Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meiner Re-
gierungserklärung vom 12. September habe ich, bezogen
auf die terroristischen Angriffe gegen die Vereinigten
Staaten, gesagt: Dies ist nicht nur ein Krieg gegen die
USA, dies ist ein Krieg gegen die zivilisierte Welt. Daran
halte ich fest. Danach ist gefragt worden, ob das jener
Kampf der Kulturen sei, von dem so oft gesprochen
worden ist. Meine Antwort heißt: nein.
Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, sondern es geht
um den Kampf um die Kultur in einer immer mehr
zusammenwachsenden Welt. Dabei wissen wir um die
Verschiedenheiten der Kulturen in der Welt und wir res-
pektieren sie. Wir bestehen aber darauf, dass die Ver-
heißungen der amerikanischen Unabhängigkeitserklä-
rung universell gelten. Dort heißt es:
Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstver-
ständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen
sind, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen, un-
veräußerlichen Rechten ausgestattet sind, dass dazu
Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.
Meine Damen und Herren, diese Verheißungen wenn
sie auch Erbe des christlichen Abendlandes sind, das sich
auch nicht ohne verhängnisvolle Irrungen zu diesen Wer-
ten hin entwickelt hat stehen nicht im Widerspruch zu
einer Interpretation des Islam ohne jeden fundamentalis-
tischen Wahnsinn. Jener gesichts- und auch geschichts-
lose barbarische Terrorismus ist gegen all das gerichtet,
was unsere Welt im Innersten zusammenhält, nämlich die
Achtung vor dem menschlichen Leben und der Men-
schenwürde, die Werte von Freiheit, Toleranz, Demokra-
tie und friedlichem Interessenausgleich.
Deutschland steht angesichts dieses beispiellosen An-
griffs uneingeschränkt an der Seite der Vereinigten Staa-
ten von Amerika.
Unser Bekenntnis zur politischen und moralischen
Solidarität mit den USA ist in diesen Tagen mehr als
eine bloße Selbstverständlichkeit. Gerade hier in Berlin
werden wir Deutschen niemals vergessen, was die Verei-
nigten Staaten für uns getan haben.
Es waren die Amerikaner, die ganz entscheidend zum
Sieg über den Nationalsozialismus beigetragen haben,
und es waren unsere amerikanischen Freunde, die uns
nach dem Zweiten Weltkrieg einen Neuanfang in Freiheit
und Demokratie ermöglicht haben. Sie haben nicht nur die
Lebensfähigkeit, sondern auch die Freiheit Westberlins
garantiert und geschützt. Sie haben uns geholfen, unsere
staatliche Einheit in einem friedlichen, demokratischen
Europa wiederzugewinnen.
18301
187. Sitzung
Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Beginn: 9.00 Uhr
Klar muss aber sein: Dankbarkeit ist eine wichtige und
auch gewichtige Kategorie. Doch sie würde zur Legiti-
mation existenzieller Entscheidungen, vor denen wir un-
ter Umständen stehen, nicht reichen. Bei den Entschei-
dungen, die wir zu treffen haben werden, lassen wir uns
einzig von einem Ziel leiten: die Zukunftsfähigkeit unse-
res Landes inmitten einer freien Welt zu sichern; denn ge-
nau darum geht es.
Die Welt hat auf die barbarischen Anschläge reagiert,
selten einmütig und selten eindeutig. Der Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen hat in der grundlegenden Reso-
lution 1368 einmütig festgestellt, dass die terroristischen
Anschläge von New York und Washington eine, wie es in
der Erklärung heißt, Bedrohung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit darstellen. Der Weltsicher-
heitsrat hat damit eine Weiterentwicklung bisherigen Völ-
kerrechts vorgenommen. Bislang galt ein bewaffneter An-
griff, eine Störung des Weltfriedens, der Weltsicherheit
immer dann, wenn es sich um einen Angriff von einem
Staat auf einen anderen Staat handelte. Mit dieser Resolu-
tion das ist das entscheidend Neue sind die völker-
rechtlichen Voraussetzungen für ein entschiedenes, auch
militärisches Vorgehen gegen den Terrorismus geschaffen
worden.
