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    Tagesordnungspunkt 1: Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Drucksache 14/7930) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20821 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Erika Reinhardt, Bernd Schmidbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Nothilfe für Afghanistan (Drucksache 14/7785) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20821 B Gerhard Schröder, Bundeskanzler . . . . . . . . . 20821 C Friedrich Merz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 20823 C Joseph Fischer, Bundesminister AA . . . . . . . . 20826 B Dr. Wolfgang Gerhardt FDP . . . . . . . . . . . . . 20828 B Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20829 D Tagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Ver- einten Nationen (Drucksachen 14/7930, 14/7936, 14/7937) 20831 A Dr. Peter Struck SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20831 B Volker Rühe CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 20833 A Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20835 C Ulrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20836 D Wolfgang Gehrcke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 20838 D Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg 20840 C Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 20842 B Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 20844 A Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU 20845 B Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundes- ministerin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20847 A Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20849 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 20849 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20850 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20852 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 20853 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Hermann, Annelie Buntenbach, Steffi Lemke und Monika Knoche (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz Plenarprotokoll 14/210 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 210. Sitzung Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001 I n h a l t : einer Internationalen Sicherheitsunterstützungs- truppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) . . . . . . . . . . 20854 B Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Harald Friese, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Rüdiger Veit, Klaus Barthel (Starnberg), Götz- Peter Lohmann (Neubrandenburg), Dr. Christine Lucyga, Thomas Sauer und Konrad Kunick (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bun- desregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Si- cherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) . . . . . . . . . . 20855 A Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Heinz Schmitt (Berg) und Dr. Edelbert Richter (beide SPD) zur Abstimmung über die Be- schlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an dem Ein- satz einer Internationalen Sicherheitsunterstüt- zungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Ver- einten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) . . . . . . . . . . . 20855 D Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheits- unterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) . . . . . . . . . . . 20856 C Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 20856 D Dr. Uwe Jens SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20857 A Jürgen Koppelin FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20857 C Manfred Müller (Berlin) PDS . . . . . . . . . . . . 20857 D Helmut Rauber CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 20858 A Christa Reichard (Dresden) CDU/CSU . . . . 20858 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001
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    Dr. Ludger Volmer Sylvia Voß Helmut Wilhelm (Amberg) Margareta Wolf (Frankfurt) FDP Hildebrecht Braun (Augsburg) Ernst Burgbacher Jörg van Essen Ulrike Flach Paul K. Friedhoff Horst Friedrich (Bayreuth) Rainer Funke Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Dr. Karlheinz Guttmacher Klaus Haupt Dr. Helmut Haussmann Ulrich Heinrich Walter Hirche Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Ulrich Irmer Dr. Klaus Kinkel Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Ina Lenke Sabine Leutheusser- Schnarrenberger Dirk Niebel Günther Friedrich Nolting Detlef Parr Cornelia Pieper Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Gerhard Schüßler Dr. Irmgard Schwaetzer Marita Sehn Dr. Hermann Otto Solms Dr. Dieter Thomae Nein SPD Gudrun Roos CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Wolfgang Börnsen (Bönstrup) FDP Jürgen Koppelin PDS Monika Balt Dr. Dietmar Bartsch Petra Bläss Maritta Böttcher Eva Bulling-Schröter Roland Claus Heidemarie Ehlert Dr. Heinrich Fink Dr. Ruth Fuchs Wolfgang Gehrcke Dr. Klaus Grehn Dr. Gregor Gysi Uwe Hiksch Dr. Barbara Höll Carsten Hübner Gerhard Jüttemann Dr. Evelyn Kenzler Dr. Heidi Knake-Werner Ursula Lötzer Dr. Christa Luft Heidemarie Lüth Pia Maier Angela Marquardt Kersten Naumann Petra Pau Dr. Uwe-Jens Rössel Christina Schenk Gustav-Adolf Schur Dr. Ilja Seifert Dr. Winfried Wolf Fraktionslose Abgeordnete Christa Lörcher Enthalten SPD Dr. Uwe Jens René Röspel CDU/CSU Helmut Rauber BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Annelie Buntenbach Winfried Hermann Monika Knoche Steffi Lemke PDS Manfred Müller (Berlin) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001 Präsident Wolfgang Thierse 20852 (C) (D) (A) (B) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001 20853 (C) (D) (A) (B) Albowitz, Ina FDP 22.12.2001 Altmann (Aurich), BÜNDNIS 90/ 22.12.2001 Gila DIE GRÜNEN Bachmaier, Hermann SPD 22.12.2001 Becker-Inglau, Ingrid SPD 22.12.2001 Beer, Angelika BÜNDNIS 90/ 22.12.2001 DIE GRÜNEN Dr. Berg, Axel SPD 22.12.2001 Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 22.12.2001 Bohl, Friedrich CDU/CSU 22.12.2001 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 22.12.2001 Brandt-Elsweier, Anni SPD 22.12.2001 Brüderle, Rainer FDP 22.12.2001 Carstens (Emstek), CDU/CSU 22.12.2001 Manfred Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 22.12.2001 Elser, Marga SPD 22.12.2001 Dr. Fink, Heinrich PDS 22.12.2001 Fischer (Hamburg), CDU/CSU 22.12.2001 Dirk Follak, Iris SPD 22.12.2001 Frankenhauser, CDU/CSU 22.12.2001 Herbert Frick, Gisela FDP 22.12.2001 Graf (Rosenheim), SPD 22.12.2001 Angelika Hauer, Nina SPD 22.12.2001 Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 22.12.2001 Dr. Hendricks, SPD 22.12.2001 Barbara Holetschek, Klaus CDU/CSU 22.12.2001 Holzhüter, Ingrid SPD 22.12.2001 Hörster, Joachim CDU/CSU 22.12.2001 Imhof, Barbara SPD 22.12.2001 Janz, Ilse SPD 22.12.2001 Jelpke, Ulla PDS 22.12.2001 Jünger, Sabine PDS 22.12.2001 Kampeter, Steffen CDU/CSU 22.12.2001 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 22.12.2001 Kraus, Rudolf CDU/CSU 22.12.2001 Lehn, Waltraud SPD 22.12.2001 Dr. Lippold CDU/CSU 22.12.2001 (Offenbach), Klaus W. Marhold, Tobias SPD 22.12.2001 Dr. Meyer (Ulm), SPD 22.12.2001 Jürgen Müller (Düsseldorf), SPD 22.12.2001 Michael Nahles, Andrea SPD 22.12.2001 Neuhäuser, Rosel PDS 22.12.2001 Neumann (Bremen), CDU/CSU 22.12.2001 Bernd Oesinghaus, Günter SPD 22.12.2001 Ostrowski, Christine PDS 22.12.2001 Otto (Frankfurt), FDP 22.12.2001 Hans-Joachim Palis, Kurt SPD 22.12.2001 Philipp, Beatrix CDU/CSU 22.12.2001 Rachel, Thomas CDU/CSU 22.12.2001 Reinhardt, Erika CDU/CSU 22.12.2001 Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 22.12.2001 Rübenkönig, Gerhard SPD 22.12.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 22.12.2001 Schloten, Dieter SPD 22.12.2001 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 22.12.2001 Hans Peter Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 22.12.2001 Christian Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 22.12.2001 DIE GRÜNEN entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Stadler, Max FDP 22.12.2001 Steiger, Wolfgang CDU/CSU 22.12.2001 Strebl, Matthäus CDU/CSU 22.12.2001 Strobl (Amberg), SPD 22.12.2001 Reinhold Thiele, Carl-Ludwig FDP 22.12.2001 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 22.12.2001 Weißgerber, Gunter SPD 22.12.2001 Dr. Westerwelle, Guido FDP 22.12.2001 Dr. Wieczorek, Norbert SPD 22.12.2001 Wiesehügel, Klaus SPD 22.12.2001 Wimmer (Neuss), SPD 22.12.2001 Willy Wissmann, Matthias CDU/CSU 22.12.2001 Wohlleben, Verena SPD 22.12.2001 Wöhrl, Dagmar CDU/CSU 22.12.2001 Wolf (München), CDU/CSU 22.12.2001 Hanna Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Winfried Hermann, Annelie Buntenbach, Steffi Lemke und Monika Knoche (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung und den Be- richt zu dem Antrag der Bundesregierung: Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan auf der Grund- lage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) UN-Friedenseinheiten und von der UN legitimierte Schutztruppen können unter bestimmten Umständen wichtige Beiträge zur Beilegung von kriegerischen Kon- flikten leisten. Dies hängt allerdings wesentlich von der Vorgeschichte sowie von den Bedingungen vor Ort und den konkreten Aufgaben des Mandats ab. So sehr auch wir den Menschen in Afghanistan den Frieden wünschen, so bleiben doch erhebliche Bedenken am Zustandekommen wie auch am Friedenswert des Mandats selbst. Voraussetzung des Mandats ist der Krieg der USA zu- sammen mit Großbritannien unter dem Titel „Enduring Freedom“ gegen den internationalen Terrorismus, vor al- lem das al-Qaida-Netzwerk Osama bin Ladens, das Tali- banregime sowie das Land Afghanistan. Dabei wurde die Tötung vieler Menschen, auch unschuldiger Opfer billi- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 200120854 (C) (D) (A) (B) gend in Kauf genommen. Das ohnehin durch jahrzehnte- langen Krieg ruinierte Land wurde durch Bomben und Raketen weiter zerstört. Das Talibanregime wurde beseitigt und große Teile der al-Qaida-Strukturen in Afghanistan sind inzwischen ge- schwächt. Mit aktiver Unterstützung durch militärische Kräfte in Afghanistan, vor allem mithilfe der in demokra- tischer und menschenrechtlicher Hinsicht fragwürdigen Nordallianz, wurde das Land zurückerobert. Osama bin Laden, der mutmaßliche Hauptverantwortliche terroristi- scher Anschläge, ist bisher allerdings nicht gefunden wor- den. Das anfängliche Hauptkriegsziel ist damit verfehlt. Ebensowenig kann mit den groben Militärschlägen in Af- ghanistan das Problem des internationalen Terrorismus gelöst werden. Die Gefahr ist groß, dass Terroristen nur vertrieben und unfreiwillig neue Sympathisanten geför- dert wurden. Während die Sicherheitsmission ihre Arbeit beginnt, führen die USA weiter Krieg und gefährden damit das Ziel dieser Mission, weitere Menschenleben und den Friedensprozess. Nicht friedensförderlich ist auch, dass Großbritannien als Kriegspartei die Führung der Truppe übernimmt. Zwar ist die Kommandogewalt dank der Intervention der deutschen Regierung von „Enduring Freedom“ formal getrennt, aber im Konfliktfall wird Großbritannien als „lead nation“ das Kommando nach ei- genem Bekunden an die USA abgeben. Die Entsendung einer Friedenstruppe bei gleichzeitiger Kriegführung, wenn auch auf kleiner Flamme, durch US- und britische Truppen in Afghanistan könnte diese diskreditieren und letztlich als Teil der Kriegführung erscheinen lassen. Die vom Anspruch her neutrale Schutztruppe gerät in Gefahr, Konfliktpartei zu werden. Es wächst der Eindruck einer hochproblematischen Arbeitsteilung: Die USA führen den (Anti-Terror-)Krieg aus der Luft unter Inkaufnahme ziviler Opfer und verfol- gen dabei auch eigene machtpolitische und ökonomische Interessen. Die UNO sorgt nachher für die Beseitigung der Trümmer mit tatkräftiger und finanzieller Unterstüt- zung anderer Länder. Es bleibt der Staatengemeinschaft der schwierige, fast nicht