Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002
        Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer
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        1) Anlage 5
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        Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 21.02.2002**
        Bierwirth, Petra SPD 21.02.2002
        Brudlewsky, Monika CDU/CSU 21.02.2002
        Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 21.02.2002**
        Klaus
        Friedrich (Altenburg), SPD 21.02.2002
        Peter
        Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 21.02.2002
        Günther (Duisburg), CDU/CSU 21.02.2002
        Horst
        Heubaum, Monika SPD 21.02.2002*
        Höfer, Gerd SPD 21.02.2002**
        Holetschek, Klaus CDU/CSU 21.02.2002
        Imhof, Barbara SPD 21.02.2002
        Irmer, Ulrich FDP 21.02.2002
        Jung (Düsseldorf), SPD 21.02.2002
        Volker
        Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 21.02.2002
        DIE GRÜNEN
        Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 21.02.2002
        Kolbow, Walter SPD 21.02.2002
        Kossendey, Thomas CDU/CSU 21.02.2002**
        Leidinger, Robert SPD 21.02.2002
        Matschie, Christoph SPD 21.02.2002
        Nolte, Claudia CDU/CSU 21.02.2002
        Pfannenstein, Georg SPD 21.02.2002
        Philipp, Beatrix CDU/CSU 21.02.2002
        Raidel, Hans CDU/CSU 21.02.2002**
        Rauber, Helmut CDU/CSU 21.02.2002**
        Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 21.02.2002
        Roth (Speyer), Birgit SPD 21.02.2002
        Rühe, Volker CDU/CSU 21.02.2002
        Schemken, Heinz CDU/CSU 21.02.2002
        Schlee, Dietmar CDU/CSU 21.02.2002
        Schloten, Dieter SPD 21.02.2002**
        Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 21.02.2002
        Hans Peter
        Schösser, Fritz SPD 21.02.2002
        Dr. Schubert, Mathias SPD 21.02.2002
        Schultz (Köln), SPD 21.02.2002
        Volkmar
        Seehofer, Horst CDU/CSU 21.02.2002
        Strebl, Matthäus CDU/CSU 21.02.2002
        Stübgen, Michael CDU/CSU 21.02.2002
        Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 21.02.2002**
        Tappe, Joachim SPD 21.02.2002
        Thönnes, Franz SPD 21.02.2002
        Volquartz, Angelika CDU/CSU 21.02.2002
        Weisskirchen SPD 21.02.2002**
        (Wiesloch), Gert
        Wimmer (Neuss), SPD 21.02.2002**
        Willy
        Wolf, Aribert CDU/CSU 21.02.2002
        Zapf, Uta SPD 21.02.2002**
        * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung der NATO
        ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarichen Versamm-
        lung der OSZE
        Anlage 2
        Erklärung nach § 31 GO
        derAbgeordneten Dr. Margrit Wetzel (SPD) zur
        Abstimmung über den Entwurf eines Zweiten
        Gesetzes zur Anpassung bestimmter Bedingun-
        gen in der Seeschifffahrt an den internationalen
        Standard – Drucksache 14/6455 – (Tagesord-
        nungspunkt 6 a)
        An der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 6 a und g
        (Drucksachen 14/6455 und 14/8108 sowie Drucksache
        14/8264) nehme ich nach § 31 Abs. 2 GO nicht teil. Art. 2
        des Zweiten Seeschifffahrtsanpassungsgesetzes war
        während der Beratungen heftiger Kritik ausgesetzt, die
        ich in der Sache teile. Die Küstenländer haben in einer
        entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        gemeinsamen Empfehlung an die Parlamentarier einen
        Alternativvorschlag vorgelegt, den ich für die bessere Lö-
        sung halte. Für diese Alternative habe ich in den Koaliti-
        onsfraktionen keine Mehrheiten erringen können.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Geset-
        zes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vor-
        schriften (Zusatztagesordnungspunkt 6)
        Karin Rehbock-Zureich (SPD): Heute ist der Ein-
        stieg für mehr Wettbewerb auf der Schiene. Die zweite
        Novelle des Allgemeinen Eisenbahngesetzes ist dieser
        Schritt für mehr Wettbewerb. Es ist ein Schritt für mehr
        Verkehr auf der Schiene. Mehr Verkehr auf der Schiene im
        Personen- und im Güterverkehr ist ein wichtiges Ziel der
        Verkehrspolitik meiner Fraktion und ihr wichtigstes Ziel
        im Bereich der Schienenverkehrspolitik.
        Die zweite AEG-Novelle verbessert eindeutig die wett-
        bewerbliche Situation auf dem deutschen Schienennetz.
        Sie stärkt die Kompetenzen von Eisenbahn-Bundesamt
        und Kartellamt. Das EBA kann jetzt von Amts wegen er-
        mitteln, wenn es diskriminierendes Verhalten vermutet.
        Seine Eingriffskompetenzen werden normiert. Die Geset-
        zesnovelle sorgt so dafür, dass sich der Wettbewerb der
        Schiene mit der Straße zunehmend zu einem Wettbewerb
        von Bahnunternehmen untereinander und mit der Straße
        ergänzt. Dabei bleiben die hohen Sicherheitsstandards der
        Schiene erhalten. Die Zuständigkeiten der Aufsichts-
        behörden werden klar geregelt. Überschneidungen wie
        bisher wird es nicht mehr geben.
        Darüber hinaus bringt die Novelle entscheidende Ver-
        besserungen im Bereich des § 11 AEG. Durch unseren Än-
        derungsantrag wird aus dem reinen Stilllegungsverfahren
        ein Verfahren zum Erhalt von Eisenbahninfrastruktur. Die
        Suche nach möglichen Übernehmern für von Stilllegung
        bedrohte Strecken wird künftig bundesweit und transpa-
        rent erfolgen. Die Bestimmungen der abzugebenden
        Grundstücke und Infrastruktureinrichtungen für Eisen-
        bahnzwecke müssen künftig bei der Preisbildung ange-
        messen berücksichtigt werden. Die Chancen für die Über-
        nahme solcher Streckenteile durch interessierte Dritte
        steigen dadurch deutlich.
        Alle Gutachter unserer Ausschussanhörung waren sich
        einig: Die Novelle muss schnellstmöglich verabschiedet
        und umgesetzt werden. Die Regelungen der zweiten No-
        vellierung seien „aufwärtskompatibel“ und ständen wei-
        tergehenden Regelungen für mehr Wettbewerb auf dem
        Schienennetz in einem dritten Änderungsgesetz nicht ent-
        gegen. Oder um es mit einem der Gutachter, stellvertre-
        tend für alle zu sagen: „Wir brauchen den Gesetzentwurf
        so bald wie möglich.“ Ich zitiere Herrn Dr. Henke vom
        Verband Deutscher Verkehrsunternehmer weiter: „Dieser
        Gesetzentwurf ist wichtig und bringt uns weiter“. Auch
        die Bundesländer, und zwar alle, haben längst ihre Zu-
        stimmung signalisiert. Denn sie brauchen das Gesetz.
        Was waren also die Gründe dafür, dass Sie seit letztem
        Herbst versuchen, das Gesetzgebungsverfahren zur zwei-
        ten Novellierung zu verzögern? Die Regelungen könnten
        längst in Kraft sein. Welche Gründe also haben gegen eine
        Verabschiedung der Novelle gesprochen? Sie haben im
        Ausschuss letztendlich doch zugestimmt. Sie werden
        heute dann doch der Vernunft folgen und der Novelle zu-
        stimmen. Verzögerung wichtiger Verbesserungen für den
        Schienenverkehr aus kurzsichtigen taktischen Erwägun-
        gen heraus lautet wohl die richtige Antwort. Aber um dies
        klar zu sagen: Ich freue mich natürlich über die einstim-
        mige Zustimmung im Ausschuss. Ich freue mich über Ihre
        Zustimmung zu diesem wichtigen Schritt für den Wettbe-
        werb auf dem deutschen Schienennetz.
        Das zweite Änderungsgesetz des AEG ist ein Schritt
        auf dem Weg voran. Auf dem weiteren Weg zu mehr Ver-
        kehr auf der Schiene braucht es Augenmaß und vernunft-
        geleitetes Tempo. Dass dieser Weg hin zu einer Maktöff-
        nung und hin zu mehr Wettbewerb auf dem Schienennetz
        führen muss und führen wird, steht außer Frage. Die Er-
        gebnisse der „Taskforce zur Zukunft der Schiene“ weisen
        dabei die richtige Richtung. Sie werden einfließen in die
        dritte Novelle des allgemeinen Eisenbahngesetzes und so
        die Richtlinien der Europäischen Union 2001/12 bis
        2001/14 pünktlich umsetzen.
        Die Unabhängigkeit des Netzes wird dann vergrößert,
        die Sicherstellung des diskriminierungsfreien Zugangs
        zum Netz weiter verbessert werden: durch eine von der
        Holding getrennte Bilanz-, Gewinn- und Verlustrechnung
        entsprechend den Vorgaben der EU, durch Unabhängig-
        keit der Netz AG bei Trassenvergabe und Preisfestset-
        zung, durch Einrichtung einer Trassenagentur, die konti-
        nuierlich die diskriminierungsfreie Vergabe von Trassen
        überwacht, durch Wettbewerbsaufsicht des EBAs und der
        Kartellbehörden.
        Wir brauchen diese dritte Novelle für die weitere Ent-
        wicklung des Schienenverkehrsmarkts unbedingt. Genau
        deshalb wird diese ja schon vorbereitet. Aber dazu müs-
        sen wir heute erst einmal den Weg freimachen. Heute kön-
        nen wir alle zusammen einen wichtigen ersten Schritt zur
        unmittelbaren Verbesserung der wettbewerblichen Situa-
        tion im deutschen Schienennetz tun. An dieser Stelle muss
        daran erinnert werden, dass unser Ziel „Mehr Verkehr auf
        der Schiene“ nicht allein durch die Novellen des AEG er-
        reicht werden kann. Dazu bedarf es auch vernünftiger Fi-
        nanzausstattung und vernünftiger Rahmenbedingungen.
        In beiden Bereichen haben wir bereits deutliche Verbes-
        serungen für den Schienenverkehr durchgesetzt.
        Wir haben zuerst für eine ordentliche Finanzausstat-
        tung der Schieneninfrastruktur gesorgt. Seit Regierungs-
        übernahme steigen die Investitionen für die Schiene wie-
        der. In 2002 stehen rund 4,5 Milliarden Euro zur
        Verfügung. Noch nie stand so viel Geld für die Schiene
        zur Verfügung. Wir haben die Wettbewerbsbedingungen
        für den Verkehrsträger Schiene entscheidend verbessert:
        Auf europäischer Ebene bringt die Öffnung der europä-
        ischen Netze den Wettbewerb auf der Schiene und gegen-
        über der Straße voran. Gerade bei den grenzüberschrei-
        tenden, lang laufenden Güterverkehren gibt es großes
        Wachstumspotenzial. Die Entfernungspauschale für alle
        Verkehrsmittel nützt der Schiene genau wie dem ÖPNV
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        und dem Fahrrad. Die LKW-Maut beteiligt ab 2003 erst-
        mals in Deutschland die LKWs an ihren Wegekosten. Ein-
        nahmen aus der Maut fließen in die Verkehrsinfrastruktur,
        und zwar in alle Bereiche. Damit machen wir Ernst mit
        unserem integrierten Ansatz und fördern alle Verkehrsträ-
        ger – auch die Schiene. Was zählt, ist der Erfolg für das
        gesamte Verkehrssystem.
        Das einseitige Setzen nur auf einen Verkehrsträger
        wäre ein Rückfall in die verkehrspolitische Steinzeit. Da-
        vor warne ich entschieden. Mehr Verkehr auf der Schiene
        ist, so meine ich, fraktionsübergreifend das gemeinsame
        Ziel. Über den richtigen Weg werden wir weiter streiten.
        Doch die heutige Novelle – das einstimmige Ergebnis im
        Ausschuss zeigt dies – wird nun von allen als wichtig er-
        kannt. Machen Sie deshalb mit uns heute den Schritt in die
        richtige Richtung und unterstützen Sie die vorliegende
        Novellierung.
        Georg Brunnhuber (CDU/CSU): Der Gesetzentwurf
        zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften, den wir
        heute in zweiter und dritter Lesung verabschieden sollen,
        ist ein weiteres Beispiel dafür, wie beharrlich beratungs-
        resistent die Bundesregierung im Allgemeinen, hier der
        Bundesverkehrsminister im Besonderen, bei der Rege-
        lung von wichtigen Wirtschaftsbereichen ist.
        Da beteuern die diversen Verkehrsminister dieser Re-
        gierungskoalition – immerhin haben wir schon den drit-
        ten – immer wieder, dass sie erstens an einer Vergrößerung
        des Anteils der Schiene am Güterverkehr interessiert sind,
        dass dieses Ziel zweitens nur mithilfe eines wettbewerbs-
        neutralen, diskriminierungsfreien Zugangs von Mitbe-
        werbern der DB Cargo zu erreichen sein wird, und trotz-
        dem liegt uns jetzt ein Gesetzentwurf vor, der genau
        diesen Anforderungen nach der Meinung aller unabhän-
        gigen Experten nicht gerecht wird. Die vor kurzem an-
        gekündigte Ergänzung der jetzt vorliegenden Novelle
        noch in diesem Frühjahr soll nun nicht mehr stattfinden.
        Das ist eine neuerliche Düpierung des Bundesverkehrs-
        ministers, denn damit wird noch nicht einmal umgesetzt,
        was die berühmte Taskforce des Herrn Mehdorn vorge-
        schlagen hat.
        Dabei hatte der gegenwärtige Bundesverkehrsminister
        zwischendurch ja durchaus einmal die richtige Erkenntnis
        gewonnen. Vor noch nicht einmal einem Jahr, nämlich am
        10. März 2001, hat Verkehrsminister Bodewig auf dem
        Parteitag der Grünen in Stuttgart zutreffenderweise Fol-
        gendes wörtlich ausgeführt:
        Unsere Verkehrspolitik muss Wettbewerb für mehr
        Verkehr auf der Schiene organisieren. Überall, wo
        Wettbewerb auf der Schiene funktioniert, hat er
        zusätzlichen Verkehr und Innovationen ausgelöst.
        Der Netzzugang muss diskriminierungsfrei möglich
        sein. Die Unabhängigkeit des Netzes ist also längst keine
        Frage mehr des Ob, sondern eine Frage des Wann und des
        Wie.
        Herr Bundesverkehrsminister, mit dieser Aussage ha-
        ben Sie sich damals als durchaus einsichtsfähig und kom-
        petent ausgewiesen. Nur, was nützt dies, wenn Sie sofort
        – die Tinte war noch nicht trocken – wieder umgefallen
        sind? Und jetzt tun Sie so, als wäre all das gar nicht not-
        wendig, was Sie selbst seinerzeit für unverzichtbar erklärt
        haben.
        Das Ergebnis der von der FDP und uns im Verkehrs-
        ausschuss herbeigeführten Anhörung zu den vorgeschla-
        genen Änderungen des Eisenbahngesetzes ist im Hinblick
        auf die Fragen, ob diese Änderungen den EU-Richtlinien
        entsprechen und ob dadurch ein fairer und neutraler Zu-
        gang von Wettbewerbern der DB AG zum Schienennetz
        gewährleistet werden kann, eindeutig: Keiner der befrag-
        ten Experten ist der Meinung, dass die Regelungen den
        Richtlinien 2001 Nummern 12 bis 14 der EG entsprechen.
        Immer wieder heißt es, dass deren Anforderungen
        überhaupt nicht erfüllt werden; so etwa der Verband Deut-
        scher Verkehrsunternehmer. Das Eisenbahn-Bundesamt
        hat vorsichtig formuliert: Wir halten den Gesetzgebungs-
        entwurf für richtlinienkonform, aber die neuen Richtli-
        nien werden nicht umgesetzt.
        Bemerkenswert eindeutig sind die Antworten auf die
        Frage, ob mit der Möglichkeit des Eisenbahn-Bundesamts
        diskriminierende Praktiken der Bahn AG künftig von
        Amts wegen aufzugreifen, ein diskriminierungsfreier Zu-
        gang zum Schienennetz für dritte Bewerber gesichert
        wird. Die Antworten lauten klipp und klar: Nein.
        Beginnen wir mit dem Bundeskartellamt. Es schreibt:
        Es bestehen begründete Zweifel, ob die beabsichtigte
        Regelung geeignet ist, ihre angestrebten Ziele zu errei-
        chen. Oder zitieren wir den Deutschen Bahnkundenver-
        band: Nach Auffassung der DBV reicht das Gesetzespa-
        ket noch nicht aus, um ein wettbewerbsneutrales
        Verhalten der DB Netz AG zu erzwingen. Auch ein so an-
        gesehener Managementberater wie Dr. Ilgmann ist in sei-
        nem Urteil eindeutig. Wörtlich schreibt er: Dies läuft
        darauf hinaus, dass durch ein Konstrukt vertikaler Inte-
        gration von Netz und Transport im DB-Konzern per se
        Wettbewerb auf der Schiene behindert wird.
        Kein Regulierer – und sei er mit noch so hohen Ein-
        griffsrechten ausgestattet – kann den Mangel dieser wett-
        bewerblichen Fehlkonstruktion ausgleichen!
        Dazu auch der Verkehrsclub Deutschland drastisch:
        Dass die möglichen Diskriminierungen von einer Regu-
        lierungsbehörde umfassend aufgedeckt werden können,
        ist aufgrund deren strategischer Unterlegenheit ein from-
        mer Wunsch. Und weiter heißt es: Eine wettbewerbsneu-
        trale Mitwirkung der DB AG ist nicht denkbar.
        Das bedeutet: Schon der Denkansatz der Bundesregie-
        rung ist falsch, weil auf diese Weise Diskriminierungen
        überhaupt nicht wirksam ausgeschlossen werden können.
        Die Konstruktion ist nicht tragfähig, deshalb sind die vor-
        liegenden Änderungen im Eisenbahngesetz zwar nütz-
        lich, aber für das Ganze keine Lösung.
        Der Verkehrsclub Deutschland e. V. weist weiter darauf
        hin, dass auch alle Entzerrungsverträge und sonstigen
        Hürden, die untereinander vereinbart werden, nichts da-
        ran ändern, dass die Konzerntochter DB Netz der Kon-
        zernleitung untergeordnet sein wird! Das deutsche Ak-
        tienrecht erlaubt doch gar nicht, dass die Leitung des
        gesamten Konzerns den Interessen diesen Konzerns
        zuwiderhandelt, und Gleiches gilt praktisch auch für die
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        Konzerntochter! Auch darüber, wohin das Ganze führen
        wird, sind sich die Sachverständigen im Wesentlichen ei-
        nig. Der Verkehrsclub Deutschland formuliert es so:
        Wenn sich weiterhin der Eisenbahnsektor dem Wettbe-
        werb verschließt, wird dieser seine eigene Antwort fin-
        den: das Überflüssigwerden des Systems Eisenbahn.
        In dieser drastischen Feststellung liegt keine Überdra-
        matisierung der Situation, denn der permanente Rück-
        gang des Schienengüterverkehrs am Gesamtaufkommen
        des Güterverkehrs in Europa, zum Beispiel von 21 Pro-
        zent im Jahr 1970 auf heute 8 Prozent, belegt diesen ne-
        gativen Megatrend. Schon daraus müsste jeder vernünf-
        tige Verkehrspolitiker bereits den Schluss ziehen: Wenn
        die Rahmenbedingungen, die zu diesem Ergebnis geführt
        haben, nicht drastisch geändert werden, dann wird sich
        trotz aller Beteuerungen von Rot-Grün an der immer mehr
        schwindenden Bedeutung des Schienengüterverkehrs
        nichts ändern.
        Diese Feststellung beinhaltet zugleich ein vernichten-
        des Urteil über die rot-grüne Eisenbahnpolitik. Angeblich
        sollte ja gerade die Schiene von dieser Politik profitieren,
        aber, wie immer, wenn sich bei Ihnen Ideologie und Wirk-
        lichkeit nicht in Einklang bringen lassen, muss die Wirk-
        lichkeit weichen, ersetzen Versprechungen und unbe-
        gründete Hoffnungen den notwendigen Sachverstand,
        betreiben Sie reine Klientelpolitik und verlieren das Ge-
        samtinteresse aus den Augen. Der einzig wirksame und
        erfolgreiche politische Neuansatz in der Verkehrspolitik
        stammt daher unverändert von Union und FDP, nämlich
        in der Bahnreform! Die rot-grüne Koalition hat nichts
        wirklich Neues zustande gebracht und dabei wird es bis
        zum Ende der Legislaturperiode leider bleiben.
        Die heute zur Debatte stehenden gesetzlichen Neure-
        gelungen sind zwar nicht schädlich und deshalb tragen
        wir sie mit, aber es ist deutlich zu erkennen, dass Sie kein
        Konzept haben, um das dahinter stehende, nicht weiter to-
        lerierbare Problem zu lösen. Sie nehmen die kleinen Ver-
        besserungen bei den Rechten des Eisenbahn-Bundesam-
        tes als Alibi für Ihre Handlungs- und Reformunfähigkeit.
        Die Verantwortung für die daraus resultierenden fatalen
        Folgen für den Schienenverkehr tragen der Bundesver-
        kehrsminister, weil er wider besseres Wissen mitmacht,
        und der Bundeskanzler, weil er kritiklos den Wünschen
        des Vorstandsvorsitzenden der DB AG, Herrn Mehdorn,
        folgt. Das Opfer ist der Schienenverkehr.
        Dass man letztlich nichts Wirksames will, zeigt zudem
        die magere Personalausstattung des Eisenbahnamtes für
        diese Aufgabe. Ganze zwölf Mitarbeiter sollen das
        Marktgeschehen genau beobachten, die Ermittlungen
        durchführen, um Diskriminierungen rechtzeitig zu erken-
        nen, und sie dann noch schnellstmöglich beseitigen.
        Der Sachverständige Dr. Ilgmann hat der Bundesregie-
        rung zu den Folgen dieser Politik im Anhörungsverfahren
        ins Stammbuch geschrieben: Wenn der Bund weiterhin
        seine Ordnungspolitik nach den Bedürfnissen des DB-
        Konzerns und nicht nach den Bedürfnissen der Wettbe-
        werbsbranche Schienenverkehr ausrichtet, wird er schei-
        tern. – Dem ist nichts hinzuzufügen!
        Beim Bundesverkehrsminister muss man leider kon-
        statieren: Herr Mehdorn hält das Stöckchen hin und
        Bodewig springt. Herr Bodewig hat zugelassen, dass die
        Bahn-AG eine bombensichere Monopolstellung geschaf-
        fen hat und das tut, was sie will. – Herr Bodewig, Sie sind
        zum Befehlsempfänger von Herrn Mehdorn geworden. In
        ganz Europa ist dies eine Einmaligkeit.
        Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): Das Zweite Änderungsgesetz sichert dem
        Eisenbahn-Bundesamt (EBA) zu, als Wettbewerbsauf-
        sicht bei diskriminierendem Verhalten im Bereich des
        Netzzugangs von Amts wegen aktiv einzugreifen. Damit
        stehen dem EBA alle Befugnisse einer Aufsichtsbehörde
        zu, die mit dem Märchen der angeblichen Parteilichkeit
        des Eisenbahn-Bundesamtes aufräumt. Es wird Zeit, dass
        das EBAbereits im Vorfeld einer Trassen-Vergabe mögli-
        cherweise diskriminierende Verhaltensweisen durch Un-
        terlassungsverfügungen beseitigen kann.
        Das EBA verfügt damit über genau geregelte Ein-
        griffsmöglichkeiten wie Betretungsrechte, Einsicht in
        Unterlagen, Recht auf Auskunft und die Verhängung eines
        Zwangsgeldes bis zu Millionen DM. Personell wird das
        EBA in die Lage versetzt, den Netzzugang wirksam zu
        kontrollieren. Das Zusammenwirken von EBA und dem
        Bundeskartellamt wird dazu führen, einen diskriminie-
        rungsfreien Wettbewerb auf dem Schienennetz zu sichern.
        Durch den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen
        wird auch die Abgabe von Eisenbahnstrecken besser gere-
        gelt und öffentlicher gemacht, sodass „kalte“ Stilllegungen
        künftig vermieden werden und interessierte Infrastruktur-
        unternehmungen schneller und besser an diesbezügliche
        Informationen herankommen können. Statt der bisherigen
        Freiwilligkeit sind Eisenbahninfrastrukturunternehmen
        künftig verpflichtet, ihre Absicht zur Abgabe oder Stillle-
        gung von Strecken in allgemein zugänglicher Form, auch
        über das Internet, bekannt zu machen. Damit ist der § 11
        AEG kein reiner Stilllegungsparagraph mehr, sondern
        kann substanziell zum Erhalt der Eisenbahninfrastruktur
        beitragen: In der Veröffentlichung müssen nämlich An-
        gaben für die betriebswirtschaftliche Bewertung der je-
        weiligen Strecken gemacht werden, und zwar unter
        Berücksichtigung ihrer Bestimmung, das heißt für den
        Eisenbahnverkehr und nicht als beliebige Immobile.
        Die ebenfalls in der Novelle vorgesehene Einführung
        der netzbezogenen Zuständigkeiten ist ein längst überfäl-
        liger Schritt. Das Wirrwarr von parallelen Zuständigkei-
        ten im Netz wird aufgelöst; bei der Nutzung fremder
        Netze kommt es nicht mehr zu wettbewerbsfeindlichen
        Überschneidungen von Zuständigkeiten. Der Kern der Si-
        cherheit sind die infrastrukturellen Bedingungen und das
        Zusammenspiel zwischen Netz und Betrieb. Es wird da-
        her grundsätzlich der für die Eisenbahninfrastruktur zu-
        ständigen Behörde die Aufsicht auch über dasjenige Ei-
        senbahnverkehrsunternehmen übertragen, das auf dem
        jeweiligen Netzt fährt.
        Die Gutachter der am 26. November 2001 durchgeführ-
        ten Anhörung im Bundestags-Verkehrsausschuss haben
        eine schnelle parlamentarische Beratung des Zweiten Än-
        derungsgesetzes empfohlen. Insofern war die Verzöge-
        rungstaktik der Opposition hier kontraproduktiv. Das
        Gesetzesvorhaben ist von den Regelungen her aufwärts-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221690
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        kompatibel zu einem geplanten Dritten Änderungsgesetz
        für eisenbahnrechtliche Vorschriften, das die Umsetzung
        der Ergebnisse der Taskforce und die Infrastrukturrichtli-
        nien der EU beinhalten muss. Das vorliegende Zweite Än-
        derungsgesetz kann dies nicht ersetzen und ist daher ein
        qualifizierter Zwischenschritt in diese Richtung.
        Hans-Michael Goldmann (FDP): Dieses Gesetzes-
        vorhaben hat ein Gutes. Endlich wird in diesem Hause fest-
        gestellt, dass die DB AG Wettbwerber diskriminiert. Sonst
        müsste man dieses Gesetz ja nicht machen. Damit wird in
        dieser Debatte ein kleiner, aber wesentlicher Fortschritt er-
        zielt und der Haltung meiner Fraktion in dieser Frage im
        Grundsatz gefolgt. Allerdings ist es wirklich nur ein kleiner
        Fortschritt – ich erinnere an die Anhörung des Verkehrs-
        ausschusses, die wir Liberale hierzu beantragt haben –;
        denn die Gefahr der Diskriminierung von Wettbewerbern
        durch die DB AG bei der Benutzung des Netzes ist mit den
        heute zu beschließenden Regelungen nicht gebannt.
        Erstens sollte die Wettbewerbsaufsicht nicht beim Ei-
        senbahn-Bundesamt angesiedelt werden, sondern beim
        Bundeskartellamt, da das Kartellamt über lange Erfah-
        rung mit Monopolen, Diskriminierungen und sonstigen
        Wettbewerbsverzerrungen verfügt, egal in welcher Bran-
        che. Umgekehrt steht nämlich zu befürchten, dass das im
        EBA noch vorherrschende Denken im Sinne einer verti-
        kal integrierten Bahn die Wettbewerbsdiskriminierungen
        gar nicht so ernst nimmt.
        Zweitens ist die Vorstellung, man könne „Chinese
        Walls“ im Bahnkonzern einziehen, sehr naiv. „Chinese
        Walls“ funktionieren im Finanzsektor, zum Beispiel bei
        Banken, zur Verhinderung von Absprachen bei sehr kurz-
        fristigen Geschäften. Eine institutionelle Verständigung
        zwischen einzelnen Bereichen kann es dann durch den
        Zeitdruck einfach nicht mehr geben. Hier geht es aber um
        die Prüfung von Angeboten, die Erstellung von Trassen-
        fenstern, die Verhandlung von Preisen, was sich nicht wie
        bei Termingeschäften auf dem internationalen Finanz-
        markt in Sekundenschnelle, sondern meist in Wochen er-
        ledigen lässt. „Chinese Walls“ ist zwar ein schönes Wort
        aus der BWL, bleibt bei der Bahn aber wirkungslos.
        Drittens unterläuft die Bahn mit Blick auf dieses Gesetz
        bereits heute diese papiernen chinesischen Wände, indem
        sie den Schlüsselbereich des Netzes, die Investitions-
        planung, aus der Netz AG herausnimmt und ganz oben in
        der Holding, bei dem Bahnchef höchstselbst, ansiedelt.
        Dies ist ein weiterer Schlag ins Gesicht des Bundesver-
        kehrsministers, der bei jedem noch so kleinen Versuch, der
        Bahn Wettbewerbsmanieren beizubringen, durch Struktur-
        veränderungen bei der Bahn ins Leere läuft. Die Investi-
        tionsplanung des Netzes ist nämlich der eigentliche Kern
        des Monopols und Mehdorn weiß das ganz genau. Ich
        gebe Ihnen ein Beispiel, wie das funktioniert:
        Die Netz AG vergibt absolut gesetzestreu Trassen an
        die Wettbewerber, damit das EBAnicht einschreitet. Wel-
        che Strecken aber modernisiert, beschleunigt, ausgebaut
        oder neu gebaut werden, entscheidet dann wieder der
        Konzernchef. Und niemand sollte glauben, dass allzu viel
        Investitionsmittel in diejenigen Strecken fließen, die von
        den Wettbewerbern befahren werden. Welch Zufall!
        Also: Echter Wettbewerb auf der Schiene und damit
        mehr Angebote für die Kunden, verschiedene Preissys-
        teme und insgesamt ein Anstoß zum Wachsen dieses Ver-
        kehrssektors werden nur durch eine echte Trennung von
        Netz und Betrieb erreicht. Solange die Netz AG Bestand-
        teil der DB AG bleibt, gibt es dafür keine Chance.
        Wie anfangs schon gesagt, wird mit diesem Gesetz nur
        ein kleiner Fortschritt erzielt. Das Problem ist benannt.
        Zwar wird im Hinblick auf den angestrebten Wettbewerb
        das Ziel nicht ereicht, allerdings werden einige Kleinig-
        keiten im administrativen Bereich geregelt. Daher schadet
        es insgesamt auch nicht, was bei Ihren Gesetzen aller-
        dings selten ist, meine Damen und Herren von Rot-Grün.
        Wir können zustimmen.
        Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekretärin
        beim Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
        wesen:Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung eisenbahn-
        rechtlicher Vorschriften werden Probleme gelöst, die sich
        aus der täglichen Praxis ergeben. Dazu gehören insbeson-
        dere folgende Punkte: die Zuständigkeit und die Kompe-
        tenzen der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden unter
        der Bedingung des diskriminierungsfreien Netzzugangs,
        die Rolle des Eisenbahn-Bundesamtes bei der Überwa-
        chung des diskriminierungsfreien Netzzugangs, die Rechte
        und Pflichten von Teilnehmern am Eisenbahnbetrieb, die
        keine Eisenbahnen sind.
        Im geltenden AEG ist der Sitz des Unternehmens der
        Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit der Aufsichts-
        und Genehmigungsbehörde. Dies führt in der Praxis zu
        Schwierigkeiten. Ein Beispiel: Fährt ein in Bayern ge-
        nehmigtes Eisenbahnverkehrsunternehmen in Branden-
        burg, müsste die bayerische Aufsichtsbehörde, um ihrer
        Aufsichtspflicht nachzukommen, regelmäßig nach Bran-
        denburg fahren und das Eisenbahnverkehrsunternehmen
        dort kontrollieren.
        Um zu vernünftigen Ergebnissen zu gelangen, lag es
        nahe, sich vom Sitz des Unternehmens als alleinigem An-
        knüpfungspunkt für die Aufsicht zu lösen und als Kriterium
        auch die konkrete Nutzung des Netzes durch ein Eisen-
        bahnverkehrsunternehmen einzuführen. Dies führt zu der
        von allen Praktikern begrüßten Einführung einer netzbezo-
        genen Zuständigkeit der Eisenbahnaufsichtsbehörden.
        Eine Aufsichtsbehörde kann sich nicht darauf be-
        schränken, eine Abweichung vom Sollzustand festzustel-
        len. Sie muss auch die Möglichkeit haben zu handeln.
        Dazu sind eine Reihe von Befugnissen erforderlich, zum
        Beispiel das Recht auf Einsicht in Unterlagen. Die Eisen-
        bahnen müssen verpflichtet werden können, Auskünfte zu
        erteilen oder Nachweise zu erbringen.
        Diese Regelungen sind in § 5 a des AEG-Entwurfs zu-
        sammengefasst. Sie orientieren sich an den entsprechen-
        den Regelungen im Güterkraftverkehrsgesetz, § 12 Abs. 4.
        Die Eisenbahnaufsichtsbehörden können die zur
        Durchführung ihrer Aufsichtsaufgaben erforderlichen
        Verwaltungsmaßnahmen nach den allgemeinen Vor-
        schriften erzwingen. Die Höhe des Zwangsgeldes wird
        durch die Novellierung auf bis zu 500 000 Euro festgelegt.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21691
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        Ein besonderer Teil der Eisenbahnaufsicht betrifft den
        Bereich der Netzzugangsstreitigkeiten. Nach der bisheri-
        gen Rechtslage entscheidet das Eisenbahn-Bundesamt,
        wenn eine Vereinbarung über den Zugang nicht zustande
        kommt, auf Antrag eines der beteiligten Unternehmen.
        Damit ist die Durchsetzung des diskriminierungsfreien
        Netzzugangs vom Antrag eines Unternehmens abhängig.
        Diese Regelung ist nicht sehr effizient.
        Es besteht erhebliches Interesse aufseiten des Bundes,
        das Recht auf diskriminierungsfreien Netzzugang so wirk-
        sam wie möglich zu schützen. Es wird daher im Rahmen
        der Neuordnung dem Eisenbahn-Bundesamt die Kompe-
        tenz zugewiesen, diskriminierendes Verhalten von Amts
        wegen im Rahmen der Eisenbahnaufsicht zu untersagen.
        Da auch das Bundeskartellamt im Rahmen seiner all-
        gemeinen Missbrauchsaufsicht auf der Grundlage des Ge-
        setzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen gegen die
        sachlich nicht gerechtfertigte Verweigerung des Zugangs
        zur Eisenbahninfrastruktur vorgehen kann, ist eine Zu-
        sammenarbeit der Behörden geboten.
        Der Gesetzentwurf regelt dies in Anlehnung an das Te-
        lekommunikationsgesetz. Damit entspricht das Verhältnis
        Eisenbahn-Bundesamt/Bundeskartellamt dem Verhältnis
        zwischen Regulierungsbehörde Telekommunikation und
        Bundeskartellamt.
        Das Eisenbahn-Bundesamt handelt nur auf der Grund-
        lage des Eisenbahnrechts im Rahmen der Eisenbahnauf-
        sicht. Durch die Eisenbahnaufsicht wird die Beachtung
        des AEG und seiner Vorschriften sichergestellt. Damit
        können Verstöße gegen § 14 AEG und die Eisenbahn-
        infrastruktur-Benutzungsverordnung verfolgt werden.
