Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002
Ingrid Arndt-Brauer
23449
(C)
(D)
(A)
(B)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002 23451
(C)
(D)
(A)
(B)
Dr. Blank, CDU/CSU 15.05.2002
Joseph-Theodor
Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 15.05.2002
Andrea DIE GRÜNEN
Frankenhauser, CDU/CSU 15.05.2002
Herbert
Friedrich (Altenburg), SPD 15.05.2002
Peter
Gleicke, Iris SPD 15.05.2002
Heinrich, Ulrich FDP 15.05.2002
Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 15.05.2002
DIE GRÜNEN
Irmer, Ulrich FDP 15.05.2002
Jüttemann, Gerhard PDS 15.05.2002
Dr. Kenzler, Evelyn PDS 15.05.2002
Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 15.05.2002
Leidinger, Robert SPD 15.05.2002
Neumann (Gotha), SPD 15.05.2002
Gerhard
Ostrowski, Christine PDS 15.05.2002
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 15.05.2002
Roos, Gudrun SPD 15.05.2002
Schmidt (Aachen), SPD 15.05.2002
Ulla
Schütze (Berlin), CDU/CSU 15.05.2002
Diethard
Seehofer, Horst CDU/CSU 15.05.2002
Siemann, Werner CDU/CSU 15.05.2002
Voß, Sylvia BÜNDNIS 90/ 15.05.2002
DIE GRÜNEN
Welt, Jochen SPD 15.05.2002
Zierer, Benno CDU/CSU 15.05.2002*
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Anlage 2
Aus technischen Gründen nachträglich
zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zurModernisierung
des Stiftungsrechts
– des Entwurfs eines Gesetzes für eine Reform des
Stiftungszivilrechts (Stiftungsreformgesetz)
(233. Sitzung, Tagesordnungspunkt 9)
Alfred Hartenbach (SPD): Das Stiftungsrecht ist in
zwei Stufen modernisiert worden: Als erstes wurden die
steuerlichen Förderungen von Stiftungen unter der rot-
grünen Bundesregierung im Jahr 2000 deutlich verbes-
sert. Nun folgt als zweiter Schritt die Modernisierung des
Stiftungsrechts. Diese Modernisierung war lange überfäl-
lig. Wir hatten bisher das reine Genehmigungsverfahren
durch die Behörden der einzelnen Bundesländer. Bestim-
mend waren nicht das Bürgerliche Gesetzbuch, sondern
das jeweilige Landesrecht. Dabei gab es teilweise
unglaubliche Unterschiede in den Anforderungen an Sat-
zungen und Bestimmungen, ehe eine Stiftung – schön ho-
heitlich und oft auch schön langsam – genehmigt wurde.
Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir weg von
diesem Genehmigungsverfahren und einem Antragsver-
fahren den Weg öffnen. Wir stärken damit auch zugleich
die Freiheit der Stifter, weil deren Willen im Vordergrund
steht – nicht mehr der Prüfzettel der Beamten. Wir schaf-
fen nun ein einheitliches Recht auf Bundesebene, das vor
allem auch die Stifter gleichstellt.
Entscheidend ist nun, dass die Stiftung in einer Satzung
dartun muss, dass die Stiftung auf eine gewisse Dauer
angelegt ist und das Stiftungsvermögen eine nachhaltige
Erfüllung der Aufgaben sicherstellt. Diese Voraussetzun-
gen gelten auch für die Bürgerstiftungen, die zu Beginn
ihrer Tätigkeit nicht über umfassende Vermögen verfü-
gen. Das Gesetz fordert eine Gemeinwohlverpflichtung
der Stiftung. Damit können extremistische Vereinigungen
abgewehrt werden, ihr übles Treiben hinter einer Stiftung
zu verstecken und auch noch steuerliche Vorteile daraus
zu ziehen.
Wenn alle Voraussetzungen vorliegen, besteht ein
Rechtsanspruch des Stifters auf Anerkennung einer
Stiftung. Das schafft Rechtssicherheit für die Stifter. Wir
haben auch erreicht, dass die Stiftung errichtet werden
kann, wenn der Stifter zwischen Antragstellung und An-
erkennung verstirbt, und selbst auch dann, wenn die
Satzung nicht allen Anforderungen entspricht.
Zu einem bundesweiten Stiftungsregister konnten wir
uns nicht bereit finden. Damit wäre ein nicht ganz geringer
Eingriff in die Verwaltungshoheit der Länder verbunden
gewesen, und auch ein Mehr an Bürokratie. Ein bun-
desweites Stiftungsregister wäre erforderlich gewesen, aus
unserer Sicht überflüssig, da 14 Bundesländer bereits über
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
eigene Stiftungsregister verfügen. Um aber mehr Trans-
parenz für Stifter, Stiftungen, Stiftungswillige und Inte-
ressierte zu schaffen, bitten wir die Länder, in einem
Entschließungsantrag ihre Register zugänglich zu machen
und sich dabei auch der modernen Kommunikationswege
zu bedienen.
Die Koalition hat nach intensiven Beratungen auf der
Basis einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, deren Ergeb-
nisse wir im Wesentlichen übernommen haben, ein gutes
Gesetz geschaffen. Die überwiegende Mehrzahl der
Experten haben bei einer Anhörung unserem Entwurf den
Vorzug vor dem der FDP gegeben. Bei den Beratungen in
den Ausschüssen fand unser Entwurf die erforderlichen
Mehrheiten. Es sieht heute danach aus, dass die Zustim-
mung noch größer wird. Das wäre ein feiner Erfolg; ein
Erfolg für mehr Freiheit der Stifter, für mehr bürger-
schaftliches Engagement und letztlich auch für unser Par-
lament.
Ich danke allen, die uns bei den Beratungen unterstützt
und nach vorn gebracht haben. Wir sehen uns auch im
Einklang mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen.
Da darf man zum Schluss sagen: Gut gemacht!
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Mehr wäre besser gewesen, aber das vorliegende Gesetz
ist der Weg in die richtige Richtung. Es ist natürlich Un-
sinn, wenn Professor Rawert in der „Frankfurter Allge-
meinen“ vom 23. April 2002 schreibt: „Dieses Stiftungs-
gesetz führt zurück ins 19. Jahrhundert.“
Recht hat er aber, dass wir wegen der bürokratischen
Bedenkenträger nicht von dem staatlichen Konzessions-
system ohne Wenn und Aber auf das normative System
– Anerkennen nach Vorliegen formeller Voraussetzungen –
gegangen sind. Dies war im Übrigen sowohl bei dem
früheren Entwurf der Grünen und ist bei dem vorliegen-
den Entwurf der FDP vorhanden und entspricht den Vor-
stellungen der CDU/CSU-Fraktion.
Richtig ist, dass wir das Stiftungsrecht dort gelassen
haben, wo es seit 100 Jahren steht und hingehört – im
BGB. Es wurden die vorhandenen Vorschriften entrüm-
pelt, um neuen Schwung ins Stiftungswesen zu bringen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Stiftungen dort schon
seit über 100 Jahren funktioniert haben, wo die Länder
entsprechende Ergänzungen durch Stiftungsgesetze vor-
genommen haben, die praktikabel waren und die nicht
unnötig viel Bürokratie für die Stifter brachten. Auch die
Genehmigungsverfahren liefen dort – zum Beispiel in
meinem Heimatland Baden-Württemberg – gut, wo die
richtigen Behörden und die richtige Abteilung die Geneh-
migungen erteilten. Dennoch wäre es gut gewesen, wenn
die amtliche Prüfung mit diesem Gesetz entfallen wäre.
Das Stiftungsrecht – und wen wundert es; es stammte
immerhin aus dem 19. Jahrhundert – wurde mehr „ho-
heitlich“ geregelt, weil es unter dem Genehmigungsvor-
behalt des Staates stand. Wir sind uns zwar einig, dass
nach der Rechtsprechung ein Anspruch auf Genehmigung
auch bisher bestand, nur wussten zuständige Beamte dies
oft nicht – Hamburg lässt grüßen. Nunmehr ist im neuen
§ 80 eine Anerkennungspflicht durch die zuständige
Behörde gegeben, wenn die formellen und materiellen
Voraussetzungen vorliegen.
Ich hätte gerne den Text in Abs. 2 geändert – und ich
weiß, dass das Justizministerium hierauf eingegangen
wäre –, weil ich befürchtet habe, dass der Text „die dau-
ernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks ge-
sichert ist“ Tür und Tor für die gegebenenfalls nicht sach-
gemäße Prüfung durch die Anerkennungsbehörde öffnet.
Eine Stiftung ist nicht auf Ewigkeit gegründet, sondern
unter Umständen nur für eine gegebenenfalls auch kür-
zere Dauer, auf die der Wille des Stifters gerichtet sein
kann. Aber die Länder bestanden – weil in vielen Länder-
satzungen ein ähnlicher Satz steht – auf Beibehaltung die-
ses „dauernd und nachhaltig“, weil sie der Meinung wa-
ren, „nachhaltig“ alleine nicht genügt.
Wenigstens heißt es: „ ... die dauernde und nachhaltige
Erhaltung des Stiftungsrechts gesichert scheint“. Das
heißt, es ist kein absoluter Nachweis zu führen, ob die
dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks
tatsächlich gesichert ist, sondern es genügt die Prognose.
Diese darf nicht kleinkariert und beckmesserisch von
Bürokraten zerpflückt werden, sondern es gelten, wenn
keine gravierenden Anhaltspunkte dagegen stehen, Wille
und Prognose des Stifters.
Richtigerweise wurde in der Begründung auch auf-
genommen, dass der Begriff „nachhaltig und dauernd“
keine zwei selbstständig zu prüfenden Voraussetzungen
ist, sondern ein Merkmal darstellen soll, dass Stiftungen
ein ernsthaftes Geschäft sind und nicht aus „Jux und Dol-
lerei“ durchgeführt werden. Vielmehr ist ein nachhaltiger
Zweck zu erfüllen und die Stiftung muss auf eine gewisse
Dauer – gegebenenfalls vom Stifter vorgesehen; aber
nicht zum Beispiel für nur wenige Monate – angelegt sein.
Nachhaltig heißt auch, dass entweder ein entsprechen-
des Anfangsvermögen oder die Aussicht auf Zustiftungen
den durch Stifterwillen vorgegebenen Zweck erfüllen.
Aber auch hier gilt, das vom Stifter Gewollte, wenn nicht
die „Unmöglichkeit auf die Stirn“ geschrieben ist.