lösbare Auftrag, auf der Basis eines Gewaltfriedens Menschenrechten und Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen, also wirklichen Frieden zu schaffen. Das lange Ringen um Art, Ausmaß, Funktion und Dauer des Mandats macht deutlich, wie schwierig die po- litische Lage ist. Die Interessen der verschiedenen afgha- nischen Gruppen wie auch der Staaten im Sicherheitsrat gehen weit auseinander. Auch wenn inzwischen die offi- zielle Zustimmung der künftigen afghanischen Über- gangsregierung vorliegt, lehnen wichtige bewaffnete Kräfte in Afghanistan innerhalb und außerhalb der Nord- allianz eine bewaffnete Friedenstruppe von mehr als sym- bolischer Größe weiterhin ab, sodass die Gefahr einer Konfrontation mit diesen Kräften besteht. Die im UN-Si- cherheitsrat beschlossene Beschränkung der Sicherheits- truppe auf Kabul und Umgebung löst diese Probleme nicht, sondern wirft eher die Frage auf, ob der Schutz der Regierungsgebäude nicht eventuell mit geringerem Auf- wand erreicht werden könnte. Ein Schutz der Zivilbevöl- entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich kerung vor rivalisierenden Warlords ist mit einer solchen Truppe und einem solchen Mandat nicht zu gewähr- leisten. Einer Truppenentsendung in ein hochriskantes Um- feld, in einen instabilen politischen Kontext, der zwischen Krieg und Frieden pendelt, mit einem teilweise unpräzi- sen und eher symbolischen Mandat, können wir nicht zu- stimmen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Harald Friese, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Rüdiger Veit, Klaus Barthel (Starnberg), Götz-Peter Lohmann (Neu- brandenburg), Christine Lucyga, Thomas Sauer und Konrad Kunick (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunter- stützungstruppe in Afghanistan auf der Grund- lage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Verein- ten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) Unsere Zustimmung zur Entsendung deutscher Bun- deswehreinheiten nach Afghanistan gründet sich auf die Hoffnung einer Wende in der politischen, ökonomischen und sozialen Situation des kriegsgeschüttelten Landes und nicht auf die Billigung des bisherigen Vorgehens der USA im Rahmen der Aktion „Enduring Freedom“. Diese berechtigte Hoffnung wird genährt durch die Chancen, die sich durch die Einbeziehung der UNO, die Ergebnisse der Bonner Vereinbarungen und die Ansätze auf Bildung einer alle Bevölkerungsgruppen repräsentie- renden Regierung Afghanistans ergeben. Diese Chancen dürfen kein zweites Mal wie schon zu Beginn der 90er- Jahre verschenkt werden. Dennoch bleiben folgende Hauptkritikpunkte beste- hen: Dem Parlament fehlen für seine Entscheidung wesent- liche Informationsgrundlagen. Dies betrifft die tatsäch- liche militärische Lage und die strategischen Planungen der von den USA geführten Aktion „Enduring Freedom“, die Kräfteverhältnisse der afghanischen Kriegsparteien und die Rolle der Taliban, auch der mit ihnen bisher oder noch verbündeten Kräfte. Gleiches gilt für die humanitäre Situation, das Ausmaß an zivilen Opfern und Zerstörun- gen der Infrastruktur. Unsere Zweifel an der Sinnhaftigkeit, Verhältnis- mäßigkeit und Angemessenheit des bisherigen Verlaufes der amerikanischen Aktion sind auf der Grundlage der all- gemein zugänglichen Informationen nicht ausgeräumt. Die Bombardierung eines ganzen Landes mit Tausenden ziviler Opfer zur Bekämpfung eines terroristischen Net- zes und der sie stützenden politischen Struktur war weder angemessen noch wirksam im Sinne der Belangung der Hauptverantwortlichen und der Vermeidung der Gefahr weiterer Anschläge. Zunehmend gewinnt die These an Plausibilität, dass die bisherigen politischen, geheim- dienstlichen, polizeilichen und diplomatischen Fehler, die es schon bisher bei der Verfolgung Bin Ladens und seiner Helfer gab, sich fortsetzen. Offenbar planen die USA wei- tere militärische Schläge, auch gegen andere Staaten. Es wird ignoriert, dass der Charakter krimineller, terroris- tischer Netze gerade nicht vorrangig in Form militärischer harter Ziele besteht, sondern in Form militärisch unan- greifbarer Verbindungen. Zudem leidet die derzeitige Art der Terrorismusbekämpfung seitens der USA erheblich an Glaubwürdigkeit, insbesondere im Hinblick auf das Ver- halten der Regierung zum Palästinakonflikt. Die dort tatenlos zugelassene Eskalation, für die die von den USA gestützte Regierung Israels eine wesentliche Schuld trifft, bereitet künftigem Terrorismus den Boden. Der deutsche Beitrag steht in dem Widerspruch, einer- seits in „uneingeschränkter Solidarität“ an „Enduring Freedom“ als Konfliktpartei in Afghanistan beteiligt zu sein und gleichzeitig mit dem Ruf des unbeteiligten Neu- tralen in Kabul und Umgebung schlichtend und beru- higend einen Friedensprozess sichern zu sollen. Dies geschieht unter britischer Führung, der es an der notwen- digen militärischen und politischen Distanz zu krieg- führenden Einheiten und an historischer Unbelastetheit mangelt. Im Hinblick auf diese Verflechtungen, auf die Be- lastungen der Bundeswehr und die schwer einschätzbare Vorgehensweise der US-Regierung in der Zukunft ist das Mandat der Bundeswehr zur Teilnahme an „Enduring Fre- edom“ spätestens jetzt hinfällig. Die Frage hinsichtlich ei- ner offensichtlich vorhandenen Verknüpfung bzw. der zu fordernden strikten Trennung der militärischen Befehls- stränge konnte nicht befriedigend beantwortet werden. Die Kosten für das neue Mandat sind, soweit sie nicht durch Umschichtungen im Rahmen der Verteidigungs- ausgaben oder die Reduzierung anderer Mandate zu er- wirtschaften sind, keinesfalls zulasten anderer Ressorts aufzubringen. Im Übrigen bedarf die globale Terrorbekämpfung wei- terer politischer Anstrengungen, vor allem im Hinblick auf das Palästinaproblem, die Einrichtung eines allgemein anerkannten Internationalen Gerichtshofes, die Biowaf- fen-Konvention und den Zusammenhalt der Anti-Terror- Koaltition. Auch in ihrer Ablehnung einer Ausweitung der mili- tärischen Aktionen auf andere Staaten oder Gebiete un- terstützen wir nachdrücklich die Haltung der Bundesre- gierung. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Heinz Schmitt (Berg) und Dr. Edelbert Richter (beide SPD) zur Abstim- mung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheit- sunterstützungstruppe in Afghanistan auf der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001 20855 (C) (D) (A) (B) Grundlage der Resolution 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) Unsere Zustimmung zur Entsendung deutscher Bun- deswehreinheiten nach Afghanistan gründet sich auf die Hoffnung einer Wende in der politischen, ökonomischen und sozialen Situation des kriegsgeschüttelten Landes und nicht auf die Billigung des bisherigen Vorgehens der USA im Rahmen der Aktion „Enduring Freedom“. Diese berechtigte Hoffnung wird genährt durch die Chancen, die sich durch die Einbeziehung der UNO, die Ergebnisse der Bonner Vereinbarungen und die Ansätze auf Bildung einer alle Bevölkerungsgruppen repräsentie- renden Regierung Afghanistans ergeben. Diese Chancen dürfen kein zweites Mal wie schon zu Beginn der 90er- Jahre verschenkt werden. Dennoch bleiben folgende Hauptkritikpunkte bestehen: Dem Parlament fehlen für seine Entscheidung wesent- liche Informationsgrundlagen. Dies betrifft die tatsächli- che militärische Lage und die strategischen Planungen der von den USA geführten Aktion „Enduring Freedom“, die Kräfteverhältnisse der afghanischen Kriegsparteien und die Rolle der Taliban, auch der mit ihnen bisher oder noch verbündeten Kräfte. Gleiches gilt für die humanitäre Si- tuation, das Ausmaß an zivilen Opfern und Zerstörungen der Infrastruktur. Unsere Zweifel an der Sinnhaftigkeit, Verhältnis- mäßigkeit und Angemessenheit des bisherigen Verlaufs der amerikanischen Aktion sind auf der Grundlage der allgmein angenommenen Informationen eher gestiegen. Die Bombardierung eines ganzen Landes mit Tausenden ziviler Opfer zur Bekämpfung eines terroristischen Net- zes und der sie stützenden politischen Struktur war weder angemessen noch wirksam im Sinne der Belangung der Hauptverantwortlichen und der Vermeidung der Gefahr weiterer Anschläge. Zunehmend gewinnt die These an Plausibilität, dass die bisherigen politischen, geheim- dienstlichen, polizeilichen und diplomatischen Fehler, die es schon bisher bei der Verfolgung Bin Ladens und seiner Helfer gab, sich fortsetzen. Offenbar planen die USA wei- tere militärische Schläge, auch gegen andere Staaten. Es wird ignoriert, dass der Charakter krimineller, terroristi- scher Netze gerade nicht vorrangig in Form militärischer harter Ziele besteht, sondern in Form militärisch unan- greifbarer Verbindungen. Zudem leidet die derzeitige Art der Terrorismusbekämpfung seitens der USA erheblich an Glaubwürdigkeit, insbesondere im Hinblick auf das Ver- halten der Regierung zum Palästinakonflikt. Die dort ta- tenlos zugelassene Eskalation, für die die von den USA gestützte Regierung Israels eine wesentliche Schuld trifft, bereitet künftigem Terrorismus den Boden. Der deutsche Beitrag steht in dem Widerspruch, einer- seits in „uneingeschränkter Solidarität“ an „Enduring Freedom“ als Konfliktpartei in Afghanistan beteiligt zu sein und gleichzeitig mit dem Ruf des unbeteiligten Neu- tralen in Kabul und Umgebung schlichtend und beruhi- gend einen Friedensprozess sichern zu sollen. Dies ge- schieht unter britischer Führung, der es – wenn schon nicht direkt militärisch, so doch politisch – an der notwendigen Distanz zu kriegführenden Einheiten und an historischer Unbelastetheit mangelt. Im Hinblick auf diese Verflech- tungen, auf die Belastungen der Bundeswehr und die schwer einschätzbare Vorgehensweise der USA-Regie- rung in der Zukunft ist das Mandat der Bundeswehr zur Teilnahme an „Enduring Freedom“ spätestens jetzt hinfäl- lig. Die Frage hinsichtlich einer Verknüpfung bzw. der zu fordernden strikten Trennung der militärischen Befehls- stränge konnte nicht befriedigend beantwortet werden. Die Kosten für das neue Mandat sind, soweit nicht durch Umschichtungen im Rahmen der Verteidigungs- ausgaben oder die Reduzierung anderer Mandate zu er- wirtschaften sind, keinesfalls zulasten anderer Ressorts aufzubringen. Im Übringen bedarf die globale Terrorbekämpfung An- strengungen, vor allem im Hinblick auf das Palästinapro- blem, die Einrichtung eines allgemein anerkannten Inter- nationalen Gerichtshofes, die Biowaffen-Konvention und den Zusammenhalt der Anti-Terror-Koalition. Auch in ihrer Ablehnung einer Ausweitung der mi- litärischen Aktionen auf andere Staaten oder Gebiete un- terstützen wir nachdrücklich die Haltung der Bundesre- gierung. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO Abstimmung über die Beschlussempfehlung und den Bericht zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsun- terstützungstruppe in Afghanistan auf der Grund- lage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 3 a und b) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich stim- me der Entscheidung aus Gewissensgründen nicht zu. Die Bundeswehr ist nach unserer Verfassung ganz ein- deutig eine Verteidigungsarmee. Der Einsatz in Kabul entspricht nicht der Verfassungslage. Darüber hinaus ist der auf Kabul beschränkte Einsatz von 5 000 Soldaten auf die Sicherheit von 2 Millionen Menschen in der Haupt- stadt und auf die Hilfe für sie beschränkt. 