        Die Kompetenz erstreckt sich insbesondere auf die
        Untersagung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, in de-
        nen technische und betriebliche Anforderungen enthalten
        sind, die das erforderliche Maß überschreiten. Dazu ge-
        hört auch die Untersagung von Trassenpreissystemen, die
        den Anforderungen der Eisenbahninfrastruktur-Benut-
        zungsverordnung nicht entsprechen.
        Es bleibt als letzter großer Regelungsbereich das Pro-
        blem von Teilnehmern am Eisenbahnbetrieb, die selbst
        keine Eisenbahnverkehrsunternehmen sind, beispiels-
        weise Unternehmen, die Schienenbaufahrzeuge oder Pri-
        vatgüterwagen einsetzen. Mit der zunehmenden Differen-
        zierung des Eisenbahnsektors eröffnen sich gerade in
        diesem Bereich eine Fülle von Möglichkeiten, zum Bei-
        spiel durch die Vermietung von Lokomotiven durch so ge-
        nannte Lokpools.
        Unstreitig ist wohl, dass derartige Unternehmen Eisen-
        bahnvorschriften unterliegen und von Eisenbahnauf-
        sichtsbehörden beaufsichtigt werden. Dies wurde im Ge-
        setz klargestellt.
        Die Reformgesetzgebung im Eisenbahnbereich ist mit
        dem Zweiten Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher
        Vorschriften nicht beendet.
        Das Dritte Gesetz zur Änderung eisenbahnrechtlicher
        Vorschriften – mit der Umsetzung der EU-Richtlinien
        des „Infrastrukturpaketes“ und der Ergebnisse der Task-
        force – wird folgen. Das war auch das Ergebnis unserer
        Ausschussanhörung am 26. November 2001. Die Gutach-
        ter empfahlen eine schnelle parlamentarische Beratung
        des Zweiten Änderungsgesetzes, da die neuen Vorschrif-
        ten unter anderem ein wichtiger Schritt zu mehr Wettbe-
        werb im Eisenbahnbereich sind.
        In diesem Sinne bitte ich – jetzt im zweiten Anlauf –
        um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
        – des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
        derung des Gentechnikgesetzes
        – des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung
        des Gentechnikgesetzes
        – der Unterrichtung: Zweiter Bericht der Bun-
        desregierung über Erfahrungen mit dem Gen-
        technikgesetz
        – der Beschlussempfehlung und des Berichts
        zur Unterrichtung: Bericht der Bundesregie-
        rung über Erfahrungen mit dem Gentechnik-
        gesetz
        (Tagesordnungspunkt 8 a und d)
        Dr. Carola Reimann (SPD): Wir haben seit mehr als
        zehn Jahren in Deutschland ein Gentechnikgesetz. Dabei
        hat sich das deutsche Gentechnikrecht bewährt – sowohl
        unter dem Gesichtspunkt des Vorsorgeprinzips, als auch
        dem Schutz der Beschäftigten und der Bevölkerung. Bei
        allen Ängsten, die es vor der Nutzung dieser Technologie
        gab und die der Gentechnik eine besondere Aufmerksam-
        keit haben zukommen lassen, muss man sagen: Es ist
        nichts passiert. Es gab keine Probleme mit Freisetzungen
        von Mikroorganismen aus Labors und Produktionsanla-
        gen, die eine Gefährdung für die Bevölkerung dargestellt
        hätten. Das ist auch ein Verdienst der gesetzlichen Rege-
        lung und gleichzeitig Beweis dafür, dass sich das Gesetz
        bewährt hat. Daneben ist dieses Gesetz Beispiel dafür,
        dass Forschung auch in einem begrenzenden rechtlichen
        Rahmen sich gedeihlich entwickeln kann.
        Die deutsche Gesetzgebung beruht dabei auf europä-
        ischem Gemeinschaftsrecht. Dass das keine Einbahnstraße
        darstellen muss, sieht man auch an dieser Richtlinie. In der
        geänderten Richtlinie sind die genetisch veränderten Or-
        ganismen – wie im deutschen Gentechnikrecht – in vier
        Gruppen in Abhängigkeit von ihrem Gefährdungspoten-
        zial eingeteilt. Diese Einordnung der Mikroorganismen in
        Sicherheitsklassen hat sich bewährt und Brüssel hat dies
        aus dem deutschen Gentechnikrecht übernommen.
        Aber auch Bewährtes muss ab und an überprüft und
        angepasst werden. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen
        der vergangenen Jahre sind die Regelungen hinsichtlich
        Anmelde-, Anzeige- und Genehmigungspflichten ange-
        passt worden. Zu den Anpassungen gehört, dass es keine
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221692
        (C)
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        Unterschiede mehr zwischen Forschungs- und Gewerbe-
        anlagen gibt. Dies ist auch deshalb zu begrüßen, da wir
        alle hoffen, dass Gentechnik die Basis für eine zuneh-
        mend produzierende Zukunftsbranche ist.
        Ich halte es für richtig, dass man sich auf EU-Ebene
        und auch im eigenen Land bemüht, die Vorschriften bei
        Genehmigungen und Umgang mit gentechnisch verän-
        derten Mikroorganismen zu vereinfachen, um die Verfah-
        ren auch zu beschleunigen – da, wo es verantwortbar
        ist –, ohne dabei den Schutz der Beschäftigten und der Be-
        völkerung zu reduzieren. Deshalb sollen die Vorschriften
        bei Arbeiten mit harmloseren Organismen der Sicher-
        heitsstufe 1 und 2 vereinfacht und abgebaut werden.
        Unter die Sicherheitsstufe 1 fallen alle harmlosen
        Mikroorganismen, von denen keine Gefährdung für Be-
        schäftigte und Bevölkerung ausgehen. Für den Bau einer
        Anlage und erstmalige Arbeiten mit diesen Organismen
        soll zwar wie bisher eine Anmeldung notwendig sein,
        weitere Arbeiten sollen jedoch nur noch einer Aufzeich-
        nungspflicht für Forschung und Gewerbe unterliegen.
        Bisher mussten Arbeiten in gewerblichen Anlagen ange-
        meldet werden. Damit befreien wir auch die Industrie von
        überflüssigen bürokratischen Hürden.
        Zur Risikogruppe 2 gehören so harmlose Erreger wie
        der Karieserreger Streptococcus mutans, aber auch schon
        weniger harmlose wie der Eitererreger oder auch einige
        Salmonellen. Für Anlagen und erstmalige Arbeiten mit
        Organismen der Stufe 2 soll nicht wie bisher eine Geneh-
        migung notwendig sein, sondern nur noch eine Anmel-
        dung mit der Option einer Genehmigung. Für weitere Ar-
        beiten soll für Forschung wie für Gewerbe in Zukunft eine
        Anzeige mit Option der Genehmigung ausreichen. Hier
        galten bisher für Forschung und Gewerbe unterschiedli-
        che, strengere Regelungen: Anmeldung für die Forschung
        und Genehmigung für das Gewerbe.
        Dass bei allen Bemühungen, das Verfahren zu verein-
        fachen und überflüssige Regelungen abzubauen, der
        Schutz vor einer möglichen Gefährdung der Beschäftigten
        und Bevölkerung nicht aus dem Blick gerät, zeigt, dass für
        Arbeiten mit gefährlicheren Organismen der Gruppe 3 und
        4 für den Bau einer Anlage und erstmalige Arbeiten eine
        Genehmigung erforderlich sein soll und auch weitere Ar-
        beiten mit diesen Organismen immer einer Genehmigung
        unterliegen sollen. An dieser Stelle verschärfen sich damit
        die Anforderungen für die Forschung, da Forschung und
        Gewerbe jetzt gleich behandelt werden.
        Der ganz überwiegende Teil der Arbeit wird jedoch mit
        Organismen der Stufen1 und 2 durchgeführt. Ein Beispiel
        sind Arbeiten mit dem E. coli-Stamm K 12. E. coli ist ein
        Darmbakterium und gehört ohne genetische Veränderung
        in die Risikogruppe 2. Die Erfahrungen der letzten Jahre
        zeigen jedoch – E. coli K12 ist quasi das Haustier des
        Gentechnikers –, dass für Arbeiten mit diesem veränder-
        ten Stamm keine erhöhten Sicherheitsanforderungen not-
        wendig sind, da die genetische Veränderung den Stamm
        nicht gefährlicher, sondern harmloser macht.
        Ich begrüße es deshalb an dieser Stelle ausdrücklich,
        dass der Gesetzesentwurf eine Ermächtigungsgrundlage
        vorsieht für den Erlass einer Rechtsverordnung, um be-
        stimmte Mikroorganismen aus dem Regelungsbereich des
        Gesetzes ganz oder teilweise entlassen zu können, wenn
        die Erfahrungen dafür sprechen.
        Gesetzliche Regelungen sind kein Selbstzweck, sie
        dienen der Wahrnehmung der Verantwortung für Bürge-
        rinnen und Bürger und dem Schutz der Beschäftigten,
        müssen aber auch Raum lassen für Kreativität und Eigen-
        initiative. Deshalb, glaube ich, ist mit dem vorliegenden
        Gesetzesentwurf die Balance zwischen „so viel Freiraum
        wie möglich“ und „so viel Regelung wie nötig“ gefunden.
        Helmut Heiderich (CDU/CSU):
        Biowissenschaften und Biotechnologie bilden nach
        allgemeiner Einschätzung die nächste Phase der
        technologischen Revolution in der wissensbasierten
        Wirtschaft. Und sie schaffen neue Möglichkeiten für
        unsere Gesellschaft und Volkswirtschaft.
        So formuliert die Europäische Kommission in einer ak-
        tuellen Vorlage für den Europäischen Rat im kommenden
        Monat in Barcelona. Gleichzeitig lese ich in der Begrün-
        dung der SPD zur Beschlussempfehlung des Gesundheits-
        ausschusses zum heutigen Thema, „dass die anfänglich
        dynamische Entwicklung im Gentechnikbereich sich
        auch im Hinblick auf EU-Gentechnikrecht und nationales
        Gentechnikrecht verlangsamt habe“. Der Gentechnik-
        bericht solle demzufolge nur noch alle fünf Jahre
        vorgelegt werden.
        Welch ein Unterschied in der Beurteilung! Genauso
        unterschiedlich ist das politische Handeln. „Biowissen-
        schaften und Biotechnologie entwickeln sich schnell und
        weltweit weiter“, so Romano Prodi für die EU. Während
        die Europäische Kommission zu Aktivität und Aufbruch
        mahnt, hinkt die Bundesregierung der Entwicklung weit
        hinterher.
        Die heute vorgelegte Änderung des Gentechnikgeset-
        zes beruht auf einer europäischen Richtlinie von 1998.
        Die Frist für die Umsetzung in nationales Recht ist bereits
        am 5. Juni 2000 abgelaufen, wie der Bundesrat – auf
        Initiative Bayerns – in seinem Gesetzentwurf zu Recht
        moniert. Davon aufgeschreckt, hatte die Bundesregierung
        versprochen, auch die Richtlinie 2001/18-EG vom
        12. März 2001 in einen einheitlichen Gesetzentwurf ein-
        zubringen.
        Dieser Gesetzentwurf soll noch in der parlamentari-
        schen Sommerpause vom Kabinett beschlossen
        werden.
        Damit war die Sommerpause 2001 gemeint. Eingelöst
        ist dieses Versprechen, wie so viele andere, bis heute
        nicht.
        Obwohl die Bundesregierung so viel Zeit hat verstrei-
        chen lassen, obwohl sie in ihrem eigenen Gentechnikbe-
        richt auf Seite 22 mehrfach zu dem Urteil kommt, dass es
        „keine Hinweise auf unvorhergesehene Ereignisse oder
        Risiken durch die gentechnischen Veränderungen gebe“,
        obwohl der Gentechnikbericht weiter feststellt: „Schäden
        für Mensch oder Umwelt, die auf gentechnische Arbeiten
        oder gentechnisch veränderte Organismen zurückzu-
        führen wären, sind der Bundesregierung aus Deutschland
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21693
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        nicht bekannt“, obwohl alle diese positiven Erfahrungen
        vorhanden sind, traut die Bundesregierung ihren eigenen
        Erkenntnissen nicht.
        Deregulierung und Verfahrensvereinfachungen wer-
        den nur zum Teil umgesetzt. Obwohl von der EU aus-
        drücklich eine Sicherheitsstufe 1 geschaffen worden ist,
        die alle Arbeiten „ohne Risiko oder mit vernachlässigba-
        rem Risiko“ umfasst, kann sich die Bundesregierung nicht
        durchringen, dafür ein Anzeigeverfahren, wie von der EU
        beschlossen, als ausreichend zu akzeptieren. Da Arbeiten
        nach Stufe 1 laut Gentechnikbericht rund drei Viertel aller
        Maßnahmen betreffen, wäre hier eine Chance, um die
        Möglichkeiten der Deregulierung bei unverändert hohem
        Sicherheitsniveau zu nutzen. Trotzdem besteht die Bun-
        desregierung weiter auf einem Anmeldeverfahren, was
        für den Forschungsstandort Deutschland nicht gerade
        hilfreich ist.
        Damit wir uns richtig verstehen: Das Gentechnikrecht
        muss auch weiterhin, wie es in der Verantwortung von
        CDU/CSU konzipiert worden ist, garantieren, dass die
        Entwicklung und Anwendung von Biowissenschaft und
        Biotechnologie sicher für Mensch, Tier und Umwelt sind.
        Gerade diese Erfahrung wird vom Gentechnikbericht der
        Bundesregierung durchweg positiv bestätigt, zum Bei-
        spiel in den jährlichen Zwischenberichten an das Robert-
        Koch-Institut. Bei den Freisetzungsversuchen ergaben
        sich „bislang keine Hinweise auf unvorhergesehene Er-
        eignisse oder Risiken durch die gentechnischen Verände-
        rungen“.
        Ganz im Gegensatz dazu wird das Handeln der Bun-
        desregierung beschrieben:
        Seit März 1998 wurde trotz zahlreicher vorliegender
        Anträge keine Produktgenehmigung mehr erteilt. Es
        ist ein Zulassungsstau entstanden, der zunehmend zu
        handelspolitischen Spannungen mit Nicht-EU-Part-
        nern führt.
        Auch an dieser Stelle passen fachlich-wissenschaftli-
        che Erkenntnis und politisches Handeln nicht zusammen.
        Die Bundesregierung hinkt nicht nur an dieser Stelle
        der europäischen Entwicklung hinterher. Sie hängt nach
        bei der von ihr selbst versprochenen Umsetzung der Frei-
        setzungsrichtlinie. Sie hängt nach bei der Anwendung der
        Kennzeichnungsregeln, die Ministerin Künast beim Eu-
        ropäischen Agrarrat noch begrüßt hat. Sie hängt nach bei
        der Festlegung von Schwellenwerten. Das ist ein Ver-
        säumnis, das jährlich für Negativschlagzeilen sorgt, wenn
        wieder einmal einige Körner gentechnischen Saatguts an
        der Nachweisgrenze der technischen Möglichkeiten ge-
        funden worden sind oder gefunden worden sein sollen.
        Anstatt die europaweit vorgeschlagenen Toleranzgren-
        zen von 1 Prozent zu akzeptieren, besteht Künast weiter
        auf null Toleranz. Doch die gibt es nicht einmal bei
        Reinstraumproduktionen der Industrie. Die Bundesregie-
        rung hängt nach bei dem von ihr selbst zugesicherten
        Drei-Jahres-Anbauprogramm auf landwirtschaftlichen
        Praxisflächen mit einer Größenordnung von 10 000 bis
        15 000 Hektar. Die Bundesregierung hängt nach bei der
        Zulassung von gentechnisch fortentwickelten Sorten, ob-
        wohl diese alle Prüfungen einschließlich der Zustimmung
        der ZKBS, der Zentralen Kommission für Biologische Si-
        cherheit, erfolgreich durchlaufen haben.
        Um auch hier allen falschen Argumenten entgegenzu-
        treten, sei die Bundesregierung selbst zitiert. Sie betont in
        diesem Zusammenhang ausdrücklich, „dass das In-Ver-
        kehr-Bringen von Lebensmitteln, die gesundheitlich be-
        denklich sind, ohnehin und grundsätzlich untersagt ist,
        ohne Rücksicht auf das Herstellungsverfahren“. Wenn
        also über Kennzeichnungsverfahren oder Schwellenwerte
        diskutiert wird, so geht es dabei nicht um gesundheitliche
        Risiken oder gar Gefährdungen des Verbrauchers, wie
        dies häufig öffentlich dargestellt wird. Es geht vielmehr
        einzig um die Frage der Information des Verbrauches und
        der Öffentlichkeit. Zur Klarstellung dieses Zusammen-
        hangs könnte sicherlich auch der Diskurs von Ministerin
        Künast hilfreich sein, wenn er denn nicht nur auf Verzö-
        gerung angelegt ist. Diese Verzögerungsstrategie von
        Rot-Grün, wie sie in vielen Bereichen der Biotechnologie
        erkennbar ist, entmutigt zunehmend öffentliche und pri-
        vate Forscher, Züchter und Entwickler sowie Geldgeber
        der Biotechnikbranche in Deutschland.
        So ist es kein Wunder, dass selbst der Gentechnikbe-
        richt der Bundesregierung zu der Feststellung kommt,
        dass in Deutschland ab dem Jahr 2000 ein Rückgang der
        Freisetzungsvorhaben festgestellt worden sei. So ist es
        kein Wunder, dass die Bundesregierung in ihrem eigenen
        Bericht darauf hinweist, dass Freisetzungen in Ländern
        mit günstigeren Rahmenbedingungen abgewandert sein
        könnten, wie in den Medien berichtet werde.
        Zur neuen strategischen Vision der EU für Biowissen-
        schaften und Biotechnologie, die in wenigen Wochen in
        Barcelona beschlossen werden soll, hat die Bundesregie-
        rung bis dato nichts, was erkennbar wäre, beigetragen.
        Nicht einmal die Regelungen der Zuständigkeiten zwi-
        schen der angeblich jetzt verantwortlichen Ministerin
        Künast und dem bisher zuständigen Gesundheitsministe-
        rium sind nachvollziehbar geklärt. Allerdings hat Minis-
        terin Künast durch Verzögerungen, rechtsbeugende Ein-
        griffe und Düpierung der Wissenschaft dafür gesorgt, dass
        Gutachter und Beiräte reihenweise zurückgetreten sind.