Ich hätte auch gerne den etwas „schwammigen“ Be-
griff im letzten Halbsatz des Abs. 2 geändert, der die An-
erkennung der Stiftung davon abhängig macht, dass die
Stiftung das „Gemeinwohl nicht gefährdet“. Hier hätte
ich mir gewünscht, dass dieser Halbsatz gelautet hätte:
„ ... und die Stiftung nicht gegen Gesetz und Recht ver-
stößt“. In den Berichterstatter-Gesprächen mit Experten
des Ministeriums wurde dies abgelehnt, unter anderem,
weil „Gemeinwohl“ nicht nur im geltenden Recht, son-
dern auch in mehreren Ländergesetzen als Begriff aufge-
nommen worden sei. Der bloße Hinweis, dass die Stiftung
Gesetz und Recht zu entsprechen habe, schränke die
Handlungsfähigkeit der Anerkennungsbehörden ein,
wenn zum Beispiel die Frage der Anerkennung von Stif-
tungen von links- oder rechtsradikalen Organisationen
oder radikal-fundamentalen Religionsgemeinschaften an-
stünde. Es überzeugt mich nicht, weil „Gemeinwohl“
doch sehr häufig nicht nur objektiv gesehen wird, sondern
durchaus auch mit parteipolitischer Brille. So haben die
zuständigen Länderbehörden einen Ermessensspielraum,
der aber zum Trost bei der Versagung einer Anerkennung
gerichtlich überprüft werden kann.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 200223452
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Vorschläge der CDU/CSU-Fraktion waren richtig
und nützlich, der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grü-
nen vom Grundsatz her ebenso. Aber ein eigenes Stif-
tungsgesetz mit vielen neuen Behörden, gegebenenfalls
Stiftungskammern, Registrierungen und Ähnliches, hätte
meines Erachtens das Stiftungsgeschäft nicht erleichtert,
sondern eher erschwert.
Auch der Entwurf der FDP, der richtigerweise die Än-
derungen im BGB vorsah, hat von uns eine große Sym-
pathie. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf haben wir
aber das Machbare, mit den vorhandenen Mehrheiten und
in Abstimmungen mit den Ländern, erreicht.
Der Gesetzentwurf soll Stiftungen erleichtern und Stif-
ter ermutigen, indem der Stifter für Stiftungen nun einen
Rechtsanspruch hat und nicht um „Genehmigung nachsu-
chen muss“, sondern die Anerkennung beantragt. Durch
die verbesserte Formulierung hinsichtlich der „Stiftungen
von Todes wegen“ können Erblasser, auch mit kurzen An-
ordnungen einer Stiftung, relativ sichergehen, dass nach
ihrem Tode ihr Wille für die Stiftung nachhaltig berück-
sichtigt wird.
Das neue rechtliche Korsett der Stiftung ist aber nur
das eine. Dazu muss eine günstige steuerliche Begleitung
kommen, die im Rahmen der Erfahrungen aus den letzten
Jahren einer Überprüfung bedarf und sicher Verbesserun-
gen verdient.
Es muss dann noch das manchmal bei einigen Mitglie-
dern der Regierungsparteien vorhandene rückständige
Denken über Stifter geändert werden. Stifter sind nicht
„Steuerhinterzieher“, sondern Menschen, die ihr erarbei-
tetes Vermögen oder Einkommen, das sie bereits versteu-
ert haben, einsetzen, um da zu helfen, wo der Staat nicht
eingreifen kann oder will. Dies gilt natürlich nicht nur für
Kultur und Kunst, sondern auch im sozialen Bereich, in
der Forschung, im Denkmalschutz, im Umweltschutz, für
Schulen usw.
Um nochmals auf den FDP-Antrag zurückzukommen:
Es wird niemand gehindert, das Stiftungsgeschäft über ei-
nen Anwalt oder Notar vorbereiten zu lassen, und ich kann
– insbesondere bei größeren Summen oder Vermögen – es
nur empfehlen, weil insoweit der Sachverstand eines
Notars oder Anwalts noch nie geschadet hat. Sollte sich
mit der Zeit herausstellen, dass dies notwendig ist und
keine zusätzliche Hürde für Stifter darstellt, könnte ein
Hinweis auf § 313 BGB eingefügt werden.
Die Unionsfraktion stimmt mit den vorgebrachten Be-
denken diesem Gesetz zu und enthält sich folgerichtig
beim FDP-Gesetzentwurf.
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Heute ist ein glücklicher Tag für das bürgerschaftliche
Engagement, denn heute wird die Reform des Stiftungs-
rechts abgeschlossen. Fünf Jahre nachdem die Grünen sich
dieses Themas angenommen haben und nachdem sich
die Regierungskoalition vorgenommen hatte, das Thema
zu einem zufrieden stellenden Abschluss zu bringen, sind
wir heute hier und beraten den Gesetzentwurf zum letzten
Mal – jedenfalls in dieser Legislaturperiode.
Was haben wir geschafft? 1997 haben wir mit dem
bündnisgrünen Gesetzentwurf das damalige Stiftungs-
recht auf seine Schwächen und Stärken abgeklopft und
einen umfassenden Vorschlag zu seiner Verbesserung vor-
gelegt. Das Hauptziel war, Anreize für Stifter und Inte-
resse für Stiftungen zu wecken. Denn wir hatten erkannt,
was heute jedermann verstanden hat: Stiftungen wecken
kreative Kräfte, sie sind Ideenschöpfer für eine moderne,
globale Gesellschaft. Im Sommer 2000 setzten wir zu-
sammen mit der SPD steuerrechtliche Reformen für die
Stiftungen und die Stifter durch. Das schaffte konkrete
Anreize vor allem auch für Stifter mit kleinen Vermögen,
sich für eine gute Sache zu engagieren. Die Bürger und
Bürgerinnen ergriffen die Gelegenheit beim Schopf. Vor
allem die Bürgerstiftungen wuchsen allerorts aus dem Bo-
den. Die Stiftungspraxis beweist, dass wir mit unserer Re-
form unser Ziel erreichen: Allein im letzten Jahr sind an
die 1 000 neue Stiftungen gegründet worden.
Jetzt wird der vorläufig letzte Schritt vollzogen: Wir
haben uns den zivilrechtlichen Regelungen im Stiftungs-
wesen zugewandt und vier Regelungen vorgeschlagen:
Erstens. Ein formuliertes „Recht auf Stiftung“. Was in
juristischen Fachkreisen schon längst anerkannt ist, wird
nun auch im Gesetz festgeschrieben.
Zweitens. Eine abgeschlossene Liste der materiellen
Voraussetzungen zur Errichtung einer Stiftung wird in das
Gesetz aufgenommen. So ist ein Mindeststandard für die
Errichtung einer Stiftung gewährleistet. Das bringt Über-
sichtlichkeit, Einfachheit und Transparenz ins Stiftungs-
wesen. Das ist stifterfreundlich.
Drittens. Stiftungszweck kann jedes Anliegen eines
Stifters sein, das nicht gegen die Gesetze verstößt. Nur so
ist die Vielfalt der Stiftungen zu gewährleisten.
Viertens. In Zukunft werden Stiftungen von den Be-
hörden nicht mehr länger genehmigt, sondern sie werden
anerkannt. Auch hier spiegelt sich die Auffassung wider,
dass der Mensch ein Recht darauf hat, sich in Form einer
Stiftung zu entfalten.
Gestern meldeten sich schon die Stimmen der Kritik.
Peter Rawert aus Hamburg wies nicht zu Unrecht auf den
weitaus umfassenderen ersten Entwurf von 1997 hin. Und
auch der Kulturrat bemängelte, dass man sich vor allem
um eine eindeutigere Definition der Institution Stiftung
hätte kümmern sollen.
Mir persönlich ist es besonders bedauerlich, dass uns
vonseiten des Parlaments die Hände vor allem dahin ge-
hend gebunden waren, dass der Entwurf das Stiftungs-
register mit all seinen Konsequenzen nicht aufnehmen
konnte. Denn die Länder hatten von vornherein signali-
siert, dass sie einem bundesweiten Register für Stiftungen
nicht zustimmen würden.
Mit einem solchen Register wäre dem legitimen Be-
dürfnis der Öffentlichkeit Rechnung getragen worden,
über die privilegierte Rechtsform Stiftung mehr und ein-
heitlicheres zu erfahren, als die Stiftungen selbst bereit
sind, bekannt zu geben. Stiftungen werden – so sie denn
gemeinnützig sind – vom Staat vor allem steuerlich be-
günstigt. Wir hätten uns also durchaus auch eine weiter
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002 23453
(C)
(D)
(A)
(B)
gehende Reform vorstellen können, bei der gemeinnüt-
zige echte Stiftungen im bürgerlichen Gesetzbuch defi-
niert, durch bestimmte Rechtsformzusätze – entsprechend
etwa dem „e. V.“ bei eingetragenen Vereinen – gekenn-
zeichnet und in einem öffentlich zugänglichen Register
geführt werden müssten.
Mehr Transparenz in dieser Form hätte dem Stiftungs-
wesen gut getan. Die Anhörung im Rechtsausschuss hat
uns in dieser Hinsicht bestärkt, denn die Mehrheit der
Referenten sprach sich für ein Stiftungsregister aus. Wir
haben in dieser Hinsicht unsere parlamentarischen Mög-
lichkeiten ausgeschöpft, indem wir im Ausschuss für Kul-
tur und Medien einen interfraktionellen Entschließungs-
antrag einbrachten. Jetzt ist der Entschließungsantrag
sogar ins Plenum eingebracht worden. Darin bitten wir die
Länder, zumindest die regionalen Verzeichnisse zu ver-
vollständigen, zu vernetzen und der Öffentlichkeit zu-
gänglich zu machen. Das hat mit einem Register wenig zu
tun, schafft aber immerhin mehr Öffentlichkeit für die Ar-
beit und die Organisation der Stiftungen. Wir haben den
Ländern weiterhin nahe gelegt, selbst die Register in ihre
Landesgesetze aufzunehmen.
Wir werden die Praxis beobachten. Das Thema lässt
uns noch nicht los. Sollte sich herausstellen, dass sich in
Sachen Transparenz zu wenig bewegt, werden wir noch
einmal über eine diesbezügliche Verbesserung nachden-
ken müssen. Wir haben in der vorliegenden Reform auch
Abstand davon genommen, uns mit den vielfältigen Mög-
lichkeiten des Missbrauchs von Stiftungen auseinander zu
setzen. Auch hier werden wir wachsam sein und be-
obachten, ob weitere spektakuläre Fälle den Namen der
Stiftung in Misskredit bringen. Vielleicht müssen wir spä-
ter auch hier noch einmal nachhaken.
Jetzt wollen wir erst einmal diesen Teil der Reform
angemessen begrüßen. Genauso sehr wie ich mich über
den Abschluss insgesamt freue, ist es mir ein besonders
großes Vergnügen, festzustellen, dass die Arbeit an dieser
Reform wieder etwas Schönes gezeigt hat: Manche The-
men eignen sich so wenig zur Polemisierung, dass die Sa-
che wieder in den Vordergrund rückt. Das freut mich für
unser Parlament und heute ganz besonders für eine große
und wichtige Angelegenheit der Zivilgesellschaft; dem
persönlichen Einsatz der Bürger und Bürgerinnen, die
Stiftung.
Rainer Funke (FDP): Wir sind uns sicherlich in die-
sem Hause einig, dass das Stiftungsrecht modernisiert
werden muss. Aus diesem Grund haben die Grünen einen
umfangreichen Gesetzentwurf bereits am Ende der letzten
Legislaturperiode eingebracht, der von dem angesehenen
Notar Professor Dr. Rawert ausgearbeitet war. Die FDP
hat einen eigenen Gesetzentwurf zu Beginn dieser Legis-
laturperiode vorgelegt, der das materielle Stiftungsrecht,
also die Bestimmungen des BGB und das Steuerrecht,
umfasste.
Das Stiftungssteuerrecht ist inzwischen durch Be-
schlussfassung des Bundestages im Bundesgesetzblatt.
Auch wenn uns diese steuerlichen Entlastungen für Stif-
ter und Stiftungen nicht weit genug gehen, räume ich ein,
dass wir mit diesem Stiftungssteuerrecht auf dem rich-
tigen Weg sind. Erfreulich ist auch, dass die Bereitschaft,
gemeinnützige Stiftungen zu gründen, zugenommen hat.
Aber gerade um diese Stiftungskultur in Deutschland auf
eine neue Stufe der Qualität und Quantität zu heben, muss
das materielle Stiftungsrecht grundlegend vereinfacht
werden und vom Konzessionssystem zum Normativ-
system verändert werden. Gerade diese Grundvorausset-
zung erfüllt der Regierungsentwurf bzw. der Entwurf der
Koalitionsfraktionen nicht. Aus diesem Grunde werden
sie von uns auch abgelehnt. Die geringfügigen Änderun-
gen in § 80 und § 81 BGB führen nicht dazu, dass das Stif-
tungsrecht, wie der Titel heißt, modernisiert wird; denn all
das ist lediglich ein Etikettenschwindel. Ich frage mich
wirklich, wie glaubwürdig gerade die Grünen sind, die
noch vor vier Jahren einen Entwurf von Professor Rawert
vorgelegt haben, der, auch wenn man nicht in allen Punk-
ten mit ihm einverstanden sein musste, grundlegende Ver-
änderungen gebracht hätte.
Auch die Sachverständigenanhörung hat deutlich ge-
macht, dass der heute zur Debatte stehende Gesetzentwurf
abgelehnt und als nicht weit gehend genug bezeichnet
wird. Das deckt sich im Übrigen mit dem Votum des
Deutschen Kulturrates, der die Stiftungsreform halbher-
zig nennt und mit der Auffassung Professor Rawerts in der
„FAZ“ vom 23. April 2002, der das neue Stiftungsgesetz
als Rückfall in das 19. Jahrhundert bezeichnet. Recht hat
er, denn das Stiftungsrecht verbleibt bei den alten Rege-
lungen des Jahres 1896 und den Partikularinteressen und
Partikularrechten der Länder. Damit kann man keine An-
reize für Stifter geben. Hier ist eine gute Gelegenheit ver-
tan worden, das Stiftungsrecht wirklich zu modernisieren.
Dies wäre auch möglich gewesen gegen den Widerstand
der Länder, in denen das Stiftungsgeschäft so gestaltet
worden wäre, dass das Normativsystem eingeführt und
damit das Gesetz vom Zustimmungsgesetz zum Ein-
spruchsgesetz verändert worden wäre.
Der Gesetzentwurf der FDP, der diesem Kriterium
der Modernisierung entspricht, hat weitgehende Zustim-
mung bei den Sachverständigen gefunden. Frau Kollegin
Vollmer war zwar im Ausschuss der Auffassung, dass dem
Gesetzentwurf der FDP handwerkliche Mängel anhaften
würde, aber sie war auch nicht bereit, diese angeblichen
Mängel zu beseitigen. So verbleibt es heute dabei, dass
das Stiftungsrecht nicht modernisiert wird und dieses Vor-
haben zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wieder
aufgerufen und dann eine wirkliche Reform mithilfe der
FDP beschlossen werden wird.
Dr. Heinrich Fink (PDS):Mit der zu erwartenden An-
nahme des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Modernisie-
rung des Stiftungsrechts findet eine intensive Debatte zu
diesem Gegenstand innerhalb dieser Legislaturperiode
ihren Abschluss. Die PDS hat hier weitgehend Neuland
betreten, sich dann aber deutlich in den Meinungsbil-
dungsprozess eingeschaltet. Dabei war uns besonders da-
ran gelegen, den Reformprozess so auszurichten, dass er
unser hauptsächlichstes Ziel, mehr soziale Gerechtigkeit
in Deutschland herzustellen, befördert und nicht behin-
dert. Als Element einer „Bürgergesellschaft“ haben wir im
Stiftungswesen darüber hinaus eine Institution stärken
wollen, die es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 200223454
(C)
(D)
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(B)
mehr unmittelbare Verantwortung für das Gemeinwohl zu
übernehmen.
Sehr früh sind wir zu der Überzeugung gekommen,
dass eine neue Stiftungskultur in diesem Sinne nur in der
Einheit von steuerlichen Begünstigungen und neuen zi-
vilrechtlichen Rahmenbedingungen entwickelt werden
kann. Im Zentrum der zivilrechtlichen Stiftungsreform
stand und steht für uns die Forderung nach mehr Transpa-
renz und Publizität, und zwar nicht in erster Linie Trans-
parenz für die staatlichen Behörden, sondern für die Be-
völkerung, die in sehr unterschiedlicher Weise mit den
Stiftungen in Berührung kommt.
Das Gesetz bringt einige Verbesserungen und Verein-
fachungen für die Gründung einer Stiftung und wegen
dieser Verbesserungen werden wir dem Gesetzentwurf
zustimmen. Doch die Forderung nach mehr Transparenz
hinsichtlich des Wirkens der Stiftungen wird bei weitem
nicht erfüllt. Darüber hinaus habe ich die Befürchtung,
dass mit Inkrafttreten des Gesetzes die Transparenz-
problematik aus der öffentlichen Debatte verschwindet.
Um dies zu verhindern und um den Sachverstand aus
den Ländern einzubeziehen, in denen die Transparenz im
Stiftungswesen wesentlich weiter als in Deutschland ent-
wickelt ist, schlagen wir mit unserem Entschließungsantrag
vor, ein international zusammengesetztes Gremium ein-
zurichten. Dieses Gremium soll beim Bundespräsidenten
angesiedelt sein und seine Vorschläge bis zum Herbst 2004
vorlegen, damit diese noch innerhalb der nächsten Legis-
laturperiode gesetzgeberisch umgesetzt werden können.
Da ich weiß, dass viele Mitglieder des Hauses mit dem
jetzt erreichten Stand unzufrieden sind, hoffe ich auf eine
breite Unterstützung für diesen Antrag.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz: Wir beraten heute über die
Modernisierung des zivilrechtlichen Stiftungsrechts. Der
Stiftungsgedanke ist unübersehbar wieder stärker im öf-
fentlichen Blickfeld. Dazu hat auch die Diskussion um
Reformen im Stiftungsrecht beigetragen. Ich freue mich,
dass heute mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Mo-
dernisierung des Stiftungsrechts das Ergebnis dieses ge-
meinsamen Weges von Stiftungspraxis, Ländern und
Bund vorliegt.
Das Stiftungswesen in Deutschland ist – das wissen
wir – vielfältig. Stiftungen entfalten wertvolle Aktivitäten
in allen Bereichen des öffentlichen Lebens.
Das zeigen die Taten der bekannten Stiftungen, die
berühmte Namen und teilweise eine Tradition von Hun-
derten von Jahren haben, ebenso wie die vielen anderen,
vielen kleinen, nicht so im Rampenlicht stehenden Stif-
tungen und das, was sie tun. Das gilt gerade für den So-
zialbereich sowie für Bildung und Forschung, aber auch
für den kulturellen Bereich.
Mit einer Modernisierung des Stiftungsrechts wollen
wir dieses Engagement nachdrücklich unterstützen. Zu ei-
ner Förderung der Stiftungskultur in Deutschland gehört
auch ein modernes Stiftungsrecht.
Die steuerlichen Rahmenbedingungen für Stiftungen
haben wir bereits mit dem Gesetz vom 14. Juli 2000 ver-
bessert. Diese Reform hat dazu beigetragen, dass sich das
Stiftungswesen in einer regelrechten Aufbruchstimmung
befindet. Ich darf das an einigen Zahlen erläutern. Die Zahl
der Neugründungen ist in den letzten Jahren ständig ge-
stiegen. Wurden vor zehn Jahren – also im Jahre 1992 –
290 privatrechtliche Stiftungen errichtet, waren es im
Jahr 1998 schon 505 Stiftungen und im Jahr 2000 sogar
681. Im vergangenen Jahr – die genauen Zahlen sind al-
lerdings noch nicht bekannt – hat die Gesamtzahl der Stif-
tungen die 10 000er-Grenze überschritten.
Wesentliche Voraussetzungen für eine Modernisierung
des Stiftungsprivatrechts hat die Arbeitsgruppe der Län-
der und des Bundes zum Thema Stiftungsrecht erarbeitet.
Das möchte ich hier ausdrücklich anerkennen. Der Be-
richt dieser Bund-Länder-Arbeitsgruppe zeigt, dass die
Bestandsaufnahme ausgesprochen gut und gründlich war.
Erstmals haben wir nun eine sichere rechtsstaatliche
Grundlage, um die einschlägigen Fragen beantworten zu
können.
In dieser Arbeitsgruppe haben jedoch nicht nur Bund
und Länder ihren Anteil erbracht. Mir ist wichtig, hier
insbesondere die Sachkunde der Verbände und Einrich-
tungen der Stiftungspraxis sowie von Sachverständigen
zu erwähnen, die sich sehr kooperativ und hilfreich be-
teiligt haben.
Der Ihnen heute vorliegende Gesetzentwurf orientiert
sich an den Vorschlägen des Abschlussberichtes der Ar-
beitsgruppe vom Oktober letzten Jahres.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Modernisie-
rung des Stiftungsrechts wird vor allem ein Ziel verfolgt:
Die Stifterfreiheit soll gestärkt werden. Es geht im Kern
darum, das Verfahren zur Errichtung von Stiftungen bür-
gerlichen Rechts einfacher und transparenter zu gestalten.
Den Schwerpunkt des Gesetzentwurfs bilden die fol-
genden vier Punkte, die im Bürgerlichen Gesetzbuch ge-
regelt werden sollen:
Erstens. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wird erstmals der
Rechtsanspruch ausdrücklich festgeschrieben, dass die
Stiftung als rechtsfähig anerkannt wird.
Zweitens. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die
Anerkennung der Stiftung werden abschließend und – das
füge ich mit Bedacht hinzu – erstmals bundeseinheitlich
geregelt. Dabei sind die obligatorischen Anforderungen
an das Stiftungsgeschäft und die Stiftungssatzung auf ein
unverzichtbares Minimum reduziert.
Drittens. Der Gesetzentwurf schreibt erstmals aus-
drücklich fest, dass Stiftungen zu jedem gemeinwohlkon-
formen Zweck errichtet werden können. Lassen Sie mich
eines hinzufügen: Ich finde es richtig, dass es hierbei nicht
von vornherein Einschränkungen gibt. Wenn dem Gesetz-
geber ein Stiftungsanliegen besonders wertvoll ist, dann
kann er das im steuerlichen Bereich honorieren. Das ma-
terielle Stiftungsrecht dagegen sollte aus unserer Sicht
neutral sein.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002 23455
(C)
(D)
(A)
(B)
Viertens. Um den Grundsatz der Stiftungsfreiheit auch
sprachlich deutlich zu machen, wurde der Begriff
„Genehmigung der Stiftung“ durch den Begriff „Aner-
kennung der Stiftung“ ersetzt.
Ich bin zuversichtlich, dass sich auf dieser Grundlage
das Stiftungsklima weiter verbessern wird. Wir wollen
gute gesetzliche Voraussetzungen schaffen, damit sich die
Stiftungen für das Gemeinwohl engagieren können. In
diesem Sinne bitte ich Sie herzlich, dem Entwurf eines
Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts zuzu-
stimmen.
Ich möchte zum Ende meiner Ausführungen auch Ih-
nen dafür danken, dass Sie die Diskussion so konstruktiv
begeleitet haben. Ich bedanke mich auch bei den Mitar-
beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesministeriums der
Justiz für ihre Unterstützung bei diesem Vorhaben.
Anlage 3
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Karl Diller auf die Frage des Ab-
geordneten Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU)
(Drucksache 14/9003, Frage 3):
Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag der Stellver-
tretenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds zur Ein-
führung einer internationalen Insolvenzregelung für Staaten?
Die Vorschläge der ersten stellvertretenden Direktorin
des Internationalen Währungsfonds für ein formales Ver-
fahren zur Restrukturierung von Schulden souveräner
Staaten werden von der Bundesregierung grundsätzlich
positiv beurteilt. Ein solches Verfahren könnte spürbar die
Lösung von Finanzkrisen erleichtern. Ein geordnetes Ver-
fahren liegt im Interesse des Schuldners, aber auch der
überwiegenden Mehrheit der Gläubiger, da bei einer Zah-
lungseinstellung und einem sich anschließenden unge-
regelten Verfahren die damit verbundenen Kosten für
beide erheblich höher sind. Die Bundesregierung unter-
stützt deshalb die weiteren Arbeiten im Internationalen
Währungsfonds zur Konkretisierung eines solchen Ver-
fahrens.
Anlage 4
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Margareta Wolf auf die Fragen
des Abgeordneten Hans Michelbach (CDU/CSU)
(Drucksache 14/9003, Fragen 4 und 5):
Wie gedenkt die Bundesregierung den Bedenken bei mittel-
ständischen Betrieben und ihren Mitarbeitern bezüglich der Wett-
bewerbsfähigkeit und der Entwicklung des Arbeitsmarkts ange-
sichts der bevorstehenden EU-Osterweiterung entgegenzutreten?
Beabsichtigt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die
Regionalfördermittel für die Regierungsbezirke Oberfranken,
Oberpfalz und Niederbayern aufzustocken, und warum wurden
die bayerischen Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
besserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) erheblich re-
duziert?
Zu Frage 4:
Die Bundesregierung steht in engem Kontakt mit den
Institutionen der Wirtschaft und mit Unternehmen, um
speziell wirtschaftsbezogene Themen der EU-Erweite-
rung mit ihnen zu erörtern. In Veranstaltungen und Publi-
kationen werden die Anliegen und Sorgen insbesondere
der mittelständischen Wirtschaft erörtert und Informatio-
nen weitergegeben. Die Bundesregierung wird im Rah-
men ihrer Informations- und Kommunikationsstrategie
das Ziel konsequent weiterverfolgen, gemeinsam mit den
Einrichtungen der Wirtschaft die mittelständischen Un-
ternehmen zu sensibilisieren und ihnen die Chancen der
EU-Erweiterung zu verdeutlichen.
Die Erweiterung der EU eröffnet auch mittelständi-
schen Unternehmen viele neue Geschäftsmöglichkeiten
und damit Ansatzpunkte zur Stärkung und Sicherung ih-
rer Wettbewerbsfähigkeit. Neben den verbesserten Ab-
satzmöglichkeiten im Zuge der EU-Erweiterung können
die mittelständischen Betriebe von einem größeren Be-
schaffungsmarkt profitieren. Ob und inwieweit das ein-
zelne Unternehmen die vorhandenen Chancen auf den
mittel- und osteuropäischen Märkten realisiert, hängt al-
lerdings von einer Reihe von Faktoren ab: Aktive Anpas-
sungsstrategien wie Qualifizierungsmaßnahmen, das An-
eignen von Kenntnissen über die neuen Märkte, das
jeweilige Rechtssystem und nicht zuletzt die Sprache, die
konsequente Nutzung komparativer Wettbewerbsvorteile
und die Bildung grenzüberschreitender Kooperationen
und Netzwerke sind wichtige Voraussetzungen für erfolg-
reiche grenzüberschreitende Aktivitäten.
Die Bundesregierung unterstützt die Anstrengungen
deutscher Unternehmen, Geschäftsmöglichkeiten in Mit-
tel- und Osteuropa auszuschöpfen, mit einem breit ge-
fächerten Instrumentarium der Außenwirtschaftsförde-
rung, welches kontinuierlich auf seine Passgenauigkeit
hinsichtlich der Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unter-
nehmen überprüft wird. Es reicht von den Serviceleistun-
gen der Auslandshandelskammern und der Bundesagentur
für Außenwirtschaft (bfai), über die finanzielle Absiche-
rung von Exporten (Hermes), die Auslandsmesseförde-
rung, die Unterstützung im internationalen Wettbewerb
durch die Ausfuhrgewährleistungen für Lieferungen und
Leistungen sowie die Förderung von Direktinvestitionen
bis hin zu der Organisation von Informations- und Kon-
taktveranstaltungen.
Darüber hinaus können die Betriebe von einer Vielzahl
von Maßnahmen der Bundesregierung profitieren, die die
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen generell verbes-
sern. Eine Zusammenstellung der Maßnahmen findet sich
in der Dokumentation des Bundesministeriums für Wirt-
schaft und Technologie – Politik für den Mittelstand –
(BMWi-Dokumentation Nr. 504).
Für die Grenzregionen zu den Beitrittsländern, für die
die EU-Erweiterung eine besondere Herausforderung dar-
stellt, steht ein breites Spektrum von Maßnahmen seitens
der EU, des Bundes und der Länder zur Verfügung. Das
ganze Spektrum an Förderinstrumenten ist in der kürzlich
erschienenen Dokumentation des Bundesministeriums
für Wirtschaft und Technologie – Förderung der Grenz-
regionen zu den Beitrittsländern – Die Hilfen von EU,
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 200223456
(C)
(D)
(A)
(B)
Bund und Ländern – enthalten (BMWi-Dokumentation
Nr. 502)
Vor dem Hintergrund der Sorgen mittelständischer Be-
triebe und Arbeitnehmer vor möglichen negativen Aus-
wirkungen der EU-Erweiterung hinsichtlich der Entwick-
lung des Arbeitsmarktes hat die Bundesregierung in den
Beitrittsverhandlungen flexible und zeitlich begrenzte
Übergangsregelungen im Bereich der Arbeitnehmerfrei-
zügigkeit durchgesetzt, die ein schrittweises Zusammen-
wachsen der Arbeitsmärkte ermöglichen. Es ist ein Ver-
fahren vorgesehen, das eine Regelung des Zustroms von
Arbeitnehmern nach nationalem Recht für einen Zeitraum
von maximal sieben Jahren ermöglicht und eine entspre-
chende Regelung für besonders betroffene Bereiche des
Dienstleistungssektors (Baugewerbe, Innendekorateure,
Gebäudereiniger) in Deutschland vorsieht. Diese auf EU-
Ebene beschlossene und von Estland, Lettland, Litauen,
Polen, der Slowakischen Republik, Slowenien, der Tsche-
chischen Republik und Ungarn bereits akzeptierte Rege-
lung eröffnet gleichzeitig die Möglichkeit einer bedarfsori-
entierten Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften.
Zu Frage 5:
Die Mittel für die GA werden im parlamentarischen
Haushaltsverfahren des Bundestages beschlossen. Die
Aufteilung der GA-Mittel auf die Länder bemisst sich
nach festgelegten Quoten, die vom Bund-Länder-Pla-
nungsausschuss anhand des Anteils der Länder an der
Einwohnerzahl im Fördergebiet beschlossen werden. Die
Bemessung der GA-Mittel richtet sich vorrangig nach den
haushaltspolitischen Möglichkeiten des Bundes. Deshalb
ist eine Aufstockung der GA-Ansätze durch die Bundes-
regierung nicht vorgesehen.
Das Fördergebiet der GAwird im Abstand von drei bis
vier Jahren neu abgegrenzt und muss von der EU-Kom-
mission genehmigt werden. Die Neuabgrenzung des der-
zeitigen Fördergebietes erfolgte zum 1. Januar 2000. Den
Plafond des Fördergebiets, das heißt den Anteil der För-
dergebietsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung, gibt
die EU vor. Nach ihren eigenen Berechnungsverfahren
hatte die EU für Deutschland anhand des Ausmaßes re-
gionaler Strukturprobleme ursprünglich 23,4 Prozent für
die westdeutschen Fördergebiete ermittelt und nach
nachträglichen Kürzungen lediglich 17,6 Prozent zuge-
standen. Hiergegen hat die Bundesregierung auf Bitte des
Planungsausschusses Klage vor dem EuGH erhoben. Mit
einer Entscheidung wird noch in diesem Jahr gerechnet.
Nach dem von der EU vorgegebenen gekürzten Pla-
fond hat der Planungsausschuss anhand von objektiven
Regionalindikatoren das jetzige Fördergebiet ausgewie-
sen, zu dem nahezu der gesamte bayerische Grenzbereich
zu Tschechien gehört. Lediglich die Landkreise Schwan-
dorf und Neustadt an der Waldnaab konnten aufgrund des
gekürzten Plafond und der Ergebnisse der Regionalindi-
katoren nicht berücksichtigt werden. Die Absicht von
Bund und Ländern, diese Lücke im Grenzbereich zu
Tschechien mit einer so genannten Feinabgrenzung zu
schließen, wurde von der EU nicht genehmigt.
Anlage 5
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Stephan Hilsberg auf die Fragen
des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann (FDP)
(Drucksache 14/9003, Fragen 8 und 9):
Existiert der in der Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage der Fraktion der FDP in Bundestagsdrucksache
14/7191 zum Abbau des „Schilderwaldes“ angekündigte Referen-
tenentwurf zum Vorhaben „Weniger Verkehrszeichen – bessere
Beschilderung“ inzwischen?
Wenn ja, wann wird er dem Bundestagsausschuss für Verkehr,
Bau- und Wohnungswesen zugeleitet, und wenn nein, warum
noch nicht?
Die Überprüfung der derzeit geltenden Vorschriften
– §§ 39 ff. der Straßenverkehrs-Ordnung mit den Verwal-
tungsvorschriften – und die Formulierung von Ände-
rungsvorschlägen ist noch nicht abgeschlossen.
Anlage 6
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Fragen des
Abgeordneten PeterWeiß (Emmendingen) (CDU/ CSU)
(Drucksache 14/9003, Frage 12):
Für welche Projekte und in jeweils welcher Höhe setzt das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung die ihm zur Bewirtschaftung übertragenen Mittel aus
dem Einzelplan 60, Titel 971 03 „Maßnahmen in Zusammenhang
mit der Terrorismusbekämpfung“ ein?
Zur bisherigen Umsetzung der dem BMZ zugewiese-
nen Mittel für Maßnahmen im Zusammenhang mit
der Terrorismusbekämpfung liegen dem Haushaltsaus-
schuss und dem AWZ umfangreiche Unterlagen vor. Ins-
gesamt sind im Einzelplan 60 (Kap. 6002, Tit. 971 03) für
den Einzelplan 23 (BMZ) Ausgabemittel in Höhe von
152 258 Millionen Euro (davon 50 Millionen Euro für den
Wiederaufbau Afghanistans) sowie Verpflichtungser-
mächtigungen in Höhe von mindestens 40 Millionen Euro
vorgesehen.
Die bisher bereitgestellten Ausgabemittel in Höhe von
112,2 Millionen Euro teilen sich insgesamt (Afghanistan
und sonstiges Antiterrorpaket) insbesondere auf folgende
Instrumente auf: bilaterale staatliche Entwicklungszu-
sammenarbeit (FZ, TZ, staatliche TZ i. w. S., Nothilfe)
63,3 Millionen Euro (56,4 Prozent), zivilgesellschaftliche
und wirtschaftliche Träger (politische Stiftungen, private
Träger, Kirchen, ZFD, Sozialstruktur und anderes)
17,0 Millionen Euro (15,1 Prozent), multilaterale Zusam-
menarbeit (insbesondere VN und internationale NRO)
28,5 Millionen Euro (25,4 Prozent).
Inhaltlich liegt der Schwerpunkt der Afghanistan-Mit-
tel in Höhe von 50 Millionen Euro in folgenden Bereichen:
Aufbau der Strukturen (insbesondere über multilaterale
Maßnahmen) 45 Prozent, Förderung von Rechtsstaatlich-
keit, Demokratie, Menschenrechten und Krisenprävention
17 Prozent, Gesundheit 15 Prozent, Grundbildung 11 Pro-
zent.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002 23457
(C)
(D)
(A)
(B)
Bei den sonstigen ATP-Maßnahmen in Höhe von
62,2 Millionen Euro ergeben sich folgende Schwer-
punkte: Nahrungsmittel und elementare landwirtschaftli-
che Produktionsmittel 5 Prozent, entwicklungspolitische
Dialogstrukturen zivilgesellschaftlicher Kräfte (insbeson-
dere politische Stiftungen, Kirchen, Aus- und Fortbil-
dung, private Träger) 25 Prozent, Ziviler Friedensdienst
3 Prozent, soziale Infrastruktur, Beschäftigungspro-
gramme und anderes (FZ) 23 Prozent, Förderung rechts-
staatlicher Institutionen, Eingliederung von Ex-Kombat-
tanten, Sozialentwicklung, Ausbildung, Sicherheitssektor
und anderes (TZ) 27 Prozent, im multilateralen Bereich:
UNDP-Maßnahmen zu „Good Governance“ und „Crisis
Prevention and Recovery“; Bildung und Emanzipation
von Frauen in islamischen Ländern; Korruptionsbekämp-
fung 13 Prozent.
Die Maßnahmen des BMZ dienen insbesondere fol-
genden Zielen im Rahmen des Antiterrorprogramms: Un-
terstützung von Partnerländern bei der Bewältigung der
Folgen von Krisen und Konflikten; Eindämmung der Ur-
sachen von Konflikten, Gewalt und Terrorismus; Stär-
kung der Fähigkeiten von Partnerländern beim rechts-
staatlichen und demokratischen Umgang mit den
Herausforderungen von Konflikten.
Anlage 7
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Fra-
gen der Abgeordneten Monika Brudlewsky (CDU/CSU)
(Drucksache 14/9003, Fragen 17 und 18):
Wie schätzt die Bundesregierung die Aktivitäten des Nationa-
len Widerstandsrates des Iran in der Bundesrepublik Deutschland
ein?
Liegen der Bundesregierung verfassungsschutzrechtliche Er-
kenntnisse über diese Vereinigung vor, und wenn ja, welche?
Zu Frage 17:
Beim „Nationalen Widerstandsrat Iran“ (NWRI) han-
delt es sich um den weltweit aktiven politischen Arm der
im Iran durch ihren militärischen Flügel „Nationale Be-
freiungsarmee“ (NLA) mit terroristischen Mitteln operie-
renden „Volksmodjahedin Iran-Organisation“ (MEK).
Vor diesem Hintergrund wird auch der NWRI als extre-
mistisch eingestuft und unterliegt daher der Beobachtung
durch die Verfassungsschutzbehörden.
Zu Frage 18:
Durch die generelle Befürwortung von Gewalt zur
Herbeiführung eines Umsturzes im Iran sowie die Unter-
stützung der Guerillaaktivitäten der NLA im Iran durch
entsprechende Propaganda bzw. durch die teils illegale
Beschaffung von Geldmitteln gefährdet der „Nationale
Widerstandsrat Iran“ auswärtige Belange der Bundes-
republik Deutschland. Die Organisation erfüllt damit die
Beobachtungsvoraussetzungen nach § 3 Abs. 1 Ziff. 3
Bundesverfassungsschutzgesetz.
Bei den unter dem Vorwand der Flüchtlingshilfe durch-
geführten systematischen, teils illegalen Geldbeschaf-
fungsmaßnahmen bedient sich der NWRI zahlreicher
Tarnorganisationen im Bundesgebiet.
Die Aktivitäten der „Volksmodjahedin Iran-Organisa-
tion“ und ihres politischen Arms, dem „Nationalen
Widerstandsrat Iran“, sind seit Jahren Gegenstand
der Berichterstattung im jährlich erscheinenden Ver-
fassungsschutzbericht, auf den verwiesen wird. Das Bun-
desamt für Verfassungsschutz hat darüber hinaus im De-
zember 2000 eine Broschüre zu den „Volksmodjahedin“
herausgegeben.
Anlage 8
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die Frage
der Abgeordneten Gudrun Kopp (FDP) (Drucksache
14/9003, Frage 20):
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über angeblich
hohe Konzentrationen von Acrylamid in Lebensmitteln?
Die Bundesregierung hat am 24. April 2002 über das
Schnellinformationssystem für Lebensmittel bei der EU
Informationen über Forschungsergebnisse aus Schweden
erhalten, wonach bei der Herstellung bestimmter Lebens-
mittel Acrylamid in unterschiedlichen und zum Teil hohen
Konzentrationen entstehen kann. Es handelte sich um stär-
kehaltige Lebensmittel, die gebraten, gebacken oder fri-
tiert waren (zum Beispiel Kartoffelchips, Pommes frites,
gebratene Kartoffeln, Brot). In gekochten Lebensmittel
wurde kein Acrylamid gefunden. Die gefundenen Werte
lagen um 1 mg/kg bei Kartoffelchips und um 0,5 mg/kg bei
Pommes frites.
Schweden hat bislang keine detaillierten Angaben über
die verwendeten Analysemethoden gemacht. Die schwe-
dischen Behörden haben bisher davon abgesehen, vom
Verzehr bestimmter Lebensmittel abzuraten.
Acrylamid ist als erbgutschädigend und krebserregend
eingestuft. Es müssen daher große Anstrengungen unter-
nommen werden, die Gehalte in Lebensmitteln zu mini-
mieren.
Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucher-
schutz und Veterinärmedizin hatte auf Veranlassung der
Bundesregierung kurzfristig für den 14. Mai 2002 zu ei-
nem Expertengespräch unter Beteiligung der betroffenen
Wirtschaft eingeladen. In diesem Gespräch wurden Fra-
gen der Analytik und Exposition, der Chemie und Tech-
nologie sowie der Toxikologie erörtert.
In dem Expertengespräch zeigt sich, dass zu allen zu-
vor genannten Fragen weiterer Klärungsbedarf besteht.
Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucher-
schutz und Veterinärmedizin wird vorrangig auf die Ent-
wicklung einer validierten Analysenmethode hinwirken,
die Voraussetzung für die Erhebung von aussgagekräfti-
gen Daten ist. Auf deren Grundlage wird eine umfassende
Risikobewertung vorgenommen werden, um erforderli-
che Maßnahmen zur Risikominderung einleiten zu kön-
nen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 200223458
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 9
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die Frage
des Abgeordneten Helmut Heiderich (CDU/CSU)
(Drucksache 14/9003, Frage 21):
Hat die Bundesregierung die Studie des Instituts für Demo-
skopie Allensbach vom Herbst 2001, veröffentlicht z. B. auszugs-
weise in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom
2. Dezember 2001, S. 37, zur Frage der Akzeptanz der „Grünen
Gentechnik“ in der deutschen Bevölkerung, zur Kenntnis genom-
men, und beurteilt die Bundesregierung diese Studie als fachlich
fundiert vor dem Hintergrund der Aussagen der Bundesministerin
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate
Künast, (z. B. Hessisch-Niedersächsische Allgemeine vom
14. Dezember 2001), wonach 70 % der Verbraucher „Nein“ zu Le-
bensmitteln aus gentechnisch verbesserten Pflanzen sagen?
Die in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“
zitierten Ergebnisse der Studie des Instisitus für Demo-
skopie Allensbach besagen, dass heute jeder dritte Deut-
sche unter bestimmten Voraussetzungen gentechnisch
veränderte Lebensmittel akzeptiert. Als Beispiel wurden
gentechnisch veränderte Tomaten genannt, falls diese bes-
ser schmecken. Dies steht nicht im Widerspruch zu der in
der Frage erwähnten Aussage von Frau Bundesministerin
Künast, wonach 70 Prozent der Verbraucher „Nein“ zu
Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen sa-
gen.
Dies deckt sich im Übrigen mit den Ergebnissen der
Eurobarometerumfrage vom Mai/Juni 2001, nach der
70 Prozent der EU-Bürger gentechnisch veränderte Le-
bensmittel ablehnen und 30 Prozent diese nicht ablehnen
bzw. unentschlossen sind. Die Ergebnisse dieser Umfrage
sind jedoch nicht nach Mitgliedstaaten der EU aufge-
schlüsselt.
Bestätigt werden diese Zahlen für Deutschland in einer
Forsa-Umfrage aus dem Januar 2002, der zufolge 70 bis
80 Prozent der Befragten die Kennzeichnung gentech-
nisch erzeugter Lebensmittel für unzureichend halten und
der Kontrolle ihrer gesundheitlichen Unbedenklichkeit
misstrauen.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die im Auf-
trag des BPA durchgeführte Studie des Instituts für De-
moskopie Allensbach fachlich fundiert ist. Die Ergebnisse
sind allerdings wegen der unterschiedlichen Fragestel-
lung und des unterschiedlichen Befragtenkreises nicht di-
rekt mit der Umfrage des Eurobarometers vergleichbar.
Anlage 10
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Matthias Berninger auf die Frage
der Abgeordneten Annette Widmann-Mauz (CDU/
CSU) (Drucksache 14/9003, Frage 22):
Inwieweit hat das Bundesministerium für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft der Entscheidung der Europä-
ischen Kommission, wonach seit dem 17. Mai 2001 keine
Milcherzeugnisse aus Betrieben in der Türkei zum menschlichen
Verzehr eingeführt werden dürfen, Rechnung getragen?
Die Entscheidung der Europäischen Kommission, tür-
kische Betriebe, aus denen die Einfuhr zum Verzehr be-
stimmter Milcherzeugnisse zugelassen war, von der Dritt-
landsbetriebsliste zu streichen, wurde durch Schreiben
des Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucher-
schutz und Veterinärmedizin vom 1. Juni 2001 den für das
Veterinärwesen zuständigen obersten Landesbehörden
und den betroffenen Dachverbänden mitgeteilt. Damit
sind die für die Durchführung der veterinärrechtlichen
Maßnahmen zuständigen Landesbehörden in die Lage
versetzt worden, der Entscheidung der Kommission
Rechnung zu tragen.
Anlage 11
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fra-
gen des Abgeordneten Dirk Niebel (FDP) (Drucksache
14/9003, Fragen 23 und 24):
Wie begründet die Bundesregierung die geplante Sanierung
der NATO-Pipeline von Straßburg nach Tübingen, und mit wel-
chen Kosten wird kalkuliert?
Welche Auswirkungen auf die naturlandschaftliche und touris-
tische Infrastruktur werden durch den Baustellenverlauf erwartet,
und wie werden sie verhindert?
Zu Frage 23:
Zur Sanierung der benannten NATO-Pipeline ist im
Abschnitt zwischen Kehl und Tübingen ein Neubau ge-
plant. Diese Pipeline bildet die einzige Verbindung zwi-
schen den in Süddeutschland gelegenen Systemanteilen
des CENTRAL EUROPE PIPELINE SYSTEM (CEPS)
und dem Gesamtsystem, das sich über den ganzen west-
europäischen Raum erstreckt. Ohne eine Wiederanbin-
dung an das Gesamtsystem sind die anderen süddeutschen
Pipelineanteile nicht wirtschaftlich nutzbar. Darüber hi-
naus ist der Transport von gefährlichen Gütern über Fern-
leitungen die mit Abstand sicherste Methode und trägt zu-
dem zur Entlastung von Schiene und Straße bei.
Nicht zuletzt mit Blick auf ihre Osterweiterung hat die
NATO ausdrücklich die Wiederinbetriebnahme der Pipe-
lineverbindung zwischen Kehl und Tübingen gefordert.
Das Interesse der neuen NATO-Partner Tschechien, Polen
und Ungarn an einer Versorgung aus dem CEPS ist sehr
groß. Es ist aus bündnispolitischer wie militärischer Sicht
notwendig, das Pipelinesystem über leistungsfähige Fern-
leitungen möglichst weit nach Osten zu führen. Die Fern-
leitung Kehl–Tübingen trägt diesem Ziel Rechnung. Die
Baukosten für die Pipeline Kehl–Tübingen betragen ohne
Mehrwertsteuer 45 926 793 Euro (89 825 000 DM), die
im Wesentlichen aus dem NATO-Sicherheitsinvestitions-
programm finanziert werden.
Zu Frage 24:
Die Erneuerung der Pipeline Kehl–Tübingen erfolgt
im Wesentlichen in ihrer bestehenden Trasse. In Abstim-
mung mit den Genehmigungsbehörden wurden einzelne
Umtrassierungen im Bereich der schützenswerten Ge-
biete vorgenommen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002 23459
(C)
(D)
(A)
(B)
Bei der Bauausführung werden die Auflagen aus dem
Planfeststellungsverfahren mit dem Ziel umgesetzt, Be-
einträchtigungen für Mensch, Fauna und Flora auf ein Mi-
nimum zu reduzieren.
Die vorgefundene Geländebeschaffenheit sowie der
ursprüngliche Zustand der vorhandenen Infrastruktur
werden nach Abschluss der Bauarbeiten wieder herge-
stellt.
Dauerhaft nachteilige Auswirkungen auf Naturland-
schaft und touristische Infrastruktur sind nicht zu erwarten.
Anlage 12
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Brigitte Schulte auf die Fragen
des Abgeordneten Günther Friedrich Nolting (FDP)
(Drucksache 14/9003, Fragen 25 und 26):
Wie plant die Bundesregierung den Costumer Product
Management-Prozess des Bundesministeriums der Verteidigung
(BMVg) durch geeignete Analysen und Simulationen zu unter-
stützen, und in welchen Projekten wurden entsprechende Initia-
tiven aus Industrie und Amtsbereich bereits einbezogen?
Wie viele Soldaten stehen gegenwärtig und ohne Einschrän-
kungen (wie zum Beispiel Erkrankungen, Ausbildungserforder-
nisse, inländische Verwendungen etc.), unterteilt nach Teilstreit-
kräften für Auslandseinsätze, zur Verfügung?
Zu Frage 25:
Mit Einführung des Costumer Product Management
(CPM) 2001 gewinnen Analyseverfahren und Simula-
tionen eine neue Qualität. Der CPM umfasst die Analyse-
phase, die Projektierungsphase, die Einführungsphase
und die Nutzung.
In der Analysephase werden technische und wirtschaft-
liche Analysen, Studien und Simulationen zur Bedarfser-
mittlung sowie zur Beurteilung und Auswahl von Lö-
sungswesen durchgeführt. In der Projektierungsphase wird
die Industrie die Herstellbarkeit und Leistungsfähigkeit
neue Produkte vor Einleitung der Beschaffung durch De-
monstratoren, Prototypen oder Simulationen nachweisen.
Die Anwendbarkeit des CPM wurde anhand von sieben Pi-
lotvorhaben erfolgreich erprobt. Die Nutzung von Analy-
severfahren und Simulation stand dabei zunächst im Hin-
tergrund. Seit Einführung der CPM für alle Neuvorhaben
im Januar 2001 werden im Wesentlichen Beschaffungs-
initiativen in der Analysephase untersucht. Erkenntnisse
über die Anwendung von Simulation in der Projektierungs-
phase liegen insbesondere beim Satellitenaufklärungssys-
tem SAR-Lupe vor. In der Projektierungsphase wurden
umfassende und intensive Simulationen durchgeführt, so-
wohl auf Industrie- als auch auf Amtsseite. Die Industrie
nutzte die Möglichkeiten der Simulation in großem Um-
fang für die Systemauslegung und für den Realisierbar-
keitsnachweis. Auf der Amtsseite wurden die Indus-
trienachweise durch eigene Simulation verifiziert.
Zu Frage 26:
Derzeit kann die Bundeswehr für die personelle Auf-
stellung für Auslandseinsätze auf insgesamt 211 325 Be-
rufssoldaten, Soldaten auf Zeit und Freiwillig Wehr-
dienstleistende zurückgreifen.
Mit Stand April 2002 gilt dies für die Teilstreitkräfte in
folgendem Umfang: Heer: circa 136 150 Soldaten; Luft-
waffe: circa 52 513 Soldaten; Marine: circa 22 562 Sol-
daten.
Für jeden aktuell auszuplanenden Auslandseinsatz ist
das verfügbare und erforderliche Personal in Abhängig-
keit von Art des Einsatz, Lage im Einsatzgebiet, Auftrag
des Kontingents, Einsatzdauer, Einsatzort/-raum sowie
weiteren Einflussgrößen gezielt zu prüfen. Qualitative
Anforderungen an das einzusetzende Personal können die
Verfügbarkeit begrenzen.
Einschränkungen im Hinblick auf Erkrankungen, Aus-
bildungserfordernisse, inländische Verwendungen oder
Ähnliches sind deshalb nicht quantifizierbar, sondern
müssen für jeden konkreten Auslandseinsatz auch im Hin-
blick auf dessen politische und militärische Priorisierung
neu bewertet werden.
Anlage 13
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch auf die
Frage des Abgeordneten Helmut Heiderich (CDU/CSU)
(Drucksache 14/9003, Frage 31):
Wird die Bundesregierung ihrer Auffassung folgen, die sie in
ihrem eigenen „Zweiten Bericht der Bundesregierung über Erfah-
rungen mit dem Gentechnikgesetz“ (Bundestagsdrucksache
14/6763) dargestellt hat, wonach die gut zehnjährige Praxis der
Forschungen der Gentechnik im Labor wie im Freiland aus-
schließlich positive Erfahrungen erbracht hat (Zitat S. 41: „Schä-
den für Mensch und Umwelt, die auf gentechnischen Arbeiten
oder gentechnisch veränderten Organismen zurückzuführen
wären, sind der Bundesregierung aus Deutschland nicht be-
kannt“), und wird sie in Folge dieser eigenen Erkenntnis zumin-
dest in der Sicherheitsstufe 1 (harmlose gentechnische Arbeiten)
das Anzeigeverfahren als angemessenes behördliches Verfahren
in der Novellierung des Gentechnikgesetzes festschreiben, wie
von der EU in Richtlinie 98/81/EG bereits vor knapp vier Jahren
vorgeschlagen?
Die Aussage des Erfahrungsberichts, dass in Deutsch-
land keine Gesundheits- oder Umweltschäden bekannt
geworden sind, die auf gentechnische Arbeiten oder gen-
technisch veränderte Organismen zurückzuführen wären,
gilt nach wie vor. Um derartigen Schäden auch zukünftig
vorzubeugen, prüft die Bundesregierung sorgfältig die
Übernahme der durch das neue EG-Recht möglichen Ver-
fahrensvereinfachungen in das deutsche Recht.
Die erstmalige Aufnahme von Arbeiten mit gentechni-
schen Methoden soll nach Ansicht der Bundesregierung
bei der zuständigen Behörde vorher angemeldet werden.
Die Behörde hat dann Zeit zu prüfen, ob die sachlichen
und personellen Voraussetzungen gegeben sind, um die
gentechnischen Arbeiten sicher durchzuführen. Das gilt
auch in der Sicherheitsstufe 1. Diese präventive Kontrolle
ist bei Inbetriebnahme einer Anlage unter Vorsorgege-
sichtspunkten nötig. Eine bloße Anzeige genügt nicht. Die
kurze Wartefrist ist nach Ansicht der Bundesregierung
auch für die Betreiber keine unzumutbare Belastung. Die
Inbetriebnahme eines neuen Gentechniklabors oder einer
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 200223460
(C)
(D)
(A)
(B)
neuen Produktionsanlage braucht immer zeitlichen Vor-
lauf, bei dem auch eine kurze Wartefrist (maximal 30
Tage) eingeplant werden kann.
Andere Maßstäbe sollten nach Ansicht der Bundesre-
gierung bei weiteren Arbeiten in den niedrigen Sicher-
heitsstufen gelten. Deshalb sind bei weiteren Arbeiten in
Sicherheitsstufe 1 nur Aufzeichnungen zu führen. Verzö-
gerungen durch Verwaltungsverfahren entstehen nicht.
Bei weiteren Arbeiten in der Sicherheitsstufe 2 genügt
nach Ansicht der Bundesregierung eine Anzeige an die
zuständige Behörde ohne Wartefrist. Allerdings sind die
Länder ganz überwiegend anderer Ansicht und halten eine
Wartefrist und daher eine Anmeldepflicht für notwendig.
Diese Auffassung der Länder ist insofern von besonderer
Bedeutung, als die Länder hier für den Gesetzesvollzug
zuständig sind.
Anlage 14
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch auf die
Frage des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU)
(Drucksache 14/9003, Fragen 32 und 33):
Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Bundesministerin
für Gesundheit, Ulla Schmidt, den Vertrieb von Medikamenten
über das Internet, der seit 1998 gesetzlich verboten ist, unterstüt-
zen will, und teilt sie die Einschätzung, dass eine Umsetzung die-
ser Vorstellungen zu einem Rückgang der Zahl der Apotheken so-
wie der Qualität der medizinischen Versorgung vor allem in dünn
besiedelten Regionen führen würde?
Teilt die Bundesregierung die Ansicht des Apothekerverban-
des, dass durch den möglichen Versand über ausländische Inter-
netanbieter in den deutschen Apotheken mehrere Tausend Arbeits-
plätze und dem Staat Steuereinnahmen verloren gehen, und wenn
nicht, wie begründet sie dies?
Zu Frage 32:
Die Pressemeldungen treffen zu, dass die Bundes-
ministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, sich für die
rechtliche Ermöglichung des Versandhandels auch mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln ausspricht. Der Ver-
sandhandel von nicht-apothekenpflichtigen Arzneimitteln
ist nach dem Arzneimittelrecht erlaubt. Die Bundesregie-
rung hat immer unterstrichen, dass bei einer Lockerung
des Versandhandelverbotes die Arzneimittelsicherheit,
der Verbraucherschutz, die Versorgungssicherheit und
faire Wettbewerbsbedingungen sichergestellt sein müs-
sen. Sie hat sich ausdrücklich gegen „Rosinenpickerei“
ausgesprochen. Die Empfehlung des „Runden Tisches“
zur Zukunft des Gesundheitswesens vom 22. April 2002
zum elektronischen Handel einschließlich Versandhandel
mit Arzneimitteln deckt sich voll mit den Vorstellungen
der Bundesregierung.
Es trifft nicht zu, dass die Umsetzung der Vorstellun-
gen der Ministerin zu einem Rückgang der Zahlen der
Apotheken sowie der Qualität der medizinischen Versor-
gung vor allem in dünn besiedelten Regionen führen wird.
Der Versandhandel wird als eine Ergänzung des bisheri-
gen Betriebes der Präsenzapotheken gesehen. Es ist nicht
die Absicht, die Versandapotheke an die Stelle der bishe-
rigen Präsenzapotheke zu setzen. Insofern bekommt
natürlich auch zukünftig jede Patientin und jeder Patient
auch im Notfall seine Arzneimittel in der Apotheke – auch
in der Nacht und am Wochenende. Klar ist, dass die Bun-
desregierung keiner Regelung zustimmt, die die flächen-
deckende Versorgung durch Apotheken in Frage stellt.
Der Internethandel oder elektronische Handel von Arz-
neimitteln ist eine Form der Bestellung von Arzneimit-
teln. Der Versandhandel umfaßt den Weg, den das Arz-
neimittel von der Apotheke bis zum Kunden zurücklegt.
Versandhandel soll auch von bestehenden Apotheken be-
trieben werden können. Es ist besonders darauf zu achten,
dass beides, Bestellung und Lieferung bis zur Zustellung
beim Kunden ordnungsgemäß und qulitätsgerecht ab-
läuft. So muss die angemessene Beratung und Informa-
tion des Verbrauchers, die darauf ausgerichteten Qua-
litätssicherungssysteme sowie die Überwachung durch
die entsprechenden Behörden sichergestellt werden.
Diese Anforderungen müssen insbesondere auch für den
grenzüberschreitenden elektronischen Handel und Ver-
sandhandel mit Arzneimitteln auf europäischer Ebene
gelten. Zur Schaffung von fairen Wettbewerbsbedingun-
gen sind zusammen mit den Beteiligten konkrete Maß-
nahmen auszuarbeiten. Dies ist auch immer so mit der Bun-
desvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA)
diskutiert worden.
Der Versandhandel von Arzeimitteln ermöglicht es,
den Wünschen und Bedürfnissen von Patientinnen und
Patienten in der Arzneimittelversorgung, zum Beispiel
hinsichtlich einer Zeit- und Wegeersprarnis (immobile
Patienten, ältere Bürgerinnen und Bürger, Berufstätige
und Kunden mit einer großen Entfernung zur nächsten
Apotheke), besser als bisher zu entsprechen. Damit wird
eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen bestimm-
ter Patientinnen und Patienten erreicht. Gerade in einer äl-
ter werdenden Gesellschaft haben zum Beispiel Pflegebe-
dürftige und chronisch Kranke, die nicht mehr ständig das
Haus verlassen können, hier Vorteile. Apotheken werden
weitere Mittel des Wettbewerbs und Service insbesondere
zur Kundeninformation und -bindung ermöglicht. Die
Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung kann ins-
gesamt verbessert werden.
Auch zukünftig wird jeder Versicherte seine Arznei-
mittel in seiner Apotheke bekommen können. Es wird auf-
grund ausländischer Erfahrungen davon ausgegangen,
dass etwa 8 Prozent aller Versicherten den Versandhandel
nutzen werden. Dies kann nicht – wie von der ABDA be-
hauptet – zu einem bundesweiten Apothekensterben
führen oder gar das bundesdeutsche Arzneimittelversor-
gungssystem gefährden. Es sollen alle notwendigen Rah-
menbedingungen für einen fairen Wettbwerb geschaffen
werden. Insofern sind auch die Befürchtungen der Apo-
theker, dass hier eine Rosinenpickerei durch Internetan-
bieter stattfinden wird, unbegründet.
Der Patient bekommt auch zukünftig eine Beratung.
Die qualitativ hohen Anforderungen des Arzneimittelge-
setzes in Deutschland an die Arzneimittelsicherheit und
den Verbraucherschutz sollen auch unter Versandhandel-
bedingungen nicht verändert werden. Danach sind die
volle und verständliche Patienteninformation in deutscher
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 235. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Mai 2002 23461
(C)
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(A)
(B)
Sprache gewährleistet und ebenso eine Beratung der Pati-
entinnen und Patienten. So muss zum Beispiel beim Bezug
eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels über die
Versandapotheke das Rezept einer approbierten Apotheke-
rin oder einem approbiertem Apotheker vorgelegt werden.
Die Auslieferung von qualitativ schlechten Arzneimit-
teln durch Versandapotheken soll dadurch verhindert wer-
den, dass auch für Versandapotheken die entsprechenden
Qualitätsicherungssysteme gelten sollen. Diese müssen
sich insbesondere auch auf den Vertrieb und die Zustel-
lung erstrecken. Hier soll auch zukünftig keine Abwei-
chung von den Zielsetzungen der bestehenden Regelung
zugelassen werden.
Zu Frage 33:
Die Bundesregierung teilt nicht die Ansicht des Apo-
thekerverbandes, dass durch den möglichen Versand aus-
ländischer Internetanbieter in den deutschen Apotheken
mehrere Tausend Arbeitsplätze verloren gehen. Aufgrund
der oben beschriebenen beabsichtigten flankierenden
Maßnahmen und Regelungen wird der Internethandel mit
Apotheken außerhalb Deutschlands keine große Bedeu-
tung erlangen. Der Versandhandel und elektronische Han-
del mit Arzneimitteln sollen entsprechend den Empfeh-
lungen des „Runden Tisches“ im Gesundheitswesen nur
unter klaren Bedingungen einschließlich fairen Wettbe-
werbsbedingungen möglich sein. Insbesondere die Kran-
kenkassen, die Patientenvertreter aber auch die pharma-
zeutische Industrie haben betont, dass sie den von der
ABDA prognostizierten Niedergang der Apotheken nicht
erkennen können und dass eine Teilnahme für Patienten
auf freiwilliger Basis erfolgen solle.
Um Wettbewerbsverzerrungen (insbesondere „Rosi-
nenpickerei“) zu vermeiden, sind die Vorschriften zu den
Vertriebswegen, des Apothekenrechts, des Sozialrechts
und der Arzneimittelpreisbildung entsprechend zu gestal-
ten. Deshalb müssen folgende Maßnahmen für den elek-
tronischen Handel und Versandhandel mit Arzneimitteln
getroffen werden:
Die Anforderungen an den elektronischen Handel und
Versandhandel und der entsprechenden Qualitätssiche-
rungssysteme sind unter anderem im Arzneimittel-, Apo-
theken- und Werberecht sowie die Sicherstellung einer
entsprechenden Überwachung auf nationaler und europä-
ischer Ebene festzulegen. Die Anforderungen müssen ins-
besondere die Versandapotheken, die Websites, den
Vertrieb, die Zustellung – einschließlich Logistikunter-
nehmen –, die Beratung und Information des Verbrau-
chers, die darauf ausgerichteten Qualitätssicherungssys-
teme, deren Zertifizierung und Kontrollen durch die
Zertifizierungsstellen sowie die Überwachung durch die
Behörden betreffen. Diese Anforderungen müssen insbe-
sondere auch für den grenzüberschreitenden elektroni-
schen Handel undVersandhandel mit Arzneimitteln gelten
und auf europäischer Ebene durchgesetzt werden. Mit
Drittstaaten muss über Sicherheitsstandards, die Überwa-
chung und die internationale Zusammenarbeit verhandelt
werden. Zur Schaffung von fairen Wettbewerbsbedingun-
gen sind konkrete Maßnahmen auszuarbeiten.
Eine Gefährdung des Bestandes der deutschen Apothe-
ken wird von dem Apothekerverband auch darin gesehen,
dass ausländische Anbieter dem Herkunfslandprinzip un-
terworfen sind und daraus ein unfairer Wettbewerb mit
ausländischen Apotheken mit wirtschaftlichen Folgen re-
sultiert. Grundsätzlich ist auf elektronische Angebote im
Netz die Richtlinie 2000/31/EG des europäischen Parla-
ments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte
rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesell-
schaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsver-
kehrs, im Binnenmarkt, die durch das Gesetz über recht-
liche Rahmenbedingungen für den elektronischen
Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Ge-
setz – EGG) vom 14. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3721)
umgesetzt wurde, anzuwenden. Dabei muss zwischen der
online-Werbung, dem Kaufvertrag und dem Versand der
Ware unterschieden werden.
Für die Werbung gilt nach den Grundsätzen des Inter-
nationalen Privatrechts das Marktortprinzip. Soweit es
sich um online-Werbung für apothekenpflichtige Arznei-
mittel handelt, fällt diese in den durch die genannte Richt-
linie koordinierten Bereich. Der freie Dienstleistungsver-
kehr innerhalb der EU wird nach Artikel 3 Abs. 2 der
Richtlinie bzw. § 4 Abs. 2 des Teledienstegesetzes also
auch in Bezug auf online-Werbung für Arzneimittel, die
von Anbiertern aus einem anderen Mitgliedstaat erbracht
wird, nicht eingeschränkt. Dabei ist allerdings zu berück-
sichtigen, dass damit nach Artikel 1 Abs. 4 der Richtlinie
bzw. § 2 Abs. 6 des Teledienstegesetzes keine Regelung
zum Internationalen Privatrecht getroffen wird.
Bei Kaufverträgen ist zwischen zwei Fallgruppen zu un-
terscheiden: Ist dem Vertragsabschluss ein ausdrückliches
Angebot oder eine Werbung in dem Staat vorausgegangen,
in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt
hat, bestimmt sich das anwendbare Recht nach Artikel 29
des Ergänzungsbuches zum Bürgerlichen Gesetzbuch
(EGBGB). Im Falle einer Rechtswahl, bei der auch Arti-
kel 29 a EGBGB zu berücksichtigen ist, dürfen dem Ver-
braucher die zwingenden Vorschriften des Rechts an sei-
nem gewöhnlichen Aufenthaltsort nicht entzogen werden.
Liegt keine Rechtswahl vor, ist auch für ausländische An-
bieter das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Ver-
brauchers anzuwenden, also hier das deutsche Recht. Die-
ses Recht gilt nach Artikel 31 Abs. 1 EGBGB für die
Beurteilung des Zustandekommens des Vertrages und
dessen materieller Wirksamkeit. An dieser Rechtslage hat
auch die Richtlinie über den elektronischen Geschäfts-
verkehr und ihre Umsetzung in deutsches Recht nichts
geändert. Die Vorschriften für vertragliche Schuldverhält-
nisse in Bezug auf Verbraucherverträge sind vom Anwen-
dungsbereich der Richtlinie ausdrücklich ausgenommen.
Dies betrifft auch die Anforderungen an den Versand der
Ware. Die Anforderungen an Waren oder an physisch er-
brachte Dienstleistungen werden von der Richtlinie nicht
erfasst. Dies hat zur Folge, dass der Versand von apothe-
kenpflichtigen Arzneimitteln nicht dem koordinierten Be-
reich der Richtlinie unterfällt, sondern dem anderen ein-
schlägigen europäischen und dem darauf basierenden
nationalen Recht. Ist dem Vertragsabschluss kein aus-
drückliches Angebot oder eine Werbung in dem Staat vor-
ausgegangen, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen
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(B)
Aufenthaltsort hat, richtet sich das anwendbare Recht in
erster Linie nach den Artikeln 27 und 28 EGBGB. Danach
ist es den Parteien freigestellt, das auf den Vertrag anzu-
wendende Recht zu wählen. Liegt keine Rechtswahl vor,
ist schon nach Artikel 28 EGBGB das Recht am Sitz des
Veräußerers, das heißt insoweit das Recht des Herkunfts-
landes, maßgeblich.
Eine vollständige Aufhebung der Arzneimittelpreis-
verordnung (einheitlicher Apothekenabgabepreis, Misch-
kalkulation), des Fremd- und Mehrbesitzverbotes, des
Kontrahierungszwanges sowie aller Bindungen der Apo-
thekenbetriebsordnung ist weder wünschenswert noch er-
forderlich, um für deutsche Apotheken gleiche Wettbe-
werbsbedingungen zu erreichen. Es wird jedoch im
Rahmen einer Gesamtkonzeption zur Einführung eines
Versandhandels auch mit apothekenpflichtigen Arznei-
mitteln zu prüfen sein, ob und inwieweit die oben ge-
nannten Regelungen zu diesem Zweck angepasst werden
müssen. Diese Prüfung sowie die Umsetzung der entspre-
chenden Ergebnisse wird in enger Zusammenarbeit mit
den betroffenen Kreisen erfolgen. Auch die Apotheken-
pflicht bleibt deshalb gewährleistet, da diese Arzneimittel
auch bei dem Versandhandel von einer Apotheke abgege-
ben werden. Die Zustellung von der Apotheke erfolgt im
oben genannten Fall über den Versand. Erfahrungen an-
derer Staaten zeigen, dass die Zustellung von Arzneimit-
teln auf dem Wege des Versandes sicher gestaltet werden
kann, insbesondere wenn dazu diesbezügliche rechtliche
Regelungen getroffen werden. Bereits das Landgericht
Frankfurt hat in der Begründung zu zwei Urteilen vom
9. November 2000 (2-03 O 365/00 und 2-03 O 366/00)
ausgeführt: „Denkbar wäre es, den Versandhandel mit
Medikamenten in eingeschränktem Umfang zuzulassen
und durch Rechtsvorschriften genaue Vorgaben für derar-
tige Versandhandeltatbestände zu machen, die auch
strenge Qualitätskontrollen beinhalten müssen.“
Dem Staat gehen keine Steuereinnahmen verloren. Ver-
sendungslieferungen eines Unternehmers von einem ande-
ren EU-Mitgliedstaat nach Deutschland unterliegen ab
dem Erreichen eines jährlichen Entgelts von 100 000 Euro
den Vorschriften des deutschen Umsatzsteuerrechts, bis
zum Erreichen dieses Betrages den Vorschriften des
jeweiligen Mitgliedstaates. Auf die Anwendung der
100 000-Euro-Grenze kann der Unternehmer verzichten,
sodass die Versendungslieferungen unabhängig vom Ge-
samtbetrag der Entgelte in jedem Fall in Deutschland zu
versteuern sind.
Das in Rede stehende niederländische Unternehmen
hat die Bundesregierung autorisiert, mitzuteilen, dass es
für umsatzsteuerliche Zwecke in Deutschland beim zu-
ständigen Finanzamt erfasst ist und die Versendungslie-
ferungen nach Deutschland der deutschen Umsatzsteuer
unterwirft. Somit ist auch ausgeschlossen, dass die nie-
derländische Versandapotheke von Mehrwertsteuerdiffe-
renzen zwischen Deutschland (16 Prozent) und den
Niederlanden (6 Prozent) profitiert bzw. diese als Preis-
nachlass weitergibt.
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Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin