Ich erteile das Wort
dem Bundesminister des Innern, Otto Schily.
Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen!
Heute erinnere ich mich an die US-amerikanischen Sol-
daten, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus, den
Nationalsozialismus geopfert und aufs Spiel gesetzt ha-
ben. Ich erinnere mich an die US-amerikanischen Solda-
ten, die am Ende des Krieges mit uns Kindern ihre Es-
sensrationen geteilt haben. Ich erinnere mich an die jungen
Amerikaner, die zu uns gekommen sind, um die Demo-
kratie in Deutschland aufzubauen. Ich erinnere mich an
die amerikanischen Geschäftsleute, die so im Gespräch
mit meinem Vater zusammen mit ihren ehemaligen Fein-
den die Wirtschaft in Deutschland wieder aufgebaut ha-
ben. Ich erinnere mich an den Tag, an dem wir gemeinsam
vor dem Schöneberger Rathaus John F. Kennedy zugeju-
belt haben, weil er an der Seite Berlins und für Freiheit
stand. Ich erinnere mich an viele Gespräche mit vielen res-
pektablen Botschaftern der Vereinigten Staaten, Herrn
Burns, Herrn Burd, Herrn Kornblum und anderen, die in
großer demokratischer Offenheit auch über Meinungsver-
schiedenheiten in der Politik mit uns gesprochen haben.
Ich erinnere mich an die Worte des amerikanischen Präsi-
denten Bush vor der Mauer hier in Berlin.
Ich finde, wir haben allen Grund, in diesen Tagen die
Unverbrüchlichkeit der Freundschaft zu Amerika zu
betonen.
Das ist nicht nur eine Frage der Rhetorik, sondern etwas,
was unser Volk mit dem amerikanischen Volk verbindet,
der Nation, die in der Menschheitsgeschichte allen voran
als Symbol für die Menschenrechte, für Freiheit und De-
mokratie gilt.
In diesen Tagen sind wir Zeugen mörderischer
Verbrechen geworden, deren grauenvolle Dimension uns
alle im tiefsten Innern erschauern lässt. Es sind Ver-
brechen, in denen sich Hass, Fanatismus, Feindschaft
und Menschenverachtung auf unvorstellbare und er-
schreckende Weise verdichtet haben. Es sind Tage des
Schreckens, der Trauer und des Zorns. Es sind für viele
das ist schon in einigen Debattenbeiträgen gesagt wor-
den auch Tage der Sorgen, der Angst und der Furcht.
In dieser Lage muss jeder seine Verantwortung kennen
und wahrnehmen. Wir müssen Festigkeit und Ent-
schlossenheit beweisen. Zaghaftigkeit und Unsicherheit
dürfen nicht die Devise sein. Wir sind auf die Mitwirkung
aller angewiesen. Deshalb danke ich heute dem gesamten
Parlament ich möchte über ein paar kleinere Unstim-
migkeiten hinwegsehen , dass es diese Einmütigkeit be-
wiesen hat.
Wir sollten diese Einmütigkeit in den Vordergrund
rücken.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Gert Weisskirchen
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Ich bedanke mich auch für das Angebot zur Zusam-
menarbeit. Gernot Erler und Frau Merkel haben es hier
mit Recht angesprochen: Ich glaube in der Tat, dass uns
der American Spirit, der Geist des Mutes und des auf-
rechten Ganges, den wir heute in Amerika beobachten
können, als Vorbild dienen kann. Die Feuerwehrleute, die
Bergungskräfte, die Börsianer, die Schuhputzer, die
Krankenschwestern, die unzähligen Menschen, die sich
zur Blutspende bereit erklärt haben, und auch Hillary
Clinton mit ihrer eindrucksvollen Rede sind Vorbilder für
uns. Wir sollten in dieser Situation von unserer Zaghaf-
tigkeit und von unserem Hang zum Pessimismus Ab-
schied nehmen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit Entschlos-
senheit, Klarheit und Festigkeit den Kampf gegen den
Terrorismus gewinnen werden. Aber dieser Kampf wird
schwierig werden und er wird lange dauern. Darüber
sollte sich niemand Illusionen machen.
Ich neige bekanntlich nicht zu Dramatisierungen und
Übertreibungen. Ich bin für realistische Einschätzungen.
Ich habe aktuell stets darauf hingewiesen, dass im Au-
genblick keine konkrete Gefahr für unser Land besteht.
Das ist die Einschätzung unserer Dienste und unserer eu-
ropäischen Nachbarn. Aber niemand sollte sich über den
Ernst der Lage täuschen. Die Sicherheitssituation kann
sich in sehr kurzer Frist grundlegend verändern.
Es ist allerdings nicht hilfreich, wenn sich einige in
der Ausmalung ausufernder Schreckensszenarien über-
bieten.
Nicht hilfreich ist ebenso, wenn manche die engagierte,
gefahrvolle und schwere Arbeit unserer Polizei und un-
serer Sicherheitsdienste wider besseres Wissen
bemäkeln.
Gerade jetzt und auch künftig sollten wir unserer Polizei,
den Sicherheits- und den Verfassungsschutzbehörden un-
sere besondere Anerkennung, unseren besonderen Dank
und auch unser Vertrauen aussprechen.
Aber selbstverständlich werden wir unsere Anstren-
gungen erhöhen müssen. Manche Gemächlichkeit und
Umstandskrämerei müssen wir ablegen. In meinem Haus
gilt der Grundsatz der gerade im Bereich der inneren Si-
cherheit seine Bedeutung hat , dass sich niemand da-
durch auszeichnet, dass er mir umständlich erklärt, was
angeblich nicht geht.
Vielmehr kam und kommt es stets darauf an, rasch he-
rauszufinden, was geht, was zum Erfolg führt.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Anschläge ha-
ben wir zu Sofortmaßnahmen gegriffen, im Bereich der
Luftsicherheit, der Verkehrswege, der Infrastruktur ins-
gesamt, des Objektschutzes. Wir haben unsere
Aufklärungsmaßnahmen verstärkt. Denn Aufklärung ist
natürlich das wichtigste Mittel im Kampf gegen den Ter-
rorismus. Wir werden heute im Kabinett eine Reihe von
weiteren Maßnahmen beschließen. Diese, Herr Merz,
sind ich sage dies, damit bei Ihnen kein Irrtum entsteht
noch nicht vollständig; das wird weiterzuführen sein.
Ich bedanke mich jedoch schon jetzt ausdrücklich für das
Angebot, das Sie, Herr Merz, gemacht haben, in diesen
Fragen eng mit uns zusammenzuarbeiten. Das ist der
Konsens der Demokraten, der jetzt im Vordergrund ste-
hen muss.
Ich bin froh darüber, dass Bedenken, die in kirchlichen
Kreisen zeitweise durchaus vorhanden waren, überwun-
den werden konnten und dass wir jetzt endlich dem Zu-
stand ein Ende bereiten, dass Vereine, die sich mit reli-
giösen Zielsetzungen tarnen, weiter ihr Unwesen treiben
dürfen. Wir werden das Religionsprivileg im Vereins-
recht beseitigen.
Wir müssen zusammen mit der Polizei und unter An-
wendung des Strafrechtes dafür sorgen, dass wir alle
terroristischen Gruppen erfassen, nicht nur jene, die ihre
Zielsetzungen mit Aktivitäten im Innern entfalten. Des-
halb ist es dringend erforderlich, das Strafgesetzbuch zu
ändern. Wir werden das umsetzen, indem wir einen
§ 129 b einfügen.
Wir werden darüber hinaus auch andere Maßnahmen
ergreifen müssen, etwa im Bereich der Überprüfung des
Sicherheitspersonals beim Luftverkehr. Auch dafür wer-
den wir heute die rechtlichen Voraussetzungen schaffen.
Überdies werden wir das ist schon von mehreren ange-
sprochen worden dafür sorgen müssen, dass wir den
Geldern auf die Spur kommen, mit denen der Terrorismus
Mord und Totschlag finanziert. Das ist ja einer der
schrecklichsten Zusammenhänge, deren wir ansichtig
werden.
Meine Damen und Herren, wir werden uns von man-
chen Vorurteilen und Denkgewohnheiten verabschieden
müssen. An anderer Stelle werden wir über das Zuwan-
derungsgesetz zu reden haben. Ich werde mich das si-
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Bundesminister Otto Schily
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chere ich Ihnen zu von diesem Projekt nicht verab-
schieden.
Das wäre ein Sieg der Terroristen. Diesen Sieg dürfen wir
nicht zulassen. Ich bin dem Herrn Bundeskanzler für das
dankbar, was er in seiner Regierungserklärung dazu ge-
sagt hat. Aber eines muss auch klar sein: Das Sicherheits-
problem bei der Zuwanderung ist gar nicht in erster
Linie ein Problem der Arbeitsmigration, die wir steuern
und regeln wollen, sondern die Frage danach, welche Per-
sonen unter dem Zeichen des Flüchtlings- oder Asyl-
schutzes zu uns kommen. Darunter befinden sich leider
einige, die das Asyl- und das Flüchtlingsrecht missbrau-
chen.
Wenn sich unter denen einige befinden, die terroristischen
Aktionen dienen, dann müssen wir das versteht sich von
selber diesen Herrschaften auf die Spur kommen.
Deshalb darf mir und anderen an dieser Stelle niemand in
den Arm fallen: Es kann nicht sein, dass bestimmte
Dateien, die wir zur Verfügung haben, um diese Dinge
aufzuklären, nicht genutzt werden. Datenschutz ist in
Ordnung, aber der Datenschutz darf nicht zur Behin-
derung von Kriminalitäts- oder Terrorismusbekämpfung
führen.
Kerstin Müller und auch einige von der SPD-Fraktion
haben hier gesagt, der Rechtsstaat dürfe dafür nicht geop-
fert werden.
Das stimmt mit meinen Überzeugungen überein. Alles an-
dere wäre ja auch eine Torheit und das sieht, glaube ich,
niemand in diesem Hause anders. Aber man muss schon
sehr sorgfältig unterscheiden: Ist es ein Verstoß gegen die
Freiheitsrechte, wenn wir dafür sorgen, dass niemand
seine Identität verschleiert oder andere darüber täuscht?
Identitätssicherung, damit der Staat seine Kontroll-
pflichten und Kontrollrechte ausüben kann, ist in einem
Rechtsstaat eine Selbstverständlichkeit.
Die Zeit lässt es nicht zu, dass ich Ihnen alle Einzel-
heiten vortrage. Selbstverständlich gehört dazu auch, dass
wir den Katastrophenschutz voranbringen. Wir haben
schon vor den Ereignissen einiges in Bewegung gebracht.
Ich bin in dieser Beziehung sehr dankbar für die Zusam-
menarbeit zwischen den Ländern und dem Bund. Wir hat-
ten gestern eine Schaltkonferenz der Innenminister der
Länder und des Bundes. Ich möchte nicht versäumen,
meinen besonderen Dank an meine Kollegen in den Län-
dern auszusprechen. Es ist vorbildlich, in welcher Ein-
mütigkeit und Entschlossenheit Bund und Länder gegen
den Terrorismus vorgehen und sich über die Maßnahmen
geeinigt haben.
Es wird auch das gehört zu dem, was wir gestern in
der Schaltkonferenz gemeinsam erörtert haben ein In-
einandergreifen von militärischen und polizeilichen
Operationen notwendig sein. Wenn man es mit einer
Herausforderung wie dem Terrorismus zu tun hat, darf
man sich nicht auf philosophische Haarspaltereien einlas-
sen. Ich habe das übrigens bereits viel früher, schon im
vergangenen Jahr, der Weizsäcker-Kommission gesagt. Es
ist eine Situation, die eine Verbindung von polizeilichen
und militärischen Strategien erforderlich macht. Wir wer-
den jetzt gegen Bin Laden, wo immer er sein sollte, ver-
mutlich nicht die üblichen Verfahren ein Auslieferungs-
gesuch zu stellen, im Rahmen eines Rechtshilfeverfahrens
innerhalb von mehreren Jahren herauszufinden, wo er ist,
um dann vielleicht eine Entscheidung zu treffen einhal-
ten können. Auch im Kosovo-Konflikt gab es, wie Sie fest-
stellen können, wenn Sie den Dingen genau auf den Grund
gehen, eine polizeiliche Zielsetzung, die wir mit militäri-
schen Mitteln gemeinsam durchgesetzt haben.
Es wird also ein Ineinandergreifen von militärischen
und polizeilichen Strategien geben müssen. Das darf aber
nicht so missverstanden werden, dass nun die Bundes-
wehr überall in der Bundesrepublik postiert werden soll;
das ist nicht der Fall. Aber im Rahmen der durch die Ver-
fassung gezogenen Grenzen wird auch die Bundeswehr
ihre Aufgaben bei der Sicherung der Infrastruktur und mi-
litärischer Einrichtungen in Deutschland zu erfüllen ha-
ben; das versteht sich ganz von selbst.
Ich bin nicht dafür, dass wir uns jetzt in Schuldzuwei-
sungen verstricken. Herr Kollege Glos, das sage ich an
Ihre Adresse. Ich begrüße es, dass der Freistaat Bayern so-
eben durch eine Kabinettsentscheidung den Personalein-
satz beim Verfassungsschutz erhöht hat. Ich werde daraus
nicht den Vorwurf ableiten, dass es in der Vergangenheit ir-
gendwelche Versäumnisse gegeben hat.
Ich habe mich in den Haushaltsdebatten der vergange-
nen Jahre in sehr guter Kooperation mit dem Finanzminis-
ter für Mittel für die innere Sicherheit eingesetzt. Sie wis-
sen ich habe das in jeder Haushaltsdebatte gesagt , dass
wir die Mittel für die Institutionen, die für die innere
Sicherheit zuständig sind, nicht gekürzt, sondern erhöht
haben. Ich habe einige Zahlen vor mir liegen, die ich Ih-
nen jetzt nicht alle erläutern kann. Ich möchte nur fol-
gende Zahl nennen: Für die Luftsicherheit haben wir seit
1998, also seit unserem Regierungsantritt, 1,2 Milli-
arden DM aufgewendet. Das ist nun wahrlich kein kleiner
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Bundesminister Otto Schily
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Betrag. Ich könnte Ihnen viele weitere Zahlen nennen. Sie
haben Unrecht, Herr Glos, wenn Sie sagen, wir hätten die
Mittel für den BGS zurückgeführt; im Gegenteil. Wir ha-
ben ihn nur anders organisiert. Das ist übrigens die BGS-
Reform, die Ihre alte Regierung beschlossen hat.
Wir wollen uns da nicht in irgendwelche Dinge ver-
stricken.
Eines will ich Ihnen allerdings auch ankündigen: Wir
werden den Personaleinsatz und die Sachmittel für die
innere Sicherheit an einigen Stellen verstärken müssen.
Da muss ich die Hilfe des Parlaments, vor allem natürlich
die der Regierungsfraktionen, in Anspruch nehmen. Das
wird notwendig sein. Allerdings sollten nicht einfach nur
quantitative Forderungen gestellt werden. Es kommt viel-
mehr auf die Verbesserung der Qualität an.
Wer mit der Forderung, es müssten Zigtausende Polizei-
beamte eingestellt werden, durch die Lande wandert, den
frage ich: Woher soll ich die eigentlich nehmen? Man
muss sehr vorsichtig sein, um die Dinge richtig zu ent-
scheiden. Wir werden den sicherheitsempfindlichen Be-
reichen den Vorrang geben. Dort werden wir eine Verstär-
kung vornehmen. Das werden wir gemeinsam tun.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ab-
schluss sagen, dass für die Bundesregierung Folgendes
gilt: Wir müssen und wir werden gegen die Terroristen, die
diese Verbrechen zu verantworten haben, mit äußerster
Konsequenz und mit der gebotenen Härte vorgehen. Wir
werden alle polizeilichen und militärischen Mittel aufbie-
ten, über die die freiheitlich-demokratische Staatsordnung,
die wehrhafte Demokratie verfügt. Wir werden den Kampf
gegen den hasserfüllten, menschenfeindlichen Terroris-
mus aber nur gewinnen, wenn er zugleich ein Kampf für
die Universalität und Unverbrüchlichkeit der Menschen-
rechte ist, wenn er ein Kampf für geistige Freiheit, für so-
ziale Gerechtigkeit, für den Rechtsstaat und für die unbe-
dingte Achtung der Würde des Menschen ist.
Wir dürfen uns nicht ich wiederhole bewusst das, was
der Bundeskanzler heute in seiner Regierungserklärung
formuliert hat in einen angeblichen Kampf der Kulturen
hineintreiben lassen. Im Gegenteil: Es ist an der Zeit, dass
wir ein geistiges Zeichen für den interkulturellen Dialog,
für Aufklärung, für Verständnisbereitschaft und geistige
Offenheit setzen. Religiöser, hasserfüllter Fanatismus hat
in der Menschheitsgeschichte zu den schlimmsten Ver-
brechen geführt. Diese Verbrechen waren zugleich immer
die Verleugnung der vermeintlich eigenen religiösen
Überzeugungen, auf die sich die Fanatiker berufen haben.
Mit geistiger Offenheit meine ich sehr viel mehr als
bloße Toleranz im Sinne von Ertragen unterschiedlicher
religiöser und weltanschaulicher Auffassungen. Geistige
Offenheit heißt, die eigenen Überzeugungen infrage zu
stellen, infrage stellen zu lassen und infrage stellen zu
können, anstelle des Verharrens in starren Dogmen der
Gedankenfreiheit Raum zu geben und niemanden zu ver-
dammen, der fortschreitende Erkenntnis sucht.
Wir müssen uns heute und morgen in einer geistig-kultu-
rellen Offensive vereinen, die die Erkenntnisfähigkeit der
Menschen in einer mitunter geistvergessenen Welt erwei-
tert, ihre moralischen Willensimpulse stärkt und ihre see-
lisch-geistigen Fähigkeiten gesunden lässt. Niemand
kann sich der Einsicht entziehen: Die Verbrechen begin-
nen im Geist und in der Seele von Menschen, derer sich
das Böse bemächtigt.