        Während die Bundesregierung in ihrem eigenen Erfah-
        rungsbericht von einer „zunehmenden Bedeutung der
        Gen- und Biotechnologie als Innovationsmotor“ spricht,
        tut sie mit ihrer praktischen Politik alles, um diesen Mo-
        tor abzubremsen bzw. abzuwürgen. Der heutige Trippel-
        schritt, nach mehr als drei Jahren Nichtstun, zeigt, wie
        sehr die Biotechnologie in unserem Land inzwischen ver-
        nachlässigt wird. Während sich selbst China in der neuen
        Ausgabe des „SCIENCE Magazins“ als „Global Leader“
        in der Pflanzengentechnik bezeichnet, ist Deutschland
        drauf und dran, den Anschluss in der europäischen Bio-
        wissenschaft und Biotechnologie zu verlieren.
        Fazit: Der Erfahrungsbericht der Bundesregierung
        macht durchweg deutlich, dass die Entwicklungen der
        Gentechnik sicher und ohne Risiko für Mensch, Tier und
        Umwelt sind. Das Vorsorgeprinzip hat sich bewährt. Nach
        den durchweg positiven Erfahrungen könnten zahlreiche
        Vorschriften vereinfacht und Verfahren beschleunigt wer-
        den. Dies käme dem Forschungsstandort Deutschland sehr
        zugute. Die aktuelle Politik von Rot-Grün widerspricht
        jedoch in weiten Bereichen dem Erfahrungsbericht der
        eigenen Bundesregierung. Während der Europäische Rat
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221694
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        zu neuen Visionen in der Biotechnologie aufruft, steht Rot-
        Grün in Deutschland noch immer auf der Bremse. Lassen
        Sie deshalb endlich die alten verstaubten Einstellungen
        zurück und nutzen Sie die positiven Erkenntnisse des Gen-
        technikberichts! Behandeln Sie die Gentechnik als Schlüs-
        seltechnik der Zukunft und reden Sie nicht nur hinter ver-
        schlossenen Türen davon!
        Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei
        der Gentechnik handelt es sich um eine grundlegend neue
        Dimension von Eingriffen in die Natur, die weit über eine
        Weiterentwicklung der Evolution und klassischer Züch-
        tung hinausweist. Gerade diese grundsätzliche Dimension
        führt aber dazu, dass immer intensiver geforscht werden
        wird und mit der notwendigen Vorsicht und Sorgfalt auch
        geforscht werden muss. Das hat die Debatte um embryo-
        nale Stammzellen der letzten Monate einer breiten Öf-
        fentlichkeit klar gemacht.
        Eine solche Situation erfordert eine Information und
        Aufklärung aller Menschen in der Gesellschaft, wie sie
        bislang bei naturwissenschaftlichen Entwicklungen nicht
        üblich war. Zugleich verlangt sie eine Verständigung der
        Gesellschaft darüber, welche Chancen sie nutzen, welche
        Risiken sie vermeiden will und wo Grenzen gesetzt wer-
        den müssen.
        Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass alles getan
        wird, um die optimale Sicherheit für Mensch und Umwelt
        unter Vorsorgegesichtspunkten zu wahren. Das gilt glei-
        chermaßen für Bereiche, in denen in absehbarer Zeit ein
        breiter gesellschaftlicher Konsens für gentechnische Ver-
        fahren zu erwarten ist, wie die Herstellung von pharma-
        zeutischen Produkten, und ebenso für hoch umstrittene
        Anwendungen wie den Einsatz von Gentechnik in der Le-
        bensmittelproduktion.
        Diese optimale Sicherheit zu gewährleisten – bei
        gleichzeitiger Wahrung der Rechtssicherheit für die For-
        schung und die Wirtschaft –, das soll die Änderung des
        Gentechnikgesetzes leisten. Das begrüßen wir ausdrück-
        lich. Gleichzeitig werden Verfahrensvereinfachungen und
        -beschleunigungen vorgenommen, wo das möglich und
        verantwortbar ist. Das entlastet Anwender und Behörden
        gleichermaßen. Auch das begrüßen wir.
        Das nun vorgelegte Gesetz wird die Änderung der
        Richtlinie des Ratens über die Anwendung gentechnisch
        veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen
        – die so genannte Systemrichtlinie – vom 26. Oktober
        1998 in deutsches Recht umsetzen. Die geplante gleich-
        zeitige Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie konnte
        leider nicht realisiert werden, weil es auf EU-Ebene noch
        keine klare Positionierung in den zentralen Punkten
        „Rückverfolgbarkeit“ und „Kennzeichnung“ gibt. Des-
        halb ist es richtig, zum jetzigen Zeitpunkt nur die Vor-
        schriften der Systemrichtlinie umzusetzen.
        Wir sehen Änderungsbedarf in zwei Punkten:
        Zum ersten halten wir eine Verordnungsermächtigung,
        die gentechnisch veränderte Mikroorganismen aus dem
        Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes herausnimmt,
        für kontraproduktiv. Sie ist auch überflüssig. Der hohe Si-
        cherheitsstandard in deutschen Labors hat sich bewährt
        und soll auf jeden Fall aufrechterhalten bleiben. Schon
        gibt es erste Forderungen aus Industrieverbänden, auch
        einzelne Pflanzen und Tiere auszunehmen. Da kann ich
        nur sagen: Nicht mit uns! Letztlich wird jede Aufwei-
        chung von Sicherheitsstandards in der Gentechnik auch
        negativ auf die Forschung und Produktion in diesem Be-
        reich zurückfallen und die gesellschaftliche Akzeptanz
        verringert.
        Zweitens wird der Bundesrat aus der Praxis der Ge-
        nehmigungsbehörden einige Anregungen geben, welche
        Vorschriften praktikabel sind und welche weniger. Das
        werden wir aufgreifen. Insbesondere ist zu hinterfragen,
        ob das neu eingeführte Anzeigeverfahren der Verfah-
        renserleichterung dient oder ob der vorgeschlagene Weg
        nicht neue Unübersichtlichkeiten schafft. Unsere Gesetze
        sollten doch lesbar und übersichtlich sein und Planungs-
        sicherheit schaffen. Das ist unser Ziel. In diesem Sinne
        wünsche ich uns eine konstruktive und zügige Beratung
        dieses Gesetzes.
        Detlef Parr (FDP): Die Vereinfachung und Beschleu-
        nigung von Verwaltungsverfahren im Gentechnikbereich,
        der führenden Zukunftstechnologie, dulden eigentlich
        keinen Aufschub. 18 Monate Umsetzungsfrist einer ent-
        sprechenden EU-Richtlinie sollen eigentlich ausreichend
        sein. Umso verwunderlicher ist, dass die Bundesregie-
        rung diese Frist weit überschritten hat und erst nach einem
        Vertragsverletzungsverfahren der Kommission in die
        Gänge gekommen ist. Dafür haben wir kein Verständnis.
        Wir begrüßen den nunmehr vorgelegten Entwurf eines
        Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes
        einer deregulierenden EU-Richtlinie vom Oktober 1998.
        Die bisherigen Verwaltungsverfahren standen in keiner
        Relation zum eigentlichen Risiko der Verwendung in ge-
        schlossenen Systemen. Aber im Beratungsverfahren wird
        sehr stark darauf zu achten sein, ob die selbst gesetzten
        Ansprüche durch die vorgelegten Regelungen tatsächlich
        erfüllt werden. Es reicht nicht, dass wir hier in Berlin Ge-
        setze mit notwendigen und richtigen neuen Zielsetzungen
        verabschieden, auf der Länderebene aber von subalternen
        Beamten die Umsetzung nur schleppend oder widerwillig
        erfolgt. Ziel muss es sein, den Schutzgedanken für die
        Menschen mit einer deutlichen Förderung dieser Techno-
        logie zu verbinden. Im Bereich der roten Gentechnik war-
        ten viele Patientinnen und Patienten auf Hilfe. Die Ent-
        wicklung entsprechender Diagnose- und Therapiemög-
        lichkeiten darf nicht durch überzogene bürokratische Vor-
        schriften behindert werden. Gleichwohl muss sicher-
        gestellt werden, dass von der Gentechnik selbst keine un-
        verantwortlichen Gefahren für die Menschen ausgehen.
        In der grünen Gentechnik stellt sich die Situation ähn-
        lich dar. Auf ihr ruhen viele Hoffnungen. Es muss zukünf-
        tig gelingen, mehr Menschen mit Lebensmitteln zu ver-
        sorgen. Aber auch die Möglichkeit, zum Beispiel durch
        den Anbau von gentechnisch verändertem Raps mit einem
        höheren Eiweißgehalt die Lücke zu schließen, die durch
        das Verfütterungsverbot von Tiermehl entstanden ist, darf
        nicht unterschätzt werden.
        Gentechnisch hergestellte Medikamente machten in
        Deutschland 1999 7 Prozent des Umsatzes der pharma-
        zeutischen Industrie aus. Es gab danach 176 deutsche Pa-
        tentanmeldungen zu Arzneimitteln mit biotechnologi-
        schem Bezug, ein Anstieg um 3 Prozent. Deutschland
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21695
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        liegt seither europaweit an der Spitze. Weltweit führend
        sind die USAmit 660 Patenten.
        Dort hat die FDA frühzeitig unter der Präsidentschaft
        von Clinton Deregulierungsinitiativen normativ umge-
        setzt. Diese Deregulierungen zielten auf eine massive
        Entlastung der pharmazeutischen Unternehmen in Bezug
        auf Verwaltungsaufwand und Kosten – ein wichiger
        Grund für die Spitzenstellung der USA in der Welt. Auch
        in Großbritannien werden Verfahrenserleichterungen in
        konsequenter Umsetzung der EU-Richtlinie eingeführt.
        Wir müssen der europäischen Harmonisierung Rechnung
        tragen, wollen wir unser Land wettbewerbsfähig halten.
        Die Bundesregierung muss alles tun, um die Akzeptanz
        der Gentechnik in der Bevölkerung zu verbessern. Der Aus-
        führung im Erfahrungsbericht – ich zitiere: „Die Bundes-
        regierung sieht es weder als ihre Aufgabe an, die Akzeptanz
        dieser Technik zu fördern noch aus Gründen geringer
        Akzeptanz Verbote auszusprechen.“ – stimmen wir nur im
        zweiten Halbsatz zu. Wenn über Annahme oder Ablehnung
        der Gentechnik und ihrer Produkte nicht zuletzt der infor-
        mierte und sachkundige Verbraucher entscheidet, darf die
        Bundesregierung nicht länger „toter Mann“ spielen. Wir
        brauchen eine Informationsoffensive, wenn wir eine
        führende Rolle in Europa und weltweit spielen wollen.
        Kersten Naumann (PDS):Was lange währt, wird gut,
        heißt es im Volksmund. Mit der Umsetzung der EU-Richt-
        linie von 1998 zur Anwendung gentechnisch veränderter
        Mikroorganismen schießt die Bundesregierung mit dem
        vorliegenden Änderungsgesetz jedoch weit über das Ziel
        hinaus. Auf Seite 1 der Begründung wird deutlich, worauf
        es der Bundesregierung ankommt: Es sollen „weitgehend
        die Regelungen deregulierender Natur“ umgesetzt wer-
        den.
        Der Bundesrat formuliert darüber hinaus unmissver-
        ständlich, dass mit der Novelle vor allem eine Entlastung
        der Unternehmen von Verfahrensfragen und der Länder-
        haushalte von Kosten der Behörden vorgesehen ist.
        Wir fordern, dass die bereits im novellierten Gentech-
        nikgesetz von 1993 weit abgesenkten Anforderungen be-
        züglich Anzeige, Anmeldung und Genehmigung vor al-
        lem in den unteren Sicherheitsstufen S 1 und S 2 nicht
        weiter abgesenkt werden. Eine Selbsteinstufung durch
        den Antragsteller in die Sicherheitsstufe S 2 ist prinzipiell
        abzulehnen. Konkret sollte mindestens dem Gesetzent-
        wurf des Bundesrates gefolgt werden. Hier ist die Anzeige
        bei gewerblichen, weiteren gentechnischen Arbeiten in
        der Sicherheitsstufe S 1 und die Anmeldung mit Option
        der Genehmigung bei weiteren gentechnischen Arbeiten
        in der Sicherheitsstufe S 2 vorgesehen.
        Zudem lehnt die PDS die vorgeschlagenen Änderungen
        zur Selbstklonierung ab. Das bedeutet doch, dass be-
        stimmte gentechnisch veränderte Mikroorganismen – wenn
        auch mit so genannten Erfahrungswerten – nicht mehr als
        solche betrachtet werden und aus der Richtlinie heraus-
        fallen.
        Bezüglich der Neufassung von § 36 zur Deckungsvor-
        sorge ist anzumerken, dass wie im alten Text das Inver-
        kehrbringen von GVO und deren Produkte daraus nicht
        erwähnt ist. Haftungsregelungen samt der notwendigen
        Deckungsvorsorge müssen aber auf jeden Fall nicht nur
        für freigesetzte, sondern auch für in den Verkehr ge-
        brachte GVO gelten.
        Fallen Anmelde- und Genehmigungsverfahren weg,
        auch die in geringeren Sicherheitsstufen, kann die Zuläs-
        sigkeit jedes einzelnen Vorhabens nicht mehr geprüft wer-
        den. Dabei dürfte das Beispiel aus Australien, wo ein un-
        gefährlicher Mikroorganismus, der Mäusepockenvirus,
        mit einem ungefährlichen Gen kombiniert wurde und so
        ein tödlicher Erreger entstand, gerade aktuellen Anlass für
        eine Verschärfung der Sicherheitsregeln geben. Das alte
        Konzept „Ungefährlich und ungefährlich ist gleich unge-
        fährlich“ stimmt offensichtlich nicht.
        Mit der Kürzung der Entscheidungsfristen setzen sich
        Behörden zudem selbst unter Zeitdruck. Intervenierung
        wird unmöglich.
        Die vorgesehene Deregulierung des GenTG ist nicht zu
        akzeptieren. Meines Erachtens wird hier eine Risikovor-
        sorge dem Sparprinzip geopfert.
        Wir fordern die Bundesregierung auf, nur die Punkte
        der EU-Systemrichtlinie in deutsches Recht umzusetzen,
        die zwingend umzusetzen sind. Die Absenkung des Si-
        cherheitsstandards, die Herabsetzung der Anforderungen
        und die Beschleunigung der Verfahren, wie im Gesetzent-
        wurf vorgesehen, laufen dem Vorsorgeprinzip entgegen.
        Sie sind nicht zwingend in nationales Recht umzusetzen.
        Deshalb sollte Deutschland im Sinne des vorsorgenden
        Verbraucherschutzes handeln und nicht überschnell un-
        korrigierbare Prämissen setzen.
        Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin bei
        der Bundesministerin für Gesundheit: Die modernen Me-
        thoden der Bio- und Gentechnik sind in vielen For-
        schungs- und Anwendungsfeldern etabliert. Als Quer-
        schnittstechnologie spielt die Gentechnik eine wichtige
        Rolle. In der Medizin wird sie bei der Bekämpfung be-
        stimmter Krankheiten sowie bei der Entwicklung neuer
        Therapie- und Diagnosemöglichkeiten eingesetzt. Aber
        auch in der Landwirtschaft, der Lebensmittelherstellung
        und des Umweltschutzes eröffnet die Gentechnik neue
        Perspektiven, die auch die Chance auf neue, zukunfts-
        sichere Arbeitsplätze beinhaltet.
        Wir verkennen aber nicht, dass die Freisetzung gen-
        technisch veränderter Organismen in die Umwelt mit
        Risiken verbunden sein kann, die auch heute noch im
        Einzelfall schwer abschätzbar sind. „Chancen nutzen,
        Risiken vermeiden“ ist deshalb nach wie vor unsere Ma-
        xime im Umgang mit der Gentechnik. Wir wollen die ver-
        antwortbaren Innovationspotenziale nutzen und systema-
        tisch weiterentwickeln. Gleichzeitig muss der Schutz von
        Mensch und Umwelt gewährleistet sein.
        Ausgehend von diesem Vorsorgegedanken hat sich das
        deutsche Gentechnikrecht, wie im Bericht der Bundes-
        regierung dargestellt, bewährt. Bei der Novellierung des
        Gentechnikgesetzes geht es deshalb um die behutsame Fort-
        entwicklung des vorhandenen Instrumentariums und um die
        Anpassung an vorliegende Erfahrungen und Erkenntnise,
        die in langjähriger praktischer Arbeit erworben wurden. Die
        Grundstrukturen des Sicherheitskonzeptes müssen aber er-
        halten bleiben. Sie lauten: primäre Verantwortung des Be-
        treibers, sorgfältige Risikobewertung auf wissenschaftlicher
        Grundlage in jedem Einzelfall, weitgehende präventive
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221696
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        behördliche Kontrolle und kontrolliertes, schrittweises Vor-
        gehen vom Labor bis zur Anwendung im Freiland.
        Das deutsche Gentechnikrecht beruht im Wesentlichen
        auf europäischem Gemeinschaftsrecht. Mit dem Zweiten
        Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes setzen wir
        eine Änderungsrichtlinie der EU um (Richtlinie 98/81/EG).
        Sie regelt den Umgang mit gentechnisch veränderten
        Mikroorganismen in geschlossenen Systemen, zum Bei-
        spiel in Laboratorien oder Produktionsanlagen. Hier geht
        es vor allem um Maßnahmen zum Schutz der menschli-
        chen Gesundheit und der Umwelt. Dabei ist die im deut-
        schen Gentechnikrecht verankerte Unterteilung von vier
        Sicherheitsstufen bei gentechnischen Arbeiten in die Än-
        derungsrichtlinie weitgehend übernommen worden.
        Neben den Regelungen zum Sicherheitsniveau enthält
        die Änderungsrichtlinie auch Vorschriften zur Deregulie-
        rung. Durch eine Verordnungsermächtigung soll es mög-
        lich werden, einzelne Typen gentechnisch veränderter Mi-
        kroorganismen aus dem speziellen Regelungsbereich des
        Gentechnikrechts auszunehmen. Voraussetzung ist, dass
        sie sich als sicher für die menschliche Gesundheit und die
        Umwelt erwiesen haben.
