Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001
        Heidemarie Ehlert
        19218
        (C)(A)
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001 19219
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Andres, Gerd SPD 19.10.2001
        Dr. Blens, Heribert CDU/CSU 19.10.2001
        Bohl, Friedrich CDU/CSU 19.10.2001
        Bühler (Bruchsal), CDU/CSU 19.10.2001*
        Klaus
        Carstensen CDU/CSU 19.10.2001
        (Nordstrand), Peter H.
        Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 19.10.2001
        DIE GRÜNEN
        Fischer (Frankfurt), BÜNDNIS 90/ 19.10.2001
        Joseph DIE GRÜNEN
        Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 19.10.2001
        Friedrich (Altenburg), SPD 19.10.2001
        Peter
        Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 19.10.2001
        Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 19.10.2001
        Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 19.10.2001
        DIE GRÜNEN
        Grund, Manfred CDU/CSU 19.10.2001
        Hartnagel, Anke SPD 19.10.2001
        Helias, Siegfried CDU/CSU 19.10.2001
        Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 19.10.2001
        DIE GRÜNEN
        Hofbauer, Klaus CDU/CSU 19.10.2001
        Janssen, Jann-Peter SPD 19.10.2001
        Kramme, Anette SPD 19.10.2001
        Lippmann, Heidi PDS 19.10.2001
        Louven, Julius CDU/CSU 19.10.2001
        Mogg, Ursula SPD 19.10.2001
        Müller (Düsseldorf), SPD 19.10.2001
        Michael
        Neumann (Bramsche), SPD 19.10.2001
        Volker
        Nietan, Dietmar SPD 19.10.2001
        Nooke, Günter CDU/CSU 19.10.2001
        Ostrowski, Christine PDS 19.10.2001
        Pofalla, Ronald CDU/CSU 19.10.2001
        Raidel, Hans CDU/CSU 19.10.2001
        Rübenkönig, Gerhard SPD 19.10.2001
        Schemken, Heinz CDU/CSU 19.10.2001
        Schily, Otto SPD 19.10.2001
        Schlee, Dietmar CDU/CSU 19.10.2001
        Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 19.10.2001
        Hans Peter
        von Schmude, Michael CDU/CSU 19.10.2001
        Schösser, Fritz SPD 19.10.2001
        Sehn, Marita FDP 19.10.2001
        Simm, Erika SPD 19.10.2001
        Dr. Spielmann, Margrit SPD 19.10.2001
        Dr. Freiherr von CDU/CSU 19.10.2001
        Stetten, Wolfgang
        Strebl, Matthäus CDU/CSU 19.10.2001
        Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 19.10.2001
        Dr. Thomae, Dieter FDP 19.10.2001
        Dr. Tiemann, Susanne CDU/CSU 19.10.2001
        Türk, Jürgen FDP 19.10.2001
        Uldall, Gunnar CDU/CSU 19.10.2001
        Dr. Wieczorek, Norbert SPD 19.10.2001
        Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 19.10.2001
        Wissmann, Matthias CDU/CSU 19.10.2001
        Zierer, Benno CDU/CSU 19.10.2001*
        * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Entwürfe eines Gesetzes zur
        Änderung des Bewertungsgesetzes (Zusatztages-
        ordnungspunkt 7)
        Nicolette Kressl (SPD): Vor wenigen Tagen haben
        wir in diesem Haus bereits unsere Argumente zu einer
        Verlängerung oder Änderung des Bewertungsgesetzes
        ausgetauscht  oder jedenfalls wir von der SPD-Fraktion
        sind auf diesen Tagesordnungspunkt eingegangen,
        während die Redner der CDU/CSU- und FDP-Fraktion
        eher bemüht waren, die eigene steuerpolitische Fehl-
        steuerung, die uns bei der Regierungsübernahme einen
        hoch verschuldeten Haushalt bescherte, der derzeitigen
        Regierung anzulasten. Der Versuch der Vertreter der
        CDU/CSU- und FDP-Fraktion, die Verlängerung des
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        Bewertungsgesetzes als eigenen Erfolg zu verkaufen, wa-
        ren dabei ebenso unglaubwürdig wie die gleichzeitige
        Unterstellung, wir wollten die Erbschaftsteuer insgeheim
        erhöhen.
        Der Gesetzentwurf des Bundesrates ist keineswegs,
        wie die FDP irrig glaubt, mit dem FDP-Antrag wort-
        gleich. Vielmehr geht er im Gegensatz zu dem FDP-An-
        trag vom Februar von einer Grundlage aus, die auch künf-
        tigen Entwicklungen standhält. Während die FDP in
        ihrem Antrag einfach aus einer fünfjährigen scheinbaren
        Stabilität der Immobilienpreise auf eine weitere stabile
        Lage für die kommenden fünf Jahre schlussfolgert, haben
        wir leider nicht die prophetische Gabe der FDP-Fraktion.
        Wie hoch allerdings die Wahrscheinlichkeit der Verwirk-
        lichung von Prophezeiungen aus dem FDP-Lager ist, lässt
        sich angesichts der von der FDP getätigten 18-Prozent-
        Prognosen nur vermuten.
        Wir von der SPD-Fraktion verlassen uns lieber auf Tat-
        sachen und seriöse Prognosen und halten eine Verlänge-
        rung bis zum Jahre 2006 deshalb aus offensichtlichen und
        nachvollziehbaren Gründen derzeit für erforderlich. Die
        Beruhigung der Immobilienpreise während der vergange-
        nen Jahre halten wir dabei nicht wie die FDP-Fraktion für
        eine garantiert langfristige Entwicklung. Eine Änderung
        dieser Entwicklung ist möglich. Angesichts der derzeit
        wieder steigenden Mietpreise ist auch eine Veränderung
        des Immobilienmarktes und damit der Immobilienpreise
        nicht auszuschließen. Um aber Rechtssicherheit und eine
        zuverlässige Rechengrundlage für die steuerpflichtigen
        Bürger und die steuerberechtigten Länder zu garantieren,
        findet eine erneute Befristung auf fünf Jahre unsere Zu-
        stimmung.
        Mit Interesse haben wir auch den Entschließungsan-
        trag der Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Frak-
        tion gelesen, die ihre Hausaufgaben dann auch noch ab-
        liefern wollten. Wer glaubt, etwas ganz Neues liefern zu
        müssen, schafft damit nicht unbedingt einen krönenden
        Abschluss. Die Begründungsvorschläge der CDU/CSU-
        Fraktion enthalten nicht wirklich Neues. Auch die Fehlin-
        terpretation rechtlicher Vorgaben  wie hier des Bundes-
        verfassungsgerichtentscheids, der dem § 138 des
        Bewertungsgesetzes zugrunde liegt  ist bei der
        CDU/CSU nicht wirklich neu. Entgegen der Auffassung
        der CDU/CSU-Fraktion hat das Bundesverfassungsge-
        richt in seinen Beschlüssen im Jahre 1995 gerade nicht
        eine unterschiedliche Bewertung von Grundbesitz und
        sonstigem Vermögen für grundsätzlich zulässig gehalten,
        sondern im Gegenteil dem Gesetzgeber aufgegeben, die
        Ungleichbehandlung zwischen Grundbesitz und anderem
        Vermögen zu beseitigen.
        Eine unterschiedliche Behandlung setzt übrigens laut
        Bundesverfassungsgericht nicht irgendeine Begründung
        voraus  wie uns die CDU/CSU-Fraktion glauben machen
        will  vielmehr bedarf es einer ausdrücklichen gesetzge-
        berischen Entscheidung, dass der Gesetzgeber dadurch
        das wirtschaftliche und sonstige Verhalten der Steuer-
        pflichtigen aus Gründen des Gemeinwohls fördern und
        lenken will.
        Aus einer zusätzlichen Belastung des Grundvermö-
        gens gegenüber dem sonstigen Vermögen gleich eine Un-
        gleichbehandlung als selbstverständlich zu erachten,
        zeugt von einer seltsamen Auffassung der Steuergerech-
        tigkeit. Hinzu kommt dann noch, dass Anliegergebühren,
        die ja wie alle Gebühren für eine konkrete Leistung zu
        zahlen sind, von der CDU/CSU als Belastung des Grund-
        stücks dargestellt werden. Dies führe, so der CDU/CSU-
        Entwurf, ebenso wie die mangelnde Fungibilität  also die
        fehlende Austauschbarkeit  zu einer Belastung von
        Grundvermögen, die so unerträglich sei, dass eine Un-
        gleichbehandlung erforderlich sei. Bemerkenswert ist ins-
        besondere, dass die Beständigkeit von Grundbesitz, die
        sonst als der entscheidende Vorteil von Grundbesitz ge-
        genüber unbeständigeren Werten gesehen wird, von der
        CDU/CSU plötzlich als belastendes Merkmal hingestellt
        wird.
        Für uns von der SPD-Fraktion gibt es das von der
        CDU/CSU vorgeschlagene Abrücken von verfassungs-
        rechtlichen Vorgaben an dieser Stelle nicht. Die Verlänge-
        rung des § 138 des Bewertungsgesetzes ist für uns eine
        Möglichkeit, für einen überschaubaren Zeitraum Rechts-
        klarheit zu schaffen. Eine dauerhafte Lösung zur Anglei-
        chung der unterschiedlichen Maßstäbe und Verfahren für
        die Bewertung von Grundbesitz einerseits sowie von son-
        stigem Vermögen andererseits ist weiterhin erforderlich,
        um den Anforderungen zu entsprechen, die das Bundes-
        verfassungsgericht im Jahre 1995 vorgegeben hat.
        Gleichzeitig verfolgen wir von der SPD-Fraktion weiter-
        hin unser Steuerentlastungsprogramm und werden des-
        halb die Steuerbasis der Erbschaft- und Schenkungsteuer
        sichern, indem wir einer neuen Befristung des § 138 des
        Bewertungsgesetzes bis zum Jahre 2006 zustimmen.
        Entgegen den Vorwürfen der CDU/CSU-Fraktion gilt:
        Omas Häuschen ist und wird durch die Steuerpolitik der
        SPD keineswegs zum Haus ohne Hüter. Denn Omas
        Häuschen bedeutet für die Erben nicht Last statt Gewinn,
        sondern steht gerade im Blickpunkt unserer familien-
        freundlichen und mittelstandsfördernden Steuerpolitik.
        Entgegen der ewigen und langsam unerträglichen
        Schwarzmalerei der CDU/CSU-Fraktion ist unser Anlie-
        gen die stetige und auf mehr Steuergerechtigkeit abzie-
        lende Steuersenkung. Genau dies verwirklichen wir auch
        seit dem Regierungswechsel im Jahre 1998.
        Im Jahre 1999 wurden die Arbeitnehmer bereits um
        9,7 Milliarden DM entlastet, 2000 waren es rund 8 Milli-
        arden DM und für dieses Jahr ist aufgrund des Steuerent-
        lastungsgesetzes mit einer Steuerentlastung der Privat-
        haushalte von beinahe 20 Milliarden DM zu rechnen. Um
        Familien zu fördern, halten wir auch im Rahmen des Be-
        wertungsgesetzes daran fest, dass das Familienge-
        brauchsvermögen stets so zu stellen ist, dass normale Ein-
        familienhäuser durch entsprechende Gestaltung der
        Freibeträge steuerfrei an die Kinder und Ehepartner ver-
        erbt werden können. Wir erhöhen nicht nur das Kinder-
        geld und die Freibetragsgrenzen, um die heranwachsende
        Generation zu fördern. Wir von der SPD-Fraktion sichern
        auch das Familienvermögen für die Zukunft, indem wir
        die Erbschaftsteuer durch die Verlängerung des § 138 des
        Bewertungsgesetzes bis zum Jahre 2006 ihrer Höhe nach
        festlegen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 200119220
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Aber nicht nur die Familien werden durch unser Steu-
        erkonzept spürbar besser gestellt als noch zu Zeiten der al-
        ten Regierung. Auch in anderen Bereichen schaffen wir
        Steuererleichterungen. So haben wir beispielsweise zur
        Förderung der Unternehmen die Körperschaftsteuer auf
        25 Prozent abgesenkt und dadurch neue Mittel für zusätz-
        liche Investitionen frei gemacht. Dass im Hinblick auf die
        Erbschaftsteuer auch der Mittelstand als Rückgrat unserer
        Wirtschaft weiterhin gefördert wird, versteht sich auf-
        grund unserer mittelstandsfördernden Politik von selbst.
        Deshalb unterstützen wir die steuerlich schonende Über-
        tragung von mittelständischen Betrieben und den damit
        zusammenhängenden Vermögenswerten von einer Gene-
        ration auf die nachfolgenden Generationen. Damit wird
        einerseits der Fortbestand von Unternehmen gesichert,
        gleichzeitig werden wichtige Innovationen durch eine
        neue Unternehmergeneration ermöglicht.
        Abschließend möchte ich festhalten, dass wir weiterhin
        unseren Kurs der steuerlichen Entlastung der Arbeitneh-
        mer und der Familien verfolgen. Dazu zählt auch eine fa-
        miliengerechte Erbschaftsteuer, um die Vererbung inner-
        halb von Familien nicht unnötig zu belasten. Wir stimmen
        dem Antrag des Bundesrats daher zu, die Bewertung des
        Grundbesitzes für die kommenden fünf Jahre unverändert
        zu lassen. Gleichwohl dürfen wir nicht den Auftrag des
        Bundesverfassungsgerichts außer Acht lassen und müssen
        uns daher mit der Beseitigung bestehender Ungleichbe-
        handlungen befassen, bevor die Befristung im Jahre 2006
        ausläuft. Aber wie schon heute gilt auch im Jahre 2006:
        Die SPD steht für eine familienfördernde und investiti-
        onsfreundliche Steuerpolitik.
        Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Die SPD
        wird heute der Fortschreibung der Einheitswerte für die
        nächsten fünf Jahre zustimmen. Es ist erfreulich, dass
        auch sie zu der Erkenntnis gekommen ist, dass Steuerer-
        höhungen in diesem Bereich, sei es direkt oder sei es in-
        direkt über eine höhere Bewertung, fehl am Platze sind.
        Die SPD ist und bleibt die Partei der Steuererhöhun-
        gen: Die Steuerquote betrug 1998 23,9 Prozent. Sie stieg
        1999 auf 25,0 und 2000 auf 25,4 Prozent. Trotz Zuwei-
        sung an die Rentenversicherung aus der Ökosteuer stieg
        die Abgabenquote von 43,2 Prozent im Jahre 1998 über
        44,0 Prozent im Jahre 1999 auf 44,1 Prozent im Jah-
        re 2000. Ein Blick auf die Staatsquote belegt das eben-
        falls: 1982 betrug sie 50,1 Prozent, 1990 nur noch
        46,1 Prozent. Sie stieg durch die Wiedervereinigung 1993
        auf 50,6 Prozent an und betrug 1998 48 Prozent, mittler-
        weile stehen wir wieder bei 47,5 Prozent  und dies nach
        der angeblich größten Steuerreform mit Milliarden-Ent-
        lastungen für Bürger und Wirtschaft. Davon ist nichts zu
        spüren.
        Steuererhöhungen in dieser Zeit sind ein falsches Si-
        gnal und wirken verheerend, weil sie den Bürgern weitere
        Kaufkraft nehmen. Wenn diese für ein und dasselbe Gut
        mehr aufwenden müssen, dann müssen sie dieses an an-
        derer Stelle einsparen und können dafür keine Waren kau-
        fen. Insoweit schwächt jede Erhöhung von Abgaben die
        Konsumkraft und wirkt damit negativ auf die Konjunktur.
        Die Früchte Ihrer falschen Politik können Sie dieser Tage
        ernten.
        Gestern nahmen die Institute die Wachstumserwartun-
        gen für das laufende Jahr auf 0,7 Prozent zurück. Auch der
        Finanzminister musste die Realitäten zur Kenntnis neh-
        men und seine Erwartungen auf 0,75 Prozent zurück-
        schrauben. Noch vor kurzem hatte er auf 2 Prozent
        Wachstum bestanden.
        Auch wenn sie heute Vormittag das Thema Erhöhung
        der Tabak- und Versicherungsteuer von der Tagesord-
        nung absetzen musste, handele es sich nicht um eine bes-
        sere Einsicht, sondern schlicht und einfach um die techni-
        sche Unfähigkeit, einen praktikablen Gesetzentwurf
        vorzulegen. Eine Blamage für Bundesfinanzminister
        Hans Eichel, der gerade in dieser Frage persönlich Hand
        angelegt hatte!
        Auch an diesem Punkt wurde die Doppelzüngigkeit der
        SPD wieder einmal deutlich. Das Finanztableau des Ge-
        setzentwurfs weist in der Drucksache 14/7062 Steuer-
        mehreinnahmen von 1,55 Milliarden Euro (3,03 Milliar-
        den DM) im Jahre 2002 aus, die sich auf 1,975 (3,863),
        2,040 (3,988) und 2,105 (4,117) im Jahre 2005 steigern
        sollen. In Wahrheit ist das zu erwartende Aufkommen viel
        höher; es beträgt 5,6 Milliarden DM. Weil nach der Er-
        fahrung aus der Vergangenheit der auf eine Steuererhö-
        hung folgende Konsumverzicht sich schnell wieder aus-
        gleicht und eine weitere Steigerung des Konsums zu
        erwarten ist, werden wir ganz schnell wieder bei 140 Mil-
        liarden Zigaretten oder 2,8 Milliarden Euro (5,6 Milliar-
        den DM) Steuererhöhung sein. Dazu kommt noch die
        Mehrwertsteuer von fast 460 Millionen Euro (900 Milli-
        onen DM). Hier will sich die Bundesregierung durch ei-
        nen so genannten Verhaltensabschlag eine zusätzliche
        Sparkasse in Milliardenhöhe zulegen.
        Ihre Politik senkt die Binnenkaufkraft. Die Ökosteuer
        brachte im Jahre 2000 zusätzlich 7,8 Milliarden DM mehr
        als 1999. In dieser Höhe haben Sie die Mehrleistungen an
        die Rentenversicherung in der Antwort auf die Kleine An-
        frage, Drucksache 14/4410, beziffert. Das hätte rechne-
        risch zu einer Senkung der Rentenversicherungsbeiträge
        um 0,5 Beitragspunkte reichen müssen. Gesenkt haben
        Sie nur um 0,2, das heißt, Sie haben 3,3 Milliarden DM
        zurückgegeben und 7,8 Milliarden DM eingenommen,
        also 4,5 Milliarden DM abkassiert. Alles andere ist Au-
        genwischerei.
        Sie haben den Eindruck erzeugt, die Ökosteuer werde
        1:1 zur Beitragssenkung eingesetzt; deshalb belaste sie
        die Menschen nicht. Im Gegenteil: Die Menschen täten et-
        was Gutes, indem sie an der Tankstelle einen Beitrag zur
        Rentenfinanzierung erbringen. Das ist angesichts der Fak-
        ten ein Betrug an den Menschen. Sie setzen weniger als
        die Hälfte zur Beitragssenkung ein. Das bezeichne ich als
        moderne Wegelagerei an der Tankstelle und beim Heiz-
        öl. Dass die Rentenversicherungsbeiträge nicht in der
        vollen Höhe der Ökosteuer gesenkt werden, hat Finanz-
        minister Eichel im Übrigen in der Regierungsbefragung
        vom 20. Juni 2001 eingeräumt, indem er ausführte: Der
        Bürger bekommt das vollständig zurück, denn andernfalls
        müssten wir eine Erhöhung des Rentenversicherungsbei-
        trages um 0,2 oder 0,3 Punkte zusätzlich machen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001 19221
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Sie haben von uns im Jahre 1998 eine Steuerquote von
        23,9 Prozent übernommen. Diese stieg laut Angaben des
        Statistischen Bundesamtes im Jahre 1999 auf 25 Prozent
        und im Jahre 2000 auf 25,4 Prozent. 3 Milliarden DM sind
        rund 0,07 Prozent des Bruttosozialproduktes des Jahres
        2002, wenn man die Zahlen der Steuerschätzung vom Mai
        2001 zugrunde legt. Das heißt, die Staatsquote wird allein
        durch diese Maßnahme um 0,07 Prozent steigen. Geht
        man von der realistischen Einnahmeerwartung aus, die
        wesentlich höher liegt, so ergibt sich eine Steigerung um
        0,1 Prozentpunkte.
        Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch einmal mit
        dem Märchen aufräumen, dass Sie diejenigen seien, die
        die Staatsquote gesenkt haben, und wir diejenigen, die sie
        erhöht haben. Die Staatsquote betrug nach Angaben des
        Statistischen Bundesamtes 1969 39,1 Prozent, 1982 ha-
        ben wir von der SPD übernommen 50,1 Prozent, 1989
        45,8 Prozent und stieg einigungsbedingt 1990 wieder auf
        46,1 Prozent an. Damit wird deutlich, dass unsere Refor-
        men in den Jahren 1982 bis 1989 dazu beigetragen haben,
        dass die Staatsquote um 4,3 Prozent gesunken ist.
        Die Wirkungen auf die Konjunktur werden verheerend
        sein. Zu der Steuererhöhung um 3 Milliarden DM kom-
        men noch 7 Milliarden DM aus der Ökosteuer hinzu, so-
        dass allein der Konsum 2002 um 10 Milliarden DM zu-
        züglich Mehrwertsteuer von 1,6 Milliarden DM niedriger
        ausfallen müsste, weil den Bürgerinnen und Bürgern die
        entsprechende Kaufkraft entzogen ist.
        Allein durch die geplante Erhöhung bei der Versiche-
        rung- und Tabaksteuer wird die Inflation um 0,3 bis 0,5 Pro-
        zent steigen. Inflation ist Diebstahl am kleinen Mann,
        weil sie die Bevölkerung am härtesten trifft. Sie wurde
        von der Bundesregierung willig durch die Ökosteuer an-
        geheizt und setzt sich jetzt in diesem Punkte fort. Was der
        heutige Verzicht auf die Erhöhung der Grundsteuer aller-
        dings wert ist, wird erst die Zukunft beweisen. Es drängt
        sich der Verdacht auf, dass man nur vor der Berlinwahl
        und der Bundestagswahl keine Entscheidung treffen will,
        die den Bürger verärgern könnte.
        Dass dies keine endgültige Einsicht ist, ergibt sich
        schon aus der Tatsache, dass die SPD eine eindeutige
        Festlegung auf Dauer und damit eine Festschreibung der
        Erbschaftsteuer im Finanzausschuss abgelehnt hat. Wir
        als CDU/CSU-Fraktion hatten einen entsprechenden Ent-
        schließungsantrag eingebracht, um den Bürgern schon
        vor anstehenden Wahlen ganz eindeutig unsere Auffas-
        sung zu sagen. Dass die SPD eine derartige Festlegung
        scheut wie der Teufel das Weihwasser, ist vor dem Hin-
        tergrund ihrer wahren Auffassung nur allzu verständlich
        und muss hier vor den Augen der Öffentlichkeit noch ein-
        mal deutlich gemacht werden.
        In Ihrem Bundestagswahlprogramm von 1998 unter
        der Überschrift Arbeit, Innovation und Gerechtigkeit
        heißt es: Hohe Privatvermögen an der Finanzierung der
        Bildung beteiligen. Im Sinne eines gerechten Lastenaus-
        gleichs werden wir dafür sorgen, dass auch die sehr hohen
        Privatvermögen wieder einen gerechten Beitrag leisten,
        um Bildung und andere öffentliche Dienstleistungen fi-
        nanzieren zu können. Dazu werden wir für eine verfas-
        sungskonforme Besteuerung dieser sehr hohen Privatver-
        mögen sorgen. Es bleibt aber dabei: Das Betriebsvermö-
        gen der Unternehmen werden wir freistellen. Mit hohen
        Freibeträgen werden wir sicherstellen, dass Normalver-
        diener von der privaten Vermögensteuer nicht betroffen
        werden. Normale Einfamilienhäuser werden nicht besteu-
        ert: Der vorgesehene Freibetrag von zum Beispiel 1 Mil-
        lion Mark für eine Familie mit zwei Kindern liegt deutlich
        über dem steuerlichen Wert normaler Einfamilienhäuser.
        Als Bundeskanzler Schröder die Steuerfreiheit für Be-
        triebsveräußerung bei Kapitalgesellschaften durchsetzen
        wollte, befand er sich gegenüber den linken Gruppierun-
        gen in seiner Partei in großer Erklärungsnot. Um diese auf
        einem der Tiefpunkte seiner Popularität im Dezember
        1999 zur Zustimmung zu bewegen, versprach er ihnen
        Erhöhungen bei der Besteuerung des Grundvermögens
        und machte dies in einem Parteitagsbeschluss [vom 7. bis
        9. Dezember 1999 unter Beschlüsse  Antragsbereich
        Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Finanzpolitik, Antrag
        W 1 (Beschluss des Parteitages): Innovation und Gerech-
        tigkeit Perspektiven sozialdemokratischer Regierungspo-
        litik. III. Innovation und Gerechtigkeit  Brücken in die
        Zukunft  Wachstum und Beschäftigung fördern] wie
        folgt fest: Eine Reform der steuerlichen Bewertung des
        Grundbesitzes. Dabei ist einzubeziehen das Ergebnis der
        Expertenkommission, die von der Bundesregierung auf
        der Grundlage der Koalitionsvereinbarung eingerichtet
        wurde. Hier müssen Lösungen erarbeitet werden, die
        mögliche Probleme beim Generationenwechsel in der
        mittelständischen Wirtschaft berücksichtigen. Außerdem
        wird es bei der Vererbung von Grundvermögen an nahe
        Angehörige ausreichende Freibeträge geben.
        Auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der
        SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, plädiert of-
        fensichtlich für eine Erhöhung der Erbschaftsteuer. Bei
        der Maikundgebung vertrat er laut Wolfenbütteler Zei-
        tung vom 2. Mai 2001 die Auffassung, dass zur Verbes-
        serung der Situation von Familien und Beziehern kleiner
        Einkommen die Einnahmesituation des Staates verbessert
        werden müsste. Wörtlich: Dazu seien aber auch Einnah-
        meverbesserungen erforderlich. Über die Vermögensteuer
        sei dies nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil
        nicht mehr möglich, aber es gebe noch andere Wege (er
        nannte zum Beispiel die Erbschaftsteuer), um von den
        Reichen mehr Geld für die Allgemeinheit zu bekommen. 
        Soweit das wörtliche Zitat aus der Zeitung. Daraus spricht
        purer Neid.
        Nicht zu vergessen ist auch die Initiative der SPD-ge-
        führten Länder Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklen-
        burg-Vorpommern, Niedersachen und Sachsen-Anhalt
        vom 22. März 2001 im Bundesrat (Bundesratsdrucksache
        229/01), mit der die Bewertung des Grundbesitzes für die
        Zwecke der Erbschaftsteuer auf aktuelle Wertverhältnisse
        angehoben und damit auf diesem Umweg eine Erhöhung
        der Erbschaftsteuer durchgeführt werden sollte.
        Dabei war der Bund nicht unbeteiligt. Wie man einer
        Pressemeldung des niedersächsischen Finanzministers
        vom 29. März 2001 entnehmen kann, hat der Bund die
        entsprechende Formulierungshilfe für die Länder geleis-
        tet. Aller wies die Kritik von Bundeskanzler Schröder und
        Bundesfinanzminister Eichel zurück, indem er ausführte:
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 200119222
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Dass sich der Bund jetzt so positioniert (Anmerkung: ab-
        lehnt), ist für die Beteiligten überraschend: Er sei sogar an
        der Formulierungshilfe dieses Gesetzentwurfes einer
        Ländergruppe unter Federführung von Schleswig-Hol-
        stein beteiligt gewesen. Deshalb ist es scheinheilig,
        wenn der Bundeskanzler und der Finanzminister Ende
        März 2001 plötzlich jegliche Erhöhung der Erb-
        schaftsteuer abgelehnt haben.
        Um es noch einmal deutlich zu machen: Die Bundes-
        regierung lässt nicht von ihren Plänen, die Erbschaftsteuer
        erhöhen zu wollen. Es geht ihr nicht um die sachgerechte
        Bewertung von Vermögen, sondern allein um Ideologie.
        Anders lässt sich doch die gleichmacherische Auslegung
        des Art. 3 Grundgesetz in der Regierungsstellungnahme
        in der Bundestagsdrucksache 14/6718, Seite 7 nicht lesen.
        Dort steht wörtlich: ... dass eine dauerhafte Lösung eine
        Angleichung der unterschiedlichen Maßstäbe und Verfah-
        ren für die Bewertung von Grundbesitz einerseits sowie
        von sonstigem Vermögen andererseits enthalten muss, um
        den verfassungsrechtlichen Anforderungen weiterhin zu
        entsprechen.
        Dabei meint doch der Gleichheitssatz des Art. 3 Grund-
        gesetz etwas ganz anderes. Die Gleichheit des Grundge-
        setzes geht von Sachgesichtspunkten aus. Demnach sol-
        len im Wesentlichen gleich gelagerte Sachverhalte gleich
        bewertet und im Wesentlichen ungleich gelagerte Sach-
        verhalte ungleich bewertet werden. Es handelt sich also
        um eine abgestufte Gleichheit und nicht um die rot-grüne
        Einheits-Gleichheit.
