Frau Präsidentin!
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr
Bundesminister Schily, Sie haben sich an dieser Stelle
sehr kämpferisch, sehr entschlossen gezeigt und haben
vieles gesagt, was wir voll unterstreichen können und was
wir immer schon gesagt haben, und zwar bereits vor dem
11. September 2001. Wir hätten uns aber viel mehr ge-
freut, wenn Sie diese Entschlossenheit und den kämpferi-
schen Einsatz auch schon vor den mörderischen Anschlä-
gen in den USA gezeigt und schon vorher so wie heute
gesprochen hätten.
Wir hätten uns noch mehr gefreut, wenn sich wenigstens
ein Teil von dem, was Sie heute gesagt haben, in der Koa-
litionsvereinbarung wiederfinden würde.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Bundesminister Otto Schily
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Dazu, dass Sie in diesen Tagen das Ende einer permis-
siven Gesellschaft fordern und darauf hinweisen, dass die
Haltung nach dem Motto anything goes nicht mehr tole-
rabel sei, muss ich Ihnen sagen, dass Sie diese Überzeu-
gungsarbeit nicht bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
leisten müssen. Wir liefern Ihnen gern die Adressen der-
jenigen, bei denen das notwendig ist.
Sie werden auch sehr genau registriert haben, wer bei
Ihren Ausführungen geklatscht und wer mehr Betroffen-
heit als Freude gezeigt hat.
Die sicherheitspolitische Lage hat sich in der Tat seit
dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs, seit dem
Ende der Ost-West-Konfrontation nachhaltig geändert.
Aber trotz dieser geänderten Lage sind die Gefährdungen
für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands nicht
geringer geworden. Sie sind lediglich ganz anders als
noch vor 15 oder 20 Jahren, aber deswegen nicht weniger
bedrohlich, nicht weniger gefährlich.
Wir stehen nicht erst heute, nicht erst seit den schreck-
lichen Ereignissen der vergangenen Woche, sondern be-
reits seit vielen Jahren vor völlig neuen Herausforderun-
gen hinsichtlich der Sicherheitspolitik unseres Landes.
Der international operierende Terrorismus, der von Staa-
ten gedeckt und unterstützt wird und daher über erhebli-
che logistische und finanzielle Möglichkeiten verfügt und
dem es immer wieder gelingt, junge Menschen zu rekru-
tieren, die aus religiösem oder politischem Fanatismus be-
reit sind, das eigene Leben hinzugeben, um mörderische
Attentate auszuüben, ist für uns alle eine existenzielle Be-
drohung. Der Kampf gegen den religiös oder politisch
motivierten gewaltbereiten Extremismus und gegen den
internationalen Terrorismus erfordert daher Besonnenheit
gleichermaßen wie Entschlossenheit.
In den vergangenen Tagen gab es in vielfältiger und
auch beeindruckender Form Gesten der Trauer für die Op-
fer in den USA, Worte des Mitgefühls für die Hinterblie-
benen und für das gesamte amerikanische Volk. Die Ges-
ten waren richtig und wichtig, aber es darf jetzt nicht bei
Worten und Gesten bleiben. Die USA haben aus einer
ganzen Fülle von Gründen einen Anspruch darauf, dass
gerade wir sie in ihrem Kampf gegen den internationa-
len Terrorismus tatkräftig unterstützen. Dies liegt auch
in unserem eigenen Interesse.
In den letzten Tagen war oft an dieser Stelle ist schon
zu Recht darauf hingewiesen worden von Vergeltungs-
schlägen die Rede und davon, dass man Gewalt nicht mit
Gegengewalt beantworten solle. Wichtiger als militäri-
sche Aktionen seien politische Lösungen. Aber es geht
nicht um Vergeltung, nicht um Rache, sondern um
Prävention, um die Verhinderung von neuen, Tod und Zer-
störung mit sich bringenden Anschlägen, nicht nur in den
USA.
Wer wollte bestreiten, dass eine friedliche Konfliktlö-
sung einer gewaltsamen vorzuziehen ist? In diesem
Hause niemand. Wir wissen aber aus vielen, auch eigenen
leidvollen Erfahrungen, dass todbringender Terror und
mörderische Banden nicht mit sicherlich gut gemeinten
Gesten und Appellen erfolgreich bekämpft werden kön-
nen. Der Kollege Gerhardt hat zu Recht darauf hingewie-
sen, dass es in dieser Welt leider zu viele Despoten, zu
viele Terroristen gibt, die sich nicht von Argumenten, son-
dern nur von einer entschlossenen Gegenwehr beein-
drucken lassen.
Wenn es richtig ist, dass Konsequenzen gezogen wer-
den müssen, müssen wir das Recht fortentwickeln, wie
dies heute auch das Bundeskabinett zumindest in Teilen
beschließen wird. Wir werden auch im Haushalt Konse-
quenzen ziehen müssen. Entscheidend ist aber, dass wir
zunächst alle darin übereinstimmen, dass der äußeren und
inneren Sicherheit endlich die notwendige politische
Priorität eingeräumt werden muss.
Selbstverständlich geht es dabei auch, aber nicht nur, um
die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel für
Personal und Technik. Es geht aber vor allen Dingen um
eine andere politische Haltung der Koalition zu allen Fra-
gen der äußeren und inneren Sicherheit.
Ich nenne als ein Beispiel die Bundeswehr. Die Bünd-
nisfähigkeit stellt man doch nicht allein dadurch unter
Beweis, dass man Auslandseinsätzen zustimmt, sondern
dadurch, dass man die Armee in allen Teilstreitkräften so
ausstattet, dass sie ihre Bündnispflichten in vollem Um-
fang erfüllen kann.
Davon sind wir weit entfernt. Das weiß nicht nur die mi-
litärische Führung der Bundeswehr, sondern auch die
Bundesregierung, ohne dass sie bislang entsprechend ge-
handelt hat.
Es muss auch endlich aufhören, dass diejenigen, die für
einen starken Staat nicht nur in Worten, sondern auch in
Taten und für eine wehrhafte Demokratie kämpfen, un-
ter den Generalverdacht gestellt werden, sie wollten in
Wahrheit einen Polizeistaat. Wir wollen keinen allmäch-
tigen Staat, der die Bürger ständig kontrolliert oder sie gar
ihrer Freiheitsrechte beraubt. Wir wollen einen starken
Staat, der sich gegen seine Gegner zu wehren und seine
Bürger zu schützen weiß.
Im Kampf gegen den Rechtsextremismus waren wir
uns völlig einig: keine Toleranz der Intoleranz. Nichts an-
deres darf beim Kampf gegen Extremisten aller Schattie-
rungen und Kriminelle gelten.
Wir wollen auch weiterhin ein liberales Land und eine to-
lerante Gesellschaft sein. Aber wenn wir das auf Dauer
bleiben wollen, müssen wir diejenigen entschlossen
bekämpfen, die diese Toleranz dazu nutzen, unser Land
und seine freiheitliche Ordnung zu bekämpfen. Für uns ist
law and order kein Schimpfwort. Recht und Gesetz sind
jedenfalls für die rechtstreuen Menschen in unserem
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Wolfgang Bosbach
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Land keine Bedrohung, keine Gefahr und keine Fessel.
Sie sind unabdingbare Voraussetzungen für ein Leben in
Freiheit und Sicherheit.
Die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten ist die vor-
nehmste Aufgabe des Staates. Deshalb müssen wir ange-
sichts der dramatischen Ereignisse in allen Bereichen der
äußeren und inneren Sicherheit überprüfen, ob wir in per-
soneller und technischer Hinsicht so ausgestattet sind,
dass wir die potenziellen Gefahren rechtzeitig erkennen
und abwehren können.
Der Kollege Glos hat beispielhaft den Bundesgrenz-
schutz erwähnt. Mit Verlaub, Herr Innenminister, Sie ha-
ben den Kollegen Glos nicht richtig zitiert und mögli-
cherweise missverstanden. Er hat darauf hingewiesen,
dass der Bundesgrenzschutz heute eine völlig andere Auf-
gabenstellung hat und vor völlig anderen Herausforde-
rungen steht als noch vor 15 oder 20 Jahren. Machen wir
uns aber bitte nichts vor: Spätestens mit der EU-Erweite-
rung nach Ost- und Südosteuropa wird auch der Bundes-
grenzschutz wiederum vor neue Herausforderungen ge-
stellt werden.
Deshalb müssen wir immer überprüfen, ob Verfassungs-
schutz, Bundesnachrichtendienst, Bundesgrenzschutz
und die Polizeien des Bundes und der Länder auf der
Höhe der Zeit sind. Nichts anderes hat der Kollege Glos
gesagt. Damit hat er Recht.
Die aktuelle und dringend notwendige Debatte über
mehr äußere und innere Sicherheit kann nur dazu führen
dazu fordern wir die Bundesregierung auf , dass schon
bei den Haushaltsplanberatungen in der nächsten Wo-
che der Haushalt so umgeschichtet wird, dass deutliche
Prioritäten für mehr äußere und innere Sicherheit gesetzt
werden. Mehr Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif.
Daneben müssen wir das Recht fortentwickeln. Wir ha-
ben bereits vor dem 11. September einen Gesetzentwurf
zur Bekämpfung des Terrorismus mit vielen konkreten
Maßnahmen vorgelegt. Wir erwarten von der Bundes-
regierung, dass sie diesen Gesetzentwurf nachhaltig un-
terstützt. Der Bundesinnenminister hat sich in den letzten
Tagen und auch heute sehr dezidiert zum Thema innere
Sicherheit geäußert. Er hat dabei Vorschläge unterbrei-
tet, die von der Union ausdrücklich begrüßt werden, und
zwar insbesondere deshalb, Herr Schily, weil uns diese
Vorschläge sehr bekannt vorkommen. Sie sind nicht, wie
der Kollege Özdemir gestern gesagt hat, abenteuerlich.
Diese Vorschläge sind notwendig.
Herr Schily, Sie sagen: Datenschutz darf nicht zum
Täterschutz werden. Wir sagen: Richtig. Diese Erkenntnis
war mit Verlaub noch bis vor wenigen Tagen politisch
höchst unkorrekt.
Wir sind mit Ihnen darin einig, dass sich zur Abwehr von
Gefahren und zugunsten von mehr Sicherheit auch in der
Ausländer- und Asylpolitik einiges ändern muss. Wir
begrüßen es daher ausdrücklich, dass Sie bei Ihren
Vorstellungen auch Forderungen der Union aufgegriffen
haben, die zum Teil schon seit vielen Jahren auf dem Tisch
liegen. Aber beim Thema Zuwanderung und Integration
geht es nicht nur darum, einige zum Teil seit langem be-
kannte Probleme zu lösen. Es geht uns, der CDU/CSU,
um eine grundsätzliche Neuorientierung unserer Auslän-
der- und Integrationspolitik.
Es ist richtig, dass wir uns mitten im Übergang von der
Industrie- zur Informationsgesellschaft befinden und dass
wir uns selber schaden würden, wenn wir bei dem welt-
weiten Wettbewerb um die klügsten Köpfe nicht mit-
machten. Dies kann aber im Umkehrschluss nicht bedeu-
ten, dass wir sowohl unter humanitären als auch unter
wirtschaftlichen Gesichtspunkten ständig mehr Zuwan-
derung nach Deutschland zulassen.
Allein in den letzten zehn Jahren sind 8,1 Millionen
Ausländer nach Deutschland gekommen. Im gleichen
Zeitraum haben 5,8 Millionen Ausländer unser Land ver-
lassen. Der positive Wanderungssaldo beträgt in diesen
zehn Jahren 2,3 Millionen. In diesem Zeitraum haben wir
mehr Menschen aufgenommen als die Vereinigten Staaten
von Amerika. Wir haben in den letzten zehn Jahren
1,8 Millionen Asylbewerber aufgenommen und damit
doppelt so viel wie die USA, viermal so viel wie England
und sechsmal so viel wie Frankreich. Wir haben keinen
Mangel an Zuwanderung, sondern einen deutlich erkenn-
baren Mangel an Integration und ein nicht ausgewogenes
Verhältnis von Zuwanderung aus humanitären Gründen
einerseits und aus wohl verstandenem eigenen staatlichen
Interesse andererseits.
Ihr Gesetzentwurf, Herr Schily, trägt den Titel Steue-
rung und Begrenzung der Zuwanderung. Der Titel ist
gut. Es kommt bei einem Gesetz, aber nicht darauf an, was
draufsteht, sondern darauf, was drinsteht. Ihr Gesetzent-
wurf ist leider nicht dazu geeignet, die Zuwanderung nach
Deutschland im Sinne einer Begrenzung zu reduzieren,
sondern er ist dazu geeignet, Zuwanderungsanreize zu
schaffen und weitere Zuwanderungsmöglichkeiten zu
eröffnen. Das ist der Grund, warum dieser Gesetzentwurf
aus unserer Sicht nicht zustimmungsfähig ist.
Wir haben auch heute mehrfach von dieser Stelle aus
gehört für uns als Union ist das eine Selbstverständlich-
keit , dass wir niemanden unter Generalverdacht stellen
dürfen. In Deutschland leben 3,5 Millionen Muslime. Der
allergrößte Teil von ihnen ist rechtstreu, weder extremis-
tisch noch gewalttätig und lehnt den Terrorismus als Mit-
tel der Politik ebenso ab wie wir. Aber wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass es darunter auch Menschen gibt,
die unter dem Deckmantel der Humanität oder der Reli-
gionsfreiheit extremistischen oder terroristischen Bestre-
bungen Vorschub leisten. Rund 32 000 von ihnen gelten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Wolfgang Bosbach
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als extremistisch und gewaltbereit. Darüber muss man of-
fen reden können, ohne der Ausländerfeindlichkeit be-
zichtigt zu werden.
So heißt es im Verfassungsschutzbericht: Zu einer
nachhaltigen Bedrohung haben sich die Aktivitäten der
Arabischen Mujahedin entwickelt, die sich in einem lo-
sen Netzwerk am internationalen Jihad beteiligen. Ihre
antiwestliche Zielrichtung, ihre Gewaltbereitschaft und
ihr transnationales Zusammenwirken machen ihre Ge-
fährlichkeit aus. Wegen ihrer Leitfunktion kommt der Or-
ganisation Al Qaida des saudischen Millionärs Osama
Bin Laden eine besondere Bedeutung zu. Es kann und
darf uns nicht genügen, die Aktivitäten in Deutschland zu
beobachten, sondern wir müssen uns von denen trennen,
die in diesen Organisationen Mitglied sind.
Was spricht eigentlich dagegen, bei der Beantragung
eines Visums eine Kopie des Reisepasses anzufertigen
und vom Antragsteller einen Fingerabdruck zu verlangen
oder vor der Einbürgerung eines Ausländers beim Verfas-
sungsschutz anzufragen, ob dort Erkenntnisse vorliegen,
dass sich der Bewerber um die deutsche Staatsangehörig-
keit verfassungsfeindlich betätigt hat? Warum sollten wir
jemanden einbürgern, von dem wir wissen, dass er die öf-
fentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet?
Warum sollte sich der Staat bei einer so wichtigen Ent-
scheidung wie der Verleihung der Staatsbürgerschaft
künstlich dümmer stellen, als er tatsächlich ist? Wenn wir
beim Kampf gegen den Rechtsextremismus eine Unkul-
tur des Wegsehens beklagen und Zivilcourage einfordern,
dann darf auch der Staat nicht wegschauen und sich düm-
mer stellen, als er ist. Wir müssen auch Staatscourage zei-
gen und nicht nur Zivilcourage verlangen.
In einem freiheitlichen Rechtsstaat müssen wir immer
die Balance zwischen viel Freiheit auf der einen Seite und
einem Höchstmaß an Sicherheit für alle Menschen auf der
anderen Seite halten. Der Bonner Staatsrechtler Professor
Isensee hat einmal gesagt:
Der Rechtsstaat gibt sich nicht nur preis, wenn er die
Freiheit seiner Bürger unterdrückt, sondern auch,
wenn er ihnen die Sicherheit vorenthält. Der Rechts-
staat hat nicht nur ein einziges Feindbild, die Despo-
tie, sondern deren zwei, die Despotie und die
Schwäche.
Deswegen gilt für uns: Wir müssen Stärke zeigen und un-
sere Pflicht tun.
Danke.