23 Millionen weitere Frauen, Kinder und Männer dieses Landes sind damit von humanitärer Hilfe ausgeschlossen. Mit dem Grundsatz der Einhaltung von Menschenrechten für alle Bürger ist diese sektorale Hilfe nicht vereinbar. Weder der Umfang noch der Zeitraum des Einsatzes, noch die Sicherheit der Soldaten sind gewährleistet. Nach Aussage von Militärexperten kann von einem tatsäch- lichen robusten Mandat nicht die Rede sein. Hier werden Leib und Leben Tausender von Soldaten einem unvertret- baren und unkalkulierbaren Risiko ausgesetzt. Auch aus diesem Grund kann es keine Zustimmung geben. Schließ- lich enthält eine Kabul-Zustimmung den Beginn eines Au- tomatismus für ständig weiteren weltweiten Einsatz deut- scher Soldaten, ohne dass die Verfassungslage geklärt, die Finanzierung der Bundeswehr gesichert und die Aufträge an politische Lösungen der Konflikte gebunden sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 200120856 (C) (D) (A) (B) Die rot-grüne Bundesregierung hat mit ihrer mit dem nationalen Interesse nicht übereinstimmenden Ausrich- tung einer uneingeschränkten Solidarität eine Zwangs- beteiligung an kriegerischen Konflikten unverantwortlich eröffnet. Damit schadet sie dem Lande. Unabhängig da- von holt sie mit dieser Ausrichtung verstärkte Risiken durch Terroristen ins eigene Land. Diese Politik, die nicht zuerst von einer Friedenssiche- rung durch politische Lösungen ausgeht, lehne ich ab. Ge- rade unser Land sollte bei der Beteiligung an Kriegen, bedingt durch seine Vergangenheit, eine besondere Ver- antwortung zeigen, so, wie es die Kohl-Regierung bei ähnlichen Krisen getan hat. Dr. Uwe Jens (SPD): Warum ich der Entscheidung des UNO-Sicherheitsrats nicht zustimmen konnte und mich im Bundestag der Stimme enthalten habe: Meine grundsätzlichen Bedenken gegen den jetzt ge- planten Einsatz deutscher Soldaten im Rahmen einer in- ternationalen Friedenstruppe sind geringer als bei den vorherigen Entscheidungen des Deutschen Bundestages zum Kriegseinsatz in Afghanistan. Jedoch bleiben etliche ungeklärte Fragen und schwer wiegende Probleme beim jetzt geplanten Einsatz von 1 200 Bundeswehrsoldaten. Diese Mission ist kaum gefährlicher für Leib und Leben der Soldaten als die bisherigen Einsätze. Es gibt auch in diesem Fall für mich Bedenken von schwer wiegender Bedeutung, die ich kurz zum Ausdruck bringen muss. Erstens. Auch diese Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ist nicht nachhaltig durch die Idee des Multilateralismus geprägt. Bei dem Hin und Her über die Ausgestaltung des Mandats sind die unterschiedlichs- ten Denk- und Handlungsweisen erneut zum Vorschein gekommen. Der Extraweg der US-Amerikaner, die in Kri- senfällen das Oberkommando behalten, zeigt sich in der einseitigen Kündigung des ABM-Vertrages, in der Ver- weigerung der Zustimmung zur Biowaffen-Konvention, in der Ablehnung von UNO-Beobachtern in Palästina und unter anderem in der bisherigen Nichtunterzeichnung ei- nes Vertrages über die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes. Meines Erachtens müssen wir jetzt die Weichen stellen für eine neue Weltordnung, die von der Gleichberechtigung aller Staaten ausgeht, unabhängig von ihrer Größe und dem Entwicklungsstand. Zweitens. Der Beginn des 21. Jahrhunderts kann Angst bereiten, die bekanntlich stets ein schlechter Ratgeber ist. Aber nach allem, was bisher getan und gesagt worden ist, ist die Ausweitung des Krieges auf andere Länder, insbe- sondere auf Somalia und/oder den Irak aus meiner Sicht ebenfalls nicht unwahrscheinlich. Das Erste, was in die- sen Zeiten schnell zerstört wird, ist das Bemühen um Wahrheit. Eine Ausweitung der Terrorismusbekämpfung mit militärischen Mitteln auf andere muslimische Staaten würde die weltweite Unsicherheit, die Gefahren eines Weltbrandes deutlich steigern. Dieser möglichen Entwicklung will ich mahnend ent- gegentreten. Deutschland muss verstärkt darauf aufmerk- sam machen, dass es nur begrenzte Kapazitäten hat, dass die Belastungsschwelle in finanzieller und personeller Hinsicht bereits jetzt überschritten ist. Solidarität kann nie- mals uneingeschränkt sein; sie kann sich stets nur auf ei- nen bestimmten Zeitraum und auf konkrete Fälle beziehen. Jürgen Koppelin (FDP): Die Bundeswehr ist nach meiner Auffassung für einen Einsatz in Afghanistan we- der ausgebildet noch ausgerüstet. Weder hat die Bundes- wehr akzeptable Transportkapazitäten noch die notwen- dige Logistik für diesen Einsatz. Das ist jedoch dringend notwendig, damit jederzeit ein Standortwechsel im Land vorgenommen werden könnte. Ebenso sind die Möglich- keiten eines schnellen Abzugs begrenzt. Für mich bleiben auch nach dem Beschluss des UN-Si- cherheitsrats die Aufgaben der Bundeswehr bei einem Einsatz in Afghanistan im Unklaren. Das trifft auch auf die Zeitdauer des Einsatzes zu. Für mich gibt es trotz der Konferenz in Bonn und de- ren Ergebnissen erhebliche Zweifel über die Friedensaus- sichten in Afghanistan. Unklar bleibt auch, welche Rolle die USAbei diesem Einsatz der Bundeswehr übernehmen – das heißt auch, Klarheit darüber zu haben, ob die USA wei- tere Militärschläge in Afghanistan beabsichtigen. Für mich stellt sich zusätzlich die Frage, warum sich andere Staaten wie Indonesien, Thailand oder Ägypten nicht an diesem Einsatz beteiligen oder warum sie nicht aufgefordert worden sind. Ich stimme diesem Einsatz der Bundeswehr auch nicht zu, weil die Bundeswehr mit dem Einsatz auf dem Balkan bereits am Rande ihrer Kapazitäten angekommen ist. Mit Sorge sehe ich, dass der Deutsche Bundestag da- rüber im Unklaren gelassen wird, wer nach einem drei- monatigen Einsatz in Afghanistan das Kommando über den Einsatz übernimmt. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages fühle ich mich durch die Bundesregierung über die Gefahren und die Konsequenzen dieses Einsatzes nicht ausreichend und umfassend informiert. Mit innerer Betroffenheit muss ich feststellen, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr fast zu einer Routineangelegenheit werden. Für mich wird das niemals Routine sein. Manfred Müller (PDS): Abweichend vom Votum mei- ner Fraktion werde ich mich bei der Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf „Beteiligung bewaffne- ter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internatio- nalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Natio- nen“ der Stimme enthalten. Ich gebe dazu folgende per- sönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ab. Ich teile die Kritik meiner Fraktion sowohl am Krieg in Afghanistan als auch an der konkreten Ausgestaltung des Mandats. Die UN-Friedensmission birgt, nicht zuletzt we- gen der fortgesetzten US-amerikanischen Kampfhandlun- gen, der ungeklärten Kommandostrukturen und einer nicht vorhandenen Exit-Strategie, erhebliche Risiken. Da- von abgesehen sehe ich jedoch keine grundsätzlichen Be- denken gegen die Beteiligung von Bundeswehreinheiten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001 20857 (C) (D) (A) (B) an einer von den Vereinten Nationen mandatierten Frie- densmission in Afghanistan. Es handelt sich um einen völkerrechtlich legitimierten Einsatz, der dem Ziel dient, die Umsetzung der Bonner Vereinbarungen abzusichern. Der Petersberger Prozess eröffnet Chancen für eine friedliche Zukunft Afghanis- tans, die nicht ungenutzt bleiben dürfen. Er bedarf – ge- rade angesichts der unsicheren Sicherheitslage vor Ort und der bekannten Rivalitäten innerhalb der Übergangs- regierung – substanzieller Absicherung von außen. In der Abwägung aller Chancen und Risiken kann ich mich der Ablehnung des Antrags durch meine Fraktion nicht anschließen, weil dies in der Konsequenz hieße, die Rolle der UNO bei der Stabilisierung Afghanistans ent- scheidend zu schwächen und damit die Chancen für eine friedliche Entwicklung des Landes zu mindern. Helmut Rauber (CDU/CSU): Es gibt niemanden, der Afghanistan, diesem über Jahrzehnte gequälten Land, keinen dauerhaften Frieden wünscht. Dies muss aber ein sich selbst tragender und kein Scheinfrieden sein. Es gibt gute Gründe, der Mandatierung zuzustimmen, aber auch ebenso gute Argumente, diese Form des Man- dats abzulehnen. Es geht mir nicht um eine Mandatierung ja oder nein, sondern um den Umfang unseres Engagements mit maxi- mal 1 200 Soldaten und einem Finanzvolumen von rund 680 Millionen DM. Mit einem weit geringeren Kontin- gent lassen sich die anzustrebenden Ziele genauso gut bzw. genauso wenig erreichen. Ich sehe folgende substanzielle Bedenken: Erstens. Afghanistan ist zweimal so groß wie die Bun- desrepublik Deutschland, besitzt aber mit 25 Millionen Einwohnern gerade mal ein Drittel unserer Größe. Zu glauben, mit circa 5 000 Soldaten Sicherheit in diesem Land zu schaffen und das in einem Zeitraum von 6 Mo- naten, ist schlicht eine Illusion. Zweitens. Schon jetzt ist die Bundeswehr überfordert und der Sechs-Monate-/Zwei-Jahres-Rhythmus ist bei Führungskräften, Spezialisten, Medizinern und Fernmel- desoldaten schon lange nicht mehr einzuhalten. Diese Be- lastung unserer Soldaten hat erhebliche Auswirkungen auf die Attraktivität und damit auf die Leistungsfähigkeit un- serer Bundeswehr. Spitzenkräfte werden unter diesen Be- dingungen nicht bereit sein, in der Bundeswehr zu dienen. Drittens. Die Warlords sind an einer Präsenz der UN, die ihre Kreise stört, nicht interessiert. Wir dürfen nicht über- sehen, dass es die Nordallianz war, die dieses Land zwi- schen 1992 und 1996 ruinierte, und dass das dazu führte, dass die Taliban, die „law and order“ brachten, als Be- freier begrüßt wurden. Jetzt sind wir dabei, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Karsai verdient Vertrauen, aber er besitzt keine Hausmacht und er ist auf die gleiche Nomenklatura der alten Machenschaften angewiesen. Viertens. Jeder Automatismus bei der Entsendung deutscher Truppen ins Ausland ist abzulehnen. Was aber eingefordert werden muss, sind Mindestbedingungen, die sich an den vitalen Interessen Deutschlands ebenso zu ori- entieren haben wie an einer klaren politischen Konzeption einschließlich einer Exit-Strategie mit einem zeitlichen und finanziellen Rahmen. Wer sich aus Gründen einer Friedensschaffung und Friedenssicherung in Afghanistan engagiert, der muss schon schlüssig die Frage beantwor- ten, warum dann nicht im Nahen Osten, in Kaschmir, in Indonesien, in Angola, in Ruanda, im Sudan, im Kongo, in Sri Lanka usw. Fünftens. Es passt nicht zusammen, wenn der Ent- wicklungshilfeetat, der eigentlich steigen müsste, um rund 100 Millionen Euro gekürzt wird und im nächsten Jahr no- minell und prozentual unter dem liegt, was die Regierung Kohl ausgegeben hat. Die FAO hat in ihrem jüngsten Be- richt deutlich gemacht, dass weltweit 815 Millionen Men- schen hungern. Der militärische Beitrag kostet die Bun- desregierung rund 700 Millionen DM, was fast 10 Prozent des Entwicklungshilfeetats ausmacht. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis. Wenn die Entwicklungshilfe- zahlungen an die Kooperationsbereitschaft der Warlords ge- koppelt werden, könnte ein größerer sicherheitspolitischer Gewinn erzielt werden. Sechstens. Bei diesem Mandat ist strikt zu trennen, was Deutschland bezüglich des Kampfes gegen den inter- nationalen Terrorismus versprochen hat und was ande- rerseits nicht nur in Afghanistan, sondern weltweit für den Staatsaufbau bzw. die wirtschaftliche Gesundung zu leis- ten ist. Dass Deutschland seine Verpflichtungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erbringen muss, ist unstrittig. Wo bei diesem Mandat dieser Beitrag aber kon- kret liegt, ist nur schwer zu erkennen. In der Abwägung, was für bzw. gegen das vorliegende Mandat spricht, enthalte ich mich der Stimme. Christa Reichard (Dresden) (CSU/CSU): Der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan stimme ich zu, kann dies aber nur mit großem Bedenken tun, denn ich halte die Betreuungssituation für die Soldatenfamilien angesichts der steigenden Belastungen durch die Zunahme an Auslandseinsätzen für unzureichend. Mit meiner Zustimmung verbinde ich die dringende Auf- forderung an die Bundesregierung, schnellstmöglich das geplante flächendeckende Familienbetreuungsnetz mit 32 Familienbetreuungszentren mit je vier hauptamtlichen Dienstposten einzurichten und dieses Projekt nicht erst in zwei Jahren umzusetzen. Weiterhin fordere ich angemes- sene Rahmenbedingungen für die ehrenamtliche Betreu- ungsarbeit der Soldatenfrauen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 200120858 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Rudolf Scharping