        Gerade dieser  vom Grundgesetz gewollten  abge-
        stuften Gleichheit wird die jetzt bestehende Regelung, die
        von der CDU/CSU/FDP-Koalition 1997 verabschiedet
        worden ist, in besonderem Maß gerecht. Wurde bis dahin
        Grundvermögen nach dem Einheitswert bewertet, hat die
        damalige Koalition in Umsetzung des Verfassungsge-
        richtsurteils von 1995 das sachgerechte Prinzip des Er-
        tragswertverfahrens eingeführt. So wird ein Bewertungs-
        niveau von 50 bis 70 Prozent der Verkehrswerte erreicht
        und das Grundvermögen gegenüber Kapitalvermögen an-
        gemessen niedriger bewertet. Warum angemessen?
        Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
        richts ist es sachgerecht, Grundvermögen niedriger zu
        besteuern als Kapitalvermögen, um der geringeren Fungi-
        bilität, der höheren Sozialbindung, Mieterschutzbestim-
        mungen, öffentlich-rechtlichen Auflagen und zusätzli-
        chen Belastungen durch die Grundsteuern gerecht werden
        zu können.
        Das alles interessiert die rot-grüne Bundesregierung
        aber nur vor Wahlen. Dann nämlich wollen die Mieter
        wissen, ob durch eine höhere Besteuerung des Grundver-
        mögens die Mieten in die Höhe getrieben werden. Somit
        können wir auch hier wieder ein Beispiel von Schröders
        Vernebelungstaktik erleben. Warum sonst wird die Ver-
        längerung des Ertragswertverfahrens bis 2006 unter den
        Vorbehalt einer allgemeinen Neuregelung gestellt?
        Der schon vorher eingebrachte FDP-Antrag liest sich
        dagegen anders: Der Zeitraum wird nach diesem Vor-
        schlag zwar ebenfalls bis 2006 verlängert; jedoch wird am
        sachgerechten Prinzip des Ertragswertverfahrens festge-
        halten.
        Wir von der CDU/CSU haben für die kleinen Haus-
        eigentümer die klarste Lösung: Wir halten ohne Zeitbe-
        grenzung am bewährten Ertragswertverfahren fest. Wir
        halten es mit dem Deutschen Siedlerbund, der seine Pres-
        semitteilung vom 8. Mai 2000 unter der Überschrift ver-
        öffentlichte: Einfamilienhaus vor dem Fiskus retten.
        Recht haben die Siedler!
        Die ständige Unsicherheit über den Kurs des Bundes-
        kanzlers in dieser Frage ist mittlerweile für alle Haus-
        eigentümer unzumutbar. Die Bundesregierung hat kein
        klares Konzept. Sie will nach wie vor Grundvermögen
        neu bewerten.
        Schröders Beteuerungen in der Welt vom 2. Dezem-
        ber 1999, dass ich nicht an Omas Häuschen ran will sind
        doch so viel wert, wie seine damaligen Versprechungen vor
        der Bundestagswahl, bei 6 Pfennigen Benzinpreiserhöhung
        für die Ökosteuer, sei für ihn das Ende der Fahnenstange
        erreicht. Mittlerweile haben wir nicht 6 Pfennig Benzin-
        preiserhöhung für die Ökosteuer insgesamt, sondern
        6 Pfennig jedes Jahr! Nein: Wer einmal nicht die Wahrheit
        spricht, dem glaubt man nicht. Dieses Sprichwort sollen
        alle Hauseigentümer sorgfältig bedenken, wenn es um die
        Pläne der Bundesregierung zur Erbschaftsteuer geht.
        Wir von der Union sagen dagegen: Hände weg von ei-
        nem neuen Bewertungsniveau beim Grundvermögen!
        Hände weg von der Erbschaftsteuer! Hände weg von
        Omas Häuschen!
        Ich fordere die SPD deshalb noch einmal auf, eine ein-
        deutige Erklärung dahin gehend abzugeben, dass sie künf-
        tig keine Erhöhungen der Erbschaftsteuern  weder direkt
        noch indirekt  plant, um den Menschen tatsächlich Si-
        cherheit zu geben. Der Bevölkerung rate ich, dieses Ver-
        halten zu beobachten, damit die Erbschaftsteuer nicht den
        üblichen Gang einer Chefsache geht nach dem Motto: Es
        gilt das gebrochene Wort.
        Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
        der heutigen zweiten und dritten Lesung des Bewertungs-
        gesetzes auf Vorschlag des Bundesrates wird sicherge-
        stellt, dass die Länder auch nach dem 31. Dezember 2001
        über die erwarteten Einnahmen aus der Erbschaft- und
        Grunderwerbsteuer verfügen können. Die Bemessungs-
        grundlage nach dem Ertragswertverfahren für die beiden
        Steuerarten wird verlängert.
        Mit diesem notwendigen Schritt werden aber die of-
        fensichtlichen Mängel des Ertragswertverfahrens nicht
        aufgehoben. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Be-
        steuerung aller Vermögensarten wird weiterhin verletzt,
        sodass nur vorübergehend mit der Methode der Verlänge-
        rung der Anwendung des Ertragswertverfahrens gearbei-
        tet werden kann. Laut Bericht des Deutschen Instituts für
        Wirtschaftsforschung vom 31. Mai 2001  Wochenbericht
        Nr. 22/2001  ergab eine Kaufpreisuntersuchung der Fi-
        nanzbehörden für das Jahr 1998, dass die steuerlichen
        Grundstückswerte bei bebauten Grundstücken durch-
        schnittlich nur 51 Prozent der tatsächlichen Verkehrs-
        werte und bei unbebauten Grundstücken 72 Prozent der
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001 19223
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Verkehrswerte erreichten. Die Auswertung der Stichprobe
        von 7 000 Fällen ergab, dass die Wertrelationen nach Re-
        gionen und nach dem Alter der Gebäude erheblich
        streuen. Diese Tatsache kann die Opposition nicht einfach
        negieren, wie die CDU/CSU-Fraktion es mit ihrem Ent-
        schließungsantrag tut. Eine gleichmäßige Besteuerung
        aller Vermögensarten im Erbschafts- und Schenkungsfall
        ist mit rund der Hälfte bei bebauten Grundstücken einfach
        nicht gegeben. Ihr Hinweis auf die Grundsteuer, Anlie-
        gergebühren oder mangelnde Fungibilität ist einfach ein
        Vorwand für das Leugnen von Änderungsbedarf. Bereits
        im Mai 2000 hat eine Sachverständigenkommission, ein-
        gesetzt vom Bundesministerium der Finanzen, Vor-
        schläge für ein verbessertes Bewertungsverfahren vorge-
        legt. Auch der Gesetzentwurf der fünf Bundesländer von
        Schleswig-Holstein bis Sachsen-Anhalt zeigt mit seinem
        Vorschlag zur Änderung des Bewertungsgesetzes die Not-
        wendigkeit, den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Be-
        steuerung wenigstens annäherungsweise herzustellen.
        Bei all diesen Vorschlägen wurde Rücksicht darauf ge-
        nommen, dass der Grundbesitz eine andere Vermögensart
        ist, als zum Beispiel das Geldvermögen. Außerdem wurde
        genau differenziert nach bebauten und unbebauten
        Grundstücken sowie nach Landwirtschaftsflächen. Ich
        richte deshalb die Aufforderung an die Oppositionspar-
        teien von CDU und FDP, sich für eine differenzierte und
        gerechte Ausgestaltung des Bewertungsgesetzes einzuset-
        zen und nicht den Status quo auf immer zu fordern. Die
        Bundesregierung schreibt in Ihrer Stellungnahme zur Ver-
        längerung des Bewertungsgesetzes, dass eine dauerhafte
        Lösung eine Angleichung der unterschiedlichen Maß-
        stäbe und Verfahren für die Bewertung von Grundbesitz
        einerseits sowie von sonstigem Vermögen andererseits
        enthalten muss, um den verfassungsrechtlichen Anfor-
        derungen weiterhin zu entsprechen; vgl. Drucksache
        14/6718, Anlage 2. Ich setze mich dafür ein, dass in der
        nächsten Legislaturperiode eine Neuregelung angepackt
        wird, weil der Zustand der ungleichmäßigen Besteuerung
        auf Dauer nicht hingenommen werden kann.
        Steuersparen mithilfe der Wahl der Vermögensanlage
        vor dem Erbschaftsfall ist eine Kultur, die durch nichts zu
        rechtfertigen ist. Die Freibeträge im Erbschaftsteuerrecht
        werden so bleiben, dass selbstgenutztes Wohnungseigen-
        tum grundsätzlich steuerfrei weitervererbt werden kann.
        Omas Häuschen bleibt selbstverständlich steuerfrei. Auch
        für Fälle der Betriebsübergabe sieht das Gesetz umfang-
        reiche Ermäßigungstatbestände vor. Grundsätzlich gilt es
        das Verfassungsgerichtsurteil ernst zu nehmen und den
        vorgegebenen Rahmen zur Anwendung zu bringen. Für
        uns ist im Gegensatz zu FDP und CDU Steuergerechtig-
        keit ein anzustrebendes Ziel und Steuersparen kein zu kul-
        tivierender Lebensstil. Wer finanziell leistungsfähig ist,
        der kann auch einen größeren Beitrag für die Gesellschaft
        leisten. Dies gilt insbesondere auch für die Vermögenden.
        Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Die Bewertungsre-
        geln für Immobilien laufen Ende dieses Jahres aus. Wenn
        der Gesetzgeber nicht tätig wird, könnte im nächsten Jahr
        keine Erbschaftsteuer mehr erhoben werden. Die FDP hat
        die Initiative ergriffen und als erste Partei  unser Gesetz-
        entwurf datiert vom 13. Februar 2001  vorgeschlagen,
        das geltende Bewertungsrecht zu verlängern. Damit wol-
        len wir Klarheit und Planungssicherheit für die Bürger
        schaffen. Ich begrüße es für die FDP ausdrücklich, dass
        der Bundesrat mit seinem Gesetzentwurf vom 1. Juni
        2001 unserem Vorschlag wortgleich gefolgt ist.
        FDP und Bundesrat stimmen darin überein, dass eine
        Festschreibung der Wertverhältnisse beim Grundbesitz
        für fünf weitere Jahre gerechtfertigt ist. Der durchschnitt-
        liche Preisanstieg auf dem Grundstückmarkt führt weder
        zu inakzeptablen Wertverzerrungen innerhalb des Grund-
        besitzes noch im Vergleich zur anderen Vermögensarten.
        Dass die rot-grüne Koalition dieser Auffassung nun-
        mehr folgt, ist immerhin zu begrüßen. Dass Sie den zuerst
        eingebrachten Gesetzentwurf der FDP ablehnen, dem
        gleich lautenden und wohl von der FDP abgeschriebenen
        Gesetzentwurf des Bundesrates aber zustimmen wollen,
        ist ein Beispiel für den unfairen Stil der Regierungsmehr-
        heit im Umgang mit der parlamentarischen Minderheit.
        Außerhalb der Politik wäre dies eine Verletzung des Ur-
        heberrechts.
        Gleichwohl hält die Bundesregierung daran fest, nach
        Ablauf der Frist die Bewertungsgrundsätze für Immobi-
        lien zu ändern. Welche Folgen hätte das für die Bürger?
        Ich darf daran erinnern, dass es im Frühjahr Pläne gab
        und wohl auch noch gibt, die Erbschaftsteuer massiv zu
        erhöhen. Einige sozialdemokratische Ministerpräsidenten
        und auch SPD-Politiker im Bund waren noch im Frühjahr
        dafür, durch Änderungen des Bewertungsrechts zum
        1. Januar 2002 den Bürgern abermals tief in die Tasche zu
        greifen. Das zeigt, dass weite Teile der SPD in keiner
        Weise daran interessiert sind, die viel zu hohe Steuerbelas-
        tung zu senken. Staatsgläubigkeit und Dirigismus herr-
        schen weiterhin vor. Der Glaube ist weit verbreitet, dass
        der Staat zugreifen und den Erfolg abschöpfen muss, wo
        Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit zum Erfolg
        führen.
        Kurz nach der Verabschiedung der halbherzigen Steu-
        erreform sollen bis zum Jahresende die gröbsten Fehler
        dieser Politik korrigiert werden. Trotzdem können Sie
        sich bis heute nicht dazu entschließen, den zentralen Feh-
        ler, nämlich die Benachteiligung von Mittelstand und Ar-
        beitnehmern gegenüber den Kapitalgesellschaften, zu be-
        seitigen. Nur durch eine konsequente und gerechte
        Steuersenkungspolitik kann die Grundlage für mehr In-
        vestitionen, mehr Arbeitsplätze und mehr Steuereinnah-
        men gelegt werden. Das bleibt die rot-grüne Bundesre-
        gierung bis heute schuldig.
        In dieses Bild passt die bereits beschlossene Erhöhung
        der Ökosteuer zum 1. Januar. Auch die anstehende Er-
        höhung der Tabaksteuer sowie der Versicherungsteuer be-
        legt, dass die SPD und auch die Grünen weder den Willen
        noch die Kraft haben, wirkliche Steuersenkungen durch-
        zusetzen. Für die FDP steht fest: Die Politik dieser Regie-
        rung ist schädlich für Deutschland. Daran ändert auch der
        Verzicht auf die Erhöhung der Erbschaftsteuer nichts. Der
        Grund hierfür liegt einzig darin, dass 2002 ein Wahljahr
        ist.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 200119224
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Dr. Barbara Höll (PDS): Die PDS stimmt der vorlie-
        genden Bundesratsinitiative zur Verlängerung des Bewer-
        tungsverfahrens von Immobilien im Rahmen der Erb-
        schaftsteuer zu, da ohne den vorliegenden Gesetzentwurf
        die Erbschaftsteuer ab Januar 2002 nicht mehr erhoben
        werden könnte. Damit würden den Ländern fast 6 Milli-
        arden DM an Steuereinnahmen verloren gehen  und da-
        rüber hinaus ein wesentliches Instrument zur Finanzie-
        rung gesellschaftlicher Aufgaben sowie des sozialen
        Ausgleichs in dieser Gesellschaft.
        Das Festschreiben der Wertverhältnisse von Immobi-
        lien für weitere fünf Jahre darf aber nicht eine Absage an
        die notwendige Reform der Erbschaftsbesteuerung sein.
        Wir lehnen deshalb alle diesbezüglichen Versuche seitens
        der FDP und der CDU/CSU ab. So behauptet die
        CDU/CSU immer wieder, dass das Bundesverfassungs-
        gericht eine erbschaftssteuerliche Sonderbehandlung des
        Grundvermögens aufgrund seiner geringeren Fungibilität
        und stärkeren Sozialbindung geboten hat. Dies ist falsch.
        Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von
        1995 klar festgestellt, dass die Werte der wirtschaftlichen
        Einheiten in ihrer Relation realitätsgerecht abgebildet
        sein müssen. Weiterhin förderte das Bundesverfassungs-
        gericht, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung von Frei-
        beträgen  des zur individuellen Lebensgestaltung not-
        wendigen Vermögens also  Grundeigentümer und
        Inhaber anderer Vermögenswerte in einem gleichen Indi-
        vidualbedarf freistellen muss. Grundsätzlich hat das Bun-
        desverfassungsgericht also die Gleichbehandlung aller
        Vermögensarten verfügt.
        Das derzeitige Bewertungsverfahren von Grundbesitz
        kommt dem nicht einmal annähernd nach: Die nach dem
        derzeit geltenden Ertragswertverfahren ermittelten
        Grundstückswerte für bebaute Grundstücke erreichen ge-
        rade 51 Prozent, die Werte für unbebaute Grundstücke
        72 Prozent der Verkehrswerte. Es muss also sowohl eine
        Ungleichbehandlung innerhalb des Grundvermögens als
        auch eine massive steuerliche Privilegierung des Grund-
        vermögens gegenüber allen anderen Vermögensarten fest-
        gestellt werden.
        Dies hält die CDU/CSU scheinbar für verfassungs-
        gemäß. Aber ihr geht es ja ohnehin nicht um die beson-
        dere soziale Funktion des Grundeigentums  das hat die
        Politik in ihrer Regierungszeit und haben alle seither statt-
        gefundenen Diskussionen bewiesen. Ihr geht es vielmehr
        darum, eine Reform der Erbschaftsteuer und eine mögli-
        che höhere Erbschaftsbesteuerung reicher Erben zu ver-
        hindern.
        Dies muss vor dem Hintergrund der heutigen Diskus-
        sion zum Armuts- und Reichtumsbericht gesehen werden.
        Gerade in diesem Bericht wurde ja festgestellt, dass die
        Polarisierung weiter zunimmt und Erbschaften eine we-
        sentliche Ursache dessen sind. Sie wollen also auf die Be-
        steuerung der hohen Erbschaften verzichten und eine Ver-
        erbung von sozialer Ungleichheit und die damit ver-
        bundene Polarisierung weiter zulassen.
        Tatsache ist doch: 100 bis 200 Milliarden DM an Geld-
        vermögen werden jährlich vererbt. Bei der Verteilung der
        Erbschaften herrscht eine erhebliche Schieflage. In ge-
        rade 4 Prozent aller Erbfälle ist der Nachlass höher als
        1 Million DM, in der Hälfte der Fälle liegt er unter
        100 000 DM. Die Chance einer Reform läge also gerade
        darin, diejenigen höher zu belasten, die große Vermögen
        erben, ohne gleichzeitig die kleinen Vermögen oder
        Omas kleines Häuschen wegzubesteuern. Mit einer sol-
        chen Reform ließen sich 15 bis 20 Milliarden DM an
        Mehreinnahmen erzielen.
        Hinzu kommt, dass Erbschaften zunehmend die sozia-
        len Gegensätze innerhalb der Gesellschaft verschärfen.
        Schon immer lautete die Regel, dass vor allem Menschen
        aus höheren sozialen Schichten zahlreiche und hohe Erb-
        schaften erhalten, während die benachteiligt sind, die oh-
        nehin um ihre soziale Position kämpfen müssen. Dies ver-
        stärkt sich durch die wachsende Kinderlosigkeit. Immer
        mehr Menschen erben nicht mehr nur von den Eltern, son-
        dern zunehmend auch von anderen Verwandten. Eine im-
        mer geringere Zahl an Erben erhalten immer höhere Sum-
        men. Hier kann die Erbschaftsteuer ein zu
        unterschätzendes Korrektiv sein. Nicht zuletzt die SPD
        beschloss ja im Jahr 1999, die Gerechtigkeitslücke
        durch ein Mehr an Erbschaftsteuer zu schließen. Also:
        Problem erkannt, wo bleibt die Lösung?
        Die zweifellos notwendige Reform der Erbschaftsteuer
        muss die Besteuerung aber auch strukturell verändern.
        Noch immer können überlebende Ehegatten einen zehn-
        mal höheren Freibetrag als überlebende Partner bei un-
        verheirateten Paaren in Anspruch nehmen und zahlen ent-
        sprechend weniger Steuern  und dies, obwohl sich die
        Lebensweise der Menschen bereits seit Jahren rapide ver-
        ändert. Hier muss endlich gehandelt werden, um die ekla-
        tante Benachteiligung von zum Beispiel unverheirateten
        Paaren aufzuheben.
        Die PDS fordert bereits seit Jahren eine Reform der
        Erbschaftsbesteuerung. Wir fordern einheitliche Freibe-
        träge, eine realitätsnahe Bewertung des Grundvermögens
        und einen einheitlichen progressiven Steuertarif. Eine
        solche Erbschaftsteuer wäre modern und entspräche ver-
        teilungspolitischen Erfordernissen. Ich fordere die Bun-
        desregierung auf, bei der Reform der Erbschaftsteuer
        nicht erst bis zum nächsten Urteil des Bundesverfas-
        sungsgerichts zu warten. Legen Sie so schnell wie mög-
        lich ein Konzept auf den Tisch, das eine sozialgerechte so-
        wie verfassungsfeste Besteuerung sichert.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschrif-
        ten (Rehabilitierungsgesetzeänderungsgesetz 
        RehaÄndG) (Tagesordnungspunkt 24)
        Hans-Joachim Hacker (SPD): Nach dem Sturz der
        SED-Diktatur durch die friedliche Revolution des Herbs-
        tes 1989 in der DDR waren die Voraussetzungen dafür ge-
        schaffen, Opfer politischer Verfolgung zu rehabilitieren.
        Die demokratisch gewählte Volkskammer hat sich dieser
        wichtigen Aufgabe gestellt. Ich kann mich noch gut an die
        Anhörung im Sommer 1990 erinnern, als erstmals Opfer
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001 19225
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        des SED-Unrechts die Möglichkeit hatten, in der Volks-
        kammer der DDR über ihre Schicksale zu sprechen, und
        Parlamentarier fanden, die ihnen zuhörten.
        Es darf nicht vergessen werden, dass der Deutsche
        Bundestag in der Ehrenerklärung vom 17. Juni 1992 all
        jenen tiefen Respekt und Dank bezeugt hat, die durch ihr
        persönliches Opfer dazu beigetragen haben, nach über
        40 Jahren das geteilte Deutschland in Freiheit wieder zu
        einen. Der Bundestag hatte damals festgestellt: Die Reha-
        bilitierung und Entschädigung der Menschen, die in der
        DDR und zuvor in der SBZ Opfer politischer Verfolgung
        geworden sind, ist eine Aufgabe von besonderem politi-
        schen Gewicht, ein wesentlicher Aspekt der Aufarbeitung
        der DDR-Vergangenheit und unverzichtbar für die innere
        Einheit.
        Die damalige Bundesregierung hätte bei der Erarbei-
        tung der Rehabilitierungsgesetze schneller arbeiten müs-
        sen. Vor allem hätte sie vermeiden müssen, dass in den
        1992 und 1994 verabschiedeten SED-Unrechtsbereini-
        gungsgesetzen schwere Schieflagen Eingang gefunden
        haben. Die Verantwortung für das Fachressort Justiz lag
        damals bei der FDP. Insofern wird man die FDP-Fraktion
        auch mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf für ein
        Rehabilitierungsgesetzeänderungsgesetz nicht als Vor-
        reiter bei der Wiedergutmachung von SED-Unrecht be-
        zeichnen können.
        Die gravierenden Defizite der beiden genannten Ge-
        setze waren die Ursache dafür, dass die Opfer und ihre
        Verbände Protest erhoben haben und auch die damalige
        Opposition Nachbesserungsvorschläge unterbreitet hat.
        Für die SPD-Bundestagsfraktion war dies ein wichtiges
        politisches, aber nicht zuletzt auch moralisches Anliegen.
        Es bleibt bis heute unerklärlich, warum die damalige Bun-
        desregierung diese Vorschläge nicht aufgegriffen hat.
        Diese Tatsachen müssen immer wieder dargestellt wer-
        den, weil in jüngster Vergangenheit die CDU/CSU-Frak-
        tion mit Vorschlägen an die Öffentlichkeit getreten ist, die
        in das damals begründete Entschädigungskonzept nicht
        passen und weit über die soliden Vorschläge der SPD-
        Bundestagsfraktion aus den 90er-Jahren hinausgehen.
        Diese Vorschläge hatte damals die Union mit dem Hin-
        weis auf fehlende Finanzen abgelehnt.
        Die SPD hat 1998 vor der Bundestagswahl zu Forde-
        rungen aus den Opferverbänden Stellung genommen und
        im Falle einer Regierungsbeteiligung grundsätzliche
        Nachbesserungen zugesagt. Der damalige Kanzlerkandi-
        dat Gerhard Schröder hat die Kritik der Verbände auf-
        genommen und in fünf Punkten Verbesserungen zugesi-
        chert. Diese Zusagen waren keine Wahlkampfverspre-
        chen, sondern die SPD hat nach der Bundestagswahl 1998
        in Regierungsverantwortung mit dem Zweiten Gesetz zur
        Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für
        Opfer der politischen Verfolgung in der DDR die Zusagen
        eingelöst.
        Die Kapitalentschädigung wurde auf einheitlich
        600 DM je angefangenen Haftmonat erhöht. Die Hin-
        terbliebenen der Todesopfer erhalten von der Stiftung für
        ehemalige politische Häftlinge Leistungen ohne Prüfung
        der wirtschaftlichen Situation. Die Antragsfristen in den
        drei Rehabilitierungsgesetzen wurden um zwei Jahre ver-
        längert. Der Stiftungsfonds der Stiftung für ehemalige
        politische Häftlinge wurde aufgestockt, um die Möglich-
        keiten zu verbessern, den aus den Gebieten jenseits von
        Oder und Neiße Zivildeportierten bzw. -internierten Un-
        terstützungsleistungen zu gewähren. Die Länder wurden
        aufgefordert, eine nochmalige Überprüfung bei der Aner-
        kennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden vor-
        zunehmen.
        Der finanzielle Kostenrahmen dieses Gesamtpaketes
        umfasste rund 400 Millionen DM. Er war anteilig vom
        Bund und den ausführenden Ländern zu tragen. Bei den
        Haushaltsberatungen für das Jahr 2001 hat die SPD-Bun-
        destagsfraktion durchgesetzt, dass die Stiftung für ehe-
        malige politische Häftlinge einen weiteren zusätzlichen
        Betrag in Höhe von 5 Millionen DM erhält, um die Un-
        terstützung für die Zivildeportierten bzw. -internierten
        von jenseits der Oder und Neiße noch weiter zu verbes-
        sern.
        Zahlreiche Anfragen und Zuschriften aus den letzten
        Monaten sind für mich ein Beweis, dass diese massiven
        und notwendigen Verbesserungen der Rechtsstellung der
        Opfer der SED-Diktatur und der stalinistischen Verfol-
        gung bei den Opfern die Entscheidung beflügelt hat, nun-
        mehr Rehabilitierungsanträge zu stellen. Sicherlich kann
        man sich fragen, warum die Betroffenen nicht bereits
        früher Anträge gestellt haben. Das ist jedoch für mich
        nicht die Kernfrage. Die Kernfrage ist: Wie können wir
        den Opfern helfen, damit sie zu ihrem Recht kommen?
        Und: Wie können wir gewährleisten, dass sie in den Ge-
        nuss gesetzlicher Leistungen kommen?
        Wenn es richtig ist  davon gehen die Landesbehörden
        aus , dass eine nicht unbedeutende Zahl von Verfol-
        gungsopfern mit Sicherheit auch im nächsten Jahr noch
        Anträge auf Rehabilitierung stellen werden, dann droht
        Verfolgungsopfern Rechtsverlust; denn die gesetzliche
        Antragsfrist nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungs-
        gesetz wäre abgelaufen, wenn wir jetzt nicht handeln.
        Nach bereits erfolgter Verlängerung können gemäß § 7
        des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes Anträge auf
        Aufhebung rechtsstaatswidriger Entscheidungen erfolg-
        reich nur noch bis zum 31. Dezember 2001 gestellt wer-
        den. Von der termingerechten Antragstellung ist der Aus-
        spruch der Rehabilitierung, jedoch auch die Gewährung
        der sozialen Ausgleichsleistungen  Kapitalentschädi-
        gung, Unterstützungsleistungen  abhängig.
        Die SPD-Bundestagsfraktion würde es als eine unver-
        tretbare Härte für die Opfer von SED-Diktatur ansehen,
        wenn in Kenntnis der Tatsache, dass weiterhin Anträge
        eingehen, die gesetzliche Antragsfrist auslaufen würde.
        Wir greifen daher die Initiative der FDP-Fraktion auf und
        unterstützen eine nochmalige Verlängerung der Antrags-
        frist gemäß § 7 des Strafrechtlichen Rehabilitierungs-
        gesetzes um zwei Jahre, das heißt bis zum 31. Dezember
        2003.
        Einen solchen Regelungsbedarf sehe ich dagegen bei
        der Fristverlängerung für das Verwaltungsrechtliche Re-
        habilitierungsgesetz sowie das Berufliche Rehabilitie-
        rungsgesetz nicht. Ich plädiere dafür, dass wir die Bera-
        tungen im Rechtsausschuss zügig beginnen, damit die
        Fristverlängerung für das Strafrechtliche Rehabilitie-
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 200119226
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        rungsgesetz gesichert wird. Über die weiteren Fragen aus
        dem FDP-Antrag werden wir dann ebenfalls sprechen
        können.
        Hartmut Büttner (Schönebeck) (CDU/CSU): Der
        Deutsche Bundestag hat mit zahlreichen Initiativen und
        Gesetzen versucht, das von der SED-Diktatur zu verant-
        wortende schreiende Unrecht aufzuarbeiten und, wo es
        noch möglich war, die Folgen zumindest etwas zu mil-
        dern. Kernstücke waren die beiden SED-Unrechtsbereini-
        gungsgesetze vom 29. Oktober 1992 und 23. Juni 1994.
        Diese Gesetze sind in den Folgejahren weiter verbessert
        worden.
        Gerade wir Abgeordnete, die wir uns seit Jahren immer
        wieder für die Opfer der zweiten Diktatur auf deutschem
        Boden einsetzen und engagieren, haben es als bitteren
        Schlag empfunden, dass ausgerechnet die ehemals sys-
        temnahen Personen  einschließlich der Stasimitarbeiter 
        rentenrechtlich durch ein Urteil besser gestellt werden
        mussten. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsge-
        richts war vom Deutschen Bundestag umzusetzen. Der
        Gesetzgeber war aber frei in seinen Handlungsmöglich-
        keiten, auch den Rentenbezug der Opfer des SED-Regi-
        mes zu verbessern.
        Die Fraktionen vorn SPD und Grünen in diesem Haus
        haben es zu verantworten, dass die Schere zwischen Tä-
        tern und Opfern jetzt weiter denn je auseinander klafft.
        Unser Antrag, für die Haft- und Zersetzungsopfer eine
        monatliche Ehrenpension von 1 000 DM zu zahlen, wurde
        alternativlos abgelehnt. Damit wird das Gefühl der SED-
        Opfer und ihrer Verbände verstärkt, erneut zu den Verlie-
        rern der deutschen Geschichte zu gehören.
        Wir sollten auch aus diesen Erfahrungen heraus einen
        Vorschlag aufgreifen, der uns von den Landesbeauftrag-
        ten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
        ehemaligen DDR bereits im Februar erreichte. Die fünf
        Landesbeauftragten von Mecklenburg-Vorpommern,
        Sachsen-Anhalt, Berlin, Thüringen und Sachsen regten
        an, die am 31. Dezember dieses Jahres auslaufende Frist
        zur Antragstellung für die beiden SED-Unrechtsbereini-
        gungsgesetze unbefristet zu verlängern. Als Begründung
        wurde genannt, dass noch breite Kreise von Berechtig-
        ten von den rechtlichen Möglichkeiten der Rehabilitie-
        rung nichts erfahren hätten. Als Beleg wurden Aktionen
        der Landesbeauftragten in Thüringen und Sachsen-An-
        halt genannt, nach denen zahlreiche Personen erstmals
        Anträge nach Vor-Ort-Beratungen gestellt haben. Die
        Landesbeauftragten waren selbst überrascht über das
        plötzliche zahlenmäßige Ansteigen der Antragstellun-
        gen nach den Aktionen. Auch elf Jahre nach der Wieder-
        vereinigung besteht immer noch ein Beratungsbedarf.
        Damit SED-Opfer am 2. Januar 2002 ihren Erfahrun-
        gen mit dem demokratischen Deutschland nicht eine wei-
        tere Enttäuschung hinzufügen müssen, sollte der Deut-
        sche Bundestag die Frist für die Antragstellung beider
        Gesetze verlängern. Die Landesbeauftragten hatten sogar
        angeregt, die Fristen aus den Rehabilitierungsgesetzen
        ganz zu streichen. Die FDP-Fraktion schlägt eine Verlän-
        gerung um zwei Jahre vor. Von der Bundesregierung und
        den sie tragenden Parteien hört man überhaupt nichts zu
        diesem Thema. Obwohl alle Fraktionen des Deutschen
        Bundestages zweimal im Februar und Oktober von den
        Landesbeauftragten und auch von den Opferverbänden
        VOS, BSVL und Bürgerbüro im Juni angeschrieben wor-
        den sind, gab es von der Koalition bisher keinerlei Reak-
        tion.
        Sie, meine Damen und Herren, sollten die Gelegenheit
        jetzt nutzen, sich in den Ausschüssen des Deutschen Bun-
        destages unseren Antrag zu eigen zu machen. Wir werden
        in den Ausschüssen den Antrag stellen, die Antragsfrist
        für Leistungen nach dem strafrechtlichen, verwaltungs-
        rechtlichen und beruflichen Rehabilitierungsgesetz bis
        zum 31. Dezember 2006 zu verlängern. Wir verbinden
        diesen Verlängerungsantrag mit dem Wunsch und der
        Aufforderung, dass diese fünf Jahre von allen öffentlichen
        und nicht öffentlichen Stellen, die sich mit der SED-Op-
        fer-Thematik befassen, genutzt werden müssen, um die
        Betroffenen über die Rehabilitierungsmöglichkeiten zu
        beraten. Neben den Opferverbänden sollten vor allem die
        Landesbeauftragten für die Stasiakten ihre Aktionen auch
        über die anderen Länder ausdehnen. Damit hätten wir ei-
        nen Beitrag für mehr Rechtsfrieden und mehr Gerechtig-
        keit in Deutschland geleistet.
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Ich könnte dem Kollegen Professor Schmidt-
        Jortzig fast meine Anerkennung aussprechen. Er hat aus
        seiner Zeit als Justizminister offensichtlich seine Wieder-
        vorlagemappe für ablaufende Gesetze bei sich behalten.
        In der Tat stehen die Änderungen der Fristen in den drei
        genannten Rehabilitierungsgesetzen auf der Tagesord-
        nung. Es gibt dazu auch die Grundsatzabsprache inner-
        halb der Koalition über eine Verlängerung, zumindest der
        Fristen des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes.
        Lassen Sie mich zu diesem leidigen Thema der Fristen
        ein paar grundsätzliche Anmerkungen machen. Ich habe
        insgesamt immer große Probleme mit den Befristungen
        von Rehabilitierungsleistungen und Rentenansprüchen.
        Ich kenne zu gut das elende Gewürge bei der Verlänge-
        rung der Fristen beim Bundesentschädigungsgesetz. Auch
        hier folgten immer wieder neue Verlängerungen. Es ist ein
        grundlegender Irrtum zu glauben, Geschichte durch Be-
        fristungen abhandeln zu können. Je ungeduldiger und
        drängender man das versucht, umso heftiger wird einen
        die Geschichte einholen. Die Geschichte hat auch gerade
        in ihren tragischen Teilen ein Gesicht: Das sind die Opfer
        von Verfolgung.
        Wir müssen uns immer wieder klar machen, dass Op-
        fer von Verfolgung nicht im Takt bundesdeutscher Büro-
        kratie denken und handeln. Wir haben es oft mit Men-
        schen zu tun, die für ihr Leben gezeichnet sind durch das,
        was ihnen widerfahren ist. Sie haben alle traumatische Er-
        fahrungen mit dem Staat gemacht. Wenn ich mir das
        Elend bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden
        durch so genannte Sachverständige ansehe, kann ich das
        Misstrauen der Betroffenen sogar verstehen.
        Diese Probleme bei der Befristung waren schon von
        Anfang an klar. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie einmal in
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001 19227
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        den alten Protokollen nach, was Wolfgang Ullmann schon
        bei der Verabschiedung des ersten Unrechtsbereinigungs-
        gesetzes im Oktober 1992 dazu gesagt hat. Immer wieder
        hat er den damaligen Gesetzgeber vor zu engen Befris-
        tungen gewarnt. Die Karriere der Rehabilitierungsgesetze
        hat ihm voll Recht gegeben.
        Es waren aber die Justizminister der FDP, namentlich
        Herr Kinkel, Frau Leutheusser-Schnarrenberger und zu-
        letzt Herr Schmidt-Jortzig, die seit nunmehr neun Jahren
        die Praxis der kurzen Fristen begründet haben. Alle Jahre
        wieder sitzen wir seitdem zusammen und verlängern vor
        uns hin. Dabei wissen wir alle genau, dass sich die Opfer
        von Verfolgung und staatlicher Gewalt nicht allein an-
        hand abstrakter Normen an den Staat wenden, sondern
        wenn es ihre persönliche Aufarbeitung der Leidensge-
        schichte zulässt. Wer erst nach Jahren die Kraft hat, einen
        Antrag auf Einblick in die Unterlagen der Bundesbeauf-
        tragten für die Stasiunterlagen zu nehmen und auf diese
        Erkenntnisse sein Rehabilitierungsverfahren  etwa für
        berufliche Benachteiligungen  aufzubauen, sollte dafür
        nicht bestraft werden. Das Gleiche gilt auch für einen Be-
        rufstätigen, der erst beim Eintritt in die Rente so weit ist,
        einen Ausgleich für die Verfolgung zu beantragen. Daraus
        sollte man den Menschen keinen Vorwurf machen und
        schon gar keinen Nachteil entstehen lassen.
        Dieses ewige Hin und Her bei den Antragsfristen ist
        aus drei Gründen ein rechtspolitisches Ärgernis. Zum ei-
        nen wissen die Opfer, um die es uns geht, nicht, woran sie
        sind. Diese Praxis trägt nicht zur Beruhigung und zur Si-
        cherheit, sondern zu Misstrauen und Verwirrung bei.
        Zweitens. Der Staat selbst macht sich nicht glaubwürdi-
        ger, wenn er mal so, mal so agiert. Jeder Frist ist willkür-
        lich  die Verlängerung ist es letztlich auch. Warum drei
        Jahre, warum nicht fünf oder zehn Jahre? Drittens. In Er-
        wartung der ablaufenden Fristen haben die Länder mitt-
        lerweile ihre Rehabilitierungsbehörden abgebaut. Das
        heißt natürlich auch, dass immer weniger kompetente
        Stellen für die Betroffenen zuständig sind. Das ist auch
        der Grund, warum wir im Ergebnis nicht zu der von mir
        gewünschten völligen Aufhebung der Fristen gelangen,
        sondern wieder nur zu einer befristeten Verlängerung.
        Ich denke, wir werden im Ausschuss keine Mühe ha-
        ben, uns zügig zu verständigen und eine einvernehmliche
        Lösung im Interesse der Betroffenen zu finden.
        Cornelia Pieper (FDP): Der heute von uns in erster
        Lesung zu beratende Gesetzesentwurf zur Verlängerung
        der Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen sollte
        eigentlich in diesem Hause allenthalben Zustimmung fin-
        den können. Denn mit ihm wird einem Problem Rechnung
        getragen, das ganz grundsätzlich mit dem Rechtsfrieden
        in unserem Land zusammenhängt: der rechtlichen Aufar-
        beitung von 40 Jahren DDR-Unrecht zugunsten der Op-
        fer.
        Viele Bürger in der ehemaligen DDR haben in unter-
        schiedlicher Weise unter dem Zwangsregime gelitten: Die
        einen wurden als missliebige Dissidenten verhaftet, eini-
        gen wurden grundlos ihr Vermögen und ihre Existenz ent-
        zogen, andere wiederum wurden in ihren beruflichen Zu-
        kunftschancen nachhaltig behindert. Diese Bürger, die
        teilweise bis heute an den unbestritten rechtsstaatswidri-
        gen Maßnahmen leiden, sollten mit den SED-Unrechts-
        bereinigungsgesetzen, soweit es im Nachhinein möglich
        ist, rehabilitiert werden. Daher sehen die betreffenden Ge-
        setze vor, auf Antrag der Betroffenen die rechtsstaatswid-
        rigen Maßnahmen aufzuheben und je nach Fallkonstella-
        tion eine entsprechende Entschädigung zu gewähren.
        Allerdings existiert in allen drei Fällen für die Opfer
        eine Ausschlussfrist für die Antragstellung. Wer als Be-
        troffener nicht spätestens bis zum 31. Dezember dieses
        Jahres, also in rund zehn Wochen, einen Antrag auf Reha-
        bilitierung bei dem zuständigen Amt gestellt hat, hat kei-
        nerlei Möglichkeit mehr, berechtigte Wiedergutmachung
        für erlittenes Unrecht zu erhalten. Eine Wiedereinsetzung
        in den vorigen Stand ist ebenfalls nicht möglich. Man
        stelle sich dies vor: Wer beispielsweise zwei Jahre lang in
        Bautzen eingekerkert worden war, weil er sich weigerte,
        seinen Freund für die Stasi auszuspionieren, und nun nach
        der Wiedervereinigung hoffte, endlich für dieses Leiden
        entschädigt zu werden, dem müsste am 2. Januar 2002
        vom Staat beschieden werden, dass sein Anspruch zwar
        berechtigt wäre, aber leider nicht fristgerecht eingereicht
        wurde. Malen Sie sich bitte aus, verehrte Kolleginnen und
        Kollegen, welche Verbitterung dies über die subjektiv so
        empfundene erneute Rechtsversagung verursachen
        würde. Ich jedenfalls wollte diese Entscheidung nicht fäl-
        len müssen.
        Es wird eingewandt werden, die Betroffenen hätten seit
        1994 genug Zeit gehabt, sich um ihr Recht zu kümmern,
        irgendwann müsse Schluss sein. Dem möchte ich nach-
        drücklich zwei Gesichtspunkte entgegenhalten.
        Erstens. Zwar ist es völlig richtig, dass zur Herstellung
        von Rechtsfrieden auch gehört, Anspruchsausschlussfris-
        ten gesetzlich festzulegen, um einen überschaubaren Zeit-
        rahmen für die Rechtsgemeinschaft herzustellen, insbe-
        sondere den Finanzierungsbedarf verlässlich abschätzen
        zu können. Dieser Gesichtspunkt sollte aber nicht zur
        Folge haben, dass eine große Anzahl von berechtigten An-
        sprüchen von Opfern überhaupt nicht mehr durchdringen
        kann. Vor dem Gedanken des Anspruchs der Rechtsge-
        meinschaft auf Rechtssicherheit und -klarheit muss im-
        mer noch die Herstellung von materiellem Rechtsfrieden
        stehen. Und den, ich wiederhole es, erlangt man eben
        nicht durch die endgültige Versagung zu vieler Ansprüche
        durch Verfristung. Dieses gilt insbesondere dann, wenn
        der Anspruchsgegner nicht eine Privatperson ist, sondern
        eben die öffentliche Hand, zudem noch als Rechtsnach-
        folger eines Unrechtsstaates.
        Die Praxis zeigt außerdem, dass immer noch nicht alle
        Betroffenen ausreichend Kenntnis von den Möglichkeiten
        zur Rehabilitation erlangt haben. Das fängt an bei der an-
        scheinend verbreiteten Unkenntnis über die Gesetzeslage,
        geht über Schwierigkeiten, die richtige Behörde zu fin-
        den, bis hin zu praktischen Problemen bei der Antragstel-
        lung. Das jedenfalls tragen immer wieder Opferverbände
        vor und auch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache:
        So sind die Antragszahlen höchst unterschiedlich verteilt,
        obwohl doch eine zumindest ungefähr gleichförmige Ver-
        teilung zu erwarten gewesen wäre. Dass nach wie vor
        großer Bedarf besteht, lässt sich auch daran festmachen,
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 200119228
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        dass regelmäßig nach Beratungstagen in den neuen Bun-
        desländern oder ausführlicheren Zeitungsartikeln die An-
        tragszahlen sprunghaft und signifikant ansteigen. Es
        braucht also schlicht noch mehr Zeit, um all diesen Men-
        schen, die Opfer eines Unrechtsstaates waren, Gerechtig-
        keit widerfahren zu lassen.
        Zweitens. Auch die Konferenz der Landesbeauftragten
        für die Stasi-Unterlagen haben in dem Schreiben an die
        Vorsitzende des Innenausschusses deutlich gemacht, dass
        sie eine Verlängerung der Frist um eine Spanne von noch
        zwei Jahren für erforderlich halten. Es gibt eben noch zu
        viele nicht rehabilitierte Bürger in unserem Land! So sieht
        das im übrigen auch das in diesen Fragen besonders ak-
        tive und über jeden Zweifel erhabene Bürgerbüro von
        Bärbel Bohley.
        Wer wollte also ernsthaft behaupten, dass es diesen Be-
        darf in den neuen Ländern nicht gibt? Wer wollte ernsthaft
        den Bürgern ihr Recht versagen, nämlich das Recht auf
        vollständige Rehabilitierung und Anerkennung ihres Le-
        benswegs?
        Meine Fraktion und ich meinen, dass eine Verlänge-
        rung der Antragsfristen um zwei Jahre eine ebenso sinn-
        volle, berechtigte, ja notwendige, aber auch maßvolle
        Maßnahme ist, um dem Rechtsfrieden in unserem nun
        vereinigten Land zu dienen.
        Ich werbe, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen,
        um ihre Unterstützung in den nun folgenden, zügig durch-
        zuführenden Beratungen und hoffe, dass Sie genauso wie
        wir Liberalen willens und entschlossen sind, den Opfern
        von damals auch heute zu helfen, denn gerade in der Güte
        gegenüber Opfern zeigt sich die Größe einer Bürgerge-
        sellschaft.
        Petra Pau (PDS): Der Vorschlag, der uns heute hier
        vorliegt, ist offensichtlich notwendig geworden. Auch in
        meine Sprechstunde kommen immer mehr Menschen,
        welche in der DDR Repressionen erlitten haben, denen
        aber bis heute nicht klar ist, welche Ansprüche auf mora-
        lische wie auch materielle Wiedergutmachung bzw. auch
        Anerkennung ihrer Leiden ihnen zustehen. Deshalb wer-
        den wir den Vorschlag der FDP in den Ausschussberatun-
        gen nicht nur wohlwollend prüfen, sondern wir denken
        auch über diesen uns nun vorliegenden Antrag hinaus da-
        rüber nach, auf welche Art und Weise betroffenen Frauen
        und Männern ihre Ansprüche bekannt gemacht werden
        können und wie man die offensichtlich vorhandene emo-
        tionale Hürde vor entsprechender Antragstellung noch
        weiter absenken kann. Dies ist auch eine Frage, welche
        ich der Bundesregierung und den Regierungen der Länder
        in diesem Zusammenhang vorlegen möchte.
        Nun werden viele von Ihnen einwenden, dass sich die
        Volkskammer und auch der Bundestag bei der ersten Ver-
        längerung etwas dabei gedacht haben, und es im Wesen
        solcher Gesetze liegt, dass auch für alle durchschaubare
        Fristen zur Antragstellung gesetzt werden Wir haben es
        aber hier offensichtlich mit einem komplizierteren Sach-
        verhalt zu tun. Wir versuchen einerseits, Geschichte auf-
        zuarbeiten und so etwas wie Schuld abzutragen, und
        gleichzeitig, Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu las-
        sen  und das nach einem historisch ausgesprochen kur-
        zen Zeitraum, der für die Betroffenen aber wahrscheinlich
        unendlich lang ist. Auch deshalb sollten wir gemeinsam
        darüber nachdenken, wie wir in dieser Bundesrepublik
        nicht nur zusammen leben, sondern uns mit unserer sehr
        unterschiedlichen Geschichte und dem, was Menschen im
        Namen einer Idee angetan wurde, umgehen.
        Anlage 4
        Amtliche Mitteilungen
        Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitge-
        teilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Ge-
        schäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nach-
        stehenden Vorlage absieht:
        Haushaltsausschuss
         Unterrichtung durch die Bundesregierung
        Haushaltsführung 2001
        Außerplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 60 02 Titel 540 01
         Münzausgaben 
         Drucksachen 14/6925, 14/6995 Nr. 4 
        Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
        geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU-Vorla-
        gen bzw. Unterrichtungen durch das europäische Parla-
        ment zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung
        abgesehen hat.
        Haushaltsausschuss
        Drucksache 14/6214 Nr. 2.1
        Ausschuss für Kultur und Medien
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.2
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.3
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.4
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.5
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.6
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.7
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.8
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.9
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.10
        Drucksache 14/6395 Nr. 2.11
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  196. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Oktober 2001 19229
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin