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ID1420118700

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    Nachträgliche Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeordneten Klaus Kirschner und Ingrid Holzhüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19663 A Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 19663 A Absetzung von Tagesordnungspunkten . . . . . 19663 D Abwicklung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 19663 D Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 19663 D Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Terrorismusbekämpfungsgeset- zes (Drucksache 14/7386) . . . . . . . . . . . . . 19664 A Dieter Wiefelspütz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19664 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU . . . . . . . . . 19664 C Sylvia Bonitz CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19665 D Wolfgang Bosbach CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 19666 D Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19669 B Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19669 D Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19671 C Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19673 A Otto Schily, Bundesminister BMI . . . . . . . . . 19674 B Erwin Marschewski (Recklinghausen) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19677 B Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19679 A Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19679 D Norbert Geis CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19680 A Tagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Einführung einer Steuer auf speku- lative Devisenumsätze (Tobinsteuer) (Drucksachen 14/840, 14/2546) . . . . . . . . 19681 D Dr. Dietmar Bartsch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19681 D Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19682 D Leo Dautzenberg CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19684 D Detlev von Larcher SPD . . . . . . . . . . . . . . 19685 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19687 A Dr. Hermann Otto Solms FDP . . . . . . . . . . . . 19688 B Brigitte Adler SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19689 D Otto Bernhardt CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19690 C Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19691 B Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure- gelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschrif- ten (BNatSchGNeuRegG) (Drucksachen 14/6378, 14/7469, 14/7490, 14/7481) . . . . . . . . . . . . . . . . 19692 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung Plenarprotokoll 14/201 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 201. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 I n h a l t : des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur An- passung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuRegG) (Drucksachen 14/6878, 14/7469, 14/7490, 14/7481) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19692 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Eva Bulling-Schröter, Kersten Naumann, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion der PDS einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Drucksachen 14/5766, 14/7469, 14/7490) 19692 C Ulrike Mehl SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19692 D Dr. Peter Paziorek CDU/CSU . . . . . . . . . . . . 19694 B Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 19695 D Marita Sehn FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19696 D Eva Bulling-Schröter PDS . . . . . . . . . . . . . . . 19698 B Christel Deichmann SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19699 A Cajus Caesar CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19701 A Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 19702 C Birgit Homburger FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19704 B Jürgen Trittin, Bundesminister BMU . . . . . . . 19704 D Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 19705 C Tagesordnungspunkt 27: Überweisungen im vereinfachten Ver- fahren a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des diagno- seorientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser (Fallpauschalen- gesetz) (Drucksachen 14/7421, 14/7461) . . . . 19706 C b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Pflanzenschutz- gesetzes (Drucksache 14/6753) . . . . . . . . . . . . . 19706 C c) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Schutz von zugangs- kontrollierten Diensten und von Zu- gangskontrolldiensten (Zugangskon- trolldiensteschutz-Gesetz) (Drucksache 14/7229) . . . . . . . . . . . . . 19706 C d) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes vom 20. Mai 1997 zur Revision des Übereinkommens vom 20. März 1958 über die Annahme einheitlicher Be- dingungen für die Genehmigung der Ausrüstungsgegenstände und Teile von Kraftfahrzeugen und über die gegenseitige Anerkennung der Ge- nehmigung (Drucksache 14/7245) . . . . . . . . . . . . . 19706 D e) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Vorlage ei- nes nationalen Bildungsberichtes (Drucksache 14/7078) . . . . . . . . . . . . . 19706 D f) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2000 und Stellungnahme der Bundesregie- rung (Drucksache 14/6268) . . . . . . . . . . . . . 19706 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Weitere Überweisungen im vereinfach- ten Verfahren (Ergänzung zu TOP 27) a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Alfred Hartenbach, Anni Brandt- Elsweier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Änderung von Vor- schriften über die Bewertung der Kapi- talanlagen von Versicherungsunter- nehmen und zur Aufhebung des Dis- kontsatz-Überleitungs-Gesetzes (Versi- cherungskapitalanlagen-Bewertungs- gesetz) (Drucksache 14/7436) . . . . . . . . . . . . . 19707 A b) Antrag der Abgeordneten Birgit Homburger, Marita Sehn, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Marktwirtschaftliche Reorganisation der deutschen Abfallwirtschaft (Drucksache 14/5676) . . . . . . . . . . . . . 19707 A Tagesordnungspunkt 28: Abschließende Beratungen ohne Aus- sprache d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Fleischhygienegesetzes (Drucksachen 14/7153 [neu], 14/7467) 19707 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001II e) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Straf- rechtlichen Rehabilitierungsge- setzes (Drucksachen 14/7283, 14/7476) 19707 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Jörg van Essen, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften (Rehabilitierungsge- setzeänderungsgesetz) (Drucksachen 14/6189, 14/7476) 19707 D f) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Brunhilde Irber, Iris Gleicke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abge- ordneten Sylvia Voß, Ekin Deligöz, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gaststät- tengesetzes (Drucksachen 14/4937, 14/7054) . . . . 19708 A g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Siebten Gesetzes zur Än- derung der Pfändungsfreigrenzen (Drucksachen 14/6812, 14/7478) . . . . 19708 B h) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Vermögenszuordnungsgesetzes (Drucksachen 14/7035, 14/7428) . . . . 19708 C i) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Gemein- schaften auf dem Gebiet der Energie- einsparung bei Geräten und Kraftfahr- zeugen (Energieverbrauchskennzeich- nungsgesetz) (Drucksachen 14/6813, 14/7456) . . . . 19708 D j) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom- men vom 12. Juli 2001 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über Sozial- versicherung (Drucksachen 14/7246, 14/7446) . . . . 19709 A k) – p) Beschlussempfehlungen des Petitions- ausschusses: Sammelübersichten 311, 312, 313, 314, 315, 316 zu Petitionen (Drucksachen 14/7364, 14/7365, 14/7366, 14/7367, 14/7368, 14/7369) 19709 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundes- regierung zur beschleunigten industriel- len Auszehrung der neuen Bundesländer angesichts der geplanten Schließungen der Bombardier-Werke in Ammendorf 19709 D Roland Claus PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19709 D Rolf Schwanitz, Staatsminister BK . . . . . . . . 19710 D Günter Nooke CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19712 A Werner Schulz (Leipzig) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19713 B Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19714 C Dr. Reinhard Höppner, Ministerpräsident (Sachsen-Anhalt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19715 D Ulrich Klinkert CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19717 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19718 D Christel Riemann-Hanewinckel SPD . . . . . . 19719 D Ulf Fink CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19720 D Engelbert Wistuba SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19721 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/CSU 19723 A Tagesordnungspunkt 6: a) Antrag der Abgeordneten Peter Hintze, Klaus Hofbauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: För- derung der Grenzregionen zu den Beitrittsländern (Drucksache 14/6638) . . . . . . . . . . . . 19723 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN: Die Weichen für die Erweiterung der Europä- ischen Union richtig stellen – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zu der Großen Anfrage der Abgeordneten Peter Hintze, Michael Stübgen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Erweite- rung der Europäischen Union Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 III – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut Haussmann, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Die Bürger für die Osterweiterung der EU gewinnen (Drucksachen 14/5447, 14/5448, 14/5454, 14/6644) . . . . . . . . . . . . . . . . 19724 A Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU . . . . . . . . . . 19724 B Winfried Mante SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19725 D Dr. Helmut Haussmann FDP . . . . . . . . . . . . . 19727 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19728 A Uwe Hiksch PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19729 B Klaus Hofbauer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19730 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . 19731 C Michael Stübgen CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19733 B Tagesordnungspunkt 7: Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses zu der Unter- richtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2000 (42. Bericht) (Drucksachen 14/5400, 14/7111) . . . . . . . 19734 C Dr. Willfried Penner, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . 19734 D Werner Siemann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19736 D Uwe Göllner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19739 A Hildebrecht Braun (Augsburg) FDP . . . . . . . . 19740 D Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19741 A Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19742 C Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19743 C Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär BMVg 19744 D Paul Breuer CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19746 B Hans Raidel CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . 19746 C Verena Wohlleben SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19747 D Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Helmut Heiderich, Dr. Maria Böhmer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Zukunft für die „grüne“ Gentechnik (Drucksache 14/6616) . . . . . . . . . . . . . . . 19749 A Helmut Heiderich CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19749 B Matthias Weisheit SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19751 A Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19752 D Ulrike Höfken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19753 D Kersten Naumann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19755 C Heino Wiese (Hannover) SPD . . . . . . . . . . . . 19756 C Ulrich Heinrich FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19758 B Albert Deß CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19758 C Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Günter Baumann, Hans- Dirk Bierling, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Für mehr Sicherheit an der deutsch- tschechischen Grenze (Drucksachen 14/3672, 14/7429) . . . . 19760 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 19. September 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Zusammenarbeit der Poli- zeibehörden und der Grenzschutz- behörden in den Grenzgebieten (Drucksachen 14/7095, 14/7429) . . . . 19760 A Günter Baumann CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . 19760 B Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . . . . . . . . . . 19762 C Günter Baumann CDU/CSU . . . . . . . . . . 19763 A Dr. Max Stadler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19764 A Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19764 D Ulla Jelpke PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19765 C Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 19766 C Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gleichstellung be- hinderter Menschen und zur Ände- rung anderer Gesetze (Drucksache 14/7420) . . . . . . . . . . . . . 19767 D b) Antrag der Abgeordneten Dr. Guido Westerwelle, Dr. Heinrich L. Kolb, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Informationsangebot der Bun- desregierung barrierefrei gestalten (Drucksache 14/5985) . . . . . . . . . . . . . 19768 A Walter Riester, Bundesminister BMA . . . . . . 19768 A Claudia Nolte CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . 19769 B Volker Beck (Köln) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19770 D Dr. Heinrich L. Kolb FDP . . . . . . . . . . . . . . . 19772 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001IV Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19773 C Silvia Schmidt (Eisleben) SPD . . . . . . . . . . . 19774 C Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . . . 19775 D Karl-Hermann Haack (Extertal) SPD . . . . . . 19777 B Tagesordnungspunkt 16: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungs- gesetzes (AFBG-ÄndG) (Drucksachen 14/7094, 14/7472, 14/7489) 19778 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ilse Aigner, Werner Lensing, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrach- ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungs- förderungsgesetzes (1. AFBG-Ände- rungsgesetz) (Drucksachen 14/4250, 14/7472, 14/7489) 19778 D Wolf-Michael Catenhusen, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19779 B Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19780 C Cornelia Pieper FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19782 D Dr. Heinrich Fink PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19784 A Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 19784 C Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Abgeordneten Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt) und weiterer Abgeordneter: Au Pairs von der Sozialversicherungspflicht frei- halten (Drucksache 14/7098) . . . . . . . . . . . . 19786 B b) Antrag der Abgeordneten Karl-Josef Laumann, Brigitte Baumeister, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Rechtssicherheit für Au- pairverhältnisse (Drucksache 14/7288) . . . . . . . . . . . . 19786 C Tagesordnungspunkt 17: Große Anfrage der Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Erleichterungen bei der internationalen Vollstreckungshilfe (Drucksachen 14/2827, 14/3957) . . . . . . . 19786 C Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dirk Fischer (Ham- burg), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU: Bildung einer Leit- stelle für Seesicherheit (Drucksache 14/5450) . . . . . . . . . . . . . . . 19786 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschaftsab- kommen vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazi- fischen Ozean einerseits und der Europä- ischen Gemeinschaft und ihren Mitglied- staaten andererseits (AKP-EG-Partner- schaftsabkommen) (Drucksachen 14/7053, 14/7475, 14/7487) 19786 D Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Schuld- buchrechts des Bundes und der Rechts- grundlagen der Bundesschuldenverwaltung (Bundeswertpapierverwaltungsgesetz) (Drucksachen 14/7010, 14/7255, 14/7479) 19787 B Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungspro- zess (RmBereinVpG) (Drucksachen 14/6393, 14/6854, 14/7474) 19787 C Tagesordnungspunkt 18: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem all- gemeinen Betreuungsbedarf (Pflege- leistungs-Ergänzungsgesetz) (Drucksachen 14/6949, 14/7473) . . . . 19788 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem all- gemeinem Betreuungsbedarf (Pflege- leistungs-Ergänzungsgesetz) (Drucksachen 14/7154, 14/7473) . . . . 19788 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 V Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Fairen Wettbewerb im Luftver- kehr bewahren – Sicherheit erhöhen (Drucksache 14/7157) . . . . . . . . . . . . . . . 19788 C Tagesordnungspunkt 22: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Er- werb von Wertpapieren und von Un- ternehmensübernahmen (Drucksachen 14/7034, 14/7090, 14/7477) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19788 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Hartmut Schauerte, Gunnar Uldall, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Fairer Wettbewerb und Rechtssicherheit bei Unternehmensübernahmen in Europa – zu dem Antrag der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Gesetzliche Mitsprache- rechte bei Unternehmensüber- nahmen (Drucksachen 14/3776, 14/3394, 14/7477) 19788 D Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Fraktionen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP: Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad (Drucksache 14/7444) . . . . . . . . . . . . . . . 19789 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Sylvia Voß, Franziska Eichstädt- Bohlig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN: Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig stärken (Drucksache 14/7300) . . . . . . . . . . . . . . . 19789 C Tagesordnungspunkt 26: a) Antrag der Abgeordneten Gerhard Jüttemann, Eva Bulling-Schröter, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Mobilfunkstrahlung minimie- ren – Vorsorge stärken (Drucksache 14/7120) . . . . . . . . . . . . . 19789 C b) Antrag der Abgeordneten Ilse Aigner, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Mobilfunkforschung und Information vorantreiben (Drucksache 14/7286) . . . . . . . . . . . . . 19789 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19790 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19791 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Entwürfe: – eines Gesetzes zur Änderung des Auf- stiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG-ÄndG) – eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (1. AFBG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 19791 B Christian Simmert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19791 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Au Pairs von der Sozialversicherungs- pflicht freihalten – Rechtssicherheit für Aupairverhältnisse (Tagesordnungspunkt 10 a und b) . . . . . . . . . 19792 B Erika Lotz SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19792 B Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD . . . . . . . . 19792 D Dorothea Störr-Ritter CDU/CSU . . . . . . . . . . 19793 C Ekin Deligöz BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 19795 A Dirk Niebel FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19795 D Pia Maier PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19797 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Hilfe für die Opfer der Colonia Dig- nidad (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . 19797 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001VI Lothar Mark SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19797 D Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU . . . . . . . . . 19799 B Hans-Christian Ströbele BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 C Ulrich Irmer FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19801 A Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19801 C Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister AA . . . . . 19802 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bildung einer Leitstelle für See- sicherheit (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . 19803 A Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19803 A Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 19804 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19805 D Hans-Michael Goldmann FDP . . . . . . . . . . . 19806 B Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19706 D Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19707 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig stärken (Tagesordnungs- punkt 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19808 A Brunhilde Irber SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19808 A Annette Faße SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19808 D Ernst Hinsken CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19809 D Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . 19810 D Ernst Burgbacher FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 19811 D Rosel Neuhäuser PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19812 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Erleichterungen bei der inter- nationalen Vollstreckungshilfe (Tagesord- nungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19813 C Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19813 C Volker Kauder CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . 19814 A Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19815 C Jörg van Essen FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19816 A Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19816 C Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 19817 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflege- bedürftigen mit erheblichem allgemeinen Be- treuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungs- gesetz – PflEG) (Tagesordnungspunkt 18) . . . 19818 A Marga Elser SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19818 A Eva-Maria Kors CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19818 D Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19820 C Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19821 D Dr. Ilja Seifert PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19822 B Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19823 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fairen Wettbewerb im Luftver- kehr bewahren – Sicherheit erhöhen (Tages- ordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19824 A Hans-Günter Bruckmann SPD . . . . . . . . . . . 19824 A Norbert Königshofen CDU/CSU . . . . . . . . . . 19825 B Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19826 B Horst Friedrich (Bayreuth) FDP . . . . . . . . . . 19826 D Dr. Winfried Wolf PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19827 C Stephan Hilsberg, Parl. Staatssekretär BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19828 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unterneh- mensübernahmen – des Antrags: Fairer Wettbewerb und Rechtssicherheit bei Unternehmensüber- nahmen in Europa – des Antrags: Gesetzliche Mitspracherechte bei Unternehmensübernahmen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) . . . . . . . . . 19829 B Nina Hauer SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19829 B Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19830 A Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19831 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19832 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 VII Ursula Lötzer PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19833 A Hans Eichel, Bundesminister BMF . . . . . . . . 19834 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partner- schaftsabkommen vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifi- schen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ande- rerseits (AKP-EG-Partnerschaftsabkommen) (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 19835 A Dagmar Schmidt (Meschede) SPD . . . . . . . . . 19835 B Dr. Ralf Brauksiepe CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19836 B Joachim Günther (Plauen) FDP . . . . . . . . . . 19837 B Carsten Hübner PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19838 B Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin BMZ 19839 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechts- grundlagenderBundesschuldenverwaltung(Bun- deswertpapierverwaltungsgesetz – BWpVerwG) (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 19840 D Hans Georg Wagner SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19840 D Hans Jochen Henke CDU/CSU . . . . . . . . . . . 19841 A Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19841 D Gerhard Schüßler FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . 19842 B Dr. Uwe-Jens Rössel PDS . . . . . . . . . . . . . . . 19842 D Karl Diller, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . 19843 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) (Tagesordnungspunkt 25) 19844 A Alfred Hartenbach SPD . . . . . . . . . . . . . . . . . 19844 A Dr. Jürgen Gehb CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . 19844 D Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19845 D Rainer Funke FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19846 C Dr. Evelyn Kenzler PDS . . . . . . . . . . . . . . . . . 19847A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 19847 D Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Mobilfunkstrahlung minimieren – Vorsorge stärken – Mobilfunkforschung und Information vo- rantreiben (Tagesordnungspunkt 26 a und b) . . . . . . . . . 19849 A Marlene Rupprecht SPD . . . . . . . . . . . . . . . . 19849 A Ilse Aigner CDU/CSU . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19849 D Winfried Hermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19851 C Detlef Parr FDP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19852 B Gerhard Jüttemann PDS . . . . . . . . . . . . . . . . 19852 D Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001VIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001
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    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms 19790 (C)(A) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19791 (C) (D) (A) (B) Altmann (Aurich), Gila BÜNDNIS 90/ 15.11.2001 DIE GRÜNEN Bierwirth, Petra SPD 15.11.2001 Bulmahn, Edelgard SPD 15.11.2001 Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 15.11.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 15.11.2001 Peter Griefahn, Monika SPD 15.11.2001 Hohmann, Martin CDU/CSU 15.11.2001 Dr. Höll, Barbara PDS 15.11.2001 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 15.11.2001 Lippmann, Heidi PDS 15.11.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 15.11.2001 Schmidt (Aachen), SPD 15.11.2001 Ulla Dr. Spielmann, Margrit SPD 15.11.2001 Strebl, Matthäus CDU/CSU 15.11.2001 Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 15.11.2001 Dr. Thomae, Dieter FDP 15.11.2001 Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 15.11.2001 Volquartz, Angelika CDU/CSU 15.11.2001 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 15.11.2001 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Entwürfe: – eines Gesetzes zur Änderung des Aufstiegsfort- bildungsförderungsgesetzes (AFBG-ÄndG) – eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Auf- stiegsfortbildungsförderungsgesetzes (1. AFBG- ÄndG) (Tagesordnungspunkt 16) Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit der Novelle des „Meister-BAföGs“ nicht nur die dringend notwendige Qualifizierungsoffensive in der beruflichen Bildung fort, entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlagen zum Stenographischen Bericht sie fördert vor allem angehende Existenzgründer und Exis- tenzgründerinnen nachhaltig. Wir weiten die Förderung aus und bessern in wesentlichen Punkten nach. Dabei ist es grundlegend wichtig, die Finanzierungs- grundlage für den Lebensunterhalt und die Lehrgangskos- ten für die Fortbildungskurse bereitzustellen. Auch für die Existenzgründer gilt unser Grundverständnis der Zu- gangsgerechtigkeit. Durch die Novelle wird konkrete Mittelstandsförde- rung nachhaltig betrieben, das sie mit der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen gekoppelt ist. Wir he- ben den Darlehenserlass von 50 Prozent auf 75 Prozent. Dies ist ein deutlicher Anreiz für Existenzgründer. Die Frist für die Existenzgründung ist vor allem auf Drängen von Bündnis 90/Die Grünen von zwei auf drei Jahre ver- längert worden, um den Gründerinnen größeren Spiel- raum zu verschaffen. Ebenfalls ist die Frist für die Einstellung von zwei Beschäftigten auf zwei Jahre he- raufgesetzt worden. Mit der Koppelung deutlicher staat- licher Förderung und der Schaffung von Arbeitsplätzen ist zukünftig einerseits von einer erhöhten Zahl von An- tragstellern und Antragstellerinnen auszugehen; anderer- seits erwarten wir langfristig Entlastungseffekte auf dem Arbeitsmarkt. Um angespartes Vermögen der Existenzgründer zu schonen, wird der Vermögensbeitrag für Alleinstehende deutlich auf 70 000 DM angehoben. Für die Ehefrau und jedes Kind werden zusätzlich 3 500 DM angerechnet. Liebe Damen und Herren von der CDU/CSU, ich for- dere Sie auf, sich an dieser Stelle den Realitäten des Sub- sidiaritätsprinzips wieder anzuschließen. Der Staat muss aus grüner Sicht dann fördern, wenn es für die Teilnehmer notwendig ist. Wer mehr als den angesetzten Freibetrag auf der hohen Kante hat, ist in der Lage, sich selbst zu fi- nanzieren. Wir wollen mit der Novelle des „Meister- BAföGs“ keine Subventionspolitik betreiben. Die Aufstiegsfortbildung wird aber auch wieder ein zentrales Förderinstrument zur gezielten beruflichen Wei- terbildung. Die rot-grüne Bundesregierung setzt mit die- ser Novelle ein deutliches Zeichen. Mehr Menschen mit Kindern haben durch die Novelle die Chance, sich zu qua- lifizieren. Familien mit Kindern und Alleinerziehende er- halten nämlich künftig bessere Förderkonditionen bei Vollzeit- und Teilzeitfortbildungen. Wir erhöhen den Kin- derzuschlag beim Unterhaltsbetrag von 250 auf 350 DM und den Kinderbetreuungszuschuss auf 250 DM. In Här- tefällen wird das Darlehen für Alleinerziehende gestundet oder sogar erlassen. Das Kindergeld wird nicht auf das Einkommen angerechnet. An dieser Stelle berücksichtigt Rot-Grün ganz gezielt die Lebensumstände von Familien und Alleinerziehenden und erhöht ihre Beteiligungsmög- lichkeit in der beruflichen Weiterbildung. Es kann nicht um Kind oder Karriere gehen. Wir wollen Eltern beides ermöglichen. Des Weiteren werden ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer inländischen gleichgestellt und können in verstärktem Maße gefördert werden. Das bedeutet, dass sie bereits nach dreijähriger Erwerbstätigkeit gefördert werden können. Wir begreifen Migrantinnen und Migran- ten als Teil der Gesellschaft und wollen an dieser Stelle ei- nen Beitrag zur Integration leisten. Diese, liebe Kollegin- nen und Kollegen, meinen Bündnis 90/Die Grünen mit der Beseitigung von Zugangshindernissen. Darüber hinaus werden die geförderten Berufsfelder deutlich erweitert. Gesundheits- und Pflegeberufe und die Abschlüsse an staatlich anerkannten Ergänzungsschulen werden uneingeschränkt in die Förderung einbezogen. Teilzeitfortbildung und die Fortbildung über Softwarege- stützte Lernmodule werden ermöglicht. Rot-Grün gestaltet die Förderung der Aufstiegsfortbil- dung analog zur BAföG-Reform. Wir erhöhen den Unter- haltsbetrag für Alleinstehende um rund 10 Prozent. Wir machen mit dieser Novelle des „Meister-BAföGs“ deutlich, dass sich die Koalition ihrer Verantwortung und der Modernisierung sowohl der beruflichen Bildung als auch des Mittelstandes stellt. Die Förderung von Fach- kräften bei der Aufstiegsfortbildung wird so zu einer zen- tralen Bildungsaufgabe, bei der der einzelne Mensch mit seinen Möglichkeiten wieder im Mittelpunkt steht. Ich freue mich über die weitgehende Übereinstimmung bei entscheidenden Elementen der Novelle und fordere Sie daher nachdrücklich auf, dieser zuzustimmen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge: – Aupairs von der Sozialversicherungspflicht freihalten – Rechtssicherheit für Aupairverhältnisse (Tagesordnungspunkt 10a und b) Erika Lotz (SPD): Bei diesem Antrag habe ich mir die Frage gestellt, für wen Sie ihr Herz entdeckt haben. Der Antrag klärt das ja auch im zweiten Absatz. Sie beklagen dort nämlich, dass die Bundesanstalt für Arbeit die Au- pairs als sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs- verhältnisse einstufen will und Mehrkosten auf die Gast- familien zukommen. Das, stimmt aber einfach nicht. Und deshalb können wir ihrer Forderung nach einer generellen Sozialversiche- rungsfreiheit von Aupairs auch nicht zustimmen. Im Vordergrund der Aupairaufenthalte steht das Anlie- gen der jungen Menschen, in den Gastfamilien Sprache und Kultur kennenzulernen und so die internationale Ver- ständigung zu fördern. In den Gastfamilien sollen sie bei der Hausarbeit mithelfen – so, wie es die eigenen Kinder auch tun müssen oder sollten. Es muss dabei ausreichend Zeit für Sprachunterricht und auch für die Freizeit bleiben. Stimmt dieses Bild mit der Wirklichkeit überall über- ein? Das nette junge Mädchen aus England oder Frank- reich, das nach der Schule für ein Jahr nach Deutschland kommt, um die Sprache zu lernen und gleichzeitig das Le- ben in einer Familie kennenzulernen, das ist nur ein Teil der Realität. Unter den Aupairs finden wir immer mehr junge Mädchen aus Polen, Tschechien und Südamerika. Sie haben die Hoffnung, auf diesem Weg dauerhaft mit ei- ner Arbeitserlaubnis hier bleiben zu können. Und da liegt es doch nahe, dass diese Hoffnungen auch ausgenutzt werden. Da spielen wir nicht mit. Wir wollen nicht, dass durch eine gesetzliche Regelung Tür und Tor geöffnet werden, dass „Clevere“ die Hoffnungen junger Menschen ausnut- zen, um an billige Hausangestellte zu kommen. Aber ein Aupair ist eben keine Hausangestellte. Und deshalb wer- den wir hier keinen Freibrief ausstellen. Wer den Schutz durch die Sozialversicherungen braucht, der muss ihn auch bekommen. Und wer 30 Stun- den pro Woche arbeitet, der braucht ihn. Wir haben in den letzten drei Jahren die Erosion der Sozialversicherungen gestoppt. Wir haben viele Men- schen wieder in die Sozialversicherungen zurück geholt, die ihren Schutz dringend brauchen. Ich erinnere da nur an die geringfügig Beschäftigten und die Scheinselbst- ständigen. Die Abgeordneten, die diesen Antrag stellen – neben FDP- und PDS-Abgeordneten sind es auch eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion –, versuchen mit ihrem Antrag jetzt, ein Hintertürchen zu öffnen, durch das sich auch bei ganz normalen Arbeits- verhältnissen der Arbeitgeber die Beiträge zur Sozialver- sicherung sparen kann. 30 Stunden Arbeit pro Woche – das sind doppelt so viele Stunden, wie bei geringfügiger Beschäftigung möglich sind. Wir wissen ja, dass Sie die solidarischen Sozialversi- cherungen am liebsten ganz abschaffen möchten. Aber uns ist es wichtig, dass sich die Menschen in diesem Land auch in Zukunft auf die Solidarität der Gesellschaft ver- lassen können. Diese Sicherheit haben sie jetzt – auch die Aupairs. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Rechtssicherheit für Au- pairverhältnisse“ ist deshalb schlicht überflüssig. Die Rechtslage ist eindeutig; erst im Oktober haben die Spit- zenverbände der Sozialversicherungen in einem Gespräch bestehende Unstimmigkeiten beseitigt. Wir wollen die wirklichen Gasteltern keineswegs be- lasten und zurzeit passiert das auch nicht. Aber auch in Zukunft muss ganz genau geschaut werden, ob eine Fa- milie wirklich ein Aupair aufgenommen hat oder ob sie das, was als kultureller Austausch gedacht ist, ausnutzt, um einfach an eine billige Haushaltshilfe zu kommen. Walter Hoffmann (Darmstadt) (PDS): Eine seltsame Koalition hat sich zu diesem Gruppenantrag zusammen- gefunden. Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU, FDP und PDS sorgen sich um die angeblich drohende So- zialversicherungspflicht von Aupairs. Ich habe nicht verstanden, wieso PDS-Kolleginnen und -Kollegen einen Antrag unterstützen, der in der Sub- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119792 (C) (D) (A) (B) stanz neoliberalem Gedankengut entspringt. Ich habe nicht verstanden, wieso Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU sich mit Abgeordneten der PDS verbünden, wenn diese eine sozialversicherungsfreie 30-Stunden- Woche in Privathaushalten fordern und damit das Dienst- mädchenprivileg durch die Hintertür wieder einführen wollen. Von der FDP ist man ja so etwas gewohnt. Wie hat es meine Kollegin Renate Rennebach heute Morgen so schön im „Deutschlandfunk“ formuliert: „Wenn ich mit der FDP Sozialpolitik machen müsste, würden mir grüne Pickel wachsen.“ Und inhaltlich habe ich den Antrag schon gar nicht ver- standen. Denn keiner will hier irgendetwas ändern. Aupairs werden seit 1969 in der immer gleichen Weise behandelt: Jeder konkrete Einzelfall wird vorab geprüft, um auszuschließen, dass diese sinnvolle Einrichtung zur kulturellen und sprachlichen Begegnung für junge Men- schen in Deutschland missbraucht wird. Es wird etwas ge- nauer hingeschaut, damit junge Menschen nicht schamlos als billige Haushaltshilfe ausgenutzt werden, wie die Kol- legin Erika Lotz es schon richtigerweise gesagt hat. Verständnis fehlt aber auch Ihnen, liebe Unterstütze- rinnen und Unterstützer dieses Antrags. Sie haben nicht verstanden, dass staatlich gesetzte Regeln auf dem Ar- beitsmarkt auch zum Schutz von Personen da sind und nicht zur „Schikane“ der Arbeitgeber. Gerade bei den au- pairs ist dies ganz eindeutig. Geht es doch hier um junge Menschen, die in ein fremdes Land kommen und leicht ausgenutzt werden können. Rechtliche Grundlage für das gültige Verfahren ist ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahre 1969. Schon damals haben sich die Spitzenverbände der Sozial- versicherung darauf geeinigt, dass jedes so genannte so- zialversicherungsfreie Betreuungsverhältnis besonderer Art überprüft werden soll, wenn das vereinbarte Taschen- geld mehr als ein Zwölftel der monatlichen Bezugsgröße beträgt. Heute liegt diese Grenze, bis zu der ein Aupair- aufenthalt ungeprüft angenommen wird, bei 213,33 DM. Nun hat es einen Widerspruch gegeben zwischen der Empfehlung der Bundesanstalt für Arbeit, den jungen Menschen 400 DM Taschengeld zu zahlen und der bishe- rigen Praxis, bei diesem Betrag schon Missbrauch zu be- fürchten. Im Oktober haben sich die Sozialversicherungs- träger getroffen und verabredet, dass es bezüglich der Vermutungsgrenze zu einer Veränderung kommen muss. Die Bundesanstalt für Arbeit will deshalb bei der nächs- ten Besprechung der Sozialversicherungsverbände darauf drängen, dass der empfohlene Taschengeldbetrag auch gleichzeitig der Betrag der Grenze der ungeprüften Ver- mutung ist. Es wird also – vorbehaltlich der Zustimmung der Sozialversicherungsträger – in Zukunft von einer Prü- fung abgesehen werden, wenn offenbar alle rechtlichen Voraussetzungen eines Aupairaufenthalts vorliegen und das Taschengeld nicht mehr als 400 DM beträgt. Damit ist diese Sache erledigt und Ihre Befürchtung auch. Für bedenklich halte ich allerdings einen Teil Ihrer Be- gründung. Es ist nicht vorrangiger Zweck der Aupairver- hältnisse, die Rückkehr eines Elternteils in den Arbeits- markt zu ermöglichen. Es kann auch kein wesentlicher Sinn sein, die Weiterbildung und Qualifizierung mithilfe von Aupairmädchen zu erleichtern. Man bekommt den Eindruck, Sie halten Aupairverhältnisse für eine Art lega- ler Schwarzarbeit. Die Alternative darf doch nicht heißen: Aupair oder Schwarzarbeit. Vielmehr sollten wir unsere Kraft und Energie darauf konzentrieren, nach intelligen- ten Konzepten zu suchen, wie sozialversicherungspflich- tige und bezahlbare Beschäftigung in Privathaushalten er- möglicht werden kann. Hier gibt es meiner Ansicht nach einen großen Bedarf, der weit über die Einsatzmöglich- keiten von Aupairs hinausgeht. Dieser Bereich bietet aber auch große Chancen für die Menschen und den Arbeits- markt. Ich fasse zusammen: Es gibt keinen Anlass für Ihre Be- fürchtungen. Niemand will Aupairverhältnisse sozialver- sicherungspflichtig machen und bestehende Wider- sprüche werden beseitigt. Wir denken intensiv über Lösungen im Bereich der Haushaltshilfen nach. Wenn wir solche Anträge nicht beraten müssten, hätten wir dafür vielmehr Zeit. Dorothea Störr-Ritter (CDU-CSU): Erstens. Was ist ein Aupairverhältnis? Ein Aupairverhältnis ist ein auf eine bestimmte Dauer – meist bis zu einem Jahr – befris-tetes Beschäftigungsverhältnis besonderer Art. Es besteht meist zwischen jungen Frauen aus EG- oder EWR-Staa- ten und einer deutschen Gastfamilie. Im Vordergrund steht für die Aupairs, die Sprach- kenntnisse zu vervollständigen und das Allgemeinwissen durch eine bessere Kenntnis des Gastlandes zu erweitern. Dazu trägt das Erleben des Alltags einer Gastfamilie bei. Aupairs müssen mindestens 17 Jahre alt sein, bei Min- derjährigen ist eine schriftliche Einverständniserklärung des gesetzlichen Vertreters erforderlich. Es wird erwartet, dass Aupairs über gute Grundkenntnisse der deutschen Umgangssprache verfügen. Aupairs sollen sich ernsthaft und nachdrücklich um die Vervollständigung ihrer Kennt- nisse der deutschen Sprache bemühen. Sie sollen aus vielen neuen und zum Teil ungewohnten, manchmal schwierigen, aber schönen Eindrücken eine wertvolle Le- benserfahrung gewinnen. Wie kommt ein Aupairverhältnis zustande? Jede ange- hende Aupairgastfamilie darf Aupairs, die Staatsan- gehörige anderer EU/EWR-Mitgliedstaaten sind, selbst anwerben. Es besteht insoweit keine Verpflichtung, einen Vermittler in Anspruch zu nehmen. Bei Anwerbung eines nicht EU/EWR-Aupairs muss ein inländischer Vermittler eingeschaltet werden. Zulässig ist auch die Selbstsuche einer Gastfamilie der angehenden Aupairs durch eigene Initiative. Die täglichen Aufgaben eines Aupairs sind sehr unter- schiedlich. Sie hängen ganz von der Eigenart und dem Le- bensstil der Familie ab, die das Aupair bei sich aufge- nommen hat. Im Allgemeinen gehören zum Alltag eines Aupairs: erstens die Verrichtung leichter Hausarbeiten, das heißt mitzuhelfen, die Wohnung sauber und in Ordnung zu hal- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19793 (C) (D) (A) (B) ten, ebenso das Helfen beim Waschen und Bügeln der Wä- sche; zweitens die Zubereitung des Frühstücks und einfa- cher Mahlzeiten; drittens die Betreuung jüngerer Kinder, – das umfasst die Beaufsichtigung, die Begleitung auf dem Weg in den Kindergarten oder in die Schule oder zu verschiedenen Veranstaltungen, Spaziergänge oder ge- meinsames Spiel – ; viertens das Haus bzw. die Wohnung zu hüten und eventuell Haustiere zu betreuen. – So aus ei- ner Information des Arbeitsamtes. Das alles ist zu verstehen als eine Erleichterung der Fa- milienarbeit. Die tägliche Arbeitszeit soll grundsätzlich nicht mehr als fünf Stunden betragen. Überstunden müssten zeitlich ausgeglichen werden. Insbesondere hat sich die Eintei- lung der Arbeitszeit nach den häuslichen Gegebenheiten und Bedürfnissen der Familie zu richten. Unterkunft und Verpflegung werden von der Gastfa- milie unentgeltlich gestellt. Dem Aupair steht ein eigenes Zimmer innerhalb der Familienwohnung zur Verfügung. Das Essen erhält das Aupair wie die Familienangehörigen auch. Anzustreben ist eine Integration in die Gastfamilie. Bisher erfolgte die Versicherung durch die Gastfamilie für den Fall der Krankheit ebenso die Anmeldung zur gesetz- lichen Unfallversicherung und der Abschluss einer Haft- pflichtversicherung. Das Ganze für rund 60 DM im Mo- nat. Ebenso erfolgt die Zahlung einer angemessenen Vergütung, also eines Taschengeldes, das zurzeit übli- cherweise 400 DM beträgt und ab 213,33 DM sozialver- sicherungspflichtig sein soll. Die Gastfamilien solle eine Integration des Aupairs in die Familien ermöglichen. Des- halb steht im Vordergrund das Anliegen, jungen Men- schen durch einen solchen Aufenthalt die Möglichkeit zu eröffnen, Lebenserfahrungen in anderen Ländern zu sam- meln. Sprachen und Kulturen kennen zu lernen und letzt- endlich auch den internationalen Beschäftigungsaus- tausch zu fördern. Aupairs sollten Gäste in einer Familie sein und das Familienleben und das kulturelle Leben des Gastlandes der Gastfamilie kennen lernen. Das Aupair- verhältnis ist ein gegenseitiges Lernfeld. Etwa 28 000 junge Menschen werden jährlich als Au- pair in eine deutsche oder ausländische Gastfamilie vermittelt. Es freut uns alle sehr, dass in den vergangenen Jahren insbesondere der Austausch mit den Ostländern immer intensiver wurde. Das Aupairverhältnis ist also ein bewährtes internatio- nales Jugendaustauschprogramm. Aber auch die Gast- familien sollen etwas davon haben: Erstens. Es hilft Fa- milien, insbesondere jungen Familien, Familie und Beruf ohne staatliche Hilfe besser zu vereinbaren, und eröffnet damit Eltern die Möglichkeit, trotz Kindern im Berufsle- ben zumindest teilweise zu verbleiben. Das gilt insbeson- dere für Familien, die finanziell nicht zur gesellschaftli- chen Oberschicht gehören, sondern zur großen Mitte. Zweitens. Es fördert das Verständnis zwischen unter- schiedlichen Kulturen und Nationen. In der heutigen Zeit sind die internationale Verständigung und das gegensei- tige Verstehen ein absolutes Muss. Und das soll nun alles vorbei sein? Aupairs, ade? Das ist hier die Frage. Und wenn ja, warum? Die Aupairver- hältnisse sollen wie schon die 630 DM Beschäftigungs- verhältnisse und die Scheinselbstständigen die Löcher in den Sozialversicherungskassen stopfen. Das ist kein Wunder die Löcher werden immer größer. Aber verwun- derlich ist doch, dass der Regierung kein Peanut klein ge- nug ist, um ihn nicht auch noch zu vertilgen. In ihrer großen Hungersnot verleibt sich die Regierung alles ein, was sie zwischen ihre Finger bekommt. Und jetzt sind die Aupairs und ihre Gasteltern dran. Die Not ist freilich groß. Denn was sitzt Ihnen, liebe Kollegen der Regierungsko- alition, nicht alles im Nacken? Anfang 2002 werden die Sozialbeiträge vermutlich auf über 41 Prozent steigen. Rechnet man die Bundeszuschüsse in Höhe von 140 Mil- liarden DM ein, liegt die Belastung faktisch bei 50 Pro- zent, schlechter als bei Regierungsantritt vor drei Jahren. Die Schwankungsreserve in der Rentenversicherung soll aufgebraucht werden. Und ein weiterer Beitrags- und Ausgabenschub droht in den nächsten zwei Jahren. Und das passiert, weil geeignete und notwendige Struk- turreformen entweder nicht gemacht wurden oder wie die Gesundheits- und Rentenreform im Chaos endeten. Statt die Systeme zu stabilisieren, wurden sie destabilisiert. Das gilt für Beitragssätze wie für Leistungen. Wie hilflos die Regierung in dieser Situation ist, in ei- ner Situation, in der Milliardenbeträge von D-Mark in den Kassen fehlen, zeigt die Tatsache, dass man nun auch von gerade mal 28 000 Aupairverhältnisse auch noch Beiträge kassieren will. Ab Herbst will die Bundesanstalt für Ar- beit nahezu alle Aupairaufenthalte als sozialversiche- rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einstufen: Ein Peanutsbetrag für die Sozialkassen, aber – und das ist das Verwerfliche dabei – ein erheblicher Belastungsbetrag für alle Gastfamilien, die dieses sinnvolle und wertvolle Projekt in Anspruch nehmen und unterstützen. Für die Gastfamilien heißt das monatliche Mehrkosten in Höhe von 450/480 DM. Wer soll das bezahlen können, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Re- gierungskoalition? Sie wissen genau, dass das heißt: Au- pair, ade! Das Bundesarbeitsministerium definiert zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit und den Sozialkassen den Aupairstatus neuerdings als Arbeitnehmerstatus und setzt die gesetzliche Sozialversicherungspflicht durch, obwohl das europäische Abkommen über die Aupairbe- schäftigung aus dem Jahr 1969 die Aupairs aus ganz be- stimmten Gründen als eine Beschäftigungsgruppe be- sonderer Art definiert. Aus blanker Not schafft man den Arbeitgeber Familie und die Arbeitnehmerin Aupair. Selbst der Kulturaustausch muss zum Abkassieren die- nen. Was für ein Offenbarungseid! Es ist wohl richtig, dass Aupairverhältnisse in den ver- gangenen Jahren auch missbraucht worden sind. Dem ist Einhalt zu gebieten. Aber wenn Aupairs künftig als Haus- angestellte eingestuft werden, dann werden sie doch auch so behandelt. Missbrauch muss verhindert werden, aber das eigentli- che Aupairverhältnis muss weiter möglich sein. Deshalb beantragen wir: Erstens, dass Aupairverhältnisse bis zu ei- nem Taschengeld von 400 DM/monatlich grundsätzlich sozialversicherungsfrei bleiben und zwar ohne Anrech- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119794 (C) (D) (A) (B) nung geldwerter Leistungen für Verpflegung und Unter- kunft; Zweitens, dass ein ausreichender Sprachkurs in deutscher Sprache Voraussetzung für die Sozialversiche- rungsfreiheit ist. Drittens, dass die wie bisher übliche Mit- hilfe im Haushalt und der Sprachkurs von den Gasteltern bei Beantragung der Einreiseerlaubnis dargelegt werden. Insbesondere der Sprachunterricht bietet eine Möglichkeit der Kontrolle. Und deshalb sollte dieser Voraussetzung sein. Die Teilnahme an einem Sprachkurs bietet den Unterrichtspersonen die Möglichkeit, zu erken- nen oder herauszufinden, ob in einem Aupairverhältnis et- was schief läuft. Dies sollten wir im Sinne der jungen Frauen unbedingt nutzen. Aber eine Untersuchung des Aupairverhältnisses durch die Sozialversicherungsträger ist reine Schnüffelei. Dies sollten wir im Sinne der gelun- genen Aupairverhältnisse tunlichst unterlassen. Denn die gelungenen Verhältnisse überwiegen. Und diese gilt es zu fördern. Stimmen Sie deshalb für unseren Lösungsvorschlag im Sinne der Rechtssicherheit für Aupairs und ihre Gasteltern und der Förderung von Aupairverhältnissen. Verhindern Sie mit uns, was der Bundesarbeitsminister zusammen mit der Bundesanstalt für Arbeit und den Sozialkassen plant. Oder wollen Sie es verantworten, wenn es in Deutschland künftig nur noch heißt: Aupairs ade! Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die FDP unterstellt in ihrem Antrag, dass Aupairs der Sozialversi- cherungspflicht unterworfen werden sollen. Dies trifft nicht zu, der Antrag ist deshalb hinfällig. Die Bundesan- stalt für Arbeit wird lediglich das Merkblatt für die Anmel- dung von Aupairs verändern und dabei eine definitorische Klarstellung vornehmen. Auch in Zukunft soll eine Tätig- keit als Aupair nicht als Beschäftigung gewertet werden. Eine definitorische Klärung, um Rechtssicherheit zu schaffen – wie es der CDU/CSU-Antrag fordert – findet damit bereits statt. Wir müssen diesen im Prinzip sehr be- rechtigten Antrag ablehnen, weil er bereits erledigt ist. Grundsätzlich können Aupair auch künftig sowohl bei der Erfüllung häuslicher Arbeiten als auch in der Betreu- ung älterer Menschen eingesetzt werden. Ihre Tätigkeit beschränken sich nicht auf die Mitwirkung bei der Be- treuung von Kindern oder im Haushalt. Hinzu kommt: Grundsätzlich können Familien auch Aupairs bei sich auf- nehmen, welche nicht aus der EU kommen. In den vergangenen Jahren zeichnet sich anscheinend die Tendenz ab, dass vermehrt Personen aus Osteuropa als Aupair in Familien leben und diese vorwiegend in die Be- treuung älterer Menschen eingebunden sind. Dies ist an sich nicht problematisch. Problematisch ist, dass diese Menschen weniger ein Interesse daran haben, Land und Leute kennen zu lernen und die Sprache zu erlernen. Das Interesse dieser Menschen geht eher darauf hinaus, einer Beschäftigung nachzugehen und Geld zu verdienen. Dies widerspricht dem Geist der Aupairregelungen. Insofern ist zu fragen, ob die Tätigkeiten dieser Menschen nicht doch eher den Charakter einer sozialversicherungspflich- tigen Beschäftigung trägt. Auch darüber sollten wir offen diskutieren. Es ist unstrittig, dass für die betroffenen Familien, die häusliche Pflege zu leisten haben, eine Lösung gefunden werden sollte, welche ihrer Situation Rechnung trägt. Dies ist in der Tat künftig im Gesetzgebungsverfahren zu klären, ist aber kein Votum für eine bestimmte Losung und für eine bestimmte Verankerung. Ein Problem ist die Betreuung von Demenzkranken. Diese werden nicht nach Pflegestufe III eingeordnet. Sie müssen häufig nicht aufwendig medizinisch gepflegt wer- den, aber zeitlich umfassend begleitet und betreut werden. Aus diesem Grund entsteht eine Lücke zwischen den Mit- teln, welche die Familien aus der Pflegeversicherung er- halten können, und den Mitteln, die sie bräuchten, um eine Person in der Familie zu beschäftigen. In der Pflege- stufe III werden 1 800 DM ausgeschüttet, in der Pflege- stufe II nur noch 800 DM. Es müsste entschieden werden, wie diese Lücke geschlossen werden könnte. Das Pflege- leistungsergänzungsgesetz weist den Ländern beispiels- weise Mittel zu, welche dazu verwandt werden sollen, die Situation von Demenzkranken zu verbessern. Es sollte deshalb ausgelotet werden, welche Möglich- keiten die Länder haben, einen ergänzenden Bedarf zu decken und welche bundesgesetzlichen Hürden dafür zu beseitigen wären. Die Länder haben nach Einführung der Pflegeversicherung erhebliche Mittel bei der Hilfe zur Pflege eingespart. Sie sollten und wollten diese in die Pflegeinfrastruktur investieren, haben dies aber nur sehr begrenzt getan. Es sind also noch einige Fragen offen, die sicher im Rahmen der Ausschussberatungen eine Rolle spielen wer- den – auch wenn die beiden Oppositionsanträge das Thema verfehlen. Dirk Niebel (FDP): Aupairaufenthalte fördern das ge- genseitige Kennenlernen zwischen Menschen verschiede- ner Nationen ohne größeren finanziellen Aufwand. Sie sind als wichtiges Kulturgut für den internationalen Ju- gendaustausch anerkannt. Aupairs werden als Familien- mitglieder auf Zeit und als Gäste aufgenommen. Aupairs sind keine Hausangestellten. Sie helfen bei den anfallenden familienüblichen Arbeiten und bei der Kinderbetreuung in der Gastfamilie mit. Dies ist keine so- zialversicherungspflichtige Berufstätigkeit. Aupairs ha- ben die Möglichkeit, am Familienleben und am kulturel- len Leben teilzunehmen. Im Vordergrund steht das Erlernen der Sprache und das Kennenlernen von Land und Leuten. Das Infoblatt der Bundesanstalt für Arbeit für Gastfa- milien empfiehlt Hausarbeiten von nicht mehr als 5 Stun- den täglich an höchstens 5 Tagen pro Woche. Dazu soll ein angemessenes Taschengeld von zurzeit 400 DM monat- lich gezahlt und ein eigenes Zimmer gestellt werden. Aupairs müssen an Sprachkursen teilnehmen und erhalten Urlaub. Wenn Familien sich nicht an die im Merkblatt ge- forderten Mindeststandards halten, werden Visa, Aufent- halts- und Arbeitsgenehmigungen oftmals überhaupt nicht erteilt. Jetzt will die Bundesanstalt für Arbeit in Kooperation mit den Rentenversicherungsträgern Aupairaufenthalte Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19795 (C) (D) (A) (B) als sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhält- nisse einstufen. Die Tätigkeit eines Aupairs bis zu 30 Stunden pro Woche übersteigt die für geringfügige Be- schäftigungen erlaubten 15 Stunden. Das empfohlene Ta- schengeld von 400 DM übersteigt mit den geldwerten Leistungen sicherlich einen 630 DM-Minijob. Wenn man nicht mehr wie bisher von einem Betreuungsverhältnis besonderer Art ausgeht, sondern von einem Arbeitsver- hältnis, besteht Sozialversicherungspflicht. Die Spitzenverbände der Sozialversicherung legen fest, dass ein Taschengeld von 213,33 DM für die alten und 180 DM für die neuen Bundesländer den Aupairsta- tus festigt. Dies ist wahrlich kein luxuriöser Taschengeld- satz für erwachsene junge Menschen. Ich frage Sie, wie bei den heutigen Lebenshaltungskosten davon noch kul- turelle Veranstaltungen und Sprachkurse bezahlt werden sollen. Junge Menschen wollen doch auch einmal etwas erleben und ins Cafe, Kino oder Theater gehen. Mit der Sozialversicherungspflicht erhalten Gastfami- lien Arbeitgeberstatus und Aupairs werden Arbeitnehmer. Auf die Gastfamilien kommen dann monatlich Mehrkos- ten in Höhe von 450 bis 580 DM für gesetzliche Kran- ken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu. Bisher werden Aupairs in Höhe von etwa 60 bis 80 DM im Monat privat kranken-, unfall- und haftpflichtversichert. Ich habe diesen Gruppenantrag mit Stimmen von FDP, CDU/CSU und PDS initiiert, damit das Sozialgesetzbuch dahingehend klargestellt wird, dass Aupairaufenthalte nicht als Beschäftigungsverhältnisse eingestuft werden, sondern als Betreuungsverhältnisse besonderer Art. Aupairaufenthalte dürfen grundsätzlich nicht sozialversi- cherungspflichtig sein. Ich finde es kontraproduktiv, dass die Union nun mit einem eigenen Antrag die Sache zu einer parteipolitischen Angelegenheit macht. Dieser Antrag ist inhaltlich weni- ger konstruktiv und fällt mit seinen Forderungen hinter unseren Gruppenantrag zurück. Es ist auch schade, dass SPD und Grüne sich nicht am Gruppenantrag beteiligen. Wahrscheinlich dürfen sie nicht, seit Müntefering das Ge- wissen abgeschafft hat. Wir fordern die Bundesregierung auf, gesetzlich zu re- geln, dass Aupairs unter 25 Jahren sozialversicherungsfrei gestellt werden bei einem Aufenthalt bis zu einem Jahr für eine Beschäftigung in einer Familie bis zu höchstens 5 Stunden täglich bzw. höchstens 30 Stunden wöchentlich ohne Anrechnung geldwerter Leistungen für Verpflegung und Unterkunft und bei Zahlung eines Taschengeldes von derzeit 400 DM monatlich. Das ist die Festschreibung des derzeit gültigen Standards. Hier geht es um Rechtssicher- heit, nicht um irgendeine Neuregelung. Das Bundessozialgericht hat in einem Urteil vom 29. Ok- tober 1969 festgestellt, dass eine von einem deutschen Aupair im Ausland bei einer Familie ausgeübte Halbtags- tätigkeit als ein Betreuungsverhältnis besonderer Art an- zusehen ist, wenn sie ausschließlich dem Zweck dient, die Kenntnisse in der Sprache des Gastgeberlandes zu ver- bessern. Es ist keine Beschäftigung gegen Entgelt im Sinne der Sozialversicherung, auch wenn neben freier Unterkunft und Verpflegung geringe Barbezüge gewährt werden. Im Europäischen Abkommen über Aupairbeschäfti- gung werden Aupairs als eine Beschäftigungsgruppe be- sonderer Art zwischen Studenten und Arbeitnehmern de- finiert. Aupairbeschäftigung besteht in der zeitlich begrenzten Aufnahme von jungen Ausländern, die ihre Sprachkenntnisse vervollständigen und ihre Allgemein- bildung durch eine bessere Kenntnis des Gastlandes er- weitern wollen. Deutschland hat das Abkommen zwar nicht ratifiziert, aber wir haben es so praktiziert. Etwa 28 000 junge Menschen werden jährlich als Aupair in eine deutsche oder ausländische Gastfamilie vermittelt. Nach der bisherigen Praxis prüfen die zu- ständigen Krankenkassen als Einzugsstelle des Gesamt- sozialversicherungsbeitrags die Voraussetzungen für die Sozialversicherungsfreiheit bzw. Sozialversicherungs- pflichtigkeit im Einzelfall. Die von der Bundesanstalt für Arbeit geplante Ände- rung der Merkblätter würde die gesetzliche Sozialversi- cherung mit allen Folgekosten zur Pflicht machen. Aupairaufenthalte werden dadurch unnötig bürokratisiert und künstlich verteuert. Aupairs werden niemals Nutzen aus ihren Beiträgen für Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung ziehen können, weil ihr Aufenthalt vorher beendet wird. Es ist auch verfassungsrechtlich bedenklich, wenn zukünftig die Aupairs als Arbeitnehmer und die Gastfamilie als Ar- beitgeber mit Beiträgen belastet werden, die sich für die Aupairs faktisch nicht in Leistungen der Sozialversiche- rungsträger niederschlagen werden. Es liegt die Vermutung nahe, dass es wieder mal nur ums Abkassieren geht. Aber 28 000 Aupairs werden un- sere maroden Sozialkassen nicht sanieren können! Das schaffen nur echte Strukturreformen! Die zusätzliche finanzielle Belastung für die Gastfami- lien wird die Motivation erheblich dämpfen, einem Aupair einen Aufenthalt zu ermöglichen. Viele Gastfami- lien werden sich dann kein Aupair mehr leisten können. Über die Einkommensklassen von Gastfamilien gibt es nach Auskunft der Bundesregierung keine Daten. Es ist aber davon auszugehen, dass Aupairaufenthalte in Fami- lien aller Einkommensklassen angeboten werden. Aupairaufenthalte haben keine Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt. Sie stehen nicht in Konkurrenz zu Arbeitsverhältnissen. Aber die Kinderbetreuung durch Aupairs ermöglicht oftmals die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Rückkehr eines Elternteils in den Ar- beitsmarkt. Dies gewinnt vor dem Hintergrund des stei- genden Weiterbildungs- und Qualifizierungsbedarfs ei- nerseits und des Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels andererseits zunehmend an Bedeutung. Durch die fakti- sche Abschaffung von Aupairaufenthalten wird nach den Einschränkungen bei der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Haushaltshilfen und Kinderbetreuungsleistungen Schwarzarbeit in privaten Haushalten gefördert. Ein Aupairaufenthalt ist eine kostengünstige Möglich- keit für junge Erwachsene, neue Länder, Sprachen und Kulturen kennen zu lernen. Viele Aupairs machen Erfah- rungen und Kontakte in dieser Zeit, die ein Leben lang nachwirken. Die faktische Abschaffung der Aupairaufent- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119796 (C) (D) (A) (B) halte wird sich nachteilig auf den Jugendaustausch, die kulturelle und sprachliche Begegnung der Völker und die internationale Verständigung auswirken. Aupairs gehen meist „german-minded“ in die Heimat zurück. Das ist preiswerte und nachhaltige Deutschland- Werbung der allerbesten Art. Ich plädiere dafür, dass der Deutsche Bundestag unse- rem Gruppenantrag aus der Mitte der Abgeordneten seine Zustimmung gibt und damit seine Verantwortung und sei- nen Willen zeigt, dass dieses wichtige Instrument der Völ- kerverständigung nicht beeinträchtigt wird. Pia Maier (PDS): Mein Anliegen als Miteinreicherin dieses Antrages ist die Schaffung von Rechtssicherheit, die Feststellung, dass Aupairs keine Arbeitnehmerinnen sind, die für ihre Arbeit Lohn bekommen und sozialversi- cherungspflichtig sind. Was tun eigentlich Aupairs? Sie hüten Haus, Kinder und Haustiere und helfen im Haushalt. Das darf nicht län- ger als fünf Stunden am Tag dauern und ein Tag in der Wo- che muss mindestens frei sein. Außerdem besuchen sie ei- nen Sprachkurs. Im Gegensatz zu „normalen“ Kindern einer Familie können sich Aupairs beschweren, wenn sie zu lange ar- beiten müssen, ausgebeutet werden, ihnen jemand an die Wäsche will oder die zwischenmenschlichen Beziehun- gen einfach ganz und gar nicht funktionieren wollen. Sie bekommen freie Kost und Logis und ein Taschengeld. Die Bundesanstalt für Arbeit empfiehlt 400 Mark im Monat, was im Alter von 18 bis 27 heute wohl angemessen ist. Im Großen und Ganzen sind sie also normale Mitglieder ei- ner Familie, mit normalen Familienpflichten, nur eben aus, einem anderen Land zu Besuch, in der Regel für 6 bis 12 Monate. Hier liegt ein – um im Fachchinesisch zu bleiben – be- sonderes Betreuungsverhältnis vor. Sie sind Familienmit- glieder auf Zeit, keine Hausangestellten. Wenn sich eine Familie hierzulande entscheidet, ein/e Aupair aufzuneh- men, stellen sich folgende Fragen: Können wir die menschliche Betreuung leisten? Können wir Alltagskultur aus diesem Land vermitteln? Können wir einen weiteren Menschen in der Familie aufnehmen? Solche Fragen stellt man bei der Einstellung eines Butlers nicht. Für die Entscheidung aufseiten der Aupairs wiederum stellen sich folgende Fragen: Welches Land möchte ich kennen lernen, ohne dort zu studieren? Welche Sprache möchte ich intensiv und in der Alltagssprache lernen? Kann ich mich in einen fremden Haushalt mit fremden Regeln einfinden? Solche Fragen stellt man nicht vor An- tritt einer Beschäftigung als Dienstmädchen. Als Miteinreicherin ist mein Ziel in diesem Antrag die Festschreibung, dass Aupairs keine Beschäftigten sind, dass sie ein Taschengeld bekommen und kein Arbeitsent- gelt und dass sie für dieses Geld deswegen so wenig sozi- alversicherungspflichtig sind wie Kinder, die genauso viel Taschengeld zur Verfügung haben und dafür mehr oder weniger Familiendienst leisten müssen. Die PDS unterstützt diesen Antrag; einige Fraktions- mitglieder haben ihn mit eingebracht. Zum Schluss stelle ich aber deutlich fest: Wir weichen nicht von der Position, dass jede Arbeitsstunde sozialversicherungspflichtig sein sollte. Nur so wäre Versicherungsschutz gewährt, gäbe es keine prekäre Beschäftigung und die Sozialversicherun- gen bekämen ein bisschen mehr Beiträge. Bei Einkommen bis zu 630 Mark sollten die Beiträge aber vom Arbeitgeber übernommen werden, mit dem Ziel, tariflich entlohnte Vollzeitbeschäftigung wieder attraktiver zu machen, indem die geringfügige Beschäftigung verteuert wird und so die Schleichwege aus der Sozialversicherung verbaut werden und nor- male, Vollzeitarbeitsplätze für den Arbeitgeber wieder rechnen. Aber bei den Aupairs, um die es hier ja nur geht, geht es eben nicht um Arbeit, sondern um einen Kulturaus- tausch, der in einer entsprechenden Rechtslage und Rechtssicherheit stattfinden muss. Sonst vergeben wir Familien hierzulande die Chance, zu Hause Kulturaus- tausch zu erleben, weil wir Aupairs mit Hausangestellten verwechseln. Wir behindern viele junge Leute, Deutsch zu lernen und dieses Land von innen kennen zu lernen, wenn wir Taschengeld mit Arbeitslohn verwechseln. Das ist kein gutes Aushängeschild für ein Land, das Fachkräfte mit Greencards ins Land holen will, das Zuwanderung braucht, das ein weltoffenes Land sein will und das gerne möchte, dass die eigene Jugend im Ausland Erfahrungen sammelt. Anlage 4 Zu Protokoll gegeben Reden zur Beratung des Antrags: Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad (Tagesordnungspunkt 11) Lothar Mark (SPD): Ich bin sehr dankbar, dass ich heute die Problematik „Colonia Dignidad“ in einem so bedeutenden öffentlichen Raum vortragen kann. Diese Tatsache ist keinesfalls selbstverständlich. Sie stellt für eine Vielzahl von Angehörigen der Opfer die einzige Hoffnung dar, an die sie sich klammern können. Die Colonia Dignidad ist eine hermetisch von der Außenwelt abgeschlossene Kolonie im Süden Chiles. In ihr leben schätzungsweise 350 Deutsche in totaler Ab- hängigkeit von einer kriminellen Führungsgruppe um den Gründer Paul Schäfer. Der Zugang zur Außenwelt wird ihnen verwehrt; schwerste Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung: Die in Rede stehenden Vor- würfe reichen von physischer und psychischer Misshand- lung, insbesondere sexuellem Missbrauch von Minder- jährigen in unzähligen Fällen, bis hin zu Mord. Nach glaubhaften Zeugenaussagen werden in der Colonia Dignidad alle familiären Bindungen zerstört. Auf diese Weise werden zum Beispiel ideale Opfer für die pädophi- len Neigungen Schäfers herangezogen. Eltern stehen of- fenbar so unter dem Einfluss der Sekte, dass sie nicht in der Lage sind, ihre Kinder gegen den Missbrauch zu schützen oder diesen sogar akzeptieren. Darüber hinaus deuten verschiedene Zeugenaussagen auf eine politische Komplizenschaft der Führung der Colonia Dignidad mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19797 (C) (D) (A) (B) dem Militärregime unter Pinochet hin. In der Kolonie sol- len politische Gefangene gefoltert und ermordet worden sein. Es ist sogar von Invasionsplänen nach Argentinien die Rede, die dort ausgearbeitet worden seien. Die chilenischen Behörden konnten bisher nur wenige Erfolge gegen die Colonia Dignidad erzielen. Zehn Jahre nach Aberkennung ihrer Rechtspersönlichkeit als gemein- nützige Vereinigung zeigen sich nicht die beabsichtigten Wirkungen. Im Gegenteil, es wird versucht, den alten Zu- stand durch juristische Verfahren wieder herzustellen. Die Kolonie operiert unter anderem Namen, aber mit den glei- chen Merkmalen einer kriminell verdächtigen Organisa- tion. Der vom chilenischen Staat eingeschlagene Pfad, das Problem auf justiziellem Wege zu lösen, ist richtig, aber langwierig. In der Vergangenheit stieß die chilenische Jus- tiz oftmals an ihre Grenzen, wenn es darum ging, gegen das Heer gut bezahlter Anwälte der Kolonie und noch im- mer einflussreicher Freunde der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Korruption und Erpressung scheinen die Colonia Dignidad über lange Zeit abgesichert zu haben. Gerade deswegen müssen auch verstärkt politische Schritte un- ternommen werden. Über Jahre, gar Jahrzehnte hinweg ist dieses Thema bei uns in der politischen Diskussion fast nicht vorgekommen. Wir müssen uns fragen lassen, warum wir uns bisher nicht intensiv genug mit dieser Pro- blematik befasst haben? Mit diesem Antrag setzen wir als Regierungsfraktion ein Zeichen. Unserer Meinung nach wurde das Thema Colonia Dignidad von Vorgängerregie- rungen, nicht in angemessener Weise beachtet und in sei- ner Brisanz erkannt. Bundesminister Fischer hat nach der Verhaftung Augusto Pinochets am 16. Oktober 1998 in London versichert, dem Problem Colonia Dignidad in den deutsch-chilenischen Beziehungen Priorität einzuräu- men. Dies ist sehr zu begrüßen. Auch innerhalb unserer Fraktion ist Bewegung in die Sache gekommen: Hans Büttner und ich sind in diesem August nach Chile gereist, um uns über die aktuelle Situation und die Einschätzung des Problems auf chilenischer Seite zu informieren. Die- ser Antrag ist auch Ergebnis unserer Eindrücke und Er- kenntnisse. Er bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass die vielschichtige und komplexe Problematik nur durch intensive koordinierte Bemühungen beider Seiten gelöst werden kann. Festzuhalten bleibt allerdings, dass wir uns nicht in die inneren Angelegenheiten Chiles ein- mischen, sondern wir wollen konstruktiv zur Seite stehen. Seit Juli 1996 wurden verschiedene Strafverfahren ge- gen den flüchtigen Schäfer und die wichtigsten Führungs- personen der Colonia Dignidad aufgenommen. Dennoch konnten all diese richterlichen Ermittlungen und des chi- lenischen Kongresses bisher nicht verhindern, dass die Kolonie als mächtige Organisation und Wirtschaftsfaktor fortbesteht. Noch immer ist eine gewisse Akzeptanz in der chilenischen Öffentlichkeit gegenüber der Colonia Dig- nidad zu beobachten, die auf Fehleinschätzungen zurück- zuführen ist. Alle Aktivitäten konnten bisher auch nicht verhindern, dass die Kolonie weiterhin das Schicksal ih- rer Bewohner bestimmt und die Sicherheit ihrer überle- benden Opfer gefährdet. Dies ließe sich an verschiedenen Beispielen verdeutli- chen. Ich will hier nur ein Schicksal herausgreifen: 1997 wurde vom zuständigen Provinzgericht ein Verfahren zum Schutz minderjähriger Opfer aufgenommen. Im Zen- trum der Untersuchung standen auf begründeten Verdacht hin zwei Söhne von Koloniebewohnern. Der zuständige Jugendrichter ordnete an, die beiden von Ärzten und Psy- chologen untersuchen zu lassen. Die Polizei fand aber we- der sie noch ihre Eltern in der Kolonie. Die Führer der Or- ganisation stritten beharrlich ab, etwas über ihren Verbleib zu wissen. Erst im Mai dieses Jahres, also mehr als drei Jahre später, wurden die beiden Brüder unter selt- samen Umständen in der Hauptstadt Santiago ausfindig gemacht. Der ältere hatte zu diesem Zeitpunkt bereits sein 18. Lebensjahr vollendet. Somit konnte sein Schutz durch das Jugendgericht nicht mehr gewährleistet werden. Ein solches Vorgehen, Minderjährige dem Zugriff des Staates bis zu ihrer Volljährigkeit zu entziehen, scheint Methode zu sein. Der zwei Jahre jüngere Bruder hingegen wurde dem Jugendrichter vorgeführt und zu seinem Schutz in ei- ner staatlichen Fürsorgeeinrichtung untergebracht. Gegen diese Maßnahme legte die Colonia Dignidad beim über- geordneten Berufungsgericht Beschwerde ein. Das Beru- fungsgericht gab dieser Beschwerde statt. Es ordnete an, den Jungen seinen Eltern zu übergeben. Ferner verfügte es eine Strafe gegen den ermittelnden Jugendrichter. Diese Entscheidung wurde vom obersten Gerichtshof bestätigt. Seit diesem Zeitpunkt gibt es keine Nachricht des Min- derjährigen. Am wahrscheinlichsten ist, dass er sich wie- der auf dem Gelände der Kolonie befindet. Seine Eltern sind zu keiner der weiteren Vorladungen durch das Ju- gendgericht erschienen. Unserer Auffassung nach bedürfte dieser Minder- jährige eigentlich des Schutzes und der Hilfe einer Ein- richtung mit entsprechenden therapeutischen Möglichkei- ten. Stattdessen wurde er wieder in die Hände einer Sekte gegeben, deren Aktivitäten darauf ausgerichtet scheinen, die pädophilen Neigungen des Leiters zu befriedigen und seine Straffreiheit sicherzustellen. Aussagen von Minder- jährigen, denen es gelungen ist, die Kolonie zu verlassen, belegen diesen Eindruck in bewegender und dramatischer Weise. An diese Erkenntnisse schließt sich die Frage an: Was können wir jetzt tun, um den Opfern zu helfen? Was kön- nen wir tun, um diesen unerträglichen Zustand fort- währender Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Staatsbürger wirksam abzustellen? Ich plädiere dafür, dass wir uns unserer Verantwortung stellen, indem wir die chilenischen Behörden bei ihrem Vorgehen gegen die kriminelle Führungsgruppe unterstüt- zen. Es ist unbedingt erforderlich, deren kriminelle Machenschaften weiter aufzuklären und damit eine Straf- verfolgung zu ermöglichen. Deshalb schlagen wir die Einsetzung einer bilateralen Expertenkommission vor. Sie soll die konkreten Engpässe und Hemmnisse auf chi- lenischer Seite identifizieren und Vorschläge erarbeiten, wie diese – auch mit deutscher Hilfe – behoben werden können. Davon, dass solche Blockaden vorhanden sind, konnten wir uns in verschiedenen Gesprächen mit verant- wortlichen Ermittlern und Politikern in Santiago überzeu- gen. Die Colonia Dignidad ist ein fast übermächtiger Gegner: Sie ist mit modernsten Radar- und Überwa- chungssystemen ausgestattet. Es gibt unterirdische Anla- gen, in denen Personen über längere Zeit versteckt wer- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119798 (C) (D) (A) (B) den können. Die Zufahrt zur Kolonie liegt 36 Kilometer von der nächsten Hauptverkehrsstraße entfernt. Ein unbe- merkter Zugriff von Polizeikräften erscheint fast unmög- lich. Die uns signalisierte Entschlossenheit der chileni- schen Seite, gegen die Kolonie vorzugehen, resultiert nicht zuletzt aus dieser Tatsache: Der chilenische Staat verzichtet de facto auf die Ausübung seines Machtmono- pols in einem nicht zu vernachlässigenden Teil seines Ter- ritoriums. Eine bilaterale, ressortübergreifende Experten- kommission wäre in der Lage, die bisher gesammelten Erfahrungen und Informationen zu bündelnd. Bislang er- folgten einzelne, zeitlich befristete und unkoordinierte Maßnahmen gegen die Colonia Dignidad. Diese müssten aufeinander abgestimmt und im Rahmen einer Gesamt- strategie erweitert werden. Im Mittelpunkt sollten dabei die Koloniebewohner ste- hen. Ihre Isolation muss aufgehoben werden. Gleichzeitig ist ihre psychologische Betreuung sicherzustellen. Wie schon bei anderen Sekten zu beobachten war, kann kol- lektiver Selbstmord nicht ausgeschlossen werden. Er wäre die Reaktion auf eine vermeintliche „Bedrohung von außen“. Es gibt sicherlich viele denkbare „Post-Be- freiungsszenarien“, wie ich es nennen möchte. Die ange- sprochene Expertenkommission muss gerade im Bereich der psychologischen und psychosozialen Betreuung äußerst leistungsfähig sein. Es müssen tragfähige Kon- zepte dazu entwickelt werden, wie langfristig eine Re- integration der Bewohner in die chilenische oder deutsche Gesellschaft erreicht werden kann. Dieser Prozess wird von längerer Dauer sein und unterstützend begleitet wer- den müssen. Die genannten Aufgaben sind nicht einfach, aber auch nicht unlösbar. Es gibt in letzter Zeit viel versprechende Entwicklungen, die mich zuversichtlich stimmen: Vor we- nigen Wochen wurden von der französischen Justiz 15 in- ternationale Haftbefehle gegen frühere chilenische Mi- litärs und gegen Paul Schäfer erlassen. Im vergangenen Juni hatte erstmals ein ehemaliges Mitglied des chileni- schen Geheimdienstes unter Eid indirekt zugegeben, dass politische Gefangene in die Colonia Dignidad verbracht wurden, um sie dort zu ermorden. In wenigen Tagen wer- den verschiedene Ermittlungsverfahren der chilenischen Behörden gegen Schäfer und Komplizen abgeschlossen. Insofern signalisiert unser Antrag zu einem günstigen Zeitpunkt die deutsche Bereitschaft zu gemeinsamem Handeln. Im Zusammenhang mit den in New York und Wa- shington verübten Terrorakten wird in diesen Tagen oft das Bild eines Anschlags auf die „zivilisierte Welt“ ange- führt. Wir sollten uns dieser Bezeichnung als würdig er- weisen. Dies ist im vorliegenden Fall mit verhältnismäßig geringen Mitteln möglich. Lassen Sie uns die eingangs er- wähnte Hoffnung der Angehörigen nicht enttäuschen und das leidvolle Thema schonungslos aufarbeiten! Persön- lich bin ich meiner SPD-, der Bündnis 90/Grünen- und der FDP-Fraktion sehr dankbar, dass sie diesen Antrag er- möglichten und mittragen. Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Kaum einer un- ter den hier Anwesenden wird in Zweifel ziehen, dass die Colonia Dignidad, heute umbenannt in Villa Bavaria, ein circa 400 Kilometer südlich von Santiago de Chile ange- siedeltes landwirtschaftliches Gut, einen eher unerfreuli- chen Aspekt in den langen freundschaftlichen Beziehun- gen zwischen Deutschland und Chile darstellt. Die Colonia Dignidad, die 1961 unter dem Namen „Sociedad Benefactora Educacional Dignidad“ in Chile von ausge- wanderten Sektenmitgliedern der „Privaten sozialen Mis- sion e.V.“ gegründet worden ist, hatte sich über die Jahr- zehnte zu einem nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor in der südchilenischen Region Maule entwickelt. Reisanbau, Salzproduktion, eine Großbäckerei, ein Wasserkraftwerk sowie Steinbruchanlagen und Gold- und Titanminen sind Beispiele für die dortigen teilweise sehr einträglichen wirtschaftlichen Aktivitäten. Der wirtschaftliche Auf- schwung der Colonia Dignidad wurde allerdings begleitet von stetigen Vorwürfen gegen die Leitung der Colonia Dignidad, insbesondere deren Chef namens Paul Schäfer, die dort wohnenden circa 350 deutschen Koloniemitglie- der zu entmündigen und auszubeuten sowie anvertraute deutsche und chilenische minderjährige Jugendliche se- xuell zu missbrauchen. In Deutschland sind gegen die Colonia Dignidad di- verse Ermittlungsverfahren eingeleitet worden auf Grundlage von strafrechtlich relevanten Vorwürfen, die von ehemaligen Angehörigen der Colonia Dignidad erho- ben worden waren. Auch die Justiz in Chile ist nicht untätig geblieben. 1991 wurde der Colonia Dignidad die Rechtspersönlichkeit entzogen. Gegen den seit 1996 un- tergetauchten Kolonieleiter Paul Schäfer liegt mittler- weile sowohl ein deutscher als auch ein chilenischer Haft- befehl wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen vor. Hinzu kommen weitere 70 in Chile eingeleitete Straf- und Zivilverfahren gegen Schäfer und sonstige Kolonie- mitglieder. Letztes Jahr ist es der chilenischen Polizei so- gar gelungen, mit Gerhard Mücke und Kurt Schellenkamp die Nummern 2 und 3 in der Hierarchie der Kolonie fest- zunehmen. Nach Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sind die Sachverhaltsbeschreibungen im hier zu debattie- renden Antrag „Schnelle Hilfe für die Opfer der Colonia Dignidad“ der Regierungskoalition überwiegend zutref- fend. Auch unsere Fraktion, sieht die Notwendigkeit, die- ses gemeinsame dunkle Kapitel deutsch-chilenischer Ver- gangenheit intensiv aufzuarbeiten und schnellstmöglich darauf hinzuwirken, dass die Verantwortlichen zur Re- chenschaft gezogen werden und den Opfern möglichst bald eine Schadensgutmachung zukommt. Die CDU/ CSU-Fraktion wird den Antrag aber ablehnen, weil sein Gesamttenor den nicht zutreffenden Eindruck eines un- genügenden Engagements der chilenischen Regierung und Justiz bei der Aufarbeitung des Colonia-Dignidad- Unrechts vermittelt und damit die demokratisch legimi- tierte chilenische Regierung unmittelbar vor den Parla- mentswahlen Mitte Dezember in eine prekäre Lage bringt, die einer weiteren Stabilisierung der Demokratie in Chile nicht unbedingt dienlich sein kann. Ich werfe dem Antrag vor, dass er zwar eine Reihe rich- tiger Fakten nennt, andere genauso erwähnenswerte, die chilenische Regierung und Justiz entlastende Fakten aber unterschlägt. In diesem Zusammenhang verweise ich auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19799 (C) (D) (A) (B) den im Antrag aufgeführten und sicherlich zutreffenden Vorwurf gegen die Colonia Dignidad, während der Pino- chet-Diktatur als Haft- und Verhörzentrum des chileni- schen Geheimdienstes DINA gedient und für die Folte- rung oder sogar Tötung von Regimegegnern zur Verfügung gestanden zu haben. So wenig ich dies be- streite, so wenig kann aber auch bestritten werden, dass sich heutzutage die chilenische Regierung und Justiz in- tensiv um eine Aufarbeitung der Verbrechen der Pinochet- Ära bemühen. Chiles Justiz mag zwar noch so mancher Reform bedürfen, doch der Umgang mit den Verbrechen der Vergangenheit zeigt, dass sich die chilenischen Richter aus dem Würgegriff Pinochets und der Militärs gelöst haben. Präsident Lagos, immerhin der erste sozia- listische Präsident Chiles nach dem gewaltsamen Sturz von Präsident Salvador Allende im Jahre 1973, hat kon- struktiv hierzu beigetragen, indem er das chilenische Mi- litär immer wieder auf seinen Platz im Rechtsstaat ver- wies. Viele Chilenen hoffen und erwarten nun, dass in den kommenden Monaten und Jahren noch so mancher Scherge des Diktators Pinochet für Entführung, Folter und Mord ins Gefängnis kommen wird. Die Verfahren laufen, und fast täglich kommen neue hinzu. Auch darf nicht vergessen werden, wie erfolgreich, aber mühsam die chilenische Demokratie seit dem Beginn der 90er-Jahre für ihre Stabilisierung gekämpft hat. Und der Übergang zu einer vollen Demokratisierung ist noch nicht abgeschlossen. Denn noch immer gibt es aus dem Erbe der Pinochet-Ära institutionelle Überbleibsel und gesetzliche Privilegien, die insbesondere dem Militär übermäßigen Einfluss im Staate gewähren. Auch wird die Aufgabe der gegenwärtigen chilenischen Regierung da- durch nicht leichter, dass die Diktatur mittlerweile über ein Jahrzehnt zurückliegt und für viele junge Chilenen kein Argument mehr dagegen ist, Politiker zu wählen, die in Pinochets Unrechtsstaat wichtige Ämter bekleideten oder zumindest die Diktatur als historische Notwendig- keit rechtfertigen. Der Bonus ihrer demokratischen Ver- gangenheit reicht für die demokratisch legitimierten Par- teien der Mitte und der Linken nicht mehr aus, um Wahlen in Chile zu gewinnen. Die Wiederwahlaussichten werden auch dadurch nicht gerade verbessert, dass Chiles Wirt- schaft momentan geringere Wachstumsraten als gewohnt ausweist, die in erster Linie aus der Wirtschaftkrise im Nachbarland Argentinien, aber auch aus sinkenden Welt- marktpreisen fair das Hauptexportprodukt Kupfer sowie der hohen Verschuldung des chilenischen Mittelstandes resultieren. Dementsprechend tun sich nun bereits erste Risse im chilenischen Regierungslager auf, die ernste Befürchtun- gen hinsichtlich eines Auseinanderbrechens der so ge- nannten Concertacion aus Sozialdemokraten, Sozialisten und christlichen Demokraten in absehbarer Zukunft auf- kommen lassen. Damit steht die chilenische Regierungs- koalition vor ihrer bislang schwersten Belastungsprobe. Ich halte es daher für falsch, diese für Chiles Demokratie höchst brisante Situation auch noch von außen aus dem deutschen Ausland mit einem Antrag anzuheizen, der nicht nur Chiles Verdienste in dieser Angelegenheit un- genügend würdigt, sondern darüber hinaus für seine Ein- bringung und Debattierung ein äußerst unglückliches Da- tum gewählt hat. Im Übrigen komme ich nicht umhin, auf die besondere politische Ironie hinzuweisen, dass die Op- positionsfraktion der CDU/CSU hier im deutschen Bun- destag gegenüber der rot-grünen Regierungskoalition für mehr Verständnis zugunsten eines sozialistischen Präsi- denten Chiles plädieren muss. Aber gerade zu diesem für Chiles demokratische Zukunft so wichtigen Zeitpunkt sollten wir parteipolitisches Geplänkel wirklich hintan- stellen und in unserem Tun klare Prioritäten im Interesse der chilenischen Demokratie und des chilenischen Volkes setzen. Und diese Prioritätensetzung kann nur heißen: Zu- erst die Stabilisierung der chilenischen Demokratie in den Wahlen Mitte Dezember und dann ein Antrag aus dem Deutschen Bundestag zum Thema „Colonia Dignidad“. Denn das möchte ich nochmals ausdrücklich betonen: Auch die CDU/CSU hat sich und wird sich auch weiter nachdrücklich für eine Ausarbeitung, Ahndung und Wie- dergutmachung der in der Colonia Dignidad begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen einsetzen. Ich hoffe, mit meiner Rede die außenpolitische Sensi- bilität der rot-grünen Regierungskoalition so wachgeru- fen zu haben, dass sie die mit ihrem Antrag verbundene außenpolitische Problematik erkennt und ihn zurückzieht. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auch wenn dieser Tage die Menschenrechte in Afghanistan mehr Beachtung finden, dürfen wir diejeni- gen in anderen Teilen der Welt nicht etwa vergessen. Dies gilt auch für die Opfer der Colonia Dignidad in Chile. Der Anführer der 1961 gegründeten Sekte, der Deut- sche Paul Schäfer, sowie andere führende Mitglieder wer- den sowohl in Chile als auch in Deutschland per Haftbe- fehl gesucht. 70 Verfahren sind allein in Chile seit der Wiedererlangung der Demokratie eingeleitet worden. Hierbei geht es meist um sexuellen Missbrauch Minder- jähriger, aber auch um andere Straftaten. Die Colonia Dignidad schirmt sich nach außen hin ab, produziert alles Lebenswichtige selbst und stellt sich der Öffentlichkeit gegenüber als sozial engagierte Gemeinschaft dar. Dennoch ist diese Fassade die reinste Farce: Dass die Colonia Dignidad zu Zeiten Pinochets als Folterzentrum für politische Gefangene diente und eng mit dem Regime sowie mit dessen Geheimdienst DINA zusammenarbei- tete, ist seit langem bekannt und wurde vor kurzem von einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes be- stätigt. Das Gleiche gilt für die Tatsache, dass Folter und Misshandlungen sowie die totale Überwachung der Mit- glieder der Colonia Dignidad zu den dort üblichen Me- thoden gehören. Dennoch wurde Schäfer bei gelegentli- chen Kontrollen der Colonia Dignidad nie gefunden, weil er angeblich vor jeder Razzia einen Tipp von gut infor- mierten Sympathisanten bekam. Seit 1996 ist Schäfer nun endgültig untergetaucht, und die Aufklärung der Men- schenrechtsverletzungen, die von Mitgliedern der Colo- nia Dignidad begangen worden sind, gehörte – mit weni- gen löblichen Ausnahmen – nicht gerade zu den Lieblingsbeschäftigungen früherer konservativer Regie- rungen. Umso wichtiger ist es, jetzt die Chance zu nutzen, diese Aufklärung unter der progressiveren Regierung von Prä- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119800 (C) (D) (A) (B) sident Lagos zu unterstützen, der eine intensivere Be- schäftigung mit dem Problem angekündigt hat. Gerade die deutsche Regierung sollte sich für diesen Fall beson- ders verantwortlich fühlen, da es sich sowohl bei den Tä- tern als auch bei den Opfern vorwiegend um deutsche Staatsbürger handelt. Daher ist unser Antrag, der neben der personellen und technologischen Zusammenarbeit beider Länder in der Aufklärung der Verbrechen die Einrichtung einer Arbeits- gruppe zur Lösung des Problems sowie die Einrichtung eines Fonds zur Unterstützung der Opfer der Colonia Dig- nidad vorsieht, auch so wichtig. Damit soll vor allem die kriminelle Führungsgruppe der Colonia Dignidad isoliert und die Abhängigkeit der Koloniebewohner beseitigt werden. Ulrich Irmer (FDP): Es ist schon ein Trauerspiel, dass wir uns 40 Jahre nach der Gründung der Colonia Dignidad und trotz massiver Bemühungen diverser Bundesregie- rungen, aber auch der chilenischen Seite hier immer noch mit diesem Problem befassen müssen. Nach wie vor befindet sich Paul Schäfer auf der Flucht, nach wie vor sind die zum Teil massiven Menschen- rechtsverletzungen und Straftaten im Wesentlichen un- aufgeklärt und nach wie vor konnten Schäfer und seine Komplizen bisher nicht zur Rechenschaft gezogen wer- den. Schlimmer noch: Die Lebensverhältnisse innerhalb der Colonia Dignidad sind nach diversen Berichten, unter anderem von Amnesty International und den Vereinten Nationen, weiterhin menschenrechtswidrig und auch die Einrichtung diverser Untersuchungsausschüsse hat bis- lang kaum Licht ins Dunkel bringen können. Die großen Hoffnungen, die sich seit Anfang 2000 auf die verstärkten Bemühungen der Regierung Lagos richte- ten, haben sich bislang nicht erfüllt. Es ist daher dringend an der Zeit, dass den Ankündigungen auch Taten folgen. Selbstverständlich haben wir alle Verständnis dafür, dass das Problem der Colonia Dignidad nur ein Teil der um- fassenden Aufarbeitung des schrecklichen Erbes des Pinochet-Regimes ist und daher nicht von heute auf mor- gen gelöst werden kann. Es kann jedoch nicht hingenommen werden, dass stän- dig neue Ausschüsse eingesetzt werden, deren Schluss- folgerungen dann letztlich aber ohne Konsequenzen blei- ben. Dies gilt auch für die in unserem Antrag enthaltene Forderung, eine Arbeitsgruppe Chile mit unabhängigen bilateralen Experten einzusetzen, mit dem Ziel, in einem Zeitraum von sechs Monaten ein Strategiepapier zur Lö- sung des Problems zu erarbeiten. Strategiepapiere sind zwar hilfreich, nur im Falle der Colonia Dignidad liegen die Handlungsoptionen seit Jahren deutlich auf dem Tisch. Es muss nur endlich einmal die politische Kraft ge- funden werden, sie auch wirklich umzusetzen. Insofern begrüßen wir, dass die Bundesregierung in dem Antrag aufgefordert wird, dem Fall der Colonia Dignidad eine höhere Priorität einzuräumen. Auch dies hatte sie bereits mehrfach angekündigt, allerdings bis heute ohne nen- nenswertes Ergebnis. Es ist schon bemerkenswert, dass der Präsident der chi- lenischen Parlamentskommission für Menschenrechte, Jaime Naranjo Ortiz, die Bundesregierung vor wenigen Monaten um mehr Unterstützung bei der Zerschlagung der Colonia Dignidad gebeten hat. Neben politischen und juristischen Initiativen erhofft sich Ortiz von der Bundes- regierung Hilfe bei der Aufspürung versteckter Bunker- systeme auf den Siedlungsgelände. Hierfür ist allerdings nicht die Einrichtung einer Arbeitsgruppe, sondern in ers- ter Linie die Zur-Verfügung-Stellung technischer und fi- nanzieller Ressourcen erforderlich. Die FDP-Bundestags- fraktion hofft daher, dass mit diesem Antrag endlich Bewegung in die verfahrene Situation gebracht werden kann, sodass die von den menschenrechtswidrigen Zu- ständen in der Colonia Dignidad betroffenen Menschen endlich erlöst und ihre Peiniger der Justiz überstellt wer- den können. Carsten Hübner (PDS): Zunächst einmal möchte ich den Einreichern dieses Antrags im Namen der PDS-Bun- destagsfraktion ausdrücklich danken und damit gleichzei- tig meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es im Zusammenhang mit den Ausschussberatungen die Mög- lichkeit gibt, daraus einen interfraktionellen Antrag zu machen, der auch meine Fraktion einschließt. Wir teilen sowohl die Intention als auch den Forderungsteil. Mit- glieder meiner Fraktion haben sich – wie viele andere auch – in den vergangenen Jahren für die lückenlose Auf- klärung des Colonia-Dignidad-Komplexes engagiert und wirksame Schritte zum Opferschutz und zur Eingrenzung des Aktionsradius dieser kriminellen Vereinigung gefor- dert. In diesem Sinne wären weitere, auch gemeinsame parlamentarische Aktivitäten aus unserer Sicht nur zu be- grüßen. Erlauben Sie mir deshalb, mich nicht in Wiederholun- gen des bereits Gesagten zu ergehen, sondern auf einige Aspekte zu verweisen, die im vorliegenden Antrag noch deutlicher beleuchtet werden müssten. Zum Beispiel: Wie war es möglich war, dass der deutsche Ableger der Colo- nia Dignidad, der Verein „Private Soziale Mission“, trotz der massiven Vorwürfe gegen Paul Schäfer und die Colo- nia in der Bundesrepublik über viele Jahre steuerbegüns- tigt weiterarbeiten konnte? Auch halte ich es für durchaus klärungsbedürftig, welche Unterstützung die Colonia in den letzten 40 Jahren aus der Bundesrepublik erhalten hat, trotz massiver Menschenrechtsverletzungen, Foltervor- würfen und der engen Zusammenarbeit mit der Pinochet-Diktatur und dem chilenischen Geheimdienst DINA. Bis heute halten sich Informationen, dass es bis in konservative Kreise der Bundesrepublik hinein Protek- tion für dieses Projekt gegeben hat, – etwa von Vertretern der Hanns-Seidel-Stiftung. Allein schon vor dem Hinter- grund, dass Parteien und ihre Stiftungen in erheblichem Maße mit Steuergeldern arbeiten, sollten diese Vorwürfe vorbehaltlos aufgeklärt werden. Auch nach dem Sturz Pinochets gibt es einflussreiche Kreise in Chile, die kein Interesse an einer Klärung des Colonia-Dignidad-Komplexes haben. Umso wichtiger ist es, all jene zu unterstützen, die Klarheit über den Verbleib ihrer Angehörigen begehren, die diesen Staat im Staate auflösen wollen und auf eine konsequente Strafverfol- gung drängen. Die Bundesrepublik muss dabei ein aktiver Partner sein. Die Täter waren Deutsche, ein Teil der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19801 (C) (D) (A) (B) Opfer auch. Lange Zeit kam ideologische und finanzielle Unterstützung direkt aus unserem Land, während sich die etablierte Politik und die deutsche Diplomatie mit Blick auf die Menschenrechtsverletzungen nicht gerade mit Ruhm bekleckert haben. Wir sind also dringend angehal- ten, mit einem deutlichen Votum des Bundestages sowohl zur Aufklärung als auch zur Aufarbeitung beizutragen. Am Ende dieses Prozesses, der selbstverständlich nur in enger Kooperation mit den Verantwortlichen und Betrof- fenen in Chile umzusetzen ist, kann, ja darf nur eines ste- hen: Die restlose Abwicklung der Colonia Dignidad! Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Der Antrag der Fraktionen der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beginnt mit einer erschütternden, bedauerlicherweise aber zutreffenden Feststellung: Der Fragenkomplex der früher unter dem Namen „Colonia Dignidad“ bekannten, heute unter dem Namen „Villa Ba- varia“ agierenden Gruppe beschäftigt die Bundesregie- rung bereits seit den 60er-Jahren. Das ist eine sehr lange Zeit, in der – wie vielfach berichtet wird – in der Colonia Dignidad schwere Verbrechen begangen wurden und vie- len Opfern von Paul Schäfer mit Mitwissen seiner Helfer großes Leid zugefügt wurde. Bevor ich auf die an die Bundesregierung gerichtete Aufforderung aus dem vor- liegenden Antrag eingehe, lassen Sie mich daher drei Grundsätze der Haltung der Bundesregierung erläutern: Erstens. Oberste Priorität gilt der Hilfe für die Opfer. Dazu zählen zunächst einmal Angebote der konsulari- schen Betreuung soweit sie von den Angehörigen der Villa Bavaria angenommen werden können. Darüber hi- naus wurden in der Vergangenheit Vorkehrungen getrof- fen, um im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten je- dem Willigen beim Ausstieg aus der Villa Bavaria Hilfestellung zu leisten. Ich möchte nicht im Einzelnen auf diese Maßnahmen eingehen, einmal aus datenschutz- rechtlichen Gründen, aber auch, um die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht aufs Spiel zu setzen. Bei dieser Gele- genheit möchte ich aber die ausdrückliche Anerkennung der Bundesregierung für die teils unter dramatischen Um- ständen nach Deutschland zurückgekehrten Opfer aus- sprechen, die sich im Flügelschlag e.V. zusammenge- schlossen haben und auch heute für die Freiheit und Würde derjenigen kämpfen, die sich noch nicht dem Bann des Paul Schäfer haben entziehen können. Zweitens. Paul Schäfer und seine Helfer werden wei- ter strafrechtlich gesucht, nach ihnen wird weiterhin ge- fahndet. Das mag wie eine Selbstverständlichkeit klingen, muss aber doch an dieser Stelle ausdrücklich bekräftigt werden, Die Straftaten, die Paul Schäfer bereits zu der Zeit zur Last gelegt wurden, als er sich noch in Deutsch- land aufhielt, datieren auf die 50er- und 60er-Jahre zurück. Vieles davon ist verjährt. Paul Schäfer und seine Helfer haben ihr Unwesen jedoch in Chile fortgesetzt. Zu- treffend hält der Antrag daher unter Ziffer 11 fest, dass ein nachhaltiges deutsches Interesse an der Ahndung der auf chilenischem Boden an deutschen Staatsbürgern began- genen Straftaten fortbesteht. Drittens. Da die Colonia Dignidad – heute die Villa Ba- varia – seit 40 Jahren in Chile agiert, ist es selbstver- ständlich in erster Linie Aufgabe der chilenischen Behör- den, sich mit der Kolonie, wie sie sich heute darstellt, aus- einander zu setzen. Diese Feststellung ist keineswegs als eine Relativierung der Bemühungen der Bundesregierung zu verstehen sondern im Gegenteil als eine Klarstellung der Verantwortlichkeiten, die notwendig ist, um die wei- tere energische Aufarbeitung des in der Colonia Dignidad begangenen Unrechts sicher zu stellen. Dazu darf hinzu- gefügt werden dass die chilenische Seite diese Einschät- zung teilt. Soweit man eine derartige Feststellung in die- sem traurigen Zusammenhang treffen kann, ist auf ein großes Vertrauen hinzuweisen, dass die chilenischen Behörden – auch das chilenische Parlament – in dieser Angelegenheit Deutschland entgegenbringen. Es besteht ein vertrauensvoller Dialog, in den im Übrigen auch – bei Wahrung der erforderlichen Vertraulichkeit – Mitglieder des Bundestage einbezogen worden sind. Wo kritische Stimmen laut werden, geht es darum, die Zusammenarbeit und die Unterstützungsmaßnahmen zu verstärken. Inso- fern ist die Einleitung des vorgelegten Antrages zu relati- vieren, die von einer Belastung des deutsch-chilenischen Verhältnisses durch die Colonia Dignidad spricht. Die Bundesregierung tut das ihr Mögliche, um die chileni- schen Bemühungen zu unterstützen, Paul Schäfer habhaft zu werden und seinen Opfern zu helfen. In diesem Sinne begrüßt die Bundesregierung den An- trag. Sie versteht die an ihre Adresse gerichtete Aufforde- rung gleichzeitig als eine Bestärkung all derer, die sich auch 40 Jahre nach der Errichtung der Colonia Dignidad in Chile für die Menschen einsetzen, denen von Paul Schäfer fortgesetzt Unrecht zugefügt wurde und weiterhin zugefügt wird. Die Bundesregierung ist auch in Zukunft bereit, Anregungen aufzunehmen, wie der Aufarbeitungs- prozess von deutscher Seite unterstützt und verbessert werden kann. Die Bundesregierung begrüßt die Anre- gung, eine unabhängige, aus Experten zusammengesetzte Arbeitsgruppe mit deutscher Beteiligung in Chile einzu- setzen und wird diesen Vorschlag an die chilenische Seite herantragen. Sie schließt sich der Zielsetzung an, An- gehörigenbesuche zu ermöglichen, eine unzensierte Zu- stellung der Post und ungehinderten Kontakt zur Außen- welt zu gewährleisten sowie freiwillige Gespräche mit Psychotherapeuten und Sektenexperten anzubieten und die kriminelle Führungsgruppe der Kolonie vom Rest der Gruppe zu isolieren. Die Bundesregierung ist bereit, den bereits geführten Dialog mit der chilenischen Seite über eine personelle und technologische Unterstützung bei der Aufklärung des Gesamtkomplexes der Colonia. Dignidad zu intensivieren. Sie möchte sich an dieser Stelle bei den Mitgliedern des Bundestages bedanken, die sich bei Be- suchen in Chile gegenüber den jeweiligen Gesprächspart- nern ebenfalls für eine energische Aufarbeitung des ge- samten Tatkomplexes eingesetzt haben. Hinsichtlich der Einrichtung eines Fonds zur Finanzie- rung von Hilfs- und Reinintegrationsmaßnahmen wird die Bundesregierung gemäß vorliegender Aufforderung in zwölf Monaten denn Bundestag berichten. Die Prioritä- tensetzung im Bundeshaushalt ist dabei eine gemeinsame Verantwortung von Bundestag und Bundesregierung. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119802 (C) (D) (A) (B) Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Bildung einer Leit- stelle für Seesicherheit (Tagesordnungspunkt 12) Annette Faße (SPD): Die Vermeidung von Schiffska- tastrophen steht für uns im Mittelpunkt eines praxisge- rechten Sicherheitskonzepts. Nicht zuletzt die durch die Havarien der „Pallas“, der „Erika“ vor der bretonischen Küste oder der „Baltic Carrier“ ausgelösten Umweltkata- strophen haben uns deutlich vor Augen geführt, dass Schiffsunfälle verhindert werden müssen, bevor es zu Schäden durch Ladung oder Treibstoff kommt. Vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt und der EU-Osterweiterung ist auch weiterhin mit einer Zunahme des Schiffsverkehrs zu rechnen. Dies muss nicht zwangs- läufig auch eine Zunahme von Unfällen bedeuten. Den- noch: Unfälle, die auf menschliches oder technisches Ver- sagen oder höhere Gewalt zurückzuführen sind, lassen sich auch mit dem perfektesten Sicherheitssystem nicht hundertprozentig ausschließen. Der Bundesverkehrsminister hat aber mit der umfas- senden Neukonzeption der Maritimen Notfallvorsorge Maßnahmen eingeleitet, die wesentlich dazu beitragen werden, das Schiffssicherheitskonzept zu optimieren. Ich möchte dem Ministerium an dieser Stelle – insbesondere auch als Betroffene, als Küstenbewohnerin – meinen aus- drücklichen Dank für die effektive und erfolgreiche Ar- beit in diesem Bereich aussprechen. Meine Damen und Herren von der Union, im Gegen- satz zu Ihnen haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Im Falle eines schweren Seeunfalls ist ein zügiges, ef- fektives und kompetentes Eingreifen unbedingt erforder- lich. Hier zumindest scheinen wir einer Meinung zu sein. Mit der Errichtung eines Havariekommandos wird dies gewährleistet und zwar auch ohne eine Änderung des Grundgesetzes. Uns ist es in erster Linie wichtig, dass das Havariekommando so schnell wie möglich seine Arbeit aufnehmen kann. Überflüssige Grundgesetzänderungen würden den Prozess der Optimierung des Sicherheitskon- zepts nur unnötig verlängern. Ich bin schon etwas verwundert, wenn Sie uns mit der Errichtung des Havariekommandos hier eine „Alibi-Ak- tion“ unterstellen und plötzlich vehement eine Zusam- menfassung der bisher getrennten Aufgabenzuordnung von Bund und Ländern einfordern. Wenn Ihnen das so wichtig ist, frage ich mich allerdings, warum Sie das nicht angegangen sind, als Sie die Gelegenheit dazu hatten. Zeit genug dazu hatten Sie. Dass Sie es nicht taten, liegt wohl daran, dass Sie die bestehende Struktur für vollkommen ausreichend hielten. Dies können Sie gerne in der Antwort der alten Bundes- regierung auf die Kleine Anfrage „Sicherheit in der Deut- schen Bucht V“ – Drucksache 13/11453 – nachlesen. Dort heißt es: „Die bestehende Einsatzleitungsstruktur hat sich bei der Bekämpfung von Unfallfolgen und den regel- mäßig durchgeführten Übungen bewährt.“ Also erzählen Sie uns bitte nicht, das geplante Havariekommando sei unzureichend. Im Übrigen setzen wir mit dem Havariekommando im Konsens mit den Küstenländern zentrale Empfehlungen der Grobecker-Kommission um. Die Umweltorganisation Greenpeace hat das Sicherheitskonzept der Bundesregie- rung insbesondere auch im Hinblick auf die Maßnahmen in der Ostsee als einen wichtigen Schritt begrüßt. Die Einsatzzentrale des Havariekommandos wird ein in 24-Stunden-Bereitschaft gehaltenes Maritimes Lage- zentrum sein, das aus dem Bereich der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und den Wasser- schutzpolizeien der Küstenländer aufgebaut wird. Dort laufen alle notwendigen Informationen zusammen. Der Leiter des Havariekommandos übernimmt die Führung des Einsatzes, wobei er von Arbeitsstäben für Schadstoff- und Brandbekämpfung, Verletztenversor- gung, Bergung und Öffentlichkeitsarbeit beraten wird. Für den Einsatz kann er allen notwendigen Kräften des Bundes und der Küstenländer, zum Beispiel der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, den Feuerwehren, den Schleppern und den Ölbekämpfungsschiffen, Einsätze er- teilen und Einsatzabschnitte einrichten. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger und die Bundesmarine werden vollständig in die Arbeit des Havariekommandos integriert. Da der konkrete Einsatzfall hoffentlich künftig der ab- solute Ausnahmefall bleibt, wird unter dem Dach des Ma- ritimen Lagezentrums ein Kompetenzzentrum für alle Fragen der maritimen Unfallbekämpfung eingerichtet. Darin werden alle bisherigen Aufgaben wie der Zentrale Meldekopf oder die Sonderstellen zur Schadstoffbekämp- fung aufgehen. Für die Schiffsbrandbekämpfung gibt es dann erstmals eine zentrale Stelle. Seinen Sitz wird das Havariekommando in Cuxhaven haben. Mich als zuständige Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Cuxhaven freut mich dies natürlich beson- ders, aber ich bin auch fest davon überzeugt, dass Cuxha- ven der geeignetste Standort für das Havariekommando ist. Für Cuxhaven sprechen eindeutig fachliche Gründe. Die entsprechende Infrastruktur sowie ein Grundstock an Fachpersonal ist bereits vor Ort. Das entsprechende Per- sonal der Wasserschutzpolizeien kann zudem schnellst- möglich nach Cuxhaven entsendet werden. Cuxhaven ist demnach auch die kostengünstigere Vari- ante. Nicht zuletzt konnte sich Cuxhaven bereits bei der Koordinierung der Bergungsarbeiten der „Pallas“ be- währen. Der künftige Leiter des Havariekommandos Hans- Werner Monsees ist zurzeit dabei, das Havariekommando in Cuxhaven aufzubauen. Voraussichtlich wird es noch im kommenden Jahr seine Arbeit aufnehmen können. Neben dem Havariekommando ist die Vorhaltung aus- reichender Schleppkapazität ein elementarer Bestandteil eines optimalen Sicherheitskonzepts. Ich habe es sehr be- grüßt, dass seit Anfang des Monats erstmals – rechtzeitig Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19803 (C) (D) (A) (B) vor der anstehenden Schlechtwetterperiode – auch in der Ostsee zwei Notschlepper in Rostock und Kiel stationiert sind. Für die Nordsee ist der Chartervertrag der „Oceanic“ weiter verlängert worden. Auf Dauer wird es jedoch ne- ben den Mehrzweckschiffen „Mellum“ und „Neuwerk“ einen starken Hochseeschlepper mit mindestens 160 Ton- nen Pfahlzug geben, der langfristig ausgeschrieben wird. Ziel ist es, ein verunglücktes Schiff innerhalb von zwei Stunden auf den Haken zu nehmen. Die Empfehlungen der Expertenkommission „Havarie Pallas“ werden Schritt für Schritt nachhaltig umgesetzt. Das beweist die dargestellte Neukonzeption der Notfall- vorsorge. Ich bin sicher, dass mit der Umsetzung Bilder von verschmutzten Küstenstreifen, wie wir sie unter an- derem von den Havarien der „Pallas“ und der „Baltic Car- rier“ noch in Erinnerung haben, endgültig der Vergangen- heit angehören. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): „‚Pallas brennt: Bergungsdrama vor Amrum“, „Ölpest im Watt: Verzweifelter Kampf ums Paradies“ und „Fall ,Pallas’ entwickelt sich zum Skandal“, so lauteten die Presse- schlagzeilen vor drei Jahren. Erinnern wir uns: Es waren damals dramatische Stunden, als am 25. Oktober 1998 die „Pallas“ vor der dänischen Küste in Brand geriet. Ein See- mann starb. Die dänische Küstenwache lehnte es mangels Schlepperkapazität ab, die „Pallas“ nach Esbjerg zu ber- gen. In den nächsten Tagen driftete die „Pallas“ auf die deutsche Nordseeküste zu und havarierte vor Amrum. Erst 20 Tage nach dem Ausbruch des Brandes wurde mit den Löscharbeiten begonnen. Trotz des lebensgefährlichen und aufopferungsreichen Einsatzes der Rettungsmannschaften und trotz der Tatsa- che, dass mit der „Pallas“ kein Supertanker, sondern le- diglich ein Holzfrachter mittlerer Größe in Seenot geriet, waren die ökologischen Auswirkungen der Havarie ver- heerend. Das austretende Öl führte zum Tod von circa 12 000 Seevögeln und zur teilweisen Zerstörung des emp- findlichen Ökosystems „Deutsches Wattenmeer“. Als Folge war auch der wichtigste Wirtschaftszweig der Re- gion – der Tourismus – durch Einnahmeausfälle schwer geschädigt. Wie reagierten die Verantwortlichen auf diesen Seeka- tastrophenfall? Die Situation war gekennzeichnet von fehlender Koordination zwischen deutschen und däni- schen Behörden, mangelnder Kooperation zwischen Bun- des- und Landesbehörden und unzureichender Zusam- menarbeit der Landesbehörden untereinander. Mit einem Satz: Es herrschte Chaos. Hauptursache waren struktu- relle Defizite, die Menschen vor Ort haben ihr Bestes ge- geben. Wie sieht es heute, drei Jahre danach, aus? Noch im- mer ist der See-Katastrophen-Einsatz auf fünf Bundesmi- nisterien verteilt und in jedem einzelnen der fünf Küsten- länder auf jeweils vier Landesministerien. Noch immer gibt es keine einheitliche Führung. Noch immer existiert ein Nebeneinander von Bundes- und Landesbehörden. Noch immer steht die Bundesmarine abseits. Auch im- merhin drei Jahre nach dem Seeunfall mit der „Pallas“ hat es bis auf administrative Änderungen keine wirkliche Strukturverbesserung gegeben. Unmittelbar nach dem Unfall wurde eine Vorkommission zur Ursachenermitt- lung eingesetzt, später die so genannte „Grobecker-Kom- mission“. Diese wurde dann abgelöst durch eine „inter- ministerielle Projektgruppe“. Ein offensichtlicher Fall von: „Und wenn ich mal nicht weiter weiß, dann gründ’ ich einen Arbeitskreis.“ In den letzten zehn Jahren kam es zu mehreren 100 Schiffsunfällen in Nord- und Ostsee, 20 alleine in dem nur 50 Quadratkilometer großen Bereich der Kadet- rinne. Sie ist eine der meistbefahrenen Schifffahrtswege in der Ostsee. Täglich passieren drei bis vier Tanker, dazu circa fünf Massengutfrachter diese Strecke, jährlich etwa 50 000 Schiffe. Die Kadetrinne hat teilweise nur eine Tiefe von 18 Metern, was sie extrem risikoreich für tief liegende 100 000-Tonnen-Tanker macht. Da es sich um ein internationales Gewässer handelt, gibt es hier weder eine Lotsannahmepflicht, noch eine Radarüberwachung, noch ist es ein Verkehrstrennungsgebiet. Die Gefahr einer Ölpest ist täglich gegeben, wie das Tankerunglück mit der „Baltic Carrier“ vom 29. März dieses Jahres zeigte. Auf unsere Anfrage vom 27. Februar des Jahres, also einen Monat vor dem größten Ölunfall in jüngster Zeit, antwortete die Bundesregierung unter ande- rem, für die Kadetrinne bestehe aufgrund geltender inter- nationaler Regeln derzeit keine Lotsannahmepflicht, aller- dings ist die Möglichkeit einer freiwilligen Lotsannahme gegeben. Und weiter: „Man habe in dieser Frage die Ein- richtung einer Arbeitsgruppe beschlossen.“ Diese Hand- lungsansätze reichen unserer Meinung nach nicht aus. Es sind kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Verringe- rung des Risikos notwendig, ein Konzept zu mehr Ost- seesicherheit noch in dieser Wintersturmsaison, das über eine maritime Notfallvorsorge hinausgeht. Noch immer ist Handlungsbedarf gegeben. Deshalb hat die Union immer wieder ihre Forderung auf die Tagesordnung gebracht: Wir brauchen eine nationale Küs-tenwache! –, weil wir im Falle eines Unfalls kurze Reaktionszeiten benötigen, weil wir eine straffe, alle Kompetenzen umfassende Organisation brauchen, weil alle an der Rettung Beteiligten nach einheitlichen Grundsätzen handeln müssen und weil die Handelnden als Team aufeinander eingespielt sein müssen und nicht erst im Falle eine Havarie kurzfristig zusammengerufen werden können. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben mit dieser Zielrichtung einer konsequenten unmittelbaren See-Katastrophen-Abwehr zahlreiche Initiativen einge- bracht. Das gilt auch für die CDU/CSU-Landtagsfraktio- nen in Kiel und Schwerin. Als Berliner Maßnahme sind zu erwähnen die Große Anfrage der Union von 1999 mit dem Titel „Schaffung einer deutschen Küstenwache“, die Kleine Anfrage aus dem Jahr 2000 „Sicherheits- und Not- fallkonzept für Nord- und Ostsee“ sowie der heutige De- battenantrag mit der Initiative „Bildung einer Leitstelle für Seesicherheit“. Daneben gab es zahlreiche parlamen- tarische Maßnahmen zu Detailfragen der Seesicherheit. Die Regierung aber verhielt sich bei diesem Druck der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119804 (C) (D) (A) (B) Opposition wie der sprichwörtliche Berg, der nach lan- gem Kreißen eine Maus gebar. Das jetzt von Kurt Bodewig vorgestellte Havariekommando ist ein zaghafter Anfang auf dem Wege zu einer nationalen Küstenwache. Eine Lösung der anstehenden Aufgaben ist es nicht. Das Havariekommando steht nur in einem konkreten Havarie- fall unter einheitlicher Führung, eine ständige Einrichtung mit einem eingespielten Team ist es nicht. Kontraproduk- tiv ist das Abseitsstehen von Zoll, BGS und Bundesma- rine, so Kritiker von der Küste. Olaf Hellwinkel, der Vorsitzende des Nautischen Ver- eins, macht zum Beispiel darauf aufmerksam, dass effek- tiver Küstenschutz nur unter Einbeziehung der SAR-Hub- schrauber, Ölaufklärungsflugzeuge und Ölauffangschiffe der Bundesmarine möglich ist. Andere Experten der Küste schließen sich dieser Kritik an. Im Fall einer neuen Seekatastrophe kann noch nicht effektiv genug gerettet werden. Der Vorstandssprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, Hans von Wecheln, befürchtet, dass durch das Fehlen von BGS und Zoll in Havariekom- mandos in der Praxis eine neue Stabsebene neben der Küs- tenwache aufgebaut wird. Im Havariefall müssten dann auf dieser Ebene getroffene Entscheidungen wiederum koordiniert werden. Ressortdenken hat die Bereitschaft zur Konzentration aller Kräfte in einer Hand zu einer Führung eingebremst. Nimmt man von den Schleppern bis hin zu den Öl- bekämpfungsschiffen allein die Boote des Bundes zusam- men, kommt man auf fast 100 Schiffe. Noch immer gel- ten für den Einsatzverbund Küste zwei Zentren: Neustadt für die Ostsee, Cuxhaven für die Nordsee. Der Bundes- rechnungshof hat, wie auch der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung mehrfach auf die Notwendigkeit der Konzentration aller Seedienste hingewiesen, auch aus fiskalisch-ökonomischen Überle- gungen. Das Management aller Boote aus einer Hand im Krisenfall wurde als Zielmarke herausgestellt. Handlungsdruck kommt auch von der EU-Kommis- sion und durch das Europäische Parlament. Die EU will eine europäische Küstenwache. Deutschland kann aber diesem Erfordernis nur dann entsprechen, wenn es zuerst einmal eine nationale See- und Küstenwache schafft. Auf ihrer Konferenz am 20./21. Dezember 1999, wenige Wo- chen nach dem „Erika“-Unfall vor der Bretagne, hat die Kommission deutlich gemacht, dass man eine einheitliche Schiffsicherheitsbehörde, ein Amt für Seesicherheit, mit Kompetenzen im Katastrophenfall benötigt. Leider ver- ringert sich die Umsetzungsbereitschaft kluger Ideen mit dem zeitlichen Abstand zum vorangegangenen Unglück. Delegiert von den beteiligten Behörden wird im Kata- strophenfall beim Havariekommando auch nur auf Zeit. Die Abgabe von Kompetenzen kann kurzfristig widerru- fen werden. Auch wechseln die verantwortlichen Perso- nen erst im Notfall ihre Position unter das Dach des Kom- mandos. Eine Kontinuität der Zusammenarbeit ist trotz vorgesehener Trainingsperioden nicht gegeben. Es fehlt ein Unfallmanagement aus einem Guss mit klaren Zu- ständigkeiten, einheitlicher Führung und dem Recht des direkten Zugriffs auf alle Einheiten. In drei Jahren sind keine wirklichen Entscheidungen getroffen worden, weil sie in unserem föderalen Zuständigkeitswirrwarr offen- sichtlich auch gar nicht zu treffen sind. Deshalb muss die Bundesregierung in diesem Punkt endlich für eine Neu- ordnung der Zuständigkeiten sorgen. Notwendig dafür ist eine Grundgesetzänderung. Zu diesem Schluss kommt auch das Gutachten der Universität Rostock, welches im Auftrag der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpom- mern erstellt wurde. Es ist unsere Aufgabe als Parlament, das aufzugreifen, was unter anderem der Schleswig-Holsteinische Landtag unter Einbindung von Sozialdemokraten, Christdemokra- ten, Bündnisgrünen und Freien Demokraten vor zweiein- halb Jahren beschlossen hat. Dort wurde, wie dieses Jahr in Schwerin, eine Grundgesetzänderung, eine einheitliche Lösung beim Seekatastrophenschutz gefordert. Diese An- regungen aus Kiel und Schwerin, fachlich und sachlich begründet, sind nicht aufgegriffen worden. Sicher, eine Viertel-Lösung ist besser als keine. Doch wenn jetzt die Winterstürme einsetzen und Sturmfluten das Bild der Nordsee kennzeichnen, ist ein möglicher optimaler Schutz für Mensch, Meer und Küste nicht gegeben. In un- serem Nachbarland, dem Königreich Dänemark, hat es nur wenige Monate gedauert, um ein neues Konzept zur See-Katastrophen-Abwehr vorzulegen, das die dänische Marine einschloss. Wenn jetzt der „blanke Hans“ seine Krallen zeigen sollte und Boote so in Bedrängnis bringt, dass eine Katastrophe möglich wird, müssen sich die Ver- antwortlichen fragen lassen, warum sie nicht klar, konse- quent und zügig gehandelt haben. Es hat offensichtlich bei drei verschiedenen Ministern, die es in diesem Ressort ge- geben hat, an Führungs- und Verantwortungsbereitschaft gefehlt, zum Schaden eines See-Unfallschutzes aus einem Guss. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Schutz unserer Küsten ist nicht nur aus Um- weltschutz-Aspekten dringend geboten. Die Küsten sind auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, das gilt für Nieder- sachsen und Schleswig-Holstein genauso wie für Meck- lenburg-Vorpommern. Der wichtigste Schutz für unsere Küsten muss Prävention sein. Daran arbeiten wir. Trotzdem wird immer ein Restrisiko bleiben, es gibt keinen hundertprozentigen Schutz vor Unfällen. Was wir aber tun können, ist eine Reduzierung des kalkulierbaren Risikos. Dies nicht zu tun wäre fahrlässig. Eine Änderung des Grundgesetzes brauchen wir dafür allerdings nicht. Und wir wollen sie auch nicht, insbeson- dere nicht in der Form, wie jetzt von CDU/CSU vorge- schlagen. Aufschlussreich für die Ziele, die die CDU mit diesem Antrag verfolgt, sind zwei parlamentarische Vor- gänge aus dem Jahr 1999: zum einen die mündliche Frage des Kollegen Börnsen „Einrichtung einer nationalen Küs- tenwache nach dem amerikanischen Vorbild der Coast Guard“ (Drucksache 14/306) und die Große Anfrage der CDU „Schaffung einer deutschen Küstenwache“ (Druck- sache 14/1229). Diese Anfrage besteht etwa zur Hälfte aus Fragen, die mit Küstenschutz nichts zu tun haben, aber die Richtung weisen, in die die CDU offensichtlich denkt. Es geht darin um Kriminalitätsbekämpfung, Drogen und die Umsetzung des Schengener Abkommens, also das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19805 (C) (D) (A) (B) Aufspüren oder Verfolgen von Flüchtlingen. Ihr Vorbild ist die US Coast Guard, bei der Umweltschutz nur ein Punkt unter vielen ist. Es geht Ihnen bei der CDU also um die Durchsetzung ordnungsrechtlicher und sonstiger Ziele. Das machen wir nicht mit. Ich möchte neben dieser grundsätzlichen Kritik an dem vorliegenden Antrag der CDU/CSU noch auf einen Punkt eingehen: CDU/CSU schlagen vor, „im Katastrophenfall“ innerhalb der Leitstelle alle Kompetenzen zusammenzu- fassen. Der Katastrophenfall ist eindeutig im Katastro- phenschutzgesetz definiert, „um Sicherheit, Ordnung und Gesundheit der Bevölkerung zu gewährleisten“. Die von CDU/CSU vorgeschlagene Leitstelle wäre bei der „Pal- las“ nicht zum Einsatz gekommen! Die „Pallas“ war nach Definition keine „Katastrophe“. Die Neukonzeption eines Havariekommandos der Bundesregierung übernimmt ihre Aufgaben dagegen bereits da, wo es um die Abwehr einer Katastrophe geht. Die Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren in- tensiv an der Verbesserung des Küstenschutzes gearbeitet. Eine Reihe von Arbeitsgruppen prüft die Vorschläge der Grobecker-Kommission und haben zu vielen Punkten auch bereits konkrete Maßnahmen vorgelegt. Dazu zählt auch der sehr konkrete Vorschlag zur Einrichtung eines Havariekommandos, mit dem eines der großen strukturel- len Probleme nach der Havarie der „Pallas“ – nämlich das Kompetenzgerangel – durch die Bündelung der Entschei- dungsstrukturen behoben werden soll. Bei schweren See- unfällen wird das neu zu errichtende Havariekommando unter der Leitung eines Bundesbeamten eine einheitliche Einsatzleitung über alle infrage kommenden Einsatz- kräfte des Bundes und der Länder sichern. Dessen Kern ist ein in 24-Stunden-Bereitschaft gehaltenes maritimes Lagezentrum. Es wird aus dem Bereich der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und den Wasser- schutzpolizeien der Küstenländer aufgebaut. Dort werden zukünftig alle relevanten Informationen zusammenlau- fen. Bei einer Havarie übernimmt der Leiter des Havarie- kommandos die Führung des Einsatzes. Die Konzeption des Havariekommandos ist Ihnen be- kannt. Die Verhandlungen mit den Küstenländern zur Umsetzung dieser Neukonzeption eines Havariekomman- dos laufen zurzeit. Ich wünsche mir, dass es schnellst- möglichst zu Einigungen kommt. Die grundgesetzlich festgeschriebenen Bundes- und Landeszuständigkeiten werden bei diesem Konzept gewahrt, die Gefahrenabwehr im See- und Küstenbereich bleibt gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Und genau darum, nämlich den Schutz unserer Küsten an Nord- und Ostsee, geht es. Und um nichts anderes. Hans-Michael Goldmann (FDP): Drei Jahre nach dem Pallas-Unglück in der Deutschen Bucht hat die Bun- desregierung endlich konkrete Maßnahmen zur Verbesse- rung des Küstenschutzes ergriffen. Immer wieder hat die FDP-Bundestagsfraktion in Kleinen Anfragen und Anträ- gen die Bundesregierung gedrängt, konsequent und schnell an der Umsetzung der Empfehlungen der Exper- tenkommission zur Aufarbeitung des Pallas-Unfalls zu ar- beiten. Dabei war es immer unser Ziel, drei Dinge für den Küstenschutz zu erreichen: erstens die Einrichtung eines Havariekommandos, zweitens die Zusammenfassung der Seedienste des Bundes – BGS, Zoll, Fischereiaufsicht und WSV zu einer Seewache unter dem Kommando eines Ha- variekommandos – und drittens die Bereitstellung ausrei- chender Notschleppkapazitäten. Angesichts der jetzt ergriffenen Maßnahmen der Bun- desregierung halte ich den vorliegenden Antrag der CDU/CSU Fraktion für teilweise überholt. Ein Teil der geforderten Maßnahmen sind ja nun endlich umgesetzt worden. In Cuxhaven soll im nächsten Jahr ein zentrales Havariekommando eingerichtet werden. Die dafür nöti- gen Planstellen sind bereits vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen beantragt worden. Diese Entscheidung war überfällig. Aber leider ist sie nicht in der nötigen Konsequenz ausgefallen. Die Emp- fehlung der Expertenkommission zur Einrichtung einer Seewache unter dem Kommando des Havariekommandos will die Bundesregierung nämlich nicht umsetzen. Diese Empfehlung war den Küstenländern besonders wichtig, doch die Bundes-SPD war nicht bereit, auf die SPD-ge- führten Länderregierungen zu hören. Die Ablehnung die- ser Empfehlung ist nicht nachzuvollziehen. Ich stimme dem Deutschen Nautischen Verein Nordfriesland zu, des- sen Vorsitzender Hellwinkel am Dienstag erklärt hat, Res- sorteitelkeiten und Einflussverlustängste beim Zoll und beim BGS-See dürften nicht über dem Allgemeinwohl und über dem Postulat einer sparsamen, Synergiechancen nutzenden Haushaltsführung stehen. Eine Zusammenfas- sung aller maßgeblichen Kräfte zu einer See- oder Küs- tenwache unter dem Kommando des Havariekommandos könnte nachhaltig das Unfallmanagement stärken. Auch das Beispiel Schweden zeigt dies. In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich die Entscheidung der Bundesregierung, die Notschlepp- kapazitäten in der Nord- und Ostsee deutlich zu erhöhen und doppelt so viele Mittel hierfür bereitzustellen. Ich kann nur nicht verstehen, wieso die Bundesregierung sich mit diesem Schritt drei Jahre Zeit ließ. Ich habe aber große Zweifel, ob die Beschränkung der Ausschreibung des neuen Hochseeschleppers für die Deutsche Bucht auf sechs Meter Tiefgang der Entwicklung des Handels- schiffbaus wirklich gerecht wird. Hier sollte man die Vor- schläge des Nautischen Vereins und der Schutzgemein- schaft Deutsche Nordseeküste ernsthaft prüfen, die Ausschreibung zu erweitern. Auch nicht unerwähnt lassen will ich hier, dass ich das Postulat des BMVBW für nicht nachvollziehbar halte, dass das neue Schadstoffbekämp- fungsschiff für die Ostsee hoheitliche Aufgaben zu erfül- len habe und deshalb nicht privat bereedert werden könne; hier wird die FDP-Fraktion noch initiativ werden. Der CDU/CSU-Antrag ist in der vorliegenden Form also nicht mehr ganz zeitgemäß, gibt uns aber die Gele- genheit, im Ausschuss die von der Bundesregierung er- griffenen und angekündigten Maßnahmen kritisch zu überprüfen. Dr. Winfried Wolf (PDS): Der Antrag der CDU/ CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, in einer zentralen Leitstelle die Zuständigkeiten für Seesicherheit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119806 (C) (D) (A) (B) zu bündeln und ihr auch die Wasserpolizei und den Zoll zu unterstellen. Wir halten diesen Antrag für voreilig, teil- weise für überholt und in seinen zentralistischen Tenden- zen für verfehlt. Ohne Zweifel hat die Havarie der „Pallas“ diverse Mängel in der Notfallvorsorge auf See offen gelegt. Dies wurde festgehalten im Bericht der „Unabhängigen Exper- tenkommission Havarie „Pallas“, der dem Bundesminis- ter für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen am 16. Februar 2000 als so genannter „Grobecker-Bericht“ vorgelegt wurde. Dieser Bericht enthält bereits Vorschläge für einen umfangreichen Maßnahmekatalog. Das Bundesverkehrs- ministerium geht davon aus, dass die in diesem Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen ganz oder weitgehend um- gesetzt werden können. Ein Zwischenbericht, der auf den 31. Oktober datiert ist, soll in Kürze veröffentlicht wer- den. Sein Inhalt wurde am 6. November 2001 in Rostock auf einem Workshop Experten vorgestellt. Er soll unter diesen auf weit gehende Zustimmung gestoßen sein. Grundsätzlich glauben wir, dass die Ursache für man- gelhafte Rettungsaktionen bei Katastrophen und Havarien nicht primär die bisherige Struktur der Notfallvorsorge ist. Vielmehr mangelt es an einer optimalen Koordinierung, an der Ausstattung der unterschiedlichen Einrichtungen für eine solche Koordination, an der Bereitstellung von adäquaten Rettungs- und Notfallkapazitäten und an der sofortigen Verfügbarkeit dieser Kapazitäten. Die alltäglichen Aufgaben von Zoll und Wasserpolizei haben mit der Notfallversorgung bei Schiffshavarien nicht viel zu tun. Ein Zusammenführen der hier vorhan- denen Kapazitäten ist in Fällen von Katastrophen sinnvoll und möglich. Die generelle Zuordnung dieser Kapazitäten zu einer Leitstelle – und die entsprechende Änderung des Grundgesetzes – erscheint uns jedoch zu weitreichend, nicht zielführend und teilweise kontraproduktiv. Wir gehen davon aus, dass im Verlauf der Beratung dieses Antrags in den Ausschüssen, insbesondere im Aus- schuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, und in der Aufarbeitung des zitierten „Zwischenberichts“ zu den Folgen des „Pallas“-Unglücks mit seinem Maßnahmeka- talog es möglich sein wird, zu einem sinnvolleren Beitrag in Sachen Katastrophenschutz an der Küste und auf See zu gelangen. Angelika Mertens, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Bei der Durchsicht Ihres Antrages werden Sie festgestellt ha- ben, dass er insgesamt nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Diskussion zur Optimierung der maritimen Notfall- vorsorge ist. Das hat sich in der letzten Woche auf der zweiten Nationalen Maritimen Konferenz in Rostock ge- zeigt. Die Ergebnisse waren eindeutig. Ihrem Anliegen, der Optimierung der Leitung des Not- fallmanagements bei Seeunfällen, entsprechen wir mit der Bildung des Havariekommandos. Wie Sie wissen, haben sich Bund und Küstenländer im Rahmen des Projekts „Maritime Notfallvorsorge“ auf ein Konzept für das Ha- variekommando geeinigt. Damit ist der politische Wille eindeutig dokumentiert. Wir sind dabei, das Kommando, für das wir die Zustimmung weiter Kreise der Fachöf- fentlichkeit erhalten haben, im nächsten Jahr einzurich- ten. Noch in diesem Jahr wird der entsprechende Aufbau- stab mit seinen Arbeiten beginnen. Uns war und ist wichtig, dass zur Einrichtung des Havariekommandos weder das Grundgesetz noch einfache Bundesgesetze geändert werden müssen, sondern Bund/Länder-Verein- barungen ausreichen. Hinsichtlich der von Ihnen geforderten Zusammenfas- sung der Zuständigkeiten der Vollzugsbehörden auf See kann ich nur Folgendes feststellen: Mit dem Koordi- nierungsverbund Küstenwache wird bereits heute ein System des optimalen Einsatzes der vorhandenen Res- sourcen praktiziert. Eine Fortentwicklung dieser Zusam- menarbeit wäre denkbar, wenn auch die Vollzugsbehörden der Küstenländer intensiver in den Koordinationsprozess einbezogen werden könnten. Dazu haben die Bundesres- sorts den Innenressorts der Küstenländer einen Vorschlag unterbreitet, mit dem durch Bildung eines Kooperations- verbandes aller mit Vollzug auf See befassten Bundes- und Landesbehörden auch ohne Grundgesetzänderung eine erhöhte Effektivität erreicht werden könnte und dem Anliegen des Beschlusses des Antrages von Schleswig- Holstein vom November 1999 entsprochen werden könnte. Die Diskussionen und die Arbeiten seit der Havarie der „Pallas“ haben eines doch deutlich gezeigt: Wir alle stre- ben den nachhaltigen Schutz der Meere und Küsten an. Die Bundesregierung bemüht sich erfolgreich auf allen Ebenen um hohe Sicherheitsstandards für die Schiffe und ein effektives Management für den Notfall. Für den Fall, dass trotz aller genannten Vorsorgemaßnahmen eine Ha- varie eintreten sollte, wurden als Konsequenz aus der „Pallas“-Havarie die Alarmpläne grundlegend überarbei- tet. Ihre Optimierung ist ständige Aufgabe. Für die Si- cherheit unserer Küsten ist die Bildung des einheitlichen Havariekommandos beschlossen. Damit ist künftig ge- währleistet, dass in einem Notfall innerhalb von zwei Stunden der Einsatzort erreicht werden kann. Gleichzei- tig bauen wir die Notschleppkapazitäten in Nord- und Ost- see aus. In der Ostsee – das ist eine wichtige Neuerung – werden wir zukünftig auch von staatlicher Seite Not- schleppkapazität vorhalten. Auch hier werden wir für die gesamte Küste Einsatzzeiten von maximal zwei Stunden realisieren. In der vergangenen Woche wurden in einem ersten Schritt Notschlepper für Kiel und in Warnemünde einsatzfähig bereitgestellt. Dazu kommt eine speziali- sierte Eingreiftruppe zum Absetzen an Bord eines Hava- risten. Zudem werden die Einsatzmittel zur Bekämpfung ei- ner Havarie beträchtlich ausgebaut. Wir haben eine Flotte von Mehrzweckschiffen, die neben ihren Seezeichenauf- gaben modernste Technik zur Schadstoffbekämpfung vor- halten und überwiegend auch für Notschleppaufgaben einsetzbar sind. Die Suche und Rettung von Schiffbrüchigen ist in den bewährten Händen der Deutschen Gesellschaft zur Ret- tung Schiffbrüchiger und – soweit Lufteinsätze erforder- lich sind – der Marine. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19807 (C) (D) (A) (B) Seit vorletzter Woche ist auch das elektronische Schiffs- erkennungssystem, die so genannte AIS-Transponder in Rostock-Warnemünde, in Betrieb. Außerdem konnten wir international die Stilllegung von Ein-Hüllen-Tankern beschleunigen. Bei einer Havarie kommt es darauf an, dass Zustän- digkeiten und Kommunikationswege klar definiert sind, einwandfrei arbeiten und dass ein Unfallmanagement aus einer Hand gewährleistet ist. Dafür werden wir gemein- sam mit den Küstenländern das Havariekommando ein- richten, das im nächsten Jahr von Cuxhaven aus seine Tätigkeit aufnehmen wird. Die hierfür erforderlichen Ver- einbarungen zwischen Bund und Küstenländern stehen vor dem Abschluss. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig stärken (Tagesord- nungspunkt 13) Brunhilde Irber (SPD): Wir haben mit diesem Antrag zwei Themenfelder in Angriff genommen: den Tourismus im ländlichen Raum und die Debatte um die Nachhaltig- keit. Die Nachhaltigkeit ist natürlich nicht nur auf den ländlichen Raum beschränkt, sondern sie muss alle Be- reiche des Tourismus erfassen. In der Fläche ist aber eine besondere staatliche Verantwortung gegeben. Aus dem Verfassungsgebot der Vergleichbarkeit der Lebensver- hältnisse in ganz Deutschland ergibt sich die Pflicht, die Entwicklung im ländlichen Raum zu unterstützen. Da sich das Kundenverhalten im Tourismus weitestgehend den staatlichen Eingriffen oder der Steuerung entzieht, setzen wir bei der Attraktivität der Ziele an. Wir wollen den Ur- laub auf dem Lande in der Qualität und im Umfang des Angebots verbessern. Die Pflege der Naturlandschaften und die Erwirtschaf- tung von Erträgen aus der Naturnutzung lag in der Ver- gangenheit überwiegend bei den Bauern. Der Struktur- wandel in der Landwirtschaft hat die Landschaftsnutzung und somit auch die Landschaftspflege beschränkt. Das durchschnittliche Einkommen der Landwirte und ihrer Betriebe hat sich verschlechtert. Als Folge müssen sich Betriebe nach ergänzenden Einkommen umsehen. Wir wollen mit dem Antrag die Bedingungen für die Betriebe verbessern und die Qualität des Tourismus auf dem Lande nachhaltig anheben. Worüber reden wir? Natürlich über den Urlaub auf dem Bauernhof, aber auch über das Angebot von kleinen Pen- sionen und Privatzimmern im ländlichen Raum. Die Fähigkeit der Landwirte, das Kultur- und Naturerbe in den ländlichen Räumen zu erhalten und dort, wo es verloren gegangen ist, die Ursprünglichkeit wieder herzustellen, gilt es zu unterstützen. Als Beispiel dafür, was passiert, wenn das nicht ge- lingt, sei einmal Mallorca genannt. Da das Einkommen der Olivenbauern niedriger liegt als das durchschnittliche Einkommen in den anderen Berufen, geben viele Bauern ihren Hof auf. Bald wird Mallorca ohne Olivenhaine sein – ein unschätzbarer Verlust für den Tourismus. Der Tou- rismusminister von Mallorca hat uns eindringlich auf diese besorgliche Entwicklung in Mallorca hingewiesen. Eine solche Entwicklung darf bei uns nicht entstehen. Wir sind aber auch in der Situation, dass immer mehr insbesondere Familien einen Urlaub auf dem Lande an- streben, laut Institut für Tourismus und Bäderforschung in Nordeuropa 6,9 Millionen Menschen, dass also die Nach- frage steigt. Dem wachsenden Bedürfnis wollen wir ge- recht werden. Tourismus auf dem Lande bedeutet auch Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen und Ausbil- dungsplätzen sowie eine positive Wirtschaftsentwick- lung. Er beugt der Landflucht vor. Er schafft berufliche Perspektiven für die Jugend. Dies sind Punkte, die weit über das Thema Urlaub auf dem Bauernhof und Erholung hinausgehen. Nach dem Abbau der militärischen Streitkräfte in Deutschland – also der Bundeswehr und der Alliierten und dem Wegfall der zivilen Nachfrage dieser Streitkräfte – ist dieser Antrag auch ein Beitrag zur Konversion. Der Tourismus kann die ausgefallene Nachfrage in diesen ehe- mals militärisch genutzten Regionen kompensieren. Ich möchte noch auf eine Forderung hinweisen, die mir besonders am Herzen liegt: Wir wollen mit einem Mo- dellprojekt die Zusammenführung von Internetangeboten für diese Urlaubsform unter einem Dachportal und in ver- schiedener sprachlicher Ausrichtung anstoßen. Die Ver- marktung über das Internet ist gerade in diesem Segment von besonderer Bedeutung. Wir haben eine klare Ziel- gruppe, ein gut geordnetes Angebot und eine bislang schwächelnde Vermarktung. Das Internetportal ist die richtige Lösung für dieses Problem. Ich sehe nicht, dass die Opposition diesem Antrag et- was Vergleichbares entgegensetzen kann. Überhaupt scheint sich die Opposition in dieser Legislaturperiode darauf zu beschränken, den schlechten Eindruck in Bezug auf die DZT-Finanzierung aus der vergangenen Legisla- turperiode auszugleichen. Das reicht aber für eine kon- struktive Tourismuspolitik nicht aus. Annette Faße (SPD):Im Deutschlandtourismus ge- winnen der Urlaub auf dem Bauernhof und der Landur- laub immer mehr an Bedeutung. Seit 1986 zeigt diese Sparte einen anhaltend positiven Trend. Der Bauernhof- und Landtourismus sichert Arbeits- plätze und Einkommen in und außerhalb der Landwirt- schaft. Besonders in Zeiten des Strukturwandels in der Agrarlandschaft und vor dem Hintergrund der BSE-Krise ist dieses zusätzliche Einkommen für viele Landwirte not- wendig. Auf der anderen Seite hilft der Bauernhoftouris- mus, ein Stück des verloren gegangenen Vertrauens des Verbrauchers in die Landwirtschaft zurückzugewinnen. Etwa 20 000 landwirtschaftliche Betriebe bieten Ur- laub auf dem Bauernhof an. Bei dieser Urlaubsform woh- nen die Gäste auf dem Bauernhof, im Gegensatz zum Lan- durlaub, bei dem die Gäste in Landpensionen wohnen, die nicht an einen landwirtschaftlichen Betrieb gebunden sind. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119808 (C) (D) (A) (B) Die Zahl der Übernachtungen ist in den letzten zehn Jahren im Landtourismus von 12 Millionen auf 27 Milli- onen gestiegen. Der Anteil des Urlaubs auf dem Bauern- hof an den gesamten Übernachtungen ist von 0,8 Prozent auf 5,5 Prozent gestiegen. Bislang bildeten Familien mit Kindern den größten Anteil aller Bauernhofreisenden mit 45 Prozent. Da neun von zehn Bauernhofreisen als Haupturlaubs- reisen unternommen werden, stärken sie die Nachfrage am Urlaubsort deutlich. Im Jahr 1999 wurden mit dem Bauernhof- und Landurlaub 972 Millionen DM erwirt- schaftet. Urlaub auf dem Bauernhof und Landurlaub sind be- liebt, weil es Landschaft und Natur pur gibt, der persönli- che Kontakt zu den Gastgebern geschätzt wird, die oft in- habergeführten Familienbetriebe Einblicke in die Arbeits- und Lebensweise auf dem Land geben, vor Ort landwirt- schaftliche Produkte gekauft werden können, die Gastge- ber auf die Wünsche ihrer Gäste individuell eingehen und Sportaktivitäten oder lokale Veranstaltungen anbieten oder darauf hinweisen. So sind viele Bauernhof- und Landtouristen zu Stammkunden geworden. Von besonderer Bedeutung für den Tourismus im länd- lichen Raum sind die zahlreichen Schutzgebiete unter- schiedlichster Kategorien. Sie geben diesem Wirtschafts- zweig vielfältige Impulse, die unter anderem auch eine wirtschaftliche Saisonverlängerung ermöglichen. Beson- ders Naturparks haben neben den Naturschutzaufgaben die Entwicklung eines naturverträglichen Tourismus zum Ziel. In mehreren Biosphärenreservaten gibt es ein Pro- jekt „jobmotor“, das regionale Vermarktung, Urlaub auf dem Bauernhof und anderes mehr miteinander verknüpft. Urlaub auf dem Bauernhof wird vom Bundesministe- rium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- schaft und im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Ver- besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes gefördert. Jährlich werden rund 260 Millionen DM Bun- des- und Landesmittel unter anderem für Maßnahmen der Infrastrukturverbesserung, des Erhalts ortsprägender Bausubstanz und für Umnutzungsinvestitionen einge- setzt. Damit sollen letztendlich die Dörfer touristisch at- traktiver werden. Im Tourismuspolitischen Bericht 2000 hat die Bundes- regierung bezogen auf den Zweig „Urlaub auf dem Bau- ernhof/Urlaub auf dem Land“ festgestellt, dass das „grundsätzliche Interesse an dieser Urlaubsform (...) nicht vollständig in konkrete Nachfrage um(ge)setzt (wird)“. Die Tourismusverbände sind sich darin einig, dass mit dif- ferenzierten Angeboten und einer zielgruppenspezifi- schen Vermarktung der Anteil dieser Sparte am Gesamt- reiseaufkommen noch gesteigert werden. kann. Grundlage hierfür ist allerdings zunächst eine aussage- kräftige Datengrundlage. Sie ermöglicht es denAnbietern, Entwicklungen und Trends zu erkennen, ihr Angebot auf die Nachfrage auszurichten und gezielt auf die Wünsche der Touristen zu reagieren. Bisher fehlt eine einheitliche Datengrundlage. In der Beherbergungsstatistik werden nur Betriebe mit mehr als acht Betten erfasst. Im Touris- muspolitischen Bericht geht man davon, aus, dass 50 Pro- zent der Betriebe nicht berücksichtigt werden. In einer vom Institut für Tourismus und Bäderforschung in Nord- europa (N.I.T.) durchgeführten Auswertung der Reiseana- lyse 1999 geht man von einem Potenzial von 6,9 Millionen Personen aus, die sich für den Bauernhofurlaub interessie- ren. Des Weiteren sind gemeinsame Werbe- und Marke- tingaktivitäten der Verbände nötig, beginnend bei einem professionellen lnternetauftritt. Mit dem Kompetenzzen- trum in Worms steht auch für Veranstalter von Bauernhof- und Landtourismus professionelle Beratung für die Ein- führung von E-Commerce zur Verfügung. In den Bereich der Werbeaktivitäten fällt auch die Prüfung eines bundes- weit einheitlichen Werbe- und Hinweisschildes für den Bauernhof- und Landtourismus. Nur so können Touristen die – oft abseits gelegenen – „Heuhotels“, „Hofcafes“ und „Bed & Box“- Angebote überhaupt finden. Ein weiteres Thema ist die Umnutzung leer stehender landwirtschaftlicher Gebäude. Ferienwohnungen auf dem Bauernhof können bereits als mitgezogene Nutzungen im Rahmen der Privilegierungen für landwirtschaftliche Ge- bäude nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB eingerichtet werden. Ihre Zahl ist nicht begrenzt, sondern abhängig von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung im Verhältnis zur Hauptnut- zung; die mitgezogene Nutzung muss von untergeordne- ter Bedeutung sein. Eine Überprüfung des § 35 halte ich für sinnvoll. Urlaub auf dem Bauernhof und Landurlaub bilden be- reits jetzt ein wichtiges Segment im Deutschlandtouris- mus. Hier ruht noch ein großes Potenzial, das wir mobili- sieren können und sollten. Damit sichern wir Tourismus und Landwirtschaft in Deutschland nachhaltig. Ernst Hinsken (CDU/CSU): Ich fühle mich dem Thema „Tourismus im ländlichen Raum“ gleich in zweifacher Hinsicht verbunden: zum einen aufgrund meiner früheren Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und zum anderen dadurch, dass in meinem Wahlkreis Landtouris- mus, insbesondere Urlaub auf dem Bauernhof, ganz groß geschrieben wird. Mein Wahlkreis liegt in Bayern, dem Land, in dem 1999 bei Urlaub auf dem Bauernhof 27 Mil- lionen Übernachtungen gezählt wurden. Dies ist ein An- teil von 37 Prozent. Auch im letzten Jahr haben wieder rund 1 Million Gäste Urlaub auf über 7 000 bayerischen Bauernhöfen verbracht. Diese Zahlen belegen es: Der bäuerliche Gästebetrieb ist längst nicht mehr nur ein Hobby der Bäuerin, sondern ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor. Was vor über hundert Jahren als „Sommerfrische“ begann, hat sich mittlerweile zu einem beachtlichen Tourismuszweig mit hoher Attraktivität entwickelt. Dank „Urlaub auf dem Bauernhof“ können heute viele landwirtschaftliche Be- triebe ihre Existenz sichern und unter bestimmten Um- ständen eine echte Zukunftsperspektive für den Hofnach- folger bieten. Ohne diese Perspektive hätten in den letzten Jahren wahrscheinlich noch mehr Landwirte endgültig die Flinte ins Korn geworfen. Was ist der Grund für die wachsende Beliebtheit des Landtourismus? Es ist wohl in erster Linie die Nähe zur Natur und zu den Tieren auf dem Bauernhof, die Ruhe und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19809 (C) (D) (A) (B) eine gepflegte, abwechslungsreiche Kulturlandschaft mit der Möglichkeit zu umweltverträglichen Freizeitakti- vitäten. Gerade der Wechsel von Äckern und Wiesen, Streuobstbeständen und Weinbergen, Wald und Ge- wässern macht den Reiz einer Landschaft aus. Unsere Landschaften wurden in jahrhundertelanger Arbeit von der Land- und Forstwirtschaft geschaffen und geformt. Die Pflege dieser Landschaften ist Voraussetzung dafür, dass der ländliche Raum als Urlaubsort attraktiv bleibt. Die Landwirte erbringen diese Leistung; eine Leistung, die noch immer nicht die verdiente Beachtung findet und nur unzureichend honoriert wird. Es ist davon auszugehen, dass das grundsätzliche In- teresse an dieser Urlaubsform immer noch größer ist als die konkrete Nachfrage. Laut einer Umfrage würden 12 Prozent aller Deutschen gerne einmal Urlaub auf dem Bauernhof machen, aber nur 4 Prozent nutzen diese Möglichkeit. Um dies zu ändern, müssen Idee, Konzept und Angebot vom Urlaub auf dem Bauernhof stetig der Nachfrage entsprechend weiterentwickelt werden, ohne jedoch das vom Urlaubsgast gewünschte bäuerliche Ambiente zu verlieren. Ein bisschen „Stallgeruch“ gehört einfach dazu. Große Chancen sehe ich auch in einer Spezialisierung der Betriebe auf bestimmte Zielgruppen. Wie so etwas aussehen kann, zeigt sich etwa in Ostbayern. Hier bieten 264 Betriebe ein auf Familien mit Babys und Kleinkindern, Angler, Reiter, Radler und Golfer abge- stimmtes Angebot an. 67 Betriebe sind vom Kneipp-Bund anerkannte Gesundheitshöfe oder „Regionale Netzwerk- partner im Gesundheitsmarkt“. Den Erfolg solcher Spezialangebote belegen folgende Zahlen: Während die spezialisierten Betriebe 200 Übernachtungen pro Bett und Jahr verbuchen, zählen nicht spezialisierte Höfe lediglich 146 Übernachtungen. Durch eine solche „Nischenstrate- gie“ kennt der Anbieter die Wünsche und Erwartungen seiner Zielgruppe genau und kann sein Angebot dem- entsprechend gestalten. Die deutlichen Zuwächse im Deutschlandtourismus sind der Beweis: Orientierung am Kunden bringt Aufschwung! „Natur erleben in Deutschland“ wird im Interna- tionalen Jahr des Ökotourismus 2002 ein zentrales Thema bei der DZT sein. Wo könnte man die Natur besser erleben als beim Urlaub auf dem Bauernhof? Das Potenzial der am Landtourismus interessierten Urlauber müssen wir künftig noch stärker nutzen. Endlich haben das auch die Kollegen von der Regierungskoalition erkannt und das Thema wieder auf die Tagesordnung ge- bracht. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Es wäre allerdings besser gewesen, Sie hätten in Ihren Antrag nur halb so viele Forderungen hinein geschrieben und dafür das Kind beim Namen genannt. Sie reißen zwar alles an; im Detail bleiben Sie aber konkrete Lösungen schuldig. Zum Beispiel beim Thema Umnutzung von bestehenden land- wirtschaftlichen Gebäuden. Hier fordern Sie, die Bun- desregierung solle prüfen, inwieweit durch Änderungen des Baugesetzbuches die Umnutzungsmöglichkeiten im Hinblick auf eine bessere wirtschaftliche Nutzung erwei- tert werden können. Die Bundesregierung soll aber nicht nur „prüfen“, sie soll etwas tun. Von Ihnen erwarte ich konkrete Vorschläge zur Änderung des Baugesetzbuches. Davon, dass die Bundesregierung Möglichkeiten prüft, hat der Landwirt, der zum Beispiel seine alte Scheune zur Unterbringung von Urlaubsgästen nutzen will, gar nichts. Ziel muss es sein, die bestehende – zum Teil historische – Bausubstanz zur Nutzung zu erhalten. Eine weitere Zer- siedlung der Landschaft ist zu verhindern. Wir sind uns alle darüber einig, dass eine Verbesserung der Daten- und Informationsgrundlage im Bereich Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus dringend er- forderlich ist. Das wurde spätestens bei der öffentlichen Anhörung zum Thema „Landtourismus in Deutschland“ auf der Grünen Woche im Januar dieses Jahres deutlich. Ich verstehe aber nicht, warum Sie in Ihren Antrag die Forderung nach einer Studie über das Verbraucherverhal- ten und die Verbrauchererwartungen aufgenommen haben. Denn erst im September hat sich die Bundesar- beitsgemeinschaft „Urlaub auf dem Bauernhof“ (BAG) mit ihrer „Initiative Marktforschung“ an das Bundes- landwirtschaftsministerium gewandt. Sie beantragt darin die Förderung einer Studie über das Angebots- und Leis- tungsspektrum der Betriebe sowie über die gegenwärti- gen und zukünftigen Erwartungen der Gäste. Ich will doch nicht hoffen, dass Sie mit Ihrem Antrag die Be- mühungen der BAG aushebeln wollen. Ihr Antrag enthält ohne Zweifel auch gute Ansätze. Ich bin gerne bereit, das anzuerkennen. Während Sie sich hier für die Landwirte stark machen, legen Sie Ihnen an an- derer Stelle aber neue Steine in den Weg. Bestes Beispiel ist die Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes. Die erzwungene Neueinrichtung von Hecken und Saumstruk- turen ist für die betroffenen Bauern mit großen fi- nanziellen Belastungen verbunden: Nach Berechnungen der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen belaufen sich die Kosten für die Anpflanzung von 2 000 Meter Hecke auf 20 000 DM und die Pflege in den ersten fünf Jahren verschlingt weitere 20 000 DM. Dies passt nicht zusammen. Die zusätzlichen Einnahmen aus dem Touris- mus, die Sie den Bauern mit Ihrem Antrag verschaffen wollen, ziehen Sie ihnen also auf der anderen Seite wieder aus der Tasche. Den Landwirten, die Urlaub auf dem Bauernhof an- bieten, wird ohnehin viel abverlangt. Die Gäste wollen einerseits aktiv betreut werden, andererseits aber auch den Bauern bei ihrer alltäglichen Arbeit über die Schulter schauen. Auf den Urlaubshöfen ist also quasi jeden Tag „Tag der offenen Tür“. Dafür, dass viele Landwirte diese zusätzliche Belastung gerne auf sich nehmen, verdienen sie unsere Anerkennung. Sie tragen durch ihr Engagement entscheidend zur Verständigung von Stadt- und Land- bevölkerung bei. Gerade seit der BSE-Krise ist es beson- ders wichtig, das Vertrauen der Verbraucher in die Land- wirtschaft wiederzugewinnen. Das eigene Erleben der Produktion von Lebensmitteln durch die Urlauber kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn man einmal von den freundlich blökenden Schafen, grun- zenden Schweinen und laut schnatternden Gänsen ab- sieht, ist es auf dem Land sehr ruhig. Deswegen zieht es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119810 (C) (D) (A) (B) immer mehr Touristen dort hin. Auf dem Land fällt es leicht, Alltagsstress und Hektik hinter sich zu lassen. Das erkennen immer mehr Menschen. Innerhalb von zehn Jahren sind die Zahlen in diesem Bereich um weit mehr als das Doppelte angestiegen. Rund 20 000 Landpensionen und -hotels erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Touristen, die nicht gern auf Matrat- zen ihre Nachtruhe finden, werden auf Bauernhöfen ebenso fündig. Ihnen bietet sich – vorausgesetzt sie leiden nicht unter Heuschnupfen – die Möglichkeit, ihren Schlafsack im Stroh auszubreiten. Landtourismus ist individuell, vielfältig und attraktiv. Mit dem vorliegenden rot-grünen Antrag ist es uns einmal mehr gelungen, dazu beizutragen, dass der ohnehin sehr beliebte und sehr vielfältige Deutschlandtourismus im Bereich des ländlichen Raumes noch bessere Rahmenbe- dingungen erhält. Der Deutschlandtourismus wird noch anziehender und interessanter. Obwohl unser Maßnahme- paket der Opposition traditionsgemäß nicht ausreichend sein wird, ist festzustellen, dass die rot-grüne Koalition einmal mehr Deutschland als Reiseland voranbringt. Gerade in dieser Zeit, in der viele Menschen durch den Terror verunsichert sind und Angst vor dem Verreisen ha- ben, weichen viele Menschen auf Reiseziele in Deutsch- land aus. Und natürlich verspürt man in dieser Zeit noch stärker das Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit. Kaum eine Sparte kommt diesem Bedürfnis mehr entgegen als der Landtourismus. Landtourismus ist erholsam, abwechslungsreich und umweltschonend. Längst wissen nicht mehr nur Familien die günstige Gelegenheit zu schätzen. Menschen jeden Alters lassen mittlerweile auf dem Bauernhof oder in ei- ner Landpension die Seele baumeln. Leider kann man der- zeit noch nicht im Detail sagen, wer denn eigentlich diese Zielgruppe sei, an die es sich speziell zu wenden gilt. Dies wird sich baldmöglichst mittels diverser im An- trag verankerter Maßnahmen ändern. Die Übernach- tungsdaten werden künftig umfangreicher und detaillier- ter erfasst werden. Des Weiteren wird sich eine Studie mit den Verbrauchererwartungen der Touristen im ländlichen Raum beschäftigen, Angebot und Nachfrage müssen schließlich aufeinander abgestimmt werden. Anbieter und Tourismuspolitiker werden aus dieser Studie entspre- chende Schlüsse ziehen können und dem Bauernhof- und Landtourismus neue Impulse geben. Diese Maßnahme wird sich lohnen, denn aus vielen Landtouristen werden Stammkunden. Männer und Frauen, ob allein oder als Fa- milie, kehren gern auf den Bauernhof zurück. Doch mit der oben angesprochenen Seelenmassage der Touristen allein ist es im Urlaub noch nicht getan. Man kann schließlich nicht nur von Luft und Liebe leben. Gau- menfreuden spielen eine ebenfalls – im wahrsten Sinne des Wortes – gewichtige Rolle. Landtourismus schmeckt auch gut. Auf dem Gebiet wird es dank unserer Initiative gelingen, den Anteil regionaler Produkte zu erhöhen. Dank einer möglichen Direktvermarktung werden fle- xiblere Absatzmöglichkeiten eröffnet. Produzenten kön- nen ihre schmackhaften Produkte einem breiteren Kun- denstamm anbieten. In den Küchen der Hotellerie und Gastronomie werden die Kellnerinnen und Kellner Teller an den Tisch der Gäste bringen, auf denen sich Fleisch, Obst und Gemüse aus der Gegend wiederfinden. Die Nachfrage ist aufseiten der Anbieter und der Gäste groß. In Brandenburg gibt es zum Beispiel schon seit einigen Jahren den „Brandenburger Teller“. Über 50 Restaurants, Gasthäuser und Hotels beteiligen sich daran. Auf ihrer Karte findet der hungrige Gast ein spezielles Gericht, das aus frischen regionalen Brandenburger Spezialitäten zu- bereitet wurde. „Frisch von hier und lecker“ – lautet das Motto. Für die Gerichte und die Produkte gelten strenge Kriterien. Fachleute gehen davon aus, dass der Anteil re- gionaler Produkte auf 25 Prozent angehoben werden kann. Gelungene Aktionen, wie die in Brandenburg, und unser Antrag werden dazu beitragen. Landtourismus ist lehrreich, anschaulich und nützlich. Zwar sind BSE sowie Maul- und Klauenseuche mittler- weile fast in Vergessenheit geraten, aber der Bauernhof und der Landtourismus haben einen großen Anteil daran, dass der Glaube der Bevölkerung in die landwirtschaftli- che Produktion nicht verloren gegangen ist. Als Tourist kann man nicht nur zusehen, wie die Tierhaltung funktio- niert, sondern vereinzelt auch selbst mit anpacken. So et- was schafft Vertrauen und vermittelt weit tiefere Ein- blicke und Verständnis, als irgendein Lehrbuch es schaffen könnte. Erst vor kurzem konnten wir die Einführung der touris- tischen Umweltdachmarke „Viabono“ vermelden, deren Einführung ein großer Erfolg für die Tourismuspolitik von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD ist. Die Um- weltdachmarke „Viabono“ wird den Tourismusstandort Deutschland nachhaltig ökologisch prägen. Umwelt, Ver- brauchern und Anbietern ist damit gedient. Gerade für den Landtourismus ist das funktionierende Zusammenspiel dieser drei Partner wichtig. Daher arbeiten wir mit unserem Antrag darauf hin, un- ter Anbietern verstärkt für die Dachmarke zu werben. Wenn diese erkennen, welche Marketingvorteile ihnen der Beitritt zu „Viabono“ bringt, werden sie nicht zögern beizutreten. Landtourismus ist einzigartig und erholsam – auch dank der fürsorglichen Betreuung der Touristen durch die Gastgeber. SPD und Grüne sorgen dafür, dass der Landtourismus als etablierter Wirtschaftszweig des Deutschlandtouris- mus auch weiterhin prosperiert. Während die rechte Seite des Hauses den Landtourismus offensichtlich ignoriert und sich bei Vorschlägen zur Verbesserung der Wettbe- werbsfähigkeit des Landtourismus vornehm zurückhält oder zur obligatorischen Ökosteuerkeule greift, die aber natürlich nicht trifft. Und noch etwas sichern wir: Viele Kinder sollen noch erfahren können, dass Schnitzel nicht aus der Tiefkühl- truhe kommen und Kühe nicht lila sind. Ernst Burgbacher (FDP): Unter den Tourismuspoli- tikern herrscht ein Grundkonsens in Bezug auf die Be- deutung des Wirtschaftsfaktors Tourismus. Hierzu gehört Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19811 (C) (D) (A) (B) selbstverständlich auch der bedeutende Teilbereich „Ur- laub auf dem Bauernhof“ bzw. Landtourismus. Der An- trag von SPD und Grünen „Den Tourismus im ländlichen Raum nachhaltig stärken“ ist kaum kontrovers, wenn auch wenig aussagekräftig. Die Liberalen begrüßen, dass 2002 zum Jahr des Öko- tourismus ausgerufen worden ist. Die Einführung der Umweltdachmarke „Viabono“ wird von uns unterstützt. Die Sicherung eines intakten ländlichen Raumes mit viel- fältigen Funktionen erfordert gesamtgesellschaftliche An- strengungen. Für diskussionswürdig am vorliegenden An- trag halte ich in erster Linie das Ziel von Rot-Grün, die Daten der Übernachtungen im Rahmen des Urlaubs auf dem Bauernhof so umfassend wie möglich erfassen zu wollen. Dies führt in den Augen der Liberalen zu einem weiteren großen bürokratischen Aufwand, für den diese Regierungskoalition bekannt ist. In Zeiten, in denen die Landwirtschaft mit den Folgen von BSE und MKS zu kämpfen hat, und angesichts eines sich rasant vollziehenden Strukturwandels in der Land- wirtschaft ist es wichtig, zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen. Die FDP sieht Möglichkeiten zur Steigerung der Übernachtungszahlen vorrangig durch folgende Maß- nahmen: Erstens. Ausbau der Nutzung der neuen Medien unter dem Motto „Bauernbett im Internet“. Gerade für „Stadt- menschen“, die im Internet ihr Urlaubsziel suchen und bu- chen, ist der Landtourismus eine interessante Alternative, um in der Natur abzuschalten. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Angebote überhaupt im Internet zu finden sind. Zweitens. Die Deutsche Zentrale für Tourismus sollte gemeinsam mit der Deutschen Landwirtschafts-Gesell- schaft, der Bundesarbeitsgemeinschaft „Urlaub auf dem Bauernhof“ und der Reiseindustrie weitere Anstrengun- gen unternehmen, um durch Marketingmaßnahmen die vorhandenen Potenziale weiter auszubauen. Drittens. Eine Anpassung der im Baurecht enthaltenen bzw. in der Anwendung bauplanungs- und ordnungs- rechtlicher Vorschriften durch Genehmigungsbehörden angewandten Bestimmungen im Interesse des Landtou- rismus. Viertens. Eine verbesserte Koordination der Bundes- ministerien für Wirtschaft und für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, um auf diese Weise Sy- nergieeffekte zu erzielen. In den Zielen und der grundsätzlichen Unterstützung für den Tourismus im ländlichen Raum besteht Überein- stimmung zwischen den Fraktionen. Viele der im Antrag von SPD und Grünen genannten Maßnahmen sind zu be- grüßen. Das geht von der Direktvermarktung regionaler Produkte über eine Verbesserung des Inlandmarketings bis zur Neuordnung der Genehmigung von Hinweis- und Werbeschildern. Allerdings bleibt der Antrag von SPD und Grünen in vielen Punkten allzu sehr im Unverbindli- chen. Die Vielzahl an Prüfaufträgen und Absichtser- klärungen im Forderungskatalog der Koalitionsfraktionen unterstreicht das eindeutig. Wenn SPD und Grüne tatsächlich die Rahmenbedin- gungen für den „Urlaub auf dem Bauernhof“ und den „Landurlaub“ verbessern wollen, müssen sie ihre Mehr- heiten im Deutschen Bundestag nur nutzen. Entscheidend ist für den Tourismus im ländlichen Raum, dass endlich gehandelt wird und die notwendigen Verbesserungen der Rahmenbedingungen vorgenommen werden. Leider unterläuft Rot-Grün gerade heute mit der Ver- abschiedung des Bundesnaturschutzgesetzes die eigenen Ziele. Die Naturschutznovelle schadet insbesondere dem ländlichen Raum; dem Tourismus, der regionalen Ent- wicklung und den sportlichen Aktivitäten in freier Natur. Damit bleibt die Politik von Rot-Grün überaus wider- sprüchlich und für die Tourismusbranche nur schwer kal- kulierbar. Rosel Neuhäuser (PDS): Der größte Reichtum der Erde ist die unüberschaubare Fülle der Lebensformen in den vielfältigen Ökosystemen und Landschaftsstrukturen. Dies zu bewahren gehört zu den größten Herausforderun- gen der Menschheit. Mit dem Ziel, sich dieser Herausfor- derung zu stellen, unterstützen wir grundsätzlich den vor- liegenden Antrag zur nachhaltigen Stärkung des Tourismus im ländlichen Raum. Wir sind uns sicherlich einig, dass sich eine zukunfts- orientierte Umwelt- und Agrarpolitik für den Erhalt von Kulturlandschaften mit besonderer Bedeutung für die bio- logische Vielfalt einsetzen muss. Es sind Rahmenbedin- gungen zu schaffen, unter denen sich Kulturlandschaften weiterentwickeln können, ohne ihre charakteristischen Merkmale einzubüßen. Die Entwicklung des Landtourismus, wie im Antrag ausgewiesen, hat unsere Unterstützung, zum einen, weil sich diese Form doch sehr wohltuend vom indus- triemäßig organisierten Massentourismus unterscheidet und zum anderen, weil damit neue Potenziale für Wert- schöpfung, Beschäftigung und persönliches Einkommen in den strukturschwachen ländlichen Regionen erschlos- sen werden. Der ländliche Tourismus sollte, da er eng mit der Entwicklung der jeweiligen Region verknüpft ist, sehr realitätsbezogen, auf der Basis regionaler Analysen und Tourismuskonzepte als Teil integrierter regionaler Ent- wicklungskonzepte entwickelt werden. Ihre Erarbeitung bedarf der Vor-Ort-Beratung und finanziellen Förderung durch das jeweilige Land. Zur regionalen Verknüpfung im Interesse eines erfolg- reichen Tourismus gehört die Einbindung der Land- und Forstwirtschaft in die regionalen Märkte, also neue Ver- triebs- und Vermarktungsstrategien – sensibilisiert durch die BSE-Krise dürfte das an Gewicht gewinnen –, der Na- turschutz und die Erhaltung und Pflege der Kulturland- schaft, die Wahrung der regionalen kulturellen Identität einschließlich des Siedlungscharakters, die Wiederbele- bung traditioneller wie die Erschließung innovativer Pro- dukte in Handwerk und Kleinbetrieben, der Ausbau der touristischen Infrastruktur selbst. Für die weitere erfolgreiche Gestaltung des Landtou- rismus ist die Frage der Identifikations- und Imagebil- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119812 (C) (D) (A) (B) dung wichtig, wenn nicht sogar übergeordnet. Ob das ländliche Tourismuskonzept einer Region erfolgreich ist oder nicht, hängt wesentlich von der Unverwechselbar- keit des Angebots ab, namentlich von der Einzigartigkeit der Landschaft und der ländlichen Kultur. Letztere reicht von den Besonderheiten der Bauweisen über traditionelle Bräuche bis zu regional- bzw. lokaltypischen Spezialitä- ten der Gastronomie. Da die Anbieter von „Urlaub auf dem Bauernhof“ keine Großunternehmen sind, ist es wichtig, mehr für eine Bündelung der Vermarktung dieses Urlaubsangebotes zu tun. Das betrifft im Wesentlichen auch unser Mitwirken an der qualitativen Weiterentwicklung der politisch-recht- lichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, damit sich die insgesamt positive Entwicklung des Landtouris- mus fortsetzen und verstärken kann. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich nur sagen: Ich habe bei Gesprächen vor Ort erfahren, dass auf folgenden Feldern kleinere und auch größere Probleme bestehen, die einer Lösung bedürfen und aus meiner Sicht im vorliegenden Antrag noch nicht genügend bedacht sind: Ressortgrenzen als Investitionshemmnis. So wird seit Jahren über das Erfordernis der Verzahnung der Agrar- und Regionalförderung philosophiert – um nicht zu sagen „geschwätzt“ – aber tatsächlich ist wenig passiert. Unzureichende komplexe Beratungsangebote. Land- wirte, die als zweites Standbein oder gar zum Haupter- werb Dienstleistungen im Freizeitbereich, zum Beispiel Kutschfahrten, Reitplatz, Reiterhof, im Bereich Erholung – Ferienzimmer auf dem Bauernhof –, im Bereich Be- wirtung – Bauernhofcafé oder -gaststätte – etc. aufbauen möchten, brauchen Beratungsleistungen, die von der be- triebswirtschaftlichen Beratung über Beratung zu Ge- bäude-Umnutzung, Baugenehmigungsrecht, Denkmal- schutz bis zu Versicherungs-, Steuer- und Erbrechtsfragen reichen. Das kann in aller Regel weder von der Agrarbe- ratung noch von der hauswirtschaftlichen Beratung ge- leistet werden. Da das Konzept in hohem Maße über Er- folg oder Misserfolg entscheidet, ist die Sicherung einer komplexen und auch preisgünstigen Beratung notwen- dig. Rechtliche Barrieren und Bürokratie bei der Umnut- zung von Gebäuden. Hierzu liegt eine nachlesbare Stel- lungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft für Urlaub auf dem Bauernhof und Landtourismus, BAG, vor, die wir vom Grundsatz unterstützen. Aus dem Gesagten wird meines Erachtens deutlich, dass Handlungsbedarf auf allen staatlichen Ebenen, beim Bund, im Land, in der Kommune, besteht. Lassen Sie mich abschließend die Bedingungen für den Erfolg des Tourismus auf dem Lande unter dem Gesichts- punkt eines modernen Dienstleistungsmarketing in vier Punkten zusammenfassen: erstens Konzentration auf Zielgruppen und Themen, zweitens Kooperation mit möglichst vielen Partnern, drittens Kreativität in der Marktbearbeitung und viertens Kundenorientierung durch guten Service. Lassen Sie uns gemeinsam an der Lösung der anstehenden Aufgaben arbeiten. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Großen Anfrage: Erleichte- rung bei der internationalen Vollstreckungshilfe (Tagesordnungspunkt 17) Alfred Hartenbach (SPD): Ziel des „Übereinkom- mens vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteil- ter Personen“ ist es, dass verurteilte Straftäter ihre Frei- heitsstrafe möglichst in ihrem Heimatland absitzen sollen. Das ist ein gutes und vernünftiges Ziel; dazu bedarf es auch einer solchen internationalen Vereinbarung. Leider erfüllt das Übereinkommen seinen Zweck offenbar nur unvollkommen. Viele Staaten, die das Übereinkommen bislang unterzeichnet oder ratifiziert haben, machen da- von überhaupt keinen oder nur sehr geringen Gebrauch. Dies lässt sich auch aus den Antworten der Bundesregie- rung auf die Anfrage der Union eindeutig ablesen. Des- halb war das Übereinkommen bislang nicht sonderlich er- folgreich. Dies wird auch vor dem Hintergrund deutlich, dass die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen, die in Deutschland ihre Strafe absitzen, seit 1992 stetig steigt; bis 1998 ist die Zahl um mehr als das doppelte gestiegen, Überstellungen in das Land der Staatsangehörigkeit fin- den trotz geringer Steigerung nur selten statt. Vom Ausland nach Deutschland gibt es noch weniger Überstellungen. Man muss sich also fragen, wie man die Überstellungs- praxis verbessern kann. Die Große Anfrage der Union war trotzdem nicht ihr geschicktester Schachzug. Diese Anfrage hätte sie besser nicht gestellt. Denn nach den Antworten der Bundesre- gierung wird ganz klar, dass wir das Zusatzprotokoll nach den Jahren, in denen in diesem Bereich kaum etwas pas- sierte, dringend benötigten. Nur so, durch Verzicht auf die Zustimmung der Verurteilten, kann von der Überstellung an die Herkunftsstaaten viel häufiger Gebrauch gemacht werden. Es muss an dieser Stelle allerdings betont werden, dass die Überstellungen auch nur dort in Erwägung gezogen werden sollten, wo sie wirklich Sinn machen. Keinen Sinn machen sie zum Beispiel dann, wenn ein Verurteilter schon in der zweiten oder dritten Generation in Deutsch- land lebt und vielleicht noch nicht einmal seine Heimat- sprache fließend sprechen kann und dort auch keinerlei familiäre Bindungen mehr hat. Es gibt durchaus verschiedene Gründe für die geringe Zahl der Überstellungen. Sie beruht vor allem darauf, dass die Verurteilten nicht überstellt werden wollen, da sie die deutschen Vollstreckungsbedingungen denen ihrer Hei- matstaaten vorziehen. Einige Verurteilte ziehen ihren Überstellungswunsch auch nachträglich zurück, da ihnen in Deutschland die baldige Haftentlassung nach zwei Drittel der Strafverbüßung bevorsteht. Aus diesem Grund waren im Zusatzprotokoll weitere Änderungen des Ursprungsübereinkommens hinsichtlich einer weiteren Harmonisierung der Strafzumessungs- und Strafvollstreckungspraxis angestrebt worden. Leider waren diese Verhandlungen nicht erfolgreich. Dies ist Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19813 (C) (D) (A) (B) bedauerlich, denn eine solche Harmonisierung würde zu- sätzlich zu einer verstärkten Anwendung des Überein- kommens führen. Denn zum Beispiel gerade die Nieder- lande halten die verhängten Strafen in Deutschland vor allem im Bereich der Betäubungsmittelstraftaten für zu exzessiv und stimmen deshalb einer Überstellung nicht zu. Teilweise übersteigen die in Deutschland geltenden Strafen die Höchststrafe in den Niederlanden, sodass aus diesem Grund nicht überstellt werden kann. Hier sollte die Bundesregierung weiter versuchen, gemeinsame Ansätze jedenfalls in Europa zu entwickeln. Das Bundesministe- rium der Justiz hat über diese und andere Punkte der straf- prozessualen Zusammenarbeit in Europa gerade im Rechtsausschuss berichtet. Wir sollten also der Bundesre- gierung und vor allem unserer Bundesministerin der Jus- tiz den Rücken stärken, damit in dieser Hinsicht in Zu- kunft weitere Erfolge erzielt werden können. Wir wissen, dass dieses Vorhaben bei ihr in guten Händen ist. Zunächst aber ist festzuhalten, dass das Zusatzproto- koll der beste Weg ist, die Zahl der Überstellungen zu stei- gern. Volker Kauder (CDU/CSU): Die Anzahl der auslän- dischen Strafgefangenen, die in deutschen Justizvollzugs- anstalten einsitzen, ist in den letzten zehn Jahren stetig und schnell gewachsen. Alleine zwischen 1992 und 1998 hat sie sich auf mehr als 13 000 mehr als verdoppelt. Zu diesem wichtigen Sachverhalt hat die CDU/CSU-Bun- destagsfraktion eine Große Anfrage an die Bundesregie- rung gerichtet. Wir möchten gerne wissen: Welche Schritte plant die Regierung, um die große Anzahl an aus- ländischen Gefangenen durch Erleichterungen bei der in- ternationalen Vollstreckungshilfe zu reduzieren? Natürlich interessieren uns auch die aktuellen Zahlen, die der Bundesregierung vorliegen – zeigen sie doch, wel- cher Erkenntnisstand ausgewertet worden ist. Es ist merkwürdig und meiner Ansicht nach auch be- denklich, dass die Bundesregierung in ihrer Antwort – in der zweiten Jahreshälfte 2001 – nicht in der Lage war, die Zahlen für 1999 und 2000 zu präsentieren. Dies macht deutlich, wie nachlässig in Regierungskreisen mit diesem Thema umgegangen wird. Gleichzeitig ist eindeutig nicht der Nachweis geführt worden, dass der ungünstige Trend gebrochen ist. Es ist also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Anzahl der in den Gefängnissen einsitzenden Ausländer noch weiter angestiegen ist. Angesichts der dramatischen Überfüllung in unseren Haftanstalten und den enormen Kosten für den deutschen Steuerzahler – wir sprechen hier über Kosten, die sich auf hunderte Millionen Euro belaufen – muss hier Abhilfe ge- schaffen werden. Auch aus der Perspektive der ausländischen Strafge- fangenen ergibt sich nichts anderes. Man muss ganz grundsätzlich von einer besseren Resozialisierungs- möglichkeit im jeweiligen Heimatland eines Straftäters ausgehen. Die Strafvollstreckung in Deutschland kann im Einzelfall eine besondere Härte darstellen. Dies gilt ins- besondere, weil den Verurteilten Kontakte zu ihren Fami- lien erschwert werden. Die ausländischen Strafgefangenen müssen also – zur weiteren Verbüßung ihrer Strafe – konsequent in ihr Hei- matland zurückgeführt werden. Die internationale Rechtsgrundlage für die Rück- führung ausländischer Strafgefangener ist das „Überein- kommen vom 21. März 1983 über die Überstellung ver- urteilter Personen“. Es ist am 1. Februar 1992 für Deutschland in Kraft getreten. Damit arbeiten wir inter- national auf einer sicheren vertraglichen Grundlage. In al- len geeigneten Fällen können ausländische Verurteilte in die jeweiligen Heimatländer zur weiteren Strafvoll- streckung überstellen werden. Wir müssten uns aber über dieses Thema nicht unter- halten, wenn wir nicht den Verdacht hätten – nein: seit der Antwort der Bundesregierung sicher wissen – , dass die Straftäterrückführung nicht so funktioniert, wie wir das international gerne hätten. Trotz dieses Übereinkommens geht es mit der Rück- führung nicht voran. Die Zahlen, die von der Bundesre- gierung vorgelegt worden sind, sprechen eine eindeutige Sprache. Sie haben düstere Prognosen bestätigt. Im Jahr 1998, so können wir in der Antwort lesen – als über 13 000 ausländische Staatsangehörige in deutschen Gefängnis- sen ihre Strafe verbüßten –, wurden gerade einmal 63 Ver- urteilte in ihr jeweiliges Heimatland zurückgeführt. Woran liegt es, dass die Rückführung nicht im er- wünschten Umfang durchgeführt wird? Es ist richtig, dass das gegenwärtig praktizierte Über- stellungsverfahren nach dem Abkommen von 1983 auf- wendig, langwierig und bürokratisch ist. Oft genug müs- sen zur Durchführung diplomatische Wege beschritten werden. Der Verfahrensablauf – so sehr er auch Zeit kos- tet – ist jedoch nicht der Kern des Problems. Die Schuld an dem Missstand, dass nicht in großem Stil überstellt wird, ist eindeutig bei uns und nicht in den anderen betei- ligten Staaten zu suchen. Die Antwort der Bundesregie- rung legt es schonungslos offen: „Die der Bundesregie- rung vorliegenden Erkenntnisse lassen jedoch den Schluss zu, dass eine Überstellung nur in relativ wenigen Fällen durch den Vollstreckungsstaat abgelehnt wurden.“ Das Übel ist also in Deutschland zu suchen. Bei der Suche nach diesem Hindernis, fällt vor allem eine Hürde auf, die genommen werden muss. Es ist nicht die alleinige Ursache des Nichtfunktionierens, aber es ist eine entscheidende Hürde. Nach der gegenwärtigen deut- schen Rechtslage ist eine Strafvollstreckung im Heimat- land nur mit ausdrücklicher Zustimmung des betroffenen Gefangenen möglich. Solch eine Zustimmung wird aus nahe liegenden Grün- den von ausländischen Straftätern im Regelfall nicht ge- geben. Strafverbüßung in Deutschland hat bei so man- chem ausländischen Strafgefangenen leider noch immer einen zweifelhaft guten Ruf. Diese Zustimmungsklausel war im Ursprungsüberein- kommen von 1983 enthalten. In Deutschland gilt die Regelung noch immer. Das müsste nicht mehr so sein ! In- ternational ist genau dieser entscheidende Punkt seit dem 18. Dezember 1997 eindeutig und einvernehmlich gere- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119814 (C) (D) (A) (B) gelt worden. In einem Zusatzprotokoll zum genannten Übereinkommen wurde festgelegt, dass das Einverständ- nis des Strafgefangenen bei Vorliegen einer Auswei- sungsverfügung ausdrücklich entfallen kann. Neben vie- len anderen Staaten gehört auch Deutschland zu den Signatarstaaten, dieses Zusatzprotokolls zur Erleichte- rung der Vollstreckungshilfe. Um das Protokoll in Kraft zu setzen, bedarf es lediglich eines Vertragsgesetzes zur Ratifizierung. Darauf warten wir nun seit Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung – bislang vergeblich. Dass wir es hier nicht mit einer politisch oder sachlich strittigen Angelegenheit zu tun haben, beweist der Be- schluss der Justizministerkonferenz vom 10. November 1999. Da wurde die Bundesregierung völlig einver- nehmlich – mit 16 zu null Stimmen – aufgefordert, das Protokoll so bald wie möglich zu ratifizieren und gleich- zeitig bei allen anderen Staaten für die Unterzeichnung und Ratifizierung zu werben. Auch dieser dringende Ap- pell der Fachleute verhallte bei Rot-Grün ungehört. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat daher diese Große Anfrage gestellt, um zu erfahren, was die Bundes- regierung nach Jahren der Tatenlosigkeit denn nun end- lich unternehmen will. Uns interessiert, mit welchen Mit- teln die Verfahren der internationale Vollstreckungshilfe ihrer Ansicht nach beschleunigt werden sollen. Uns inter- essiert, wann denn endlich dieses Zusatzprotokoll ratifi- ziert werden soll. Uns interessiert, welche Schritte die Re- gierung auf internationaler Ebene plant, um zum Erfolg zu kommen. Die Antwort der Bundesregierung bleibt schwammig: Sie unterstütze Initiativen des Europarates und arbeite im Rahmen der Europäischen Union an der Lösung der Pro- bleme aktiv mit. Das ist eine sehr dünne Antwort. Hier – bei diesem aktuellen Problem –, wo es darauf ankommt, Aktivitäten zu entwickeln, da zieht sich die Bundesregierung in ihr Schneckenhaus zurück und wartet ab. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt hat, kann nur mit Unverständnis zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung keinerlei Bestrebungen verfolgt, um den Anwendungsbereich des Überstellungsübereinkom- mens zu erweitern. Viele Details könnten verbessert werden, um die inter- nationale Überstellung zu erleichtern – beispielsweise könnte eine Vereinbarung für den unmittelbaren Ge- schäftsweg geschaffen werden. Der deutlichste Vorwurf, den ich der Bundesregierung in Sachen Vollstreckungshilfe mache, ist, dass sie bei der Ratifizierung des Zusatzprotokolls nicht handelt – ein weiteres Beispiel dafür, dass die Hand des Kanzlers of- fenkundig eingeschlafen ist. Die rot-grüne Bundesregie- rung, insbesondere das Bundesjustizministerium verzö- gert die Rückführung ausländischer Strafgefangener, weil seit drei Jahren die Schaffung der notwendigen gesetzli- chen Voraussetzung blockiert wird. Bei der Würdigung dieser Blockadehaltung bitte ich zu beachten: zu dieser gesetzlichen Voraussetzung hat sich Deutschland interna- tional schon längst bekannt und verpflichtet und sie wird von den Fachleuten über alle Parteigrenzen hinweg be- fürwortet. Die Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt unmissverständlich klar: Der entscheidende Hemmschuh auf dem Weg zur Er- leichterung der internationalen Vollstreckungshilfe in Deutschland ist die rot-grüne Bundesregierung selbst. Sie verweigert den vorgezeichneten und vernünftigen Schritt zur Rechtsänderung in Deutschland und sie weigert sich auch, auf internationaler Ebene die Anwendbarkeit des Zusatzprotokolls anzumahnen. Damit gesteht die Bundesregierung ihre Untätigkeit ein. Sie unternimmt nicht die notwendigen Anstrengun- gen, um die drängenden Probleme zu beseitigen, die sich im Rahmen des Vollstreckungshilfeverfahrens ergeben haben. Es handelt sich um ein weiteres Politikfeld, in dem die Bundesregierung versagt hat – zum Schaden für die Men- schen in Deutschland. Helmut Wilhelm (Amberg) (Bündnis 90/Die Grünen): Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU/CSU zur „Erleichterung bei der internationalen Vollstreckung“ hat deutlich werden lassen, dass die Bun- desregierung Defizite bei der Ausführung des „Überein- kommens vom 21. März 1983 über die Überstellung ver- urteilter Personen“ feststellt. Es wurde deutlich, dass dies in erster Line auf Vorbehalte gegen die Vollstreckungs- praxis der Mitgliedstaaten untereinander zurückzuführen ist. Deutschland hat Vorschläge, die im Ergebnis zu einer gewissen Harmonisierung der unterschiedlichen Strafzu- messungs- und Strafvollstreckungspraktiken beigetragen hätten, in Verhandlungen über das Zusatzprotokoll zum Überstellungsübereinkommen eingebracht, konnte sich laut Antwort auf die entsprechende Frage der CDU/CSU aber nicht durchsetzen. Darum ist das Ziel des Überein- kommens, nämlich dass verurteilte Straftäter ihre Frei- heitsstrafe möglichst in Ihrem Heimatland absitzen sol- len, nur unzureichend verwirklicht. So ist die Zahl der hier in Deutschland einsitzenden Straftäter ausländischer Staatsangehörigkeit zwangsläu- fig ansteigend. Dies ist aber kein allein deutsches Phäno- men. Denn auch von anderen Ländern aus wird noch sel- tener von der Überstellung dort einsitzender deutscher Staatsangehöriger Gebrauch gemacht. Das liegt nach Ant- wort der Bundesregierung nicht zuletzt an dem fehlenden Überstellungswunsch der im Ausland inhaftierten Deut- schen, weil diese in der Regel ihre sozialen Bindungen und ihren Lebensmittelpunkt in dem Land haben, in dem ihre Verurteilung erfolgt ist. Wenn man die Ziele des Strafvollzugs und der Strafvollstreckung ernst nimmt, macht das natürlich einen gewissen Sinn. Ein genereller Verzicht auf die Zustimmung des Inhaftierten durch Zu- satzprotokoll, um die Überstellungspraxis zu verbessern, würde meines Erachtens auf verfassungsrechtliche Pro- bleme stoßen. Diese Auffassung wird von der Bundesregierung mit Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsge- richts vom 18. Juni 1997 geteilt. Denn danach ist der Ver- urteilte im Überstellungsverfahren natürlich nicht als bloßes Objekt zu behandeln. Daher ist der beschränkte Verzicht auf die Zustimmung bei Flucht-, Ausweisungs- bzw. Abschiebungsfällen ausreichend. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19815 (C) (D) (A) (B) Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort eindeutig er- kennen lassen, dass sie die Problematik erkannt hat und sachgerechte Lösungen mit den Mitgliedsländern an- strebt. Ich bin sicher, dass im Laufe einer fortschreitenden Europäisierung von dem Überstellungsübereinkommen stärker Gebrauch gemacht werden wird. Jörg van Essen (FDP): Die Globalisierung macht auch nicht vor der Strafvollstreckung und vor Straftätern halt. Die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Straftaten im- mer mehr im internationalen Zusammenhang gesehen werden müssen. Viele Straftäter nutzen Staaten als Rück- zugsräume. Dies gilt nicht nur für die aktuellen terroristi- schen Fälle, sondern auch für viele Formen der organi- sierten Kriminalität. Für einen Rechtsstaat besteht daher die Aufgabe, einerseits für eine Bestrafung unabhängig vom Tatort zu sorgen, andererseits aber auch für die ent- sprechende Vollstreckung der Strafen die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Die hohe Zahl ausländischer Personen, bei denen Frei- heitsstrafe in Deutschland vollstreckt wird, stellt ein Pro- blem dar. Wie uns die Strafvollzugsbeamten immer wie- der berichten, führt gerade der hohe Anteil von ausländischen Häftlingen zu erheblichen Problemen im Strafvollzug. Die Lage in den Gefängnissen ist uns allen bekannt. Auch ist uns leider bekannt, wie wenig die Fi- nanzminister der Länder, die gemeinsam mit den Justiz- ministern hier die Verantwortung tragen, bereit sind, Fi- nanzmittel für den Strafvollzug zur Verfügung zu stellen. Unsere Gefängnisse sind überfüllt. Daraus ergibt sich nicht die Verpflichtung, so viele Straftäter wie möglich aus den Gefängnissen fernzuhalten. Aber es ergibt sich sehr wohl die Verpflichtung für einen Rechtsstaat, insbe- sondere unter dem Aspekt der Resozialisierung unter ent- sprechenden Voraussetzungen Straftäter zur Strafvoll- streckung in ein anderes Land zu überstellen. Die Überstellung der Straftäter kommt nicht nur der Bundesrepublik Deutschland zugute. Vielmehr haben auch die Heimatlände der Straftäter den Vorteil, dass durch eine Vollstreckung in ihrem Lande der Resoziali- sierung mehr Möglichkeiten eröffnet werden, als wenn nach der Vollstreckung in der Bundesrepublik Deutsch- land eine entsprechend ausländerrechtlich bedingte Ab- schiebung erfolgt. Ich begrüße ausdrücklich, dass die CDU/CSU mit ih- rer Großen Anfrage diese Problematik in den Vordergrund gehoben hat. Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass im Be- reich der Vollstreckungshilfe noch einiges zu tun ist: Ers- tens: Wir brauchen eine zügige Ratifizierung des Zusatz- protokolls. Zweitens: Wir brauchen Vergleichsregeln, die die unterschiedlichen Strafzumessungs- und Strafvoll- streckungspraxen – etwa in den Mitgliedstaaten der EU – harmonisieren. Drittens: Es müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um das sehr langwierige Verfahren der Überstellung zu verkürzen. Wir sollten uns als Bundesgesetzgeber bemühen, in diesem schwierigen Feld für eine Beschleunigung zu sor- gen. Dabei müssen auch wir als Bundesrepublik Deutsch- land überprüfen, ob all unsere Grundsätze der Strafvoll- streckung nicht angepasst werden müssen, um eben mit den anderen Staaten – insbesondere der EU – eine Har- monisierung zu erreichen. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Meine Erfahrung im Bun- destag lehrt mich hinsichtlich parlamentarischer Anfragen zweierlei. Erstens: Keine Anfrage ohne Anliegen. Zwei- tens: Große Anfragen – große Anliegen. Und so verhält es sich auch mit der zur Debatte stehenden Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu „Erleichterungen bei der internationalen Vollstreckungshilfe“. Wenn man wissen will, worum es der CDU/CSU in dieser Anfrage geht, dann lohnt zum Beispiel ein Blick in den Antrag der CDU/CSU „Kriminalität wirksamer bekämpfen – Innere Sicherheit gewährleisten“ vom 3. Juli dieses Jahres, Drucksache 14/6539. Denn dort ist der „Bekämpfung der von Ausländern begangenen Strafta- ten“ ein eigener Abschnitt mit einer eindeutigen Aussage – oder besser: Forderung – gewidmet. Dort heißt es: ... dass schon eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zur Ausweisung bzw. Abschiebung führen muss. Angesichts der verhängten geringen Freiheits- strafen bei schon recht schweren Taten erscheint es nicht sachgerecht, die nach dem Ausländergesetz zwingende Ausweisung an eine Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren zu knüpfen; ... dass ausländische Verurteilte verhängte Freiheits- strafen auch ohne ihre Zustimmung regelmäßig in ihren Heimatländern verbüßen sollten und dass die Bundesregierung die entsprechenden völkerrechtli- chen Vereinbarungen ohne Abstriche unverzüglich umsetzen möge. Damit ist die Haltung der CDU/CSU im Umgang mit ausländischen Straftätern klar formuliert und letztlich auch das Anliegen der Großen Anfrage benannt. Als Grund für die möglichst weitgehende Überstellung aus- ländischer Straftäter zur Strafvollstreckung in ihre Hei- matländer stellt die CDU/CSU in ihrer Anfrage auf die oftmals besseren Chancen zur gesellschaftlichen Einglie- derung ab. Die Bundesregierung nennt dagegen als Gründe für die Nichtüberstellung das häufig vorhandene „besonders öffentliche Interesse der aus generalpräventi- ven Gründen als notwendig angesehenen weiteren Straf- vollstreckung in Deutschland und die aufgrund der zum Teil unterschiedlichen Strafvollstreckungssysteme beste- hende Besorgnis, die Strafe könne nicht nachdrücklich vollstreckt werden“. Damit haben wir eine ganz eigenartige Aussagenkon- stellation: Die CDU/CSU sorgt sich scheinbar vorrangig um die Wiedereingliederung ausländischer Straftäter und die Regierung möchte offenbar eine unbedingte und un- nachgiebige Bestrafung, die scheinbar am besten Deutschland möglich ist. Mir scheint, dass wir hier Gefahr laufen, eine unauf- richtige Debatte zu führen. Grundsätzlich wünschen wir uns wohl alle, dass die Zahl der Straftäter – ganz gleich, welcher Herkunft – zurückgeht und dass Strafvollzug die letzte Maßnahme in der Sanktionenskala bleiben sollte. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119816 (C) (D) (A) (B) Die unbestreitbare Tatsache, dass ausländische Häftlinge überwiegend die Vollzugsbedingungen in Deutschland denen in ihren Heimatstaaten vorziehen, ist angesichts der auch bei uns keineswegs rosigen Verhältnisse schon be- merkenswert und sollte nicht zuletzt auch deshalb respek- tiert werden, da das Übereinkommen über die Überstel- lung verurteilter Personen dem Verurteilten ein „Wunschrecht“ zukommen lässt. Im Übrigen denke ich auch, dass angesichts der zunehmenden Mobilität der Menschen und der auch von der CDU/CSU aus bestimm- ten Grünen und in einem bestimmten Umfang gewünsch- ten Zuwanderung von Menschen eine Formel in der Art „Leben in Deutschland – Strafen im Herkunftsland“ nicht mehr zeitgemäß ist. Aber wie sehr die Fragen der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung international im Fluss sind, zeigt ge- rade die jüngste Entwicklung. Heißt es noch in der Ant- wort der Bundesregierung vom vergangenen Jahr, das die Regierung „derzeit keine Möglichkeit sieht, eine Harmo- nisierung der Strafzumessungs- und Strafvollstreckungs- praxis in den Mitgliedstaaten zu erreichen“, so hat sich dies nach dem Terroranschlag und dem ins Haus stehen- den Rahmenbeschluss des Rates der Union zur Terroris- musbekämpfung geändert. Dr. Eckhardt Pick, Parl. Staatssektär bei der Bun- desministerin der Justiz: Die internationale Voll- streckungshilfe, insbesondere die Vollstreckung von im Ausland ergangenen freiheitsentziehenden Sanktionen im Heimatland der verurteilten Person, ist eine relativ junge Form der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen. Das hier einschlägige Übereinkommen des Europarates aus dem Jahre 1983 hatte von der Entstehungsgeschichte her – ebenso wie das deutsche Recht – die Resozialisie- rung des Gefangenen zum Ziel. Ohne diesen Gesichts- punkt aus den Augen zu verlieren, hat aber die tatsächli- che Entwicklung die Akzente etwas verschoben: In Deutschland, aber nicht nur hier, hat die stetige Zunahme des Ausländeranteils in den Gefängnissen dazu geführt, dass das Vollzugsziel insbesondere wegen der Sprachen- vielfalt und der unterschiedlichen kulturellen Herkunft auch nicht ansatzweise erreicht werden kann. Der Bele- gungsdruck ist derart hoch, dass das Resozialisierungsziel insgesamt gefährdet ist. Vor diesem Hintergrund kommt den durch das Europaratsübereinkommen eröffneten Möglichkeiten des Vollzuges im Heimatland zunehmende Bedeutung zu. Aus den Ihnen vorliegenden Zahlen über die Anzahl der tatsächlich aus Deutschland ins Ausland überstellten verurteilten Personen geht hervor, dass die praktische An- wendung des Übereinkommens hinter den Erwartungen zurückbleibt. Die hierfür maßgebenden Gründe sind in der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage mitgeteilt worden. Lassen Sie mich einige von ihnen nochmals kurz skizzieren: Den größten Anteil der in Deutschland inhaftierten ausländischen Strafgefangenen stellen nach den mir vor- liegenden Zahlen folgende Staaten: die Türkei mit 3 806 Gefangenen, Jugoslawien mit 2 092 Gefangenen, Italien mit 902 Gefangenen, Polen mit 729 Gefangenen, Ma- rokko mit 634 Gefangenen, Algerien mit 690 Gefange- nen, Albanien mit 452 Gefangenen, Rumänien mit 386 Gefangenen und Bosnien-Herzegowina mit 356 Ge- fangenen. Mit der Türkei findet – darauf ist in der Antwort näher eingegangen worden – de facto ein Überstellungsverkehr wegen der dortigen sehr frühen Entlassung auf Be- währung nicht statt. Das jüngste türkische Gesetz über die Strafaussetzung zur Bewährung vom 8. Dezember 2000 hinsichtlich Verurteilungen, die bis zum 23. April 1999 begangen worden sind, hat diese Situation noch ver- schärft. Mit Marokko wird eine völkerrechtliche Vereinbarung zwar gegenwärtig verhandelt, besteht aber noch nicht. Al- gerien hat bisher nicht den Wunsch geäußert, dem offenen Übereinkommen des Europarates beizutreten. Im Verhält- nis zu Bosnien-Herzegowina gibt es ebenfalls keine Rechtsgrundlage, gleiches gilt für Jugoslawien. Albanien und Rumänien sind zwar Mitgliedstaaten des Überstellungsübereinkommens, zu einer zahlenmäßig nennenswerten Übernahme eigener Staatsangehöriger dürften sie aber aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage sein. Diese Länder dürften Schwierigkeiten genug haben, den eigenen Strafvollzug zu modernisieren. Es verbleiben Polen und Italien als Mitgliedstaaten, mit denen der Vollstreckungshilfeverkehr jedenfalls vom Grundsatz her intensiviert werden könnte. Hier wird es in- teressant sein, festzustellen, ob es nach der erfolgten Ra- tifikation des Zusatzprotokolls, das bekanntlich auf das Erfordernis der Zustimmung des Strafgefangenen in be- stimmten Fällen verzichtet, zu einem Anstieg der Über- stellungen kommen wird. Einen Regierungsentwurf zur Ratifikation des Zusatzprotokolls wird das Kabinett als- bald beschließen. In der Antwort auf die Große Anfrage ist auch darauf hingewiesen worden, dass wegen der Langwierigkeit des Verfahrens die Staatsanwaltschaften häufig auf das einfa- chere Verfahren nach § 456 a StPO, das heißt Absehen von der weiteren Vollstreckung bei einer Ausweisung, zurück- greifen. Die lange Verfahrensdauer und die unzurei- chende Anwendung des Übereinkommens in der Praxis sind Gegenstand zahlreicher Erörterungen im zuständigen Ausschuss des Europarates gewesen und stehen fast stän- dig auf dessen Tagesordnung. Lösungsansätze sind indes noch nicht erkennbar geworden. Wahrscheinlich dürfte ein Grund für die mangelnde Anwendung darin zu sehen sein, dass zwar jeder Mitgliedstaat zur Entlastung des ei- genen Strafvollzuges gerne ausländische Staatsan- gehörige zur weiteren Vollstreckung in dessen Heimat- staat überstellt, zur Übernahme eigener Staatsangehöriger in den eh schon überlasteten eigenen Strafvollzug indes eher weniger bereit ist. Exemplarisch ist hier die unge- wöhnlich offene und ehrliche Erklärung Irlands anlässlich der Ratifikation, dass nämlich Irland wegen des Bele- gungsdrucks im eigenen Strafvollzug Überstellungsersu- chen anderer Staaten nur in dem Maße nachzukommen bereit ist, als freie Plätze im Vollzug verfügbar sind. Ungeachtet aller Bemühungen der Bundesregierung, national und international für eine stärkere Anwendung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19817 (C) (D) (A) (B) des Übereinkommens zu werben, dürfte sich an dieser faktischen Situation in allen potenziellen Vollstreckungs- staaten leider weder kurz- noch mittelfristig etwas ändern. Unabhängig davon wird die Bundesregierung auch wei- terhin alle Anstrengungen unternehmen, die Mitgliedstaa- ten von den Vorzügen der internationalen Vollstreckungs- hilfe zu überzeugen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemei- nen Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergän- zungsgesetz – PflEG) (Tagesordnungspunkt 18) Marga Elser (SPD): Unsere Zielsetzung in diesem Gesetz zur Ergänzung der Leistungen bei häuslicher Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem allgemei- nen Betreuungsbedarf (Pflegeleistungs-Ergänzungsge- setz – PflEG) ist die Verbesserung der Versorgungssitua- tion für demenziell und psychisch erkrankte sowie geistig behinderte Pflegebedürftige. Wir wissen, es bestand dringend gesetzlicher Hand- lungsbedarf bei der Pflege im häuslichen Bereich, vor al- len aber bei der Entlastung der pflegenden Angehörigen. Gerade die Beratung dieser Menschen ist eine wichtige Säule. Ich weiß aus eigener Erfahrung – meine Mutter ist seit mehreren Jahren demenzkrank –, wie schwer es für den Partner und die Familie ist, mit dem geänderten Ver- halten des Kranken richtig umzugehen. Die häuslich Pfle- genden werden durch die Pflege und Betreuung Demenz- kranker in besonderer Weise – oft rund um die Uhr – beansprucht. Hier ist eine Entlastung dringend erforder- lich. Daher werden wir den sich bietenden Finanzspiel- raum von rund 500 Millionen DM – mehr ist leider zur Zeit nicht möglich – im vollen Umfang einsetzen. Dafür werden wir diesen pflegenden Angehörigen erste Hilfen zur Verfügung stellen, die ihnen den schwierigen Pflege- alltag zeitweise erleichtern und physische und psychische Überlastungen verhindern sollen. Mit diesem Gesetz werden für altersverwirrte, aber auch für geistig behinderte und psychisch kranke Pflege- bedürftige zusätzliche Leistungen und verbesserte Ver- sorgungsangebote vorgesehen. Dabei soll der allgemeine Betreuungsbedarf, also die Beaufsichtigung, Anleitung und Betreuung, die über die festgelegten Pflegeleistungen hinausgeht, besser berücksichtigt werden. Unser Gesetz sieht vor, dass der Pflegebedürftige mit dem bestimmten Erkrankungsbild einen Anspruch auf einen zusätzlichen Betreuungsbetrag hat. Das sind bis zu 900 DM pro Jahr. Diese zusätzlichen Mittel sind zweckgebunden. Sie kön- nen zum Beispiel für Tages- oder Kurzzeitpflege einge- setzt werden. Wir wollen gleichfalls dafür sorgen, dass in Modellversuchen neue Versorgungskonzepte und Versor- gungsstrukturen insbesondere für Demente entwickelt werden. Fördermittel sollen auch dazu verwendet werden, so genannte niedrigschwellige Betreuungsangebote zu för- dern. Das sind zum Beispiel ehrenamtliche Betreuungs- gruppen oder Tagesbetreuung in Klein- und Kleinstgrup- pen. So soll eine Vielfalt von Betreuungsmöglichkeiten geschaffen werden, die den unterschiedlichsten Entlas- tungswünschen der Angehörigen entgegenkommt. Dafür werden insgesamt 20 Millionen DM eingesetzt. Die glei- che Summe wird auch von den Ländern finanziert, sodass wir dafür 40 Millionen DM veranschlagen können. Zudem werden bestehende Beratungsangebote verbes- sert und erweitert. Dies betrifft insbesondere den Ausbau beratender Hilfen im häuslichen Bereich. Der begünstigte Personenkreis erhält den Anspruch auf einen zweiten Be- ratungsbesuch in dem gesetzlich vorgeschriebenen Inter- vall, das heißt, in der Stufe III vierteljährlich und in den Stufen I und II halbjährlich. Wichtig ist uns auch hier, durch den qualifizierten Beratungsbesuch eine Optimie- rung der Versorgungssituation im häuslichen Bereich zu erreichen. Flankiert werden die gesetzlichen Maßnahmen durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und Pflegekassen. Sie sollen das Verständnis für die Situation „dementer“ Menschen wecken. Sie sollen Anleitungen zum Umgang mit ihnen geben, aber auch Maßnahmen der Prävention, der Vermeidung von Pflegebedürftigkeit oder Verhinderung einer Verschlimmerung aufzeigen. Wir wollen mit diesem Gesetz das bürgerliche Engage- ment wecken und auf gelungene ehrenamtliche Projekte aufmerksam machen, in denen sich in überzeugender Weise bürgerschaftliches Engagement mit professioneller Pflege zum Wohle der Pflegebedürftigen und ihrer An- gehörigen verbindet. Mit diesem Gesetz haben wir erste wirksame Schritte zur Verbesserung der ambulanten Pflegesituation einge- leitet. Zusammen mit diesem Gesetz beschließen wir auch die von uns seit langem angestrebte Förderung der ambu- lanten Hospizarbeit durch die gesetzliche Krankenversi- cherung. In unseren Anhörungen haben wir feststellen können, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir werden den eh- renamtlichen Helferinnen und Helfern beistehen und ih- nen Hilfe durch palliativmedizinisch erfahrene Pflege- dienste und Ärzte zukommen lassen. Und sie haben im pflegerischen Bereich eine fachlich qualifizierte Kraft mit Erfahrung in der palliativmedizinischen Pflege als An- sprechpartner. Gerade der nicht pflegerische Aspekt ist wichtig. Die Hospizbewegung wird damit in die Lage versetzt, den Einsatz und die Leistungen qualifizierter Ehrenamtlicher auf einer gesicherten finanziellen Grundlage durch den Einsatz fachlich geschulter Kräfte zu koordinieren. Die ehrenamtliche Sterbebegleitung ist für die Sterbenden und ihre Familien unendlich wichtig und hilfreich. Ich möchte damit schließen, mich bei all denen, die dies bisher schon gemacht haben, sehr zu bedanken. Eva-Maria Kors (CDU/CSU): Es ist schon lange un- strittig: Demenzkranke und ihre Familienangehörigen in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119818 (C) (D) (A) (B) Deutschland müssen zusätzliche Hilfen aus der Pflege- versicherung erhalten. Von den etwa 1,8 Millionen Pfle- gebedürftigen in unserem Land sind über 900 000 in ihrer Alterskompetenz so sehr eingeschränkt, dass sie auf re- gelmäßige Hilfe angewiesen sind. 550 000 an Demenz er- krankte Pflegebedürftige leben zu Hause und werden von ihren Angehörigen betreut. Diese Zahlen unterstreichen den konkreten und dringenden Handlungsbedarf. Es ist daher durchaus richtig, dass sich die Bundesre- gierung dieses Themas endlich angenommen und einen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Aber zum wiederholten Mal schlägt die Bundesregierung bei dem Versuch, zu ver- nünftigen und tragfähigen Lösungen zu kommen, den falschen Weg ein! Das, was Rot-Grün mit dem Pflegeleis- tungs-Ergänzungsgesetz als Problemlösung anbietet, ist wieder einmal nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist und bleibt Stückwerk. Denn ein bisschen finanzielle Un- terstützung bei der Unterbringung Demenzkranker in Ein- richtungen der Tagespflege, ein bisschen Entlastung für die Angehörigen, ein bisschen Förderung von Betreu- ungsangeboten und ein paar Modellprojekten reichen eben nicht aus, um den Bedürfnissen Demenzkranker und ihrer Angehörigen endlich gerecht zu werden und die Pro- bleme sachgerecht zu lösen. Zahlreiche Experten haben in der Anhörung demnach auch ganz zutreffend ihre Vorschläge nur als einen sym- bolischen Akt bezeichnet. Der vorgesehene Finanzrah- men in Höhe von 900 Mark pro Jahr und Pflegebedürfti- gen sei ein Witz. Er bedeute konkret 2 DM und 46 Pfennige oder eine Tüte Gummibärchen mehr finanzielle Unterstützung pro Tag. Dies sei eine Demütigung der An- gehörigen. Aber noch schlimmer: Nicht nur der vorgese- hene Finanzrahmen ist unzureichend. Nach Ansicht von Experten können konkrete Verschlechterungen im Krank- heitsbild der Patienten nicht ausgeschlossen werden. Denn der durch den Besuch einer Tagespflegeinrichtung verursachte Wechsel der gewohnten Umgebung und der gewohnten Personen könne dazu führen, dass die alters- verwirrten Menschen – ich zitiere – „noch verwirrter als zuvor wieder nach Hause zurückkommen werden“. Darü- ber hinaus ändere der Gesetzentwurf nichts an der Einstu- fungspraxis der Kassen. Das Sachleistungsprinzip der Pflegeversicherung werde weiterhin den Anforderungen demenziell erkrankter Menschen insgesamt nicht gerecht. Diese im Vorfeld bekannten Meinungen von Experten aus der Praxis haben wir – im Gegensatz zu Ihnen – ernst ge- nommen und in unseren Entwurf vom März 2001 einge- bunden. Wir wollten mit unserem Entwurf, dass der allgemeine Hilfe- und Betreuungsaufwand künftig in Höhe von bis zu 30 Minuten im Rahmen der Grundpflege anerkannt wird. Im Gegensatz zu Rot-Grün bezog unser Entwurf ferner auch demenziell erkrankte Menschen im stationären Be- reich in die Verbesserungen mit ein. Und, meine Damen und Herren von der Koalition, unser Vorschlag war seriös gegenfinanziert! Durch die Verlagerung der Kosten für die Behandlungspflege von der Pflege- in die Kranken- versicherung wäre ein Finanzvolumen von etwa 1,5 Mil- liarden Mark frei geworden. Wenn man von durchschnitt- lich 75 000 Mark Personalkosten pro Pflegekraft im Jahr ausgeht, hätten damit bundesweit 20 000 zusätzliche Pflegefachkräfte eingestellt und bezahlt werden können. Dies macht auch Sinn. Denn nur mit mehr und gut qualifiziertem Personal lässt sich Pflegequalität wirklich sichern und verbessern, und nicht mit immer neuen Ein- zelgesetzen und immer mehr Bürokratie. Darüber hinaus haben wir in unseren aktuellen Än- derungsanträgen die Einrichtung einer Schiedsstelle für Häusliche Krankenpflege und die Erhöhung der finanzi- ellen Förderung stationärer Hospize gefordert. Es müsste auch Ihnen bekannt sein, dass es im Bereich der häuslichen Krankenpflege kein geeignetes Instrument zur möglichst zeitnahen Lösung der Konflikte zwischen Kassen und Verbänden bei den Vergütungsvereinbarun- gen gibt. Scheitern die Verhandlungen, bleibt nur der Weg vor die Sozialgerichte. Der Erlass der Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege im vergangenen Jahr hat diese Entwicklung nicht stoppen können. Schiedsstellen böten die Möglichkeit, zwischen den Vertragspartnern zu schnellen und verbindlichen Lösungen zu kommen. Leider hat Rot-Grün auch diesen Antrag zulasten insbe- sondere der Pflegebedürftigen im häuslichen Bereich abgelehnt. Es ist wichtig und richtig, die Probleme im Bereich der häuslichen Krankenpflege anzugehen. Aber Sie machen immer nur einen winzigen ersten Schritt und setzen diesen mit großem medialen Getöse in der Öffentlichkeit in Szene, aber von den Gesetzeskonse- quenzen her sind immer die betroffenen Menschen die Dummen. Ihre Gesundheitspolitik ist und bleibt Stüm- perei. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koaliti- onsfraktionen, es ist schlimm genug, dass Sie heute unzu- reichende Lösungen zur Verbesserung der Situation von Demenzkranken verabschieden. Aber noch schlimmer ist, dass sie in diesem Gesetz so ganz nebenbei auch eine Ver- schlechterung für die in der Hospizbewegung ehrenamt- lich Tätigen „vergraben“ haben. Was sind die Fakten? Der Bundesrat hat im Juli diesen Jahres einen Gesetzentwurf zur Förderung der ambulanten Hospizarbeit vorgelegt. Danach sollen die Krankenkassen mit einem bis zum Jahr 2007 auf 0,4 Euro pro Versicherten ansteigenden Betrag Hospizdienste fördern. Hospizdienste, die in den Fami- lien und Haushalten tätig sind. Gefördert werden soll ein angemessener Zuschuss für die Personalkosten, die bei der Gewinnung, Vorbereitung, Koordination und Beglei- tung ehrenamtlicher Hospizdienste sowie deren Vernet- zung mit anderen Diensten entstehen. Die zu fördernden Aufgaben sollen auch palliativ-pflegerische Beratungen umfassen können. Aus vordergründig politischen Motiven haben die Koalitionsfraktionen dann zum gleichen Thema einen Änderungsantrag zum Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz eingebracht. Ihr Vorschlag sieht eine Förderung nur dann vor, wenn der in den Familien oder im Haushalt tätige am- bulante Hospizdienst mit „palliativ-medizinisch erfahrenen Pflegediens- ten und Ärzten zusammenarbeitet sowie unter der fachlichen Verantwortung einer Krankenschwester, eines Krankenpflegers oder einer anderen qualifi- zierten Person steht, die über mehrjährige Erfahrung in der palliativ-medizinischen Pflege oder über eine Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19819 (C) (D) (A) (B) entsprechende Weiterbildung verfügt und eine Wei- terbildung als verantwortliche Pflegefachkraft oder in Leitungsfunktionen nachweisen kann“. Am vergangenen Mittwoch haben wir darum gebeten, die Beschlussfassung zu diesem Änderungsantrag ange- sichts der nachmittags stattfindenden Anhörung zum Ent- wurf des Bundesrates auszusetzen. Ohne jede Begrün- dung haben Sie unsere Bitte jedoch mit Ihrer Mehrheit abgeschmettert. Das heißt nichts anderes, als dass Sie die Meinung der am Nachmittag erscheinenden Experten gar nicht mehr interessiert hat. Dies ist nicht nur schlechter parlamentarischer Stil, dies lässt auch jegliches ernst zu nehmende Interesse an der Thematik und deren umfas- senden Beratung und Diskussion vermissen. Und dies vor dem Hintergrund, dass die verschiedene Sachver- ständigen ausdrücklich auf zahlreiche Unzulänglichkei- ten und Unklarheiten der von Ihnen geplanten Förderung hingewiesen haben. So sehen die Experten die nötige kon- tinuierliche Sterbebegleitung gefährdet, da die Förderung auf Dienste beschränkt ist, die ausschließlich in Familien und Haushalten tätig sind. Was passiert, wenn die Pflege- bedürftigen in einer stationären Einrichtung unterge- bracht und weiterhin begleitet werden sollen? Geht dann die Förderung verloren? Kritisiert wird aber vor allem, dass Ihr Entwurf die Fördervoraussetzungen nicht in ausreichend deutlichem Maße regelt. Es bleibt unklar, wie die Zusammenarbeit der Hospizdienste mit den palliativ medizinischen Ange- boten aussehen soll. Wo liegt die Grenze zwischen pallia- tiv-medizinischer Betreuung einerseits und Pflege ande- rerseits? Sollen nur noch Hospizdienste gefördert werden, die eine solche Leistung anbieten? Letzteres würde be- deuten, dass ambulante Hospizdienste ohne palliative Be- ratungs- bzw. Pflegeleistung von der Förderung zumin- dest teilweise ausgeschlossen sind und die Existenz ehrenamtlicher Strukturen in der Hospizbewegung kon- kret gefährdet ist. Denn auch Ehrenamtlichkeit braucht ei- nerseits eine kontinuierliche finanzielle Förderung haupt- amtlich Tätiger zur Unterstützung der Ehrenamtlichen. Andererseits darf Ehrenamtlichkeit im Hinblick auf die an die zu leistende Pflege zu stellenden Anforderungen aber auch nicht überfordert werden. In beiden Punkten versagt Ihr Gesetz. Caritas und Diakonie teilen ausdrücklich unsere Be- fürchtungen und haben in der Anhörung meine entspre- chenden Fragen nach der Gefährdung ehrenamtlicher Strukturen mit einem klaren Ja beantwortet. Unklar bleibt in Ihrem Gesetz auch, wie die Qualität der angestrebten palliativ-medizinischen Pflege sicherge- stellt werden soll. Die Anhörung hat gezeigt, dass es in Deutschland ein großes Defizit im Bereich der Palliativ- medizin und -pflege gibt. Die Anhörung hat aber auch ge- zeigt, dass hierzu Änderungen der Approbationsordnung und verstärkte Anstrengungen der Selbstverwaltung er- forderlich sind. Ihr Gesetz wirft auch diesbezüglich mehr Fragen als Lösungen auf. Darüber hinaus gefährden die von Ihnen aufgestellten Anforderungen des Pflege-Qualitätssicherungsgesetzes zusätzlich die Existenz bewährter ehrenamtlicher Struk- turen. So haben nach Auskunft der Diakonie bereits zahl- reiche ehrenamtliche Hospizmitarbeiter signalisiert, ihr Ehrenamt aufgrund dieser zunehmenden bürokratischen Aufgaben aufgeben zu wollen. Es ist schon bemerkens- wert, dass Sie im Internationalen Jahr des Ehrenamtes ein solches Gesetz auf den Tisch legen und verabschieden. Lassen Sie mich am Ende meiner Ausführungen Fol- gendes ganz deutlich sagen: Wir wollen die auch aus un- serer Sicht notwendige Zusammenarbeit zwischen haupt- amtlich und ehrenamtlich Tätigen in der Hospizbewegung stärken und finanziell fördern. Wir fordern aber eine um- fassende und genaue Analyse und Beratung des Themas Sterbebegleitung in Deutschland, an deren Ende ein schlüssiges Konzept für die Arbeit und Finanzierung so- wohl der ambulanten und als auch stationären Hospize so- wie deren Vernetzung und Zusammenarbeit mit palliativ- medizinischen Angeboten steht, die dem ehrenamtlichen Charakter der Hospizbewegung weiterhin ausdrücklich Rechnung trägt. Für uns ist klar: Gesetzliche Regelungen in diesem Be- reich dürfen nicht auf Kosten der Ehrenamtlichkeit gehen. Sie dürfen nicht dazu führen, dass ehrenamtlich Tätige in der Hospizbewegung nun zu billigen Pflegekräften für die Kassen werden und damit Löcher gestopft werden, die Sie durch Ihre unseriöse und unkompetente Gesundheitspoli- tik immer wieder gerissen haben. Dies wäre eine unzuläs- sige Überforderung des Ehrenamtes. Ihren Gesetzentwurf lehnen wir daher ab. Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich freue mich, dass wir heute das Pflegeleis- tungsergänzungsgesetz verabschieden; denn mit der Ein- ehrung der Pflegeversicherung 1995 haben wir die letzte Lücke in der sozialen Versorgung gegen Lebensrisiken geschlossen, die bereits vielen Menschen geholfen hat. Rund 60 Millionen Menschen haben inzwischen An- sprüche aus der Pflegeversicherung. Mit ihren Leistungen erreicht die Pflegeversicherung insgesamt 1,9 Millionen Pflegebedürftige, davon 1,28 Millionen im ambulanten Bereich und 550 000 Personen im stationären Bereich. Die Pflegeversicherung ist keine Vollversicherung; sie soll mit ihrem Leistungsangebot Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen helfen, die mit der Pflegebedürftigkeit verbundenen persönlichen und finanziellen Lasten zu tra- gen. Ein Erfolg der Pflegeversicherung: Die überwie- gende Zahl der Pflegebedürftigen ist nunmehr von der So- zialhilfe unabhängig. Gerade den Menschen, die im Bereich der Pflege arbeiten, gebührt Anerkennung und Dank für eine engagierte – und oft zu gering entlohnte Tätigkeit. Ein weiteres großes Verdienst der Pflegeversi- cherung ist, dass es zum ersten Mal gelungen ist, eine so- ziale Absicherung der Pflegepersonen einzuführen und die Pflegetätigkeit sozial abzusichern wie eine Erwerbs- tätigkeit. Derzeit profitieren circa 600 000 Pflegeper- sonen, zum Beispiel Angehörige Freunde und Nachbarn davon. Obwohl die Pflegeversicherung bewusst als Teilabsi- cherung konzipiert wurde, sehen wir gravierende Lücken in der Versorgung. Der Grund: Auch in diesem Bereich haben wir es mit einer Hinterlassenschaft zu tun, die die Untätigkeit der alten Regierung widerspiegelt. Das be- trifft vor allem die Qualität der Versorgung in der ambu- lanten und stationären Pflege. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119820 (C) (D) (A) (B) Berichte über die Mängel in der Pflege häufen sich. Wir kennen sie alle aus einem Besuch im Pflegeheim oder aus dem Fernsehen, die oft entwürdigenden Zustände in den Pflegeheimen. Der Handlungsbedarf kann von kei- nem der hier Anwesenden bestritten werden. Dabei gibt es ganz offensichtlichen Nachholbedarf bei der Betreuung der Demenzkranken und auch bei der Unterstützung für die Angehörigen. Hier brauchen wir ein verbessertes Leis- tungsangebot der Pflegeversicherung gerade für die De- menzkranken. Denn die Versorgungssituation der De- menzkranken muss dringend verbessert werden. Defizite bestehen in quantitativer und qualitativer Hinsicht, beste- hen nicht nur im Bereich der frühzeitigen Diagnostik und der ganzheitlichen umfassenden Therapie. Besonders fehlt es hier an der Pflege und Betreuung sowie an einer angemessenen Beratung der Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Hier besteht vor allem Handlungsbedarf im Bereich der häuslichen Pflege, damit Kranke möglichst lange Zu- hause gepflegt und betreut werden können. Dass die häus- liche Pflege Vorrang hat, ist von ganz entscheidender Be- deutung für die Koalition. Bei der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen, ist es uns wichtig, dass Pflegebedürf- tige in Zukunft so lange wie möglich Zuhause gepflegt werden können und ein anonymer Heimaufenthalt ver- hindert werden kann. Deshalb werden wir in einem ersten Schritt mit rund 0,28 Milliarden DM viele Maßnahmen zur Stärkung und Förderung der häuslichen Pflege von Pflegebedürftigen mit erheblichem Betreuungsbedarf an allgemeiner Betreuung und Beaufsichtigung initiieren. Für die Angehörigen werden zusätzliche Möglichkeiten zur Entlastung geschaffen, indem pflegenden Angehöri- gen qualitätsgesicherte Betreuungsangebote zur Seite ge- stellt werden. Das geschieht im Einzelnen dadurch, dass es für Pfle- gebedürftige mit erheblichem Bedarf an allgemeiner Be- aufsichtigung und Betreuung einen zusätzlichen Leis- tungsanspruch im Elften Sozialgesetzbuchs geben wird. Diese können Leistungen der häuslichen Pflege in Höhe von 900 DM im Kalenderjahr für qualitätsgesicherte Be- treuungsleistungen entgegennehmen. Wir starten daher neue Projekte, in denen neue Versorgungsformen erprobt werden. Neue Projekte und niedrigschwellige Betreu- ungsangebote werden durch die soziale und private Pfle- geversicherung einerseits und von Land und Kommunen andererseits in Höhe von 20 Millionen Euro jährlich fi- nanziert werden. Diese niedrigschwelligen Betreuungs- angebote dienen in erster Linie dazu, ehrenamtliche Be- treuungspersonal zu finanzieren, also ihren Aufwand und auch Sachkosten für die Koordination und Organisation von Betreuenden. Wir haben hier großen Wert darauf gelegt, dass die Pro- jekte qualitätsgesichert sind. Als förderungsfähige, nied- rigschwellige Betreuungsangebote kommen Helferinnen- kreise zur stundenweise Entlastung der pflegenden Angehörigen, Tagesbetreuung in Kleingruppen oder Ein- zelbetreuung in Betracht. So wollen wir auch in der am- bulanten Hospizarbeit von ehrenamtlichen Helfern ein Zeichen setzen, indem diese Tätigkeit demnächst vergütet wird. Bürgerengagement soll sich auch lohnen und at- traktiver werden. Ziel des Pflegeleistungsergänzungsge- setzes ist es, die Situation in den Familien zu entspannen und ehrenamtliche Tätigkeit zu belohnen. Vor allem soll für die pflegenden Angehörigen neue Möglichkeiten der Entlastung geschaffen werden. Dieses Gesetz ist ein weiterer Schritt, Qualität, Wirt- schaftlichkeit und Eigenverantwortung als Parameter fest zu verankern. Qualitätssicherung zum zentralen Bestand- teil unserer Gesundheitspolitik zu machen, haben wir uns in den Koalitionsvereinbarungen fest vorgenommen. Im Bereich der Pflege ist ein solcher Qualitätsmaßstab schon lange überfällig. Was heißt denn Qualität? Es geht um gute und angemessene Versorgung. Es geht um Versor- gung, die Würde und Selbstbestimmung gewährleistet. Menschen, die der Pflege bedürfen, sind nicht Objekt ei- ner Maschinerie. Pflegepersonal ist nicht Verschiebe- masse von chronischer Unterbesetzung und Fehlmanage- ment. Fehlende Qualitätsvereinbarungen dürfen nicht mehr auf dem Rücken dieser beiden Gruppen ausgetragen werden. Der informierte und eigenständige Patient ist Voraus- setzung für einen sinnvollen Ressourceneinsatz. Deshalb ist es wichtig, dass Patienten auch in kritischer Weise mit- bestimmen können. Es geht darum, dass Versicherte ver- besserte Möglichkeiten erhalten, sich generell über die medizinischen Leistungsangebote und deren Qualität zu informieren. Deshalb muss endlich unabhängige Patien- tenberatung in Gang kommen und der Patient über die ab- gerechneten Leistungen informiert werden: Für die Pflege heißt das mehr Transparenz bei den Leistungen und Leis- tungserbringern. Deshalb sollen pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen eine bessere Beratung erhalten, die sie in die Lage versetzt, ihre Rechte besser wahrzunehmen. Auf der anderen Seite müssen die, die ehrenamtlich pflegen, auch dafür unterstützt werden. Die Koalition will hier ein Zei- chen setzen. Ich bitte Sie daher um Zustimmung für die- ses Gesetz. Detlef Parr (FDP): In einem sind wir uns einig: Wir dürfen die zu erwartende steigende Zahl der Demenz- kranken aufgrund der demographischen Entwicklung nicht ignorieren. Wir müssen für die Kranken, vor allem aber für die Pflegenden, die großen Belastungen ausge- setzt sind, die erforderlichen Hilfen schaffen und die Ver- sorgung und Betreuung verbessern. Auf diesem Weg kommen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schrittchenweise voran. Es wird die Chance eröffnet, mehr qualifizierte ehrenamtliche Helfer zu gewinnen. Richtig ist es auch, neue Versorgungsformen für De- menzkranke zu erproben. Entscheidender wäre aber gewesen, statt bei der Fi- nanzierung der Maßnahmen auf die Reserven der Pflege- versicherung zurückzugreifen, diese fünfte Säule des So- zialsystems grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen und seine Zukunftsfähigkeit zu untersuchen. Wenn die Reserven aufgebraucht sind – die unumgängliche Anpas- sung der Pflegesätze wird diesen Vorgang beschleunigen – müssen wir neue Wege gehen. Ein beruhigendes „Weiter so“ wird es nicht geben können. Wir haben die Pflicht, die Bevölkerung auf diese Entwicklung vorzubereiten. Die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19821 (C) (D) (A) (B) Pflegeversicherung ist nur eine Teilkasko-Versicherung. Wir dürfen uns nicht um die Frage herumdrücken, was die Solidargemeinschaft finanzieren kann und was der Ein- zelne vorsorgend zu tragen hat. Wie im gesamten Gesundheitsbereich ist auch hier eine ehrliche Bestandsaufnahme und öffentliche Debatte über zukünftige Lösungswege notwendig. Es wird Sie nicht wundern: Die FDP wird nicht müde werden, einen ord- nungspolitischen Grundsatz immer wieder zu betonen: Zu der umlagefinanzierten gesetzlichen Pflegeversicherung muss der Aufbau einer privaten Absicherung treten – be- günstigt durch steuerliche Anreize. Wie weit diese private Absicherung gehen muss, hängt zum einen von der He- bung von Wirtschaftlichkeitsreserven und deren Nutzbar- machung ab. Zum anderen müssen wir die Abgrenzung zwischen den verschiedenen Kostenträgern im Rahmen der Pflege mit dem Ziel einer Optimierung der Versor- gung der Pflegebedürftigkeit verbessern. Der vorliegende Gesetzentwurf soll auch den An- spruch nach mehr Qualität in der Pflege erfüllen. Dafür brauchen wir dringend eine Imagekampagne für den Pfle- geberuf und Haushaltsmittel für Zuschüsse zur Erprobung alternativer Pflegekonzepte insbesondere für Demenz- kranke. Diese Konzepte müssen geprägt sein von größe- rem Vertrauen in die Pflegenden. Sie müssen freier entscheiden dürfen, welche Unterstützung in der indivi- duellen Situation am hilfreichsten ist. Wir hätten diesem Gesetzentwurf gern zugestimmt. Er ist nicht der große Wurf, aber ein Schritt in die richtige Richtung. Dann haben Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- gen der Regierungsfraktionen, den Gesetzentwurf um die ambulante und stationäre Hospizarbeit erweitert. Es gab aber bereits einen Gesetzentwurf des Bundesrates, der nicht nur von der FDP, sondern auch von vielen Fachleu- ten unterstützt wurde. Nach Ihren Vorstellungen sollen nun im Unterschied zum Bundesratsentwurf die Förder- voraussetzungen so stringent sein, dass die ehrenamtliche Arbeit, die die Hospizlandschaft entscheidend prägt, eher behindert als unterstützt wird. Die Verknüpfung der Ster- bebegleitung durch geschulte Ehrenamtliche mit der zwingenden Zusammenarbeit mit palliativ-medizinisch erfahrenen Pflegediensten und Ärzten ist nicht akzepta- bel. Diese Förderungsvoraussetzungen sind viel zu eng gefasst. Aus diesem Grund wird sich die in unserem Land vorhandene und durch ehrenamtliche Arbeit geprägte Hospizlandschaft nicht verbessern. Inhaltlich trägt der Gesetzentwurf des Bundesrates diesen Gegebenheiten besser Rechnung. Wir hätten es daher begrüßt, wenn die Regierungsfrak- tionen diesen Teil ihres Gesetzentwurfs zurückgezogen hätten. So bleibt der FDP-Bundestagsfraktion nur die Ab- lehnung des vorliegenden Entwurfs. Dr. Ilja Seifert (PDS): Nicht nur von betroffenen Men- schen, ihren Angehörigen, in Pflegediensten und Einrich- tungen tätigem Personal und Sozialverbänden werden die Missstände in der Pflege seit Jahren kritisiert. Ende Au- gust 2001 hat sogar der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen Sorge über die Zustände in deutschen Pflegeeinrichtun- gen geäußert. Das ist Ergebnis einer verfehlten Politik, die stets die pflegefernen Bereiche gestärkt hat und nicht die Arbeit am und mit dem pflegebedürftigen Menschen. Die Bundesregierung stellt keinerlei neue Weichen für eine Reform in der Pflege. Ihr Motto scheint zu lauten: Weiter so mit ruhiger Hand. Der Reformbedarf wird ig- noriert, die bestehenden Versorgungsdefizite beschönigt und das Dogma der Beitragssatzstabilität als alternativlos akzeptiert. Leider steht auch der von der Bundesregierung vorge- legte Entwurf für ein Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz (PflEG) in dieser Kontinuitätslinie. Jeder Mensch muss – unabhängig von Alter und Beruf – zu jeder Zeit ausreichenden, am jeweiligen Bedarf orien- tierten solidarischen Schutz durch die Gesellschaft erhal- ten können. Das gilt besonders für schwerst betroffene Menschen wie Demenzkranke, psychisch Kranke, Men- schen mit apallischem Syndrom oder geistig schwerstbe- hinderte Menschen, vor allem Kinder. Gegenwärtig wird ihnen weder der ihnen menschenrechtlich zustehende Teilleistungsanspruch in ausreichendem Maße, noch der spezifische Anleitungs- und Hilfebedarf zugestanden. Mit der gegenwärtigen Gesetzgebung – das schließt das Pfle- geleistungs-Ergänzungsgesetz vollinhaltlich ein – wird dieser Bedarf inhaltlich, personell und strukturell nicht ausreichend abgesichert. Diesen grundsätzlichen Forderungen, die sich mit dem demographischen und sozialen Wandel noch verschärfen werden, hat die Bundesregierung mit ihrem Gesetzent- wurf nicht entsprochen. In verschiedenen Anhörungen zu Pflegegesetzentwürfen, besonders auch zum PflEG, ha- ben Vertreter der Behinderten- und Wohlfahrtsverbände mehrfach auf diese Defizite sehr kritisch hingewiesen. Die PDS lehnt den vorliegenden Referentenentwurf auch deshalb ab, weil der gewählte Weg zur Einbeziehung allgemeiner Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarfe von Menschen mit geistiger Behinderung, psychisch Kranken und gerontopsychiatrisch veränderten Menschen in die Pflegeversicherung den tatsächlich bestehenden Bedürfnissen nicht gerecht wird. Wir sind weiterhin der Auffassung, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf Erwartungen geweckt wer- den, die mit dem vorgesehenen zusätzlich zur Verfügung gestellten Betrag von 900 DM oder 460 Euro pro Pflege- bedürftigem jährlich nicht einmal annähernd erfüllt werden. Der zur Verfügung gestellte Betrag von umgerechnet 2,50 DM oder 1,26 Euro pro Tag steht im krassen Wider- spruch zu der erforderlichen Hilfe für Menschen mit geis- tiger Behinderung, psychisch Kranke und gerontopsy- chiatrisch veränderte Menschen im ambulanten Bereich. Auch für den Aufbau von kostenintensiven Strukturen für niedrigschwellige Angebote reicht das keinesfalls. Ein Betrag in dieser Höhe stellt für die Pflegebedürftigen und ihre Familien keine wirklich nennenswerte Entlastung dar. Die Kernelemente des PflEG, die die Schaffung neuer Leistungen für Pflegebedürftige mit einem erheblichen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119822 (C) (D) (A) (B) allgemeinen Pflegebedarf in häuslicher Pflege betreffen, sind hinsichtlich ihrer Reichweite „Kreis der Begünstig- ten“, der Höhe der vorgesehenen Leistungen sowie der Modalitäten ihrer Inanspruchnahme defizitär. Es ist nicht länger akzeptabel, dass der enge Pflegebe- dürftigkeitsbegriff beibehalten werden soll und damit alle Personen unterhalb der Stufe I, das heißt mit einem Grundpflegebedarf von immerhin bis zu 45 Minuten täg- lich, trotz erheblichen allgemeinen Beaufsichtigungsbe- darfs auch weiterhin vom Leistungsbezug gemäß SGB XI ausgegrenzt bleiben. Die Bundesregierung wollte laut Koalitionsvereinba- rung vom 20. Oktober 1998 prüfen, „wie die Betreuung Demenzkranker bei der Feststellung der Pflegebedürftig- keit“ berücksichtigt werden kann. Sie hat Hoffnungen auf eine Aufhebung der Benachteiligung dieses Personen- kreises geweckt. In allen Beratungen wurde jedoch deut- lich, dass bei der Suche nach Problemlösungen nicht der Bedarf des betroffenen Personenkreises, sondern die Be- grenzung der einzusetzenden finanziellen Mittel zum Ausgangspunkt der Überlegungen gemacht wurde. Die jetzt vorgesehenen Mittel können insgesamt nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein angesehen werden. Es muss auch bezweifelt werden, dass Art und Anlage die- ser Leistungen sowie die in dem Gesetzentwurf ebenfalls formulierten Förderungsmodalitäten, insbesondere für niederschwellige Einrichtungen, geeignet sind, den Auf- und Ausbau einer entsprechenden Infrastruktur qualitäts- gesicherter Angebote nachhaltig positiv zu beeinflussen. Insgesamt stehen somit die neuen Betreuungsleistun- gen unter der einengenden Auswirkung des programmati- schen Gebots der Beitragssatzstabilität in der Pflegeversi- cherung. Wenn sie in dem Gesetzentwurf als „erster Schritt“ bezeichnet werden, so bleibt die Benennung von weiter reichenden mittelfristigen Perspektiven offen. Die Spitzenverbände der Pflegekassen sollen nach der laut Beschlussempfehlung im Gesundheitsausschuss mehrheitlich – gegen die Stimmen der PDS – beschlosse- nen Fassung des Gesetzes einheitlich und gemeinsam aus Mitteln des Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung mit 5 Millionen Euro im Kalenderjahr Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung, insbesondere zur Entwicklung neuer qualitätsgesicherter Versorgungs- formen für Pflegebedürftige, durchführen und mit Leis- tungserbringern vereinbaren. Gegen Modellvorhaben ist nichts einzuwenden. Hier werden aber Beitragsgelder, die Pflegebedürftigen zu- stehen, zur Sanierung des Bundeshaushalts miss- braucht – ja, missbraucht! Denn falls die so geförderten Modellprojekte im Bereich der persönlichen Budgets oder von neuen Wohnformen positive Ergebnisse zeigen sollten, wären sie nicht verallgemeinerbar: Aus der Pflegeversicherung können sie keinesfalls regelfinan- ziert werden. Besonders pikant wird dieser Verschiebebahnhof, wenn sich die Regierung aus den ohnehin begrenzten Mit- teln der Pflegeversicherung bedient und zugleich im Haushalt 2002 die Mittel für „Modellmaßnahmen zur Ver- besserung der Versorgung Pflegebedürftiger“ gegenüber dem Ansatz für 2001 um über 20 Prozent kürzt. Gesundheitspolitik kann und darf nicht auf „Kosten- dämpfung“ reduziert werden. Wir brauchen Strukturen, die sich am Bedarf der be- troffenen Menschen ausrichten und nicht vordergründig an marktwirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen, die dann höchstens noch durch Begutachtungsrichtlinien des Medizinischen Dienstes der Kassen reguliert werden. Unter dem Strich bleibt insgesamt: Zum Sterben zu- viel, zum Leben zu wenig. Deshalb lehnt die PDS dieses Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz ab. Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Mit dem Entwurf zum Pflegeleistungsergänzungsgesetz machen wir einen ersten Schritt in Richtung Entlastungen für Pflegebedürf- tige, die einen besonderen Betreuungsbedarf haben, und ihre Angehörigen. Wir schaffen die Grundlage für ein qualitätsgesichertes Betreuungsangebot im ambulanten Bereich. Wir schaffen die Voraussetzungen für mehr Beratung im Umgang mit Menschen, deren Gedächtnisleistungen immer weiter ver- loren gehen und deren Betreuung hohe Anforderungen an ihre Angehörigen oder Freunde stellt. Und wir geben Im- pulse zum Entstehen eines abgestuften bedürfnisgerech- ten, niederschwelligen Betreuungssystems. Wenn Sie uns nun vorwerfen, die Regierung täte nichts für den stationären Pflegebereich und zu wenig für den ambulanten, dann frage ich Sie: Wo waren Sie denn, als wir das Pflegequalitätssicherungsgesetz beraten und ver- abschiedet haben? Sie wissen sehr wohl, dass das Pflege- qualitätssicherungsgesetz zu Verbesserungen für die Menschen in Pflegeeinrichtungen führt. So werden unter anderem die Instrumente der Qualitätssicherung neu strukturiert und damit effektiver einsetzbar, die Verzah- nung mit dem Heimgesetz wird verbessert, Verhand- lungstransparenz geschaffen und der Verbraucherschutz für Heimbewohner ausgeweitet. Sie hingegen glänzen mit Forderungen, die unrealistisch und nicht finanzierbar sind. Mit einem gesetzlich auch von Ihnen festgeschrie- benen Beitragssatz von 1,7 Prozent ist das nicht zu ver- wirklichen. Die Forderung nach Einbeziehung der Stufe Null ist deshalb absolut unverantwortlich. Wenn Sie das tatsächlich wollen, müssen Sie auch sagen, woher die 1,5 Milliarden DM jährlich – mit steigender Tendenz – kommen sollen, die diese Leistungsausweitung kosten würde, ganz zu schweigen von Ihren Vorschlägen, den Pflegesatz in den Pflegestufen 2 und 3 um jeweils 200 DM zu erhöhen. Neben all dem wollen Sie auch noch einen Kapital- stock aufbauen. Aber das ist bei Ihnen ja nichts Neues. Schuldenmachen war in Ihren Regierungsjahren ja an der Tagesordnung. Wir hingegen schaffen mit dem vorliegenden Entwurf ein Versorgungsnetz mit bedürfnisorientierten, abgestuf- ten Angeboten, die mit den Mitteln der Pflegeversiche- rung seriös und langfristig zu finanzieren sind. Die dabei Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19823 (C) (D) (A) (B) vorgesehenen niedrigschwelligen Betreuungsangebote kommen den Pflegebedürftigen – auch der Stufe Null – zugute. Sie wissen, dass die Pflegeversicherung nur einen Zuschuss zu den Aufwendungen zur Pflege leistet. Unter Ihrer Verantwortung wurde dieses Gesetz als Kompro- miss zwischen allen Fraktionen geschaffen. Sie haben während Ihrer Regierungszeit die Probleme in der Pflege bestens gekannt und den Kopf in den Sand gesteckt. Und jetzt kommen Sie mit absolut unrealistischen Vorschlägen und streuen den Menschen Sand in die Augen. Was Sie wollen, ist alles nicht zu finanzieren! Wenn wir Ihre Vor- schläge in die Tat umsetzen würden, wäre die Pflegever- sicherung pleite. Auch Sie sollten akzeptieren: Man kann nur das ausgeben, was man hat. Und weil das so ist, kön- nen wir leider nicht alles wünschenswerte auf einmal er- reichen. Unser Entwurf ist ein erster Schritt, der auch von den Beteiligten in der Pflege akzeptiert und mitgetragen wird. Das ist uns ganz besonders wichtig. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Fairen Wettbewerb im Luftverkehr bewahren – Sicherheit erhöhen (Tagesordnungspunkt 19) Hans-Günter Bruckmann (SPD): Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 in den USA zeigen, dass die Realität brutaler als jeder Horrorfilm sein kann. Diese Ereignisse haben zu dramatischen Veränderungen im Weltluftverkehr geführt. Die Bundesregierung hat sich sofort den Herausforderungen gestellt und umfassende Konsequenzen für die Verbesserung der Luftsicherheit im nationalen und internationalen Rahmen eingeleitet. Als nationale Sofortmaßnahme ist in Ergänzung zu strengen Personen- und Handgepäckkontrollen und zur verschärften Bewachung von Flughäfen am 13. Oktober 2001 die Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungsver- ordnung in Kraft getreten. Dadurch wurde ein einheitli- ches und verbindliches Überprüfungsverfahren auf ho- hem Niveau für den so genannten Innentäterschutz eingeführt, das sich in der Praxis auf den 37 deutschen Verkehrsflughäfen und bei den Luftfahrtunternehmen be- währt. Weitere technische Schutzmaßnahmen gegen Flugzeugentführungen – wie aufbruchsichere Cockpit- türen – werden aktuell geprüft und in Zusammenarbeit mit den Flugzeugherstellern und Luftfahrtunternehmen kurz- und mittelfristig in Angriff genommen. Neben den nationalen Maßnahmen sind aufgrund der Internationalität des Luftverkehrs vor allem einheitliche und verbindliche Sicherheitsstandards aller am zwi- schenstaatlichen Luftverkehr beteiligten Staaten von grundsätzlicher Bedeutung. Die Bundesregierung wird von der Regierungskoalition dahin gehend unterstützt, bei der ICAO die weiter gehenden Sicherheitsstandards der EAC weltweit verbindlich zu machen. Die verbesserten internationalen Sicherheitsmaßnahmen müssen dazu bei- tragen, wieder zunehmendes Vertrauen in den Flug- verkehr zu entwickeln. Dazu ist positive Psychologie ge- fordert. Nach dem 11. September 2001 ist im internationalen Luftverkehrsmarkt ein dramatischer Verkehrsrückgang bei fast allen Luftverkehrsunternehmen, Flughäfen und Flugsicherungen zu verzeichnen. Schon vorher zu ver- zeichnende Nachfragerückgänge aufgrund rezessiver Entwicklungen der Weltwirtschaft, die sich zeitgleich in Asien, USA und Europa bemerkbar gemacht hatten, wur- den durch die Anschläge erheblich verschärft. Der Passa- gierrückgang auf dem Nordatlantik beträgt etwa 30 Pro- zent, in Europa etwa 15 Prozent Kostensteigerungen in Folge erhöhter Sicherheitsmaßnahmen, geringerer Lade- faktoren, wachsender Gebühren und Versicherungsprä- mien belasten die Ertragskraft der gesamten Branche. Al- lein für die deutschen Luftfahrtunternehmen kann insgesamt von einer jährlichen Mehrbelastung in Höhe von rund 580 Millionen DM ausgegangen werden. Wettbewerbsverzerrungen aufgrund staatlicher Sub- ventionen tun ein Übriges. Obwohl die Luftfahrtunter- nehmen durch Ausdünnung der Flugprogramme eigene Anpassungsmaßnahmen eingeleitet haben, sind sie mit der Bewältigung der kritischen Situation überfordert. Un- ternehmenszusammenbrüche, mühsame Rettungsaktio- nen sowie Rufe nach staatlicher Hilfe sind die Folge. Die aufgrund der differierenden Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich unterschiedlichen Ge- bührensituationen stellen hier für uns eine große Heraus- forderung dar. Die Bundesregierung hat dem betroffenen Gewerbe von Anfang an ihre Unterstützung zugesagt. Ne- ben der sofortigen Einleitung von Maßnahmen, die der Erhöhung der Sicherheit dienen, hat der Bund eine zeit- lich begrenzte Haftungsgarantie für die versicherungs- mäßig nicht mehr abgedeckten Risiken in der Drittscha- denhaftpflicht übernommen, ein richtiger und wichtiger Schritt. Es darf in dieser Situation keinen Wettlauf von Subventionen geben. Aber gleichermaßen müssen wir den Luftverkehrsunternehmen eine Chance einräumen die ohne eigenes Verschulden in diese schwierige Situation gekommen sind. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich auch weiterhin für eine faire und gerechte Lastentei- lung unter allen von den Auswirkungen der Terrorakte be- troffenen Unternehmen und Stellen einzusetzen. Dabei wird sich möglicherweise eine Mehrbelastung von Unter- nehmen und Passagieren aufgrund zusätzlichen Sicher- heitsmaßnahmen nicht vermeiden lassen. Darüber hinaus sind wir sicher, dass die Bundesregie- rung sich auf internationaler Ebene ganz entschieden für ein harmonisiertes, gleichgerichtetes Vorgehen einsetzt und daran mitwirkt, wettbewerbsneutrale Regelungen für die Zukunft des Luftverkehrs zu schaffen. Die EU-Staaten sollen die EU-Kommission dabei unterstützen, mit den USA einen „code of conduct“ zu vereinbaren, der Wettbe- werbsverzerrungen im Luftverkehr durch unzulässige Beihilfen und Subventionen ausschließt. Preissenkungen aufgrund von Subventionen sollen keine Zukunft haben. Europäische Luftfahrtunternehmen haben gegenüber der EU-Kommission belegt, dass US-Luftfahrtunterneh- men aggressiv und in erheblichem Umfang das Preisni- veau um bis zu 50 Prozent gesenkt haben. Auch europä- ische Fluggesellschaften – zum Teil aufgrund von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119824 (C) (D) (A) (B) Subventionen – versuchen, mit drastischen Preissenkun- gen Nachfrage zu generieren. Erfahrungen im Luftver- kehr zeigen jedoch, dass bei krisenbedingter nachlassen- der Nachfrage Preissenkungen nur das Preisniveau senken, ohne dass wesentliche Zusatznachfrage entsteht. Inzwischen erhöht sich der Marktdruck auch auf deutsche Unternehmen, das Preisniveau anzupassen. Die SPD-Fraktion unterstützt die Haltung der Bundes- regierung bei folgenden Themen: Schadensausgleich. Beibehaltung der bisherigen re- striktiven Beihilfepraxis. Sofern Staatshilfen gewährt werden, ist sicherzustellen, dass nur Schäden ausgegli- chen werden, die direkt und ursächlich auf die Ereignisse des 11. September 2001 zurückzuführen sind. Objektive Kriterien müssen dabei Beurteilungsmaßstab sein. Versicherungsproblematik. Die Einrichtung der Ar- beitsgruppe auf Staatsekretärsebene unter Federführung des BMF wird von uns unterstützt. Die Garantiezusage für die nicht länger versicherten Risiken „Krieg und Terror- akte“ halten wir im Sinne der Branche für richtig. Auch die vorgesehene Verlängerung vom 25. November 2001 bis zum 31. Januar 2002 ist sinnvoll. Bis zu diesem Zeit- punkt erwarten wir aber ein Langfristkonzept unter Betei- ligung der Versicherungs- und der Luftverkehrswirt- schaft, das zukunftsfähig ist. Wettbewerb. Mit dem in der Ressortabstimmung be- findlichen Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur Er- leichterung des Marktzugangs im Luftverkehr“ erwarten wir Leitlinien zur Liberalisierung des internationalen Fluglinienverkehrs in Deutschland, die eine stärkere För- derung des Wettbewerbs unter gleichwertiger Berück- sichtigung der Interessen von Luftfahrtunternehmen, Verbrauchern, Flughäfen und verladender Wirtschaft vor- sehen, um den Luftverkehrsstandort Deutschland zu stär- ken. Wir sind uns sicher, dass durch das Gesetz die betroffenen Luftfahrtunternehmen von den Kosten wirt- schaftsregulierender Genehmigungsverfahren entlastet werden, sich die Wettbewerbsintensität erhöht und der Verbraucher einen höheren Nutzen bekommt. Mit den von der Bundesregierung eingeleiteten Sofortmaßnahmen und den mittel- und langfristig eingeleiteten Schritten sind wir auf dem richtigen Weg. Wir sind davon überzeugt, dass die gegenwärtigen Pro- bleme im Luftverkehr vorübergehender Natur sind und dass bald wieder Normalität und Wachstum im Luftver- kehrsmarkt eintritt. Lassen Sie uns gemeinsam daran ar- beiten, dass das Vertrauen in die Luftfahrt zurück gewon- nen wird. Norbert Königshofen (CDU/CSU): Der Luftverkehr ist ökonomisch am stärksten von den Folgen des Terror- anschlages auf die USAam 11. September 2001 betroffen. So bezifferte der internationale Zivilluftfahrtverband, IATA, die Verluste für die Fluggesellschaften auf über 10 Mil- liarden Dollar; sie sind also mehr als doppelt so hoch wie die nach dem Golfkrieg. Damals waren es 4,9 Milliarden Dollar und die Träger des internationalen Luftverkehrs brauchten Jahre, um sich zu erholen. In den USA spricht man von der Entlassung von rund 100 000 Mitarbeitern. Dies sind rund ein Siebtel aller Be- schäftigten bei den US-amerikanischen Airlines. Auch in Europa leiden die Fluggesellschaften unter den Auswir- kungen der Attentate. So will British Airways 7 000 Stel- len abbauen. Bei Swissair und Sabena verschlechterte sich die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation so drastisch, dass sie Bankrott gingen. Die Deutsche Lufthansa will mit Ausgabenminderung und Gehaltskürzungen sowie mit einem Einstellungs- und Investitionsstopp die Krise ohne betriebsbedingte Kündi- gungen meistern. Aber auch sie beklagt einen Rückgang der Passagiere um 25 Prozent und Einnahmeverluste von 20 Millionen DM täglich. Allein in den ersten Tagen nach dem 11. September, als der Luftraum über den USA ge- sperrt war, entstand der Lufthansa ein Schaden von rund 180 Millionen DM. Zurzeit sind 43 Flugzeuge der Luft- hansa in der Wüste im Südwesten der USA abgestellt. Auch die internationalen Flughäfen leiden unter den Folgen der Terroranschläge. So muss der Frankfurter Flughafen seit dem 11. September Einbußen bei den Fluggästen in Höhe von 20 bis 30 Prozent hinnehmen. Die durch die Terroranschläge verursachte Krise trifft die Fluggesellschaften in einer Phase zurückgehender Konjunktur. Seit Mai 2001 wirken sich die schlechte US-Konjunktur und das wirtschaftspolitische Versagen der rot-grünen Bundesregierung auch auf die deutsche Konjunktur aus, sodass schon vor dem 11. September der Umsatz in der Luftverkehrsbranche zurückgegangen war. Dabei war bis dahin der Luftverkehr als die Zukunfts- branche angesehen worden. Schon heute hängen allein in Deutschland 250 000 Ar- beitsplätze direkt und 500 000 Arbeitsplätze indirekt vom Luftverkehr ab. Die Luft- und Raumfahrtindustrie be- schäftigt in Deutschland weitere 70 000 Menschen. Da die Prognosen zu Fluggastzahlen bis 2020 ein jährliches Wachstum von 5 Prozent und zum Luftfrachtverkehr um 7 Prozent versprachen, sah man im Luftverkehr nicht zu- letzt die Jobmaschine der Zukunft. Doch spätestens seit dem 11. September 2001 weiß man, dass die Entwicklung nicht so rasant verlaufen wird. Denn zu den konjunkturellen Schwierigkeiten kommen die Belastungen aus den neuen Sicherheitsanforderungen. Um es klar zu sagen: Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die vom Verkehrsrat der EU am 16. Oktober 2001 in Luxem- burg verabschiedeten Leitlinien. Wir unterstützen die stärkere Kontrolle des Zugangs zu den sensitiven Berei- chen der Flughäfen und zu den Flugzeugen, des Boden- personals, der Fluggäste und ihres Handgepäcks, des auf- gegebenen Gepäcks sowie dessen Überwachung. Wir halten auch eine Klassifizierung von Gegenständen, die nicht in sensitive Bereiche gebracht werden dürfen, für notwenig. Die CDU/CSU-Fraktion spricht sich nachdrücklich dafür aus, dass durch den Einbau von speziellen Cockpit- Türen der Zugang zum Cockpit für Unbefugte gesperrt wird, wie überhaupt alle technischen Möglichkeiten ge- nutzt werden müssen, um zu verhindern, dass Attentäter oder Flugpiraten Flugzeuge in ihre Gewalt bringen können. Auch der Einsatz von Skymarshals ist nach unse- rer Auffassung sinnvoll und geboten. Alle diese Sicher- heitsmaßnahmen sind notwendig und wir unterstützen sie. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19825 (C) (D) (A) (B) Es gilt aber, die Sicherheit zu erhöhen, ohne den fairen Wettbewerb zu verletzen. So hat der US-Senat Finanzhil- fen in Höhe von 15 Milliarden Dollar als Soforthilfe für die amerikanischen Fluggesellschaften bewilligt. Wegen der Probleme, die die US-Fluggesellschaften haben, kann man dies verstehen. Kein Verständnis haben wir aller- dings dafür, dass US-Fluggesellschaften die Staatshilfe dafür nutzen, mit massiven Preissenkungen die europä- ischen Fluggesellschaften von der Nordatlantikroute zu verdrängen. So bietet United Airlines Amerikaflüge von Frankfurt/Main für 699 DM an. Das ist kein fairer Wett- bewerb mehr, sondern Dumping. Die Terroranschläge dürfen nicht als Vorwand dazu dienen, versteckte Staats- hilfen zu leisten. Das gilt aber auch für den innerdeutschen Wettbewerb. So übernehmen einige Mitgliedstaaten der EU für die nächste Zeit die Kosten zusätzlicher Sicherheitsmaßnah- men, während Deutschland die Kosten durch Betreiber und Nutzer tragen lässt. Auch die Finanzspritzen der belgischen Regierung für die Sabena-Nachfolgegesellschaft DAT und der Schweiz für Swissair/Crossair verzerren den Wettbewerb. In einem zusammenwachsenden Europa macht es kei- nen Sinn, wenn sich jeder Staat – koste es, was es wolle – seine eigene nationale Fluggesellschaft halten will. Die CDU/CSU-Fraktion hält es auch nicht für richtig, dass deutsche Fluggesellschaften für die Staatshaftung zur Deckung von Folgeschäden bei Krieg oder Terror Prä- mien zahlen sollen, während zum Beispiel British Air- ways diesen Schutz unentgeltlich erhält. Daher begrüßen wir, dass die Bundesregierung nun endlich die Prämien gestundet hat, bis eine gemeinsame Prämienregelung in der EU für die staatlichen Haftungsgarantien erreicht ist. Wir unterstützen die Forderung der Organisation der europäischen Luftlinien, AEA: keine staatlichen Beihil- fen, aber Kompensation für Schäden, die durch politische Ereignisse verursacht wurden. Insofern sollte die Bundes- republik die Schäden, die den deutschen Fluggesellschaf- ten durch die viertägige Sperrung des amerikanischen Luftraums entstanden sind, übernehmen. Wir wollen einen fairen Wettbewerb auf der Nord- atlantikroute, in Europa, aber auch in Deutschland, also zwischen der Lufthansa und ihren innerdeutschen Wett- bewerbern. Weder die Politik noch der deutsche Fluggast sind an einem Verdrängungswettbewerb interessiert. Meine Damen und Herren, der FDP-Antrag entspricht unserer Haltung zum Luftverkehr und die beantragten Feststellungen werden von uns mitgetragen. Wir stimmen daher dem FDP-Antrag zu. Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Lage einiger Luftverkehrsunternehmen hatte sich schon mit der abflauenden Konjunktur ver- schlechtert; sie hat sich mit dem Anschlag am 11. Sep- tember 2001 aber zu einer Krise ausgeweitet. Fluggesell- schaften wie die Swissair oder die Sabena, die jahrelang expandiert haben oder auf staatliche Unterstützung ange- wiesen waren, haben Konkurs angemeldet. In diesen Marktprozess sollte die Bundesregierung nicht eingrei- fen, indem sie wieder staatliche Beihilfen in eine Bran- che pumpt. Damit würden übrigens auch die Bemühun- gen der Bundesregierung und der DB im innerdeutschen und europäischen Bereich konterkariert, mehr Verkehr auf einen schnellen und attraktiven Bahnverkehr zu ver- lagern. Im FDP-Antrag wird eine Beibehaltung des wett- bewerblichen Rahmens im Flugverkehr gefordert. Hier übersieht die FDP – ich unterstelle einmal: mit einer ge- wissen Absicht –, dass der Flugverkehr immer noch hohe staatliche Subventionen bekommt bzw. der ordnungspoli- tische Rahmen den Flugverkehr in Konkurrenz zu den an- deren Verkehrsträgern eindeutig bevorzugt. Ich erinnere daran, dass Flughäfen mit hohen staatlichen Beihilfen fi- nanziert und Länderbeihilfen für die Durchführung inter- kontinentaler Flüge gezahlt werden. Der zweite Punkt ist das Fehlen einer internationalen Kerosinsteuer und die Umsatzsteuerbefreiung im grenzüberschreitenden Luft- verkehr. Durch beides werden die umweltfreundlichen Verkehrsträger Bahn und Schifffahrt massiv benach- teiligt. Die Bundesregierung setzt sich für eine Liberalisie- rung des Luftverkehrs ein, die verbunden sein muss mit einer Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen. In- nerhalb der EG wird die bisher konsequente Haltung der Kommission unterstützt, das grundsätzliche Subven- tionsverbot des EG-Vertrages gegenüber subventionsbe- reiten Staaten anzuwenden. Dazu gehört auch, dass der Staat neben den verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in staatlicher Hoheit nicht alle Aufwendungen der Luftver- kehrsgesellschaften für zusätzliche Kosten ersetzen kann und darf. Hier kann es allenfalls um eine wettbewerbs- neutrale Ausgestaltung der Kostenverteilung gehen. Die Bundesregierung hat den Luftverkehrsgesell- schaften schnell mit einer Übernahme der Versicherungs- risiken für terroristische Angriffe, die die Versicherungs- wirtschaft nicht mehr übernehmen wollte, unter die Flügel gegriffen. Jedem von uns ist aber auch bewusst, dass ein katastrophaler Terroranschlag mit Flugzeugen zum Bei- spiel in Deutschland – was Gott verhüten möge! – auch immense Kosten verursacht, die den Bundeshaushalt enorm belasten würden. Daher muss auch aus prinzipiel- len Überlegungen das Versicherungsrisiko in absehbarer Zeit wieder auf die privatwirtschaftliche Versicherungs- wirtschaft verlagert werden. Die Luftfahrt verzeichnet wie kein anderer Verkehrsträger seit Jahren ein erhebli- ches Wachstum. Sie wird auch die gegenwärtige Krise nach einer Phase der Erholung überwinden. Horst Friedrich (Bayreuth) (FDP): Nach den Terror- anschlägen vom 11. September 2001 ist es insbesondere in der Luftverkehrswirtschaft zu erheblichen Turbulenzen gekommen. Drei Dinge machen es den Unternehmen hierbei besonders schwer: Erstens der massive Einbruch bei den Buchungen, vor- nehmlich auf den transatlantischen Routen. Zweitens die Kündigung der Versicherungsverträge wegen der Neube- wertung der Risiken und drittens der zusätzliche Aufwand für die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen am Boden und in der Luft. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119826 (C) (D) (A) (B) Diese Beobachtung dürfte unbestritten sein. Allerdings kommen die Fluggesellschaften offensichtlich unter- schiedlich gut mit dieser Situation zurecht, wie die Fälle „TAP“, „Alitalia“, „Swiss Air“, „Sabena“ und jetzt wohl auch „LTU“ zeigen. Dies wird in Amerika, aber auch in- nerhalb der EU zunehmend zum Anlass genommen, den in Schwierigkeiten geratenen Gesellschaften Unterstüt- zung zukommen zu lassen. Hier gilt es jetzt aufzupassen! Niemand kann etwas da- gegen haben, bestimmte neue Belastungen der Luftver- kehrsbranche, die ja alle Gesellschaften treffen, staatli- cherseits abzufedern. Hierzu gehören die von der Bundesregierung und der Luftverkehrswirtschaft einge- leiteten Sicherheitsmaßnahmen, aber auch die zeitlich be- grenzte Erweiterung der Staatshaftung für nicht mehr ver- sicherte Kriegs- und Terrorismusrisiken über deutsche Luftverkehrsunternehmen hinaus, auf deutsche Flughäfen und Dienstleister. Hierher gehört auch, dass die Folgen der Luftraumsperre in den USA in den Tagen der An- schläge – das war ein hoheitlicher Akt – durch die Bun- desregierung kompensiert werden. Für die Lufthansa be- ziffert sich der Schaden, der nur hierdurch entstanden ist, beispielsweise auf circa 180 Millionen Mark. Die Bun- desregierung hat obendrein die Pflicht, in Zusammenar- beit mit der Versicherungswirtschaft für eine Art „Terror- folgen-Resthaftung“ oberhalb des Versicherungssystems aus Versicherern und Rückversicherern zu stehen. Sonst wird das Fliegen unbezahlbar. Diese Belastungen sind solche, die alle Gesellschaften betreffen und daher auch gleichmäßig bei allen ausgegli- chen werden müssen. Darüber hinaus darf es nicht zu ei- nem Subventionswettlauf kommen. Viele Luftverkehrsunternehmen scheinen nämlich die Probleme, die die veränderten Marktbedingungen mit sich bringen, meistern zu können. Deren Zahl ist größer als die Zahl der Unternehmen, die nun in existenziellen Schwierigkeiten sind. Dieser Umstand beweist auch, dass die momentane akute Krise einiger Luftverkehrsunter- nehmen dem Grunde nach schon länger bestand und in- folge der Terroranschläge in den USA nur offen zu Tage getreten ist. Insofern haben die nach den Terroranschlä- gen gesunkenen Passagierzahlen diese Krise im Luftver- kehr noch wesentlich beschleunigt. Sie sind aber nicht die Ursache für die Probleme, die eine Reihe von Luftver- kehrsunternehmen auch schon vorher am Markt hatten. Daher muss sich der bestehende Wettbewerbsrahmen im Luftverkehr gerade in diesen krisenhaften Zeiten be- währen und darf nicht aufgeweicht werden. Das gilt für Deutschland selbst, die EU, aber auch für die internationale Ebene. Es kann nicht sein, dass im Rah- men der Krisenbewältigung den Amerikanern, aber auch europäischen Regierungen ein Freibrief für die Wieder- eröffnung der längst überwunden geglaubten Spielwiese für staatliche Interventionen und Subventionen ausge- stellt wird. Jeder kennt die Subventionsverlockungen, der auch Regierungen erliegen, wenn sie sich einen interna- tionalen Wettbewerbsvorteil erhoffen. Deshalb war die Deregulierung im Luftverkehr eine historische Leistung. Es muss unbedingt vermieden werden, dass jetzt im Grunde gesunde Carrier im Wettbewerb mit subventio- nierten Wettbewerbern unverschuldet ins Hintertreffen geraten. Diese Unternehmen haben sich seit der Deregu- lierung im Luftverkehr über Jahre hinweg eine günstige Marktposition erarbeitet und dürfen nun nicht gegenüber denjenigen Unternehmen benachteiligt werden, die nur noch durch Subventionen am Markt bestehen können, weil sie wiederum über Jahre hinweg ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Nach Auffassung der FDP muss die Bundesregierung im eigenen Land stringent und nicht nach Holzmann-Ma- nier handeln und sich auf europäischer und WTO-Ebene dafür einsetzen, dass hier den Anfängen gewehrt wird. Es müssen strenge Kriterien angelegt werden, wenn Unter- stützungsmaßnahmen für die Luftverkehrswirtschaft in Erwägung gezogen werden. Ganz besonders müssen marktverzerrende Dauersubventionen ausgeschlossen sein. Als Maßstab kommen nur die WTO-Regeln in Be- tracht. Hinsichtlich der Mehraufwendungen für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen muss ein fairer Modus zur Anlas- tung der zusätzlichen Kosten gefunden werden. Im Si- cherheitspaket der Bundesregierung aufgeführte Maßnah- men, die hoheitlichen Aufgaben zuzuordnen sind, dürfen weder den Passagieren noch den Unternehmen angelastet werden. Schon gar nicht darf der Finanzminister als Ver- sicherungsmakler auftreten und Prämien einfordern, wo keine finanziellen Belastungen für den Staat eingetreten sind! Auch hier ist ein harmonisierter Handlungsrahmen zu erarbeiten, um Wettbewerbsverzerrungen und Sicher- heitsdefizite zu vermeiden. Dr. Winfried Wolf (PDS): Der FDP-Antrag geht von einer Krise der Luftverkehrsunternehmen aus. Er betont zu Recht, dass sich diese Krise mit den Ereignissen vom 11. September nur beschleunigt habe, dass ihre Grund- tendenzen jedoch bereits vor dem 11. September zutage getreten seien. Tatsächlich haben wir es mit einer schweren Bran- chenkrise zu tun. Allein in den USA sollen 100 000 Ar- beitsplätze in der Luftfahrt vernichtet werden. Nach der De-facto-Pleite der Swissair steht inzwischen auch die belgische Sabena vor dem Konkurs. Andere Zusammen- brüche dürften noch folgen. Nun versucht sich der FDP-Antrag in der Quadratur des Kreises. Einerseits – ganz Antrag der Liberalen – wird gefordert, am „Wettbewerbsrahmen“ festzuhalten und keine neuen größeren staatlichen Subventionen zuzulas- sen, andererseits wird verlangt, die Mehraufwendungen für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen in einem fairen Modus in erster Linie dem Staat anzulasten. Hier sollen unter anderem Maßnahmen, die hoheitlichen Aufgaben zuzurechnen sind, nicht den Passagieren und nicht den Fluggesellschaften angelastet werden. Wir dürfen daran erinnern: Die Bahn verfügte früher über eine Bahnpolizei. Diese wurde im Rahmen der Pri- vatisierung abgeschafft. Inzwischen übt der BGS weitge- hend die Funktionen der ehemaligen Bahnpolizei aus. Die DB AG muss dafür jährlich einen erheblichen Betrag an den Bund abführen. Offensichtlich findet die FDP das bei der Bahn richtig, weil marktwirtschaftlich, will jedoch beim Flugverkehr gerade solche Kosten durchaus beim Steuerzahlenden angesiedelt sehen. Wenn ein Verkehrs- mittel derart gefährdet ist, wie es für das Fliegen ja Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19827 (C) (D) (A) (B) zutrifft, warum sollen die entsprechenden Sicherheitsmaß- nahmen nicht den Fluggesellschaften angelastet werden? Überhaupt sollten wir die Forderung der FDP näher un- tersuchen, wonach der Wettbewerbsrahmen erhalten wer- den sollte. Was für ein Rahmen ist das denn? Und wo gibt es dort welchen Wettbewerb? Bereits der Flugzeugbau ist eine hoch subventionierte Angelegenheit. Die Unterneh- men Airbus und Boeing würden gar nicht existieren, wür- den sie nicht massiv subventioniert und wären sie nicht zugleich Teil großer industrieller Komplexe, die fast aus- schließlich von Staatsgeldern leben. Sodann ist der ganze Weltmarkt für zivile Jets unter diesen zwei Konzernen, die 98 Prozent des Weltmarkts für große zivile Jets kon- trollieren, aufgeteilt. Von Wettbewerb kann da längst kaum mehr die Rede sein. Schließlich befinden sich in un- serem Land alle Flugplätze ganz oder weitgehend in öf- fentlicher Hand, im Eigentum von Ländern und Kommu- nen und zum Teil auch des Bundes. Auch auf diesem Weg werden in großem Umfang Kosten des Luftverkehrs ver- gesellschaftet. Schließlich wird Kerosin nicht besteuert; die Airlines mussten damit auch nicht die jüngsten Ökosteuern auf Energie mittragen. Dann müsste der Vollständigkeits halber noch angefügt werden, dass die externen Kosten im Flugverkehr weit größer als bei allen anderen Verkehrsträgern sind, unter anderem aufgrund des massiven Beitrags zur Klimaver- schlechterung und aufgrund der immensen Lärmemissio- nen, wobei die Kosten für den passiven Lärmschutz im Umfeld von Flughäfen ebenfalls nicht von den Flugge- sellschaften getragen werden. Wird all dies bedacht, dann handelt es sich beim Luft- verkehr um eine Veranstaltung, die in extremem Maß sub- ventioniert ist. Es ist bezeichnend, dass die FDP all diese Subventionen nicht nur nicht erwähnt, sondern diese vor allem beibehalten will. Die Ritter der freien Marktwirt- schaft halten nur dort ihr Fähnlein hoch bzw. sie nehmen dieses Priznzip nur dort ernst, wo es in den Kram passt, zum Beispiel beim Thema Bahnprivatisierung. Im Fall des Flugverkehrs dagegen soll ein Wettbewerbsrahmen aufrechterhalten werden, der in erster Linie ein staatlich subventionierter Rahmen zur Förderung desjenigen Ver- kehrsträgers ist, der im Vergleich zu den anderen Ver- kehrsträgern die Umwelt am meisten schädigt und den Menschen die größten Belastungen bringt. Die FDP sollte uns bei einem Trippelschritt hin zu et- was weniger Wettbewerbsverzerrung unterstützen und gemeinsam mit uns die Einführung der Mineralölsteuer- pflicht bei Kerosin fordern. Stephan Hilsberg, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September 2001 in den USA haben zu dramatischen Veränderungen im Weltluft- verkehr geführt. Schon vorher zu verzeichnende Nachfra- gerückgänge aufgrund rezessiver Entwicklungen der Weltwirtschaft, die sich zeitgleich in Asien, USA und Eu- ropa bemerkbar gemacht hatten, wurden durch die An- schläge erheblich verschärft. So beträgt der Passa- gierrückgang auf dem Nordatlantik gegenwärtig etwa 30 Prozent, in Europa beläuft er sich auf rund 15 Prozent. Kostensteigerungen infolge erhöhter Sicherheitsmaßnah- men, geringerer Ladefaktoren, wachsender Gebühren und Versicherungsprämien belasten die Ertragskraft der ge- samten Branche zusätzlich. Allein für die deutschen Luft- fahrtunternehmen kann insgesamt von einer jährlichen Mehrbelastung in Höhe von rund 290 Millionen Euro aus- gegangen werden. Wettbewerbsverzerrungen aufgrund staatlicher Subventionen tun ein Übriges. Obwohl die Luftfahrtunternehmen durch Ausdünnung der Flugpro- gramme – Lufthansa hat zum Beispiel 43 Flugzeuge still- gelegt – eigene Anpassungsmaßnahmen eingeleitet ha- ben, sind sie zum Teil mit der Bewältigung der kritischen Situation überfordert. Unternehmenszusammenbrüche, mühsame Rettungsaktionen sowie Rufe nach staatlicher Hilfe sind die Folge. Die Bundesregierung hat dem betroffenen Gewerbe von Anfang an ihre Unterstützung zugesagt. Neben der sofortigen Einleitung von Maßnahmen, die der Erhöhung der Sicherheit dienen, hat der Bund eine zeitlich begrenzte Haftungsgarantie für die versicherungsmäßig nicht mehr abgedeckten Risiken in der Drittschadenhaftpflicht über- nommen. Ferner haben wir uns auf europäischer Ebene ganz entschieden für ein gleichgerichtetes Vorgehen in al- len ökonomischen und Sicherheitsfragen eingesetzt. Die Bundesregierung wird auch weiterhin für eine faire und gerechte Lastenteilung unter allen von den Auswirkungen der Terrorakte betroffenen Unternehmen und Stellen ein- treten. Bezüglich der Mehraufwendungen für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen kann nicht ausgeschlossen wer- den, dass Unternehmen und Passagiere von den zusätzli- chen Kosten gänzlich unverschont bleiben. Allerdings wird eine wettbewerbsneutrale Regelung und Anwendung auch im internationalen Rahmen angestrebt. Auf der letzten Sitzung des EU-Verkehrsministerrats am 16. Oktober 2001 in Luxemburg nahm das Thema Luftverkehr einen breiten Raum ein. Ich möchte Ihnen die wichtigsten Ergebnisse und unsere Position dazu kurz skizzieren: Schadensausgleich: Grundsätzlich verbleibt es bei der bisherigen restriktiven Beihilfepraxis. Das bedeutet, dass die gegenwärtige Situation nicht zur Rettung von schon vor dem 11. September 2001 Not leidenden Gesellschaf- ten herhalten darf. Sofern Staatshilfen gewährt werden, muss sichergestellt sein, dass nur solche Schäden ausge- glichen werden, die direkt und ursächlich nachweisbar auf die vier- bis fünftägige Schließung fremder Lufträume nach dem 11. September zurückzuführen sind. Keines- falls dürfen die staatlichen Leistungen zu Wettbewerbs- verzerrungen unter den Luftfahrtunternehmen führen. Die Kommission wird jeden einzelnen Antrag sorgfältig auf der Basis objektiver Kriterien prüfen. Die der Bundesre- gierung bisher vorliegenden Anträge deutscher Unterneh- men belaufen sich auf circa 71 Millionen Euro. Versicherungsproblem: Was die ungedeckten Versiche- rungsrisiken bei der Haftpflicht für Drittschäden angeht, hat der Verkehrsrat die Grundzüge einer gemeinsamen Haltung festgelegt. Ziel bleibt die schnellstmögliche Rückkehr zur privatwirtschaftlichen Versicherung. So- weit das noch nicht möglich ist, können die Staatsgaran- tien jeweils nach Überprüfung des Versicherungsmarktes auf monatlicher Basis bis längstens zum 31. Dezember 2001 verlängert werden. Dabei sind marktgerechte Prä- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119828 (C) (D) (A) (B) mien festzusetzen. Als Versicherungshöchstgrenze gelten die Beträge, die am 11. September 2001 bestanden. Die Bundesregierung hat gegenüber den deutschen Luftfahrtunternehmen, Flughäfen und Anbietern von wichtigen Dienstleistungen, zum Beispiel Abfertigungs- gesellschaften, Betankungs- und Versorgungsunterneh- men, eine Garantiezusage für die nicht länger versi- cherbaren Risiken Krieg und Terrorakte in Höhe von insgesamt bis zu 20 Milliarden US-Dollar abgegeben. Sie gilt zunächst bis zum 25. November 2001, eine Verlänge- rung bis zum 31. Januar 2002 ist bereits vorgesehen. Die Entgelte für die Haftungsübernahme werden den Unter- nehmen zunächst bis zur Festlegung EU-einheitlicher Ge- bühren gestundet. Wir werden die EU-Kommission in ih- rer Kontrollfunktion unterstützen, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen durch kostenlose oder günsti- gere Staatsgarantien in anderen Ländern kommt. Inzwi- schen wurde ein Arbeitsgruppe auf Ebene der Staatsse- kretäre unter Federführung des Bundesfinanzminis- teriums eingesetzt. Sie wird unter Beteiligung von Versicherungswirtschaft und deutscher Luftverkehrswirt- schaft ein Langfristkonzept zur Lösung der Frage erarbei- ten, wo Staat und wo Wirtschaft haften. Preisdumping durch ausländische Fluggesellschaften: Sorge bereitet uns die gegenwärtig zu beobachtende Pra- xis einiger ausländischer Unternehmen, über Preisdum- ping Marktanteile zurückzugewinnen. Der Wettbewerb um den Fluggast muss auch in der gegenwärtigen, für alle gleich schwierigen Situation mit fairen Mitteln geführt werden. Es darf nicht sein, dass staatliche Ausgleichsleis- tungen für erlittene Schäden oder zur Stützung chronisch kranker Unternehmen für solche Zwecke missbraucht werden. Sowohl auf europäischer Ebene als auch in bila- teralen Kontakten wird die Bundesregierung um die Ab- stellung solcher Praktiken bemüht sein. Es ist zu hoffen, dass die gegenwärtigen Probleme vorübergehender Natur sind und baldmöglichst wieder Normalität und Wachstum im Luftverkehrsmarkt eintritt. Alle Beteiligten arbeiten daran, das Vertrauen in die Luft- fahrt so schnell wie möglich zurückzugewinnen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensüber- nahmen – des Antrags: Fairer Wettbewerb und Rechts- sicherheit bei Unternehmensübernahmen in Europa – des Antrags: Gesetzliche Mitspracherechte bei Unternehmensübernahmen (Tagesordnungspunkt 22 a und b) Nina Hauer (SPD): Wir freuen uns, dass es uns ge- lungen ist, die Übernahme börsennotierter Unternehmen endlich gesetzlich zu regeln. Die Anwendung des Kodex der Börsensachverständigenkommission hat gezeigt, dass eine freiwillige Vereinbarung auf Dauer nicht ausreicht. Es bedarf einer verbindlichen gesetzlichen Regelung. Innerhalb der Europäischen Union bestehen zum Teil gravierende Unterschiede im Gesellschaftsrecht und im Aktienrecht. Andere Staaten schützen nationale Unter- nehmen mit den so genannten Golden Shares oder durch Stimmrechtsbeschränkungen. Es ist das Verdienst der Bundesregierung, dass diese Unterschiede jetzt mit dem Ziel geprüft werden, sie aneinander anzugleichen und auf der europäischen Ebene ein so genanntes „level playing field“, also ein Spielfeld auf gleicher Höhe zu schaffen. Deutschland kann jedoch auf eine Einigung nicht warten. Wir benötigen die gesetzliche Regelung jetzt. Ziel des Übernahmegesetzes ist es nicht, Übernahmen zu verhindern, sondern gesetzliche Regeln für deren Ab- lauf festzuschreiben. Es sollen sich alle Beteiligten auf ein faires Verfahren verlassen können: Minderheitsaktionäre und Beschäftigte ebenso wie Bieter und Zielgesellschaft, Vorstand und Aufsichtsrat. Im Fall eines Übernahmeange- botes darf der Vorstand der Zielgesellschaft keine Hand- lungen vornehmen, durch die der Erfolg des Angebotes verhindert werden könnte. Dies gilt nicht für Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäfts- leiter ohne vorliegendes Angebot unternommen hätte, oder für die Suche nach einem „weißen Ritter“ sowie für Handlungen, denen der Aufsichtsrat zugestimmt hat. An- dere, übliche Abwehrmaßnahmen, wie zum Beispiel eine Kapitalerhöhung oder der Erwerb eigenerAktien bedürfen selbstverständlich weiterhin der Zustimmung der Haupt- versammlung. Andere übliche Abwehraßnahmen, wie zum Beispiel eine Kapitalerhöhung oder der Erwerb eige- ner Aktien bedürfen der Zustimmung der Hauptversamm- lung. Das ist das Gebot des Aktienrechts und durch euro- päische Richtlinien vorgeschrieben. Die Aktionäre sollen als Eigentümer des Unternehmens das letzte Wort haben. Die Hauptversammlung kann den Vorstand in einem so genannten Vorratsbeschluss zu Abwehrmaßnahmen er- mächtigen. Diese Beschlüsse gelten für höchstens 18 Mo- nate und müssen mit Dreiviertel des stimmberechtigten Kapitals gefasst werden. Im Rahmen des Gesetzes werden auch die Fristen für die Einberufung einer Hauptver- sammlung verkürzt, damit im Falle eines Angebotes die Aktionäre schnell zusammentreten können. Unser Übernahmegesetz erreicht zwei von uns gesetzte Ziele: Wir wollen den Finanzplatz Deutschland stärken. Eine verbindliche Regelung für Übernahmen unterstützt dieses Ziel. Das Gesetz stärkt die Möglichkeiten der Hauptversammlung und die Durchsetzung der Interessen der Aktionäre. Wir wollen Beschäftigte schützen. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen haben nach unserem Gesetz das Recht auf Information, wie das Übernahmeangebot aus- sehen wird und das Recht dazu, Stellung zu beziehen. Über die Mitwirkung im Aufsichtsrat können sie Vor- schläge zur Abwehr einbringen. Die Praxis hat gezeigt, dass die Beschäftigten in bestimmten Fällen durchaus In- teresse an einer Übernahme haben können – wenn näm- lich ihr Unternehmen unter seinen Möglichkeiten wirt- schaftet und damit Arbeitsplätze gefährdet. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19829 (C) (D) (A) (B) Mit dem Altersvermögensgesetz haben wir die Mög- lichkeit geschaffen, in der betrieblichen Altersvorsorge mit Pensionsfonds Kapital anzusparen. Diese Fonds wer- den in einigen Jahren Arbeitnehmer und Arbeitnehme- rinnen ebenfalls zu stimmkräftigen Aktionären gemacht haben. Sie können dann als Miteigentümer auf Hauptver- sammlungen mitentscheiden. Die Beratungen des Gesetzes haben gezeigt, dass sich die Opposition mit dem Gesetz selbst nur unzureichend befasst hat und sich weder den Interessen des Finanz- marktes noch denen der Beschäftigten verbunden fühlt. Umso mehr freut mich, dass die CDU/CSU im Finanz- ausschuss diesem Gesetz zugestimmt hat. Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach)(CDU/CSU): Nach dem Scheitern der Übernahmerichtlinie im Europä- ischen Parlament und der entsprechenden Initiative der Europäischen Kommission, wobei der deutsche Bundes- kanzler eine unrühmliche und heftig kritisierte Bremser- rolle gespielt hat, muss eine gesetzliche Regelung auf na- tionaler Ebene erfolgen. Der Handlungsbedarf ergibt sich schon aus der raschen Zunahme von Unternehmensübernahmen. Alleine im ers- ten Halbjahr 2001 fanden 1 283 Transaktionen statt; das ist eine Zunahme von 70 Prozent gegenüber dem Ver- gleichszeitraum des Vorjahres. Durch die neue Steuerge- setzgebung, nach der ab 1. Januar 2002 Kapitalgesell- schaften Anteile an Kapitalgesellschaften steuerfrei veräußern können, wird das Übernahmevolumen deutlich steigen. Ein weiterer Einflussfaktor könnten auch die der- zeit niedrigen Aktienkurse sein, die den Börsenwert der Unternehmen drücken. Zwangsläufig stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber in diese Entwicklung eingreifen soll. Sind Übernahmen volkswirtschaftlich nützlich? In der Theorie wirken Un- ternehmensübernahmen strukturbereinigend und erhöhen das langfristige Wachstumspotenzial einer Volkswirt- schaft. Die einst viel gepriesene, aber auch viel geschol- tene Deutschland AG würde aufbrechen und eine Wachs- tumsdynamik erhalten. Aber die Erfahrung zeigt, dass in der Vergangenheit manche Fusion gescheitert ist. Studien von Salomon Smith Barney zeigen, dass 60 bis 70 Prozent der Unternehmenszusammenschlüsse ökonomisch nicht erfolgreich waren und Aktionärsvermögen vernichtet wurde. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen aber auch, dass politische Eingriffe in den Markt zumindest langfris- tig nicht viel bewirkt haben. Trotzdem muss man sich fra- gen, ob die Marktbedingungen überall gleich sind. Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass es keine internationale Wettbewerbsgleichheit gibt. Auf dem internationalen Markt der Unternehmensübernahmen existiert absolut kein „level playing field“. Dies gilt sowohl unter den Mit- gliedsländern der EU als auch gerade im Verhältnis zu den USA. Im Gesellschaftsrecht vieler Länder existieren wei- tere Übernahmeblocker wie Mehrfach- und Höchst- stimmrechte und Golden Shares. Das „Fressen“ und „Ge- fressen werden“ spielt sich nach höchst unterschiedlichen Regeln ab, wobei die deutschen Unternehmen eher am Aktivwerden gehindert sind und weniger Abwehrinstru- mente haben. Hier einige Beispiele: Die britische Regierung hält „Goldene Aktien“ an 25 Firmen. In Frankreich gibt es Höchststimmrechte. In Schweden unterscheidet man in A- und B-Aktien mit unterschiedlichen Stimmrechtsan- teilen. In den USA gibt es eine Reihe von Bundesrege- lungen aus den 30er-Jahren. Die meisten Bundesstaaten haben Ergänzungsregelungen, die einen Ausverkauf der regionalen Unternehmen verhindern sollen. Mehrheitsstimmrechte und Stimmrechtsbeschränkun- gen sind weit verbreitet. Bei 2 400 Firmen sind Kapital- erhöhungen unter Bezugsrechtsausschluss zu deutlichen Preisabschlägen ohne Zustimmung der Hauptversamm- lung, so genannte „poison pill“, möglich. Darüber hinaus verfügen Vorstände in den USA über ein breites Arsenal an Abwehrmöglichkeiten. Die „business judgement rule“ gibt ihnen im Gesellschaftsinteresse weitgehend freie Hand. Bei einer drohenden Übernahme kann ein Gegen- angebot unterbreitet oder als Gegenangriff die Aktien des Gegners gekauft werden. Auch eigene Aktien können un- begrenzt zurückgekauft werden. Durch Ausgliederung wertvoller Unternehmensteile kann die Unternehmens- struktur verändert werden. Auch bei der Finanzstruktur bieten sich durch Erhöhung der Verschuldung oder durch den Verkauf lukrativer Unternehmensbeteiligungen – Crown Jewel Option – weitere Spielräume. Die Einschränkung der Handlungsfähigkeit ist vor al- lem im deutschen Aktienrecht begründet. Deutsche Un- ternehmen können beispielsweise als Bieter nicht ausrei- chend in eigenen Aktien bezahlen. Das Aktiengesetz erlaubt der Hauptversammlung höchstens 50 Prozent des vorhandenen Grundkapitals als genehmigtes Kapital zur Verfügung zu stellen. Der Aktienrückkauf ist auf 10 Pro- zent des Grundkapitals beschränkt. In Anbetracht dieser unterschiedlichen Chancen wäre eine europäische Übernahmerichtlinie, die zumindest im Binnenmarkt gleiche Bedingungen schafft, ein wichtiger Fortschritt gewesen. Durch eine laienhafte Verhandlungs- führung hat es die Bundesregierung versäumt, auf gesell- schaftsrechtliche Übernahmehindernisse in anderen euro- päischen Ländern frühzeitig hinzuweisen und diese in die Verhandlungen mit einzubeziehen. Nicht zuletzt durch ihre Kehrtwendung in der Verhandlungsführung, die das Scheitern der Richtlinie zur Folge hatte, hat die Bundes- regierung Ansehen verloren und dem deutschen Kapital- markt geschadet. Insbesondere der Bundeskanzler geriet in den Verdacht, ausschließlich das Interesse einzelner Konzerne zu vertreten und wurde von der Financial Times als „Genosse der kleinkarierten Bosse“ bezeichnet. Dürfen Unternehmensübernahmen beeinflusst oder gar verhindert werden, oder muss das freie Kräftespiel des Marktes absoluten Vorrang haben? Eigentümer einer Aktiengesellschaft sind die Ak- tionäre, deren Vertretungsorgan die Hauptversammlung darstellt. Wenn, wie es viele Fachleute fordern, oberste Priorität eines Übernahmegesetzes sein soll, die Rechte der Aktionäre bei Unternehmensübernahmen zu schützen, dann ist es sinnvoll, der Hauptversammlung alle Ent- scheidungsbefugnisse zu übertragen. Da sie aber ein rela- tiv schwerfälliges Instrument ist, muss sie einem anderen entsprechende Handlungsvollmachten übertragen kön- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119830 (C) (D) (A) (B) nen. Dies ist der Vorstand, wobei der Aufsichtsrat im Sinne der Aktionäre die Kontrollfunktionen ausübt. Eine absolute Neutralitätspflicht der Zielgesellschaft scheint nicht opportun zu sein. Solange ein derartiges Un- gleichgewicht im europäischen Binnenmarkt bei den Übernahmeregeln herrscht, muss es den Aktionären mög- lich sein, Abwehrmaßnahmen zu treffen. Es ist deshalb sinnvoll, wenn im Rahmen von so genannten Vorratsbe- schlüssen die Hauptversammlung Maßnahmen zur Ab- wehr von Übernahmen ergreifen kann, zu deren Durch- führung sie den Vorstand beauftragt. Die im Gesetz nun neu aufgenommene Ermächtigung für den Vorstand, zusätzliche und äußerst weit reichende Aktionen ohne Billigung der Hauptversammlung und nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats durchzuführen, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Diese zusätzlichen Frei- heiten sind abzulehnen, da die Gefahr besteht, dass der Vorstand hier vor allem im eigenen Interesse handelt und so den Aktionären eher schaden als nützen könnte. So weist etwa der Vorsitzende der von Bundeskanzler Schröder höchstselbst eingesetzten Regierungskommis- sion „Corporate Governance“, Theodor Baums, darauf hin, dass die Regelung „eine klare Bevormundung der An- leger“ sei und den Managern „ganz außergewöhnliche Möglichkeiten einräume, gegen die Interessen der An- teilseigner zu handeln und sich „einzuigeln“, so in der „SZ“ vom 10. November 2001. Ein wesentliches Ziel des Übernahmegesetzes ist, bei Überschreiten bestimmter Kontrollschwellen Abfin- dungsangebote zu angemessenen Preisen für Minderheits- aktionäre festzulegen. In der Übergangszeit vor und nach dem In-Kraft-Treten bestehen aber durch eine Regelungs- lücke gewisse Anreize, durch Aktienerwerb diese Kon- trollschwellen zu erreichen; ohne verpflichtet zu sein, an- gemessene Pflichtangebote abgeben zu müssen. Eine ergänzende Regelung des Übernahmegesetzes ist daher unabdingbar, um zu vermeiden, dass Bieter die Ver- pflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebotes umge- hen. Andernfalls würde die eigentliche Zielsetzung des Gesetzes verfehlt, die (Minderheits-)Aktionäre durch die Möglichkeit zu schützen, bei einem Wechsel der Unter- nehmenskontrolle zu einem angemessenen Preis aus dem Unternehmen auszusteigen. Erwirbt ein Unternehmen zum Beispiel im Dezember 2001 einen Anteil von etwa 45 Prozent der Stimmrechte an einem anderen Unterneh- men, müsste es nach der derzeitigen Fassung des Über- nahmegesetzes kein Pflichtangebot gegenüber den ande- ren Aktionären abgeben. Die für das Überschreiten der 30 Prozent-Kontrollschwelle maßgebenden Stimmrechte wurden schließlich bereits vor In-Kraft-Treten des Über- nahmegesetzes erworben. Gleichzeitig würde auch nach dem Übernahmekodex kein Pflichtangebot ausgelöst, da dessen Kontrollschwelle bei 50 Prozent liegt. Im Ergebnis hat dies zur Folge, dass Bieter, die vor dem In-Kraft-Tre- ten des Übernahmegesetzes einen Anteil von mehr als 30 Prozent und weniger als 50 Prozent der – zuzurechnen- den – Stimmrechte an der Zielgesellschaft erlangen und nach In-Kraft Treten – bei zeitnahem Außer-Kraft-Treten des Übernahmekodex, wie es von der deutschen Börse bereits angekündigt wurde – ihre – zuzurechnenden – Stimmrechte an den Zielgesellschaften weiter erhöhen, zur Abgabe eines Pflichtangebotes in keiner Weise ver- pflichtet wären. Dass diese Regelungslücke in der Praxis bereits mas- siv genutzt wird, zeigen konkrete aktuelle Beispiele: Die Tchibo Aktiengesellschaft beabsichtigt ihren Anteil bei Beiersdorf AG im nächsten Jahr aufzustocken und die Mehrheit zu erwerben, ohne ein Pflichtangebot für die Restaktionäre abzugeben. Ebenso werden die Aktionäre von IVG kein Übernahmeangebot erhalten, wenn WCM die Mehrheit im nächsten Jahr erwirbt. Das Gleiche pas- siert den Aktionären des Zementherstellers Dyckerhoff, wenn die beabsichtigte Veräußerung eines Aktienpakets an einen ausländischen Konkurrenten erfolgt. Zur Verhinderung der Regelungsarbitrage hat die CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagen, diejenigen Bieter zu einem Pflichtangebot heranzuziehen, die auf der Grund- lage des bereits überschrittenen Schwellenwerts von 30 Prozent innerhalb eines Kalenderjahres mindestens weitere 2 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft erwerben und damit ihre Kontrolle nach dem In-Kraft- Treten des Übernahmegesetzes ausbauen und festigen. Dies ist sinnvoll, da das Verhalten desjenigen, der eine Kontrollstellung erreicht hat, ohne jemals ein öffentliches Angebot abzugeben, gesondert zu beurteilen ist. Jede Aufstockung des Stimmrechtsanteils löst hier das Schutz- bedürfnis von Minderheitsaktionären und Arbeitnehmern aus. Eine Rückwirkung ist mit dieser Regelung nicht ver- bunden, da an zukünftiges Verhalten nämlich die spätere Anteilserhöhung angeknüpft wird. Leider hat dieser Vor- schlag keine Mehrheit gefunden. Obwohl der Gesetzentwurf in einigen Punkten Mängel hat und im Fall der weit reichenden Ermächtigung des Vorstandes zu Abwehrmaßnahmen sogar die Schutzinte- ressen der Aktionäre gefährdet sein könnten, ist mit dem Übernahmegesetz ein faires und transparentes Verfahren bei Übernahmen gewährleistet. Die Einschränkungen rechtfertigen es per Saldo nicht, das Gesetz abzulehnen. Vielmehr ist es dringend geboten, dass es zum 1. Januar 2002 in Kraft tritt. Darüber hinaus ist es erforderlich, auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass die Wettbe- werbsunterschiede beseitigt werden und zumindest im Binnenmarkt Übernahmen unter gleichen Bedingungen getätigt werden können. Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem Übernahmegesetz schafft die Bundesre- gierung erstmals eindeutige und klare Regelungen für den immer wichtiger werdenden Bereich der Unternehmens- übernahmen. Man muss in diesem Kontext nicht immer an den spektakulären Fall der Übernahme von Mannes- mann durch Vodafone erinnern, um die Dringlichkeit ei- nes gesetzlich garantierten, fairen und transparenten Ver- fahrens zu illustrieren. Aber noch aus einem weiteren Grund ist das Übernahmegesetz dringlich: Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern gibt es in Deutschland bislang keine klaren gesetzlichen Regelungen in diesem wirtschaftlich bedeutsamen Bereich. Mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf schafft die Bundesregierung somit erstmals gesetzliche Regelungen, die den Kapitalmarkt- teilnehmern im Falle von Unternehmensübernahmen ei- nen transparenten und fairen Prozess bieten. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19831 (C) (D) (A) (B) Ich möchte noch einmal klarstellen, worum es uns geht: Wir wollen Übernahmen weder verhindern noch fördern. Denn Übernahmen sind ökonomische Prozesse, bei denen es um die Optimierung der vorhanden Ressour- cen geht. Mit anderen Worten: Wenn ein Unternehmen auf dem Kapitalmarkt unterbewertet ist, weil es zum Beispiel von einem schlechten Management geführt wird, dann werden Übernahmeangebote wohl die zwangsläufige Folge sein. Die am häufigsten diskutierte Frage im Zusammen- hang mit dem Übernahmegesetz ist die der Abwehrrechte und der Neutralitätspflicht. Grundsätzlich gilt: Langfris- tig gesehen gibt es keinen wirksameren Schutz vor so ge- nannten feindlichen Übernahmen als eine erfolgreiche unternehmerische Strategie, die dann auch vom Kapital- markt mit einem hohen Unternehmenswert honoriert wird. Es hat nun immer wieder Meinungen gegeben, wir sollten die Abwehrrechte für die Vorstände der Gesell- schaft, an die sich ein Übernahmeangebot richtet, deutlich ausweiten – so als sei die Übernahme einer Gesellschaft durch eine andere etwas, was es per se zu verhindern gelte: Das ist aber nicht unsere Position. Und das steht auch nicht im Gesetzentwurf. Es ist uns vielmehr gelungen, einen Ausgleich zwi- schen den verschiedenen Interessen zu schaffen. Richtig ist, dass der Vorstand einer Gesellschaft zwar nun mit Ge- nehmigung des Aufsichtsrates mehr Kompetenzen im Hinblick auf die Abwehrmöglichkeiten erhält. Aber mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf wird die Hauptver- sammlung als entscheidendes Gremium einer Gesell- schaft keineswegs ausgehebelt. Das ist ein Vorwurf, der auch durch fortgesetztes Wiederholen seitens der Oppo- sition nicht richtiger wird. Vielmehr bleiben die zentralen Zuständigkeiten in der Verantwortung der Hauptver- sammlung. Denn sie ist es ja – und damit die Anleger und Aktionäre –, die darüber zu entscheiden hat, ob sie den Vorstand ermächtigt, Abwehrmaßnahmen einzuleiten oder nicht. Mit Blick auf den Aktienkurs des Unterneh- mens und auf den Wettbewerb um das bessere Manage- mentkonzept werden sich das die Anleger wohl gut über- legen. Ein Vorwurf kommt von verschiedener Seite immer wieder: Wir hätten mit dem Gesetz der so genannten Auf- sichtsratslösung zugestimmt. Dieser Vorwurf geht in der Sache an dem vorliegenden Gesetz mehr als vorbei. Denn das hätte ja schlichtweg bedeutet, dass allein der Auf- sichtsrat einer Gesellschaft den Vorstand zu Abwehrmaß- nahmen ermächtigen können soll und die Hauptver- sammlung damit jeden Einfluss verliert. Das aber steht nicht in unserem Gesetz, auch wenn das einige große Un- ternehmen gerne so gehabt hätten. Auch wenn die Mehrheit dieses Hauses die nationale Lösung durch ein Übernahmegesetz begrüßt und dem Ge- setzentwurf zustimmt, müssen wir uns über eines sehr im Klaren sein: Nationale Lösungen und Sonderregelungen, die es Unternehmen auf verschiedene Art und Weise er- lauben, sich gegen Übernahmen zu wehren, können nur als Übergangslösung akzeptiert werden. Denn angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtung und des Voranschreitens der europäischen Integration, die wir ja alle wollen, brauchen wir international kompatible und allgemein anerkannte Übernahmerichtlinien. In diesem Sinne wird sich die Bundesregierung weiterhin aktiv und konstruktiv auf europäischer Ebene für die Überwindung der nationalen Sonderregelungen im Übernahmerecht einsetzen. Rainer Funke (FDP): Das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen könnte genauso gut „Übernahmeverhinderungsgesetz“ heißen. Mit diesem Gesetz wird es inländischen und ausländischen Gesell- schaften unnötig erschwert, ein anderes Unternehmen, das so genannte Zielunternehmen, zu erwerben. Firmen- übernahmen werden als etwas Schlechtes und Verhinde- rungswürdiges angesehen. Dabei ist eine Firmenüber- nahme von sich aus nichts Negatives, sondern kann erhebliche positive Elemente haben. Dieses Gesetz wird erheblichen Einfluss auf den Finanzplatz Deutschland ha- ben und leider wird der Finanzplatz Deutschland an At- traktivität verlieren und an Provinzialismus zunehmen. Dass ein Gesetz als überhaupt notwendig angesehen wurde, ist allein der deutschen Wirtschaft und den Unter- nehmensleitungen der im DAX vertretenen Gesellschaf- ten zuzuschreiben. Der freiwillige Übernahmekodex wurde entweder nicht beachtet oder auch von vielen DAX-Unternehmen nicht gezeichnet. Daher lag eine ge- setzliche Normierung durchaus nahe und wäre auch von den Liberalen mit unterstützt worden, wenn die Rahmen- bedingungen liberal gestaltet worden wären. Auch andere Länder haben Regeln für die Übernahme eines Zielunter- nehmens. Anders als jetzt in Deutschland sollen jedoch die Übernahmen nicht verhindert werden, sondern Regeln für den Schutz der Aktionäre aufgestellt werden. Dies ist der richtige Ansatzpunkt. Dagegen sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine Bevormundung der Aktionäre durch Vorstand und Auf- sichtsrat vor. Denn der Vorstand kann Abwehrmaß- nahmen im Falle einer beabsichtigten Übernahme ein- leiten, wenn der Aufsichtsrat diesen Abwehrmaßnahmen zugestimmt hat. Das heißt mit anderen Worten, dass Entscheidungsbefugnisse vom Aktionär in den Aufsichts- rat verlagert werden – und dies bei einem mitbestimmten Aufsichtsrat. Dabei wissen wir alle, dass Aufsichtsräte dem Konsensprinzip nachhängen und auch bei einem mit- bestimmten Aufsichtsrat versucht wird, mit den Arbeit- nehmervertretern und den Gewerkschaftsvertretern Einig- keit zu erzielen, dann aber häufig zulasten der Aktionäre, gerade bei möglichen Übernahmen. Viele Fortschritte, die gerade im Sinne der Aktionärs- demokratie durch das KonTraG und durch die Arbeits- gruppe „Corporate Governance“ unter Professor Baums erreicht werden konnten, werden hinfällig, wenn der in- ternational unübliche mitbestimmte Aufsichtsrat gemein- sam mit dem Vorstand gegen die Aktionärsinteressen in- ternational durchaus übliche wünschenswerte Fusionen verhindern kann. Das Bild von der Deutschland AG wird sich international wieder festigen können. Dieses Gesetz ist ein schlechtes Gesetz für den Fi- nanzplatz Deutschland. Dabei hatte das Finanzministe- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119832 (C) (D) (A) (B) rium gute Ansätze zur Lockerung der Deutschland AG durch die Steuerbefreiung auf Beteiligungsveräußerun- gen eingeleitet. Dieses Gesetz schadet dem Finanzplatz Deutschland und dies nur deshalb, weil einige kleinka- rierte und ängstliche Vorstandsmitglieder das Ohr des Bundeskanzlers gefunden haben. Dieses Gesetz wird kei- nen langen Bestand haben; denn der Finanzplatz Deutsch- land kann sich nicht isolieren. Zumindest in Europa muss es einheitliche Lösungen geben, die auch mit dem großen amerikanischen Finanzmarkt kompatibel sind. Genauso wie wir im Bilanzrecht zu internationalen Lösungen kom- men werden, bedarf es auch beim Übernahmerecht großer Lösungen und nicht kleinkarierter nationaler Lösungen. Ursula Lötzer (PDS): Mehr als ein Jahr nach der Ein- berufung der Unternehmensübernahmen verhandeln wir abschließend über den entsprechenden Gesetzentwurf. Die Zeit drängt, denn ab dem 1. Januar 2002 greift die Steuerbefreiung für Gewinne aus Beteiligungsverkäufen und die Fusionsdynamik wird sich erhöhen. Dass es bis- her in der Bundesrepublik keinen verbindlichen Rechts- rahmen für Unternehmensübernahmen gab, lag nicht nur an der alten Bundesregierung. An dieser Stelle ist nur an die vor wenigen Monaten gescheiterte EU-Übernahme- richtlinie zu erinnern, die Mindeststandards setzen sollte. In letzter Minute wurde sie durch Intervention der Bun- desregierung und Verbandsvertreter der deutschen Indus- trie zu Fall gebracht. Der vorliegende Gesetzentwurf muss nun diese „Rechtslücke“ ausfüllen. Unter pragmatischen Gesichtspunkten hat die Bundes- regierung also ihre Hausaufgaben gemacht. Der Zustand, dass es bei uns im Gegensatz zu allen führenden Finanz- märkten keine gesetzliche Regelung für Unternehmens- übernahmen gab, ist beendet. Unsere Abstimmungsent- haltung resultiert jedoch daraus, dass wir vor dem Hintergrund der sozialen Folgen von Unternehmensüber- nahmen den Gesetzentwurf für unzureichend halten. Ich möchte hier nicht noch einmal auf die soziale und ökonomische Realität von Fusionen eingehen. An den Fakten und Zusammenhängen, wie wir sie bereits in un- serem Antrag im vergangenen Jahr dargestellt haben, hat sich in der Sache nichts geändert. Vielmehr hat die mas- sive Kurskorrektur an den Finanzmärkten unsere Ansicht bestärkt, dass die kapitalmarktbasierte Unternehmensbe- wertung einer eigenen ökonomischen Rationalität folgt, die mit einer Analyse tatsächlicher Wertschöpfungspro- zesse in den Unternehmen nicht immer etwas zu tun hat. Der absehbare Konkurs fusionierter Unternehmen – nicht nur in der Luftfahrt- und Touristikbranche – fügt sich in das generelle Bild, dass Fusionen in der Regel scheitern und, gemessen an den eigenen Kennziffern, die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Lediglich hin- sichtlich der sozialen und gesellschaftlichen Folgekosten bleibt alles beim Alten: Die Zeche zahlen in der Regel die Beschäftigten. Hier haben wir und die betroffenen Men- schen mehr von der Bundesregierung erwartet. In der schriftlichen Stellungnahme zur Anhörung des Gesetzentwurfs im Finanzausschuss kritisierte der DGB zu Recht, dass die Angaben in den Angebotsunterlagen so detailliert sein müssen, wie es noch im Diskussionsent- wurf aus dem letzten Jahr vorgesehen war. Relevante In- formationen über die Absichten des Bieters, was mit allen betroffenen Betriebsteilen zu geschehen habe und wie sich die Beschäftigungsbedingungen generell verändern könnten, fehlen vollständig. Wie sich die Belegschaften so überhaupt ein klares Bild über ihre weitere Zukunft im „neuen“ Unternehmen machen können, bleibt ein Rätsel. Vor allem aber reichen Informationsrechte nicht aus, genauso wenig wie eine aktive Rolle desAufsichtsrats. Be- reits 1979 hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Ent- scheidung zum Mitbestimmungsgesetz ausgeführt, dass trotz gleicher Zahl von Anteilseignern und Arbeitnehme- rinnen- und Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat keine wirkliche Parität besteht, sodass im Konfliktfall diejenige Seite den entscheidenden Einfluss ausübt, die den Auf- sichtsratsvorsitzenden stellt. Dieses Übergewicht ist den Anteilseignern eingeräumt. Der Fall der MannesmannAG bildet hier nur einen Höhepunkt: In Rekordzeit wurde der Konzern mit 131 000 Beschäftigten zerschlagen. Keines der vorher abgegebenen Versprechen, die der Vorstands- vorsitzende von Vodafon gegenüber den Beschäftigten und der Gewerkschaft gemacht hatte, ist trotz der Infor- mationsrechte gehalten worden.Auf diese Diskrepanz und das bestehende Problem wies der damalige Mannesmann- Vorstandsvorsitzende Klaus Esser in derAnhörung des Fi- nanzausschusses hin und mahnte Lösungen an. Uns ist klar, dass diese Fragen nicht nur in einem Über- nahmegesetz geregelt werden können, da es sich bei einer Übernahme im Kern nur um einen Vertrag handelt, bei dem Aktien vom Altaktionär zum Neuaktionär übergehen. Die Stärkung der Rechte der Beschäftigten und die Sank- tionsfähigkeit bei Zuwiderhandlungen müssen jedoch den neuen Bedingungen angepasst werden. Ob in oder außer- halb eines Gesetzes zu Unternehmensübernahmen, sei da- hingestellt. Mitbestimmung bedeutet für uns immer auch Mitent- scheidung, die mit konkreten Rechten verbunden ist. Des- halb forderten wir immer wieder, den Gewerkschaften in dem Gesetz ein Recht auf den Abschluss eines Fusionsta- rifvertrages zu gewähren. Zumindest müsste eine Über- gangsvereinbarung zu den Beschäftigungsbedingungen mit den zuständigen Arbeitnehmerinnen- und Arbeitneh- mervertretern der Zielgesellschaft nach Annahme des An- gebots abgeschlossen werden. Unserer Ansicht nach soll- ten darin die Fragen von Beschäftigungssicherung, Quali- fizierung, Erhalt sozialer und tariflicher Standards sowie die Regelungen zur Sicherstellung betrieblicher und ge- werkschaftlicher Mitbestimmungsrechte und -gremien geregelt werden. Darüber hinaus treten wir für ein Veto- recht von Betriebsräten und Gewerkschaften gegenüber Fusionen und Übernahmen ein. In der Anhörung des Finanzausschusses spielte vor al- lem die Frage nach den Vorratsbeschlüssen bzw. der Neu- tralitätspflicht des Vorstandes einer Zielgesellschaft eine zentrale Rolle. Wir meinen, dass unter den gegebenen Bedingungen, in denen ausländischen Aktiengesellschaf- ten eine Palette von Abwehrmaßnahmen zur Verfügung steht, zumindest ein gleichwertiges Schutzniveau beste- hen muss. Mit Nationalismus und Strukturkonservatis- mus hat dies nichts zu tun, sondern ganz pragmatisch mit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19833 (C) (D) (A) (B) der Herstellung eines „level playing field“. Wir halten es auch für angebracht, die Möglichkeiten zu schaffen, durch den Aufsichtsrat ein Übernahmeangebot für un- zulässig zu erklären, wie es zum Beispiel in den USA möglich ist. In diesem Kontext steht unsere Ablehnung des vorlie- genden FDP-Antrags. Ihnen ist der Gesetzentwurf nicht „liberal“ genug und schon in der Anhörung war immer wieder zu vernehmen, dass die Bundesrepublik hier eine Vorreiterrolle einnehmen solle. In anderen Fragen, wie zum Beispiel bei der Einführung der Tobinsteuer oder der Frage der Verankerung von Sozialstandards im Handels- regime, ist sie nicht so wagemutig. Uns geht es primär darum, die sozialen Rechte der Be- schäftigten zu sichern und auszubauen. Unter welcher Unternehmensführung dies stattfindet, ob unter deutschen oder ausländischen Mehrheitseignern, ist für uns nur se- kundär. Hierfür werden wir uns auch weiterhin einsetzen. Hans Eichel (SPD), Bundesminister der Finanzen: Deutschland muss noch besser im internationalen Wettbe- werb positioniert werden. Dies ist eine zentrale Aufgabe der Bundesregierung. Die Finanzpolitik hat durch eine nachhaltige Haushaltspolitik und eine wachstumsför- dernde Steuerpolitik hierzu entscheidend beigetragen. Zu- sätzlich müssen wir den rechtlichen Rahmen des Standorts Deutschland modernisieren. Der vorliegende Gesetzent- wurf zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Er- werb von Wertpapieren und von Unternehmensübernah- men ist ein wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes. Aber es geht nicht nur um einen effektiven Kapital- markt. Wir wollen auch sicherstellen, dass nicht allein die Interessen der Vorstände, sondern auch die der Aktionäre und der Beschäftigten gewahrt bleiben. Wir schaffen so ein Regelwerk für ein „Fair play“. Davon werden die Fi- nanzmärkte und die deutsche Volkswirtschaft insgesamt deutlich profitieren. Öffentliche Angebote zum Erwerb von Wertpapieren – insbesondere Angebote mit dem Ziel der Unterneh- mensübernahme – gewinnen im Wirtschaftsleben eine im- mer größere Bedeutung. Am deutschen Kapitalmarkt besteht im Gegensatz zu anderen internationalen Finanz- plätzen bislang keine gesetzliche Regulierung öffentli- cher Angebote zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen. Hier musste gehandelt werden. Der Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission hat sich in der Praxis insoweit nicht bewährt, als er keine flächen- deckende Akzeptanz gefunden hat. Um gleiche Wettbe- werbsbedingungen zu schaffen, bedarf es daher einer gesetzlichen Regelung. Dies ist angesichts der zuneh- menden Zahl von Übernahmen unabdingbar. Diese Regelung muss den Anforderungen der Globali- sierung und der Finanzmärkte angemessen Rechnung tra- gen; sie wird zugleich auch den Finanzplatz Deutschland im internationalen Wettbewerb weiter stärken. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden Leitli- nien für faire und geordnete öffentliche Angebote von Wertpapieren geschaffen. Die rechtzeitige und umfas- sende Information der betroffenen Wertpapierinhaber und der Arbeitnehmer wird gesetzlich verankert. Gleiches gilt für ihre Möglichkeit zur Stellungnahme. Dem Bedürfnis nach transparenten Verfahren wird so Rechnung getragen. Insgesamt wird die rechtliche Stellung von Minderheits- aktionären und Arbeitnehmern bei Unternehmens- übernahmen spürbar gestärkt. Im Zentrum der Diskussion des Gesetzentwurfs stand lange Zeit die Frage, in welchem Umfang und unter wel- chen Voraussetzungen der Vorstand einer Gesellschaft, die Gegenstand eines Übernahmeangebots ist, Abwehr- maßnahmen gegen ein solches Angebot ergreifen kann. Das Schlagwort hier lautet „Neutralitätspflicht“. Auch hierzu enthält der Gesetzentwurf eine ausgewo- gene Lösung. Er legt fest, dass grundsätzlich den Adres- saten eines Übernahmeangebots, also den Aktionären, er- möglicht werden soll, in Kenntnis der Sachlage eigenständig über das Übernahmeangebot zu entscheiden. Daher hat der Vorstand einer Gesellschaft grundsätzlich alle Handlungen zu unterlassen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Möglich bleiben jedoch weiterhin solche Handlungen, die auch ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäfts- leiter einer Gesellschaft vorgenommen hätte, die nicht von einem Übernahmeangebot betroffen ist. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Gesellschaft, die übernom- men werden soll, während des Angebots nicht unange- messen in ihrer Geschäftstätigkeit behindert wird. Darü- ber hinaus ist auch die Suche nach einem konkurrierenden Angebot jederzeit zulässig. Schließlich sind dem Vorstand auch solche Maßnah- men möglich, die in seine nach dem Aktienrecht vorgege- bene Geschäftsführungskompetenz fallen, sofern der Auf- sichtsrat diesen Maßnahmen zugestimmt hat. Hierdurch wird die Rolle des Aufsichtsrats im Gesamtgefüge des Unternehmens akzentuiert. Damit sichern wir, dass das Unternehmensinteresse nicht nur auf Shareholder-Inte- ressen beschränkt ist, sondern auch die so genannten Stakeholder-Interessen umfasst. Und für einen Sozialde- mokraten bedeutet dies die Berücksichtigung der Interes- sen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die vorgesehenen Regelungen greifen nicht in das all- gemeine aktienrechtliche Kompetenzgefüge zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung ein. Das heißt die Maßnahmen, die nach allgemeinem Aktienrecht in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen, ver- bleiben auch weiterhin dort. Darüber hinaus bedürfen Handlungen des Vorstands ei- ner Gesellschaft, durch die der Erfolg von Übernahmean- geboten verhindert werden kann, der Billigung der Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens. Eine ent- sprechende Ermächtigung kann durch die Hauptver- sammlung sowohl während eines laufenden Übernahme- verfahrens als auch im Vorhinein erteilt werden. Erfolgt eine Ermächtigung „auf Vorrat“, ohne dass ein konkretes öffentliches Angebot vorliegt, gelten für den Hauptver- sammlungsbeschluss angesichts seiner Bedeutung stren- ge Anforderungen. Bei den vorgesehenen Regelungen wird berücksichtigt, dass europaweit noch viele Beschränkungen bestehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119834 (C) (D) (A) (B) Nicht alle haben ihren Markt so geöffnet wie wir. Zahlrei- che Mitgliedstaaten verfügen übernahmerechtliche Hin- dernisse. Die Stichworte hier sind Höchststimmrechte, Mehrstimmrechte und Stimmrechtsbeschränkungen. In Deutschland wurden derartige übernahmerechtliche Hemmnisse 1998 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich ab- geschafft, um den deutschen Kapitalmarkt attraktiver aus- zugestalten und dem Grundsatz „eine Aktie, eine Stimme“ Rechnung zu tragen. Das Übernahmerecht gewährleistet nunmehr erstmals in Deutschland faire und ausgewogene Regelungen für Unternehmensübernahmen. Ich bitte Sie dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzu- stimmen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Partnerschaftsabkommen vom 23. Juni 2000 zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staa- ten in Afrika, im Karibischen Raum und im pa- zifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten an- dererseits (AKP-EG-Partnerschaftsabkommen) (Tagesordnungspunkt 23) Dagmar Schmidt (Meschede) (SPD): Es kommt nicht oft vor, dass wir in unserem Politikressort über Gesetze diskutieren. Das vorliegende Partnerschaftsabkommen zwischen der EU und den Staaten in Afrika, im Karibi- schen Raum und im Pazifik – kurz AKP – hat schon des- halb ein besonderes Gewicht. Seit ihrer Gründung im Jahre 1957 hat sich die EU für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Industrie- und Entwicklungsländern eingesetzt, zunächst sicherlich den nationalen Interessen Frankreichs entsprechend. Spä- ter, zunehmend im Bewusstsein der historischen Verant- wortung gegenüber den nach und nach unabhängigen Ko- lonien, hat die EU diesen Weg eingeschlagen. Mit dem Abkommen von Cotonou ist es uns gelungen, diese langjährige Tradition der Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten fortzusetzen und auf eine zeitgemäße Grundlage zu stellen. Wer sich dieses Gesetzeswerk an- sieht, muss erkennen, wie viel Arbeit und Engagement das Entwicklungsministerium investiert hat. Jeder Insider kann sich vorstellen, wie viele nicht immer einmütige Verhandlungsrunden unsere Ministerin zur Klärung der vielen Detailfragen absolviert hat, bis dieses Gesamtwerk mit seinen 100 Artikeln und einer kohärenten Gesamtsicht auf dem Tisch lag. Angesichts der veränderten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen innerhalb der EU und der Partnerländer sowie auf internationaler Ebene war eine Anpassung der inzwischen 25 Jahre alten Lomé- Zusammenarbeit dringend erforderlich geworden. Diese Notwendigkeit war am Ende der letzten Legislaturperiode auch im Deutschen Bundestag fraktionsübergreifend un- strittig. In einem interfraktionellen Entschließungsantrag machte der Bundestag im April 1989 deutlich, dass es bei der Neuverhandlung des Lomè-IV-Abkommens darauf ankomme, die EU-Entwicklungszusammenarbeit neu zu strukturieren. Wenn mehr Redezeit bliebe, würde ich gerne die For- derungen aus Drucksache 13/10302 zitieren. Denn es ist nach wie vor wichtig und richtig, dass Deutschland in Eu- ropa mit einer Zunge spricht. Und ich denke, dass sich die Kritik der Opposition vom Mai 2000 an den Cotonou-Ver- handlungen samt und sonders in Luft aufgelöst hat. Ein Blick auf die Forderungen des fraktionsüber- greifenden Entschließungsantrages macht deutlich, dass es der Bundesregierung gelungen ist, unsere gemeinsa- men Forderungen und Vorstellungen einzubringen. Ich möchte nur einige Punkte herausgreifen: Mit dem Abkommen von Cotonou wird die europäische Entwick- lungszusammenarbeit auf eine WTO-konforme Grund- lage gestellt. Die bisher einseitig gewährten Handels- präferenzen werden bis 2007 durch gegenseitigen Marktzugang im Rahmen von regional zu verhandelnden Wirtschaftsabkommen abgelöst. Damit kommen wir ge- rade dem Wunsch der AKP-Staaten entgegen. Ich habe in diesem Hause schon einmal darauf hingewiesen, dass hier ein Weg gefunden wurde, der einerseits in Einklang mit den WTO-Bestimmungen steht und andererseits sein Ge- wicht auf den partnerschaftlichen Ansatz legt. Das heißt keine übereilte Handelsliberalisierung und keine übereilte Finanzmarktliberalisierung. Bis Ende 2007 bleibt also Zeit für die Aushandlung re- gionaler Wirtschaftsabkommen. Und selbst danach kann es Übergangsfristen von bis zu 12 Jahren geben. Damit haben die AKP-Staaten die Chance der nachholenden Ent- wicklung. Der Bundestag hatte die Stärkung der politischen Zu- sammenarbeit gefordert. Das neue Abkommen sieht solch eine Gewichtung des politischen Dialogs vor: über Fragen der Demokratisierung, der Menschenrechte, der Friedens- und Stabilitätspolitik, über Fragen der Rüstung, der nach- haltigen Entwicklung und der Umwelt. Es sieht aber auch vor, „Situationen zu verhindern, in denen eine Vertrags- partei es für notwendig erachten könnte, die Nichterfül- lungsklausel in Anspruch zu nehmen.“ Es gibt sie also, die hier sanft verpackte „Nichterfüllungsklausel“ und damit den Auftrag an beide Vertragspartner, durch Dialoge dafür zu sorgen, dass die Welt menschlicher wird. Schon in der Präambel finden wir diese klare Zielsetzung, an die immer wieder erinnert werden muss: Armutsbekämpfung, Ar- mutsbekämpfung und nochmals Armutsbekämpfung. Die Mosaiksteinchen für die Dialoge werden in zahl- reichen Artikeln ausgemalt: Wesentliche Elemente sind die Förderung der Menschenrechte, die Demokratisie- rung, die Festigung des Rechtstaates und vor allem die verantwortungsvolle Staatsführung, eine stärkere Beteili- gung einer aktiven und organisierten Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft. Gerade nach den Ereignissen des 11. September muss man betonen, wie in Art. 11, dass der Vertrag sich als Beitrag zur Friedenskonsolidierung und Konfliktprävention und -beilegung versteht. Unsere Schwerpunkte Bekämpfung von HIV/Aids und der Genderansatz werden mit diesem Vertrag europaweit Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19835 (C) (D) (A) (B) akzeptiert ohne andere umfassende Bereiche der Unter- stützung zu vernachlässigen. Erlauben Sie mir, meinen von 100 Artikeln liebsten hervorzuheben: Art. 31. Er garantiert die Einbeziehung frauenspezifischer Fragen in die Konzepte der Entwick- lungszusammenarbeit auf allen Ebenen und ermöglicht die Förderung spezifischer Maßnahmen für Frauen. Da- durch trägt das Abkommen zu einer gleichberechtigten Beteiligung von Mann und Frau in allen Bereichen des politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens bei. Die Genderfrage ist die Schlüsselfrage der Armuts- bekämpfung. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Aufnahme der „verantwortungsvollen Regierungsführung“ als Grund- prinzip, das jetzt auch in Fällen schwerer Korruption zum Tragen kommt. Es ist dringend erforderlich, Korruption weltweit zu bekämpfen, denn die Gewinner von Korrup- tion sind immer nur zwei: der, der Schmiergeld einsetzt, um schlechtere Qualität an den Mann zu bringen, und der, der sich schmieren lässt. Verlierer ist immer die Gesell- schaft. Sie zahlt den Preis. Ihr nimmt man die Ressourcen, die in die Korruption fließen. Bereits jetzt beginnt die Phase, in der der Vertrag mit Leben gefüllt wird. In diesem Monat sind erstmals Kon- sultationen zwischen der EU und Liberia nach Art. 97 des Cotonou-Abkommens aufgenommen worden, der sich mit geeigneten Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung befasst. Die gute Regierungsführung und das verstärkte vertrauensvolle Monitoring wird der Entwicklungs- zusammenarbeit also zu mehr Effizienz verhelfen. Ein – wenn auch kleiner – Teil des Europäischen Entwick- lungsfonds wird erst nach einer Evaluierung im Jahre 2004 freigegeben werden. Das Abkommen von Cotonou verbindet somit die notwendige Politik der Haushaltkon- solidierung mit der Fortsetzung und effizienteren Ausge- staltung der Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten. Der effizientere Einsatz der Finanzmittel ist gerechtfertigt. Wir haben alle immer beklagt, dass ein beträchtlicher Teil der bereitgestellten Mittel nicht abgeflossen ist. Aus der Summe dieser Rest- mittel wird nun 1 Milliarde Euro für die Entschuldungs- initiative zugunsten der ärmsten Länder eingesetzt. Die immense Bedeutung des politischen Dialogs äußert sich im übrigen auch in der Aufwertung der Pa- ritätischen Parlamentarischen Versammlung. Es ist zu be- grüßen, dass nur noch in genehmigten Ausnahmefällen Regierungsvertreter die Parlamentssitze der AKP-Partner einnehmen können. Insgesamt kann man mit dem Verhandlungsergebnis sehr zufrieden sein. Es kommt nun darauf an, das Ab- kommen mit Leben zu füllen und die darin enthaltenen Chancen zu nutzen. Ich hoffe daher, dass es heute gelingt, in Fragen europäischer Entwicklungszusammenarbeit zu der fraktionsübergreifenden Einigkeit zurückzukehren, die es am Beginn der Verhandlungen über das Abkommen von Cotonou gab. Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Das heute zu de- battierende und zu verabschiedende Gesetz soll das Part- nerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP- Staaten vom 23. Juni letzten Jahres umsetzen. Von daher geht es zunächst einmal in erster Linie um einen formalen Akt, nämlich um die Ratifizierung des Cotonou-Abkom- mens in der Nachfolge des Lomé-IV-Abkommens. Dieses Cotonou-Abkommen hat sowohl Licht- als auch Schattenseiten, wie es zugegebenermaßen bei einem internationalen Abkommen mit so vielen Beteiligten auch nicht anders zu erwarten ist. Folglich setzen unsere kriti- schen Anmerkungen auch weniger am hier zu verabschie- denden Gesetzentwurf als an dem Cotonou-Abkommen selbst an. Das Cotonou-Abkommen hat zweifellos Fort- schritte in wichtigen Bereichen gebracht, die von uns als CDU/CSU ausdrücklich begrüßt werden. Ich denke dabei nicht nur an die Verankerung der Armutsbekämpfung als zentralem Ziel. Hier wird sicherlich abzuwarten sein, in- wieweit diesen schönen Worten auch Taten folgen. Ich denke darüber hinaus gerade auch an die Neugestaltung der Handelsbeziehungen zwischen den AKP- und den EU-Staaten. Die Lomé-Mechanismen in der handelspolitischen Zusammenarbeit, namentlich in diesem Zusammenhang die Systeme Stabex und Sysmin, atmeten doch noch sehr stark den Geist eines mittlerweile überlebten entwick- lungspolitischen Ansatzes, der nicht im freien Handel zwischen gleichberechtigten Partnern, sondern eher in einer scheinbaren Großzügigkeit der Europäer gegen- über den Entwicklungsländern die Zukunft in den Han- delsbeziehungen sah – eine Zukunft, von der wir heute wissen, dass sie in die Irre geführt hat. Die AKP-Staaten brauchen und wollen in erster Linie nicht Vergünstigun- gen bei Produkten, mit denen sie auf Dauer nicht wett- bewerbsfähig werden können, sondern sie wollen einen fairen Zugang zu unseren Märkten. Auf diesem Feld sind in Cotonou bedeutsame Fortschritte erreicht worden. Als Unionsfraktion begrüßen wir diese Fortschritte, denn für uns ist schon lange klar, dass Hilfe durch Handel ein we- sentliches Element deutscher und europäischer Entwick- lungspolitik sein muss, dass es auch der Erwartung der Entwicklungsländer entspricht, nicht Almosen zu emp- fangen, sondern faire Teilhabechancen zu erhalten. Positiv sind auch die Ansätze zur Differenzierung und Regionalisierung im Cotonou-Abkommen zu bewerten. Ein Abkommen mit einer derart großen Zahl an beteilig- ten Staaten kann notwendigerweise nicht alle wichtigen Aspekte gleichermaßen berücksichtigen. Deshalb sind Möglichkeiten einer Differenzierung notwendig und sinn- voll. Auch ist es richtig, der Zusammenarbeit innerhalb der Gruppe der AKP-Staaten, gerade zwischen den jewei- ligen Nachbarländern, ein größeres Gewicht beizumes- sen. Es kann auf Dauer nicht sinnvoll sein, dass alle Wege aus den AKP-Staaten ausschließlich in die EU-Länder führen, während die Beziehungen zu den Nachbarstaaten in der afrikanischen, karibischen und pazifischen Region allenfalls rudimentär ausgebildet sind. Auch die hierbei erzielten Fortschritte begrüßen wir. Was die von der Bundesregierung behauptete Stärkung der politischen Dimension des Abkommens angeht, so erkennen wir durchaus an, dass nun immerhin die Aus- setzung der Zusammenarbeit in Fällen schwerer Korrup- tion zusätzlich zu den bisher bereits vorhandenen Sankti- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119836 (C) (D) (A) (B) onsmöglichkeiten als Option gegeben ist. Darin bereits die Verankerung des Prinzips der „good governance“ im Cotonou-Abkommen zu sehen und zu feiern, halten wir allerdings für äußerst übertrieben. Die politischen Sank- tionsmöglichkeiten sind zwar verbessert, aber nach wie vor angesichts der schweren Probleme vieler AKP-Staa- ten im Bereich der Korruption im Besonderen und der Verstöße gegen das Prinzip der verantwortungsvollen Re- gierungsführung im Allgemeinen insgesamt unzurei- chend. Hier besteht für die Zukunft noch Verbessungsbe- darf, der auch deutlich angesprochen werden muss. Gleichwohl wissen wir natürlich, dass schon die erreich- ten begrenzten politischen Fortschritte unseren Partnern in den AKP-Staaten teilweise unter Mühen abgerungen werden mussten und erkennen auch dieses Bemühen der EU ausdrücklich an. Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass der Europä- ischen Union beim Cotonou-Abkommen spürbare und messbare Fortschritte gelungen sind – Fortschritte nicht einmal in erster Linie im Interesse der Menschen in den EU-Staaten, sondern gerade auch im Interesse der Men- schen in den AKP-Staaten, deren wirtschaftliches Voran- kommen und deren politische Freiheiten uns allen am Herzen liegen sollten. Es ist erfreulich, dass auf beiden Seiten, sowohl in der EU als auch bei den AKP-Staaten, der Schwerpunkt auf ein partnerschaftliches Miteinander gelegt wird, und dass die großen ideologischen Auseinan- dersetzungen über Handels- und Wirtschaftspolitik sowie über die politische Ordnung heute der Vergangenheit an- gehören und im Sinne der sozialen Marktwirtschaft sowie politischer Freiheit und Selbstbestimmung gelöst worden sind. Worum es jetzt geht, ist, das geschlossene Abkom- men in der täglichen Praxis mit Leben zu erfüllen. Den Worten müssen im Interesse der Menschen in den AKP- Staaten Taten folgen. CDU und CSU erwarten von der rot- grünen Bundesregierung, dass sie die ihr noch verblei- bende Regierungszeit dafür nutzt, die Grundlagen, die das Cotonou-Abkommen bietet, auch in praktische entwick- lungspolitische Erfolge umzusetzen. In dieser Erwartung stimmen wir trotz Bedenken in Einzelfragen dem Gesetz- entwurf zu. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Durch den 11. Sep- tember ist die Bedeutung der globalen Herausforderungen noch offenkundiger geworden. Die Entwicklungspolitik ist zusammen mit den anderen, vormals als „weiche The- men“ der Weltinnenpolitik bezeichneten Aufgaben wie Umweltschutz, internationale Kriminalität, unter dem so genannten „erweiterten Sicherheitsbegriff“ ins Zentrum auch der außenpolitischen Prioritäten getreten. Um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden, muss sich die Entwicklungspolitik strategisch erneuern und einen maßgeblichen Beitrag zur Beseitigung von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Missständen leisten, die die Entstehung von terroristischen Umtrieben begünstigen. Dies bedeutet neben zusätzlichen finanziel- len Leistungen und einer Zusammenführung der politi- schen Verantwortung von Außen- und Entwicklungspoli- tik auch eine strukturelle Neuausrichtung auf effiziente multilaterale Zusammenarbeit, insbesondere im Rahmen der Europäischen Union. Die EU und ihre Mitgliedstaaten leisten insgesamt 55 Prozent der weltweiten öffentlichen Entwicklungszu- sammenarbeit. Dennoch hat die europäische Entwick- lungspolitik weltweit noch nicht das Gewicht, das sie auf- grund dieses Volumens haben könnte. Ursache dafür sind nicht zuletzt die mangelnde Effizienz und die unzurei- chende Koordinierung zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten, die unter anderem zu einem stockenden Mittelabfluss mit einer inzwischen auf 20 Mil- liarden Euro angewachsenen Pipeline führt. Es ist daher dringend erforderlich, dass die EU-Ent- wicklungszusammenarbeit sich neu strukturiert und sich auf einige zentrale Sektoren wie regionale Integration, Transport, Ernährungssicherheit und ländliche Entwick- lung, Aufbau institutioneller Kapazitäten und rechtsstaat- licher Strukturen sowie auf die entwicklungspolitischen Aspekte des Welthandels konzentriert. Mit der Erklärung von Kairo und der in Cotonou be- schlossenen Neuauflage der EU-AKP-Zusammenarbeit ist der Rahmen für die zukünftige europäische Entwick- lungspolitik abgesteckt. Er muss dringend inhaltlich aus- gestaltet werden. Dies setzt natürlich auch voraus, dass die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der EU-Mit- gliedstaaten und der Europäischen Union zu einer wirk- samen europäischen Politik zusammengeführt werden. Die Bundesregierung muss die Zeit bis zur Kairo-Nach- folgekonferenz nutzen, um hier einen aktiven eigenen Beitrag zu leisten. Mit einem Anteil von 22,5 Prozent am europäischen Entwicklungsfonds hat Deutschland gute Voraussetzungen, um eigene Vorstellungen im Dialog mit den Partnerländern einzubringen. Die zukünftige europäische Entwicklungsarbeit so- wohl im AKP-Rahmen als auch durch „Europe Aid“ sollte einigen grundlegenden Prinzipien unterstellt werden, die neben der Betonung der Mitverantwortung der Partner- länder und die Beteiligung der Zivilgesellschaft auch einen Übergang von der Projekt- zur Programmhilfe be- inhalten. Besonders hohe Priorität sollte dabei der Ver- besserung der Koordinierung der Fünfzehn-plus-Eins- Entwicklungspolitiken, der erhöhten Kohärenz zwischen den verschiedenen Politikbereichen, die auf die Entwick- lungsländer ausstrahlen, der verstärkten Komplementa- rität, das heißt einer besseren Arbeitsteilung zwischen der Gemeinschaft und den einzelnen Mitgliedstaaten, um unnötige Verdoppelung der Arbeit zu vermeiden und einer Dezentralisierung durch die Übertragung von mehr Ent- scheidungsverantwortung an die EU-Delegationen einge- räumt werden. Die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit den AKP-Staaten ist eine besonders gelungene Form der in- terregionalen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Wir begrüßen, dass das in Cotonou beschlossene Abkom- men einen Schwerpunkt auf die Eigenverantwortlichkeit der Empfängerstaaten, auf gute Regierungsführung, auf Rechtsstaatlichkeit und auf die Einhaltung von Men- schenrechten setzt. Es wird jetzt darauf ankommen, dass die hierfür vorgesehenen Kontroll- und Sanktionsmecha- nismen auch tatsächlich eingesetzt werden. Darüber hi- naus begrüßen wir nachdrücklich, dass das Cotonou-Ab- kommen am zentralen Ziel der Armutsbekämpfung als wesentlichem Element der EU-AKP-Zusammenarbeit orientiert ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19837 (C) (D) (A) (B) Um die praktische Durchführung des Abkommens auch weiterhin erfolgreich zu gestalten, muss die Euro- päische Union jedoch zunächst ihre Hausaufgaben erle- digen: Erstens. Die Bundesregierung sollte gegenüber ihren EU-Partnern, aber auch unmittelbar gegenüber der EU- Kommission in Brüssel darauf drängen, dass die durch die mit der Einrichtung von „Europe Aid“ angestrebte Straf- fung und Bündelung der europäischen Zusammenarbeit nicht zur Schaffung zusätzlicher neuer administrativer Strukturen führt. Die vorrangige Aufgabe von „Europe Aid“ sollte in der Konzeption, Kontrolle sowie Koordi- nierung liegen, um die Komplementarität der verschiede- nen nationalen Entwicklungspolitiken zu steigern und unnötige Verdoppelungen zu vermeiden. Außerdem muss „Europe Aid“ dringend die Voraussetzungen für einen schnelleren Mittelabfluss schaffen. Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung ferner auf, dafür Sorge zu tragen, dass „Europe Aid“ bei der prakti- schen Durchführung von EU-finanzierten Projekten dort, wo entwicklungspolitisch sinnvoll und praktikabel, wei- terhin auf die in den EU-Mitgliedstaaten vorhandenen be- währten staatlichen und nicht staatlichen Trägerorganisa- tionen zurückgreift. Die Arbeitsteilung zwischen der EU-Kommission und den 15 Mitgliedstaaten, aber insbe- sondere die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten untereinander, muss erheblich verbessert werden, um unnötige Überlappungen und Kompetenzstreitigkeiten zu vermeiden. Dabei kommt es darauf an, die kooperativen Vorteile einzelner Partnerstaaten für eine effektivere Zu- sammenarbeit zu nutzen. Dies setzt natürlich vor allem auch voraus, dass die zahlreichen Rechtsgrundlagen und Instrumente der EU-Entwicklungszusammenarbeit mit den Entwicklungsländern, unter anderem auch das AKP- Abkommen, aber auch die Programme mit dem Mittel- meer und mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion so- wie den Entwicklungsländern in Asien und Lateinamerika zu einem einheitlichen, konsistenten Kooperationskon- zept zusammengeführt werden. Drittens. Besonders wichtig ist schließlich auch, dass die Zusammenarbeit zwischen der EU-Kommission, den Regierungen, den nationalen Parlamenten und dem Euro- päischen Parlament verbessert wird. Dazu bedarf es nicht nur regelmäßiger Abstimmungen, sondern aus unserer Sicht auch die Unterstellung des Haushaltes des Euro- päischen Entwicklungsfonds unter die Kontrolle des Eu- ropäischen Parlaments. Eine stärkere Ausrichtung auf eine effiziente euro- päische Entwicklungspolitik würde unvollständig bleiben, wenn sie sich nicht auch nahtlos in das vorhandene inter- nationale Netz multilateraler Zusammenarbeit, insbeson- dere im Rahmen der Vereinten Nationen, einfügen würde. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert daher nicht nur eine europäische Ausrichtung der deutschen Entwicklungs- politik, sondern auch eine kohärente Politik der Euro- päischen Union im Rahmen der Vereinten Nationen. Carsten Hübner (PDS): Die heutige Debatte über das AKP-EG-Partnerschaftsabkommen zwischen der EU ei- nerseits und der Gruppe der Staaten in Afrika, im Kari- bischen Raum und im Pazifischen Ozean andererseits steht ganz unter dem Eindruck der WTO-Verhandlungen von Katar der letzten Tage. Dort ist wiederum überdeut- lich geworden, wie groß die Befürchtungen der Entwick- lungsländer sind, infolge weiterer Liberalisierungs- schritte des Weltmarkts gänzlich unter die Räder der Ökonomien des Nordens zu geraten. Dort ist wiederum, nicht zuletzt mit Blick auf das Cotonou-Abkommen, deut- lich geworden, wie wichtig es ist, erst die Entwicklungs- und Marktchancen der Ökonomien des Südens zu er- höhen, bevor man sie ungeschützt dem Weltmarkt ausset- zen kann. Vor diesem Hintergrund hat meine Fraktion den Wan- del des bisherigen Lomé-Vertrages zum jetzt vorliegen- den Cotonou-Abkommen immer kritisiert. Es ist ein Wan- del weg von der bisherigen Protektion und Förderung der Ökonomien des Südens hin zu einem WTO-konformen Liberalisierungsvertrag, der ganz wesentlich von den In- teressen Europas bestimmt wird und der den AKP-Staaten nur unter großem Druck aufgenötigt werden konnte. Das gilt insbesondere für die zu eng terminierten Übergangs- regelungen. Das gilt aber auch für die von der EU inten- dierte zwangsweise Koppelung von Maßnahmen zur Armutsbekämpfung mit Schritten der ökonomischen In- tegration in den Weltmarkt. Ich verweise in diesem Zu- sammenhang nur auf unseren Antrag „Zukunft der EU-AKP-Entwicklungszusammenarbeit“ vom Dezember 1998, der trotz parlamentarischer Ablehnung auf viel Zu- stimmung bei Fachkolleginnen und Fachkollegen inner- halb und außerhalb dieses Hauses gestoßen ist; ein Zu- spruch, den das jetzt vorliegende Vertragswerk nicht unbedingt für sich in Anspruch nehmen kann, zumindest nicht bei Experten und NGOs. Auch auf einen weiteren Aspekt möchte ich kurz ver- weisen: Sowohl aus entwicklungs- als auch aus men- schenrechtspolitischer Perspektive ist es ein Skandal, dass die Bereitschaft zur Rücknahme von Flüchtlingen mit der Frage einer ökonomischen und entwicklungspolitischen Partnerschaft zwischen AKP und EU verknüpft werden soll. Das ist, zumindest meiner Kenntnis nach, ein bisher einmaliger Vorgang und schlichtweg untragbar. In nicht ganz einem Jahr werden die Verhandlungen über die konkrete Ausgestaltung und Umsetzung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen aufgenommen. Es wäre verheerend, wenn die EU in diesen Verhandlungen wiederum auf WTO-Kompatibilität und damit auf weitere Liberalisierung drängen würde. Wer auf ökonomische Stabilität, auf Armutsbekämpfung und eine wirklich faire Integration der AKP-Staaten in den Weltmarkt setzt, von dem dann auch in einem nachhaltigen Sinn beide Seiten profitieren, der muss auf eine entwicklungs- und armuts- orientierte Marktregulierung setzen – nicht auf den so ge- nannten freien Markt, die Wunderwaffe der Starken und Rücksichtslosen. Die PDS-Fraktion hat massive Kritik am Rahmenab- kommen von Cotonou. Wir haben große Befürchtungen, was den Charakter der Verhandlungen um die Wirt- schaftspartnerschaftsabkommen betrifft. Dennoch haben wir uns entschlossen, uns bei der heutigen Abstimmung zu enthalten, zum einen, weil wir schon aus prinzipiellen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119838 (C) (D) (A) (B) Erwägungen zur EU-AKP-Entwicklungspartnerschaft stehen. Wir wollen da keine Missverständnisse aufkom- men lassen. Zum anderen aber ist unsere Enthaltung eine Aufforderung an die Bundesregierung, sich in den kom- menden Verhandlungen sehr viel stärker als bisher im Sinne einer originär erwicklungspolitischen Ausrichtung zu engagieren. Vorschusslorbeeren, auf denen sich die Bundesregierung allerdings nicht ausruhen sollte. Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes- ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung: Das neue Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Staaten Afrikas, der Ka- ribik und des Pazifiks wurde am 23. Juni 2000 in Coto- nou, der Hauptstadt von Benin, unterzeichnet. Zwischen den EU-Mitgliedstaaten und jetzt 77 AKP-Staaten – sechs pazifische Inseln traten bei – ist damit die seit 25 Jahren bewährte Zusammenarbeit auf eine neue, verlässliche Grundlage gestellt worden. Eine Neuausrichtung dieser Partnerschaft war unab- dingbar, um den veränderten wirtschaftlichen und politi- schen Gegebenheiten zu entsprechen. Dies sind: die neuen Handelsregelungen der WTO; Veränderungen in- nerhalb der EU selbst; knapper werdende öffentliche Mit- tel für Entwicklungszusammenarbeit sowie nicht zuletzt zunehmend kritische EU-Bürgerinnen und Bürger, die messbare Ergebnisse verlangen. Das Abkommen hält fest an bewährten Prinzipien wie dem Partnerschaftsprinzip, der Berechenbarkeit der Hilfe, dem breiten Kooperationsansatz und dem Vertragscha- rakter. Die „Lomé-Kultur“ wird somit fortgeführt. Am Ende der Verhandlungen steht ein respektables und faires Ergebnis, das neue Horizonte eröffnet und nun konkret mit Leben gefüllt werden muss. Neuerungen bedeuten vor allem: die Stärkung des po- litischen Dialogs (hier inbegriffen sind Fragen der Demo- kratisierung, Menschenrechte, Friedens- und Stabilitäts- politik); die Verankerung der verantwortungsvollen Regierungsführung als fundamentaler Bestandteil im Ab- kommen mit der Möglichkeit der Aussetzung des Ab- kommens im Hinblick auf einen einzelnen AKP-Staat in Fällen schwerer Korruption; veränderte Handelsregeln (Abschluss von regionalen Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen nach einer achtjährigen Übergangsfrist); er- leichterte Verfahren der Zusammenarbeit mit stärkerem Monitoring und Controlling; die Einbeziehung nichtstaat- licher Akteure (Zivilgesellschaft) in die Zusammenarbeit; die erstmals 20-jährige Laufzeit des Abkommens, die bei- den Seiten Planungssicherheit gewährt. Ich werde im Folgenden auf zwei wesentliche Neue- rungen eingehen, welche den einzigartigen Charakter des Abkommens unterstreichen und für welche wir uns maß- geblich eingesetzt haben: erstens, die politische Dimen- sion und zweitens, die veränderten Handelsregeln. Erstens: die politische Dimension des Abkommens. Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns wieder die Bedeutung des politischen Dialogs und der rechtzeitigen Reaktion auf Krisensituationen vor Augen geführt. Durch das Abkommen von Cotonou konnte die politische Di- mension der zukünftigen AKP-EU-Beziehungen ent- scheidend gestärkt werden. Es besteht eine beiderseitige Verpflichtung zu einer aktiven, umfassenden und inte- grierten Politik der Friedenskonsolidierung und Konflikt- prävention. Die verantwortungsvolle Regierungsführung („good governance“) wurde zum fundamentalen Bestandteil des Abkommens erhoben. Damit können erstmals Fälle schwerer Korruption geahndet werden. Dies ist ein wich- tiger Schritt hin zu einer transparenteren und effizienteren Verwaltung öffentlicher Mittel bei der Verwendung in Entwicklungsländern. Ich gehe davon aus, dass „good governance“ aufgrund der Sanktionsmöglichkeit von un- seren Partnerstaaten sehr ernst genommen wird. Wesentliche Bestandteile des Abkommens bleiben weiterhin die Achtung der Menschenrechte, demokrati- scher Grundsätze sowie Rechtsstaatlichkeit. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze kann bis hin zur Aussetzung der Zusammenarbeit führen. Die Zivilgesellschaft wird als nicht staatlicher Akteur verstärkt in die Zusammenarbeit eingebunden. Nicht staatliche Akteure werden unter näher festgelegten Be- dingungen vor allem bei der Erarbeitung der Kooperati- onspolitik und -strategien beteiligt sowie beim Ausbau ih- rer Kapazitäten unterstützt. Auf diese Weise soll ein breiter Kreis außerhalb der Regierung erreicht werden, um so zu einer umfassenden Akzeptanz der Kooperati- onspolitik und ihrer regelmäßigen Überprüfung zu ge- langen. Schließlich wird die Rolle der Paritätischen Parlamen- tarischen Versammlung im Rahmen des Abkommens von Cotonou gestärkt. Zu ihren Aufgaben zählt nunmehr aus- drücklich die Förderung demokratischer Prozesse durch Dialog und Konsultationen. Zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens kann sie Entschließungen verabschieden und Empfehlungen an den Ministerrat aussprechen. Es entstehen hierdurch unmittelbare und vertiefte Kontakte zwischen den Abgeordneten des Europäischen Parla- ments und denen der AKP-Staaten. Zugleich wird somit die Stimme der Parlamentarier und Parlamentarierinnen in den Partnerländern hörbarer. Zweitens: Einbindung der AKP-Staaten in die Welt- wirtschaft. Eine der wesentlichen – wenn auch nicht hin- reichenden – Bedingungen für die Armutsminderung ist nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum. Die Einbin- dung der Entwicklungsländer und insbesondere der am wenigsten entwickelten Länder in die Weltwirtschaft ist eine notwendige Voraussetzung für Wachstum und Pros- perität. Mit dem Partnerschaftsabkommen von Cotonou ist es gelungen, verbesserte Rahmenbedingungen für die wirt- schaftliche Entwicklung in den AKP-Staaten zu schaffen. Die im alten Lomé-Abkommen mit den AKP-Staaten ein- seitig gewährten Präferenzen werden nunmehr durch einen WTO-konformen, vertraglich vereinbarten gegenseitigen Marktzugang im Rahmen von regional zu verhandelnden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abgelöst. Bislang steht noch nicht fest, mit welchen Ländern die Verhand- lungen aufgenommen werden sollen hierüber werden die AKP-Staaten eine Entscheidung treffen. Bei der zweiten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19839 (C) (D) (A) (B) Tagung des AKP-EU-Ministeriellen Handelsausschusses am 2. Oktober 2001 in Nairobi hat die EU ihren Willen zum Ausdruck gebracht, den Zeitplan (Beginn der förm- lichen Verhandlungen im September 2002) einzuhalten. Die Kommission bereitet derzeit das EU-Mandat für die Verhandlungen vor, über das wir als Rat bis spätestens Juli 2002 entscheiden werden. Der AKP-Seite sind von der Europäischen Union 20 Millionen Euro zur Stärkung ihrer Verhandlungskapa- zitäten für die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zuge- sagt worden. Bislang wurden zur Vorbereitung der Ver- handlungen vier Regionalseminare in Afrika abgehalten (Benin, Botswana, Kenia und Kongo). Weitere Seminare für den karibischen und pazifischen Raum sind geplant. In der zweiten Oktoberhälfte wurden Regionalstudien in Auftrag gegeben, die mögliche Auswirkungen der Wirt- schaftspartnerschaftsabkommen auf die AKP-Staaten un- tersuchen sollen. Für die Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2007 haben die EU- und AKP-Staaten eine Ausnahmegenehmi- gung bei der WTO („waiver“) beantragt, mit der die seit 1975 bestehenden einseitigen Zollpräferenzen bis zum Ende der Vorbereitungsphase fortgelten können. Selbst nach 2008 kann es noch lange Übergangsfristen geben, in denen die Märkte der AKP-Staaten sich gründlich auf das an die Region angepasste Freihandelsabkommen vorbe- reiten können. Die EU versteht sich dabei noch stärker als unter den Lomé-Abkommen als Partner der Entwick- lungsländer. Ich halte dieses Konzept für ein wichtiges politisches Signal für eine auf Interessensausgleich zielende Koope- ration zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Da- bei muss allerdings sichergestellt werden, dass die betreffenden Branchen in den AKP-Staaten den Umstruk- turierungsprozess auch meistern können; diese Prozesse kann die gemeinschaftliche Entwicklungszusammenar- beit unterstützen und abfedern. Eine besondere Bedeu- tung kommt hierbei der Handelsliberalisierung innerhalb der AKP-Regionen zu, die auch die Entwicklung regiona- ler Wirtschaftskreisläufe fördert. Ein weiterer mir wichtiger Punkt ist die angestrebte re- gionale Integration, auch außerhalb des Handels. Zu Ihrer Erinnerung: Für die regionale Integration sind 1,3 Milli- arden Euro vorgesehen. Warum ist regionale Zusammen- arbeit so wichtig? Gerade innerhalb der Europäischen Union haben wir erfahren und erfahren wir täglich, dass Aufgaben nicht an Grenzen Halt machen. Daher soll auch die regionale Zusammenarbeit zwischen den AKP-Staa- ten (unter anderem in den Bereichen Infrastruktur, Ge- sundheit, Katastrophenschutz) unterstützt werden. Nur mithilfe der regionalen Integration und Kooperation kön- nen viele Länder grenzüberschreitende Aufgaben, insbe- sondere auf dem Gebiet der Umwelt sowie der Nutzung und Bewirtschaftung der Naturschätze, effektiv bewälti- gen. Somit kann gerade die regionale Integration dazu beitragen, die Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft einzubeziehen. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen auf diesem Gebiet kann die Gemeinschaft hier wertvolle Hilfe leisten. Mit dem Partnerschaftsabkommen von Cotonou haben EU- und AKP-Staaten gezeigt, dass sie ihre bewährte Partnerschaft auf eine zeitgemäße Grundlage stellen kön- nen und sich gemeinsam den neuen Herausforderungen stellen werden. Die notwendige Flexibilität für Änderun- gen bieten Revisionsklauseln und Anpassungsmöglich- keiten durch den – im Regelfall jährlich tagenden – AKP- EU-Ministerrat. Insgesamt stellt das Abkommen von Cotonou einen fairen Kompromiss zwischen den mitunter gegensätzlichen Interessenlagen von AKP- und EU-Staa- ten dar. Das Abkommen von Cotonou leistet mithin einen wichtigen Beitrag zur Herbeiführung von globaler Ge- rechtigkeit. Bei der gerade beendeten WTO-Ministerkonferenz in Doha/Katar wurden die berechtigten Interessen von Ent- wicklungsländern bereits stärker berücksichtigt. Ohne dies wäre der erfolgreiche Abschluss der Konferenz nicht möglich gewesen. Dies muss erst recht für die damit ein- geläutete neue Verhandlungsrunde in der WTO gelten. Weitere Prüfsteine werden die Konferenz Financing for Development und der Weltgipfel für nachhaltige Ent- wicklung im nächsten Jahr sein. Ich bin davon überzeugt, dass das Abkommen von Co- tonou in diesem Sinn eine gute Basis für die zukünftige Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten darstellt. Sowohl die finanzielle Ausstattung von bis zu 15,2 Milliarden Euro für 2000 bis 2005 als auch die inhaltliche Neuge- staltung des Abkommens sind wegweisend für die ge- samte Entwicklungspolitik und deren Beitrag für mehr Gerechtigkeit und Frieden in der Weit. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschulden- verwaltung (Bundeswertpapierverwaltungsge- setz – BWpVerwG) (Tagesordnungspunkt 24) Hans Georg Wagner (SPD): Das heute zu be- schließende Bundeswertpapierverwaltungsgesetz zielt auf eine Modernisierung des Schuldbuchrechts des Bun- des. Durch diese Neugestaltung wird das Schuldenmana- gement des Bundes effizienter werden, das heißt ganz konkret: Es werden Kosten eingespart. Die Reform ist schon lange überfällig; denn die bisherigen Regelungen beruhen im Wesentlichen auf dem Reichsschuldbuchge- setz von 1910 – das heißt: aus Kaisers Zeiten – sowie der Reichsschuldenordnung von 1924. Wie wenig zeitgemäß diese Rechtsgrundlagen heute sind, lässt sich am bisherigen Bundesschuldenausschuss deutlich ablesen. Dieses Gremium kontrollierte bislang die Bundesschuldenverwaltung und setzte sich unter Vor- sitz der Präsidentin des Bundesrechnungshofes aus drei Mitgliedern des Bundestages und drei vom Bundesrat ent- sandten Mitgliedern zusammen. Die Länder kontrollier- ten also die Schuldenverwaltung des Bundes, während der Bund umgekehrt bei der Schuldenverwaltung der Länder kein Wörtchen mitzureden hat. Diese heute anachronisti- sche Regelung hat ihren Ursprung und ihre Begründung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119840 (C) (D) (A) (B) in längst vergangenen Zeiten, als die Länder an das Reich noch Matrikularbeiträge abzuführen hatten. Den Bundes- schuldenausschuss schaffen wir nun ab, die Kontroll- funktion wird auf ein parlamentarisches Gremium des Deutschen Bundestages übertragen. Dieses neu zu schaffende Gremium wird vom Deut- schen Bundestag aus Mitgliedern des Haushaltsausschus- ses gewählt und der Bundesminister der Finanzen wird dieses Gremium zeitnah über alle Fragen des Schulden- managements des Bundes in Anwesenheit des Bundes- rechnungshofes unterrichten. An die Adresse der Länder möchte ich noch sagen, dass wir ihren gegen den Gesetzentwurf vorgebrachten Beden- ken hinsichtlich der Verwahrbankfähigkeit von Sammel- schuldbuchforderungen in den Abschlussberatungen Rechnung getragen haben. Durch einen neuen Abs. 2 in § 17 des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes wird die Verwahrbankfähigkeit zugunsten der Bundesländer er- halten. Das zu beschließende Gesetz ist ein weiterer Schritt zur Modernisierung der Bundesverwaltung mit dem Ziel der Effizienzsteigerung. Die Aufnahme und Verwaltung der Schulden des Bundes wird dadurch wirtschaftlicher, das heißt, die öffentliche Hand spart Kosten ein. Hans Jochen Henke (CDU/CSU): Der vorliegende Entwurf eines Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes schafft eine neue Grundlage für die Bundesschulden- verwaltung, mit der die Weisungsunabhängigkeit der Ver- waltung und des Bundesschuldenausschusses abgeschafft sowie altes bzw. vorkonstitutionelles Recht abgelöst werden soll. Auf die weitgehende Umgestaltung des Ma- nagements und die Neuausgestaltung der parlamentari- schen Kontrolle durch ein nach der zusätzlichen Bestim- mung des § 4 a noch auszugestaltendes parlamentarisches Gremium gehe ich noch ein. Bei dem Umgang mit den Schulden des Bundes han- delt es sich um einen zentralen Bereich der Bundesfinan- zen mit einer besonderen Bedeutung für den Bundeshaus- halt, den Kreditmarkt und die Zukunftsfähigkeit des Standortes Deutschland. Die Organisation zu optimieren, den Aufwand zu minimieren, und die Bonität zu garantie- ren sind die herausragenden Ziele. Die Bundesregierung ist angetreten, die Schuldenverwaltung im Lichte offener internationaler Märkte und der Euromarktzone schnitt- stellenarm, schlank und effizient zu gestalten. Die neue Zuordnung der Schuldenverwaltung in die nachgeordnete Behördenstruktur und die Auflösung des Bundesschul- denausschusses als keinem wirkungsvollen Kontroll- gremium aus vorkonstitutioneller Zeit tragen wir mit und unterstreichen ausdrücklich den Modernisierungsbedarf für Planung, Steuerung, Umsetzung und Kontrolle der Schulden des Bundeskreditgeschäfts. Bisher teilen sich das Ministerium und die Bundesbank mit der Schulden- verwaltung diese Aufgabe. In Zukunft werden mit der neuen Finanzagentur GmbH aus drei Akteuren vier Beteiligte mit allen Folgen für Per- sonal, Sachmittel, Investitionen und insbesondere IT- Hard- und Softwarebereich. Die grundgesetzlich vorge- gebene Zuständigkeit des Bundesfinanzministers ist nicht veränderbar. Mit der Finanzagentur, der sich das Ministe- rium bedient, werden Kompetenzen verlagert, Abläufe kompliziert, die Transparenz reduziert und der Aufwand nicht zuletzt wegen des Spielgelreferats im Ministerium erheblich ausgeweitet. Ob das Ministerium aufgrund des Kompetenz- und Erfahrungsvorsprungs bei der Finanz- agentur seinem verfassungsmäßigen Auftrag überhaupt umfassend nachkommen kann, ist außerdem fragwürdig. Die ursprünglich angestrebte und von uns für nicht mach- bar gehaltene Auflösung der Schuldenverwaltung wird nicht weiter verfolgt. Die ursprünglich ebenfalls ange- strebte Entpflichtung der Bundesbank ist geändert. Da auch die Finanzagentur entgegen früherer Planungen noch immer nicht voll funktionsfähig ist, zeigt sich, wie überzogen, wirklichkeitsfremd und ineffizient das vom Finanzminister nach dem Andersen Consulting-Gutach- ten entwickelte Konzept gewesen ist. Die Wirklichkeit stellt sich bescheidener, der Aufwand höher, die Schnitt- stellen zahlreicher und der Erfolg in der prognostizierten Höhe jedenfalls in zeitlicher, aber auch in finanzieller Hinsicht als unrealistisch dar. Wir werden uns der weiteren Entwicklung, dem Auf- wand und dem erwarteten Nutzen mit Unterstützung des Rechnungshofes kontinuierlich widmen. Als wesentliche Neuerung wurde im Gesetzentwurf mit § 4 a die Schaf- fung eines parlamentarischen Gremiums aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses eingefügt. Dieses Gremium, in dem der Bundesfinanzminister sowie der Bundesrech- nungshof vertreten sein werden, hat der Bundesfinanz- minister über alle Fragen des Schuldenmanagements zu unterrichten. Damit wird ein der parlamentarischen Kon- trolle voll entsprechendes Gremium mit kontinuierlicher Befassung und Geheimhaltungspflicht für diesen heraus- ragenden Geschäftsbereich des Bundesfinanzministers geschaffen. Besonders anzuerkennen ist der fraktions- übergreifende Konsens, der maßgeblich auf Empfehlun- gen des Bundesrechnungshofes beruht. Wir werden uns im Ergebnis deshalb der Stimme ent- halten, unterstreichen aber ausdrücklich die kritisch ab- lehnende Haltung gegenüber der neuen Finanzagentur, deren Geschäft nach wie vor originär ins Ministerium gehört und dort wirkungsvoller erledigt werden könnte, wie die Erfahrungen anderer großer westlicher Länder eindrucksvoll unterstreichen. Wir werden uns diesem Thema weiter mit besonders kritischer Aufmerksamkeit widmen. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Schuldenmanagement des Bundes bewältigt eine jährli- che Bruttokreditaufnahme in Höhe von rund 300 Milliar- den DM und verwaltet eine Bundesschuld in Höhe von 1 500 Milliarden DM. Trotz der vorgesehenen Rück- führung der Nettokreditaufnahme auf null im Jahre 2006 haben wir weiterhin eine ansteigende Verschuldung des Bundes. Zusätzlich werden täglich Milliardenbeträge am Geldmarkt bewegt, um die Kassenschwankungen auszu- gleichen. Aufgrund der finanz- und haushaltspolitischen Bedeu- tung der Staatsverschuldung ist es längst an der Zeit, das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19841 (C) (D) (A) (B) Schuldenmanagement effizienter und moderner zu gestal- ten. Mit dem Start der Europäischen Währungsunion sind die Anforderungen an das staatliche Schuldenmanage- ment gestiegen. Der Wettbewerb der Regierungen um die Gunst der Anleger erfordert auch in Deutschland eine Re- form des Schuldenmanagements. Der bisherige Zustand ist unhaltbar geworden. Die Bundesschuldenverwaltung arbeitet immer noch auf der Grundlage der Reichsschuldenordnung aus dem Jahre 1924, die ihrerseits auf die Reichsschuldenordnung von 1910 und die Schuldenordnung für Preußen zurückgeht. Das vorkonstitutionelle Recht der Reichsschuldenord- nung bietet keine zeitgemäße Organisationsform mehr. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird die bishe- rige Bundesschuldenverwaltung völlig neu gestaltet. Neuen Entwicklungen im Schuldbuchrecht und bei der Begebung von Bundeswertpapieren wird Rechnung ge- tragen. So wird die Führung des Bundesschuldbuchs in elektronischer Form ermöglicht und der Direktvertrieb von Bundeswertpapieren verbessert. Auch sollen neue Fi- nanzinstrumente der Kapitalmärkte im staatlichen Schul- denmanagement verstärkt eingesetzt werden. Bei allen Chancen durch die neuen Entwicklungen bleibt die Kontrolle der staatlichen Verschuldung eine sensible Angelegenheit. Infolge der Neukonzeption der Schuldenverwaltung müssen die legislativen Kontroll- rechte neu justiert werden. Für das Parlament muss in seiner Funktion als Haus- haltsgesetzgeber und im Rahmen seiner Kontrollfunktion eine größere Transparenz zu Fragen der Verschuldung ge- schaffen werden. Nur mit umfassenden und zeitnahen Informationen über alle Fragen der Verschuldung kann das Parlament über Fragen der Verschuldungsplanung, des Verschul- dungsverfahrens und der Verschuldungsorganisation ur- teilen, um entsprechende Erkenntnisse in künftige Bud- getbewilligungen einfließen zu lassen. Daher haben wir gestern im Haushaltsausschuss die Einrichtung eines parlamentarischen Gremiums beschlos- sen. Dieses Kontrollgremium wird im Gesetz verankert und hat umfassende Informationsrechte gegenüber dem Bundesministerium der Finanzen. Damit wird die parla- mentarische Kontrolle ausreichend sichergestellt. Gerhard Schüßler (FDP): Im Zuge der Modernisie- rung des Schuldenmanagements des Bundes soll die Bundesschuldenverwaltung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden. Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschulden- verwaltung erfolgt die zweite Stufe der Neukonzeption, nachdem in der ersten Stufe das Schuldenmanagement ausgelagert und an die Finanzagentur GmbH übertragen worden ist. Dass dieses Gesetz nicht nachrangig gegenüber vielen anderen Gesetzen ist, erklärt sich bei näherer Betrach- tung. Die Bundesschuldenverwaltung, die dann später Bundeswertpapierverwaltung heißen soll, beurkundet als Notar und Treuhänder des Bundes die Kreditaufnahmen und das Sondervermögen des Bundes sowie die staat- lichen Bürgschaften, Garantien und Beteiligungsver- pflichtungen. Zu den weiteren Aufgaben gehört die Ver- waltung der Bundesschulden im Bundesschuldbuch. Die Bundesschuldenverwaltung selbst untersteht der Fachauf- sicht des Bundesschuldenausschusses. Vergegenwärtigt man sich die Verschuldung des Bun- des und die Höhe der Zinsausgaben, mag man die Bedeu- tung dieses Gesetzes ermessen. Mit Stand vom 30. Juni 2001 beträgt die Verschuldung des Bundes inklusive der Sondervermögen 1,458 Billio- nen DM. Als Folge der ständig gewachsenen Verschul- dung ergeben sich Zinszahlungen im Bundeshaushalt von mehr als 80 Milliarden DM. Jeder von Ihnen weiß, dass Schuldenstand, Nettokre- ditaufnahme und Zinsausgaben neben den Steuer- und Abgabenbelastungsquoten diejenigen Kenngrößen sind, die die mittel- und längerfristige Tragfähigkeit einer Fi- nanzpolitik für die Staatsfinanzen und damit für das Staatswesen insgesamt widerspiegeln. Daher kommt der ordnungsgemäßen Verwaltung der Schulden und der Auf- sicht über diese eine ganz besondere Bedeutung zu. Mit der Abschaffung des Bundesschuldenausschusses und derAufhebung der Weisungsunabhängigkeit der Bun- desschuldenverwaltung müssen somit die legislativen Kontrollrechte neu bestimmt werden. Im Gesetzentwurf heißt es dazu, dass der „originär zuständige Haushaltsaus- schuss“diesineigenerZuständigkeit regelnsoll.NachAuf- fassung der FDP darf es hierbei hinsichtlich der parlamen- tarischenKontrollezukeinerSelbstentmachtungkommen. Ebenso ist eine Durchmischung von Exekutive und Legis- lative in diesem Gremium kategorisch abzulehnen. Ein weiterer Aspekt aus Sicht der FDP ist vor dem Hin- tergrund der komplexen Thematik die Transparenz zu al- len Fragen der Staatsverschuldung. Hier muss das Parla- ment in seiner Funktion als Haushaltsgesetzgeber und im Rahmen seiner Kontrollfunktion frühzeitig und im Sinne einer prozessualen Kontrolle informiert werden. Dabei sollte eine kontinuierliche Information des Parlaments über alle Fragen der Verschuldung dauerhaft und zeitnah sichergestellt sein. Die FDP wird dem Gesetzentwurf zustimmen. Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Die Neuregelung des Schuldbuchrechts und der Rechtsgrundlagen der Bundes- schuldenverwaltung sind überfällig. Die bisherigen Reg- lungen gehen auf so genanntes vorkonstitutionelles Recht zurück. Sie müssen endlich auf eine zeitgemäße Grund- lage gestellt werden. So beruhen die noch gültigen Rege- lungen zum Bundesschuldbuch auf dem 1910 in Kraft ge- setzten und 1939 novellierten Reichsschuldbuch. Die gültige Bundesschuldbuchpraxis basiert weiterhin maß- geblich auf der Reichsschuldenordnung, die weitgehend unverändert aus dem Jahr 1924 stammt. Es ist für die PDS-Fraktion nicht nachvollziehbar, dass Bundesregierungen – ich sage ausdrücklich: unterschied- licher politischer Farben – Jahrzehnte brauchten, um dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119842 (C) (D) (A) (B) Deutschen Bundestag endlich neue, den derzeitigen An- forderungen gemäße Rechtsgrundlagen vorzulegen. Han- delt es sich doch hierbei um Fragen, die für die Haushalt- und Finanzpolitik des Bundes, für die Bundespolitik über- haupt, von existenzieller Bedeutung sind. Die Verschuldung des Bundes beläuft sich – aktuellen Angaben zufolge – auf 700,0 Milliarden Euro. Dazu kom- men weitere 61,0 Milliarden Euro Schulden aus so ge- nannten Sondervermögen, wie Fonds „Deutsche Einheit“, Entschädigungsfonds, ERP-Fonds. Damit ergibt sich eine Gesamtverschuldung in Höhe von rund 761 Milliarden Euro. Im Bundeshaushalt 2001 sind allein Zinsausgaben in einem Umfang von 39,5 Milliarden Euro verankert. Das ist ein Anteil von 16,2 Prozent an den Gesamtausga- ben dieses Bundeshaushaltes. Bezogen auf die Steuerein- nahmen des Bundes machen die Zinsausgaben im laufen- den Jahr 20,1 Prozent – es handelt sich um die so genannte Zins-Steuer-Quote – aus. Alles in allem gigantische, schwer vorstellbare Zahlen. Bestandteil der Neuregelung des Schuldbuchrechts des Bundes ist auch die Verankerung von dessen Finanzie- rungsinstrumenten. Eine besondere Rolle nimmt darin die Finanzagentur GmbH ein, deren 100-prozentiger Gesell- schafter die Bundesrepublik Deutschland ist. Diese Ge- sellschaft wird ermächtigt, die für die Kreditbeschaffung des Bundes erforderlichen Schuldverschreibungen und Schuldbuchforderungen zu begeben und zu veräußern. Mit der Gründung der Finanzagentur GmbH in diesem Jahr wurde das Ziel verfolgt, die Benchmarkfunktion der Bundesrepublik Deutschland bei der Emission von Wert- papieren des Bundes auch unter den Bedingungen der Einführung des Euro dauerhaft gewährleisten zu können. Die PDS-Fraktion hat das grundsätzlich unterstützt und wird die weitere Entwicklung der Finanzagentur GmbH im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle im Bundes- tagshaushaltsausschuss kritisch begleiten. Für sehr bedenklich hält die PDS-Fraktion in diesem Zusammenhang, dass im Rahmen der Beratungen über den Gesetzentwurf im federführenden Bundestagshaus- haltsausschuss auch eine grundlegende Neuordnung der parlamentarischen Kontrolle auf dem Gebiet der Schul- denpolitik des Bundes einvernehmlich zwischen allen Fraktionen durchgesetzt werden könnte. Anstelle des bis- herigen Bundesschuldenausschusses, in dem vom Bun- destag lediglich Vertreter von SPD, CDU/CSU und vom Bündnis 90/Grüne verankert waren, wird künftig der Deutsche Bundestag für die Dauer einer Wahlperiode ein parlamentarisches Gremium wählen, das aus Mitgliedern des Bundestagshaushaltsausschusses bestehen soll. Die- ses Gremium, in das durch eine Protokollnotiz des Bun- destagshaushaltsausschusses vom 14. November 2001 Vertreter aller im Bundestag vertretenen Fraktionen ein- bezogen sein werden, soll vom Bundesministerium der Finanzen über alle Fragen des Schuldenmanagements des Bundes unterrichtet werden. Es liegt auf der Hand, dass die Mitglieder dieses neu zu schaffenden Gremiums zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet wer- den, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. Die PDS-Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf zur Neu- ordnung des Schuldenrechts des Bundes sowie der ent- sprechenden Beschlussempfehlung des federführenden Bundestagshaushaltsausschusses zu. Karl Diller (SPD): Der vorliegende Entwurf eines Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes dient dem Ziel, das Schuldbuchrecht des Bundes umfangreich zu moder- nisieren. Ebenso soll damit die Tätigkeit der Bun- desschuldenverwaltung, die sich künftig Bundeswertpa- pierverwaltung nennen wird, auf eine moderne und zukunftsorientierte Rechtsgrundlage gestellt werden. Eine Reform des Schuldbuchrechts ist seit Jahren er- forderlich, weil die bisherigen Regelungen noch auf vor- konstitutionellem Recht beruhen. Zu nennen sind hier ins- besondere das Reichsschuldbuchgesetz von 1910, die Reichsschuldenordnung von 1924, sowie verschiedene Rechtsverordnungen aus den Dreißiger- und Vierziger- jahren. Diese überalterten Rechtsgrundlagen bildeten den Rahmen für die bisherige Arbeit der Bundesschuldenver- waltung. Sie unterlag danach nur insoweit den Weisungen des Finanzministeriums, als dies mit der ihr verliehenen Wei- sungsunabhängigkeit vereinbar war. Kontrolliert wurde sie von einem Gremium, das sich aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages und des Bundesrates unter Vor- sitz der Präsidentin des Bundesrechnungshofs zusam- mensetzte – dem Bundesschuldenausschuss. Damit wurde im Ergebnis für eine Behörde ein ministerialfreier Raum geschaffen und das Schuldenmanagement des Bun- des durch die Bundesländer kontrolliert. Mit dem vorge- legten Entwurf eines Bundeswertpapierverwaltungsge- setzes wird dieser verfassungsrechtlich bedenkliche Zustand durch Aufhebung der Weisungsunabhängigkeit der künftigen Bundeswertpapierverwaltung und der Ab- schaffung des Bundesschuldenausschusses beseitigt. Das neue Gesetz weist bestimmte Aufgaben der Bun- deswertpapierverwaltung zu und unterwirft sie der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Darüber hinaus erfolgt eine Rechtsbereinigung und moderne Gestaltung der Begebung für Bundes- wertpapiere sowie des Bundesschuldbuchs. Im Übrigen wird die Kontinuität der bisherigen Arbeit weitgehend gewahrt. Gleichwohl können Teilaufgaben der Bundeswertpapierverwaltung durch Rechtsverord- nung entzogen werden. Andererseits können ihr aber auch neue Aufgaben übertragen werden. Damit soll die Chance eröffnet werden, die Wirtschaftlichkeit rund um das Schuldenmanagement zu verbessern. Die Führung des Einzelschuldbuchs und die Dokumentation der Gewähr- und Sicherheitsleistungen des Bundes gehören weiterhin zum Kernbereich der Arbeit und verbleiben auf Dauer bei der Bundeswertpapierverwaltung. Der Gesetzentwurf trägt auch der Tatsache Rechnung, dass die Wertpapiere des Bundes in der Regel nur noch in Form von Wertrechten und nicht mehr in Form von Ur- kunden begeben werden. Hier erfolgt durch die Neu- regelungen eine Rechtsbereinigung, indem alte und über mehr als sechs Gesetze und Verordnungen verstreute Vor- schriften, die teilweise noch aus Zeiten des Deutschen Reiches stammen, aufgehoben werden. Die Mitwirkung der Legislative sichert künftig ein par- lamentarisches Gremium. Der Deutsche Bundestag wird das Gremium, das aus Mitgliedern des Haushaltsaus- schusses bestehen soll, wählen. Dabei wird auch die Zahl Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19843 (C) (D) (A) (B) der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeits- weise bestimmt. Scheidet ein Gremiumsmitglied aus dem Bundestag oder seiner Fraktion aus bzw. wird es zum Bundesminister oder Parlamentarischen Staatssekretär er- nannt, verliert es seine Mitgliedschaft im Gremium. Für die ausscheidenden Mitglieder wird ein neues Mitglied gewählt. Das Gremium wird vom Bundesministerium der Finanzen über alle Aspekte des Schuldenmanagements unterrichtet. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung ver- pflichtet, denn würden die ihnen zugänglichen Informa- tionen an die Kapitalmärkte gelangen, könnten sich die Konditionen für den Bund bei der Kreditaufnahme ver- schlechtern. Mit dem vorgelegten Gesetz trägt die Bundesregierung zur Modernisierung und Effizienzsteigerung in der Bundesverwaltung bei. Dies wird sich insbesondere auf das Schuldenmanagement auswirken und die Wirtschaft- lichkeit aller Bereiche der Kreditaufnahme steigern. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwal- tungsprozess (RmBereinVpG) (Tagesordnungs- punkt 25) Alfred Hartenbach (SPD): Im Oktober 1999 hat das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber auf- gegeben, ein neues Verfahren im Verwaltungsprozess für die Fälle zu entwickeln, in denen die Behörden bestimmte Akten aus Geheimhaltungsgründen nicht vorlegen kön- nen und wollen. Das Bundesverfassungsgericht hatte damals eine Übergangsfrist bis Ende dieses Jahres einge- räumt. Mit unserem Entwurf zur Bereinigung des Rechts- mittelrechts im Verwaltungsprozess halten wir diese Frist ein und kommen dem Verlangen des Bundesverfassungs- gerichts nach. Dabei ging es um eine durchaus schwierige Abwägung. Einerseits sieht die Koalition, die sich ja den Bürger- rechten in besonderer Weise verpflichtet fühlt, natürlich sehr darauf, dass der Rechtsschutz des Bürgers gegenüber den Behörden nicht verkürzt wird. Andererseits muss es der Regierung möglich bleiben, bestimmte Vorgänge, insbesondere aus dem Bereich des Staatsschutzes, der Nachrichtendienste etc. aus der Öffentlichkeit herauszu- halten. Diese Konfliktlage hat auch das Bundesverfas- sungsgericht gesehen und den sinnvollsten Lösungsweg gewiesen, den wir auch gegangen sind: Wenn die Behör- den behaupten, dass der Vorlage Bedenken aus Gründen des Staatswohls entgegenstehen, dann muss ein Gericht in einem so genannten „in-camera-Verfahren“, also einem Verfahren ohne die Beteiligten des Prozesses, diese Be- hauptung überprüfen können. An sich sind solche „in- camera-Verfahren“ in einem Rechtsstaat unüblich. Sie müssen auch die absolute Ausnahme bleiben. Aber ohne diese Ausnahme geht ein geordnetes Regieren auch wieder nicht, wie auch das Bundesverfassungsgericht eingeräumt hat. Es ist natürlich auch nur sinnvoll, wenn der Kreis der- jenigen, die von solchen sensiblen Akten auch bei einem „in-camera-Verfahren“ Kenntnis erhalten, möglichst ge- ring bleibt. Wer darin ein Misstrauen gegen die Richter erblickt, hat von Regierungsarbeit wenig Ahnung. Lang möge es dabei bleiben. Ich möchte gern noch einige weitere Änderungen und Ergänzungen der Verwaltungsgerichtsordnung erwähnen, die wir bei dieser Gelegenheit vorgenommen haben. Das betrifft vor allem die Zulassung als Prozessvertreter vor den Verwaltungsgerichten. So werden in Zukunft Ange- stellte von Gewerkschaften und Sozialverbänden in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge, des Schwerbe- hindertenrechts und damit zusammenhängender Angele- genheiten der Sozialhilfe auftreten dürfen. Alle Praktiker wissen, dass diese Personen dort ein großes Fachwissen haben, was der Sache und der Entscheidungsfindung nur nützen kann. Außerdem werden künftig nicht nur Hoch- schul-, sondern auch Fachhochschullehrer als Prozess- vertreter zugelassen. Und schließlich haben wir dafür gesorgt, dass sich Gebietskörperschaften auch durch Ver- treter kommunaler Spitzenverbände vertreten lassen kön- nen.Auch hier braucht man denjenigen, dieVerantwortung tragen, nicht zu erklären, dass das eine Erleichterung und Verbesserung der Prozessvertretung sein kann – und nicht zuletzt auch eine Kostenersparnis für die Gemeinden. Nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung von einem auf zwei Monate verlängert worden ist. Damit sind wir einer von der Rechtsanwaltschaft vielfach geäußerten Bitte nachgekommen; es hat sich gezeigt, dass die bis- herige Frist häufig nicht ausgereicht hat, insbesondere, wenn sich die Parteien erst kurz vor Ablauf der Beru- fungsfrist an einen Anwalt gewandt haben. Das zeigt, dass Rechtspolitik der Koalition immer an der Sache orientiert ist und das Ziel verfolgt, den Menschen in ihren prakti- schen Problemen zu helfen. Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Die 7. VwGO-No- velle steht – erst recht in diesen Tagen – nicht im Zentrum des öffentlichen Interesses. – Gerade weil nur eine Fachöffentlichkeit berührt ist, wäre es für das Bundesjus- tizministerium und die Koalitionsfraktionen eine Chance gewesen, auch im Ergebnis sachorientiert und kooperativ mit allen Seiten dieses Hauses zu sprechen. Leider wurde diese Chance vertan. Nach den Berichterstatterge- sprächen hat sich mein Eindruck verfestigt, dass die Ver- antwortlichen im Bundesjustizministerium ziemlich bera- tungsresistent sind und von den wirklichen Verhältnissen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit nur wenig wissen. Dies erlaube ich mir als ehemaliger Richter am Hessischen Verwaltungsgerichtshof – ohne Schärfe, aber aus eigener Erfahrung – anzumerken. Schon die redaktionelle Überschrift „Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Ver- waltungsprozess“ lässt den eigentlichen Anlass für diese VwGO-Novelle vollkommen unerwähnt: Anlass war nämlich die dem Gesetzgeber durch das Bundesverfas- sungsgericht aufgegebene Pflicht, bis zum 31. Dezember 2001 eine verfassungskonforme neue Regelung der in § 99 VwGO enthaltenen Vorlage- und Auskunftspflicht der Behörden zu schaffen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119844 (C) (D) (A) (B) Immerhin regelt der jetzt zur Beratung anstehende Ent- wurf – nach einem Berichterstattergespräch mit Experten aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit, der Anwaltschaft und der Geheimdienste – in einem so genannten ,,in-camera- Verfahren“ sowohl den nur selten in der Praxis auftreten- den Fall der Einsichtsklage als auch den „Normalfall“ der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Auch mit der jetzt gefundenen Formulierung wird sich allerdings nicht ver- hindern lassen, dass den ein oder anderen Richter in der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Gefühl beschleichen wird, er sei nicht vertrauenswürdig genug, die jedem Richter in jedem Verfahren obliegende Geheimhaltungspflicht ge- rade auf dem hier anstehenden Gebiet einzuhalten. Lassen Sie mich aber nunmehr zu den neu geregelten Fragen des Rechtsmittelsystems kommen. Mit der 6. VwGO-Novelle führte der Gesetzgeber die Zulas- sungsberufung und die Zulassungsbeschwerde ein. Er glaubte, mit diesen Regelungen die Oberverwaltungsge- richte bzw. die Verwaltungsgerichtshöfe von überflüssi- gen Berufungen freistellen und gleichzeitig das Bundes- verwaltungsgericht als Revisionsinstanz entlasten zu können. Ob die Erfüllung dieser Erwartung belegt ist, bleibt freilich offen. Mit der jetzigen Reform, die – anders als in der Begründung des Entwurfs ausgeführt – mehr als eine Randkorrektur darstellt, ist das besondere vorge- schaltete Zulassungsverfahren auch für Eilsachen (§§ 80, 123 VwG0) zu Recht wieder aufgehoben worden. Inso- weit hat der Entwurf der Praxis Rechnung getragen, die die Untauglichkeit dieses Verfahrens erwiesen hat. Nicht selten hatten nämlich die Beschwerdeinstanzen, OVG und VGH, wegen der Eilbedürftigkeit über die Zulassung und über die Beschwerde in der Sache gleichzeitig ent- schieden. Dagegen bleibt es hinsichtlich der Zulassung der Be- rufung unerklärlich, warum die Bundesregierung das seit über 40 Jahren gut funktionierende System der Revisi- onszulassung (§§ 132, 133 VwG0) nicht auch auf die Be- rufungszulassung erstreckt hat. Das gilt in doppelter Hinsicht: Während nach der 6. Novelle nur das Beru- fungsgericht auf Antrag der Beteiligten die Berufung zu- lassen konnte, führt der jetzige Entwurf – insoweit systemkonform – die Entscheidung über die Rechtsmit- telzulassung unmittelbar durch die Verwaltungsgerichte ein. Allerdings bleibt der Entwurf auf halber Strecke ste- hen. Anstatt die Nichtzulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht zu regeln mit der Möglichkeit, diese durch Nichtzulassungsbeschwerde mit Abhilfemöglich- keit des erlassenden Gerichts erster Instanz (VG) oder der Entscheidung des mit der Berufung anzurufenden Ge- richts zweiter Instanz (OVG, VGH) erstreiten zu können, muss – für den Fall, dass die Berufung nicht ausdrücklich vom Gericht zugelassen wird – ein selbstständiger neuer Antrag auf Zulassung an das OVG bzw. an den VGH ge- stellt werden. Abgesehen davon, dass nicht erkennbar ist, inwieweit ein insolierter Antrag auf Zulassung an das OVG einen größeren Entlastungseffekt bewirken sollte als eine Nicht- zulassungsbeschwerde, wird darüber hinaus ein neuer Verfahrensweg erfunden, der naturgemäß auch neue Fra- gen aufwerfen wird. Der zweite Wertungswiderspruch im System der Rechtsmittel Berufung und Revision ist in den unterschiedlichen Zulassungsgründen zu sehen: Es wird das Geheimnis der Bundesregierung bleiben, warum die Gründe einer Berufungszulassung durch das Verwal- tungsgericht in § 124 a auf die Gründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 beschränkt bleibt und nicht auch auf Nr. 2 er- streckt wird; ich jedenfalls vermag es nicht zu lüften. Warum der bisherige Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO alt) im Berufungsverfahren ei- nem neu geschaffenen Berufungsgrund „wenn die Fort- bildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Oberverwaltungs- gerichts erfordert“ (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO neu) zum Opfer fällt, während er als Revisionsgrund unverändert bleibt (§ 132 Abs. 2 VwGO), ist dagegen gänzlich uner- findlich. Vielleicht liegt es daran, dass das Bundesjustiz- ministerium an dieser – dem Verwaltungsprozess freilich bisher unbekannten – dreifachen Form der Grundsätz- lichkeit, der Fortbildung des Rechts und der Einheitlich- keit der Rechtsordnung geradezu einen Narren gefressen zu haben scheint. Soweit schließlich der Entwurf in § 124 c ein Verfah- ren der Vorlage des Oberverwaltungsgerichts an das Bun- desverwaltungsgericht vorsieht, wird es nach meinem Dafürhalten ein stumpfes Schwert bleiben. Auch hier be- gegnet uns erneut die dem Verwaltungsprozess fremde und aus dem Wettbewerbsrecht entlehnte Formel; denn die Vorlage ist davon abhängig, dass das Oberverwal- tungsgericht mit seiner Auslegung der Zulassungsgründe eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verbun- den sieht oder aber die Fortbildung des Rechts oder die Si- cherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent- scheidung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert. Schon der den Richtern eingeräumte weite Beurteilungs- spielraum und die bekanntermaßen gegen Null gehende Neigung der Richter an den Obergerichten im Bewusst- sein ihrer eigenen intellektuellen Scharfsinnigkeit, sich von Amts wegen vom Revisionsgericht belehren zu las- sen, lässt diese meine Befürchtung zu. Ohne die Einlei- tung eines solchen Vorlageverfahrens auf Antrag eines Beteiligten mit anschließender Beschwerdemöglichkeit gegen die Nichtvorlage – das sah auch der Vorschlag des Verwaltungsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltver- eins vor – wird dieses Verfahren zur Bedeutungslosigkeit verkümmern. Die zentralen Vorschläge dieser Novelle sind für die Praxis eher ungeeignet. Sie sollten daher besser nicht Ge- setz werden. Meine Fraktion kann deshalb im Ergebnis diesem Gesetzentwurf auch nicht zustimmen. Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Rechtsschutz im Verwaltungsprozess ist be- sonders wichtig für die Durchsetzung der Rechte der Bür- gerinnen und Bürger gegenüber dem Staat. Daher macht Rot-Grün zahlreiche Einschränkungen des Rechts- schutzes im Verwaltungsprozess durch die Vorgänger- regierung wieder rückgängig, Nachdem Schwarz-Gelb den Rechtsschutz kräftig zusammengestrichen hat, wird der Rechtsschutz jetzt wieder wesentlich erweitert. Dabei wurden wertvolle Anregungen aus dem Bund Deutscher Verwaltungsrichter und der Verwaltungsrichterschaft ins- gesamt aufgenommen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19845 (C) (D) (A) (B) Folgende Kernpunkte möchte ich an dieser Stelle her- vorheben: Die Frist für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird auf zwei Monate ab Zustel- lung des Urteils verlängert. Die derzeitige Frist von einem Monat macht in der Praxis Schwierigkeiten namentlich in komplizierten Fällen, zum Beispiel wenn für eine sachge- rechte Begründung ausgedehntes Aktenstudium erforder- lich ist. Weiter entfällt das Zulassungserfordernis bei der Beschwerde in den Verfahren des vorläufigen Rechts- schutzes und der Prozesskostenhilfe. Es hat sich in der Praxis nicht bewährt. Weder ist die Dauer der Beschwer- deverfahren vor den Oberverwaltungsgerichten zurück- gegangen noch hat die Zulassungsbeschwerde zu einer Beschleunigung der Verfahren geführt. Es spricht – im Gegenteil – viel dafür, dass die Zwischenschaltung des Zulassungserfordernisses Verfahrensverzögerungen pro- voziert. Die Gründe, unter denen die Berufung durch das Oberverwaltungsgericht zuzulassen ist, werden moderat erweitert: Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheit- lichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Oberver- waltungsgerichts erfordert. In diesen Fällen besteht über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer Entscheidung des Berufungsgerichts. Das Verwaltungsgericht kann die Berufung in Fällen zulassen, in denen eine Entscheidung des Oberverwal- tungsgerichts zur Rechtsfortbildung und Rechtsverein- heitlichung geboten ist. Die Zulassung ist im Urteil aus- zusprechen. Damit wird eine Verzögerung des Verfahrens durch ein gesondertes Zulassungsverfahren vermieden. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassungsent- scheidung des Verwaltungsgerichts gebunden. Trifft das Verwaltungsgericht keine positive Zulassungsentschei- dung so ist – wie bisher – hinsichtlich aller Zulassungs- gründe ein Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen, über den das Oberverwaltungsgericht entscheidet. Es gibt also keine Einschränkung der Zulassungskompetenz der Obergerichte. Das Gesetz soll zum 1. Januar 2002 in Kraft treten. Dieses Datum ist im Hinblick auf die ebenfalls vorgese- hene Änderung des § 99 VwGO geboten. Mit Beschluss vom 27. Oktober 1999 hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich § 99 VwGO für unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG erklärt. Den Gesetzgeber hat es verpflichtet, dies bis zum Ablauf des 31. Dezember 2001 sicherzustel- len. Der angesprochene Punkt liegt mir besonders am Her- zen: Aufgrund einer Entscheidung des BVerfG wird durch unser Betreiben nun endlich in § 99 eine Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle eingeführt werden, wenn eine Be- hörde eineAuskunft oder die Einsichtnahme inAkten oder Urkunden wegen Geheimhaltungsinteressen verweigert. Im Regierungsentwurf war der Rechtsschutz nur für Verfahren geregelt, deren Klagegegenstand die Heraus- gabe der Akten beziehungsweise die Erteilung der Aus- kunft war. Wir haben uns demgegenüber von Anfang an dafür eingesetzt und das nun im Ergebnis auch durchge- setzt, dass der Rechtsschutz auch gegeben ist, wenn die Akteneinsicht nicht Klagegegenstand ist, eben in einem Verfahren inzident eine Rolle spielt. Die Art der Verfah- ren, in dem die Verweigerung einer Auskunft oder Ak- teneinsicht auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden kann, ist jetzt nicht mehr begrenzt. Diskutiert wurde darüber, welches Gericht die Recht- mäßigkeit der Verweigerung der Akteneinsicht überprü- fen soll. Die Geheimdienste und auch das AA wollten, dass dies nur das BVerwG sein darf, weil bei einer Zu- ständigkeit der OVGs die Gefahr, dass geheime Inhalte öffentlich werden, zu groß sei. Dann hätte es aber nur eine Instanz gegeben, die über die Rechtsmäßigkeit der Ver- weigerung der Akteneinsicht entschieden hätte. Jetzt wurde ein Kompromiss gefunden, nach dem grundsätzlich die OVGs entscheiden, das BVerwG aber zuständig ist, wenn die oberste Bundesbehörde die Vor- lage mit der Begründung verweigert, das Bekanntwerden der Inhalte würde dem Wohl des Bundes Nachteile berei- ten. Insofern haben wir hier durchgesetzt, dass es jeden- falls grundsätzlich eine zweite Instanz gibt. Rainer Funke (FDP): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungs- prozess beinhaltet neben zahlreichen zweckmäßigen Än- derungen auch zwei Änderungen, die für uns Liberale nicht akzeptabel sind und daher von unserer Seite zur Ab- lehnung des Gesetzesentwurf führen. Der selbst gewählte Zwang, für jede Novelle einen möglichst passenden Namen und Abkürzungen zu finden, führt manchmal zu kuriosen Abkürzungen, wie im vorlie- genden Fall, aber auch zu einer Namensgebung, die mit den tatsächlichen Änderungen des Verwaltungsprozesses mehr am Rande zu tun hat. Eine manchmal schlichtere Formulierung wie die x-te Novelle zur Verwaltungsge- richtsordnung VwGO wäre da schon zweckdienlicher. Das ist aber nicht der Grund für unsere Ablehnung, wie Sie sich denken können, sondern die Gestaltung des In- camera-Verfahrens. Hierbei handelt es sich im Grunde ge- nommen um ein Geheimverfahren nach § 99 VwGO. In diesem Verfahren haben weder Kläger noch Beklagte, also die Parteien des Prozesses, Einsichtnahme in ge- heime Unterlagen, die von den Diensten in den Prozess eingeführt werden. Demgemäß kann sich eine Prozess- partei auch gegen eventuell belastende Angaben in den geheimen Unterlagen nicht äußern oder wehren, das Ge- richt darf noch nicht einmal in den Urteilsgründen diese geheimen Unterlagen erwähnen und darstellen, in wel- chem Umfang sie entscheidungserheblich sind. So ist ein solches Verwaltungsgerichtsverfahren für den betroffenen Bürger kein faires Verfahren mit Rede und Gegenrede. Ich verkenne nicht, dass es im Einzelfall auch zum Schutz von Informanten und geheimzuhaltenden Quellen Regelungen für vertrauliche und geheime Angaben geben muss. Ich verkenne auch weiterhin nicht, dass es sich um seltene Fälle handeln wird. Nach den Angaben im Be- richterstattergespräch handelt es sich auf Bundesebene um vier bis fünf Fälle, in denen geheime Angaben der Dienste verwertet werden. Aus grundsätzlichen Erwägun- gen lehnen wir Liberale dieses „in-camera-Verfahren“ ab, auch in der Furcht, dass diese Verfahren immer mehr Ein- gang in unsere Prozessordnungen finden könnten. Das Prinzip, dass nur das zur Urteilsfindung herangezogen werden darf, was im Prozess von den Parteien eingebracht worden ist, darf im Interesse unserer Rechtsstaatlichkeit nicht durchbrochen werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119846 (C) (D) (A) (B) Ein weiterer Grund, der aber nicht ganz so schwerwie- gend ist, ist die Erweiterung der Postulationsfähigkeit in § 67 in Verbindung mit § 52. Es mag durchaus sein, dass durch die Erweiterung der Postulationsfähigkeit sachkun- dige Personen zusätzlich postulationsfähig werden. In ei- nem immer komplizierter werdenden Prozess kommt es jedoch nicht nur auf die reine Fachkunde an, sondern auch auf die richtige Subsumierung des Tatbestandes auf die gegebene Rechtslage. Nach unserer Rechtsordnung, auch des Rechtsberatungsgesetzes, ist dies die Aufgabe der An- waltschaft und sollte aus gutem Grund nicht auf Dritte übertragen werden, denen im Übrigen die Erfahrungen der Prozessführung häufig fehlen wird und die nicht der beruflichen Schweigepflicht unterliegen, und zudem keine Haftpflichtversicherung für den Fall der Schlecht- beratung haben. Eine Einschränkung der Postulations- fähigkeit kommt damit dem Mandanten zugute und ist auch eine Form des Vertrauensschutzes. Daher ist eine Er- weiterung der Postulationsfähigkeit abzulehnen. Für die gute Atmosphäre in den geführten Bericht- erstattergesprächen und bei der Anhörung der Sachver- ständigen möchte ich mich an dieser Stelle abschließend ausdrücklich bedanken. Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Ich bin keine Anhängerin ständiger Änderungen von Rechtsvorschriften, da dies nicht zur Rechtsstabilität und Rechtssicherheit beiträgt. Es sind eben nicht immer neue Lebenssachverhalte bzw. gewandelte Verhältnisse, die gesetzgeberisches Handeln erforderlich machen, sondern nicht selten auch Rege- lungsunzulänglichkeiten, die in der Rechtspraxis zutage treten. Doch wenn es darum geht, ein Gesetz aus Gründen des Rechtsschutzes im Interesse der Bürgerinnen und Bürger nachzubessern, dann muss erneut und auch kurz- fristig geändert werden. So verhält es sich mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Ver- waltungsprozess. Hier hat die Rechtsprechung sehr schnell nach dem In-Kraft-Treten des 6. VwGO-Ände- rungsgesetzes offenbart, dass das Zulassungsrecht eine erhebliche Hürde für den Zugang zu den Rechtsmittelver- fahren darstellt. Die Praxis hat bekanntlich von allem ge- zeigt, dass die bisherigen Fristen für die Einlegung und Begründung der Anträge auf Zulassung von Berufung und Beschwerde viel zu knapp bemessen sind. Nicht selten werden deshalb Zulassungsanträge mangels hinreichen- der Begründung als unzulässig verworfen. Da es nicht sein darf, dass in der Sache aussichtsreiche Rechtsmittel an solchen Schwierigkeiten scheitern, ist allein schon die Verlängerung der Frist für die Begründung des Antrags auf Berufungszulassung ein hinreichender Grund für die Änderung des Gesetzes. Ganz im Interesse eines optimalen Rechtsschutzes, der Rechtsfortbildung als auch der Rechtseinheitlichkeit steht weiterhin die Verbesserung der Möglichkeiten der Ver- waltungsgerichte, Berufungen an die Oberverwaltungs- gerichte zur Klärung von Rechtsfragen zuzulassen. Dem dient natürlich auch das Vorlageverfahren an das Bundes- verwaltungsgericht zur Auslegung und Klärung von Zweifelsfragen bei der Zulassung der Berufung. So wie bei der Diskussion um die ZPO-Reform muss ich aber auch hier kritisieren, dass das Verwaltungsgericht die Berufung nicht zulassen soll, wenn es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt um eine schwierige tatsächliche oder rechtliche Frage – § 124 Abs. 2 Nr. 2 – handelt. Eine solche Bereinigung des Rechtsmittelrechts habe ich mir nicht gewünscht. Für begrüßenswert erachte ich dagegen die Erweite- rung der Postulationsfähigkeit insbesondere von Mitglie- dern und Angestellten von Gewerkschaften. Ihre spezielle Sachkunde rechtfertigt meines Erachtens unbedingt ihre unmittelbare Teilnahme an einschlägigen Verwaltungs- verfahren. Ihre fehlende Prozesserfahrung, die von Geg- nern dieser Regelung ins Felde geführt wird, dürften sie nach entsprechender Gerichtspraxis sehr schnell gewin- nen. Ein neuer Weg wird im Verwaltungsprozess mit dem so genannten „in camera“-Verfahren beschritten. Auch hier geht es letztlich um die Gewährung von Rechts- schutz, nämlich dann, wenn die Vorlage wichtiger ge- heimhaltungsbedürftiger Akten durch die Behörden von wesentlicher Bedeutung für das betreffende Verfahren ist. Es ist dem Bundesverfassungsgericht zu danken, dass es durch einen Beschluss vom 27. Oktober 1999 den Weg für die Einführung des „in camera“-Verfahrens im deutschen Verwaltungsprozessrecht frei gemacht und den Gesetzge- ber bis zum 31. Dezember dieses Jahres zur Neuregelung verpflichtet hat. Unbefriedigend bleibt aber die Situation im Falle einer berechtigten Verweigerung der Aktenvorlage aus aner- kannten Geheimnisschutzgründen. Was ist dann mit dem effektiven gerichtlichen Rechtschutz? Ein wenig erinnert dieses Verfahren schon an Kabinettsjustiz. Gleichwohl ist es ein Fortschritt im Vergleich zur bestehenden Rechtslage. Ich denke aber dennoch, dass wir uns über kurz oder lang mit der zugegebenermaßen sehr schwierigen Frage der „in camera“-Verwertung auseinander setzen müssen. Es muss sowohl eine rechtsstaatlich als auch eine sicherheitspoli- tisch vertretbare Möglichkeit geben, dass im Extremfall der Sicherheit wegen die Gerechtigkeit nicht geopfert wird. In den Gesamtabwägung gebe ich dem Gesetzentwurf dennoch meine Zustimmung, da seine Vorteile gegenüber dem geltenden Recht eindeutig überwiegen. Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Justiz: Der heute zur Verabschiedung stehende Entwurf bringt eine Reihe praktischer Änderun- gen für das verwaltungsgerichtliche Verfahren. Die bei- den Schwerpunkte sind: Änderungen im Bereich der Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Entscheidungen und die Umsetzung einer bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung zur Frage, wie im Verwaltungsprozess mit geheimhaltungsbedürftigen Urkunden, Akten oder Aus- künften der Behörden umzugehen ist. Lassen Sie mich mit dem zweiten Komplex beginnen: Effektiver verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz setzt regelmäßig die Kenntnis der bei der Behörde entstande- nen Verwaltungsvorgänge voraus. Daher müssen diese Vorgänge im Verwaltungsprozess grundsätzlich vorgelegt werden. Im Konflikt zwischen effektiver Rechtsschutzge- währung und behördlichem Interesse an der Geheimhal- tung der Vorgänge ließ das bisher geltende Recht jedoch Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19847 (C) (D) (A) (B) ausreichen, dass die Behörde die zur Nichtvorlage be- rechtigenden Umstände gegenüber dem Gericht glaubhaft machte. Diese Rechtslage hat das Bundesverfassungsgericht in der ihnen bekannten Entscheidung vom 27. Oktober 1999 mit dem aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes folgenden Gebot effektiven Rechtsschutzes für unvereinbar erklärt. Die jetzt vorgesehene Neuregelung greift das vom Bundesverfassungsgericht vorgeschlagene Modell eines „in-camera-Verfahrens“ auf: In einem Zwischenverfahren entscheidet ein Gericht in Kenntnis der betroffenen Vor- gänge oder Auskünfte über deren Geheimhaltungsbedürf- tigkeit. Zu diesem Zweck sind die Vorgänge allein dem Gericht zugänglich zu machen. Der Kläger oder Antrag- steller erhält bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Gerichts von ihrem Inhalt keine Kenntnis. Er hat kein Recht auf Akteneinsicht. Die Entscheidungsgründe dür- fen sich zu dem geheimhaltungsbedürftigen Akteninhalt nicht verhalten. Die mit der Neuregelung verbundene Ein- schränkung des rechtlichen Gehörs ist im Interesse eines effektiveren Rechtsschutzes hinzunehmen. Die Begründungspflicht der Gerichte nach § 122 Abs. 2 VwGO ist durch die Neuregelung übrigens nicht berührt. Soweit danach eine Begründungspflicht besteht, muss das Gericht plausibel darlegen, worauf es seine Ent- scheidung stützt. Dazu gehört in jedem Fall die Mittei- lung, dass das Gericht die Akten oder Urkunden eingese- hen hat oder dem Gericht die geheim zu haltenden Auskünfte erteilt worden sind. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht mit dem „in-camera-Verfahren“ ein praktikables Modell bereits vorgegeben hatte, blieben im Gesetzgebungsverfahren eine Reihe von Fragen zu klären: Sollte das „in-camera-Verfahren“ auf den – der verfas- sungsgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden – Fall beschränkt werden, in dem mit der Klage Auskunft oder Einsicht in die Verwaltungsvorgänge gefordert wird? Oder sollten die Fälle einbezogen werden, in denen das Klageziel zwar ein anderes Verwaltungshandeln ist, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns aber nur in Kenntnis der nach Auffassung der Behörde geheim- zuhaltenden Vorgänge beurteilt werden kann? Im Gesetz- gebungsverfahren hat sich – zu Recht, wie ich meine – die weitere Auffassung durchgesetzt. Praktikabilitätserwä- gungen sprechen dafür, den Gerichten in allen Verfahren, in denen es für die Entscheidung auf geheimhaltungsbe- dürftige Vorgänge ankommt, ein einheitliches Verfahren an die Hand zu geben. Die uneingeschränkte Nachprü- fung durch ein unabhängiges Gericht ist unter dem Ge- sichtspunkt des effektiveren Rechtsschutzes der bloßen Überprüfung der von der Behörde nur glaubhaft zu ma- chenden Geheimhaltungsgründe vorzuziehen. Zu entscheiden war auch, vor welchem Gericht der Zwischenstreit über die Frage der Geheimhaltung ausge- tragen werden soll. Der Entwurf entscheidet sich für die Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte und in den besonders sensiblen Fällen, in denen das Bekanntwerden der Vorgänge Nachteile für das Bundeswohl nach sich zie- hen kann, für die Zuständigkeit des Bundesverwaltungs- gerichts. Das Bundesverwaltungsgericht wird damit re- gelmäßig zuständig sein, wenn es um Vorgänge des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz oder des Militärischen Abschirmdienstes geht. Die Konzentration der Verfahren bei einigen weni- gen Gerichten hält auch den Aufwand der für die nicht richterlichen Mitarbeiter der Gerichte durchzuführenden Sicherheitsüberprüfungen gering. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts unterliegt – anknüpfend an das geltende Recht – der Beschwerde. Für die unmittelbar durch das Bundesverwaltungsgericht zu entscheidenden Fälle steht naturgemäß nur eine Instanz zur Verfügung. Dies erscheint mir angesichts der regelmäßigen Qualität oberstgerichtlicher Entscheidungen aber auch gut vertret- bar. In seinem zweiten Schwerpunkt bringt der Entwurf notwendige Korrekturen für das Rechtsmittelverfahren gegen Entscheidungen der ersten Instanz. Einige der mit der 6. Novelle zur VwGO 1997 in Kraft getretenen Regelungen haben zu praktischen Schwierigkeiten ge- führt, die jetzt behoben werden. So mussten die Fristen für die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung verlängert werden. Die Zulassungsbeschwerde in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und der Pro- zesskostenhilfe hat sich nicht bewährt, insbesondere nicht zu der erhofften Verkürzung der Verfahrensdauer geführt. Sie wird daher wieder abgeschafft. Die Notwendigkeit der Berufungszulassung durch das Oberverwaltungsgericht hat die notwendige und erhoffte Entlastung der zweiten Instanz gebracht. Jedoch hat sich die Zulassungspraxis der Oberverwaltungsgerichte deut- lich restriktiver entwickelt als vom Gesetzgeber der 6. Novelle erwartet und bei Formulierung der Zulassungs- gründe zugrunde gelegt. Darüber hinaus kann es ein deut- liches – zuerst von den Verwaltungsgerichten wahrgenom- menes – Bedürfnis geben, in neu auftretenden Streitfragen rasch zu einer einheitlichen obergerichtlichen Rechtspre- chung zu gelangen. Diesen Gesichtspunkten wird Rech- nung getragen durch die Einführung eines erweiterten Zu- lassungsgrundes in § 124 Abs. 1 Nr. 4 und durch die Befugnis des Verwaltungsgerichts, unter bestimmten Vor- aussetzungen seinerseits die Berufung zuzulassen. Be- wusst entscheidet sich der Entwurf für das Nebeneinander von Berufungszulassung durch Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht – damit auch für eine Abwei- chung vom Modell der Revisionszulassung. Die Alterna- tive – Zulassungskompetenz für alle Zulassungsgründe allein beim Verwaltungsgericht – hätte die durch die 6. Novelle erreichte Entlastung weitgehend infrage ge- stellt. Das haben uns die Länder nachdrücklich vor Augen geführt. Um bei der Auslegung der Berufungszulassungs- gründe eine rasche oberstgerichtliche Klärung zu ermög- lichen, sieht der Entwurf ein Vorlageverfahren der Ober- verwaltungsgerichte an das Bundesverwaltungsgericht vor. Von der Möglichkeit einer Beschwerde, falls das OVG von der Vorlagemöglichkeit keinen Gebrauch macht, haben wir abgesehen: Damit soll weiteren Verzö- gerungen des Verfahrens vorgebeugt werden. Ich halte diese Ausgestaltung des Vorlageverfahrens für einen guten Kompromiss zwischen der Ermöglichung einer oberstgerichtlichen Entscheidung und dem Interesse an der Verfahrensbeschleunigung. Ich bitte um Ihre Zustimmung zu dem Entwurf. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119848 (C) (D) (A) (B) Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Anträge – Mobilfunkstrahlung minimierten – Vorsorge stärken – Mobilfunkforschung und Information voran- treiben (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Marlene Rupprecht (SPD): Wir haben die Besorgnis und Unsicherheit in der Bevölkerung hinsichtlich mögli- cher Belastungen durch nicht ionisierende elektromagne- tische Strahlung immer ernst genommen und bereits in der 13. Wahlperiode in mehreren Anfragen und einem Ent- schließungsantrag gefordert, dass die Regelungen der 26. BlmSchVO jeweils dem aktuellen Stand der wissen- schaftlichen und technologischen Erkenntnisse angepasst werden. Seit 10 Jahren nimmt nun die Entwicklung des Mobilfunks einen dynamischen Verlauf mit der Folge, dass bis heute in Deutschland 62 Millionen Handys benutzt werden. Allein die Tatsache, dass die 26. BlmSchVO gar nicht für das Handy gilt, sondern nur für die ortsfesten Sen- deanlagen, zeigt, wie wichtig die Überprüfung dieser Ver- ordnung bzw. die Umgangsweise mit dieser Technik ist. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit hat zur Vorbereitung einer Novellierung des- halb im Juli 2001 eine Anhörung mit allen Betroffenen, Betreibern, Herstellern, Wissenschaftlern und Bürger- initiativen durchgeführt. Die Fraktionen haben anschlie- ßend für sich beraten, was sie aus den Ergebnissen in parlamentarische Anträge umsetzen wollen. Zwei dieser Anträge sind heute Gegenstand der Beratung. Auch die Bundesregierung überprüft zurzeit die Rege- lungen in dieser Verordnung und so stehen auch die bis- herigen Grenzwerte auf dem Prüfstand. Die Strahlen- schutzkommission hat in ihrem Gutachten zunächst Entwarnung gegeben, weil sie nach der Bewertung der neueren wissenschaftlichen Literatur keine neuen wissen- schaftlichen Erkenntnisse gefunden hat, die Zweifel an der bisherigen Einschätzung aufkommen ließen. Dennoch halten wir aus Gründen der Vorsorge auch die Prüfung der Aufnahme von Vorsorgewerten zu den bisherigen Grenz- werten in die Verordnung für unabdingbar. Des Weiteren halten wir die Lösung wichtiger Probleme wie fehlende Informationen vor Ort über die Mobilfunktechnik selbst, ihre Strahlungswerte sowie über das, was in den Häusern ankommt, für äußerst dringend. Auch sind wir der Mei- nung, dass die Mobilfunkbetreiber zu verpflichten sind, bei Einführung neuer Technologien zukünftig und früh- zeitig alle notwendigen Daten zur gesundheitlichen Be- wertung vorzulegen bzw. zu generieren. Die Forderung der PDS nach Einführung von immissi- onsschutzrechtlichen Planfeststellungsverfahren ist dem- gegenüber angesichts der Zahl zu erwartender Verfahren völlig überzogen. Was sollen 40 000 Umweltverträglich- keitsprüfungen bei dieser Technologie ergeben, wenn eine Anlage Grenzwerte einhält, die wissenschaftlich nicht wi- derlegt sind, oder im Falle der Aufnahme von Vorsorge- werten Umweltschädigungen des Menschen – von den Umweltkompartimenten Boden, Wasser und Luft einmal gar nicht zu reden – ausgeschlossen werden können? Über die Einführung von Genehmigungsverfahren un- ter Beteiligung der Öffentlichkeit kann man nachdenken und es spricht auch nichts dagegen, sofern seitens der be- troffenen genehmigenden Behörden die Durchführung der Verfahren bewältigt werden kann und auch sonst die Sinnhaftigkeit geklärt ist. Es ist auch ernst zu nehmen, was über den Gebrauch von Handys durch Kinder während der Anhörung gesagt wurde. Eine Informations- pflicht der Hersteller über die SAR-Werte sollte aufge- nommen werden. Einige Firmen wie Siemens zum Bei- spiel reagieren bereits auf die Forderung und veröffentlichen ihre Daten im Internet, einige leider nur in englischer Sprache. Der vorliegende PDS-Antrag gibt in vielen Punkten den aktuellen Diskussionsstand wieder. Die PDS beruft sich aber leider in einigen Punkten des Antrages nur auf die Argumente der Mobilfunkgegner, obwohl bei der An- hörung klar herauskam, dass es für einen großen Bereich keine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse gibt. Der Antrag enthält Forderungen, die grundsätzlich das Pro- blem treffen, die dafür vorgeschlagenen Lösungsansätze schießen aber oft über das Ziel hinaus oder sind schlicht nicht praktikabel, weil sie jede Verwaltung mit der Fülle von Prüfungsverfahren lahm legen würde. Zum CDU/CSU-Antrag lässt sich Folgendes sagen: Er fokussiert die Probleme im Zusammenhang mit Mobil- funk auf einen Informationsmangel der Bürger als Ursa- che. Es ist sicher richtig, dass hier ein Nachholbedarf besteht. Dass die Forschung intensiviert werden soll, be- grüßen wir ebenfalls. Leider sieht die CDU/CSU nur die Bundesregierung allein in der Pflicht als Geldgeber für Informationsmaßnahmen und die Forschung. Hier sind aber die Mobilfunkbetreiber als Verursacher wie auch als diejenigen, die mit dieser Technik Gewinne machen wol- len, gefragt. Die Notwendigkeit weiterer Forschung wurde von der Bundesregierung bereits erkannt. Sie hat, wie im CDU/CSU-Antrag bereits erwähnt, Leistungen des Bundesumweltministeriums in Höhe von 8,5 Milli- onen Euro für die Jahre 2002 bis 2005 für diesen Bereich eingestellt. Das heißt nicht, dass nicht alle Mobilfunkbe- treiber aufgerufen sind, ähnliche Anstrengungen zu er- bringen. Alle anderen Aspekte im Themenbereich Mobilfunk wurden im Antrag der CDU/CSU wenig oder nicht be- achtet. Deshalb ist auch dieser Antrag keine Lösung und muss abgelehnt werden. Ilse Aigner (CDU/CSU): Die Mobilfunktechnologie ist in den letzten Jahren zu einer in breiten Bevölkerungs- schichten genutzten Technologie geworden. Etwa 50 Mil- lionen Benutzer sind allein in Deutschland registriert. Es wird überall telefoniert: auf der Straße, in Gaststätten, in Schulen, im Auto und wo auch immer. Damit dies über- haupt geschehen kann, sind mittlerweile Tausende von Basisstationen aufgestellt worden bzw. sollen noch auf- gestellt werden. Hinzu kommen weitere Stationen, da die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19849 (C) (D) (A) (B) Bundesregierung die UMTS-Lizenzen mit der Bedingung versteigert hat, dass künftig 50 Prozent der Bevölkerung mit dieser neuen Technologie erreichbar sein soll. Mittlerweile regt sich in der Bevölkerung erheblicher Widerstand gegen die Errichtung der Basisstationen der jetzigen Mobilfunktechnik GSM und Befürchtungen we- gen der neuen UMTS-Technik. Die Bundesregierung verfugt über vielfältige Erkenntnisse durch Studien und hat diese auch durch die Strahlenschutzkommission be- werten lassen. Als Grundlage hierzu dienen die in der 26. BImSchV festgesetzten Grenzwerte. Aufgrund der Verunsicherung in der Bevölkerung über die gesundheitlichen Auswirkungen des Mobilfunks hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bereits am 3. April dieses Jahres eine Große Anfrage an die Bundesregierung gestellt. In seinem Schreiben vom 22. Mai 2001 teilte der Bundesumweltminister Trittin mit, dass die Bundesregie- rung die Antworten bis Ende Juli vorlegen wird. Nachdem mehrfach nachgefragt wurde, setzte das Bundesumweltministerium in einem zweiten Schreiben vom 16. Juli 2001 die CDU/CSU-Bundestagsfraktion le- diglich davon in Kenntnis, dass die Beantwortungsfrist von ihrer Seite bis zum 15. Oktober verlängert wurde. In der Begründung heißt es, dass die Sitzung und der Bericht der Strahlenschutzkommission, SSK, für die Beantwor- tung der komplexen Anfragen nötig ist. Dieser Bericht liegt der Öffentlichkeit seit dem 13. September, seit nun- mehr zwei Monaten vor. Die Antwort der Bundesregie- rung ist jedoch immer noch offen. Interessant war übrigens eine Formulierung im ersten Schreiben des Bundesministers: „Die Bundesregierung ist bereit, die Große Anfrage zu beantworten.“ Diese Formu- lierung zeigt schon ein hohes Maß an Arroganz. Ist doch die Bundesregierung laut Geschäftsordnung des Deut- schen Bundestages dazu verpflichtet, Große Anfragen in- nerhalb von sechs Monaten zu beantworten! Alles andere ist Willkür. Anscheinend ist der Bundesregierung die In- formation und das Interesse der Bevölkerung nicht wich- tig. Oder soll hier etwas verschwiegen werden? Mittlerweile hat die Bundesregierung eine erneute Ver- längerung bis Mitte Dezember beantragt. Offensichtlich spielt die Bundesregierung auf Zeit und hofft, dass sich das Thema Mobilfunk von allein löst. Dies ist aber wahr- scheinlich eine beträchtliche Fehleinschätzung, insbeson- dere deshalb, weil gerade auch Repräsentanten der Re- gierungskoalition vor Ort alles Mögliche fordern, ohne selbst auf Bundesebene tätig zu werden. Durch die für die Bundesregierung typische Hinhalte- und Schweigetaktik lässt sie die Bürgerinnen und Bürger im Regen stehen und gibt auch der Industrie keine Pla- nungs- und Rechtssicherheit. Nachdem die Beantwortung nun schon mehrfach verschoben worden ist, hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion – auch aufgrund der Er- gebnisse der Strahlenschutzkommission – entschlossen, den Ihnen vorliegenden Antrag zu stellen. Wir sehen den primären Grund für die Verunsicherung in der Bevölkerung in dem Fehlen von ausreichenden Kenntnissen über das Funktionieren des Mobilfunknet- zes. Notwendig ist, den Verbraucher zu informieren, wie die Mobilfunktechnik sicher und rücksichtsvoll genutzt werden kann. Hier müssen dem Verbraucher Fakten und verständliche Daten an die Hand gegeben werden. Durch eine entsprechende Kennzeichnung ist zu gewährleisten, dass der Verbraucher die Möglichkeit hat, diese Daten und Fakten seiner Kaufentscheidung zugrunde zu legen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf: eine Aufklärungskampagne zu intiieren; dafür Sorge zu tra- gen, dass Handys in der Weise gekennzeichnet werden, dass sie verlässliche und eindeutige Angaben über die Sende-, Empfangs- und Strahlungseigenschaften liefern und für eine dauerhafte, entwicklungs- und forschungsbe- gleitende Informationspolitik zu sorgen. Über die wissenschaftlichen Erkenntnisse kann man eigentlich nur eines sicher sagen, dass sich die Wissen- schaftler uneinig sind. Die einzige gesicherte Gemein- samkeit zwischen allen Experten ist, dass weiterhin For- schungsbedarf hinsichtlich der athermischen Wirkungen besteht. Die Kritiker verweisen dabei auf wissenschaftli- che Beweise der Schädlichkeit. Bei genauerer Betrach- tung handelt es sich hier jedoch um wissenschaftliche Hinweise. Dies soll jedoch nicht heißen, dass man genau diesen Hinweisen, die nicht den strengen und reprodu- zierbaren Kriterien eines wissenschaftlichen Beweises genügen, nicht nachgehen sollte. Um Ihnen ein paar Bereiche, bei denen noch For- schungsbedarf besteht, aufzuzeigen, möchte ich einfach aus den Empfehlungen der Strahlenschutzkommission vom September diesen Jahres zitieren. Ich beziehe mich hier auf die Bewertungen wissenschaftlicher Studien hochfrequenter Felder seit 1998 im Kapitel A 3. A 3.1 Interaktionen hochfrequenter elektromagneti- scher Felder mit Zellen und subzellulären Strukturen. A 3.1.1. Moleküle und Membranen Bewertung: „... Deswegen sind weitere Untersuchungen unter gut kontrollierbaren Bedingungen erforderlich“. A 3.1.2. Kalzium Bewertung: „ ... weitere Forschung ist daher gerechtfertigt“. 3.2 Untersuchungen zum Einfluss hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf Menschen und Tiere. A 3.2.2. Elektroenzephalogramm beim Menschen: „... Es kann zusammengefasst werden, dass die bisheri- gen Studien nicht im Ergebnis übereinstimmen, aber, den- noch Hinweise auf expositionsbedingte Änderungen neu- rophysiologischer Prozesse geben ... Daher sind weitere Untersuchungen notwendig“. A 3.2.3. Schlaf „... Deshalb sind die ... Ergebnisse der Einzelstudie ... als unbestätigte Hinweise einzustufen. Zur Abklärung, ob es Schlafstörungen durch hochfrequente Felder gibt, sind kontrollierte, doppelblind durchgeführte Schlafexperimente geeigneter, um zwischen physischen und psychischen Ursachen der Störung unterscheiden zu können“. A 3.2.4. Kognitive Funktionen beim Menschen: „ Die Vielzahl an untersuchten, unterschiedlichen Reaktions- zeittypen, die bei Exposition zum Teil verkürzt, aber an- dere auch verlängert waren, lässt keine eindeutige Be- wertung zu, gibt aber Hinweise auf eine mögliche Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119850 (C) (D) (A) (B) Beeinflussung von physiologischen Prozessen. Es ist wei- tere Forschung notwendig, um zu klären, ob bei der Nut- zung von Handys die Leistungsfähigkeit des Gehirns be- einflusst wird“. A 3.2.5. Blut-Hirn-Schranke: „Schirmacker (Studie SchiOO) sahen an einem In-vitro-Blut-Hirn-Schranken- modell eine Permeabilitätsänderung für Sacherose bei 1,6 GHz (0,3 W/kg). Da es sich um ein künstliches Mo- dell handelte, sollte diese Einzelstudie unabhängig im Tierversuch wiederholt werden. In weiteren Experimen- ten sollten bekannte, für das Gehirn toxische Substanzen auf ihr Permeabilitätsverhalten unter Feldeinwirkung un- tersucht werden. Es kann zusammengefasst werden, dass die Ergebnisse zu einer expositionsbedingten Permeabilitätsänderung der Blut-Hirn-Schranke kein konsistentes Bild ergeben und lediglich als Hinweise zu werten sind. Die offenen Fragen erfordern in Zukunft vorsorglich weitere Untersu- chungen zu dieser Thematik.“ A 3.2.7. Blutparameter und Immunsystem. „..Einzeler- gebnisse können als Hinweise gedeutet werden. Ob diese Reaktion beim Menschen auftritt, muss durch weitere Studien geklärt werden. Im Hinblick auf neue technische Anwendungen, die diesen Frequenzbereich nutzen werden, sind, unabhängig von den vorliegenden Ergebnissen, weitere Untersuchun- gen notwendig“. A 3.3. Hochfrequente elektromagnetische Felder und Krebs. A 3.3.1. Untersuchungen zu krebsrelevanten Protei- nen, Krebsentstehung und -promotion „... Es kann zu- sammenfassend festgestellt werden, dass die Untersu- chungen zu krebsrelevanten Proteinen, Krebsentstehung und Krebspromotion ein sehr uneinheitliches Bild liefern. Inwieweit im Einzelnen und nicht Reproduzierbaren Hin- weise eine Bedeutung für gesundheitliche Beeinflussun- gen haben, muss durch weitere Forschung geklärt wer- den.“ A 3.3.2. Spontane und initiierte Tumorbildung „... Wei- tere Studien zur Tumorentwicklung sollten durchgeführt werden“. Für all die offensichtlich nötige Forschungsarbeit hat die Bundesregierung für die Jahre 2002 bis 2005 lediglich 8,5 Millionen Euro eingeplant. Ob diese Mittel ausrei- chend sind, darf wohl angezweifelt werden. Deshalb for- dert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Bundesregie- rung auf, Mittel einzustellen für ein, den internationalen wissenschaftlichen Regeln und Kriterien der WHO genü- genden Programms zur Erforschung der Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf die menschliche Gesund- heit. Diese sollen ferner laufend unter Einbeziehung von Mobilfunkkritikern überprüft und fortgeschrieben wer- den. Die Bundesregierung hat durch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen 100 Milliarden DM eingenommen und will für die Erforschung der eventuellen gesundheitlichen Auswirkungen dafür lediglich 0,41 Prozent pro Jahr ein- setzen – und das unter einem grünen Umweltminister! Als weiterer wichtiger Punkt hin zu vertrauensbilden- den Maßnahmen ist der Zugang zu den Daten der Regulie- rungsbehörde für Post und Telekommunikation, RegTP, zu nennen. Diese Behörde muss unter Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums ein Standortkataster mit Informationen über die Standorte aller emitierenden An- lagen und der Sendeleistung erstellen. Begleitend dazu müssen fortlaufend flächendeckende Immissionsmessungen durchgeführt und von der RegTP veröffentlicht werden. Die Kommunen müssen auf diese Ergebnisse zugreifen können und müssen ebenso bei der Standortfindung von Sendeanlagen gemäß der Bundes- vereinbarung der kommunalen Spitzenverbände und der Mobilfunkbetreiber mit einbezogen werden. All diese Maßnahmen sollen dazu führen, die Diskus- sion über die Auswirkungen des Mobilfunks auf den Men- schen zu versachlichen, zugleich aber die Befürchtungen aufzunehmen und diese durch eine intensive Forschung aufzuklären. Es kann nicht sein, dass wir die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die kommunalen Mandatsträger bei dieser Thematik im Stich lassen. Bei aller Kompetenzzu- messung der Betroffenen ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie sich bei solch unterschiedlichen Aussagen gerade aus der Wissenschaft ein objektives Bild verschaffen kön- nen. Dies liegt eindeutig in der Kompetenz des Bundes und hier muss die Bundesregierung ihrer Verpflichtung nachkommen. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schnelle Autos und beeindruckend große Funktelefone gehörten für Tom Selleck stets zusammen: Wer Anfang der 90er-Jahre in amerikanischen Krimiserien wie „Mag- num“ Funktelefone vom Ausmaß eines Hundeknochens sah, konnte es sich kaum vorstellen: Seit in Deutschland 1992 das erste Mobilfunknetz in Betrieb ging, sind bereits über 50 Millionen Handys über die Ladentheke gegangen. Der Mobilfunk boomt. Am Strand, im Supermarkt, an der Bushaltestelle: Das Handy ist bei Millionen Menschen immer dabei. Die kleinen Helfer sind längst kein Privileg von Managern und Maklern mehr. Mittlerweile gibt es Schulen, an denen es keine Schüler ohne Handys mehr gibt. Entsprechend groß ist die Verunsicherung in der Be- völkerung: Immer mehr Mobilfunkmasten stehen auf Krankenhäusern, Schulen oder in Wohngebieten. Und überall schließen sich dagegen Bürgerinitiativen zusam- men – inzwischen schon weit über 600. Über 34 000 Mo- bilfunksender gewährleisten zwar eine optimale Funkab- deckung, aber Zweifel an ihrer Unbedenklichkeit sind angebracht. Und die Auseinandersetzung um Mobilfunk wird sich noch weiter verschärfen: Die Vergabe der UMTS-Lizenzen erfordert bis zu 40 000 weitere Sende- anlagen. Ist da der Gesundheitsschutz noch ausreichend gewährleistet? Wir meinen: Nein. Nicht zuletzt die Anhörung des Umweltausschusses am 2. Juli hat eines gezeigt: Ein Beweis der Unschädlich- keit elektromagnetischer Mobilfunkfelder existiert nicht. Im Gegenteil, unabhängige Wissenschaftler haben in den letzten Jahren eine Vielzahl von Hinweisen auf Schädigun- gen gefunden, die auf diese Felder zurückgeführt werden können. Sie gehen aus von der Gefahr von Missbildungen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19851 (C) (D) (A) (B) über eine chromosomenschädigende und krebsfördernde Wirkung bis hin zu Störungen des Hormonhaushaltes und neurochemischen Effekten wie Schlafstörungen oder Aufmerksamkeitsdefiziten. Für uns gilt, dass bis zur Klärung dieser unsicheren Da- tenlage das Vorsorgeprinzip greifen muss. Wir setzen uns daher mit dem Umweltminister für die Einführung von Vorsorge-Grenzwerten ein, die mit den Zielsetzungen ei- nes vorsorgenden Gesundheitsschutzes vereinbar sind. Wir setzen uns für eine bessere Beteiligung von Kommu- nen und Bürgern bei der Aufstellung von Mobilfunkmas- ten ein. Es kann nicht sein, dass weiterhin in Nacht-und- Nebel-Aktionen Sendestationen errichtet werden, ohne dass vorher in einem transparenten Verfahren Standortal- ternativen ausgelotet worden sind. Die Selbstverpflich- tung der Mobilfunkbetreiber mit den kommunalen Spitzenverbänden kann nur ein erster Schritt in die rich- tige Richtung sein. Solange bei uns Beschwerden besorg- ter Bürger eingehen, die nicht am Verfahren beteiligt wur- den, die nicht einmal informiert wurden, braucht die Öffentlichkeitsbeteiligung einen gesetzlichen Rahmen. Wir setzen uns für einen Ausschluss von Sendemasten im nahen Umkreis von Schulen, Kindergärten und Wohn- gebieten ein. Damit folgen wir auch den Empfehlungen der unabhängigen Expertengruppe für Mobilfunk unter Sir Steward, die in Großbritannien beispielsweise auch zu Warnhinweisen der Regierung vor der Handynutzung durch Kinder und Jugendliche geführt hat. Nicht zuletzt fordern wir einen verbesserten Verbrau- cherschutz beim Einsatz der Handy-Endgeräte selbst. Nicht erst der vergleichende Blick in Fachzeitschriften, nein ein einfaches Labeling muss dem Verbraucher Aus- kunft über die Strahlungsintensität seines Gerätes geben, und das, noch bevor er die Verkaufsverpackung öffnet. Veraltete, strahlungsreiche Geräte müssen rasch ausgelis- tet werden. Nicht zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass das Umweltministerium in diesem Jahr die Forschungsmittel für die Risikoabschätzung des Mobilfunks verdoppelt hat. Vorsorgende Politik heißt jedoch, nicht erst auf erst lang- fristig erwartbare Ergebnisse zu warten. Vorsorge ist Ge- genwartspolltik. Der Umweltminister bleibt daher dabei, die anderen Ressorts von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen zu überzeugen. Er bleibt dabei, dass dafür ein Beschluss in der nächsten Länderumweltministerkonferenz herbeige- führt werden soll. Und wir hoffen, dass die Landesregie- rungen schnellstens dort tätig werden, wo sie – wie im Baurecht – eigene Verantwortung tragen. Dem Grundsatz des vorsorgenden Gesundheitsschutzes muss Genüge ge- tan werden. Weil der Umweltminister in dieser Sache längst tätig geworden ist und wir noch in den nächsten Monaten mit der Vorlage des Entwurfs einer novellierten 26. Bundes- Immissionsschutzverordnung rechnen, werden wir dem Antrag der PDS nicht folgen. Detlef Parr (FDP): Wir befinden uns in einem Zwiespalt: Einerseits ist die Mobilfunknutzung gesamt- gesellschaftlich akzeptiert und wir alle haben den UMTS-Lizenzpoker begrüßt. Er hat finanzielle Hand- lungsspielräume eröffnet, die angesichts der prekären Haushaltslage Entlastung geschaffen haben. Andererseits sind mit der öffentlichen Diskussion Sorgen und Ängste in der Bevölkerung gewachsen. Das betrifft vor allem das Verfahren zur Aufstellung von Sendemasten und deren Standortwahl sowie mögliche Gesundheitsgefahren beim Telefonieren mit Handys. Wir müssen Studienergebnisse ernst nehmen, wir dür- fen uns aber keinesfalls vorschnell zu Festlegungen und Vorverurteilungen verleiten lassen. Genau das tut der PDS-Antrag, den wir deshalb ablehnen müssen. Es ist schon seltsam: Da stimmt die PDS der überfälligen und sehr sinnvollen Vergabe eines Forschungsauftrages an das Büro für Technikfolgenabschätzung zu, alle nationalen und internationalen wissenschaftlichen Studien abzuglei- chen und dadurch zu neuen Erkenntnissen zu kommen, und dann stellt die gleiche PDS einen Antrag mit kon- kreten Forderungen, ohne die Ergebnisse der TAB-Unter- suchungen abzuwarten. Das machen wir nicht mit! Die Kernfrage, auf die alles hinausläuft, ist: Ist die elektromagnetische Strahlung von Mobilfunksendern eine reale Gesundheitsgefahr oder hat sich da nur in den Köpfen und emotional etwas aufgebaut? Die Anhörung am 2. Juli 2001 hat auf diese Frage keine hinreichend klaren Antworten gegeben. Die „Ärzte-Zeitung“ kom- mentiert den Verlauf mit der Schlagzeile: „Experten – orientierungslos im Antennenwald“. Dennoch gibt es kei- nen Grund zu überzogenen Reaktionen. Ein hieb- und stichfester wissenschaftlicher Beweis eines Zusammen- hangs von Mobilfunk und Gesundheitsschädigungen liegt bisher nicht vor. Eines möchte ich aber für mich persönlich heraus- stellen: die besondere Schutzwürdigkeit von Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Wachstumsphase hochempfind- lich für die Strahlungen beim mobilen Telefonieren sein können. In fünf Wochen ist Weihnachten. Ich fürchte, wir gehen wieder einen Riesenschritt voran in der flächen- deckenden Versorgung unseres Nachwuchses mit Handys. Bis vergleichbare aussagekräftige Forschungsergebnisse vorliegen, sollten wir meines Erachtens die objektiven In- formationen über die Sendeempfangs- und Strahlungsei- genschaften deutlich verstärken. Eltern sollten sich recht- zeitig Gedanken darüber machen, ob überhaupt und, wenn ja, zu welchem Zeitpunkt ihre Kinder mit einem Handy beglückt werden und wie sie damit umgehen sollen. Han- dys sind kein Spielzeug und eine Rundumerreichbarkeit kein Gradmesser für eine erfüllte Kindheit. Die angestoßene Debatte wird zweifelsfrei aber ein Gutes haben: Die Industrie wird Geräte und Sendeanlagen so optimieren, dass die Strahlenbelastungen sinken. Da braucht es keine neuen Gesetze und Veränderungen von Grenzwerten; davon bin ich überzeugt. Wir sind wach ge- worden und werden nach Vorlage des TAB-Berichtes eine solide Grundlage zur Fortsetzung unserer Beratungen ha- ben. Bis dahin sollten wir uns gedulden, die Debatte ent- emotionalisieren und auf Aktivismus verzichten. Gerhard Jüttemann (PDS): Sind Mobilfunkstrahlen gefährlich? Viele haben Angst. Anfang Juli hat der Um- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 200119852 (C) (D) (A) (B) weltausschuss eine Anhörung zur Mobilfunkstrahlung durchgeführt. Viele Fragen zu diesem komplexen Thema blieben sicher auch danach offen. Aber einiges wurde auch sehr deutlich. Vor allem wurde deutlich, dass die Mobilfunktechno- logie ohne ausreichende Kenntnis der Wirkungen ihrer Strahlung auf die menschliche Gesundheit eingeführt worden ist. Und es wurde deutlich, dass der Vorsorgege- danke bei der Betreibung der Netze bis heute keine Rolle spielt. Mobilfunkstrahlung kann möglicherweise gesund- heitliche Beeinträchtigungen wie Ohrgeräusche, Kopf- schmerzen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierig- keiten, aber auch Tumorbildungen hervorrufen. Das sagt eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien. Dennoch ist in den nun fast fünf Monaten seit der An- hörung vonseiten der Bundesregierung praktisch nichts geschehen, was uns der Lösung der Probleme wenigstens einen Schritt näher bringen könnte. Gebetsmühlenartig wird stattdessen wiederholt, es gebe keine wissenschaftli- chen Beweise für die gesundheitliche Schädlichkeit der Mobilfunkstrahlung und somit keinen Handlungsbedarf. Dieser hanebüchenen Argumentation bedient sich bei- spielsweise der Bundesumweltminister. Wenn es diese klaren wissenschaftlichen Beweise gäbe, müssten Sie die ganze Veranstaltung Mobilfunk sofort komplett abblasen. Kein Mensch verlangt das. Aber wenn es wissenschaftli- che Hinweise darauf gibt, dass die Strahlung gefährlich sein könnte, dann müssen Sie doch auch etwas tun. Im- merhin sagt auch Herr Trittin – ich zitiere – „Wissen- schaftlich noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob und inwieweit auch Felder mit Intensitäten unterhalb der geltenden Grenzwerte gesundheitliche Beeinträchti- gungen verursachen können.“ Ich bitte Sie: Wenn das nicht geklärt ist, dann müssen Sie doch die Menschen schützen, bis es geklärt ist. Ein Weg dafür wäre die Einführung von Vorsorgegrenzwer- ten, wie es sie ja in einigen unserer Nachbarländer gibt. Dort kann übrigens dennoch problemlos mobil telefoniert werden. Dann müssen Sie natürlich auch die unabhängige Forschung forcieren, die in der Vergangenheit in Deutsch- land entschieden vernachlässigt wurde. Bis heute sind dafür allerdings keine befriedigenden Ansätze in der Po- litik der Bundesregierung zu erkennen. Stattdessen soll der Bundeskanzler das Thema nach einem Bericht der „Berliner Zeitung“ vom letzten Wochenende inzwischen zur Chefsache erklärt haben. Dazu kann ich als Sprecher für die Angelegenheiten der neuen Länder nur sagen: Mir reicht schon der Aufbau Ost als Chefsache. Bei diesem Kanzler bedeutet Chefsa- che: Es tut sich wenig bis gar nichts. Und so blockiert die Bundesregierung jegliche Vorschläge zur Absenkung der Grenzwerte, um Unruhe in der TK-Branche zu vermei- den. Diese stellt derweil zu ihren heute 50 000 Mobil- funksendeanlagen an 35 000 Standorten 40 000 neue hinzu und verschärft unser Problem weiter. Antworten Sie nun bitte nicht mit dem Scheinargu- ment, dass eine Einführung von Vorsorgegrenzwerten eine noch größere Zahl von Sendeanlagen notwendig ma- chen würde. Denn zu guter Letzt kommt es ja nicht auf die Zahl der Anlagen an, sondern auf die Gesundheitsgefah- ren, die von jeder einzelnen ausgehen. Die allgemeine Verunsicherung zu diesem Thema hat in der Bevölkerung inzwischen einen vorläufigen Höhe- punkt erreicht. Nach Angaben des Bundesverbandes ge- gen Elektrosmog gibt es bereits in circa jeder zweiten Ge- meinde in der Bundesrepublik organisierten Widerstand gegen Mobilfunkantennen. Die Menschen wissen doch, dass beispielsweise die britische Regierung alle Schulen schriftlich aufgefordert hat, Schülern unter 16 Jahren vom Telefonieren mit dem Handy abzuraten. Sie nehmen doch wahr, dass sich der Präsident des Bundesamtes für Strah- lenschutz in ähnlicher Weise äußert und es für notwendig hält –ich zitiere – „Standorte zu vermeiden, die bei Kin- dergärten, Schulen und Krankenhäusern zu erhöhten Fel- dern führen“. Sie werden aber nicht vermieden. In Deutschland tut sich überhaupt nichts auf diesem Gebiet. Diese Lähmung muss endlich überwunden werden. Es muss doch nicht erst eine Katastrophe eintreten, die die Menschen zu ver- nünftigem Handeln zwingt. Reale Handlungsmöglichkei- ten haben wir in unserem Antrag formuliert. Einiges habe ich dazu gesagt. Wichtig ist natürlich auch die Beteiligung der Betroffenen an den Standortentscheidungen. Vor al- lem aber kommt man um eines nicht herum: Die Men- schen und ihre Gesundheit und nicht die Interessen der In- dustrie müssen im Vordergrund stehen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001 19853 (C) (D) (A) (B) Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Cem Özdemir