Der NATO-Rat hat den Vereinigten Staaten seine volle
Solidarität auf der Grundlage von Art. 5 des NATO-Ver-
trages erklärt. Auch er hat, ganz ähnlich wie der Welt-
sicherheitsrat, neu interpretiert, was unter einem bewaff-
neten Angriff auf einen Bündnispartner zu verstehen sei,
nämlich nicht nur, wie bei Zustandekommen des NATO-
Vertrages gedacht, der kriegerische Angriff eines Staates
auf einen Staat, der NATO-Mitglied ist, sondern ebenso
wie der Weltsicherheitsrat auch ein terroristischer An-
griff, verstanden als Angriff auf einen Bündnispartner.
Damit gilt dieser Angriff auf die Vereinigten Staaten als
ein Angriff auf die NATO-Partner. Der NATO-Rat hat die-
sen Beschluss mit unserer vollen Unterstützung gefasst.
Das entspricht dem Geist und dem Buchstaben des
NATO-Vertrages.
Die NATO hat bisher keine konkrete Aktion beschlos-
sen. Voraussetzung für einen Beschluss über konkrete Ak-
tionen ist die Feststellung, dass es sich bei den Anschlä-
gen von New York und Washington um einen Angriff von
außen handelt. Außerdem muss eine konkrete Bitte um
Unterstützung durch die Vereinigten Staaten ausgespro-
chen werden. Das ist zurzeit aus Gründen, die wir alle
kennen, nicht der Fall.
Welche Rechte resultieren aus diesen Beschlüssen für
die Vereinigten Staaten? Die Vereinigten Staaten können
auf der Grundlage der Entscheidung des Sicherheitsrates
Maßnahmen gegen Urheber und Hintermänner, gegen
Auftraggeber und Drahtzieher der Attentate ergreifen.
Diese sind völkerrechtlich gedeckt. Sie können und sie
dürfen, durch diese Weiterentwicklung des Völkerrechts
gedeckt, ebenso entschieden gegen Staaten vorgehen, die
den Verbrechern Hilfe und Unterschlupf gewähren. Um es
klar zu sagen: Auf all das bezieht sich das, was ich unein-
geschränkte Solidarität genannt habe.
Was heißt das für die Pflichten der Bündnispartner?
Alle Bündnispartner haben ihre moralische und politische
Solidarität ausgesprochen. Das ist selbstverständlich. Wir
wissen heute noch nicht, ob und welche Unterstützung die
Vereinigten Staaten von den NATO-Partnern erwarten
und einfordern. Das könnte auch militärischer Beistand
sein; ein solcher kann nicht ausgeschlossen werden und
deswegen darf ich ihn nicht ausschließen. Um welche
Form der Unterstützung wir auch immer gebeten werden:
Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, dass wir bei
den Entscheidungen das Grundgesetz und die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts dabei insbeson-
dere die Rechte dieses Hohen Hauses strikt beachten
werden.
Mit jedem Recht wir wissen das korrespondiert eine
Pflicht, aber umgekehrt gilt auch: Mit der Bündnispflicht,
die wir übernommen haben, korrespondiert ein Recht und
dieses Recht heißt Information und Konsultation. Wir
als Deutsche und Europäer wollen bei allen notwendigen
Maßnahmen eine uneingeschränkte Solidarität mit den
USA erreichen. Ich betone: Zu Risiken auch im Mi-
litärischen ist Deutschland bereit, aber nicht zu Aben-
teuern. Diese werden von uns dank der besonnenen Hal-
tung der amerikanischen Regierung auch nicht verlangt.
Ich denke, das wird so bleiben.
Die Form der Solidarität, von der ich gesprochen habe,
ist die Lehre, die wir aus unserer Geschichte gezogen ha-
ben, eine Lehre, die für die zivilisierte Welt bitter genug
war. Allerdings: Eine Fixierung auf ausschließlich mi-
litärische Maßnahmen wäre fatal. Wir müssen und wollen
ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung des Terro-
rismus, zur Prävention und zur Bewältigung von Krisen
entwickeln. Dieses Konzept muss auf politische, wirt-
schaftliche und kulturelle Zusammenarbeit sowie auf Zu-
sammenarbeit in Fragen der Sicherheit gegründet sein. Zu
diesem Zweck werden wir auch in der Europäischen
Union unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen den Ter-
rorismus weiter verstärken müssen. Gerade jetzt muss
Europa mit einer Stimme sprechen.
Auf meinen Vorschlag hin hat darum der belgische
EU-Ratsvorsitzende Verhofstadt für diesen Freitag eine
Sondersitzung des Europäischen Rates einberufen, auf
der wir die weitere Haltung der Europäischen Union zur
Bekämpfung des Terrorismus beraten werden. Unser
Ziel muss sein, möglichst alle Länder in ein weltweites
System von Sicherheit und Wohlstand zu integrieren.
Dazu wollen wir im Rahmen der Entwicklungszusam-
menarbeit weitere Anreize für Staaten bieten, die sich
zur Kooperation bei der Bekämpfung des Terrorismus
bereit erklären. Für die Krisenregionen des Nahen
Ostens und Zentralasiens müssen wir eine Perspektive
für politische und wirtschaftliche Stabilisierung und Sta-
bilität, für Frieden und Entwicklung eröffnen. Vor allem
müssen wir jetzt mit vereinten Anstrengungen alles da-
ransetzen, den Durchbruch zum Frieden im Nahen Osten
zu erreichen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
18302
Der Bundesaußenminister hat bereits mehrfach die
Initiative ergriffen, die Konfliktparteien in Israel und
Palästina zum Ende der Gewalt und zur Wiederaufnahme
ihrer Gespräche zu bewegen. Sein beherztes Engagement
in diesem Konflikt ist der beste Beweis für unsere Bereit-
schaft, den Konfliktparteien auf ihrem Weg zum Frieden
aktiv beizustehen.
Gestern haben die internationalen Vermittlungsbemü-
hungen zu einem ersten Erfolg geführt: Palästinenserprä-
sident Arafat hat seinen Truppen die strikte Feuereinstel-
lung befohlen. Daraufhin hat Israels Ministerpräsident
Scharon den Rückzug der israelischen Truppen aus den
Palästinensergebieten angeordnet.
Diese Entwicklung ist ein ermutigender Schritt in
einer schwierigen Situation, aber eben nur ein Schritt.
Sie wird die internationalen Bemühungen, eine Allianz
gegen den Terrorismus zu schmieden wenn das
Ganze Erfolg hat; das müssen wir uns wünschen ,
sehr erleichtern. In diesem Sinne müssen wir den
Dialog mit den gemäßigten Führern der arabischen
Welt fortsetzen. Bereits in den vergangenen Tagen
habe ich deshalb mit dem jordanischen König Abdullah
und dem ägyptischen Präsidenten Mubarak Kontakt
gehalten. Diesem Zweck wird auch ein erneutes Ge-
spräch mit dem ägyptischen Präsidenten am kommen-
den Dienstag in Berlin dienen. Die Bundesregierung
wird darüber hinaus die bestehenden Kontakte zu
wichtigen Regionalmächten wie etwa zum Iran und zu
Syrien nutzen, um diese Staaten zu einer Zusam-
menarbeit in der Bekämpfung des Terrorismus zu be-
wegen.
Man kann es nicht oft genug betonen: Wir befinden uns
nicht im Krieg gegen irgendeinen Staat.
Wir befinden uns auch nicht im Krieg gegen die islami-
sche Welt.
Terroristen haben uns den Krieg erklärt und sie werden
dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Die Anschläge von New York und Washington haben
das wissen wir alle nichts, aber auch gar nichts mit
Religion zu tun.
Sie sind Ausdruck einer verbrecherischen Gesinnung. Die
erschreckende Missachtung menschlichen Lebens ist eine
Kampfansage an unsere gesamte Zivilisation.
Die Aufgabe, Terroristen und Fanatiker zu ächten und mit
aller Entschiedenheit zu bekämpfen, stellt sich daher auch
den islamischen Staaten und Glaubensgemeinschaften.
Sie dürfen nicht den geringsten Zweifel daran aufkommen
lassen, dass es keine politische, aber auch keine religiöse
Rechtfertigung für terroristische Gewalt geben kann.
Viele Menschen in unserem Land fragen nach den
möglichen Auswirkungen der terroristischen Verbre-
chen. Die Bundesregierung weiß um diese Sorgen und
nimmt sie sehr ernst. Wir sagen deutlich: Es gibt nach der-
zeitiger Einschätzung und sorgfältiger Prüfung keinen
Anlass zur Furcht oder gar zur Panik. Die Bundesregie-
rung und die Sicherheitsbehörden haben entschlossen rea-
giert und sind weiter wachsam. Wir befinden uns nicht in
einem nationalen Notstand. Unmittelbare Konsequenzen,
die wir aus den tragischen Ereignissen ziehen müssen,
wurden und werden gezogen. So wird die Sicherheit des
Flugverkehrs am Boden wie in der Luft optimiert. Wir ha-
ben die entsprechenden Vorkehrungen getroffen und um-
gesetzt und auch die dafür notwendige Zustimmung der
privaten Luftverkehrsträger erhalten. Das betrifft die Si-
cherung des Cockpits wie auch die Verbesserung der
Gepäckkontrollen, die Überprüfung der Beschäftigten auf
den Flughäfen oder auch die Begleitung deutscher Flug-
zeuge durch Sicherheitspersonal.
Unsere Nachrichtendienste haben bei der Bekämp-
fung des weltweit agierenden Terrorismus bisher gute Ar-
beit geleistet. Sie haben in enger Kooperation mit den
amerikanischen und europäischen Diensten Anschläge
verhindert und Strukturen des Terrorismus offen legen
können. Sie haben in der Vergangenheit durch ihre Er-
mittlungen die Festnahme zum Beispiel des damaligen
Finanzchefs aus dem Umfeld von Bin Laden ermöglicht.
Wir werden weiterhin unsere besondere Aufmerksam-
keit auf die finanziellen Strukturen der terroristischen
Netzwerke richten müssen.
Es ist unsere Aufgabe, aber nicht nur unsere Aufgabe,
diese Finanzströme zu erfassen und zu unterbinden. Die
Finanzierung des Terrors darf nicht zur Kehrseite des
freien Welthandels und des freien Kapitalflusses werden.
Desgleichen werden wir auch auf Finanzierungen des Ter-
rors genauer achten müssen, die sich mit dem Mantel der
Wohltätigkeit tarnen. Auch das gibt es.
Meine Damen und Herren, bereits heute Nachmittag
werden wir im Bundeskabinett ein Maßnahmenpaket
beschließen, um die Bekämpfung des Terrorismus im
Lichte der jetzt evidenten Erkenntnisse zu optimieren.
Dazu gehört auch eine Neuregelung im Strafrecht, die
es uns ermöglicht, aus dem Ausland operierende Unter-
stützer krimineller Vereinigungen künftig genauso zu
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
18303
belangen wie Mitglieder und Unterstützer inländischer
krimineller Vereinigungen.
Dazu gehört weiter die Abschaffung des Religionsprivi-
legs im Vereinsrecht; denn die grundgesetzlich garantierte
Glaubens- und Bekenntnisfreiheit darf nicht jene schüt-
zen, die Religion missbrauchen, um Mord und Terror zu
planen.
Wir werden Qualität und Effizienz in der Bekämpfung
des Terrorismus verbessern. Aber ich denke, auch da
sind wir uns ungeachtet der Diskussionen über Details,
die vor uns liegen, einig wir werden unter keinen Um-
ständen den Rechtsstaat abschaffen, um den Terror zu
bekämpfen.
Begäben wir uns auf einen solchen Weg, dann würden wir
die Werte, die die Terroristen angreifen und die wir zu ver-
teidigen haben, selbst infrage stellen. Das darf nicht sein.
Unser Kampf gegen den Terrorismus ist eine Verteidigung
unserer offenen Gesellschaft, die auf festen Werten ba-
siert, eine Verteidigung unserer Liberalität und auch
unserer Art, in einer offenen Gesellschaft zu leben.
Der Terrorismus das müssen wir immer wieder deutlich
machen wird es nicht so weit bringen, dass wir die
Werte, die wir gegen den Terrorismus verteidigen, selber
infrage stellen.
Deshalb darf und wird der Terrorismus uns auch nicht da-
ran hindern, ein modernes, auf die Anforderungen unserer
Volkswirtschaft abgestimmtes Zuwanderungsrecht zu be-
schließen.
Mit dem Gesetzentwurf des Bundesinnenministers ha-
ben wir ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht auf den
Weg gebracht. Das Gesetz wird in Deutschland dringend
gebraucht. Sinnvolle deutsche Ausländer-, Zuwande-
rungs- und Integrationspolitik braucht mehr denn je ein
abgewogenes rechtliches Instrumentarium; denn Zuwan-
derung wird sich nicht von allein steuern und regeln.
Natürlich sind wir offen für Überarbeitungen in dem ei-
nen oder anderen Punkt. Notwendige Ergänzungen und
Anpassungen können auch im weiteren parla-
mentarischen Verfahren berücksichtigt werden. Gerade in
der aktuellen Situation werden die Stärken und Vorzüge
des Entwurfs mehr als deutlich: Dieses Gesetz bringt
mehr Sicherheit, beispielsweise durch die Personen-
überprüfungen im Visaverfahren schon vor der Einreise
bei den deutschen Auslandsvertretungen. Auch erlaubt die
Neuregelung eine genauere Unterscheidung zwischen den
Menschen, die ein Aufenthaltsrecht erlangen können, und
den Menschen, für die das nicht gilt. Alle erhalten schnel-
ler Gewissheit über ihre weitere Situation und die daraus
folgenden Konsequenzen. Dadurch werden sich deutlich
weniger Personen hier aufhalten, denen die sichere Per-
spektive für einen Aufenthalt bei uns fehlt.
Die Fragen nach Zuwanderung, Flüchtlingsschutz und
Integration stellen sich nicht allein in Deutschland. Unsere
europäischen Partner diskutieren diese Fragen gleicher-
maßen. Im europäischen Vergleich auch das gilt es
auszusprechen nehmen wir, was die Zahlen angeht,
schon länger keinen Spitzenplatz mehr ein. Trotzdem ha-
ben wir als Land in der Mitte Europas ein erhebliches In-
teresse daran, auch auf europäischer Ebene zukunftsfähige
Regelungen bei der Zuwanderung zu beschließen. Mit un-
serer eigenen Diskussion und auch mit der Kritik in dieser
Diskussion können wir dazu beitragen.
Wie so viele andere Nationen ist auch Deutschland
ganz direkt von den terroristischen Attentaten in den Ver-
einigten Staaten betroffen. Wir trauern um viele Deutsche,
die in den entführten Flugzeugen oder im World Trade
Center einen schrecklichen Tod fanden. Ihre genaue Zahl
wissen wir immer noch nicht. Unsere Gedanken sind bei
den Opfern und ihren Angehörigen. Ihnen gelten ich
denke, da spreche ich für alle unser Mitgefühl und un-
sere Anteilnahme.
Kein Zweifel: Viele unserer Landsleute ängstigen sich.
Sie haben Angst vor dem Terror und auch Angst vor
Krieg. Es sind insbesondere jene älteren Menschen, die
die Grauen des Zweiten Weltkriegs noch persönlich erlebt
haben, aber auch wir alle spüren es; Sie spüren es in
Ihren Wahlkreisen die ganz jungen. Diese Angst mag
übertrieben, mag unbegründet sein, gleichwohl ist sie da
und sie bewegt die Menschen in unserem Lande. Wir alle
zusammen, denke ich, müssen uns bemühen, diese Angst
zu verstehen. Aber die politischen, ökonomischen und
kulturellen Eliten unseres Landes dürfen nicht zulassen,
dass uns diese Angst lähmt. Ich verstehe meine Arbeit so,
dass sie gerade jetzt darin besteht, dabei zu helfen, aus
Angst Zuversicht zu entwickeln, und ich bin davon über-
zeugt, dass es dazu Anlass gibt, meine Damen und Herren.
Zu Beginn dieses neuen Jahrhunderts steht Deutsch-
land auf der richtigen Seite fast ist man versucht zu sa-
gen: endlich , auf der Seite der unveräußerlichen Rechte
aller Menschen. Diese Menschenrechte sind die große Er-
rungenschaft und das Erbe der europäischen Aufklärung.
Diese Werte der Menschenwürde, der freiheitlichen De-
mokratie und der Toleranz sind unsere große Stärke im
Kampf gegen den Terrorismus. Sie sind das, was unsere
Völker- und Staatengemeinschaft zusammenhält, und sie
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 187. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. September 2001
Bundeskanzler Gerhard Schröder
18304
sind das, was die Terroristen zerstören wollen. Diese
Werte, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind un-
sere Identität und deshalb werden wir sie verteidigen, mit
Nachdruck, mit Entschiedenheit, aber auch mit Beson-
nenheit.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.