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein erstes
    Wort richtet sich an die Angehörigen der Bundeswehrsol-
    daten und an jene 7 500 Soldaten, die auf dem Balkan für
    Frieden und Stabilität sorgen, die Weihnachten und den
    Jahreswechsel getrennt von ihren Familien verbringen
    werden und die diesen Dienst leisten, weil er den Interes-
    sen unseres Landes entspricht und weil wir in Europa mit-
    hilfe der Bundeswehr im Rahmen einer klugen Gesamt-
    politik einen unverzichtbaren Beitrag für Frieden und
    stabile Entwicklung gewährleisten.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Dieses Wort richtet sich aber nicht nur an jene
    7 500 Soldaten, die zurzeit auf dem Balkan stationiert
    sind, sondern auch an die Bürgerinnen und Bürger unse-
    res Landes sowie an die Mitglieder des Deutschen Bun-
    destages.

    Wir sollten bei allen diesen Entscheidungen nicht über-
    sehen, dass in der gegenwärtigen Situation von den etwa
    210 000 Berufs- und Zeitsoldaten und jenen, die freiwil-
    lig länger Wehrdienst leisten, über 60 000 für internatio-
    nale Einsätze fest eingeplant oder direkt für sie engagiert
    sind. Das bedeutet, dass wir fast 30 Prozent jener, die
    dafür zur Verfügung stehen, für solche Einsätze politisch
    und vor allen Dingen persönlich – auch mit Blick auf de-
    ren Familien – unmittelbar beanspruchen.

    Das sagt zugleich, dass wir bei unseren politischen
    Entscheidungen einen sehr strengen und klaren Maßstab
    anlegen müssen, wenn wir solche Entscheidungen treffen,
    und zwar nicht nur einen außen- und sicherheitspoliti-
    schen, sondern auch einen, der mit den Fähigkeiten der
    Bundeswehr und der in der Bundeswehr engagierten
    Menschen zu tun hat. Es wird wohl so sein, dass wir im
    Zusammenhang mit Afghanistan gewährleisten können,
    dass diejenigen, die in einer 48-Stunden-Bereitschaft ste-
    hen, die Weihnachtstage noch bei ihren Familien verbrin-
    gen werden. Das gilt dann wahrscheinlich in dieser um-
    fassenden und sicheren Form für den Jahreswechsel nicht
    mehr.

    Der Einsatz, über den wir heute entscheiden – das ist
    hier gesagt worden –, ist mittlerweile der vierte innerhalb
    von nur vier Monaten. Es ist ein Einsatz auf der Grund-
    lage von Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen.
    Das wollten wir so. Das ist auch notwendig. Es ist ein Ein-
    satz, der nur deshalb möglich wird – darin stimme ich dem
    Kollegen Rühe und anderen ausdrücklich zu –, weil es zu-
    vor einen ebenso entschlossenen wie zielorientierten mi-
    litärischen Einsatz gegeben hat. Alles, worüber wir jetzt
    gemeinsam im Sinne von Fortschritt, Herausforderung
    und Chancen in Afghanistan reden, ist nur möglich ge-
    worden, weil es den entschlossenen Kampf gegen Terro-
    risten und Taliban gegeben hat. Dieser Kampf – das
    muss man ebenso deutlich hinzufügen – wird noch län-
    gere Zeit andauern: in Afghanistan, auf verschiedenen po-
    litischen Ebenen, unter Nutzung verschiedenster Fähig-
    keiten, an verschiedenen Orten.

    Vor diesem Hintergrund und weil in Afghanistan Auf-
    trag und Fähigkeiten getrennt sind, aber auf dem Terri-

    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001

    Wolfgang Gehrcke

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    torium desselben Staates selbst bei großer räumlicher Ent-
    fernung in Kabul und Umgebung Sicherheit gewährleistet
    werden soll, während andernorts gegen Terroristen und
    Taliban vorgegangen wird, bedarf es nicht nur einer kla-
    ren Trennung, wie wir sie wollten und wie sie gewähr-
    leistet ist, sondern auch einer engen Koordination.

    Weil ich vermute, dass viele Außenstehende das nicht
    so gut nachvollziehen können, will ich an einem einzigen
    Beispiel erläutern, warum das politisch in Ordnung, sach-
    lich sinnvoll und operativ unverzichtbar ist.


    (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt wird es ein Hintergrundgespräch!)


    Beim Zugang zu Kabul sind wir in Afghanistan unver-
    zichtbar darauf angewiesen, dass es eine gemeinsame
    Luftraumüberwachung und eine Koordination beim Luft-
    transport gibt. Übrigens für den Fall, dass sich angesichts
    des Risikospektrums, über das wir in den Ausschüssen
    sorgfältig geredet haben, alles wesentlich ungünstiger
    entwickelt: Wenn für diese Sicherheitsunterstützung mi-
    litärische Unterstützung notwendig werden sollte, dann
    sind das alles Hinweise darauf, dass ohne enge Koordina-
    tion mit den Vereinigten Staaten und ohne zuverlässige
    Unterstützung durch die Vereinigten Staaten gar nicht das
    zu bewältigen wäre, was wir uns jetzt in der gemeinsamen
    Truppe vorgenommen haben.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Ich will einige Worte im Zusammenhang mit Bemer-
    kungen sagen, wie sie hier mit Blick auf die Vereinten
    Nationen, die Nichtregierungsorganisationen und andere
    gefallen sind. Es ist richtig, dass wir von einer
    Unterstützungsleistung sprechen. Es ist genauso richtig,
    dass diese Unterstützungsleistung auf den Raum Kabul
    und Umgebung begrenzt ist und begrenzt bleiben muss.
    Das bedeutet zugleich die schmerzliche Einsicht, dass wir
    nicht die Fähigkeit haben – Deutschland, Europa und die
    internationale Staatengemeinschaft insgesamt haben
    nicht die Fähigkeit –, in Afghanistan für Sicherheit zu sor-
    gen.


    (Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Wer hat keine Fähigkeiten?)


    Wir bräuchten über 300 000 Soldaten, um nur die
    größeren Städte und die Verbindung zwischen diesen
    Städten wirksam zu sichern.

    Im Übrigen wäre diese Anforderung, die auch auf die
    Arbeit der Nichtregierungsorganisationen einen gewissen
    Einfluss hat, ein Widerspruch zum Petersberg-Abkom-
    men und zu der Sicherheitsratsresolution, die auf dem
    Petersberg-Abkommen aufbaut. Ganz anders als auf
    dem Balkan appelliert sie bewusst an die Fähigkeit der
    Stämme, der Volksgruppen, der Clans und der politischen
    Führer in Afghanistan, den Weg dieses Landes in die ei-
    genen Hände zu nehmen, und zwar von Anfang an, anstatt
    die Autorität dieser Regierung auf auswärtige Präsenz zu
    bauen.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    In diesem Zusammenhang ist genauso nüchtern darauf
    hinzuweisen, dass die Bereitschaft Großbritanniens,
    die Führung zu übernehmen, von der Bundesregierung
    nicht nur begrüßt wird. Das tun wir, aber es kommt noch
    etwas anderes hinzu: Wir müssen im Lichte der Erfah-
    rungen, die wir in den letzten Wochen gesammelt haben
    und möglicherweise in den nächsten Wochen und Mona-
    ten noch sammeln werden, sehr genau darauf schauen, ob
    es für die Fortführung der Operationen – ich rede jetzt
    nicht von diesem Mandat – und für mögliche künftige
    Entscheidungen nicht doch mehr Sinn macht, wieder stär-
    ker auf integrierte Stäbe und Fähigkeiten, auf integrierte
    bewährte Verfahren der multinationalen Zusammen-
    arbeit zurückzugreifen, als das in diesem Fall, aus wel-
    chen Gründen auch immer, möglich war.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Ich sage das auch deshalb, weil – unbeschadet der De-
    batten, die wir hier führen – mit all diesen Entscheidun-
    gen auch gewisse Weichenstellungen hinsichtlich der
    Frage vorgenommen werden, wie wir das Verständnis von
    gemeinsamer Sicherheit und ihrer multinationalen Ge-
    währleistung in Zukunft in operative Fähigkeiten umset-
    zen wollen. Der größte Vorteil der NATO ist, dass sie
    diese Fähigkeiten hat, dass diese eingeübt sind und
    dass es ein enormes Maß an politischem Vertrauen in die
    Fähigkeiten der NATO gibt. Das ist etwas, was wir in
    Europa und im Rahmen der ESVP noch entwickeln müs-
    sen.

    In diesen Zusammenhang gehört die Frage, ob die
    Bundesrepublik Deutschland die Lead-Funktion hätte
    übernehmen können oder für die Zukunft übernehmen
    soll. Ich rate davon ab, so zu tun, als habe man schon die
    Fähigkeiten, die man in Zukunft erst erwerben will. Wir
    haben das Einsatzführungskommando der Bundeswehr
    rund acht Monate früher in Funktion gebracht, als das
    ursprünglich beabsichtigt war. Das hat mit Enduring
    Freedom – also dem Kampf gegen den internationalen
    Terrorismus – zu tun. Die Bundesrepublik Deutschland
    verfügt aber noch nicht über die Führungsstrukturen, die
    Führungsmittel und die Unterstützungsmittel, die man
    braucht, um einen solchen multinationalen Einsatz über
    eine so große Entfernung und über möglicherweise län-
    gere Dauer zu führen. Das ist eine ganz nüchterne realis-
    tische Einsicht. Das darf uns aber nicht davon abhalten,
    die notwendigen Fähigkeiten rasch zu erwerben. Dazu
    dienen auch die 1,5 Milliarden DM aus dem Antiterror-
    paket der Bundesregierung. Diese Mittel stehen der
    Bundeswehr dauerhaft zur Verfügung. Das ist wichtig für
    die Bundeswehr und für die Verbesserung der äußeren
    Sicherheit unseres Landes sowie seiner Partner.

    Es ist ganz klar, dass wir diese 1,5 Milliarden DM für
    Maßnahmen im Zusammenhang mit „Enduring Freedom“
    verwenden. Für die Maßnahmen, die wir hoffentlich jetzt
    mit großer Mehrheit beschließen werden, haben wir
    300 Millionen DM eingeplant. Alles andere muss auf an-
    dere Weise aufgebracht werden.

    Ich sage das auch mit Blick auf einen Umstand, den ich
    nicht zu übersehen bitte: Wir haben nicht den Ergeiz,

    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001

    Bundesminister Rudolf Scharping

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    diese Obergrenze auszuschöpfen. Das ergibt sich aus un-
    serer engen Zusammenarbeit mit den Niederlanden und
    anderen europäischen Ländern, mit denen wir über diese
    Frage zurzeit noch im Gespräch sind. Damit wollen wir
    deutlich machen, dass eine multinationale Zusammen-
    arbeit von Deutschland als Prinzip akzeptiert und im All-
    tag angewandt wird. Wir haben auch hinsichtlich der
    Dauer des Einsatzes nicht den Ehrgeiz, die Obergrenze
    auszuschöpfen. Ich sage das, um auf die Angehörigen
    der Bundeswehr zurückzukommen, sozusagen als Leit-
    planke.

    Die Verpflichtungen, die wir mit unserem internationa-
    len Engagement zur Sicherung von Frieden und Stabi-
    lität eingegangen sind – auf dem Balkan oder in der
    Bekämpfung des internationalen Terrorismus –, dürfen
    durch neue Engagements nicht in Gefahr gebracht wer-
    den. Unsere übernommenen Verpflichtungen müssen ein-
    gehalten werden. Das ist auch eine Frage der Zuverläs-
    sigkeit und der politischen Glaubwürdigkeit.

    Mit Blick auf die Motivation in der Bundeswehr müs-
    sen die Verlässlichkeit der politischen Entscheidungen so-
    wie die Qualität der Nachwuchswerbung und Nach-
    wuchsgewinnung sichergestellt werden. Die Erfolge, die
    mit der Erneuerung der Bundeswehr erreicht worden sind,
    dürfen nicht in Gefahr gebracht werden.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Herr Kollege Rühe, auch wenn es sich vielleicht etwas
    unweihnachtlich anhört, schließe ich noch eine Bemer-
    kung an: Wenn die Zuverlässigkeit der mittelfristigen Fi-
    nanzplanung unserer Vorgängerregierung der Maßstab für
    solche Rechnungen, wie Sie sie aufgemacht haben, sein
    soll, dann würde ich sagen, wir sollten uns für die Zukunft
    eher Grimms Märchenbuch als Maßstab für die Zuverläs-
    sigkeit nehmen, denn nicht eine einzige Ihrer mittelfris-
    tigen Finanzplanungen haben Sie eingehalten, und das
    war zum Schaden der Bundeswehr.


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Ich erteile das Wort
dem Kollegen Paul Breuer, CDU/CSU-Fraktion.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Paul Breuer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Da-
    men und Herren! Das ist der fünfte Einsatzbeschluss, den
    der Deutsche Bundestag in diesem Jahr 2001 zu fassen ge-
    denkt. Am Anfang dieses Jahres 2001 hätte sicher die
    große Mehrheit dieses Hauses diesen Verlauf des Jahres
    nicht für wahrscheinlich gehalten. Das zu erkennen ist
    eine wesentliche Voraussetzung dafür, sich zu überlegen,
    wie die Sicherheitspolitik und der Umgang mit den Streit-
    kräften aussehen müssen. In der Sicherheitspolitik und
    beim Umgang mit den Streitkräften gilt es immer ein
    ganzes Stück Vorsorge zu betreiben.

    Meine Damen und Herren Kollegen, wenn wir Ein-
    satzbeschlüsse fassen, dann darf das nicht zur Routine
    werden. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass das ge-
    schieht. Wir müssen uns immer wieder der Vorsorge und

    der Sicherheit widmen und Risiken so weit wie möglich
    vermeiden.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Soldaten der Bundeswehr, die in Einsätzen sind, sagen
    oftmals: Ein Problem für uns ist nicht nur, dass wir ein
    halbes Jahr in den Einsatz gehen. – Das ist schwer genug;
    manche Familie hat riesige Probleme; manche Ehe schei-
    tert angesichts der Belastungen. – Nein, eine Belastung ist
    auch, dass unsere Nachbarn und die anderen in dieser
    Friedensgesellschaft absolut kein Verständnis für die Be-
    lastungen aufbringen, die auf unsere Familien und uns
    persönlich einströmen.

    Ein Jugendoffizier der Bundeswehr hat in seinem Jah-
    resbericht für 2000 geschrieben, dass die Jugendlichen
    besser darüber informiert seien, was im „Big Brother“-
    Container geschieht, als darüber, dass Soldaten der Bun-
    deswehr in Containern in Bosnien oder im Kosovo unter-
    gebracht sind.


    (Gernot Erler [SPD]: Weiß das Herr Westerwelle?)


    Wenn wir heute einen Einsatzbeschluss für Afghanistan
    fassen, dann muss uns bewusst sein, dass das Weih-
    nachtsfest nicht nur für die Familien der Soldaten, die
    auf dem Balkan eingesetzt sind, sondern auch für die Fa-
    milien derjenigen, die innerhalb der kommenden vier oder
    sechs Wochen nach Afghanistan gehen, kein normales
    Weihnachtsfest ist. Sie tun das für uns. Der Deutsche Bun-
    destag muss zum Ausdruck bringen, dass er ihnen alles
    Vertrauen und alle Unterstützung mit auf den Weg gibt.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gefahren und Risi-
    ken gibt es in Afghanistan genügend. Uns allen ist klar,
    dass dies ein nicht nur geographisch-topographisch zer-
    klüftetes Land ist. Es ist ein Land mit vielen politisch-
    ethnischen Klippen und Gefahren. Das, was sich in den
    letzten Jahrzehnten dort abgespielt hat, kann – da darf es
    keine Illusionen geben – nicht innerhalb von wenigen Jah-
    ren und schon gar nicht innerhalb von sechs Monaten ei-
    nes Bundeswehreinsatzes bekämpft werden.

    Dem entsprechen die Risiken für unsere Soldaten. Uns
    muss bewusst sein: Wir schicken deutsche Soldaten in ein
    Umfeld, in dem es Risiken für Leib und Leben gibt. Hinzu
    kommt: Wir schicken deutsche Soldaten in ein Umfeld, aus
    dem wir sie, wenn ein Notfall eintritt, wenn sie in
    Bedrängnis kommen, nicht mit deutschen Mitteln, mit Mit-
    teln der Bundeswehr, retten können. Wir sind auf die Un-
    terstützung der Vereinigten Staaten von Amerika ange-
    wiesen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir auf die
    Vereinigten Staaten von Amerika und ihre Streitkräfte ver-
    trauen können. Es ist aber schon notwendig, dass wir hier
    feststellen, dass diese Risiken vorhanden sind und dass die-
    ses Vertrauen notwendig ist. Dieses Vertrauen steht letztlich
    in Verbindung mit dem, was wir Solidarität gegenüber den
    Vereinigten Staaten von Amerika genannt haben.

    Die Gefahren für unsere Truppen in Afghanistan haben
    aber auch etwas damit zu tun, dass wir über eine Frage gar

    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Sonnabend, den 22. Dezember 2001

    Bundesminister Rudolf Scharping

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    nicht diskutieren können: Das ist die Frage, ob nicht die
    Ausstattung der deutschen Streitkräfte womöglich et-
    was schwerer sein könnte. Könnte es mehr Panzerschutz
    geben? Wir können hier nur sehr begrenzt darüber disku-
    tieren, weil wir zum Beispiel die Lufttransportmittel, die
    dafür notwendig sind, deutsche Panzer nach Afghanistan
    zu transportieren, nicht besitzen. Nun hängt es sicherlich
    mit der Geschichte der Bundeswehr und mit den Sicher-
    heitsrisiken aus der Vergangenheit im Ost-West-Konflikt
    zusammen, dass wir die Transportflugzeuge heute nicht
    besitzen. Aber dann, liebe Kolleginnen und Kollegen,
    muss man darauf hinweisen, dass wir uns dringend darum
    bemühen müssen,


    (Gernot Erler [SPD]: Machen wir doch!)


    dass die Bundeswehr morgen die Ausstattung dafür be-
    sitzt und neue Flugzeuge bekommt.

    Wenn Sie, Herr Kollege Erler, sagen: „Machen wir
    doch“, dann will ich Ihnen eines sagen: Es sollte Ihnen
    sehr zu denken geben, dass der Verteidigungsminister
    zwar 73 dieser Flugzeuge bestellt hat, im Hinblick auf die
    Verpflichtungsermächtigung, die dieses Parlament ihm
    eingeräumt hat, aber nur die Hälfte finanzieren kann.


    (Peter Zumkley [SPD]: Mehr als die Hälfte!)


    Das ist skandalös, Herr Kollege Erler.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Sie haben in der Haushaltsabstimmung zum Haushalt
    2002 vor wenigen Wochen einem Antrag der CDU/CSU
    die Zustimmung verweigert, der exakt zum Inhalt hatte,
    dem Verteidigungsminister die Möglichkeit zu geben,
    tatsächlich voll finanziert die 73 Flugzeuge zu bestellen.
    Das heißt, das, was wir hier im Hinblick auf die Finan-
    zierung der Bundeswehr sagen, ist nicht irgendeine oppo-
    sitionelle Attitüde; es ist das, was notwendig ist, um der
    gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Sicher-
    heits- und Verteidigungspolitik tatsächlich mit unserer
    Bundeswehr gerecht werden zu können.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Wir haben in dem Entschließungsantrag, auf den ich
    Sie hinweisen möchte, aber auch eine andere Risikofrage
    angeschnitten, die nicht unbeachtet bleiben darf. In der
    Sitzung des Verteidigungsausschusses gestern wurde
    deutlich, dass ein Teil des Materials, ja auch ein Teil des
    Personals, das in Afghanistan eingesetzt wird, vom Bal-
    kan abgezogen werden muss. Das heißt, es besteht die Ge-
    fahr, dass sich die Ausstattung der deutschen Streit-
    kräfte auf dem Balkan verschlechtert. Das wiederum
    heißt, dass Zusagen, die unseren Soldaten im Hinblick auf
    ihre Einsatzbelastung gegeben worden sind, nicht einge-
    halten werden können. Ein Blick auf die Kräfte und auf
    die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zeigt sehr deut-
    lich, dass diese – nicht die persönliche Leistungsfähigkeit
    der Soldaten, sondern die Leistungsfähigkeit des Trup-
    penkörpers – ihre deutlichen Grenzen hat.

    Deswegen fordere ich ganz deutlich: Wir müssen uns in
    der zukünftigen Diskussion über die Ausstattung unserer
    Streitkräfte nicht an einer Situation orientieren, die viel-
    leicht gerade jetzt gegeben ist. Vielmehr müssen wir auch
    die Eventualitäten mit einbeziehen. Niemand von uns hätte

    den Afghanistan-Einsatz am Anfang dieses Jahres für
    wahrscheinlich gehalten. Heute gibt es im Deutschen Bun-
    destag eine breite Mehrheit dafür, die Soldaten nach Af-
    ghanistan zu schicken. Daher müssen wir auch unabhän-
    gig von Wahrscheinlichkeitsgraden dafür sorgen, dass die
    Bundeswehr eine Ausstattung und eine Ausbildung besitzt,
    die sie für alle Eventualitäten infrage kommen lässt, die
    wir sicherheitspolitisch für notwendig halten.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Meine Damen und Herren Kollegen, ich möchte am
    Ende noch eine Frage anschneiden, die nicht ohne Risiko
    ist – sie hat heute schon eine Rolle gespielt –: Das ist die
    Frage des Oberkommandos der Streitkräfte in Afgha-
    nistan, des Oberkommandos dieser Sicherheitstruppe.
    Wir wissen, dass die britischen Partner in drei Monaten
    aus der internationalen Sicherheitstruppe ausscheiden
    werden und dass sie dann ihre Führungsfunktion nicht
    mehr wahrnehmen werden.


    (Gernot Erler [SPD]: Ende April!)


    Ich frage mich, wie eigentlich die Unstimmigkeiten ins-
    besondere zwischen Deutschland und dem Vereinigten
    Königreich zustande gekommen sind. Ich vermute Fol-
    gendes: Es war nicht gut – das ist schon von einigen Kol-
    legen angesprochen worden –, dass der Konferenz auf
    dem Petersberg eine nationale Grundlage gegeben
    wurde, obwohl es sich um eine UNO-Konferenz gehan-
    delt hat. Es wäre besser gewesen, eine europäische Flan-
    kierung anzustreben. Dafür spricht insbesondere ein
    Grund: Eine solche Flankierung hätte unseren europä-
    ischen Partnern signalisiert, dass die Gemeinsame Außen-
    und Sicherheitspolitik kein Papiertiger, sondern etwas ist,
    was wir wirklich anstreben wollen. Ich bin davon über-
    zeugt, dass so manche Unstimmigkeiten mit Großbritan-
    nien hätten vermieden werden können. Das Signal, das
    die Briten stattdessen bekommen haben – versetzen wir
    uns einmal in ihre Lage –, ist: Die Deutschen lassen uns
    kämpfen und Risiken übernehmen. Sie selbst wollen die
    Friedensmacher sein, die nur feine Konferenzen ausrich-
    ten und keine Risiken übernehmen. – Ein solches Bild
    darf Deutschland innerhalb Europas nicht abgeben.


    (Beifall bei der CDU/CSU – Gernot Erler [SPD]: Das tun wir auch gar nicht!)