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Herr
    Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende
    Vertrag soll die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen
    der Bundesrepublik Deutschland und Tschechien stärken.
    Dadurch wird ermöglicht, dass Polizisten aus Tschechien
    und Deutschland gemeinsam im Grenzgebiet eingesetzt
    werden und künftig enger und stärker kooperieren kön-
    nen.

    Ich glaube, dass dieser Vertrag ein wichtiger Schritt ist,
    um die menschenverachtende Schleuserkriminalität
    wirksamer als in der Vergangenheit zu bekämpfen. Dies
    ist übrigens auch angesichts der grenzüberschreitenden
    und gewalttätigen Kriminalität notwendig. Deshalb un-
    terstützt meine Fraktion diesen Vertrag. Wenn man sich
    mit den im Grenzgebiet lebenden Menschen unterhält
    – darauf wurde bereits hingewiesen –, kann man verste-
    hen, dass sich diese Menschen Sorgen machen und zu
    Recht Ängste haben. Wir sind als Parlament aufgefordert,
    diese Ängste und Sorgen ernst zu nehmen und das Nötige
    zu veranlassen, um hier Abhilfe zu schaffen.

    Ich möchte in diesem Zusammenhang allerdings auch
    darauf hinweisen, dass bei der grenzüberschreitenden Zu-
    sammenarbeit der Gesichtspunkt der Bürgerrechte aus-
    reichend Berücksichtigung finden muss. Beispielsweise

    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

    Günter Graf (Friesoythe)


    19764


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    darf der Datenschutz nicht ausgehöhlt werden. Ich
    glaube, wir müssen uns deshalb diesen Vertrag im Detail
    sehr genau anschauen. Ich will auf das Beispiel Genua
    hinweisen, das Sie alle verfolgt haben und kennen. Dort
    haben wir gesehen, dass die Daten, die von der Bundesre-
    publik Deutschland zur Verfügung gestellt wurden, von
    der italienischen Polizei an die italienische Justiz weiter-
    gegeben worden sind, ohne dass deutsche Behörden aus-
    drücklich gefragt wurden oder gar zugestimmt haben.
    Dies darf in Zukunft so sicherlich nicht mehr geschehen.

    Zu den europäischen Standards gehört auch der Daten-
    schutz. Ich teile den Optimismus des Kollegen Stadler –
    ich glaube, auch Kollege Baumann hat darauf hingewie-
    sen –, dass Tschechien – es steht in der ersten Reihe – be-
    reits im Jahre 2004 Teil der Europäischen Union sein wird.
    Das begrüßen wir alle hier. Der hohe Standard des europä-
    ischen Datenschutzrechtes gilt dann auch in Tschechien.
    Dazu gehört beispielsweise auch die europäische Richtli-
    nie zum Datenschutz aus dem Jahre 1995, die Gewähr
    dafür bietet, dass jede Datenerhebung gerichtlich über-
    prüft werden kann. Auch das gehört mit Sicherheit dazu.

    Lassen Sie mich auch etwas zur polizeilichen Zusam-
    menarbeit insgesamt sagen: Ich glaube, dass auch in die-
    sem Bereich die parlamentarische Kontrolle gestärkt
    werden muss. Wenn wir wollen, dass Europa einheitlich
    zusammenwächst, dann kann sich das nicht ausschließ-
    lich auf die Exekutive beschränken. Ein starkes Parlament
    muss die Möglichkeit haben, gemeinsam mit einer unab-
    hängigen Justiz die notwendige Kontrolle, wie wir sie auf
    der nationalen Ebene bereits kennen, auf europäischer
    Ebene durchzusetzen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass auf der Ebene der
    Europäischen Union – Tschechien wird, wie gesagt, hof-
    fentlich bald ein Teil davon sein – die dritte Säule in die
    erste Säule überführt wird, das heißt, dass auch die
    polizeiliche Zusammenarbeit vergemeinschaftet wird. Ich
    glaube, das wäre ein wichtiger Beitrag, um mehr Trans-
    parenz auf europäischer Ebene zu erzeugen.

    Wenn wir über Schleuserkriminalität und Schleuser-
    verbrechen reden, dann müssen wir auch betonen, dass
    diese Probleme nicht ausschließlich mit polizeilichen
    Mitteln gelöst werden können. Die Polizei ist gar nicht in
    der Lage, all die Aufgaben, die wir ihr auflasten wollen,
    zu lösen. Wir müssen bedenken, dass sich Europa nicht
    völlig abschotten kann.

    Wir müssen auch darauf achten, dass die Ursachen für
    Not und illegale Zuwanderung beseitigt werden. Wir
    wissen, dass Schlepper Verbrecher sind, die die Not und
    die Hoffnungslosigkeit von Menschen ausnutzen. Sie sind
    Seelenverkäufer, die in Kauf nehmen, dass Menschen da-
    bei ihr Leben verlieren. Gerade als reiches Land, als Land,
    das in der Europäischen Union eine wichtige Rolle spielt,
    sind wir aufgefordert, alles zu tun, um die Fluchtursachen
    in den Herkunftsländern zu beseitigen. Dazu zählt die
    Entwicklungshilfe. Hierdurch wird ein wichtiger Beitrag
    dazu geleistet, dass die Menschen dort, wo sie leben, Le-
    bensperspektiven haben, sodass sie nicht gezwungen
    sind, ihr Herkunftsland zu verlassen und ihr Leben in die
    Hände von kriminellen Schleusern zu legen.

    Deshalb bin ich froh, dass die Bundesregierung im
    Rahmen der Terrorismusbekämpfung zusätzliche
    200 Millionen DM zur Verfügung stellt, um Ent-
    wicklungshilfe zu betreiben. Auch das ist ein Beitrag zur
    Terrorismusbekämpfung und gut angelegtes Geld. Wir
    sollten uns angewöhnen, wenn wir zukünftig über Terro-
    rismusabwehr reden, den Beitrag der Entwicklungshilfe
    nicht zu vernachlässigen.

    Ich komme zum Schluss: Ich glaube, dass der Antrag
    der Union in diesem Kontext nicht hilfreich ist, weil er die
    Ängste unnnötigerweise schürt und Stigmatisierungen
    – speziell der Ausländer – ermöglicht. Es ist mittlerweile
    schon amtlich, dass die Kriminalität – Gott sei Dank –
    nicht weiter zugenommen hat.

    Ich empfehle Ihnen einen Blick in den periodischen Si-
    cherheitsbericht der Bundesregierung, der vom Innen-
    ministerium regelmäßig vorgestellt wird. Wenn Sie dort
    einmal hineinschauen, werden Sie erkennen, dass Ihr An-
    trag von der Realität überholt wurde.


    (Beifall bei der SPD)




Rede von Dr. Hermann Otto Solms
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Als
nächste Rednerin hat die Kollegin Ulla Jelpke von der
PDS-Fraktion das Wort.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Ulla Jelpke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (PDS)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)

    Herr Präsident! Sehr verehrte Kol-
    leginnen und Kollegen! Kollege Baumann, auch ich
    möchte Ihrem Horrorszenario nicht zustimmen.


    (Günter Baumann [CDU/CSU]: Oh, „Horrorszenario“!)


    Meines Wissens ist die Ostgrenze eine der am besten
    bewachten Grenzen weltweit. Wenn ich die Zahlen rich-
    tig im Kopf habe, sind etwa 10 000 Bundesgrenzschutz-
    beamte an dieser Grenze tätig und führen verdachts-
    unabhängige Kontrollen durch. Wir setzen an dieser
    Grenze über 500 Polizeihunde ein und haben mit Wärme-
    bildkameras und ähnlichen Geräten eine millionenteure
    Technologie – ich weiß nicht, wie viel sie tatsächlich kos-
    tet – an den Grenzen aufgebaut.

    Sie haben hier eine ziemliche Schwarz-Weiß-Malerei
    betrieben. Ich kann den Inhalt Ihres Antrags nicht nach-
    vollziehen. Man muss wissen, dass in Deutschland Polen
    und die Tschechische Republik zwar als sicherer Dritt-
    staat gelten, die Flüchtlingsorganisationen und die Men-
    schenrechtsorganisationen aber vielfach darauf hin-
    gewiesen haben, dass in beiden Ländern weder das Asyl-
    verfahren garantiert ist noch die Unterkünfte für Flücht-
    linge menschenwürdig sind.

    Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen sagen, dass
    antirassistische Organisationen und Flüchtlingsorganisa-
    tionen recherchiert haben, dass an den Schengener
    Außengrenzen insgesamt 2 000 Menschen zu Tode ge-
    kommen sind, die von Schleuserbanden in Autos ver-
    frachtet wurden, in denen sie erstickt sind, und dass allein
    an der Ostgrenze 87 Menschen ihr Leben verloren haben.
    Man muss fragen: Woran liegt das? Was hat das für Ursa-
    chen?

    Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 201. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 15. November 2001

    Cem Özdemir

    19765


    (C)



    (D)



    (A)



    (B)


    In der Tat ist gerade die Tschechische Republik einer
    der Staaten, von dem aus viele Flüchtlinge versuchen,
    nach Europa zu kommen. Die Abschottung Europas ist
    meiner Meinung nach keine Lösung des Flüchtlingspro-
    blems. Ganz im Gegenteil: Ich bin der Meinung, dass man
    die Grenzen für Menschen in Not offen halten muss. Das
    ist ein ganz entscheidender Punkt,


    (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Günter Baumann [CDU/CSU]: Machen wir die Grenzen auf, dann kann man den Bundesgrenzschutz einsparen!)


    denn viele Menschen kommen über diese Staaten nach
    Deutschland und wollen dort Asyl beantragen. Sie wissen
    ebenso wie ich, dass die Flüchtlinge an der Grenze abge-
    wiesen werden und keine Möglichkeit haben, über den
    Landweg nach Deutschland zu gelangen und dort Asyl zu
    beantragen.

    Es ist natürlich ein Leichtes, immer darauf hinzuwei-
    sen, man müsse die Betroffenen – wie das auch im Poli-
    zeivertrag steht – in einem Meldeverfahren registrieren.
    Ein solches Vorgehen lehnen wir generell ab. Wir lehnen
    aber auch ab, dass durch den Polizeivertrag ein umfang-
    reicher Datenaustausch zwischen der Tschechischen Re-
    publik und Deutschland stattfindet. Wir meinen, dass das
    Recht auf informationelle Selbstbestimmung der betrof-
    fenen Menschen nicht gewahrt ist, weil sie nicht erfahren,
    welche persönlichen Daten festgehalten werden.

    Um Auskünfte zu erlangen, müssen sie einen Antrag
    stellen. Aber auch, wenn sie einen Antrag stellen, erhalten
    sie nur unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses
    der jeweiligen Staaten Auskunft. Von daher meine ich
    – über den Vertrag wird heute abgestimmt –, dass es in der
    Tat nichts mehr nachzubessern gibt, sondern man im
    Grunde genommen im Ausschuss, Kollege Özdemir, hätte
    dafür eintreten sollen, den Datenschutz zu wahren. Wir
    werden deswegen beide Anträge ablehnen.

    Zum Schluss möchte ich dem Kollegen Baumann gern
    sagen: Ich selbst habe die Grenze mehrfach besucht und
    mir angesehen, welche Arbeit dort von den Beamten ge-
    leistet wird. Ich habe es mir auch angetan, zu einer dieser
    Bürgerwehren zu gehen.