        Die neuen Regelungen entlasten damit Unternehmen
        und Behörden von unnötigen Verwaltungsverfahren.
        Gleichzeitig wird die präventive behördliche Kontrolle
        beim Umgang mit riskanten Mikroorganismen entspre-
        chend dem Vorsorgegrundsatz gestärkt.
        Die neuen Regelungen tragen so zu mehr Sicherheit bei
        gentechnischen Arbeiten in gentechnischen Anlagen bei.
        Im Gegensatz zum Bundesrat nutzt die Bundesregie-
        rung in ihrem Entwurf den von der EU gesetzten Deregu-
        lierungsspielraum stärker, ohne dabei unser hohes Sicher-
        heitsniveau zu ändern. Er umfasst dabei neben der
        Änderung des Gentechnikgesetzes auch die notwendigen
        Änderungen in den dazugehörenden Verordnungen. Zu-
        dem erfolgt eine Anpassung an neuere Entwicklungen im
        Bereich des Arbeitsschutzes.
        Schließlich – und das ist uns auch wichtig – wird die
        ZKBS um einen Vertreter bzw. eine Vertreterin des Ver-
        braucherschutzes erweitert.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
        – des Antrags: Weißbuch der Kommission der
        Europäischen Gemeinschaften: Strategie für
        eine zukünftige Chemikalienpolitik
        – der Beschlussempfehlung und des Berichts:
        Für eine wirksame und vernunftgeleitete Che-
        mikaliengesetzgebung
        (Tagesordnungspunkt 9 a und b)
        Dr. Carola Reimann (SPD): Das vor gut einem Jahr
        vorgelegte Weißbuch „Strategie für eine zukünftige Che-
        mikalienpolitik“ ist – da sind die meisten in diesem Hause
        einig – ein richtiger Schritt und ein echter Fortschritt im
        Bereich der Chemikalienpolitik. Es ist die Grundlage und
        der Orientierungsrahmen für eine umfassende Reform der
        Chemikalienpolitik, die Umwelt-, Arbeits- und Verbrau-
        cherschutzinteressen genauso berücksichtigt wie die In-
        teressen der Industrie.
        Wir beobachten, dass die Inzidenz einiger Erkrankun-
        gen wie Krebs und Allergien zunimmt, bei denen die be-
        rechtigte Sorge besteht, dass Zusammenhänge zwischen
        Chemikalienexposition und Erkrankung existieren. Wir
        begrüßen daher die Betonung des Vorsorgeprinzips im
        Weißbuch, mit dem ein wirkungsvoller Schutz der Ge-
        sundheit von Verbraucherinnen und Verbrauchern mög-
        lich wird.
        Die im Weißbuch vorgeschlagene Strategie ist eine
        notwendige und überfällige Reaktion auf die festgestell-
        ten Defizite in der Risikobewertung sowie im Manage-
        ment von Altstoffen. Bislang besteht die unbefriedigende
        Situation, dass nur Stoffe, die seit 1981 auf den Markt
        kommen, einem Zulassungsverfahren unterliegen, das die
        Gefährdung für Mensch und Umwelt beurteilt. Alle Stoffe
        jedoch, die schon vor 1981 auf dem Markt waren – das ist
        die Mehrzahl aller verwendeten Chemikalien –, sind nie-
        mals einer systematischen Bewertung hinsichtlich ihrer
        Gefährlichkeit für Umwelt und Gesundheit von Verbrau-
        cherinnen und Verbrauchern unterzogen worden.
        Die Datenlage für die circa 30000 Altstoffe am Markt
        kann man getrost als katastrophal bezeichnen. Von den
        2600 HPV-Stoffen – High-Production-Volume-Stoffen mit
        einer Produktion von mehr als 1 000 Tonnen pro Jahr – sind
        gerade mal 3 Prozent getestet. Nur für 11 Prozent liegt ein
        vollständiger Grunddatensatz vor. Für 15 Prozent liegen
        zwar Daten vor, aber kein vollständiger Grunddatensatz.
        Für weitere 15 Prozent gibt es aber gar keine Daten. Für den
        ganz überwiegenden Teil, nämlich 56 Prozent dieser Stoffe
        mit hoher Produktionskapazität, gibt es nur Daten zur aku-
        ten Toxizität. Wenn man bedenkt, dass diese Chemikalien-
        gruppe mit Produktionskapazitäten über 1 000 Tonnen im
        Jahr 95 Prozent aller Chemikalien am Markt ausmacht,
        kann einen das schon sehr nachdenklich stimmen.
        Eine nachhaltige, verbraucherschutzorientierte Chemi-
        kalienpolitik braucht eine systematische, seriöse Daten-
        grundlage und ein einheitliches Verfahren für Alt- und
        Neustoffe. Das sieht das Weißbuch vor.
        Ein wegweisender Ansatz des Weißbuches ist auch die
        grundsätzliche Umkehrung der Beweislast. Die Hersteller
        sollen künftig die Ungefährlichkeit ihrer Produkte nach-
        weisen. Außerdem sollen die Produzenten von Chemika-
        lien auch für die Vorlage von Informationen über diese
        Substanzen verantwortlich sein.
        Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie ha-
        ben nun einen Antrag eingebracht, in dem Sie die Strate-
        gie des Weißbuches für eine zukünftige Chemikalienpoli-
        tik grundsätzlich gutheißen. Daher will ich Sie nicht mit
        einer Aufzählung weiterer positive Aspekte langweilen.
        Über vieles haben wir schon gesprochen und über vieles
        brauchen wir nicht mehr zu sprechen.
        Das gilt allerdings auch für die Forderungen, die Sie
        hier beschließen lassen wollen. Ihr Antrag ist ein weiterer
        Beitrag zur Diskussion um ein Weißbuch, um das die
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21697
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Debatte im Europäischen Parlament bereits abgeschlos-
        sen ist. Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird eine Ver-
        ordnung oder eine Richtlinie auf den Weg gebracht. Eine
        nachträgliche Diskussion scheint mir da wenig hilfreich.
        Viele Ihrer Forderungen sind darüber hinaus längst obso-
        let, manche sind einfach nur unverständlich.
        Herz des Weißbuches für eine zukünftige Chemikali-
        enpolitik ist das Reach-Verfahren. R steht dabei für Regis-
        trierung, E für Evaluierung und A für Autorisierung, also
        Zulassung von Chemikalien. Das Reach-System bietet
        eine realistische Perspektive, die enormen Datenlücken
        und Bewertungsrückstände sowie Managementdefizite
        bei Altstoffen zu beseitigen. Das System basiert auf Ko-
        operation der Behörden mit der Industrie, die ich aus-
        drücklich begrüße.
        Reach sieht vor, dass alle Substanzen in einer zentralen
        Datenbank registriert werden und zwar mit abgestufter
        Priorität. Chemikalien mit einer hohen Jahresproduktion
        von über 1 000 Tonnen pro Jahr sollen bis Ende 2005 re-
        gistriert werden. Ihre Forderung, für diese Substanzen
        eine kurzfristige Regelung zur Registrierung und Eva-
        luierung zu finden, ist damit hinfällig. Das ist doch er-
        klärtes Ziel des Weißbuches! Substanzen mit einer Jahres-
        produktion von 100 Tonnen pro Jahr sollen bis Ende 2008
        registriert werden und einer Bewertung unterzogen wer-
        den. Alle übrigen Substanzen mit geringerer Jahrespro-
        duktion sollen bis Ende 2012 in die zentrale Datenbank
        aufgenommen werden.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
        Sie schlagen weiter vor, auf europäischer Ebene eine
        Rechtsverordnung zu erlassen. Der Bundestag sollte sich
        aber darüber im Klaren sein, dass er sich selbst um Ge-
        staltungsspielräume bringt, wenn er eine Rechtsverord-
        nung fordert. Eine Rechtsverordnung muss punktgenau
        umgesetzt werden. Eine Richtlinie dagegen bietet uns, den
        Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Deutschen
        Bundestag, immerhin noch Gestaltungsspielräume, eigene
        Vorstellungen einzubringen.
        Meine Damen und Herren von der Union, außerdem
        möchten Sie die im Weißbuch konzipierten Zulassungs-
        verfahren für besonders gefährliche Stoffe durch „un-
        bürokratische Alternativen“ ersetzt wissen.
        Worum geht es denn hierbei überhaupt? CMR-Stoffe
        – also Carcinogene, Mutagene, Reprodutoxische Stoffe –
        sowie POP-Substanzen – persistierende organische Schad-
        stoffe – sollen laut Weißbuch ein Zulassungsverfahren
        durchlaufen. Dies betrifft voraussichtlich 1 400 Substan-
        zen. Das sind nun wirklich die Gefährlichen unter den Ge-
        fährlichen.
        Man kann ja für den Abbau bürokratischer Hemmnisse
        streiten, aber den Schutz der Verbraucherinnen und Ver-
        braucher darf man dabei nicht aus den Augen verlieren.
        Deshalb können wir auf diese Verfahren nicht verzichten.
        Abgesehen davon ist die Diskussion um diese Zulas-
        sungsverfahren längst vom Tisch. Fragen Sie mal das eu-
        ropäische Parlament! Fragen Sie die Bundesregierung!
        Ein Weißbuch ist ein politischer Orientierungsrahmen
        und kein Gesetzesentwurf. Das bedeutet, es bedarf an ver-
        schiedenen Punkten weiterer Konkretisierungen und De-
        tailfragen müssen geklärt werden. Aber das ist in vielen
        Punkten doch schon längst geschehen.
        So wollen Sie kleine und mittelständische Unterneh-
        men vor zu hohen Kosten bei den Zulassungsverfahren
        schützen. Sie sollen nicht unverhältnismäßig belastet und
        damit in ihren Wettbewerbschancen gegenüber den
        Großen benachteiligt werden. Das ist in der Sache ja sehr
        ehrenwert, aber eben nicht gerade neu. Alles das haben
        wir längst problematisiert, und zwar im Frühjahr letzten
        Jahres!
        Sie möchten außerdem eine „Institution zur Beratung
        und Förderung kleiner und mittelständischer Unterneh-
        men“ einrichten lassen. Beratung ist aber doch ureigenste
        Aufgabe der Kammern und Verbände. Ihre Aufgabe ist es
        doch, Unternehmen in allen Fragen beratend zu unterstüt-
        zen.
        Wer soll denn die von Ihnen gewünschte Einrichtung
        eigentlich bezahlen? Darüber sagen Sie vorsorglich lieber
        nichts. Letztlich müsste – wenn es nach Ihnen ginge – der
        Steuerzahler, also der Staat dafür aufkommen. Die Indus-
        trie verdient und die Kundinnen und Kunden helfen ihr
        dann noch bei der Prüfung ihrer Produkte.
        Ich meine dagegen, wir sollten die vorhandenen Insti-
        tutionen stärken, anstatt aufwendig neue einzurichten.
        Und es muss – wie im Weißbuch schon festgeschrieben –
        das Verursacherprinzip auch für diesen Industriebereich
        gelten: Die chemischen Hersteller müssen selbst dafür
        Sorge tragen, dass ihre Produkte keine Gefährdung für
        Mensch und Umwelt darstellen.
        Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Frak-
        tion, im letzten Punkt Ihres Forderungskatalogs offenba-
        ren Sie nun endlich, dass Sie mit Ihrem Antrag vor allem
        die Interessen der Industrie im Auge haben. Dafür haben
        Sie zum Teil schon ganz kalten Kaffee aufgewärmt. Sie
        haben sich Forderungen zu Eigen gemacht, die wir längst
        behandelt und diskutiert haben. Sie setzen sich damit dem
        Verdacht aus, diesen Antrag nur eingebracht zu haben, um
        sich das Image der Wirtschaftsfreundlichkeit anheften zu
        können, wohlwissend, dass dieser Antrag an sich sub-
        stanzlos ist.
        Wir werden Ihren Antrag daher ablehnen.
        Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Die Europäische
        Kommission hat mit ihrem Weißbuch zur Strategie für
        eine zukünftige Chemikalienpolitik den Anstoß zu einer
        grundlegenden Neuorientierung der gesamten europä-
        ischen Chemikaliengesetzgebung gegeben. Das Euro-
        päische Parlament hat dieser Neuorientierung im Grund-
        satz und in der Tendenz zugestimmt und damit den Weg
        frei gemacht für ein europäisches Gesetzverfahren, das
        die europäische, aber auch ganz besonders die deutsche
        Chemieindustrie vor neue, große Herausforderungen stellt.
        Worum geht es? Kernpunkt der Vorschläge ist die Ein-
        führung eines Systems zur Erfassung, Bewertung und Zu-
        lassung aller in der EU hergestellten, importierten und
        verwendeten Chemikalien. Das sind allein 30 000 Alt-
        stoffe. Nach dem so genannten Reach-System sollen die
        Hersteller und Importeure von Stoffen innerhalb be-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221698
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        stimmter Fristen ihre Stoffe in einem zentralen europä-
        ischen Register melden – unter Angabe von Prüfdaten,
        Verwendungszwecken, Risikobewertungen und Risiko-
        managementmaßnahmen. Für Stoffe ab einer gewissen
        Größenordnung ist darüber hinaus ein Verfahren zur Be-
        wertung der eingereichten Informationen durch die
        zuständigen Behörden vorgesehen. Darüber hinaus sollen
        besonders gefährliche Stoffe nur noch nach einer Erlaub-
        nis durch die Behörden produziert, importiert oder ver-
        wendet werden dürfen.
        Um es klar zu sagen: Meine Fraktion begrüßt diese Ini-
        tiative der EU und unterstützt die Ziele des Weißbuchs.
        Das heute existierende Chemikalienrecht zerfällt in viele
        Einzelrichtlinien, ist unübersichtlich und im Vollzug un-
        nötig bürokratisch und ineffizient. Mit den Vorschlägen
        des Weißbuchs soll es zu einer systematischen Überprü-
        fung neuer und alter Stoffe gleichermaßen und zu einem
        EU-weit verbindlichen Verfahren kommen; auch dies
        wäre ein Fortschritt, mit dem Schwächen des geltenden
        Chemikalienrechts beseitigt werden. Positiv ist auch die
        feste Terminsetzung, die alle Beteiligten zur Disziplin
        zwingt.
        Allerdings ist für uns auch eines sehr deutlich gewor-
        den: Die Vorschläge des Weißbuchs weisen noch erheb-
        liche Schwachpunkte und offene Fragen auf, die beseitigt
        bzw. beantwortet werden müssen, um das Vorhaben zum
        Erfolg zu führen. Einige wichtige Beispiele möchte ich
        nennen:
        Es gibt eine Sicherheitslücke bei importierten Waren,
        weil für chemische Stoffe in eingeführten Erzeugnissen
        nicht die gleichen Anforderungen gelten wie für solche,
        die in Reinform oder Gemischen nach Europa kommen.
        Doch auch für solche importierten Waren mit unbe-
        kannten Stoffzusammensetzungen sind entsprechende
        Regelungen unerlässlich. Viele im Ausland hergestellte
        Produkte enthalten chemische Substanzen, die in ihrer
        Auswirkung auf Mensch und Umwelt noch unbekannt
        sind. Dies ist nicht nur unter Umständen gefährlich, son-
        dern könnte auch zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten
        europäischer und deutscher Firmen führen. Deshalb muss
        die Kommission hier nachbessern.
        Ein weiterer Punkt ist das propagierte Recht der Öf-
        fentlichkeit auf Information über die chemischen Stoffe.
        Es ist noch nicht deutlich, wie das Informationsbedürfnis
        der Verbraucher einerseits mit dem Bedürfnis der Her-
        steller nach Schutz vertraulicher Informationen anderer-
        seits verbunden werden kann. Hier brauchen wir noch
        praktikable Vorschläge, wie Eigentumsrechte und Prüf-
        daten zu behandeln sind, um Unternehmer vor in- und
        ausländischen Wettbewerbern fair zu schützen, die den
        gleichen Stoff vermarkten wollen – aber ohne aufwendige
        Prüfung und Bewertung.
        Ungeklärt ist außerdem die Abgrenzung der Hersteller
        oder Importeure zu den Firmen, die die Produkte weiter-
        verarbeiten oder für ihre neuen Produkte anwenden. Auch
        hier fehlen noch eindeutige Kriterien, die jedoch wichtig
        sind, damit die so genannten „down stream users“ – sehr
        oft kleine und mittelständische Betriebe – nicht heillos
        überfordert werden.
        Der größte Schwachpunkt des Weißbuchs liegt jedoch
        für mich in dem vorgeschlagenen Zulassungsverfahren
        für Stoffe mit besonders gefährlichen Eigenschaften.
        Auch hier ist noch manches unklar, aber das, was bekannt
        ist, dürfte erneut zu einer gewaltigen Bürokratie, zu erheb-
        lichen Entscheidungsverzögerungen und zu gewaltigen
        Kostensteigerungen bei der Industrie führen. Dies be-
        deutet aber gleichzeitig auch massive Wettbewerbs-
        nachteile der Europäer zum Beispiel gegenüber den
        Vereinigten Staaten, die ein relativ schlankes Anzeige-
        verfahren haben, aber auch gegenüber kleinen und mittel-
        ständischen Betrieben, die unter der Bürokratie ohnehin
        am meisten leiden.
        Gerade beim Zulassungsverfahren, bei dem es um
        rund 1 500 von 30 000 Stoffen geht, müssen sich alle
        Beteiligten noch etwas Besseres einfallen lassen. Wir soll-
        ten zum Beispiel den Vorschlag prüfen, bei diesen beson-
        ders aufwendigen Zulassungsverfahren die geprüften
        Stoffe nicht mit einem gigantischen Aufwand einzel-
        firmenbezogen zu prüfen, sondern stoffbezogen – und mit
        Verfahren, die dann europaweit einheitlich, zumindest für
        die wichtigsten Verwendungen, in allgemein verbindliche
        Verbote führen könnten. Dabei könnten auch Verwen-
        dungen, die zu besonderen Risiken führen, vorrangig be-
        wertet werden.
        Jedenfalls glauben wir, dass die vorgesehene Regis-
        trierung und Bewertung von Stoffen im Rahmen des
        Reach-Systems die Datenlage über die gefährlicheren
        Stoffe soweit verbessert, dass man Verwendungsbe-
        schränkungen und Verwendungsverbote schneller und ef-
        fektiver aussprechen kann, als dies bisher vorgesehen zu
        sein scheint.
        Es ist für mich klar, dass weltweit und europaweit die
        Anstrengungen erhöht werden müssen, um gefährliche
        chemische Rückstände in den Griff zu bekommen und zu
        vermeiden. Das Weißbuch geht dazu zumindest für die
        EU in die richtige Richtung. Aber wir müssen auch
        ökonomisch klug vorgehen. Deutschland ist eine
        Chemienation; mehr als ein Viertel der Umsätze der EU
        wird in Deutschland erzeugt. Die Chemieindustrie in un-
        serem Land ist der fünftgrößte Arbeitgeber des Verarbei-
        tenden Gewerbes. Sie ist in weitem Umfang mittel-
        ständisch strukturiert. Auch in den neuen Bundesländern
        wie in Sachsen und Sachsen-Anhalt hängen Tausende von
        Arbeitsplätzen von der Chemie ab.
        Wir müssen deshalb dafür kämpfen, dass die
        Auswirkungen der europäischen Pläne auf die Innova-
        tions- und Wettbewerbsfähigkeit unserer chemischen
        Wirtschaft und auf die kleinen und mittelständischen Un-
        ternehmen genau geprüft werden. Die Regelungen
        müssen im Konkreten so ausgestaltet werden, dass sie
        praxisgerecht und kosteneffizient, das heißt möglichst un-
        bürokratisch und durchschaubar sind.
        Bei den Altstoffbewertungen der Vergangenheit gab
        es für die einzelnen Stoffe Handreichungen bis zu
        700 Seiten. Jetzt haben wir die Chance, mittelstands-
        freundlicher zu handeln, und diese Chance sollten wir
        nutzen. Wir schlagen auch eine Institution zur Beratung
        und Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen für
        das Chemikalienmanagement vor; damit könnten gerade
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21699
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        kleinere Unternehmen direkt bei der Registrierung und
        Evaluierung unterstützt werden. Wir fordern auch, dass
        die umfangreichen Vorarbeiten der deutschen Chemie im
        Bereich der Altstoffbewertung in das neue europäische
        Verfassungsverfahren mit einfließen. Man braucht das
        Rad nicht immer neu erfinden.
        Für die Umsetzung des Weißbuchs liegen noch keine
        Rahmenrichtlinien auf dem Tisch. Die deutsche Politik
        hat noch Zeit und Gelegenheit, ihre Vorschläge einzubrin-
        gen und auf Schwachpunkte hinzuweisen. Hier ist die rot-
        grüne Bundesregierung in der Pflicht, die Weichen richtig
        zu stellen. Es geht einmal mehr darum, umweltpolitische
        Ziele mit den effizientesten volkswirtschaftlichen Metho-
        den zu erreichen. Bisher haben Sie sich dabei nicht mit
        Ruhm bekleckert; aber jetzt haben Sie bei der Umsetzung
        des Chemikalienweißbuchs eine neue Chance und die
        sollten Sie nutzen.
        Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Zwar gibt es den sprichwörtlich gewordenen Ausspruch
        „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. Aber auch
        umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wer zu früh bellt, der
        bellt – mangels Baum – ins Leere. Längst hat die EU-
        Kommission einen Verordnungsentwurf zum Weißbuch
        angekündigt. Die sollten Sie von der Opposition doch erst
        einmal abwarten, bevor Sie unseren Unterhändlern In-
        struktionen mitgeben. Andererseits haben Sie die Frist für
        eine Stellungnahme zum Weißbuch schon längst ver-
        säumt. Dort hätten Sie mit einem Beschluss des Bundes-
        tags tatsächlich in der Substanz etwas ändern können.
        Für das eine sind Sie zu früh, für das andere ewig zu
        spät. Politik ist die Kunst des richtigen Zeitpunkts und des
        richtigen Adressaten. Eines zeigt uns Ihr Antrag aber klar
        und deutlich: Die Chemiepolitik der Union ist noch im-
        mer und vor allem ausschließlich marktwirtschaftlich ori-
        entiert. Arbeitsschutz, Umwelt- und Verbraucherschutz
        spielen darin keine Rolle. Sie machen sich einfach die Po-
        sition der Chemieindustrie zu Eigen. Dagegen haben wir
        nichts; einige Ihrer Punkte sprechen Probleme an, die
        tatsächlich erst noch gelöst werden müssen. Aber als
        große Volkspartei müssten Sie wissen: Politik ist mehr als
        Wettbewerbsfähigkeit, sie ist dem Schutz der Umwelt –
        sie ist dem Menschen verpflichtet! Und deren Gesundheit
        ist bedroht – angesichts von 100 000 Chemikalien, deren
        Risikopotenziale wir gar nicht oder nur unzureichend
        kennen.
        Da ist das Weißbuch ein enormer Schritt nach vorne –
        auch weil es eine Umkehrung der Beweislast enthält. Aber
        bevor Sie Verantwortungsbereiche abgrenzen wollen
        – zwischen Herstellern, Weiterverarbeitern und Anwen-
        dern –, sollten Sie die Verantwortlichkeiten der Chemie-
        industrie selbst klären. Denn „Umkehr der Beweislast“ er-
        fordert auch ein Umdenken hin zum Vorsorgeprinzip: Wie
        kann ich Mensch und Umwelt schützen, ohne Wettbewerb
        und Arbeitsplätze kaputtzumachen? Statt Antworten auf
        diese zentralen Fragen des Weißbuchs zu geben, finden wir
        bei Ihnen nur die diffusen Ängste der Chemieindustrie vor
        dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.
        Kaum ist das Weißbuch „Strategie für eine zukünftige
        Chemikalienpolitik“ auf dem Markt, geht ein Aufschrei
        durch die Chemieindustrie: Als einer der größten Arbeit-
        geber sieht sie wieder einmal ihre Innovations- und Wett-
        bewerbsfähigkeit gefährdet – lapidar ausgedrückt: ihren
        Umsatz. Und damit seien einmal mehr Zigtausende von
        Arbeitsplätzen bedroht.
        Aber: Geht denn die Rechnung „Weniger Umwelt-
        recht, mehr Umsatz, mehr Beschäftigung“ überhaupt auf?
        Nein, sie tut es nicht. Seit 1980 hat die chemische Indus-
        trie ihren Umsatz auf 190 Milliarden DM fast verdoppelt.
        Nur die amerikanische und japanische Chemieindustrie
        hat höhere Umsätze zu verzeichnen. Gerade die großen
        Konzerne im Inland fuhren bis vor wenigen Jahren einen
        Rekordumsatz nach dem anderen ein. Aber hat sie es den
        Beschäftigten auch gedankt? Im Gegenteil, noch nie gab
        es seit über 20 Jahren so wenige Beschäftigte in der Che-
        mieindustrie wie heute. Gerade einmal 470 000 im Ver-
        gleich zu den 590 000 vor der Wende oder gar den über
        700 000 danach. Also: 100 Prozent mehr Gewinn und
        20 Prozent weniger Beschäftigte, so die Bilanz. Waren die
        Umweltgesetze daran schuld?
        Mann, müssen das scharfe Umweltgesetze gewesen
        sein – und das in Ihrer Regierungszeit, meine Damen und
        Herren von der Opposition – Hut ab. Schade nur, dass es
        keiner gemerkt hat und die Chemieindustrie am allerwe-
        nigstens. Vielmehr war es doch so, dass in der Zeit Ihrer
        Regierung das damalige chemische Dreigestirn Hoechst,
        Bayer und BASF ungeniert bis in das Chemikalien- und
        Gefahrstoffrecht hineinregierte. Beste Aussichten also für
        mehr Arbeitsplätze?
        Seien Sie versichert, wenn es danach geht, wird durch
        das Weißbuch auf europäischer Ebene kein einziger Ar-
        beitsplatz verloren gehen. Man sollte also nicht so tun, als
        wäre das Weißbuch – wie der deutsche Chemieverband
        gerne in ganzseitigen Anzeigen inseriert – das Ende der
        chemischen Produktion in Deutschland. Gerade der von
        Ihnen besonders hervorgehobene Mittelstand – nämlich
        der Mittelstand der Recyclingwirtschaft – begrüßte das
        Weißbuch ausdrücklich.
        Und dennoch: Keine Wirtschaftsbranche hat über ihren
        Lobbyverband und über deren Interessenvertretung – die
        Chemiegewerkschaft – eine beständigere Kultur des Jam-
        merns geschaffen wie die großen Chemiekonzerne. Wir
        haben nichts gegen Interessenpolitik. Aber wir kennen
        doch unsere Pappenheimer: Statt Sprachrohr der Chemie-
        konzerne zu sein, sollten Sie auch Sprachrohr der Men-
        schen sein. Deren Gesundheit steht beim Umgang mit
        Chemikalien auf dem Spiel.
        Dabei sind wir in einigen Punkten doch recht nah bei-
        sammen. Die Umsetzung des Weißbuchs sollte endlich
        Anlass zu einer Chemiewende sein. Das heißt: Stärkung
        von Umwelt- und Verbraucherschutz und gleichzeitig
        Entbürokratisierung. Wie soll das gehen? Zum Beispiel
        durch die Schaffung einer einzigen, starken und kompe-
        tenten Zulassungsbehörde – wie die EPA in den USA.
        Dafür müssen wir die stoffpolitischen Kompetenzen aller
        Zulassungsbehörden bündeln. Völlig gleich, ob es sich
        um die Zulassung neuer Chemikalien, Biozide und Pesti-
        zide oder um die Prüfung von Altstoffen handelt: Wir
        brauchen einfache, einheitliche und effiziente Strukturen
        und Verantwortlichkeiten.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221700
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        Das ist ein Projekt, das wir in der nächsten Legislatur-
        periode gemeinsam anpacken sollten, dann, wenn die
        Umsetzung der zu erwartenden Chemikalienverordnung
        erfolgen muss. Das Motto dieses Projekts muss lauten:
        Eine Chemiepolitik des „Responsible Care“ kann nur eine
        Politik für und mit den Menschen sein – er steht im Mit-
        telpunkt unserer Politik.
        Birgit Homburger (FDP): Die FDP hat die Bedeu-
        tung der Chemikaliengesetzgebung und die jüngsten Ent-
        wicklungen in diesem Bereich frühzeitig erkannt. Als
        erste Fraktion hat die FDP ihren heute erneut zur Debatte
        stehenden Antrag zur Chemikalienpolitik dem Deutschen
        Bundestag vorgelegt. Das war vor beinahe einem Jahr.
        Die FDP bleibt dabei: Das wichtigste Ziel der Chemi-
        kalienpolitik ist, für Mensch und Umwelt die Sicherheit
        im Umgang mit Chemikalien zu gewährleisten. Die FDP
        nimmt dieses Ziel sehr ernst: Es geht um eine wirksame,
        praktikable und vernünftige Chemikaliengesetzgebung.
        Die Gelegenheit, hier endlich ein widerspruchsfreies und
        transparentes System zu entwickeln, darf nicht versäumt
        werden. Insoweit teilen wir die Ziele des Weißbuchs der
        EU-Kommission zur Chemikalienpolitik.
        Schon vor einem Jahr hat die FDP darauf hingewiesen,
        dass es Grund zur Sorge gibt; denn die europäischen Be-
        strebungen schießen weit über das Ziel hinaus. Dieser Re-
        gulierungseifer wird weitreichende wirtschaftliche Folgen
        für den Chemiestandort Deutschland haben, ohne um-
        welt- und gesundheitspolitischen Nutzen. Bundesminister
        Trittin trägt hier besondere Verantwortung. Bisher sind
        die Appelle der FDP jedoch auf taube Ohren gestoßen.
        Nichts hat die Bundesregierung unternommen, um die eu-
        ropäischen Bestrebungen im Bereich der Chemikaliensi-
        cherheit in vernünftige Bahnen zu lenken. Im Gegenteil
        erleben wir mit schöner Regelmäßigkeit, dass Minister
        Trittin sich von niemandem übertreffen lässt, wenn es um
        Regulierungswut und Bürokratieverliebtheit geht, schon
        gar nicht von der EU-Kommission. Das lässt Schlimmes
        befürchten.
        Die FDP weist nochmals darauf hin, dass es keinen
        Sinn macht, ganze Stoffgruppen allein wegen bestimmter
        gefährlicher Eigenschaften zu verbieten. Dies wäre weder
        ein Vorteil für die Gesundheit der Verbraucher noch für
        den Schutz von Umwelt und Natur. Entscheidend für eine
        Risikobewertung ist neben diesen Eigenschaften aber vor
        allem die Art der Anwendung von Chemikalien.
        Eine allein stoffbezogene Risikobewertung kann büro-
        kratische und kostenträchtige Folgen haben, ohne dass da-
        mit ein gesundheits- oder umweltpolitischer Nutzen ver-
        bunden wäre. Eine nachhaltige Chemikalienpolitik muss
        sowohl den Umwelt- und Verbraucherschutz verbessern
        als auch die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit die-
        ser für den Industriestandort Deutschland eminent wich-
        tigen Branche sichern. Allein in Deutschland beschäftigt
        die chemische Industrie beinahe eine halbe Million Men-
        schen. In keinem Land Europas hat die chemische Indus-
        trie auch nur annähernd eine so zentrale wirtschaftliche
        Bedeutung wie in Deutschland. Es geht also auch um die
        Wettbewerbsfähigkeit und die Arbeitsplätze in einer der
        wichtigsten Branchen in Deutschland. Zu Recht weist
        auch der Antrag der Unionsfraktion ausdrücklich darauf
        hin und beschreibt noch einmal detailliert den dringenden
        Nachbesserungsbedarf. Der Antrag findet deshalb unsere
        ausdrückliche Unterstützung.
        Vor einem Jahr, bei der ersten Beratung des FDP-An-
        trags zur Chemikalienpolitik, hat sich Herr Kollege
        Hermann von den Grünen an dieser Stelle noch über den
        Antrag der FDP lustig gemacht. Die Mahnung der FDP,
        bei allem Aktionismus und rot-grüner Regulierungswut
        die wirtschaftliche Existenz auch der kleinen und mittel-
        ständigen Unternehmen nicht aus dem Auge zu verlieren,
        trifft bei der Bundesregierung nur auf spöttische Arro-
        ganz. Hochmütig hat Rot-Grün den FDP-Antrag im Um-
        weltausschuss abgelehnt.
        Dem Antrag der Unionsfraktion wird es nicht besser er-
        gehen. Erst vor wenigen Tagen hat sich derselbe Kollege
        nämlich wieder lustig gemacht: Die chemische Industrie
        „heule und jammere“, nach dem Motto: „Stellt euch nicht
        so an“. Im Angesicht von mehr als 4 Millionen Arbeitslo-
        sen wird Ihnen das Lachen noch vergehen, Herr Hermann!
        Die Belastung insbesondere auch der kleinen und mitt-
        leren Chemieunternehmen darf durch ökologisch sinnlose
        Anforderungen nicht gefährdet werden. Wenn überzoge-
        ner Dirigimus zu Standortverlagerungen führt, fügt dies
        dem Gesundheits- und dem Umweltschutz letztlich Scha-
        den zu. Dies wäre ein Bärendienst für Mensch und Natur.
        Eva Bulling-Schröter (PDS): Bei der Gesstaltung
        der künftigen europäischen Chemikalienpolitik sieht es
        ganz danach aus, als dass sich diesmal die Umwelt- und
        Verbraucherschutzpolitik gegenüber einer der mächtigs-
        ten Wirtschaftsverbände durchsetzen wird – anders als im
        Agrarsektor. Natürlich mit Kompromissen und verwäs-
        serten Umsetzungen, wie stets, aber die neuen Ansätze
        des Weißbuchs Chemikalienpolitik sind sicherlich ein
        Umbruch, ein Systemwechsel, hin zu mehr Vorsorge in
        Umwelt und Gesundheit.
        Kein Wunder also, dass die Chemieverbände Sturm lau-
        fen. Der Standortkollaps droht wieder einmal. Das
        Schreien hat zwar inzwischen etwas abgenommen. Doch
        in empfindlichen Teilen steht das Weissbuch weiter unter
        Beschuss.
        Abgefunden hat sich die Chemielobby – das kann man
        ja immer ganz gut an den Koalitionsanträgen ablesen –
        anscheinend mit der Prüf- und Registrierungspflicht für
        die rund 30 000 Stoffe mit geringen Produktionsmengen.
        Wir verstehen allerdings nicht, warum die Koalition hier
        den Schwellenwert zum Registrierungsverfahren von ei-
        ner Jahrestonne auf das Zehnfache anheben will. Dann
        würden wohl von den 100 000 bekannten Stoffen nicht
        mehr knapp ein Drittel, sondern noch deutlich weniger ge-
        prüft werden.
        Zudem will die Union teilweise die Kosten des Ver-
        fahrens den öffentlichen Haushalten aufbrummen. Ich
        denke aber, wer mit seinen Produkten Geld verdient, der
        sollte auch den Nachweis dafür finanzieren, was er über-
        haupt herstellt.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21701
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        Grundsätzlichen Widerstand gibt es wohl auch nicht
        mehr gegen die erweiterte Evaluierung und die zusätzli-
        chen Tests bei Stoffen, die mit einer Jahresmenge von
        mehr als 100 Tonnen produziert werden.
        Die größten Auseinandersetzungen scheinen leider
        ausgerechnet bei den Chemikalien zu liegen, die als be-
        sonders gefährlich gelten. Hier wollen Union und FDPein
        Verfahren vom Tisch haben, welches diese Stoffe nicht
        einmal verbietet, sondern nur ein strenges Zulassungs-
        recht für sie einführt. Nach der EU-Kommission soll der
        Beweis, dass der Verwendungszweck des jeweiligen Stof-
        fes in allen Lebenszyklen nur ein zu vernachlässigendes
        Risiko birgt, vom Hersteller erbracht wird. Eine Beweis-
        lastumkehr also, weil vorher ja die Behörden gegebenen-
        falls die Gefährlichkeit der Verwendung nachzuweisen
        hatten, um diese zu verbieten.
        Diese Umkehr halten Union und FDP für zu bürokra-
        tisch. Wir reden hier über Chemikalien, die krebserzeu-
        gend, erbgutverändernd oder fortpflanzungshemmend
        sind. Da dürften wohl die Hersteller in der Lage sein nach-
        zuweisen, was sie da eigentlich produzieren. Es drängt
        sich ja der Verdacht auf, solche Nachweise könnten teil-
        weise gar nicht erbracht werden.
        Die größte Gefahr für die Vorschläge des Weißbuchs
        scheint aber nicht von der Opposition, sondern, wie bei
        der Altauto-Richtlinie, von Kanzler Schröder auszugehen.
        Für ihn führt diese ja „zur Vertreibung der Chemieindus-
        trie aus Europa“.
        Ich hoffe aber, das man sich im Kanzleramt noch ein-
        mal mit den Sachthemen beschäftigt und dass sich da-
        durch Deutschland nicht wieder so blamiert wie damals.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung
        – des Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Ände-
        rung des Unterhaltsvorschussgesetzes
        – des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände-
        rung des Unterhaltsvorschussgesetzes
        (Tagesordnungspunkt 10 a und b)
        Christel Humme (SPD): Auch dem Letzten in diesem
        Hause dürfte mittlerweile klar geworden sein: Die finan-
        ziellen Ressourcen von Bund, Ländern und Gemeinden
        sind begrenzt. Vor diesem Hintergrund verwundert mich
        die Gelassenheit, mit der die PDS-Fraktion für ihr Erstes
        und Zweites Gesetz zur Änderung des Unterhaltsvor-
        schussgesetzes rund 3 Milliarden Euro einfordert, schon
        sehr. Belassen diese beiden Gesetze gerade die Länder
        und Kommunen!
        Sie regieren doch seit einigen Wochen mit in einer
        Stadt, die von der CDU geführten Regierung nahezu an
        den finanziellen Abgrund geleitet wurde. Sie müssten
        doch wissen: Die Lage der öffentlichen Haushalte lässt
        nur noch eine Politik zu, nämlich eine Politik, die Pro-
        bleme sehr zielgerichtet löst, und eine Politik, die dabei
        die knappen finanziellen Mittel sehr effizient einsetzt.
        Ihre Vorschläge, meine Herren und Damen von der
        PDS, erfüllen diese Anforderungen nicht. Denn Ihr Kon-
        zept ist nicht zielgenau genug. Die Armut von Familien
        würde nicht entscheidend bekämpft. Und Ihr Konzept ist
        schlicht und einfach zu teuer!
        Für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen
        bedeutet Familienpolitik dreierlei: Erstens die finazielle
        Stärkung von Familien, insbesondere die Bekämpfung
        von Kinderarmut, zweitens die Schaffung von Bildungs-
        chancen für Kinder und Jugendliche völlig unabhängig
        vom Elternhaus sowie drittens die Schaffung von Rah-
        menbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Be-
        ruf. Dies sind sehr ehrgeizige Ziele. Zur wahren Herkules-
        aufgabe aber wird die Familienpolitik durch die Lage der
        öffentlichen Haushalte.
        Von dieser Familien- und Steuerpolitik profitieren auch
        die Alleinerziehenden. Kritisiert wird in der öffentlichen
        Debatte der Wegfall bzw. die allmähliche Abschmelzung
        des Haushaltsfreibetrags. Rund 60 Prozent der Alleiner-
        ziehenden in Deutschland zahlen – laut Armuts- und
        Reichtumsbericht – gar keine Steuern. Sie profitieren also
        nicht von einem steuerlichen Haushaltsfreibetrag. Sie
        profitieren aber sehr wohl von unseren Kindergelder-
        höhungen. Außerdem kommen Ihnen weitere Bausteine
        unserer Familienpolitik zu Gute: die Anhebung der Ein-
        kommensgrenzen beim Erziehungsgeld, die BAföG- und
        die Wohngeld-Reform.
        Jeder, der sich seriös an der Debatte beteiligt, erkennt
        sofort, dass wir mit unserer Familienförderung auch die
        Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach Gleich-
        stellung von Alleinerziehenden und Ehepaaren mit Kin-
        dern erfüllt haben.
        Unsere bisherige Familienpolitik war und ist richtig.
        Wir gehen auf dem eingeschlagenen Weg weiter und wer-
        den die noch anstehenden Probleme Schritt für Schritt lö-
        sen. Unbestritten gibt es nach wie vor Familien in sehr be-
        drückenden finanziellen Verhältnissen. Familien sind
        einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt – so eine der
        traurigen Lehren des Armuts- und Reichtumsberichts und
        eine der traurigsten Erblasten der Regierung Kohl. Diesen
        Armen oder von Armut bedrohten Familien muss zielge-
        richtet geholfen werden. Wir müssen vor allem die Kin-
        der aus der Armut herausholen. Denn Armut und Sozial-
        hilfebezug bedeuten den Einstieg in einen Teufelskreis
        aus schlechteren Bildungschancen, Arbeitslosigkeit und
        damit der Verfestigung von Armut.
        Die Diskussion über die anstehende Sozialhilfereform
        und der 11. Kinder- und Jugendbericht zeigen uns die
        richtige Lösung. Wir müssen die Vereinbarkeit von Fami-
        lie und Beruf verbessern und eine Existenzsicherung für
        Kinder, die der Sozialhilfe vorgelagert ist, schaffen. Vor
        allem Alleinerziehende würden profitieren. Denn wie soll
        eine Alleinerziehende einer Erwerbstätigkeit nachgehen,
        wenn sie nicht weiß, wie und wo sie ihr Kind betreuen las-
        sen soll? Außerdem sind Kindertagesstätten und Ganz-
        tagsschulen die zentralen Voraussetzungen für erfolg-
        reiches Lernen. Sie eröffnen Kindern und Jugendlichen
        bessere Zukunftschancen – so ein Ergebnis der PISA-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221702
        (C)
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        Studie. Wir haben in Deutschland – verschuldet durch
        konservative Familienpolitik – jahrzehntelang aufs fal-
        sche Pferd gesetzt.
        Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich Ihnen sage,
        dass die Betreuungssituation in Deutschland völlig unzu-
        reichend ist. Deshalb ist eine unserer wichtigsten Aufga-
        ben, ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot für Kinder
        aller Altersgruppen im Westen zu schaffen und im Osten
        zu erhalten. Wir brauchen dringend ein Gesamtkonzept
        für außerschulische und schulische Beteuungs- und Bil-
        dungsangebote. Dieses werden wir im Rahmen eines fö-
        derativen Gipfels unter Beteiligung von Bund, Ländern,
        kommunalen Spitzenverbänden und Verbänden der freien
        Wohlfahrtspflege erarbeiten.
        Der Armutsprävention dient auch der zweite Baustein,
        die Einführung einer der Sozialhilfe vorgelagerten Exis-
        tenzsicherung von Kindern. Mit einer solchen vorgela-
        gerten Sicherung würde Armut von Familien vermieden,
        könnten alle Kinder aus der Sozialhilfe herausgeholt wer-
        den und würden die Selbsthilfekräfte von Familien ge-
        stärkt. Das ist der richtige Weg. Ich lade Sie ein, uns auf
        diesem Weg zu begleiten.
        Rolf Stöckel (SPD): Die Absicht der PDS-Fraktion,
        Leistungen aus dem Unterhaltsvorschuss-Gesetz und das
        Anspruchsalter von 12 auf 18 Jahre zu erhöhen, ist auf den
        ersten Blick und aus fachlicher Sicht betrachtet, ja durch-
        aus wünschenswert. Tatsache ist aber, dass trotz der An-
        rechnung der Kindergelderhöhung auf den Unterhaltsvor-
        schuss unter dem Strich die Hälfte der Erhöhungen bei
        den Einelternfamilien verbleibt. Sie wissen genau, dass
        eine dadurch zusätzlich zu erwartende Mehrbelastung in
        Höhe von mindestens 3 Milliarden Euro im Zusammen-
        hang mit der angespannten Finanzlage bei Bund, Ländern
        und Kommunen zurzeit völlig unrealistisch ist. Wenn es
        eine Forderung der Länder und Kommunen gibt, bei der
        sich alle über Parteigrenzen hinweg einig sind, dann ist es
        das Konnexitätsprinzip. Wer die Musik bestellt, bezahlt
        sie auch.
        Selbst wenn wir die 1 Milliarde Euro, die der Bund
        mehr zu tragen hätte, in einem Kraftakt zusammenbekä-
        men, spätestens im Bundesrat würde das doch am Wider-
        stand der Länder scheitern. Und in der Tat, die Kollegin
        Humme hat völlig Recht, wenn sie hier die Frage nach
        der Seriosität einer solchen Forderung, angesichts ihrer
        Regierungsbeteiligung im hochverschuldeten Land Ber-
        lin aufgeworfen hat. Es läuft doch immer nach demselben
        populistischem Muster, und einen Finanzierungsvor-
        schlag, wenn schon nicht für die Länder, zumindest für
        den Bundeshaushalt, machen sie erst gar nicht.
        Die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz
        stellen eine besondere Sozialleistung für das Kind und
        den allein erziehenden Elternteil dar, eine Hilfe in beson-
        ders schwierigen Lebens- und Erziehungssituationen. Der
        Gesetzgeber, der das Bezugsalter bereits einmal von sechs
        auf zwölf Jahre erhöht hat, wollte durch die hier in Rede
        stehende Leistungsbeschränkung auch zum Ausdruck
        bringen, dass er keine Ausfallgarantie für unterhalts-
        berechtigte Kinder bis zu deren wirtschaftlicher Selbst-
        ständigkeit konzipieren wollte. Bei der Gestaltung dieser
        Sozialleistung ist der Gesetzgeber weitgehend frei. Bei
        über die Existenzsicherung hinausgehenden staatlichen
        Leistungen müssen aber neben anderen Aufgaben auch
        die vorhandenen Mittel berücksichtigt werden.
        Wir haben in der Tat trotz des Schuldenabbaus im
        Interesse der Kinder und zukünftiger Generationen in
        einem Kraftakt 24 Milliarden DM mehr für die Familien
        zur Verfügung gestellt. Und ich sage es noch einmal:
        Durch Steuerreform, dreimalige Kindergelderhöhungen,
        Umgestaltung der Steuerfreibeträge sowie die Absetzbar-
        keit erwerbsbedingter Betreuungskosten haben wir alle
        Familien deutlich finanziell entlastet. Von dieser Fami-
        lien- und Steuerpolitik profitieren auch die Alleinerzie-
        henden, genauso wie von der Anhebung der Einkom-
        mensgrenzen beim Erziehungsgeld, und den in Euro und
        Cent auszurechnenden Verbesserungen bei der BaföG-
        und Wohngeldreform.
        Es geht hier nicht darum, über vorhandene Mängel in
        einzelnen Sozialgesetzen hinwegzureden, die wir auch
        sehen und anpacken wollen. Aber erst recht angesichts der
        Versäumnisse der CDU/CSU und der FDP in den 80er-
        und 90er-Jahren wissen sie doch genau, was wir in drei-
        einhalb Jahren bereits für Kinder und Familien geleistet
        haben. Die angespannte Lage der öffentlichen Finanzen
        im Bund, in den Ländern und Gemeinden, die Vorgaben
        des Bundesverfassungsgerichtes zum Familienleistungs-
        ausgleich, selbst die kompliziertesten Leistungssysteme
        der Welt werden uns nicht davon abhalten, weitere Re-
        formschritte zugunsten der Kinder und der Familien ein-
        zuleiten. Gerade weil diese Leistungssysteme den aktuel-
        len Realitäten nicht immer gerecht werden, nicht immer
        zielgenau wirken und Selbsthilfe fördern und zudem viel
        zu viel Bürokratie erfordern, werden wir sie weiter umge-
        stalten.
        Anstatt im Namen der Gerechtigkeit mit der Gieß-
        kanne immer mehr und nichtvorhandenes Geld auch der
        Länder und Kommunen über Spezialleistungsgesetze wie
        den Unterhaltsvorschuss auszuschütten, sollten wir im In-
        teresse der Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut
        dringend dreierlei tun: Erstens. Im Interesse der Genera-
        tionengerechtigkeit weiter öffentliche Schulden abbauen,
        sonst sind alle Leistungssysteme auf Dauer nicht zu-
        kunftsfähig; zweitens: gemeinsam mit den Ländern und
        Kommunen über neue Strukturen und Schwerpunkte der
        staatlichen Finanzen verhandeln, weil das Schwarze-
        Peter-Spiel den Betroffenen nicht hilft und drittens: un-
        sere sozialen Leistungssysteme zum Beispiel mit dem
        Ziel einer sozialen Grundsicherung für Kinder einfacher,
        bedarfsgerechter und effizienter zu machen. Es bleibt also
        noch eine Menge zu tun. Und deshalb wollen die Familien
        auch, dass wir nach dem 22. September weiterregieren.
        Antje Blumenthal (CDU/CSU): Das Gesetz zur Si-
        cherung des Unterhalts von Kindern allein stehender Müt-
        ter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfall-
        leistungen, kurz: Unterhaltsvorschussgesetz, will die PDS
        mit zwei Gesetzesentwürfen ändern. Die Drucksache
        14/7225 sieht eine deutliche Erweiterung der Ansprüche
        auf Unterhaltsleistungen durch Ausweitung der Höchst-
        leistungsdauer vor. Die zweite Drucksache will § 2 des
        Unterhaltsvorschussgesetzes dahin gehend verändern,
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 2002 21703
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        dass die Anrechnung des hälftigen Kindergeldes bei Al-
        leinerziehenden, deren Kinder Unterhaltsvorschuss be-
        kommen, aufgehoben wird.
        Mit dem Titel des Gesetzes ist man bereits mitten in der
        Sozialproblematik allein erziehender Mütter und Väter.
        Dabei ist anzumerken, dass die Mehrzahl allein erzie-
        hende Mütter sind. Für Alleinerziehende erfolgt die Er-
        ziehung ihrer Kinder unter erschwerten Bedingungen. Die
        Rate der allein erziehenden Eltern in Deutschland steigt.
        War noch vor 30 Jahren der Tod des Partners die häufigs-
        te Ursache dafür, dass ein Elternteil allein erziehend
        wurde, ist der Hauptgrund heute die Trennung oder die
        Scheidung. In den allermeisten Fällen bleiben die Kinder
        bei der Mutter. Der Anteil allein erziehender Mütter steigt
        ständig. Mehr als 1,8 Millionen Alleinerziehende gibt es
        mittlerweile in der Bundesrepublik Deutschland. Die
        wirtschaftliche Situation vieler Alleinerziehender ist
        angespannt. So leben 15 Prozent der Alleinerziehenden
        von 715 Euro, weitere 25 Prozent leben von weniger als
        1125 Euro monatlich.
        Für die Mehrzahl der allein erziehenden Mütter ist die
        Erwerbstätigkeit nach wie vor die wichtigste Einkom-
        mensquelle. Erst an zweiter Stelle stehen Sozialleistungen.
        Obwohl die Mehrzahl der allein erziehenden Mütter ge-
        schieden ist, lebt nur eine geringe Zahl der Alleinerziehen-
        den von Unterhaltszahlungen des geschiedenen Mannes.
        Die wirtschaftliche Situation verschärft sich, wenn das
        Kind nicht den üblichen Regelunterhalt von dem anderen
        Elternteil erhält oder wenn der Unterhalt nicht rechtzeitig
        gezahlt wird. Diese besondere Lebenssituation soll mit
        der Unterhaltsleistung nach dem seit dem 1. Januar 1980
        geltenden UVG erleichtert werden.
        So leistete beispielsweise meine Heimatstadt Hamburg
        nach dem UVG in 2001 für fast 14 000 Kinder und Ju-
        gendliche bis zwölf Jahren den Unterhalt. 7,5 Prozent die-
        ser Altersgruppe beziehen nur deshalb Gelder nach dem
        UVG, weil der unterhaltspflichtige Elternteil nicht bereit
        war zu zahlen. Die Ausgaben, mit denen die öffentliche
        Hand in Vorlage treten musste, beliefen sich dabei allein
        in Hamburg auf 21,79 Millionen Euro. Bundesweit haben
        die Jugendämter für 452 000 Kinder Unterhaltsvorschuss
        als „Ersatzväter“ gezahlt. Das Geld ist nur geborgt, wie es
        der Name des Gesetzes schon aussagt. Es dient zur Über-
        brückung für die Alleinerziehenden, bis der andere El-
        ternteil seiner Unterhaltspflicht nachkommt.
        Wir wollen alle – davon gehe ich aus – die Situation der
        Alleinerziehenden verbessern. Doch die Änderungsan-
        träge der PDS sind unserer Ansicht nach Flickschusterei.
        Wir von der CDU/CSU-Fraktion wollen ein ganzheitli-
        ches Konzept für den Gesamtkomplex Familienunter-
        haltsrecht. An dieser Stelle möchte ich meine Kollegin
        Wülfing zitieren, die in der Sitzung des Bundestages in
        der Debatte um das Zweite Gesetz der Familienförderung
        gesagt hat:
        Ich finde es immer gut, wenn man seine Kinder er-
        ziehen kann, ohne daneben einen Steuerberater ste-
        hen zu haben.
        Wie Recht sie doch hat. Das Unterhaltsrecht ist teil-
        weise so unübersichtlich geworden, dass sich Betroffene
        dort nicht mehr zurechtfinden.
        Die Situation der Alleinerziehenden hat sich außerdem
        deutlich einseitig verschlechtert; denn sie werden steuer-
        lich künftig behandelt wie Singles. Als Antwort auf das
        Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November
        1998 wurde durch die Bundesregierung mit dem am 1. Ja-
        nuar 2002 in Kraft getretenen Zweiten Gesetz der Fami-
        lienförderung die stufenweise Abschmelzung des Haus-
        haltsfreibetrages eingeführt. So viel zum Thema
        Familienförderung!
        Nur, das Bundesverfassungsgericht hat nicht gesagt,
        dass Alleinerziehende schlechter gestellt werden sollen.
        Statt einer Abschaffung des Haushaltsfreibetrages hätte
        die rot-grüne Bundesregierung auch die Möglichkeit ge-
        habt, die Familien mit Kindern im Sinne des Bundesver-
        fassungsgerichtes besser zu stellen, ohne dabei die Al-
        leinerziehenden zu benachteiligen. Das Ergebnis dieses
        „Zweiten Familienförderungsprogramms“ ist eine Sam-
        melklage des Verbandes allein erziehender Mütter und
        Väter beim Bundesverfassungsgericht. Die Familienpoli-
        tik der Bundesregierung ist – wie Sie auch an diesem Bei-
        spiel sehen – ungerecht und unsozial. Aber die vorliegen-
        den Änderungsvorschläge der PDS bieten hierbei keine
        grundlegende Abhilfe.
        Mit diesen von der PDS vorgeschlagenen Änderungen
        des UVG kämen außerdem erhebliche zusätzliche Kosten
        auf den Bund und die Länder zu. Allein der Änderungs-
        vorschlag im Zweiten Gesetz, Drucksache 14/7226, sieht
        eine deutliche Ausdehnung der Leistungszeit vor, was
        mindestens eine Verdreifachung der Ausgaben bedeuten
        würde. Weitere Kosten würden wegen des höheren Re-
        gelunterhaltes der Zwölf- bis Siebzehnjährigen entstehen.
        Insbesondere die Unterhaltsvorschusskassen der Länder
        und Kommunen, die nach der neuen geltenden Regelung
        zwei Drittel des Unterhaltsvorschusses zu leisten hätten,
        sind nicht in der Lage, diese Mehrkosten zu finanzieren.
        Aber es gibt auch andere Vorschläge: das Familiengeld!
        Es ist meines Erachtens dringend notwendig, ein Fami-
        liengeld nach den Vorstellungen der CDU/CSU einzu-
        führen; denn nur dadurch wird man eine echte Familien-
        förderung mit einer Grundsicherung der Kinder erreichen.
        Mit dieser neuen Basis des CDU/CSU-Konzepts der
        staatlichen Familienförderung kann auch die Ein-Eltern-
        Familie, die laut Armutsbericht der Bundesregierung die
        am stärksten von Armut betroffene Bevölkerungsgruppe
        ist, aus der Sozialhilfe herausgeholt werden.
        Die Verfolgung des Unterhaltsrückstandes beim UVG
        ist unbefriedigend gelöst. Lassen Sie mich auch hier auf
        Hamburger Erfahrungen zurückgreifen. Lediglich bei
        rund 17 Prozent lag im Jahr 2001 beispielsweise in Ham-
        burg die Rückgriffquote durch Erstattung durch die säu-
        migen Unterhaltspflichtigen, obwohl in Hamburg bereits
        intensiv versucht wurde, die Quote durch Zwangsmaß-
        nahmen zu erhöhen. Bundesweit liegt die Rückgriffquote
        nur geringfügig höher.
        In Hamburg ist zurzeit angedacht, dank der neuen So-
        zial- und Familiensenatorin Birgit Schnieber-Jastram, in
        einem Modellprojekt durch Einschalten von Rechtsan-
        waltskanzleien eine deutliche Steigerung der Rückgriff-
        quoten zu erreichen bzw. dadurch die Bereitschaft zur
        freiwilligen Zahlung bei den Unterhaltspflichtigen zu ver-
        stärken. Gemeinsames Ziel muss es doch sein, dass sich
        derjenige, der seiner Zahlungspflicht für Kinder nicht
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221704
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        nachkommt, nicht in der Sicherheit wiegen darf, dass er
        nicht belangt werden wird. Hier liegen die wahren Rege-
        lungsbedarfe und deshalb sind die hier vorliegenden An-
        träge der PDS nicht der richtige Ansatz
        Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE
        GRÜNEN): „Vater Staat“ so wird oft der Staat genannt,
        wenn es um seine Fürsorgefunktion geht. Im wahrsten
        Sinne des Wortes gilt das, wenn der Staat anstelle der un-
        terhaltspflichtigen Väter quasi als Ausfallbürge den Un-
        terhalt für die Kinder von Alleinerziehenden zahlt.
        Für 450 000 Alimente verweigernde Väter springt der
        Staat zurzeit ein, Tendenz steigend. Und das kommt ihn
        teuer zu stehen. 770 Millionen Euro zahlen Bund, Länder
        und Gemeinden zu je einem Drittel für säumige Väter.
        Zwar ist die Rückgriffquote seit 1998 von 15 auf 22 Prozent
        erhöht worden, die Zahl der säumigen Väter steigt jedoch,
        wie der Deutsche Städettag klagt. Und die Jugendämter der
        Kommunen erhalten immer häufiger die Antwort: Vater un-
        bekannt, Vater untergetaucht, Vater zahlungsunfähig, Va-
        ter zahlungsunwillig. – So wird es immer schwieriger, die
        als realistisch angesehene Rückgriffquote von 40 Prozent
        zu erreichen.
        In den USAwird Unterhaltsentzug radikal bestraft: mit
        Führerscheinentzug. Sicherlich eine sehr rigide Maß-
        nahme. Es darf aber bei uns nicht länger ein Kavaliers-
        delikt sein, sich vor den Unterhaltszahlungen zu drücken.
        Ich sehe daher mit großem Interesse, dass die Justizminis-
        terin das Sanktionenrecht erweitern will. Die Leidtragen-
        den sind aber letztendlich die Betreuungsunterhalt leis-
        tenden Mütter und ihre Kinder. Denn in dem seit 1980
        geltenden Unterhaltsvorschussgesetz ist festgelegt, dass
        die staatlichen Vorschuss-Zahlungen nur 72 Monate ge-
        leistet werden; maximal bis zum zwölften Lebensjahr des
        Kindes. Insofern ist das Anliegen der PDS, die Zeiten zu
        verlängern, unterstützenswert. Allerdings, verehrte Kolle-
        ginnen von der PDS, schießen Sie weit über das Ziel hi-
        naus. Bis zum 27. Lebensjahr des Kindes einen Unter-
        haltsvorschuss zu zahlen, das brächte den wolhabendsten
        Papa Staat wohl in Bedrängnis. Das wären 5,5 Milliarden
        Euro jährlich für Bund, Länder und Kommunen. Der
        blaue Brief aus Brüssel wäre wohl garantiert.
        Ähnlich sieht es bei der Anpassung des Unterhaltsvor-
        schussgesetzes an das Unterhaltsrecht aus, was wir inhalt-
        lich begrüßen. Die Grünen werden sich in der nächsten
        Wahlperiode sowohl für eine angemessene Ausweitung
        der Anspruchsdauer als auch für effektivere Rückzahlun-
        gen der Väter stark machen.
        Wir wollen aber auch insgesamt die Situation der Al-
        leinerziehenden verbessern. Familienfreundliche Ar-
        beitszeiten, ganztätige Kinderbetreuungseinrichtungen,
        Ganztagsschulen, Absetzbarkeit der erwerbsbedingten
        Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro – das ist das
        Gebot der Stunde, um die wirtschaftliche Absicherung
        von Einelternfamilien zu gewährleisten.
        In den vergangenen Jahren haben wir die Leistungen
        für die Familien bereits deutlich ausgebaut. Über 50 Mil-
        liarden Euro gehen jährlich in die verschiedenen Formen
        der Familienförderung von BAFöG über Kindergeld, über
        Baukindergeld und Erziehungsgeld. 300 DM Kindergeld
        haben die Grünen ihren Wählerinnen und Wählern 1998
        versprochen. Wir haben Wort gehalten. Ab Janaur 2002
        beträgt das Kindergelt 154 Euro.
        Ich komme zu einer weiteren aktuellen Diskussion:
        Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil eine
        Besserstellung Alleinerziehender Eltern gegenüber Ver-
        heirateten untersagt. Dieses Urteil hat die Bundesregie-
        rung durch einen stufenweisen Abbau des Haushaltsfrei-
        betrages für Alleinerziehende umgesetzt, was in einigen
        Fällen trotz der Erhöhung des Betreuungsfreibetrages zu
        steuerlichen Mehrbelastungen führen wird. Wäre es nach
        uns gegangen, hätten wir den Haushaltsfreibetrag über-
        haupt nicht angetastet. Allerdings betrifft das nur 40 Pro-
        zent der Alleinerziehenden, denn 60 Prozent zahlen keine
        Steuern. Aber solange das Ehegattensplitting für Verhei-
        ratete existiert, das zwar den Trauschein subventioniert,
        nicht aber zwangsläufig Kinder fördert, sehe ich keine
        Besserstellung von Alleinerziehenden. Wenn wir sagen:
        „Familie ist da, wo Kinder sind“, dann können wir Al-
        leinerziehende nicht wie Singles behandeln. Auch aus die-
        sen Gründen setzen sich Bündnisgrüne für eine weitge-
        hende Reduzierung des Ehegattensplittings ein, um mit
        dem Geld das Leben mit Kindern zu fördern, unabhängig
        davon, ob ihre Eltern verheiratet sind oder nicht. So wol-
        len wir dieses Geld sinnvoll für eine Kindergrundsiche-
        rung einsetzen, um Armut und soziale Ausgrenzung von
        Familien zu verhindern. Es bewirkt, dass über 4 Millionen
        Kinder in Deutschland eine zusätzliche Förderung von bis
        zu 100 Euro pro Monat erhalten.
        Kinder sind unsere Zukunft; die materielle Existenzsi-
        cherung ist unabdingbar. Aber Kinder brauchen auch die
        Unterstützung der gesamten Gesellschaft. Lassen Sie uns
        zu Beginn des 21. Jahrhunderts die vaterlose Gesellschaft
        beenden.
        Ina Lenke (FDP): Die Zahl der Väter, die sich ihren
        Unterhaltspflichten gegenüber ihren Kindern entziehen,
        nimmt zu. Mit dem Unterhaltsvorschussgesetz über-
        nimmt der Staat die Aufgabe eines Ersatzvaters. Im Jahr
        2001 tut er das für 450 000 Kinder bei staatlichen Kosten
        von 1,5 Milliarden DM. Mit dem vorliegenden Entwurf
        zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes will die
        PDS erreichen, dass Unterhaltsvorschüsse oder -ausfall-
        leistungen für Alleinerziehende künftig nicht mehr um die
        Hälfte des Kindergelds gekürzt werden.
        Im letzten Jahr trat lediglich eine Neuregelung für Kin-
        der von getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern in
        Kraft, nicht für allein stehende Mütter und Väter. Diese
        Neuregelung war aufgrund eines Bundesverfassungsge-
        richtsurteils geboten und soll verhindern, dass das säch-
        liche Existenzminimum des Kindes angetastet wird.
        Soweit – so gut: Es wurde aber versäumt, auch für Ein-
        Eltern-Familien im Unterhaltsvorschussgesetz die exis-
        tenzsichernde Funktion des Kindergelds rechtlich zu
        schützen. Nach den jetzt geltenden Regelungen ist es fol-
        gerichtig, alle Kinder im Unterhaltsvorschussgesetz
        gleichzustellen.
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        Das werden wir im Ausschuss beraten müssen. Wenn
        die Alleinerziehenden benachteiligt sind, muss eine Kor-
        rektur erfolgen.
        Mit dem zweiten Antrag, dem Entwurf eines Zweiten
        Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes,
        will die PDS-Fraktion die Höchstleistungsdauer des Un-
        terhaltsvorschusses auf den gesamten Zeitraum der Kin-
        dergeldberechtigung ausdehnen. Das bedeutet eine erheb-
        liche Ausweitung des finanziellen Sicherungssystems,
        dessen Funktionsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit ich be-
        zweifle. Die Bundesregierung hat ihre Zahlung zum Un-
        terhaltsvorschussgesetz zulasten der Städte und Gemein-
        den zurückgefahren, die jetzt erstmals ein Drittel der
        Kosten zu tragen haben. Das ist wieder einmal eine Sa-
        nierungsmaßnahme im Bundeshaushalt zulasten der
        Kommunen. Die Kommunen aber haben nicht nur ihr
        Drittel zu finanzieren, sondern auch den erheblichen Ver-
        waltungsaufwand zu tragen, der mit der Umsetzung des
        Gesetzes verbunden ist. Insbesondere die Pflicht zur
        Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen ist in den Kom-
        munen äußerst personalintensiv und steht in einem
        schlechten Verhältnis zu den Erfolgen. Dies gilt umso
        mehr, als die mühsam eingezogenen Beträge zu je einem
        Drittel an Bund und Länder weitergegeben werden müs-
        sen.
        Liebe Kollegen und Kolleginnen, dass Alleinerzie-
        hende, die für ihre Kinder nicht regelmäßig Unterhalt vom
        anderen Elternteil oder Waisenbezüge erhalten, eine be-
        sondere finanzielle Unterstützung brauchen, steht außer
        Frage. Aber das derzeitige System des Unterhaltsvor-
        schusses ist wenig effizient und sehr bürokratisch. Durch
        die von der PDS geforderte Ausweitung wird das nicht
        besser, sonder schlechter.
        Ziel der FDP-Fraktion ist eine insgesamt verbesserte
        finanzielle Absicherung von Kindern. Unter diesem
        Aspekt sollten wir uns im Ausschuss das Unterhaltsvor-
        schussgesetz vornehmen und intensiv beraten.
        Christina Schenk (PDS): Zur Existenzsicherung von
        Kindern allein Erziehender gehören monatliche Unter-
        haltszahlungen des getrennt lebenden Elternteils. So weit
        die Theorie. Wie viele Kinder ihren Unterhalt tatsächlich
        erhalten, weiß niemand genau. Die letzte statistische Er-
        hebung stammt von 1978. Wir begrüßen deshalb, dass die
        Bundesregierung eine entsprechende Studie in Auftrag
        gegeben hat. Heute wird geschätzt, dass nur etwa an ein
        Drittel der Kinder der Unterhalt regelmäßig und in voller
        Höhe gezahlt wird. Ein weiteres Drittel erhält ihn unre-
        gelmäßig oder in zu geringer Höhe und das letzte Drittel
        bekommt ihn selten oder nie. Wird der Unterhalt nicht ge-
        zahlt, streckt seit 1979 der Staat aus der Unterhaltsvor-
        schusskasse einen Teil des geschuldeten Betrages vor. Der
        Unterhaltsvorschuss wird jedoch maximal 72 Monate und
        längstens bis zum 12. Lebensjahr des Kindes gezahlt. Ge-
        rade dann, wenn die Kinder teuer werden, bekommen sie
        nichts mehr. Hier spart der Staat auf Kosten der Kinder.
        Und er spart auf Kosten desjenigen Elternteils, der mit
        dem Kind zusammenlebt. Das darf nicht länger so blei-
        ben. Der Unterhaltsvorschuss muss solange gezahlt wer-
        den, wie es einen Anspruch auf Kindergeld gibt. Beim
        Unterhaltsvorschuss erhalten Kinder ohnehin nur den
        Mindestunterhalt, wovon allerdings wieder die Hälfte des
        Kindergeldes abgezogen wird. Demgegenüber geht das
        Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur
        Änderung des Kindesunterhaltsrechts, das zum 1. Januar
        2001 in Kraft getreten ist, eindeutig und zu Recht davon
        aus, dass der niedrigste Mindestunterhalt den Bedarf des
        Kindes nicht deckt. Seitdem darf der Unterhalt nur dann
        um die Hälfte des Kindergeldes gemindert werden, wenn
        er mindestens in Höhe von 135 Prozent des Regelsatzes
        gezahlt wird. Im Unterschied dazu mindert der Staat den
        Unterhaltsvorschuss nach wie vor um die Hälfte des Kin-
        dergeldes – Existenzminimum hin oder her. Hier wird
        erneut auf Kosten der Ärmsten gespart. Kinder, die den
        Unterhaltsvorschuss in Höhe des Mindestunterhalts be-
        kommen, erhalten somit monatlich 77 Euro weniger als
        Kinder, denen der zahlungspflichtige Elternteil den Min-
        destunterhalt zahlt. Die PDS-Fraktion hat bei der Reform
        des Unterhaltsrechts auf diese Ungleichbehandlung hin-
        gewiesen. Die rot-grüne Mehrheit des Hauses hat diese
        Ungerechtigkeit billigend in Kauf genommen. Wir wollen
        sie beenden. Bei Beibehaltung der jetzigen Regelungen
        zum Unterhaltsvorschuss verfestigt das Armutsrisiko bei
        allein Erziehenden. Wenn kein Unterhalt gezahlt wird
        und die Bezugsdauer für den Unterhaltsvorschuss ausge-
        schöpft ist, muss derjenige Elternteil einspringen, bei dem
        das Kind lebt. In 85 Prozent der Fälle ist das wegen der in
        Deutschland noch immer traditionellen Rollenverteilung
        die Mutter. Sie ist finanziell damit doppelt belastet. Sie
        versorgt das Kind, hat damit oft genug berufliche und da-
        mit auch finanzielle Nachteile. Und sie übernimmt noch
        zusätzlich den Unterhalt, den der Vater zahlen müsste und
        nicht zahlt. Für sie gibt es – anders als für diesen – keinen
        Selbstbehalt. Sie kann dem Kind nicht den benötigten Un-
        terhalt mit dem Argument verweigern, der eigene Bedarf
        gehe vor. Sie muss mit allem, was sie hat, für den Unter-
        haltsausfall eintreten – solange, bis sie in die Sozialhilfe
        fällt. Weil immer mehr Väter und in geringer Zahl auch
        Mütter ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen, muss
        der Staat gegenwärtig rund 450 000 Kindern Unterhalts-
        vorschuss gewähren. Das ist teuer: Allein im vergangenen
        Jahr beliefen sich die Kosten, die zu jeweils einem Drittel
        vom Bund, den Ländern und den Kommunen getragen
        werden, auf etwa 1,5 Milliarden Mark. Die Rückholquote
        ist erbärmlich gering. Nur etwa ein Fünftel der Väter zahlt
        das quasi zinslose Darlehen zurück. Für den Rest der Vä-
        ter ist der Unterhaltsvorschuss praktisch ein Geschenk.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 218. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Februar 200221706
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