen Dingen für junge Frauen sagen, damit es für
    diese in Zukunft einfacher wird.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Das ist nur einer der Punkte; denn es soll weitergehen.
    Das Gesetz betreffend die Betreuung von Kindern zwi-
    schen drei und sechs Jahren existiert bereits. Wir wollen
    aber auch den Bereich der Vorschule, das Heranführen an
    die Schule angehen. Dabei ist die Frage, ob die notwendi-
    genDeutschkenntnisse vorhanden sind, für die volle Par-
    tizipation von entscheidender Bedeutung. Anschließend
    wollen wir das Thema Ganztagsschule anpacken. All das
    halte ich für die entscheidende gesellschaftliche Reform.

    Zukunftsfähigkeit macht sich an der Frage eines kin-
    derfreundlichen Deutschlands fest. Zusammen mit der
    strategischen Zukunftsinvestition, der ökologischen Er-
    neuerung, den Strukturerneuerungen, die wir angegangen
    sind und noch angehen werden, der Reform im Bereich
    des Arbeitsmarktes, der Rente und der Gesundheit sowie
    einer weiteren Konsolidierung ist dies das Programm, für
    das die Koalition konkret steht. Das meinen wir mit Er-
    neuerung, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Das ist die
    Politik, die wir für unser Land in den kommenden vier
    Jahren umsetzen wollen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


    Frau Merkel, Sie haben es uns heute – jenseits Ihrer
    Angriffe – bei den Alternativen einfach gemacht.


    (Jörg Tauss [SPD]: Das war enttäuschend!)

    In dem Streit zwischen Regierung und Opposition, sosehr
    ich ihn auch liebe und sosehr ich es auch liebe, zuzuspit-
    zen – das gehört dazu –, muss eine Alternative aufgezeigt
    werden. Wenn die Grundanalyse richtig ist – von dem Be-
    fund gehen auch Sie aus, Frau Merkel –,


    (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Seien Sie ein bisschen leiser!)


    dass wir es in der Tat national wie international mit einer
    sehr fordernden Situation zu tun haben, dann wird die de-
    mokratische Auseinandersetzung vor allen Dingen um die
    Alternativen stattfinden müssen.


    (Michael Glos [CDU/CSU]: Bei Ihnen durch die Lautstärke! – Joachim Poß [SPD]: Nur kein Neid!)


    – Herr Glos, dazu kann ich Ihnen nur sagen: An Alterna-
    tiven – insofern sind Sie über die Wahlnacht noch nicht
    hinausgekommen – haben Sie zum Programm der Koali-
    tion bis heute nichts geboten.


    (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Programm ist eine anspruchsvolle Bezeichnung!)


    Ich sage: Unser Land ist dringend erneuerungsbedürf-
    tig. Dafür haben wir den Auftrag. Sie haben den Auftrag,
    sich in der Opposition zu erneuern. Dafür müssen Sie aber
    noch kräftig zulegen, Frau Merkel.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Friedrich

Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Friedrich Merz


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Bundesaußenminister, ich habe mich die ganze

    Zeit gefragt, warum eigentlich Sie in dieser Debatte zur
    Wirtschaftspolitik sprechen und kein einziger Vertreter
    Ihrer Fraktion, der doppelten Doppelspitze der Grünen,
    hier sprechen darf.


    (Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)

    Aber das ist ein anderes Thema.

    Ich möchte Ihnen, weil Sie morgen auf einer Aus-
    landsreise sein werden und weil ich dazu auch mehrere
    Zwischenrufe gemacht habe, auf einen Ihrer Punkte kurz
    erwidern und Ihnen zu dem, was Sie zum Thema Welt-
    wirtschaft behauptet haben, etwas sagen. Herr Fischer, Sie
    und die Regierung werden in diesen Wochen nicht mit den
    Problemen der Weltwirtschaft konfrontiert, sondern Sie
    sind mit den Versäumnissen der rot-grünen Wirt-
    schafts- und Finanzpolitik der letzten vier Jahre kon-
    frontiert. Das ist die Wahrheit.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

    Sie können sich nicht mehr mit allen möglichen Entwick-
    lungen herausreden.

    Wir haben Ihnen vier Jahre lang in diesem Parlament
    vorausgesagt, dass Sie mit der Wirtschafts- und Finanz-
    politik dieser Bundesregierung das Schlusslicht in der Eu-
    ropäischen Union werden und dass Sie das Wachstum in
    diesem Lande zerstören. Wenn es eines Beweises bedurft
    hätte, dass das, was wir gesagt haben, richtig ist, dann ist
    es das Gutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute in der
    letzten Woche gewesen. Diese haben Ihnen gesagt, dass
    allein die Politik der rot-grünen Bundesregierung uns im
    nächsten Jahr 0,5 Prozent Wachstum kosten wird.

    Das Problem – ich wiederhole es – hat einen Namen.
    Das Problem ist nicht die Weltwirtschaft, der Name des
    Problems ist Rot-Grün. Herr Fischer, dazu hätten Sie
    heute etwas sagen müssen, statt die Opposition und unsere
    Fraktionsvorsitzende in einer geradezu unflätigen Art und
    Weise zu beschimpfen, wie Sie es getan haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD)