Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001
        Winfried Hermann
        17025
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        1) Anlage 9
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17027
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 31.05.2001
        Behrendt, Wolfgang SPD 31.05.2001*
        Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 31.05.2001**
        Bläss, Petra PDS 31.05.2001
        Dr. Blank, CDU/CSU 31.05.2001**
        Joseph-Theodor
        Burchardt, Ursula SPD 31.05.2001
        Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 31.05.2001
        Friedhoff, Paul K. F.D.P. 31.05.2001
        Dr. Friedrich SPD 31.05.2001
        (Altenburg), Peter
        Göllner, Uwe SPD 31.05.2001
        Hempelmann, Rolf SPD 31.05.2001
        Heubaum, Monika SPD 31.05.2001**
        Ibrügger, Lothar SPD 31.05.2001**
        Irmer, Ulrich F.D.P. 31.05.2001**
        Kahrs, Johannes SPD 31.05.2001
        Kasparick, Ulrich SPD 31.05.2001
        Klappert, Marianne SPD 31.05.2001
        Kutzmutz, Rolf PDS 31.05.2001
        Lambrecht, Christine SPD 31.05.2001
        Lintner, Eduard CDU/CSU 31.05.2001*
        Meckel, Markus SPD 31.05.2001**
        Ostertag, Adolf SPD 31.05.2001
        Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 31.05.2001
        Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 31.05.2001
        Hans Peter
        Schöler, Walter SPD 31.05.2001
        Schultz (Everswinkel), SPD 31.05.2001
        Reinhard
        Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 31.05.2001
        Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 31.05.2001
        Welt, Jochen SPD 31.05.2001
        Wohlleben, Verena SPD 31.05.2001**
        Zapf, Uta SPD 31.05.2001**
        Zöller, Wolfgang CDU/CSU 31.05.2001
        * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
        des Europarates
        ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
        sammlung der NATO
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für
        eine Reform des Stiftungszivilrechts (Stiftungs-
        rechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 9)
        Jörg Tauss (SPD): Vor knapp einem Jahr haben wir
        hier im Deutschen Bundestag die Reform des Stiftungs-
        steuerrechts beschlossen. Nach jahrelangem Nichtstun
        auf diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen Gebiet des
        Stiftungsrechtes, nach jahrelangen Diskussionen und
        Ankündigungen als Regierungspartei, scheint die FDP-
        Fraktion vor stiftungsrechtlichem Eifer nur so zu sprühen
        und legt nun im Abstand von wenigen Monaten den 3. Ent-
        wurf für eine Novellierung des Stiftungsrechts vor. Schon
        allein die Haltbarkeitsdauer der jeweiligen Entwürfe ist
        Beleg für die Qualität der jeweiligen Entwürfe.
        In der Begründung des Gesetzes heißt es: „Nach jahre-
        langen Diskussionen innerhalb und außerhalb des Parla-
        ments wurde am 14. Juli 2000 die Reform des Stiftungs-
        steuerrechts beschlossen. Diese Reform steht bis heute
        aus.“ Nun, so selbstkritisch hätte man dies seitens der
        F.D.P.-Fraktion gar nicht erwartet, denn als Koalitions-
        partner der vorherigen Regierung ist sie für den aufgelau-
        fenen Reformstau mit verantwortlich, den sie hier an den
        Pranger stellt.
        Die rot-grüne Bundesregierung hat bei der Verabschie-
        dung des Stiftungsrechtsreformgesetzes im vergangenen-
        Jahr weitere Schritte angekündigt. In meiner Rede bei der
        Verabschiedung habe ich den Gesetzentwurf der Bundes-
        regierung als Grundstein einer weitaus umfassenderen
        Reform bezeichnet. Natürlich muss insbesondere über die
        zivilrechtlichen Rahmenbedingungen zur Errichtung ei-
        ner Stiftung nachgedacht werden. Dies erfolgt auch ge-
        genwärtig in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Wir wer-
        den seitens der Koalitionsfraktionen darauf aufbauend
        Vorschläge hierzu unterbreiten.
        Aber – und hier unterscheiden wir uns –, lieber Herr
        Kollege Otto, anders als Ihre Fraktion werden weder die
        rot-grüne Bundesregierung noch die Koalitionsfraktionen
        entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        im Abstand von weniger als zwei Jahren drei sich einan-
        der nahezu ausschließende Gesetzesentwürfe vorlegen,
        wobei der erste überhaupt nicht als Diskussionsgrundlage
        angesehen werden kann und die Unausgereiftheit des
        zweiten nur noch von der Unausgereiftheit des heute zu
        diskutierenden damit dritten Gesetzentwurfes übertroffen
        werden konnte.
        Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, also eine große
        deutsche Tageszeitung, die vermutlich nicht unbedingt in
        dem Verdacht steht, besonders regierungsnah zu sein, hat
        sich mit diesem stiftungsrechtlichen Findungsprozess der
        F.D.P. sehr ausführlich befasst. Ohne in den Verdacht par-
        teipolitischer Vorfestlegung zu kommen, kann ich die
        „FAZ“ als Kronzeugen für den stiftungsrechtlichen Wirr-
        warr anrufen, den Sie hier – nun in der Version 3.0 – heute
        vorlegen. Überschrieben ist der Artikel mit den Worten:
        „Langer Weg, kurzes Adieu – Die F.D.P. verirrt sich im
        Stiftungsrecht“. Einen schöneren und zutreffenderen Titel
        hätte man kaum finden können.
        Im Januar 1999 hat die F.D.P. einen Entwurf vorgelegt,
        der zwar laut Pressemitteilung das Stiftungsrecht nicht
        nur reformieren, sondern revolutionieren sollte, bei den
        Experten aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft le-
        diglich beißende Kritik erntete. Losgelöst von jeder
        Rechtstradition sollten Stiftungen ohne jede Genehmi-
        gung oder Registereintragung durch einfache notarielle
        Beurkundung entstehen können, eine Vorstellung, die
        selbst den Notaren unheimlich war. Bewertung der
        „FAZ“: „Konzeptionslosigkeit und mangelnde Durch-
        dringung der Stiftungsrechtdogmatik wurde dem Entwurf
        vorgehalten. Man hatte halt danebengeschossen, aber was
        sollte es: Hauptsache, das Thema stimmte.“
        Im März 2000 legte die F.D.P. einen neuen Entwurf
        vor. Nunmehr sollten Stiftungen nicht im Wege freier
        Körperschaftsbildung, sondern durch Eintragung in ein
        Stiftungsregister entstehen – immerhin ein Fortschritt.
        Dumm nur, dass die Frage, nach welchen Maßstäben und
        mit welcher Publizitätswirkung denn ein solches Register
        geführt werden sollte, aufgeworfen wurde. Vermutlich
        waren diese Regelungen zu kompliziert. So ließ man diese
        in der Vorlage des Gesetzentwurfes einfach weg.
        Dafür kamen andere und vor allem alles andere als li-
        berale Vorschläge: Ohne Begründung hieß es plötzlich,
        dass auf Stiftungen, die nicht rechtsfähig sind, die Vor-
        schriften für rechtsfähige Stiftungen entsprechend An-
        wendung finden. Vermutlich war es wohl wieder zu kom-
        pliziert oder aber die Zeit für die Wiedervorlage eines
        Gesetzentwurfes reichte nicht aus, eine bewährte Diffe-
        renzierung auch in den rechtlichen Regelungswerken
        fortzuschreiben. Dieser „FAZ“-Artikel fasst den Unsinn
        des ach-so-liberalen 2. Stiftungsrecht-Entwurfes wie folgt
        zusammen: „Das hatte mit Deregulierung des Stiftungs-
        rechts wenig zu tun. De facto kam es vielmehr einer Ab-
        schaffung dieser Stiftungen gleich. Immerhin waren sie in
        der Vergangenheit gerade wegen ihrer großen Gestal-
        tungsflexibilität und mangelnder staatlicher Gründungs-
        beteiligung so geschätzt. Erneut schrien die Fachleute auf.
        Doch Hauptsache, die Schlagzeilen stimmten: Mit der
        F.D.P. für ein liberales Stiftungsrecht! Was immer das
        auch heißen mochte.“
        Mit der vollmundigen Ankündigung, dass eine Stär-
        kung der Stiftungen ein modernes Stiftungsrecht voraus-
        setze, welche die F.D.P. nun schaffen werde, hat die F.D.P.
        nun ihren heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf
        im letzten Monat mit großem Getöse der Presse vorge-
        stellt – sozusagen als dritten Versuch. Die F.D.P. wäre gut
        beraten gewesen, hätte sie auch auf ihre eigenen Experten
        gehört und sich doch etwas mehr Zeit genommen, um
        ihren dritten Anlauf vorzubereiten. Nun werden mit die-
        sem Gesetzentwurf Stiftungen gesetzlich definiert als
        „nichtmitgliederschaftlich organisierte juristische Perso-
        nen, die ein Zweckvermögen verwalten“. So weit, so gut
        und auch noch nicht wirklich neu. Solche juristischen Per-
        sonen sollen als „rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Stif-
        tungen“ errichtet werden können. Fragen wir wie die
        „FAZ“: „Jeder Jurist fasst sich da an den Kopf: Nicht-
        rechtsfähige Stiftungen als juristische Personen? Wie soll
        das gehen?“
        Fast scheint es so, dass hierbei die Entwürfe der F.D.P.
        etwas durcheinandergeraten sind. Ich möchte jedoch das
        Ordnen der Versionen der F.D.P. überlassen. Sehr geehrte
        Damen und Herren der F.D.P.-Fraktion, lieber Herr Otto:
        Die „FAZ“ schlussfolgert in ihrem Bericht über die stif-
        tungsrechtlichen Irrungen der F.D.P. wie folgt: „Um Pu-
        blicity geht es, nicht um die Sache.“
        Dass man – wenn man sich denn einmal sachlich ori-
        entieren würde – auch Erfolg haben kann, belegt ein
        Blick in die heutige „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
        Dort heißt es, dass das Gesetz zur weiteren steuerlichen
        Förderung von Stiftungen vom 26. Juli 2000, das rück-
        wirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft trat, die Rahmen-
        bedingungen für Stifter erheblich verbessert und zu einer
        Vielzahl von neuen Stiftungsgründungen geführt hat.
        Die „FAZ“ spricht gar von einem Stiftungsboom im
        Jahr 2001.
        Doch kommen wir, denn das ist ja das eigentliche
        Thema heute, zum stiftungsrechtlichen Wirrwarr der
        F.D.P.-Fraktion zurück. Die „Frankfurter Allgemeine Zei-
        tung“ beschließt ihren Artikel über die vergeblichen
        Mühen der F.D.P. im Stiftungsrecht mit der Feststellung,
        dass sich die F.D.P. mit ihrem dritten Entwurf zu einer Re-
        form des Stiftungszivilrechts aus der – ich zitiere wörtlich
        – „ernst zu nehmenden Diskussion endgültig verabschie-
        det hat. Schade.“
        Dieser Feststellung braucht lediglich noch hinzugefügt
        werden, dass dies leider nicht nur den Bereich des Stif-
        tungsrechts betrifft. Schade, lieber Herr Kollege Otto.
        Alfred Hartenbach (SPD): Ziel des vorliegenden Ge-
        setzentwurfes ist die Stärkung der Stiftungskultur in
        Deutschland. Dieses Ziel wird von uns ganz ausdrücklich
        unterstützt. Im letzten Jahr wurden 500 Stiftungen ge-
        gründet und in diesem Jahr scheint sich diese Zahl noch
        zu erhöhen. Dies zu fördern und potenzielle Stifter stärker
        zu unterstützen ist erklärtes Ziel der SPD. Und wir haben
        schon eine große Anzahl von Maßnahmen zur Stärkung
        des bürgerschaftlichen Engagements vorgelegt. Ich er-
        wähne hier nur den ersten Teil der Stiftungsrechtsreform,
        das neue Stiftungssteuerrecht.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117028
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        (D)
        (A)
        (B)
        An die F.D.P.: Seit dem Regierungswechsel entwickeln
        Sie plötzlich einen Aktionismus, einen stiftungsrechtli-
        chen Eifer, obwohl Sie 16 Jahre lang Zeit hatten, das Stif-
        tungsrecht nach Ihren Vorstellungen zu reformieren. Man
        könnte es auch Übereifer nennen, da Sie heute Ihren drit-
        ten Gesetzentwurf zur Novellierung des Stiftungsrechts in
        dieser Legislaturperiode vorlegen, den dritten unüberleg-
        ten und konzeptionslosen. Ihren ersten Gesetzentwurf
        vom Januar 1999 warfen Ihnen die Länder, die Verbände
        und die Wirtschaft sofort um die Ohren. Der zweite An-
        lauf im März 2000 endete ebenfalls im Aus. Die Eintra-
        gung von Stiftungen in ein Stiftungsregister sollte die Lö-
        sung aller Probleme sein. Allerdings hatten Sie vergessen
        zu regeln, nach welchen Kriterien und mit welcher Publi-
        zität die Eintragung erfolgen sollte. Vergessen? Vielleicht
        nicht vergessen. Vielleicht war es Ihnen einfach zu
        schwierig und Sie haben es schlicht weggelassen. Doch
        das Thema war populär und die Liberalen sollten in den
        Schlagzeilen nicht fehlen.
        In der Tat ist das Thema Stiftungsrecht kein einfaches.
        Auch wir wollen bürgerschaftliches Engagement unter-
        stützen. Wir wollen, dass das Verfahren für Stifter verein-
        facht und verkürzt wird. Die Arbeitsabläufe müssen
        verbessert und die Beratung und Anerkennung Stiftungs-
        williger verstärkt werden. Wenn Verfahren durchschnitt-
        lich 190 Tage in Anspruch nehmen, ist das zu lang. Die
        Stiftungsbehörden könnten insbesondere einen schnellen
        Kontakt zu den Finanzämtern zur Erlangung der Gemein-
        nützigkeit herstellen. Dies würde Zeit sparen.
        Doch wir werden uns keine Schnellschüsse leisten, die
        wie der Ihre auf Publicity und Effekthascherei abzielen.
        Wir werden das Ergebnis der eingesetzten Bund-Länder-
        Arbeitsgruppe abwarten, die ihre Ergebnisse im Herbst
        dieses Jahres vorlegen wird. Im Oktober 2000 wurde mit
        Verbänden und Einrichtungen der Stiftungspraxis eine
        Anhörung durchgeführt. Im September dieses Jahres wird
        eine Anhörung von Sachverständigen insbesondere aus
        der Wirtschaft erfolgen. Danach wird die Arbeitsgruppe
        ihren Abschlussbericht vorlegen und erst dann werden wir
        die notwendigen Regelungen in einer sauberen Art und
        Weise erarbeiten. Dass Sie dazu nicht in der Lage sind, ha-
        ben Sie mit Ihrem dritten und hoffentlich letzten Versuch
        gezeigt.
        Sie wollen eine grundlegende Reform des Stiftungs-
        rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch. Obwohl Sie an ande-
        rer Stelle – der Schuldrechtsmodernisierung – das BGB
        als nicht anzurührendes Denkmal beschwören, wollen Sie
        hier eine völlige Neuregelung der Vorschriften. Sie neh-
        men nicht zur Kenntnis, dass das geltende Stiftungsrecht
        des BGB und die Stiftungsrechtspraxis funktioniert und
        auch die überwiegende Mehrheit der Verbände eine solch
        umfassende bundesgesetzliche Regelung des Stiftungs-
        rechts für nicht geboten hält. Dies hat auch die Anhörung
        im Oktober 2000 ergeben. Es geht also vielmehr um punk-
        tuelle Verbesserungen. Die von Ihnen vorgeschlagenen
        Regelungen verbessern aber das Stiftungsrecht nicht ein-
        mal punktuell.
        Nach Ihrem Entwurf werden Stiftungen gesetzlich als
        „nicht mitgliedschaftlich organisierte juristische Perso-
        nen, die ein Zweckvermögen verwalten“, definiert. Die
        Definition als solche ist nicht neu. Nur lassen Sie der De-
        finition den Satz folgen, dass eine Stiftung als nicht
        rechtsfähige und als rechtsfähige Stiftung errichtet wer-
        den kann. Was stellen Sie sich unter einer nicht rechts-
        fähigen Stiftung als juristische Person vor? Die Schwie-
        rigkeiten, die sich bei einer gesetzlichen Definition der
        Stiftung ergeben, wurden schon in der Oktober-Anhörung
        dargelegt und teilweise wurde davor gewarnt, ein eigenes
        Rechtsinstitut im Gesetz zu schaffen.
        Sie schlagen weiterhin vor, dass nicht nur eine, sondern
        auch mehrere Personen eine Stiftung gründen können,
        und möchten das gern unter dem Schlagwort „Bürgerstif-
        tung“ verkaufen. Wie revolutionär! Dass diese Revolution
        schon am 1. Januar 1900 erfolgt ist, nämlich mit der Ein-
        führung des BGB, scheint Ihnen entgangen zu sein.
        In Ihrem Problemaufriss zum Gesetzentwurf heißt es,
        dass „staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ehema-
        lige Stiftungsmanager, denen rechtswidriges Verhalten im
        Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit vorgeworfen wird, ge-
        eignet sind, den guten Ruf der Stiftungen in Deutschland
        zu beschädigen“. Soll das etwa heißen, dass die Tätigkeit
        für eine Stiftung strafbefreiend wirkt? Über diesen Satz
        sollten Sie noch einmal nachdenken.
        Aber nicht alles ist schlecht an Ihrem Entwurf. So halte
        ich zum Beispiel die von Ihnen vorgeschlagene Rechen-
        schaftspflicht für überlegenswert. Ich lade Sie deshalb
        ein, mit uns gemeinsam an der Verbesserung des materi-
        ellen Stiftungsrechts zu arbeiten und für eine Stärkung der
        Bürgergesellschaft einzutreten. Ihr Entwurf ist nicht der
        Weisheit letzter Schluss, ... ein erneuter lebender Flop.
        Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Es
        ist zu begrüßen, dass mit dem Gesetzentwurf der Freien
        Demokraten konkrete Vorschläge für die Reform des
        Stiftungsrechts auf dem Tisch liegen, nachdem mehrfache
        Ansätze vergeblich waren. Dieser Entwurf hat eine Reihe
        von Anregungen der CDU/CSU aufgenommen. Durch
        diesen Gesetzentwurf wird auch die Bundesregierung
        daran erinnert, dass hier etwas geschehen soll. Besonders
        beeindruckend und zu begrüßen ist, dass in 10 Para-
        graphen des BGB knapp, übersichtlich und rechtlich
        fundiert das über 100 Jahre alte Stiftungsrecht den mo-
        dernen Bedürfnissen angepasst wird. Richtig ist, dass es
        kein eigenes Stiftungsgesetz gibt, sondern dass die
        Vorschriften dort im BGB bleiben, wo sie schon immer
        waren und aus rechtlicher Nähe zum Vereinsrecht auch
        hingehören. Wenn bei dem Entwurf die eine oder andere
        Frage noch geklärt werden muss, so ist das vom Grund-
        satz her unbeachtlich, denn dies wird in den Beratungen
        geschehen.
        Nach diesem Gesetzentwurf werden Stiftungen nichts
        Geheimes mehr sein, sie werden auch nicht von der Laune
        oder von dem Verständnis eines Beamten abhängen, der
        die Genehmigung erteilt oder nicht. Stiftungen sind zu
        genehmigen, wie wir es auch immer gefordert haben,
        wenn sie den Gesetzen nicht widersprechen. Das ist die
        Umkehrung: Was zählt, ist nicht die hoheitliche
        Genehmigung, sondern der Anspruch auf Eintragung. Sie
        haben ab einer gewissen Größe – ob bei 250 000 Euro, wie
        vorgeschlagen, ist noch zu diskutieren – entsprechend den
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17029
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        (B)
        handelsgesetzlichen Vorschriften zu bilanzieren. Die
        Stiftungen werden dadurch transparent sein und damit
        wird Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, wie die Be-
        gründung es richtig ausdrückt, steigen.
        In Deutschland ist das Stiftungsgeschäft noch immer
        mit einem Fragezeichen versehen, auch wenn die steuer-
        rechtlichen Voraussetzungen bereits verbessert wurden.
        Mancher Bürger glaubt, mit einem Stiftungsgeschäft
        ließen sich „Geschäfte“ machen und insbesondere
        Steuern sparen. Das ist nur bedingt richtig. Erst muss man
        Geld verdienen, damit man es stiften kann. Um ein sim-
        ples Beispiel zu nennen: Wenn der Stifter 10 000 DM
        stiften will, muss er diese erst verdient haben. Beim un-
        terstellten Steuersatz um 50 Prozent muss er für diese ges-
        tifteten 10 000 DM keine 5 000 DM Steuern zahlen. Noch
        simpler ausgedrückt: Wenn der Stifter die 10 000 DM
        nicht gestiftet hätte, dann hätte er in seiner Geldbörse
        nicht 10 000 DM mehr, aber immerhin 5 000 DM mehr.
        Dies wird oft übersehen, wenn Stiftungen durchgeführt
        werden, weil oft nur die 5 000 DM Steuerersparnis gese-
        hen werden, aber nicht das Hergeben von 5 000 DM für
        den Stiftungszweck. Ohne auf die steuerrechtlichen
        Einzelheiten einzugehen, können im Grundsatz bis zu
        40 000 DM jährlich gestiftet werden.
        Ganz wichtig ist, dass die Stiftungen in Zukunft un-
        kompliziert errichtet werden können und dass dies in
        einem Rechtsakt geschieht. Ich erinnere an Hürden, die in
        anderen Gesetzen vorgesehen waren, auch an frühere ir-
        rige F.D.P.-Überlegungen. Dazu hat sich der Kollege
        Rawert vor Wochen in der „FAZ“ polemisch ausgelassen.
        Wer nur den ersten Absatz seiner Ausführungen gelesen
        hat, meint, dass entsprechend dem F.D.P-Entwurf der no-
        tarielle Rechtsakt für eine Stiftung immer noch notwendig
        sei. Wenn es auch keine Genehmigung im bisherigen
        Sinne geben soll, so ist durch die Eintragungsvorausset-
        zungen zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung eine
        gewisse Kontrolle da, die gegebenenfalls unüberlegte
        Stiftungen oder auch Stiftungen, die den Gesetzen wider-
        sprechen, verhindern kann.
        Es entzieht sich derzeit noch meiner Kenntnis, warum
        die Freien Demokraten in ihrem Entwurf eine nicht
        rechtsfähige Stiftung ermöglichen wollen. Dazu besteht
        meines Erachtens kein Anlass und es widerspricht auch
        der Absicht, Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.
        Überflüssig, weil sein 100 Jahren möglich, aber als
        Hinweis nützlich ist, dass Stiftungen auch durch mehrere
        Personen, gegebenenfalls auch durch juristische Perso-
        nen, errichtet werden können. Das Schlagwort Bürger-
        stiftung steckt dahinter; aber es muss deutlich gemacht
        werden, dass es keine Stiftungsmitglieder gibt, sondern
        höchstens berechtigte Destinatäre und dass mehrere
        Bürger, die eine Stiftung errichten, keine Einzelberechti-
        gungen haben.
        Klargestellt ist im Entwurf, dass nicht nur gemein-
        nützige Stiftungen errichtet werden können, sondern auch
        Stiftungen zu jedem Zweck; die Familienstiftung ist aus-
        drücklich aufgeführt. Zur Klarheit müssten – das sollte
        auch für bestehende Stiftungen mit einer Übergangsfrist
        gelten – die Stiftungstitel präzisiert werden, zum Beispiel
        Familienstiftung, Unternehmensstiftung um sie klar von
        den gemeinnützigen Stiftungen zu unterscheiden. Stifter
        müssen dabei aber beachten, dass sie steuerrechtlich
        weniger oder nicht begünstig werden. So können Erben
        und Erbeserben auf Dauer der Zugriff auf das Vermögen
        verwehrt bleiben und auf die Erträge beschränkt werden.
        Dabei ist zu beachten, dass in solchen Stiftungen unter
        Umständen die erbschaftssteuerliche Erfassung alle 30
        Jahre erfolgt.
        Der Entwurf sollte auch die Zustimmung der Länder
        finden können, weil klargestellt ist, dass die Länder wie
        bisher individuell die Stiftungshoheit haben und dass sie
        Behören und Gremien bestimmen können, die die Rechts-
        fähigkeit der Stiftung sozusagen durch Eintragung fest-
        stellen. Stiftungsgesetze der Länder, die in ausreichendem
        Umfang existieren, sollten wie bisher die BGB-Bestim-
        mung als Rahmen nutzen können, um eigene Vorstellun-
        gen zu verwirklichen, weil es gerade bei Stiftungen zwar
        ein rechtlich einheitliches Korsett, aber keinen Einheits-
        brei bei der Ausfüllung geben darf. Ich hoffe, dass damit
        auch die immer wieder herumgeisternden Stiftungskam-
        mern, die einen unnötigen bürokratischen Aufwand verur-
        sachen, vom Tisch sind.
        Wir leiden schon jetzt an den Kammersystemen, die oft
        als Staat im Staate auftreten und manchmal reine Selbst-
        befriedigungsbehörden darstellen. Ich habe bei einer Be-
        ratung im letzten Jahr gesagt: Ich bin nur dann für
        Stiftungskammern, wenn ich deren erster Präsident
        werde. – Scherz beiseite, wir sollten keine neuen Gremien
        fordern und wir sollten den Ländern ihre zum Teil her-
        vorragend funktionierende Praxis belassen. In Baden-
        Württemberg sind die Regierungspräsidien zuständig.
        Das hat sich bewährt, weil eine quasi staatliche Kontrolle
        sinnvoll ist, wenn sie schnell, zweckmäßig und an der
        Sache orientiert ist.
        Da, wo sich bei einzelnen Bundesländern Mängel bei
        der Verwirklichung gezeigt haben – es soll so genannte
        Verhinderungsbehörden bei Genehmigungen von Stiftun-
        gen geben –, ist es Aufgabe der Landtage, für Ordnung zu
        sorgen und gegebenenfalls die Kompetenzen an andere
        Behörden zu übertragen, um Stifter durch schikanöse Be-
        handlung nicht im Vorfeld abzuschrecken.
        Stiftungen selbst können naturgemäß nur dann funk-
        tionieren, wenn auch die steuerliche Begleitung, sprich:
        die Entlastung des Stifters, damit einhergehen. Auch da
        sollten klare und verständliche Vorgaben Wegbereiter für
        den Stiftungswillen sein, wobei die derzeitigen Grenzen
        nur Ansatz und Anfang sein können. Wir alle wollen, dass
        private Stiftungen bei Kunst, Kultur, bei sozialer
        Notwendigkeit der Jugendpflege, bei der Altenpflege,
        aber auch bei der Integration von Ausländern oder Ge-
        strauchelten Aufgaben wahrnehmen, die der Staat nicht
        mehr wahrnehmen kann oder nicht wahrnehmen soll. So
        werden schon jetzt Stiftungsprofessuren übernommen
        und Theatern, Opern – Beispiel Deutsche Oper Unter den
        Linden – oder Freilichttheatern wird das Überleben nur
        durch Stiftungen ermöglicht.
        Durch die Veröffentlichung entsprechend den handels-
        gesetzlichen Vorschriften ist in einem gewissen Umfang
        eine Kontrolle gegeben, damit mit den Stiftungsgeldern
        nicht manipuliert wird. Wenn schon die steuerrechtliche
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117030
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        privilegierte Stiftung sozusagen mit öffentlichen oder
        halböffentlichen Geldern wirtschaftet, dann sind Sinn und
        Zweck der Stiftung klar auszudrücken und zuweilen ist
        der Geldfluss zu überprüfen. So dürfen gemeinnützige
        Stiftungen nicht zu lukrativen Posten von abgeschobenen
        Vorständen oder Aufsichtsratsmitgliedern von Firmen
        missbraucht werden. Privaten Interessen oder Hobbys der
        Stifter kann nicht steuervergünstigt nachgegangen wer-
        den. Andererseits darf es aber auch nicht sein, dass der
        Stifterwille durch steuerrechtliche oder sonstige Vor-
        schriften so eingeschränkt wird, dass er verfälscht wird,
        weil ein zuständiger Beamter einen anderen Kunst-
        geschmack oder eine andere Vorstellung von sozialer Un-
        terstützung hat. Hier gilt das Primat des Stifterwillens bei
        weiter Auslegung der steuerlichen Kriterien.
        Vernünftig ist auch, dass die neuen §§ 80 bis 88 BGB
        mit einer Übergangsfrist für die derzeit bestehenden
        rechtsfähigen Stiftungen gelten, damit in kurzer Zeit ein
        einheitliches Stiftungsrecht besteht. Wir sollten diesen
        Gesetzentwurf zügig beraten, mit einigen Verbesserungen
        verabschieden und dann ebenso zügig den zweiten Teil,
        die steuerrechtlichen Begleitgesetze entsprechend den
        Vorschlägen der CDU/CSU, auf den Tisch legen und
        ebenfalls verabschieden.
        Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Mit Verlaub, liebe Kollegen von der F.D.P., aber über
        Ihren neuesten Entwurf zur Reform des Stiftungsrechts
        kann ich nur den Kopf schütteln! Es reicht nicht, sich in
        Einleitung und Begründung des Entwurfs über die man-
        gelnden Qualitäten des derzeitigen Stiftungsrechts und
        die große Gefahr des Missbrauchs von Stiftungen zu be-
        schweren. Ein Gesetzentwurf verlangt auch eine entspre-
        chend gute Lösung. Ihr Entwurf bringt keine Lösung, im
        Gegenteil: Er wirft neue Probleme auf. Nach Ihren Vor-
        stellungen würde das Stiftungsrecht nicht einfacher, nicht
        transparenter und ganz sicher nicht missbrauchsfester.
        Aber sehen wir uns die Vorschläge im Einzelnen an:
        Erstens. Stiftungszweck: In dem Entwurf ist jeder
        rechtmäßige Zweck zur Gründung einer Stiftung erlaubt.
        Wie soll aber ein Missbrauch verhindert werden, wenn es
        zum Beispiel weiterhin möglich ist, eine Stiftung allein
        zum Erhalt eines Unternehmens zu gründen? Diese Art
        von Stiftung, die einem Unternehmen verbunden ist, des-
        sen Einnahmen nicht zur Erfüllung des Stiftungszwecks
        dienen, ist doch gerade diejenige Form von Stiftung, die
        diese Organisationsform in Verruf bringt, wie es im Vor-
        wort so ernsthaft angemahnt wird. Echte Stiftungen, wie
        sie beispielsweise im Entwurf von Bündnis 90/Die Grü-
        nen von 1997 geregelt sind, zeichnen sich durch ihre Pri-
        vilegien in der Besteuerung aus. Warum sollten die oben
        genannte spezielle Form der unternehmensverbundenen
        Stiftung oder die Stiftung, die ausschließlich dem Unter-
        halt eines bestimmten Nutznießerkreises gewidmet sind,
        steuerlich begünstigt werden?
        In der Begründung heißt es, dass nun ausdrücklich
        auch die Stiftungen mit mehreren Stiftern – Bürgerstif-
        tungen also – möglich sind. Dies ist aber schon seit In-
        Kraft-Treten des Bürgerlichen Gesetzbuches möglich.
        Das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stif-
        tungen, das letztes Jahr unter erheblicher Beteiligung der
        Grünen in Kraft getreten ist, hat allerdings die Bürgerstif-
        tung durch die Neuregelung des Sonderausgabenabzugs
        erst wirklich möglich gemacht.
        Zweitens. Der Gesetzentwurf ist in Teilen selbst für ei-
        nen Laien überaus unpräzise: Erst wird die Stiftung als
        nicht mitgliedschaftlich organisierte juristische Personen
        definiert; dann heißt es, solche juristischen Personen kön-
        nen als rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Stiftungen er-
        richtet werden. Allerdings gibt es keine nicht rechtsfähi-
        gen juristischen Personen. Zur Entstehung einer Stiftung
        genügt nach diesem Entwurf die Registrierung. Dass dazu
        auch noch ein Stiftungsgeschäft notwendig ist, bleibt ganz
        unerwähnt.
        Drittens. Zwar spricht der Entwurf von der notwendi-
        gen Eintragung in ein Stiftungsregister; aber detaillierte
        Angaben zur Einrichtung eines solchen Registers lassen
        sich nicht finden. Die angekündigte Verhinderung von
        Missbrauch, die gerade durch eine sinnvolle Regelung im
        Zusammenhang mit dem Registereintrag entscheidend
        beeinflusst werden könnte, wird hier vollständig vernach-
        lässigt.
        Viertens. Die hemmenden bürokratischen Strukturen
        der derzeitigen Regelungen im Stiftungsrecht, die in der
        unzureichenden Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch
        und in der Uneinheitlichkeit der Behandlung der Stifter in
        den Ländern zu suchen sind, werden durch diesen Ent-
        wurf der F.D.P. nicht aufgelöst, sondern nur durch andere
        ersetzt.
        Auf der anderen Seite nimmt der vorliegende Entwurf
        viele Punkte des bündnisgrünen Entwurfs von 1997 auf,
        setzt sie aber nur unzureichend um. Nach unserer Vorstel-
        lung geht es doch bei einer zivilrechtlichen Stiftungsre-
        form um Folgendes:
        Erstens. Einfachheit: Dabei kann es sich nicht simpel
        um die Formel „alles sei erlaubt“ handeln, wie in dem vor-
        liegenden Entwurf der F.D.P. Stattdessen muss man sich
        der bestehenden Unübersichtlichkeit und Uneinheitlich-
        keit der Gepflogenheiten bei der Stiftungserrichtung an-
        nehmen und diese neu regeln.
        Zweitens. Transparenz: Es ist doch kein Fortschritt in
        Richtung Transparenz, noch mehr Arten von Stiftungen
        zu genehmigen und davon nur bestimmten die Pflicht der
        Rechnungslegung aufzuerlegen. Transparenz kann nur
        durch ein bundeseinheitliches Stiftungsregister mit ein-
        heitlichen Angaben und einer allgemeingültigen Rege-
        lung zur Rechnungslegung sein.
        Drittens. Verhinderung von Missbrauch: Jetzt muss
        einmal klar festgelegt werden, welche Organisationsform
        den Namen Stiftung verdient und welche nicht. Der Miss-
        brauch ist dort anzutreffen, wo nicht das im weitesten
        Sinne gemeinnützige Anliegen, sondern schnöde Steuer-
        ersparnis den Stiftungszweck darstellt.
        Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Was gegenüber
        unseren Vorschlägen neu an ihm ist, ist unvollständig, in-
        konsequent und stellt das Stiftungsrecht – ganz anders
        als es im Vorwort heißt – eben nicht auf eine „neue qua-
        litative und quantitative Stufe“. Da haben wir schon
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17031
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        bedeutend bessere Vorschläge gemacht. Ich bin dafür,
        dass wir uns ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen,
        wie es die Regierungskoalition jetzt schon tut, damit wir
        nicht einen derart ungaren Vorschlag akzeptieren müssen,
        der nur dazu führt, dass wir in einem halben Jahr alles
        wieder neu regeln müssen.
        Rainer Funke (F.D.P.): Vor bald einem Jahr, am
        14. Juli 2000, wurde in diesem Hause die Reform des Stif-
        tungssteuerrechts beschlossen. Mithilfe der B-Länder im
        Bundesrat ist – das gebe ich gerne zu – ein respektables
        Ergebnis herausgekommen, auch wenn einige steuerrecht-
        liche Probleme – zum Beispiel die Zulässigkeit des so ge-
        nannten „Endowments“ – weiter ihrer Lösung harren.
        Mit der Änderung des Stiftungssteuerrechts wurde
        aber nur die eine Hälfte der notwendigen Reform des Stif-
        tungsrechts umgesetzt. Seit einem Jahr warten wir nun auf
        den zweiten Teil der Reform. Die Diskussionen um die-
        sen zweiten Schritt sind in der Zwischenzeit zum Erliegen
        gekommen; das Thema ist von der politischen Bildfläche
        verschwunden und dies, obwohl bei Parteien und Verbän-
        den Übereinstimmung darüber herrscht, dass die Novel-
        lierung von Stiftungssteuerrecht und Stiftungszivilrecht
        zwei komplementäre Elemente eines Reformvorhabens
        sind und dass dem vollzogenen ersten Schritt nun der
        zweite folgen muss.
        Bereits im Dezember vergangenen Jahres haben wir
        die Bundesregierung ohne befriedigende Antwort nach
        den Gründen für die Aufschiebung der Novellierung des
        Stiftungszivilrechts gefragt. Was ist aus der vom BMJ ein-
        gesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe geworden? Wo
        bleiben die Ergebnisse? Die F.D.P. findet: Es ist genug
        Zeit verstrichen.
        Wir legen Ihnen deshalb heute einen Vorschlag für ein
        neues Stiftungszivilrecht vor, der vor allem eines will: Die
        Errichtung von Stiftungen vereinfachen und die Transpa-
        renz der Stiftungsarbeit erhöhen.
        Es geht aber auch noch um anderes: Die Liberalen wol-
        len die öffentliche Diskussion über die Reform des Stif-
        tungszivilrechts wieder in Gang setzen. Deutschland
        braucht ein Stiftungsrecht, das zum Stiften anregt und
        nicht durch zu viele bürokratische Hürden abstößt. Dieje-
        nigen, die sich bereits entschlossen haben, Stifter zu wer-
        den, muss eine deregulierte Stiftungsaufsicht effizienter
        unterstützen.
        Nun hat unser Entwurf in der Öffentlichkeit bereits
        vereinzelt negative Reaktionen ausgelöst. Ich sage hier
        nur so viel dazu: Wir haben auch jede Menge Zustimmung
        erfahren. Wenn der deutsche Kulturrat, der Bundesver-
        band der Deutschen Stiftungen und das Maecenata-Insti-
        tut unsere Initiative unterstützen, so kann die F.D.P. mit
        parteipolitisch instrumentalisierten Missmutsäußerungen
        leben.
        Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Dass
        der F.D.P.-Gesetzentwurf so nicht Gesetz wird, ist uns
        klar. Gesetzgebungsverfahren haben es so an sich, dass in
        ihrem Verlauf noch vieles geändert oder ergänzt wird. Das
        haben Sie, meine Damen und Herren von den Regie-
        rungskoalitionen, gerade mit ihrem eigenen Gesetzent-
        wurf zu einer weiteren Förderung des Stiftungsteuerrechts
        im vergangenen Jahr in eindrucksvoller Weise selbst er-
        lebt.
        Betrachten Sie unseren Vorschlag daher als Grundlage
        für eine fraktionsübergreifende Lösung! Lassen Sie uns
        über den richtigen Weg und die richtigen Mittel streiten!
        Denn das Thema ist viel zu wichtig, als das es in partei-
        politischen Grabenkämpfen ausgefochten und zerredet
        werden sollte. Niemand wird sich zum Stiften animiert
        führen, wenn er den Eindruck gewinnt, selbst die Fraktio-
        nen des Deutschen Bundestages können sich nicht auf ei-
        nen vernünftigen Entwurf einigen.
        Heinrich Fink (PDS): Die PDS unterstützt das Anlie-
        gen der F.D.P., mit ihrem Gesetzentwurf nun endlich auch
        bei der Reformierung der zivilrechtlichen Rahmenbedin-
        gungen des Stiftungswesens ein zügigeres Tempo vorzu-
        legen. Allerdings war mit der Einrichtung einer
        Bund-Länder-Arbeitsgruppe abzusehen, dass greifbare
        Ergebnisse nicht so schnell auf dem Tisch liegen würden.
        Noch bedenklicher ist allerdings, dass für die Bundes-
        regierung die Notwendigkeit von Änderungen der zivil-
        rechtlichen Rahmenbedingungen offenbar noch keines-
        wegs feststeht. Denn laut einer Antwort auf eine
        entsprechende Anfrage der F.D.P. – Bundestagsdrucksa-
        che 14/5055 – will sie nur „gegebenenfalls“ in dieser Sa-
        che initiativ werden. Dieser Vorbehalt steht meines Er-
        achtens im eklatanten Widerspruch zur eindeutigen
        Tendenz in der bisherigen Debatte, sowohl innerhalb als
        auch außerhalb des Parlaments. Alle Parteien, einschließ-
        lich die Regierungskoalition, waren sich einig, dass neue
        zivilrechtliche Rahmenbedingungen unerlässlich sind.
        Beim erreichten Stand der Debatte kann es sich also nur
        um die Frage handeln, welche Veränderungen am zweck-
        mäßigsten sind, nicht aber, ob Veränderungen überhaupt
        nötig sind.
        Die PDS erwartet also nicht „gegebenenfalls“, sondern
        auf jeden Fall eine Gesetzesinitiative der Bundesregie-
        rung zu einer Reform des Stiftungszivilrechts. Die große
        Mehrheit meiner Fraktion hatte den erweiterten steuerli-
        chen Begünstigungen für Stifter und Stiftungen nur im
        Vertrauen darauf zugestimmt, dass diese Vergünstigungen
        durch entsprechende zivilgesetzliche Regelungen eine
        stärkere zivilgesellschaftliche und demokratische Grund-
        lage erhalten.
        Bei diesen Regelungen muss es aus meiner Sicht da-
        rum gehen das Stiftungswesen von bürokratischen Hem-
        mnissen zu befreien und ihm wesentlich mehr Rechtssi-
        cherheit, Transparenz und Öffentlichkeit zu verleihen, als
        das jetzt der Fall ist. Die zivilrechtlichen Rahmenbedin-
        gungen müssen so ausgestaltet sein, dass sie neben der
        steuerlichen Stimulierung einen eigenständigen Motivati-
        onsschub für potenzielle Stifter auslösen. Schließlich will
        ich nicht verhehlen, dass wir von den zukünftigen Rege-
        lungen auch einen wirksamen Schutz vor Missbrauch des
        Stiftungsrechts für privatnützige oder wirtschaftliche In-
        teressen erwarten.
        Der vorliegende Gesetzentwurf der F.D.P. ist geeignet,
        in diese Richtung zu wirken. Dies erreicht er nicht zuletzt
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117032
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        dadurch, dass er im Vergleich zum Gesetzentwurf von
        1999 wichtige Elemente der seitherigen Debatte aufge-
        griffen hat, die auch von der PDS nachdrücklich unter-
        stützt wurden.
        Dazu gehören vor allem die Eintragung in das Stif-
        tungsregister als Voraussetzung für die Entstehung der
        Rechtsfähigkeit einer Stiftung und – unter bestimmten
        Voraussetzungen – die Erstellung von Jahreabschlüssen.
        Wie ich den Umstand zu interpretieren habe, dass im
        Artikel zum Stiftungszweck das Recht von Stiftungen,
        Unternehmen zu betreiben oder sich an Unternehmen zu
        beteiligen, nun nicht mehr erscheint, weiß ich noch nicht
        so recht. Aber ich denke, hier wird mich Herr Otto in be-
        währter kollegialer Weise im Ausschuss aufklären. Mir je-
        denfalls wäre es sehr sympathisch, wenn solcherart unter-
        nehmensverbundene Stiftungen außen vor blieben.
        In einigen Punkten befriedigt der vorliegende Entwurf
        allerdings nicht. Auf zwei Elemente will ich kurz hinwei-
        sen: Nach wie vor halte ich es für eine gute Idee, den Be-
        griff der „Stiftung“ ausschließlich für die steuerbegüns-
        tigte gemeinnützige Stiftung zu reservieren und sie so von
        den verschiedenen Formen von Privatstiftungen abzu-
        grenzen. Dies würde die Akzeptanz dieser Institution in
        der Bevölkerung deutlich erhöhen.
        Meines Erachtens ist ein Jahresabschluss nach den Vor-
        schriften des Handelsgesetzbuches nicht ausreichend, um
        der Forderung nach größtmöglicher Transparenz und Öf-
        fentlichkeit hinreichend Rechnung zu tragen. Wichtig ist
        doch vor allem ein jährlicher Finanz- und Tätigkeitsbe-
        richt, der für die betroffene und interessierte Öffentlich-
        keit übersichtlich, verständlich und zugänglich ist. Ich
        sehe auch nicht ein, warum eine solche öffentliche Re-
        chenschaft erst bei Einnahmen oder Ausgaben von über
        250 000 Euro beginnen soll.
        Schließlich will ich angesichts des vorliegenden Ge-
        setzentwurfes nachdrücklich daran erinnern, dass in eine
        umfassende Reform des Stiftungswesens auch das ge-
        samte Gemeinnützigkeitsrecht einbezogen werden muss.
        Von den vielen Aspekten, die dabei zu berücksichtigen
        sind, will ich nur einen hervorheben: In einen zukünftigen
        Katalog von gemeinnützigen Zwecken müssten auch sol-
        che Zwecke aufgenommen werden wie Überwindung der
        Arbeitslosigkeit, Gewährleistung von Chancengleichheit
        zwischen den Geschlechtern, die Durchsetzung einer
        nachhaltigen Entwicklung in allen gesellschaftlichen Be-
        reichen sowie Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, mi-
        litärische Gewalt nicht mehr als Mittel innerer und äuße-
        rer Politik zuzulassen.
        Eine solche Ausdehnung der Tätigkeitsfelder würde
        die Stiftungen noch stärker in der Gesellschaft verankern
        und ihnen zu noch größerer Wirksamkeit verhelfen. Das
        ist ja wohl das hauptsächliche Ziel der von uns allen an-
        gestrebten Reform.
        Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
        desministerin der Justiz: Die F.D.P. beabsichtigt, „die
        Stiftungskultur in Deutschland auf eine neue Stufe der
        Qualität und Quantität zu heben“ – so die Drucksache.
        Dieses Anliegen kann ich unterstützen. Die Stiftungs-
        kultur in Deutschland bedarf der Förderung. Aber die Um-
        setzung dieses Anliegens im vorliegenden Gesetzentwurf
        verdient keinerlei Unterstützung. Der Gesetzentwurf bie-
        tet nichts, um der Stiftungskultur tatsächlich Impulse zu
        verleihen. Zur Erinnerung: Die Mehrheit des Hauses hat
        die steuerlichen Voraussetzungen für die Stiftungen be-
        reits verbessert. Nun sind wir dabei, auf einer soliden
        Grundlage zu prüfen, ob auch im Bereich des materiellen
        Stiftungsrechts Reformbedarf besteht.
        Ich will Ihnen auch sagen, warum. Für das Stiftungs-
        wesen können wir nur dann etwas bewirken, wenn die
        Diskussion auf eine sachliche Grundlage gestellt wird.
        Weder schlagwortartige Pauschalurteile noch Aktionis-
        mus bringen in der Sache einen Nutzen. Eher schadet es
        dem Stiftungswesen, wenn wir uns nicht ernsthaft mit den
        anstehenden rechtlichen und ordnungspolitischen Fragen
        auseinander setzen.
        Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht, die
        seit Juni vergangenen Jahres unter Leitung des Bundes-
        ministeriums der Justiz alle diese Fragen rechtstatsächlich
        untersucht und aufbereitet und den Sachverstand von Ver-
        bänden und Einrichtungen der Stiftungspraxis sowie von
        Sachverständigen in ihre Arbeit einfließen lässt, wird bald
        ihren Abschlussbericht vorlegen. Damit wird eine Basis
        für sinnvolle gesetzgeberische Überlegungen geschaffen.
        Ich will einige Punkte aus dem F.D.P.-Entwurf heraus-
        greifen: Er sieht beispielsweise vor, dass Stiftungen künf-
        tig nicht durch Genehmigung, sondern durch Eintragung
        in ein Stiftungsregister Rechtsfähigkeit erlangen sollen.
        Das „umständliche Genehmigungsverfahren“ müsse ab-
        geschafft werden. Bei genauer Betrachtung fällt jedoch
        sofort auf: In einem Registrierungsverfahren müssten die
        gleichen Voraussetzungen für eine Stiftungserrichtung
        wie im Genehmigungsverfahren geprüft werden.
        Ich verweise auf § 82 BGB des Gesetzentwurfs. Dort
        werden die Anforderungen an eine Stiftungssatzung zwin-
        gend vorgegeben. Nur wenn diese Anforderungen erfüllt
        sind, ist die Stiftung durch die Behörde in das Stiftungs-
        register einzutragen, um mit diesem hoheitlichen Akt
        Rechtspersönlichkeit zu erlangen. Die in Ihrem Entwurf
        genannten Anforderungen an eine Stiftungssatzung sind
        die gleichen, die in den Landesgesetzen fast einheitlich
        bereits geltendes Recht für die Satzungsanforderungen
        und damit auch für die Genehmigung sind. Wo soll der
        Vorteil des Entwurfs liegen?
        In § 81 BGB wird vorgeschlagen, dass eine Stiftung zu
        jedem rechtmäßigen Zweck errichtet werden darf. Das ist
        bereits geltende Rechtslage. In § 84 BGB des Gesetzent-
        wurfs schlagen Sie vor, dass rechtsfähige Stiftungen der
        Rechtsaufsicht unterstehen. Auch das ist bereits beste-
        hende Rechtslage. Niemand beabsichtigt, daran zu rüt-
        teln. Für Stiftungen, deren jährliche Einnahmen oder Aus-
        gaben 250 000 Euro übersteigen, wird in § 86 BGB die
        Pflicht zur Erstellung eines Jahresabschlusses vorge-
        schlagen. Das ist zunächst einmal keine Vereinfachung
        des Stiftungsrechts, sondern belastet Stiftungen mit einer
        weiteren Pflicht. Ich stimme dem Anliegen des Gesetz-
        entwurfes aber insoweit zu, dass es durchaus sinnvoll ist,
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17033
        (C)
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        (A)
        (B)
        zur Rechnungslegungspublizität weitere Überlegungen
        anzustellen. Eine Insellösung ist jedoch abzulehnen.
        In einem Kommentar zum heute vorliegenden F.D.P.-
        Gesetzentwurf in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
        vom 24. April 2001 hat Professor Rawert, der wahrlich
        nicht als Verteidiger des geltenden Stiftungszivilrechts
        gilt, der F.D.P. bedauernd bescheinigt, dass sie sich mit
        diesem Entwurf „aus der ernst zu nehmenden Diskussion
        endgültig verschiedet“ habe. Gleichwohl lade ich Sie wie
        auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktio-
        nen ein, auf der Grundlage des Abschlussberichts der
        Bund-Länder-Arbeitsgruppe darüber zu sprechen, welche
        gesetzlichen Regelungen und Änderungen erforderlich
        sind, um dem Stiftungsalltag zu nutzen und dem Stif-
        tungswesen tatsächlich Impulse zu geben, was durch ge-
        eignete Verwaltungsmaßnahmen verbessert werden kann.
        Der vorliegende Gesetzentwurf der F.D.P. leistet jeden-
        falls dazu keinen geeigneten Beitrag und kann deshalb
        keine Zustimmung finden.
        Meines Erachtens muss das Ziel all unserer Überle-
        gungen sein, Menschen zur Errichtung von Stiftungen zu
        ermuntern. Das können Maßnahmen sein, die bürokrati-
        sche Abläufe vereinfachen. Das kann mehr Beratung be-
        deuten, möglicherweise auch eine entsprechende Ver-
        pflichtung der Behörden. Auch das Zusammenwirken der
        Behörden, wie zwischen Aufsichts- und Finanzverwal-
        tung, kann verbessert werden.
        Insgesamt wollen wir dahin gehend eine Klimaände-
        rung bewirken, dass Stiftungswillige nicht als Belästi-
        gung, sondern als willkommene Unterstützer des Ge-
        meinwohls behandelt werden. Bürgerengagement bedarf
        dort der Unterstützung durch die staatlichen Institutionen,
        wo es sich im allgemeinen Interesse entfaltet. Aus der
        Sicht der Bundesregierung bedarf es keiner grundsätzli-
        chen Umwälzung des materiellen Stiftungsrechts, mag es
        auch in Einzelfragen Diskussionsbedarf geben. Insgesamt
        muss es mehr Service geben. Die Bundesregierung ist zu
        einer vorurteilsfreien, konstruktiven Diskussion bereit.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung:
        – Unterrichtung: Lebenslagen in Deutschland; Der
        erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
        regierung
        – Antrag: Konsequenzen aus dem Armuts- und
        Reichtumsbericht ziehen
        (Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztagesord-
        nungspunkt 8)
        Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Nun liegt er uns also
        vor, der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
        regierung. Nach der ersten Lektüre habe ich spontan über-
        legt, ob ich nicht meine alte Rede, die ich zur Einführung
        der Armuts- und Reichtumsberichterstattung gehalten
        habe, nochmals vortrage. Sie wäre immer noch aktuell.
        Wirklich Neues ist nicht zutage getreten. Es fängt bei
        der Definition der Armut an. Selbst die Autoren dieses Be-
        richts können sich nicht auf eine Definition einigen, was
        denn nun arm ist. Ist es derjenige, der weniger als die
        Hälfte des Durchschnittseinkommens verdient? Das wäre
        die wissenschaftliche Definition. Dann wären die jetzt Ar-
        men aber immer noch arm, selbst wenn auf einen Schlag
        jeder das Doppelte bekäme. Oder ist derjenige arm, der So-
        zialhilfe bezieht? Hier sagt der Bericht – völlig zu Recht –,
        dass Sozialhilfebezug fälschlicherweise mit Armut gleich-
        gesetzt wird.
        Wir wussten bereits vor dem Bericht, dass es für Fami-
        lien mit Kindern in unteren Einkommensregionen sehr
        schwer ist, mit dem Familieneinkommen zurechtzukom-
        men. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregie-
        rung zuletzt auf diesen Missstand aufmerksam gemacht.
        Das Gleiche betrifft allein erziehende Frauen. Um dies
        festzustellen, brauchte es diesen Bericht nicht, der ja die
        Grundlage für Entscheidungen sein soll. Sie haben ledig-
        lich Ressourcen und Zeit verschwendet.
        Auch die Erkenntnis, dass ein höheres Bildungsniveau
        tendenziell in der Lage ist, vor Armut zu schützen,
        brauchte ich mir nicht erst aus dem Bericht zu erlesen. Sie
        liegt auf der Hand. Aber wenn dieser Bericht der Bil-
        dungsministerin – laut Organisationsplan der Bundesre-
        gierung gibt es sie, glaube ich, noch – auf die Sprünge
        hilft, soll es mir recht sein. Ich bin allerdings der Ansicht,
        dass man an die Reform unseres Bildungswesens schon
        lange hätte herangehen können. Wo sind denn Investitio-
        nen in die Bildung? Und wo ist Ihr Konzept? Meine ver-
        ehrte Kollegin Cornelia Pieper ist sicherlich gern behilf-
        lich, wenn Sie nicht weiter wissen.
        Die schönste Feststellung des Berichts ist aber – und da
        war ich richtig froh –, dass der beste Schutz gegen Armut
        ein Arbeitsplatz ist. Das habe ich bereits am 27. Januar des
        letzten Jahres gesagt. Ich bin richtig erleichtert, dass
        meine damalige kühne Behauptung jetzt wissenschaftlich
        und amtlich bestätigt ist.
        Ich hatte zwischenzeitlich Bedenken, dass es nicht so
        sei. Diese Bedenken kommen mir immer dann, wenn ich
        mir die Gesetzgebung der Koalition so anschaue. Sie hat
        gleich zu Beginn ihrer Amtszeit die beschäftigungswirk-
        samen Reformen der alten Bundesregierung – Stichwort:
        Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Schwellenwerte
        im Kündigungsschutz – zurückgenommen. Sie hat dann
        folgend eine Attacke auf die Existenzgründer mit ihren
        Gesetzen zur so genannten Scheinselbstständigkeit gefah-
        ren. Dabei stellt der Bericht fest, dass es die Selbstständi-
        gen sind, die die Arbeitsplätze schaffen.
        Gleichzeitig mit der Scheinselbstständigkeit hat sie die
        630-DM-Jobs vernichtet. Paradoxerweise sind das gerade
        die Jobs, mit denen die Familienväter in den unteren Ein-
        kommensgruppen durch Zeitungsaustragen das kleine Fa-
        milieneinkommen etwas aufgebessert haben. Das steht
        auch im Bericht. Sehr konsequent ist diese Vorgehens-
        weise nicht.
        Nach den 630-DM-Jobs hat die Koalition den Mittel-
        stand mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit überfal-
        len. Den Ansatz, neue Jobs durch Teilzeitarbeit schaffen
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117034
        (C)
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        zu wollen, finden ja auch wir gut. Nur wollen wir die Teil-
        zeit fördern und nicht verordnen. Die Koalition wird auch
        keine sehr guten Argumente mehr für die Teilzeit bringen
        können, solange sie die Teilzeitbeschäftigten nicht antei-
        lig ihrer Arbeitszeit für die Berechnung der Größe der Be-
        triebsräte heranzieht, sondern weiterhin einfach die Köpfe
        zählt. So wird der Mittelstand – aus gutem Grund – alles
        daransetzen, Teilzeitarbeit zu verhindern. Mehr Men-
        schen in Beschäftigung bringen und damit aus der Ar-
        beitslosen- oder Sozialhilfe holen wird die Koalition mit
        dieser Vorgehensweise nicht.
        Zeitgleich mit dem Teilzeitverordnungsgesetz hat sie
        die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag zu befristen, erheb-
        lich beschränkt. Es scheint also unterschiedliche Arten
        von Arbeitsplätzen zu geben: diejenigen, die vor Armut
        schützen, – das sind offensichtlich die unbefristeten –, und
        die Arbeitsplätze, die nicht vor Armut schützen, also die
        befristeten. Der Bericht stellt dazu sehr richtig fest, dass
        ein befristeter Arbeitsplatz vielfach eine Brücke zu einem
        festen Arbeitsverhältnis ist. Dem möchte ich mich an-
        schließen.
        Der absolute Höhepunkt in der Reihe dieser Gesetzge-
        bungsverfahren wird derzeit beraten: das Betriebsverfas-
        sungsgesetz. Ich prophezeie, dass auch diese Reform
        nicht dazu beitragen wird, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
        Ich befürchte vielmehr, dass es zu einem Arbeitsplatzab-
        bau kommt und damit mehr Menschen einem Risiko rela-
        tiver Armut ausgesetzt werden. Der Mittelstand wird
        seine Belegschaften entsprechend den von der Koalition
        aufgeblähten Schwellenwerten für Betriebsratsgrößen
        und Freistellungen anpassen.
        Ich habe es schon im letzten Jahr gesagt: Die Koalition
        muss handeln. Sie muss den Arbeitsmarkt deregulieren
        und flexibilisieren. Sie muss die Wirtschaft von Steuerlas-
        ten und Bürokratiekosten entlasten. Damit schafft sie
        Arbeitsplätze. Damit wird die relative Armut verringert.
        Aber sie hat sich für einen anderen Weg entschieden.
        Dieser Weg wird „Umverteilung“ heißen. Deshalb wollte
        sie ja auch einen Reichtumsbericht. Dieter Schulte, Vor-
        sitzender einer Organisation, die so reich ist, dass sie der
        Koalition 8 Millionen DM für den Bundestagswahlkampf
        geben kann, sieht ja durch den Bericht bereits einen An-
        lass zur Umverteilung – und das, obwohl der Reichtum
        tendenziell gleichmäßiger verteilt ist. Beispiel Immobi-
        lien: In 1962 hatten nur 31 Prozent der Haushalte Immo-
        bilienbesitz. 1998 hatten 51 Prozent der Arbeitnehmer
        und 44 Prozent der Nichterwerbstätigen ihr eigenes Häus-
        chen oder ihre Wohnung. 5 Prozent der Steuerzahler zah-
        len bereits 40 Prozent des gesamten Aufkommens der
        Einkommensteuer. Da kann man nicht mehr davon spre-
        chen, dass noch Spielraum zur Umverteilung vorhanden
        ist. Sie findet doch bereits statt.
        Die Koalition sollte sich auf ihre Aufgaben konzen-
        trieren und sich endlich um die Bildung kümmern. Sie
        sollte sich der Familien annehmen und es mit einer
        Arbeitsgesetzgebung versuchen, die zumindest keine Ar-
        beitsplätze gefährdet. Das sind die Erkenntnisse, die die-
        Koalition aus diesem ersten Armuts- und Reichtumsbe-
        richt gewonnen haben sollte.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge
        – Die deutsch-französischen Beziehungen neu be-
        gründen
        – Die deutsch-französischen Beziehungen mit Leben
        erfüllen
        (Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesordnungs-
        punkt 9)
        Gernot Erler (SPD): Mit ihrem Antrag unter dem Ti-
        tel „Die deutsch-französischen Beziehungen neu begrü-
        nen“ versucht die CDU/CSU-Fraktion, einen falschen
        Eindruck zu erwecken – nämlich den, dass es schlecht
        stehe um das Verhältnis zwischen Paris und Berlin und
        zwischen unseren beiden Gesellschaften. Das Gegenteil
        ist der Fall. Der politische und bürgerschaftliche Aus-
        tausch zwischen Deutschland und Frankreich war noch
        nie so intensiv wie heute. Deutsche und französische Spit-
        zenpolitiker sind sich noch nie in so dichter Folge begeg-
        net wie in diesen Zeiten.
        Und, verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der rechten
        Seite des Hauses, es gibt keinen Grund für Ihr Naserümpfen
        über die Begegnungen im so genannten Blaesheim-Format.
        Sie haben den Sinn dieser Treffen nicht verstanden, wenn
        Sie dort reale Substanz vermissen oder gar Sprachlosig-
        keit zu bemerken glauben. Das zeigt nur, wie weit weg Sie
        sich von der deutsch-französischen Realität bewegt ha-
        ben. Diese Abende verlaufen sehr lebhaft, die Dolmet-
        scher werden dabei nicht arbeitslos und das Beisammen-
        sein schafft die Atmosphäre, die wir für eine keative
        deutsch-französische Zusammenarbeit brauchen. Ihre
        buchhalterisch-administrativen Vorschläge eignen sich
        da, wo sie nicht längst vollzogene oder eingeleitete Maß-
        nahmen anmahnen, dagegen kaum dafür, neue Impulse zu
        geben.
        Wenn Sie sich einmal mit der ganzen Lebendigkeit der
        deutsch-französischen Nachbarschaft und des Austau-
        sches zwischen unseren beiden Ländern vertraut machen
        wollen, dann lade ich Sie zu einem Besuch in meiner Hei-
        matstadt Freiburg ein. Hier haben in der Schwarzwald-
        hauptstadt und in der südbadischen Region im letzten Jahr
        1 Million Menschen die Tour de France gefeiert, als sie
        nach Freiburg kam. Hier bereitet man sich jetzt mit großer
        Begeisterung auf den Deutsch-Französischen Gipfel am
        12. Juni vor. Die Gipfelstadt ist gut gewählt – mit ihren
        zahlreichen deutsch-französischen Bildungseinrichtun-
        gen, dem Institut français, für dessen Erhalt wir in Frei-
        burg mit Erfolg gestritten haben, und mit dem renom-
        mierten Frankreich-Zentrum. Wir freuen uns in Freiburg
        auf den hohen Besuch.
        Es gab viele Anregungen für regional interessierende
        Themen für die Tagesordnung des Gipfels, mehr als diese
        aufnehmen kann. Aber gerade das ist ein Beleg für die Vi-
        talität des deutsch-französischen Zusammenlebens in
        dieser Region. Denn diese Wünsche kamen von beiden
        Seiten des Rheins. Die Menschen in unserer Region wol-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17035
        (C)
        (D)
        (A)
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        len gemeinsame Projekte, zum Beispiel eine echte Trina-
        tionalität beim Euro-Airport Basel-Mulhouse-Freiburg,
        wollen die Eisenbahnnetze auf beiden Seiten der kaum
        noch wahrnehmbaren Grenze miteinander verbinden,
        wollen gemeinsame kulturelle Programme ausbauen.
        Und sie werden dies aus Anlass dieses Gipfels deutlich
        machen.
        Und natürlich rechnen wir damit, dass der Gipfel in
        Freiburg bei dem wichtigen Thema des gemeinsamen
        Kampfes gegen die Herausforderung des Rechtsradikalis-
        mus, das im Zentrum des Programms steht, zu guten und
        konkreten Ergebnissen kommen wird.
        Man könnte noch viele andere Beispiele und Belege
        dafür aufführen, dass Ihre pessimistische Bilanz des
        deutsch-französischen Verhältnisses realitätsfremd ist.
        Ich möchte hier aber eine Ihrer Forderungen aufgreifen.
        Sie fordern die Bundesregierung auf, die parlamentari-
        sche Dimension in der deutsch-französischen Zusammen-
        arbeit zu stärken. Ich finde es eigentlich etwas seltsam,
        dass Sie sich bei diesem Ziel an die Bundesregierung
        wenden. Der Bundestag und seine Fraktionen sind selber
        in der Lage, die parlamentarische Kooperation zwischen
        deutschen und französischen Kolleginnen und Kollegen
        zu intensivieren.
        Ich will Ihnen dafür ein Beispiel geben. Seit Anfang
        1999 gibt es zwischen der SPD-Bundestagsfraktion und
        der Fraktion des Parti socialiste einen „Circle stratégique
        franco-allemand“, geleitet von unserem französischen
        Kollegen Guy-Michel Chauveau und mir und gefördert
        von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Inzwischen haben, je-
        weils abwechselnd in Paris und Berlin, fünf gemeiname
        Konferenzen stattgefunden. Sie finden ein wachsendes
        Interesse, nicht nur bei Abgeordneten der Asemblée Na-
        tionale und des Deutschen Bundestages, sondern auch bei
        beiden Regierungen, bei wissenschaftlichen Institutionen
        und bei Vertretern der Industrie. Wir haben bisher in dem
        „Circle“ über eine Reihe von aktuellen Sachthemen de-
        battiert, so über NATO und europäische Verteidigungsi-
        dentität, über den Kosovo-Konflikt, Perspektiven der
        deutsch-französischen Rüstungskooperation, über die
        Zukunft der Abrüstungs-Vertragspolitik, über Rüstungs-
        exporte und die dazugehörigen europäischen Begren-
        zungsregeln und zuletzt über die amerikanischen Rake-
        tenabwehrpläne. Aber wir haben uns auch über die
        Entwicklung in einigen Ländern und Regionen von bei-
        derseitigem Interesse ausgetauscht wie Russland, Kauka-
        sus, Ostasien mit China, Indien und Pakistan und bei un-
        serem letzten Treffen über die Afrikapolitik beider
        Länder.
        Zwar konnten wir jedes Mal Minister und andere hoch-
        rangige Sprecher beider Regierungen begrüßen, was un-
        sere Diskussionen bereichert hat. Auf die Idee ist aber
        noch keiner gekommen, die Regierungen in Paris und
        Berlin aufzufordern, den „Circle stratégique“ zu fördern.
        Das schaffen wir alleine – und vielleicht ist das ja eine An-
        regung für Sie, diesem Beispiel für eine sehr intensive
        parlamentarische Dimension in den deutsch-französi-
        schen Beziehungen nachzueifern und auf diese Weise das
        selber in die Hand zu nehmen, wofür Sie einen Anstoß sei-
        tens der Bundesregierung verlangen.
        Sie fordern in Ihrem Antrag auch, die Bundesregierung
        solle gemeinsam mit der französischen Regierung Vor-
        schläge und Initiativen in die Debatte um die Zukunft
        der Europäischen Union einbringen. Ich muss Ihnen sa-
        gen, dass wir mit dem bisherigen Verlauf der Diskussion
        sehr zufrieden sind und ihn für angemessen halten. Die
        Zukunft Europas und seiner Verfassung kann keine gou-
        vernementale Veranstaltung sein. Wir haben nach der
        Humboldt-Rede von Außenminister Fischer und der Ant-
        wort von Präsident Chirac hier im Deutschen Bundestag
        im Juni letzten Jahres eine lebendige europäische Diskus-
        sion erlebt mit zahlreichen bemerkenswerten Beiträgen
        aus allen europäischen Ländern. Aus Deutschland sind die
        Beiträge des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers
        hinzugekommen. Und am 28. Mai haben wir mit großem
        Interesse gehört, wie sich der französische Ministerpräsi-
        dent Lionel Jospin die „Zukunft des erweiterten Europas“
        vorstellt.
        Alle diese Konzepte sind nicht deckungsgleich. Wer
        könnte das auch zum jetzigen Zeitpunkt erwarten? Aber
        jeder dieser Beiträge hat unsere Diskussion bereichert.
        Persönlich habe ich Jospins leidenschaftliches Eintreten
        für eine prioritäre Entscheidung über die inhaltlich-politi-
        schen Zielvorgaben Europas, bevor wir Beschlüsse über
        Institutionen fällen, als überzeugend und äußerst anre-
        gend empfunden. Die Zeit wird kommen, wo der Post-Niz-
        za-Prozess – gemäß der verabredeten Zeitpläne wird das
        2004 sein – zu konkreteren Ergebnissen kommen muss.
        Bis dahin brauchen wir keine staatlich konzertierte, son-
        dern eine offene Diskussion, an der sich die Bürger Euro-
        pas so viel wie möglich beteiligen sollten.
        Ich kann nur wiederholen: Im Kern beschreibt die
        Mehrzahl Ihrer Forderungen das, was längst real existiert;
        im Rest gehen Ihre Vorschläge in fragwürdige Richtun-
        gen. Und das deutsch-französische Verhältnis ist 100-mal
        lebendiger und mehr auf die Zukunft gerichtet als Ihr
        bürokratisch-pessimistischer Negativsaldo der deutsch-
        französischen Beziehungen.
        Monika Griefahn (SPD): Die Beziehungen zu Frank-
        reich müssen immer wieder neu erarbeitet werden, haben
        aber auch durch die Tradition nach dem Krieg ein gesun-
        des Fundament. Sie zählen sehr richtig die vielen Staats-
        männer auf deutscher und französischer Seite auf
        – leider fehlt Willy Brandt –, die dazu beigetragen haben.
        Frankreich ist der wichtigste und engste Partner Deutsch-
        lands in Europa.
        Seit 1963 gibt es den Elysée-Vertrag. Seit die neue
        Bundesregierung im Amt ist, hat es vielfältig neue Initia-
        tiven – auch insbesondere auf Parlamentsebene – gege-
        ben. So haben gerade gestern die auswärtigen Ausschüsse
        der beiden Parlamente getagt und vereinbart, diese Tref-
        fen fortzusetzen. Ein Treffen beider Parlamente ist bereits
        von den Präsidenten besprochen worden und bald statt-
        finden. Auf der individuellen Ebene laufen Aktivitäten der
        Deutsch-Französischen Parlamentariergruppen, so zum
        Beispiel das Hospitantenprogramm von Asemblée natio-
        nale und Bundestag, das gerade vor zwei Wochen durch-
        geführt wurde. Seit Anfang diesen Jahres finden regel-
        mäßige informelle Treffen auf höchster Ebene statt. Ich
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        skizziere hier nur diejenigen Aspekte der deutsch-franzö-
        sischen Beziehungen, die ohnehin bekannt sind. Jeden-
        falls ist die Intensität der Zusammenarbeit mit Frankreich
        ohne Beispiel in den internationalen Beziehungen und
        bedarf schon allein deswegen keiner Neubegründung.
        Ein weiterer Aspekt, der häufig in der Debatte zu kurz
        kommt, ist die zivilgesellschaftliche Ebene der Koopera-
        tion. Die Kolleginnen und Kollegen von der Union spre-
        chen in ihrem Antrag zwar von kulturpolitischen Maß-
        nahmen, die es zu verbessern gelte, lassen aber außer
        Acht, dass wir gerade auf diesem Gebiet unzählige und
        jahrelange Kontakte pflegen, die meiner Meinung nach
        die Grundlage zum Erfolg der deutsch-französischen
        Freundschaft und auch der Motoreigenschaft von
        Deutschland und Frankreich für die europäische Integra-
        tion sind. Dieser Antrag unterbewertet die Rolle der Zi-
        vilgesellschaft völlig.
        Wenn man daran denkt, dass über Jahrhunderte unsere
        Völker ständig im Krieg standen und heute die deutsch-
        französische Freundschaft so zur Normalität gehört, dass
        sie von den jungen Menschen so gut wie gar nicht infrage
        gestellt wird, dann hat der direkte Kontakt auf der Ebene
        der Kommunen, der Sportvereine und der Berufsgruppen
        eine erheblich Rolle gespielt und wird sie auch weiter
        spielen müssen.
        So haben wir bereits die Deutsch-Französische Hoch-
        schule (seit September 1999 ist das Abkommen in Kraft,
        beschlossen auf dem Gipfel von Weimar 1997); so wird
        das Zentrum für Deutschlandstudien in Frankreich im
        Herbst 2001 eröffnet; so gibt es eine Deutsch-Französi-
        sche Hochschulexpertenkommission. Man denke auch an
        die vielfältigen kulturpolitischen Beziehungen. So haben
        die Kulturausschüsse von Assemblée nationale und Bun-
        destag beschlossen gemeinsame Arbeitsgruppen mit den
        Themen Stiftungsrecht, Filmförderung und kulturelle Di-
        versität auf den Weg zu bringen. Außerdem gibt es keine
        Konzentration der Kulturinstitute in Paris, wie die Union
        meint, sondern ein vielfältiges Netz der Aktivitäten im
        ganzen Land: vier Generalkonsulate, 15 Honorarkonsu-
        late, fünf Goethe-Institute oder Nachfolgeorganisationen
        in Kooperation mit Städten und Universitäten, die Föde-
        ration der deutsch-französischen Kulturhäuser in sechs
        französischen Städten, eines große Zahl deutsch-französi-
        scher Kulturgesellschaften, davon allein 125 im größten
        deutschen Dachverband, circa 2 000 Städtepartnerschaf-
        ten, dazu eine Fülle von Direktkontakten von Schulen,
        Universitäten, Theatern und Kulturvereinen und, nicht
        zu vergessen, das deutsch-französische Jugendwerk mit
        circa 7 000 Begegnungen von etwa 140 000 Jugendlichen
        pro Jahr.
        Ebenso haben wir die Regionalpartnerschaften der
        Bundesländer mit einzelnen französischen Regionen: Nie-
        dersachsen/Haute Normandie, Rheinland Pfalz/Bourgo-
        gne, Thüringen/Picardie, Niederbayern/Oise.
        Das Auswärtige Amt hat einen engeren Informations-
        austausch zwischen GIIN und der französischen Seite bei
        kulturellen Planungen mit dem Ziel vermehrter gemein-
        samer Veranstaltungen initiiert. Geplant ist darüber hi-
        naus die Einrichtung gemeinsamer deutsch-französischer
        Kulturinstitute in Europa.
        Der traditionelle Dialog zwischen beiden Ländern wird
        immer mehr zu einem Dialog der Gesellschaften. Die Zi-
        vilgesellschaft hat eine wachsende Bedeutung für Koope-
        ration. Kontakte zwischen Multiplikatoren und Entschei-
        dungsträgern kommen zu den traditionellen Kontakten
        der Städtepartnerschaften, des Schüleraustausches und
        der Regierungszusammenarbeit hinzu. Das ist auch die
        große Chance für die Erarbeitung einer europäischen Ver-
        fassung und den Prozess der weiteren europäischen Inte-
        gration. Die Zivilgesellschaften sind dafür zwingend not-
        wendig – unabhängig von der Frage, wie eng die
        Freundschaft zwischen Jospin, Chirac und Schröder,
        Fischer und Védrine persönlich ist.
        Ich bin daher froh, dass der französische Premierminis-
        ter Jospin in seiner Europarede vom vergangenen Montag
        auch einen Konvent mit Beteiligung des Europaparla-
        ments und der nationalen Parlamente vorgeschlagen hat.
        Ich füge hinzu: Ich finde auch, die Zivilgesellschaft muss
        daran beteiligt werden.
        Die Grundkoordinationen der deutsch-französischen
        Zusammenarbeit haben sich seit der Wiedervereinigung
        und dem Regierungswechsel geändert. Die Neubelebung
        der „relance“ darf als gelungen gelten, insofern müssen
        die Beziehungen nicht neu begründet werden. Die neue
        Zusammenarbeit ist auch durch den Generationenwechsel
        gekennzeichnet. Die heutige Generation ist europäisch
        und nicht nur deutsch-französisch sozialisiert. Ging es
        früher um Versöhnung und die Bewältigung der Vergan-
        genheit, so steht heute die Bewältigung der Zukunft von
        Europa im Weltkoordinationensystem auf dem gemeinsa-
        men Programm.
        Es gibt aber immer noch Defizite; das will ich nicht
        verschweigen: Der Spracherwerb der jeweils anderen
        Sprache ist rückläufig. Dies ist eine der wichtigsten He-
        rausforderungen für die Zukunft. Mobilität in der Ausbil-
        dung und Etablierung hervorragender Ausbildungsstätten
        ist unverzichtbar. Die jeweiligen Kulturinstitutionen in
        dem jeweils anderen Land müssen noch stärker eu-
        ropäisch ausgerichtet werden und bei knappen Ressour-
        cen andere Prioritäten gesetzt werden. Man muss sich ge-
        meinsam in Europa verständigen auf gemeinsame
        Interessen in der globalisierten Welt. Denn wenn
        Deutschland und Frankreich sich streiten, gibt es selten
        eine einheitliche Position in Europa. Leider besetzen
        dann andere Regionen der Welt die Posten und Positio-
        nen – siehe IWF.
        Fazit: Sowohl die politische und parlamentarische als
        auch die kulturelle wie die zivilgesellschaftliche Zusam-
        menarbeit im weiteren Sinne befinden sich in einem in-
        tensiven Zustand, die ihresgleichen sucht in den Bezie-
        hungen zu einem Partnerland, sei es in Europa oder
        sonstwo in der Welt. Gerade die Regierung Schröder hat
        dies erkannt und einen besonderen Aspekt auf eben die Zi-
        vilgesellschaft und ihre Kommunikation untereinander
        gelegt. Sie unterscheidet sich damit deutlich von der Vor-
        gängerregierung, unterstützt und unterhält Kontakte auf
        allen Ebenen. Was wir brauchen, ist die intensive Kom-
        munikation mit den Bürgern in beiden Ländern, damit
        diese beteiligt sind am Projekt Europa.
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        Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Ich habe als Student
        und als Doktorand unter Franzosen die deutsch-französi-
        sche Zusammenarbeit von ihrer besten Seite kennen ge-
        lernt: die Neugier auf den anderen, die Herzlichkeit der
        französischen Familien, das Vertrauen und die rückhalt-
        lose Unterstützung durch die französischen Kollegen und
        Wissenschaftler. Diese Erfahrung, die mit mir nach dem
        Krieg Millionen von Deutschen und Franzosen über die
        Wissenschaft, über Kommunen, Kirchen, Vereine, als
        Schüler, Studenten, aber auch als Politiker erfahren ha-
        ben, ist das Fundament der deutsch-französischen Bezie-
        hungen. Und es ist ein solides Fundament. Nur auf diesem
        soliden Fundament hat sich der europäische Einigungs-
        prozess entwickeln können.
        Aber auch gute Beziehungen müssen gepflegt werden.
        Die allgemeine Großwetterlage zwischen Deutschen und
        Franzosen wird maßgeblich bestimmt durch das Verhält-
        nis der bilateralen Politik. Dieses Verhältnis ist zurzeit
        stark eingetrübt. Die politischen Beziehungen haben sich
        seit 1998 verschlechtert; die Behauptung des Bundes-
        kanzlers, das deutsch-französische Verhältnis sei so gut
        wie schon lange nicht mehr, ist schlichtweg falsch. Rich-
        tig ist vielmehr, was Jean-Pierre Froehly im „Handels-
        blatt“ erklärte, dass nämlich Sand im deutsch-französi-
        schen Getriebe sei. Anders als zu Zeiten von Konrad
        Adenauer und Charles de Gaulle, Helmut Schmidt und
        Giscard d’Estaing, Helmut Kohl und François Mitterrand
        stimmt derzeit zwischen den wichtigsten deutsch-franzö-
        sischen Akteuren die Chemie nicht, weder zwischen
        Kanzler Schröder, Staatspräsident Chirac, Premiermi-
        nister Jospin noch zwischen Außenminister Fischer und
        Außenminister Védrine. Selbst normale Arbeitskon-
        takte leiden unter Sticheleien; wichtige Vorstöße, wie die
        jüngste Rede von Premierminister Jospin, werden nicht
        abgestimmt. Die Beraterin des Bundeskanzlers für
        deutsch-französische Zusammenarbeit fristet ein Schat-
        tendasein. Die vereinbarten Treffen auf der Ebene der
        Staats- und Regierungschefs sind ohne Substanz und
        Ergebnis.
        Die Lähmung der deutsch-französischen Beziehungen
        auf politischer Ebene kommt zur Unzeit. Gerade jetzt be-
        findet sich der Aufbau Europas in einer entscheidenden
        Phase. Gleichzeitig verlangen Globalisierung und die da-
        mit verbundenen Chancen und Risiken entschlossenes
        und möglichst geschlossenes Handeln befreundeter Nach-
        barn: Beide Nationen müssen Wirtschaft und Gesellschaft
        an die Herausforderungen anpassen, müssen Strategien
        entwickeln, die Chancen nutzen und gleichzeitig die Risi-
        ken minimieren. Lassen Sie mich aus meinen Ausschüs-
        sen zwei Beispiele nennen: Die rot-grüne Bundesregie-
        rung hat mit ihrem dilettantischen Vorgehen in Sachen
        Atommüll gegenüber den Franzosen viel Porzellan zer-
        schlagen. Aber gerade in der Energiepolitik – und damit
        auch in der Klimapolitik – wäre eine neue konstruktive,
        technologische Offensive zum Beispiel im Bereich der
        erneuerbaren Energien, umweltschonender Antriebstech-
        niken im Verkehr und auch bei einer neuen Generation
        kerntechnischer Anlagen – Stichwort EPR – nötig und
        sinnvoll.
        Gleiches gilt für die Entwicklungspolitik als Teil einer
        globalen Vorsorgepolitik. Hier kommen gewaltige Pro-
        bleme auch auf die Industrienationen zu, weil die Pro-
        bleme der Entwicklungsländer immer stärker auf uns zu-
        wachsen. Auch hier spielt – trotz mancher Lippenbe-
        kenntnisse – noch jeder im eigenen Sandkasten, statt zu
        erkennen, dass man gemeinsam effizientere und einfluss-
        reichere Ansätze zum Beispiel in Afrika oder Südostasien
        finden könnte. Dies sind nur zwei Beispiele; aber in bei-
        den Fällen haben Deutschland und Frankreich spezifi-
        sche, oft unterschiedliche Lösungsansätze und Traditio-
        nen entwickelt, die man zum Wohle beider Länder
        gegenseitig ergänzen und verbessern könnte. Ähnliches
        lässt sich zum Beispiel bei der Bekämpfung der interna-
        tionalen Kriminalität, bei der Rentenpolitik oder in Steu-
        erfragen tun.
        Leidenschaft der politisch Verantwortlichen fürein-
        ander kann man nicht erzwingen; aber man kann die Be-
        ziehungen neu beleben durch neue Ideen der Zusammen-
        arbeit, durch neue, gemeinsame Initiativen. Davon bietet
        der Antrag der CDU/CSU eine große Fülle.
        Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich
        ist – gerade in diesen entscheidenden Jahren – zu wichtig,
        als dass wir uns die derzeitige Eintrübung lange leisten
        könnten. Die Bundesregierung muss einen neuen Anlauf
        nehmen, die deutsch-französische Großwetterlage wieder
        freundlicher zu gestalten. Der Antrag der CDU/CSU ist
        dazu eine gute Aktionsgrundlage.
        Irritationen mit Moskau, Vertrauenskrise mit den USA
        und Sand im Getriebe der deutsch-französischen Bezie-
        hungen – eine solche Außenpolitik ist nicht im deutschen
        Interesse.
        Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): „Seit mehr
        als einem halben Jahrhundert arbeiten wir Hand in Hand.
        Zwischen uns ist die Aussöhnung abgeschlossen. ... Was
        Deutschland und Frankreich im Laufe ihrer Geschichte
        erlebt und erlitten haben, ist ohnegleichen. ... Nur sie ver-
        mögen Europa voranzubringen, sei es bei der Verwirkli-
        chung seiner Ziele, bei der Ausweitung seiner Grenzen
        oder bei seiner Verankerung in den Herzen. ...“ Mit diesen
        Worten hat uns der französische Staatspräsident Jacques
        Chirac hier in diesem Hause am 27. Juni 2000 an die exis-
        tenzielle Bedeutung der deutsch-französischen Beziehun-
        gen für unseren gesamten Kontinent erinnert.
        Gute deutsch-französische Beziehungen sind die ent-
        scheidende Grundlage für Fortschritte im europäischen
        Einigungsprozess. Dies war in der Vergangenheit so, von
        der Montanunion und der EWG bis zum Binnenmarkt, zur
        Währungsunion und zur Gemeinsamen Außen- und Si-
        cherheitspolitik. Und so gilt es auch für die Gegenwart
        und Zukunft.
        Die deutsch-französischen Beziehungen haben jedoch
        seit dem Regierungswechsel 1998 an Substanz, vor allem
        in der Europapolitik, deutlich eingebüßt: zwischen den
        deutschen und französischen Regierungsmitgliedern fehlt
        die persönliche Beziehung.
        Von den EU-Gipfeln in Berlin und Nizza gab es keine
        deutsch-französische Abstimmung und keine gemeinsa-
        men Initiativen. Deshalb bleiben wesentliche Entschei-
        dungen, die die Handlungsfähigkeit der EU langfristig
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        sichern, auch nach diesen Gipfeln blockiert. Die Finan-
        zierung der Gemeinsamen Agrarpolitik bleibt zwischen
        Frankreich und Deutschland umstritten. Solange wir un-
        sere Differenzen nicht in einem fairen Interessenausgleich
        ausräumen und den EU-Partnern keinen gemeinsamen
        Vorschlag präsentieren, wird es in dieser für die Zukunft
        der EU vitalen Frage keine Lösung geben. Stattdessen be-
        harrt der Bundeskanzler auf einer strikten Renationalisie-
        rung der Agrarpolitik und erklärt vor dem Berliner Gipfel
        auf einer Pressekonferenz mit Präsident Chirac in Paris, er
        sei nicht dorthin gekommen, um sich zum französischen
        Bauernpräsidenten wählen zulassen. Mit dieser schnod-
        derigen Art wird die Atmosphäre der Regierungsge-
        spräche kaum gefördert.
        Für Frankreich bleibt die Landwirtschaft ein Kernele-
        ment der EU. Das hat Premierminister Jospin in dieser
        Woche in seiner Europarede klar bekräftigt. Ich zitiere:
        „Was die gemeinsame Agrarpolitik anbelangt, so muss sie
        in Zuständigkeit der Union verbleiben. Jeder Renationali-
        sierung von Politiken, die bislang auf Unionsebene fest-
        gelegt und umgesetzt wurden, ist eine Absage zu ertei-
        len.“
        Im Leitantrag der SPD, den der Bundeskanzler kürz-
        lich vorgestellt hat, fordert er, „Aufgaben, die durch die
        Mitgliedstaaten sachgerechter wahrgenommen werden
        können, auf die nationale Ebene zurückzuverlagern, wenn
        dies den Binnenmarkt nicht gefährdet. Das gilt insbeson-
        dere für die Kompetenzen der EU in den Bereichen
        Agrar- und Strukturpolitik.“
        In diesem Punkt haben die deutsche und die französi-
        sche Regierung völlig gegensätzliche Positionen. Und der
        Außenminister kommentiert das wie folgt: „Die Rede von
        Lionel Jospin zeigt eine Vielzahl von deutsch-französi-
        schen Gemeinsamkeiten auf.“
        Der Bundeskanzler fordert den Ausbau der Kommis-
        sion zu einer starken europäischen Exekutive. Jospin sagt,
        dieses Modell einer Förderation sei für Frankreich in-
        akzeptabel, die derzeitigen Staaten erhielten darin den
        Status eines deutschen Bundeslandes. Und der Herr
        Außenminister sieht eine Vielzahl von deutsch-französi-
        schen Gemeinsamkeiten.
        Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Was soll denn
        diese Beschwichtigung? Sie zeugt nicht von echtem Inte-
        resse und Suchen nach Gemeinsamkeiten. Die derzeitige
        Malaise in den deutsch-französischen Beziehungen liegt
        nicht an unterschiedlichen Interessen und verschiedenen
        Vorstellungen zur zukünftigen Verfasstheit Europas. Das
        Problem sind die Indifferenz, die Sprachlosigkeit, die
        durch förmliche Floskeln überdeckt wird. Die im elsässi-
        schen Blaesheim vereinbarten Treffen der Staats- und Re-
        gierungschefs beider Länder in sechs- bis achtwöchigem
        Rhythmus sind ohne reale Substanz.
        Europa braucht aber mehr denn je eine solide und zu-
        kunftorientierte Partnerschaft zwischen Frankreich und
        Deutschland. Beide müssen ihre Standpunkte ausgleichen
        und annähern und gemeinsame Initiativen vorlegen, um
        substanzielle Integrationsfortschritte in der EU zu errei-
        chen. Das gilt in einer größeren Union nach der Erweite-
        rung umso mehr.
        Trotz der Gleichgültigkeit, die die Bundesregierung
        gegenüber dem französischen Nachbarn an den Tag legt,
        sind die deutsch-französischen Beziehungen im Kern sta-
        bil und solide verankert. Das ist nicht zuletzt dem
        Deutsch-Französischen Jugendwerk mit seiner erfolgrei-
        chen Breitenarbeit zu verdanken, den 1 800 Städtepart-
        nerschaften, 900 Hochschulkooperationen und Partner-
        schaften von französischen Regionen und deutschen
        Ländern.
        Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland
        und Frankreich ruhen auf einem dichten Netz der Part-
        nerschaft zwischen Kommunen, Regionen, Kirchen,
        Vereinen und privaten Initiativen. Austauschprogramme
        für Schüler und Studenten haben eine beachtliche Inten-
        sität.
        Gleichwohl laufen die deutsch-französischen Bezie-
        hungen Gefahr, auch auf dieser Ebene zu verkrusten: der
        Altersdurchschnitt in den deutsch-französischen Gesell-
        schaften ist hoch, das Interesse an der Sprache des ande-
        ren Landes geht vor dem Hintergrund der Dominanz des
        Englischen zurück, auch die gegenseitige Faszination
        nimmt ab. Das gilt für die französische Bewunderung der
        deutschen „sozialen Marktwirtschaft“ wie für die deut-
        sche Bewunderung französischer Kultur und Lebensart,
        auch bedingt durch den Prozess der Globalisierung. Wird
        keine substanzielle Verbesserung der deutsch-französi-
        schen Kooperation auf allen Ebenen – politisch, wirt-
        schaftlich und gesellschaftlich – engagiert verfolgt, laufen
        die deutsch-französischen Beziehungen Gefahr, zum
        bloßen Ritual zu erstarren und langsam, aber sicher ihrer
        Grundlagen beraubt zu werden.
        Deshalb müssen auf allen Ebenen der Zusammenarbeit
        Initiativen gestartet werden: zur EU-Erweiterung, zur
        EU-Verfassungsdebatte, zur Gemeinsamen Außen- und
        Verteidigungspolitik. Die Zivilgesellschaft muss noch
        stärker einbezogen werden. Wir brauchen integrierte
        Strukturen in der Forschung und integrierte deutsch-fran-
        zösische Bildungsangebote bis zu den Hochschulen. Wir
        müssen viele gesellschaftspolitische Herausforderungen
        grenzüberschreitend diskutieren. Deutschland und Frank-
        reich können und müssen die Keimzelle einer europä-
        ischen Öffentlichkeit sein. Daher sollte die Bundesregie-
        rung den Vorschlag von Premierminister Jospin, einen
        europäischen Fernsehkanal einzurichten, konstruktiv auf-
        greifen.
        Den Lippenbekenntnissen zur Förderung des Fremd-
        sprachenunterrichts steht die Schließung von Goethe-Ins-
        tituten in Frankreich gegenüber, durch die das deutsche
        Kulturangebot dort ausgedünnt wird. Der Bundeshaushalt
        setzt hier falsche Schwerpunkte und zerstört ein Netz
        deutscher Kunst- und Kulturförderung in Frankreich, das
        später unwiederbringbar ist.
        Wir sind nicht pessimistisch, sondern entschlossen, un-
        seren Beitrag zur Pflege der guten deutsch-französischen
        Beziehungen zu leisten. Das Fundament dieser Beziehung
        ist solide: Deutsche und Franzosen kennen und schätzen
        sich, der Austausch von Schülern, Studenten, Vereinen
        funktioniert. Die Bedeutung der deutsch-französischen
        Beziehungen wird parteiübergreifend anerkannt. CDU
        und CSU werden sich, ihrer Tradition gemäß, für die
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17039
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        deutsch-französischen Beziehungen einsetzen und die
        Bundesregierung dort unterstützen, wo sie es verdient. Al-
        lerdings habe ich den Eindruck, diese Bundesregierung
        misst den deutsch-französischen Beziehungen nicht die
        notwendige Bedeutung bei, vernachlässigt sie und ge-
        fährdet sie somit. Seit dem Regierungswechsel hat es
        jedenfalls keine nennenswerte deutsch-französische Ini-
        tiative der Bundesregierung gegeben, die man hätte un-
        terstützen können.
        Herr Außenminister, hier würden wir Sie von Herzen
        gern einmal unterstützen. Wir wünschen der Bundesre-
        gierung deshalb mehr Willen und Engagement für die
        deutsch-französische Zusammenarbeit.
        Ernst Burgbacher (F.D.P.): „Ein dominierendes
        Deutschland, ein deutsch-französisches Paar, dessen
        Bande sich sehr gelockert haben, ein Frankreich ohne
        Seele und Ideen und auf der Suche nach seiner Rolle“, so
        beschrieb die Wochenzeitung „Le Point“ die Lage nach
        dem Nizza-Gipfel. „Le Monde“ urteilte, dass „das wirk-
        lich bedeutsame Abkoppeln zwischen Frankreich und
        Deutschland nicht in der Frage der Entscheidungsmecha-
        nismen im Rat zu sehen ist, sondern im Verlust an wech-
        selseitigem Vertrauen im Kontext der Erfahrungen der
        Regierungskonferenz.“ Und Joachim Schild schreibt in
        einer Frankreich-Analyse: „Von einer gemeinsamen euro-
        päischen Führungsrolle waren Frankreich und Deutsch-
        land weit entfernt. Ihre Haltungen waren nicht nur kein
        Element der Lösung, sondern teilweise zentraler Bestand-
        teil der Verhandlungsprobleme.“
        Zwei hauptsächliche Charakteristika kennzeichnen
        die deutsch-französischen Beziehungen vom Beginn der
        Nachkriegszeit bis heute: Das erste Charakteristikum ist
        die Unterschiedlichkeit der Interessen und Ansatz-
        punkte. Deutschland und Frankreich haben völlig unter-
        schiedliche historische, philosophische und sozialpoliti-
        sche Traditionen. Wenn ein Franzose Begriffe wie Staat,
        Nation, Heimat, ja Europa gebraucht, meint er damit et-
        was völlig anderes als ein Deutscher, der dieselben Wör-
        ter in den Mund nimmt. Daher haben Deutschland und
        Frankreich in der Außen- und Europapolitik auch
        zunächst einmal grundsätzlich unterschiedliche Interes-
        sen. So hat Frankreich etwa in der Europapolitik immer
        stark auf seine nationale Eigenständigkeit geachtet,
        während Deutschland sehr viel eher bereit war, seine na-
        tionalen Interessen durch die europäische Integration zu
        verwirklichen. Es ist gerade der Unterschied dieser In-
        teressen und Ausgangspositionen, der bis in die jüngste
        Vergangenheit die deutsch-französische Zusammenar-
        beit so fruchtbar für die europäische Integration machte.
        Denn es gab immer den festen politischen Willen auf
        beiden Seiten, gemeinsam an der Überwindung dieser
        Gegensätze zu arbeiten und damit zum gegenseitigen
        Nutzen und vor allem auch zum Nutzen Europas zu ge-
        meinsamen Positionen zu kommen. Am Ende stand ein
        Kompromiss, der gerade wegen der Gegensätzlichkeiten
        der Ausgangspositionen so abgerundet und ausbalan-
        ciert war, dass alle anderen Partner in Europa zustimmen
        konnten – wenn manchmal auch nur mit zusammenge-
        bissenen Zähnen. Wären Frankreich und Deutschland
        sich in der Regel von vornherein einig gewesen, wäre ein
        solch ausbalancierter Kompromiss nicht denkbar gewe-
        sen und die anderen Partner in Europa hätten dies als
        deutsch-französischen Direktoriumsbeschluss auch ab-
        gelehnt.
        Das zweite Charakteristikum in der deutsch-französi-
        schen Zusammenarbeit ist ein ständiges Auf und Ab. Es
        war gewiss nicht immer rosig und die Auseinanderset-
        zungen wurden bisweilen mit aller Schärfe geführt. Dabei
        wussten aber alle – übrigens in den Regierungen, in den
        Parlamenten und in den Bevölkerungen – emotional und
        rational, dass der jeweils andere der wichtigste Partner
        war, wie es Klaus Kinkel in seiner Zeit als Außenminister
        immer wieder gesagt hat. Die Qualität der Zusammenar-
        beit war auch unabhängig von der parteipolitischen Aus-
        richtung der jeweiligen Regierungen. So gut wie in den
        geradezu idealtypischen Paarungen von Adenauer und de
        Gaulle, von Schmidt und Giscard und von Kohl und Mit-
        terrand konnte es natürlich nicht immer gehen. So
        schlecht, lassen Sie mich dies aber in aller Deutlichkeit sa-
        gen, wie heute war es aber noch nie.
        Es gibt keine gemeinsamen deutsch-französischen Ini-
        tiativen vor den Europäischen Räten mehr, wie sie früher
        üblich waren. Die Europäischen Räte von Berlin und Niz-
        za waren von deutsch-französischen Nickeligkeiten ge-
        prägt und ließen gemeinsame Entwürfe vermissen. Die
        europapolitischen Vorstellungen von Bundeskanzler
        Schröder und Premierminister Jospin sind völlig unilate-
        ral vorgetragen worden, ja die Entwürfe sind dem anderen
        Partner offensichtlich noch nicht einmal vorab zur Kennt-
        nis gegeben worden. Seine Antwort auf Bundeskanzler
        Schröder fasst Premierminister Jospin in einem Satz zu-
        sammen: „Europa schaffen ohne Frankreich abzuschaf-
        fen, das ist mein politisches Credo.“ In diesem Satz wird
        der Tiefstand gegenseitigen Misstrauens erschreckend
        deutlich.
        Nun ist es natürlich nicht so, dass für diesen Zustand
        allein die Bundesregierung verantwortlich zu machen
        wäre. Es gibt eine Reihe von Gründen in der französi-
        schen Innenpolitik und im französischen Präsident-
        schaftswahlkampf. Mit unseren französischen Freunden
        sprechen wir in aller Offenheit darüber. Aber in diesem
        Hohen Hause ist unser Ansprechpartner nun einmal die
        Bundesregierung. Und bei ihr liegt nun wahrlich auch ein
        gerüttelt Maß an Schuld für den desolaten Zustand
        der deutsch-französischen Beziehungen. Bundeskanzler
        Schröder hat kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen,
        die französischen Partner zu brüskieren. Beim ER Berlin,
        als es um die Agenda 2000 ging, hat er in völlig unange-
        messener Weise die deutsche Nettozahlerposition heraus-
        gestellt und ist mit dem – auch aus unserer Sicht richtigen
        Vorschlag zur Kofinanzierung in der Agrarpolitik so un-
        sensibel vorgegangen, dass es Frankreich verstören
        musste. Der ER Nizza wäre fast daran gescheitert, dass
        Schröder es auf einen minimalen Unterschied in der Stim-
        menneugewichtung im Rat zugunsten Deutschlands an-
        legte. Dazwischen hat er mit dem berühmt-berüchtigten
        Schröder-Blair-Papier viel Porzellan zerschlagen. Auf
        den Schock von Nizza folgte die Verabredung, sich in Zu-
        kunft regelmäßig zum Abendessen in den Weinbergen zu
        verabreden. Man fragt sich aber, was die Herren außer der
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117040
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        Speisenfolge dort besprechen. Verbesserungen sind je-
        denfalls nicht erkennbar.
        Weil beide Länder seit den Veränderungen seit 1989
        und ihrer veränderten Rolle in Europa und im gegenseiti-
        gen Verhältnis noch nicht wirklich zurande gekommen
        sind, wäre eine besondere Feinfühligkeit im Umgang mit-
        einander wichtiger denn je. Und weil die Veränderungen
        für Frankreich im Zweifel schwieriger zu verarbeiten sind
        als für Deutschland, kommt Deutschland in dieser Part-
        nerschaft im Moment eine besondere Verantwortung zu.
        Daher fordern wir die Bundesregierung auf, die deutsch-
        französischen Beziehungen wieder neu mit Leben zu er-
        füllen. Der CDU/CSU-Antrag mit seiner Forderung einer
        Neubegründung geht am Kern des Problems vorbei. Die
        Basis für die deutsch-französische Zusammenarbeit ist
        durch den Elysêe-Vertrag und seine Fortentwicklungen
        gelegt, sie ist solide und tragfähig. Dazu gehören über
        2 000 Städtepartnerschaften, 3 000 Schulpartnerschaften,
        zahlreiche Universitätspartnerschaften, vor allem auch
        die segensreiche Arbeit des Deutsch-Französischen Ju-
        gendwerks. Das Netzwerk an institutioneller Zusammen-
        arbeit, an Arbeitsgruppen, an Beamtenaustausch, an Kon-
        sultationen usw. usf. ist so eng wie in wahrscheinlich
        keiner anderen Partnerschaft zwischen zwei souveränen
        Staaten dieser Erde. Was fehlt, ist der politische Wille der
        Regierungen, dieses Netzwerk zu nutzen und mit Leben
        zu erfüllen. Deswegen fordern wir die Bundesregierung
        auf, Frankreich in ihrem politischen Denken und Handeln
        wieder den Platz einzuräumen, der ihm zukommt.
        Noch ein Wort an uns selber, liebe Kolleginnen und
        Kollegen. Solange die Zusammenarbeit auf der Ebene der
        Regierungen so starke Defizite aufweist, kommt es umso
        mehr auf eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen
        den Parlamenten an. Die deutsch-französischen Parla-
        mentariergruppen leisten dazu auf beiden Seiten hervor-
        ragende Arbeit. Die EU-Ausschüsse von Bundestag und
        Assemblêe Nationale haben eine lobenswerte Initiative
        entwickelt. Diese sollten wir tatkräftig unterstützen. Auf
        mittlere Sicht wäre auch eine gemeinsame Plenarsitzung
        unserer beiden Parlamente ein erstrebenswertes Ziel. Es
        kommt in der deutsch-französischen Zusammenarbeit
        auch darauf an, symbolträchtige Zeichen zu setzen.
        Es kommt aber insbesondere darauf an, persönliches
        Herzblut einzubringen. Wenn der französische Außenmi-
        nister Vêdrine seinen deutschen Kollegen Fischer als
        „Flötenspieler“ bezeichnet, zeigt dies, wie zerrüttet das
        Verhältnis geworden ist. Wir können dem Bundeskanzler
        und dem Außenminister diesen Vorwurf nicht ersparen:
        Sie haben den deutsch-französischen Motor abgewürgt.
        Wir werden alles dafür tun, diesen Motor wieder zum
        Laufen zu bringen. Nur dann können wir die große He-
        rausforderung der Erweiterung und damit der Wiederver-
        einigung Europas meistern.
        Wolfgang Gehrcke (PDS):Der Antrag der CDU „Die
        deutsch-französisch Beziehungen neu begründen“ gibt
        die Chance über diese Beziehungen im Bundestag zu dis-
        kutieren. Wir haben gerade vor zwei Tagen dies gemein-
        sam mit unseren französischen Freundinnen und Freun-
        den im Auswärtigen Ausschuss getan. Das ist aber fast
        schon alles, was ich positiv über den CDU-Antrag sagen
        kann. Ansonsten bewegen sich die CDU-Vorschläge im
        Rahmen des üblichen deutsch-französischen Alltagsge-
        schäfts.
        Der CDU-Antrag ist zeitlos wie ein „blauer Faltenrock“ –
        dieser soll ja zu allen Anlässen passen. Trotzdem will ich
        positiv wie negativ einen Vorschlag kommentieren.
        Positiv ist mir aufgefallen, dass die CDU vorschlägt,
        die Achse Deutschland-Frankreich durch ein Dreieck
        Deutschland-Frankreich-Polen zu ergänzen. Dies ent-
        spricht sowohl den geschichtlichen Anforderungen als
        auch den Bedingungen der Osterweiterung der Europä-
        ischen Union. Das unterstützt die PDS.
        Besonders negativ hingegen bewerte ich den Vorschlag
        der CDU, die deutsch-französische Rüstungszusammen-
        arbeit noch weiter auszubauen. Bei Rot-Grün rennt die
        CDU damit wohl offene Türen ein. Nicht in der Rüs-
        tungszusammenarbeit, im gemeinsamen Rüstungsexport
        liegt die Perspektive der deutsch-französischen Wirt-
        schaftskooperation, sondern in einer engeren sozialen Zu-
        sammenarbeit.
        Genau diese ist ein Schwerpunkt in der jüngsten Euro-
        parede des französischen Ministerpräsidenten Jospin.
        Dass die SPD die Jospin-Vorschläge nicht offensiv auf-
        greift, ist schon bezeichnend. Wer die Reden Schröder-
        Jospin vergleicht, begreift, wo die Differenzen zwischen
        Deutschland und Frankreich heute liegen.
        Jospin schlägt für Europa unter anderem vor, soziale
        Solidarität ins Zentrum zustellen, unsichere Arbeitsver-
        hältnisse zu bekämpfen, Sozialdumping Widerstand zu
        leisten und die kulturelle Vielfalt in Europa zu bekämpfen.
        Jospin schlägt vor, ein europäisches Sozialrecht zu
        schaffen, einen europäischen Sozialvertrag abzuschließen
        und gemeinsam an einer Reform der internationalen Fi-
        nanzarchitektur zu arbeiten. Davon findet sich verständli-
        cher Weise im Antrag der CDU kein Wort.
        Aber die Bundesregierung wäre gut beraten, die
        deutsch-französische Zusammenarbeit nicht nur allge-
        mein als „Motor der europäischen Einigung“ zu verste-
        hen, sondern diese als „Motor für ein soziales Europa“
        einzusetzen.
        Dieser Art der Zusammenarbeit steht die rot-grüne Re-
        gierung reserviert gegenüber. Das Schröder-Blair-Papier
        ist ihr doch näher als die sozialen Vorschläge Jospins.
        Für die PDS ist es umgekehrt: Wir sind ablehnend ge-
        genüber dem neoliberalen Umbau Europas und treten
        dafür ein, dass endlich soziale Fragen in Europa ein
        größeres Gewicht einnehmen.
        Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
        Frankreich ist unser engster und wichtigster Partner. Eu-
        ropa gründet auf der deutsch-französischen Verständi-
        gung, auf unserer engen Partnerschaft mit Frankreich.
        Diese Beziehung ist nicht austauschbar und das wird auch
        für die Zukunft der europäischen Integration gelten.
        Die europäische Integration war eine französische
        Idee. Die strategische Weitsicht und der politische Mut
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17041
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        Frankreichs, mit dem „Erbfeind“ Deutschland, der ihr
        Land dreimal in 70 Jahren mit Krieg überzogen hatte, im
        besten Sinne des Wortes „gemeinsame Sache“ in der eu-
        ropäischen Integration zu machen, sind in ihrer Bedeu-
        tung gar nicht zu überschätzen. Sie waren – zusammen
        mit dem Entschluss der USA, nach 1945 in Europa prä-
        sent zu bleiben – die Antwort auf den historischen
        Sprengsatz, der Europa seit dem 19. Jahrhundert unendli-
        ches Leid zugefügt und zwei Weltkriege ausgelöst hat,
        nämlich die Antwort auf die Frage: Wo liegt Deutschland?
        Die deutsche Frage konnte nur im Rahmen der europä-
        ischen Integration, deren festen Kern Deutschland und
        Frankreich seit Jahrzehnten bilden, definitiv beantwortet
        werden. Deutschland und Frankreich haben daher nicht
        nur ein pragmatisches, sondern ein sehr viel tiefer gehen-
        des, ein historisches Interesse an der Fortsetzung und Ver-
        tiefung ihrer Partnerschaft.
        Das Jahr 1989 markiert eine tektonische Verschiebung
        der politischen Lage auf unserem Kontinent. Gerade auch
        für die deutsch-französischen Beziehungen hat das ge-
        wachsene Gewicht Deutschlands und seine wiederer-
        langte Mittellage ebenso wie die Osterweiterung der Eu-
        ropäischen Union neue Fragen aufgeworfen. Sicher kann
        die alte Formel von Frankreich als politischer und
        Deutschland als wirtschaftlicher Führungsmacht in Eu-
        ropa nicht mehr taugen. Sie hat es in Wahrheit nie getan.
        Ebenso sicher ist aber auch, dass Deutschland und Frank-
        reich die Rolle des Schwungrads für die europäische In-
        tegration weiter ausfüllen müssen; denn niemand anders
        wird ihnen dies abnehmen können. Dies aber kann und
        wird nur gelingen, wenn die politische Balance zwischen
        Deutschland und Frankreich erhalten bleibt.
        Diese Balance ist und bleibt die Grundlage des
        deutsch-französischen Verhältnisses und damit auch der
        europäischen Integration. Die deutsch-französische Part-
        nerschaft unter den veränderten politischen Bedingungen
        weiter zu festigen und, wo nötig, neu zu justieren, immer
        mit Blick auf den europäischen Einigungsprozess, darin
        besteht eine der großen außenpolitischen Herausforde-
        rungen für unsere beiden Länder in der vor uns liegenden
        Zeit.
        Die Bundesregierung hat das deutsch-französische
        Verhältnis von Anfang an zu einer Priorität gemacht. Die
        Zusammenarbeit mit Frankreich ist deshalb außerordent-
        lich eng. Mit Außenminister Vêdrine habe ich mich im
        Vorfeld meiner Humboldt-Rede und auch danach über
        alle wichtigen europapolitischen Fragen regelmäßig eng
        abgestimmt. Gleiches gilt für die Kosovo- und Südosteu-
        ropapolitik. Treffen der Staats- und Regierungschefs und
        der Außenminister im Blaesheim-Format finden alle
        sechs bis acht, bzw. sogar alle drei Wochen statt.
        Fazit: Mit keinem anderen Partner gibt es eine so re-
        gelmäßige und enge Abstimmung wie mit Frankreich.
        Diese Intensität der Zusammenarbeit ist in den internatio-
        nalen Beziehungen wohl ohne Beispiel. Niemand kann
        uns also vorwerfen, die Kontakte mit Frankreich nicht so
        eng, wie es uns möglich ist, zu gestalten.
        Die Opposition wirft der Bundesregierung vor, dass die
        Positionen Deutschlands und Frankreichs oft nicht
        deckungsgleich sind und dass es zu wenige deutsch-fran-
        zösische Initiativen in der Europapolitik gibt. Dieser Vor-
        wurf greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz:
        Zum einen ist es völlig natürlich – und war im Übrigen
        auch früher oft genug so –, dass Deutschland und Frank-
        reich in europapolitischen Fragen zunächst eine unter-
        schiedliche Haltung einnehmen und sich erst allmählich
        annähern. Deutschland und Frankreich sind Länder mit
        sehr unterschiedlichen Traditionen, Kulturen, Mentalitä-
        ten und nationalen Geschichten. Die Stärke der deutsch-
        französischen Verbindung liegt eben gerade nicht darin,
        dass beide Länder einander, a priori, ähnlich sind, sondern
        dass sie sich immer wieder als fähig zur Überbrückung
        von Differenzen und zum Kompromiss erwiesen haben.
        Dabei liegt die besondere Stärke der deutsch-französi-
        schen Verbindung darin, dass zwischen ihnen erzielte
        Kompromisse sehr häufig von den übrigen europäischen
        Ländern als Ausgangspunkt für eine gesamteuropäische
        Einigung genommen werden.
        Vor allem aber verkennt ein solcher Vorwurf die histo-
        rische Dimension der europapolitischen Herausforderun-
        gen, um die es heute geht. Seit den 50er-Jahren standen
        noch nie derart fundamentale Fragen auf der europäischen
        Tagesordnung: Die Wiedervereinigung Europas durch die
        Erweiterung, eine Verfassung für Europa, die Bestim-
        mung der internationalen Rolle Europas – all dies muss
        gleichzeitig bewältigt werden. Bei der Zukunft der euro-
        päischen Institutionen oder der Kompetenzaufteilung
        zwischen Europa und den Nationalstaaten geht es um
        Grundfragen unserer jeweiligen nationalen Gesellschafts-
        kontrakte, um Fragen unserer nationalen Identität, natür-
        lich auch um Machtfragen. Wir sehen dies auch in der in-
        nerdeutschen Debatte zwischen Bund- und Ländern.
        Es ist bemerkenswert, dass sich inzwischen praktisch
        alle europäischen Länder sehr ernsthaft und substanziell
        mit diesem Thema auseinander setzen. Aber die Debatte
        über die Zukunft Europas, über 2004, über eine europä-
        ische Verfassung, hat erst begonnen. Es wäre deshalb
        mehr als töricht, bereits in diesem frühen Stadium der De-
        batte eine weit gehende Konvergenz zwischen den Vor-
        stellungen Deutschlands und Frankreichs zu verlangen.
        Es ist doch völlig klar, dass am Anfang dieser Debatte in
        jedem Land erst einmal ein Prozess der Klärung, der
        Selbstvergewisserung stehen muss, der auch mit einer
        Prononcierung einzelner Positionen einhergehen wird.
        Genau das ist es, was wir derzeit beobachten, und dies ist
        der notwendige erste Schritt. Wären Deutschland und
        Frankreich schon jetzt, zu Beginn der Debatte, in allen
        Punkten einer Meinung, so würde das dem Ziel einer
        lebendigen und bürgernahen Debatte eher schaden als
        nutzen.
        Aus Frankreich sind im vergangenen Jahr bedeutende
        Beiträge zur Zukunft Europas gekommen: Präsident Chirac
        hat im Deutschen Bundestag gesprochen, Premierminis-
        ter Jospin am vergangenen Montag in Paris. Beide haben
        sich dabei als überzeugte Europäer erwiesen, die sich mit
        Nachdruck für eine Stärkung Europas und der europä-
        ischen Integration einsetzen.
        Die Rede Jospins war voller Gehalt und konkreter An-
        regungen. Es war eine bedeutende Rede. Viele seiner Vor-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117042
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        schläge sollten wir ernst nehmen und zu gemeinsamen
        deutsch-französischen Initiativen machen. Jospin stimmt
        in vielen Punkten mit deutschen Zielvorstellungen über-
        ein. Die Rede zeigt deshalb durchaus, dass der Dialog mit
        Frankreich ganz konkret Früchte zeitigt:
        Sie enthält ein Bekenntnis zu einer europäischen Ver-
        fassung, zur Föderation der Nationalstaaten, zu einer ge-
        naueren Kompetenzaufteilung, zum Abbau des Demokra-
        tiedefizits, zu dem Ziel eines Europas der Bürger. Viele
        der konkreten Vorschläge sind zu begrüßen, wie die Ein-
        richtung einer europäischen Staatsanwaltschaft, einer in-
        tegrierten europäischen Polizeibehörde und Grenzschutz-
        polizei oder die Fusion unserer konsularischen Netze im
        Ausland.
        In anderen Fragen zeigt sich – das ist vor dem Hinter-
        grund der Geschichte und der nationalen Kultur Frank-
        reichs nicht verwunderlich – eine andere Grundeinstel-
        lung, als wir sie haben. Frankreich hält zum Beispiel an
        einer starken Stellung des Europäischen Rats in der Exe-
        kutive und Legislative fest. Dies entspricht der Verfas-
        sungstradition Frankreichs und es ist dort Mehrheitsmei-
        nung. Wir müssen diese Haltung respektieren, auch wenn
        sie der positiven deutschen Erfahrung mit einem födera-
        len Staatsaufbau nicht entspricht.
        All jene, die bei uns immer wieder laut nach mehr
        deutsch-französischer Gemeinsamkeit rufen, möchte ich
        fragen, was sie denn konkret unternehmen würden, um
        eine solche herzustellen. Es ist jedenfalls mehr als wider-
        sprüchlich, im gleichen Atemzug eine Revision der
        Agenda 2000, insbesondere einen Einstieg in die Kofi-
        nanzierung der Agrarpolitik und eine engere Abstimmung
        mit Frankreich zu verlangen, wo doch jeder weiß, welche
        Bedeutung die gemeinsame Agrarpolitik für Paris besitzt.
        Hier muss man behutsam vorgehen.
        Auch die Frage der Weiterentwicklung der europä-
        ischen Institutionen werden wir letztlich nur unter Einbe-
        ziehung des französischen Beharrens auf einer starken
        Exekutive beantworten können. So sehr für uns die Vor-
        teile eines bundesstaatlichen Modells für Europa auf der
        Hand liegen mögen, so sehr werden wir in der realen Welt
        um einen großen Kompromiss mit Frankreich in diesem
        Punkt nicht herumkommen. Kein Mensch kann heute vor-
        hersagen, wie Europa in zehn oder 15 Jahren aussehen
        wird. Doch lässt sich eines mit Gewissheit feststellen: Die
        Vollendung der europäischen Integration, die ich mir als
        Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft wünsche
        und für die sich die Bundesregierung einsetzt, kann und
        wird nur gelingen, wenn Frankreich und Deutschland sie
        zu ihrer gemeinsamen Sache machen. Hierin liegt die al-
        ternativlose Bedeutung des deutsch-französischen Ver-
        hältnisses im 21. Jahrhundert, neben der Notwendigkeit
        unserer guten und engen Nachbarschaft.
        Ohne enge europäische und transatlantische Partner-
        schaft ruft Deutschland allzu schnell Reserviertheit und
        Skepsis hervor. Dieser Partner kann bei der Vollendung
        der europäischen Integration für uns nur Frankreich sein.
        Diese Partnerschaft schloss die anderen Europäer immer
        ein und niemals aus. Aber unsere Geschichte verbindet
        uns wie keine zwei anderen Länder in Europa in gemein-
        samer Verantwortung für die Zukunft. Wir haben sehr un-
        terschiedliche Traditionen und kulturelle Prägungen und
        diese Unterschiedlichkeit ist zweifellos eine der Konstan-
        ten, die die Zeitenwende von 1989 überdauert haben.
        Aber die Stärken Frankreichs und Deutschlands ergänzen
        sich auf eine besondere, immer wieder sehr produktive
        Weise. Nur gemeinsam sind wir in der Lage, Europas
        Schwungrad auch in einer größeren Union zu sein und mit
        unseren anderen Freunden und Nachbarn die Integration
        voranzubringen. Diese Erkenntnis leitet die Politik der
        Bundesregierung.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Änderung des Mi-neralölsteuergesetzes (Tages-
        ordnungspunkt 12)
        Lydia Westrich (SPD): Zuerst einmal will ich mich
        bedanken, aber nicht wie üblich bei der Regierung oder
        den Ausschussmitgliedern. Natürlich freuen wir uns über
        dieses Gesetz und sind froh, dass unser fleißig sparendes
        Finanzministerium noch einmal 200 Millionen DM zur
        Verfügung gestellt hat, um bei der schwierigen Situation
        der Landwirtschaft und der Unterglasbetriebe Hilfe zu
        leisten.
        Mein Dank gilt heute vor allem dem Zentralverband
        Gartenbau, der uns Abgeordnete sachlich, aber reizvoll
        durch eine Vielzahl von ermöglichten Besichtigungen von
        Unterglasbaubetrieben mit seiner Notlage vertraut ge-
        macht hat. Nichts prägt sich dem Gedächtnis mehr ein als
        die hautnahe Begegnung und Erörterung der Probleme
        vor Ort. Diese Aktion hat den Landesverbänden sehr viel
        Mühe bereitet. Ich habe mit mehreren Kollegen und Kol-
        leginnen gesprochen, die die Einladungen wahrgenom-
        men haben. Die durchweg sachliche Gesprächsatmo-
        sphäre gepaart mit teilweise exotischen, farbenprächtigen
        Pflanzenwelten direkt vor der Haustüre hat bei allen Be-
        suchern bleibende Eindrücke hinterlassen. Das bedeutet
        für den Zentralverband Gartenbau und seine Mitglieder-
        betriebe einmal, dass ihre schwierige Wettbewerbssitua-
        tion im europäischen Rahmen voll erkannt wurde und wir
        heute nun zusätzlich zu den bereits angelaufenen Maß-
        nahmen der Hilfe bei Energieeinsparungen und Betriebs-
        mittelhilfen 60 Millionen DM zur Minderung der Ener-
        giekosten zur Verfügung stellen.
        Die Unterglasbetriebe haben übereinstimmend erklärt:
        „Wir wollen nicht am Subventionstropf hängen. Wir sind
        selbstbewusst genug, um uns durch die Qualität unserer
        Züchtungen und Weiterentwicklungen der Pflanzen einen
        guten Stand im Wettbewerb zu erobern“. Wenn aber in den
        Nachbarländern Betriebe auf hohe Subventionsmittel zu-
        greifen und gleichzeitig die Energiekosten explodieren,
        sind faire Wettbewerbsbedingungen nicht mehr gewähr-
        leistet. Dann beginnt automatisch ein ruinöser Verdrän-
        gungsprozess. Und dem will die Bundesregierung, dem
        wollen wir Abgeordnete entgegensteuern.
        Mit den Programmen für Energieeinsparungen und mit
        dem heutigen Gesetz, das rückwirkend zum 1. Januar 2001
        bewirkt, dass 8 Pfennig pro Liter bei Heizöl, 3,60 DM je
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17043
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        Megawattstunde bei Erdgas und 50 DM pro Tonne bei
        Flüssiggasen erstattet werden.
        Natürlich erwarten wir, dass die Verhandlungen dieser
        Bundesregierung auf europäischer Ebene die Wettbe-
        werbssituation wieder ins Gleichgewicht bringt und un-
        sere Unterglasgartenbaubetriebe dann – wie gewünscht
        subventionslos – erfolgreich ihrer Arbeit nachgehen kön-
        nen. Gravierende Wettbewerbsverzerrungen bei den
        Energiekosten im Vergleich zu den europäischen Nach-
        barn bringen die Landwirtschaft in Deutschland in
        Schwierigkeiten. Das ist vor allem ein Versäumnis der
        früheren Bundesregierung. Natürlich ist es einfacher, in
        Brüssel alles abzunicken.
        Und die verschiedenen Höhen der Mineralölsteuer sind
        ja nur ein Beispiel von vielen: Abbau von Wettbewerbs-
        verzerrungen, Steuerharmonisierung auf möglichst enge
        Bandbreite – da braucht man zähe, harte Verhandlungen,
        die die neue Bundesregierung endlich zum Thema auf eu-
        ropäischer Ebene gemacht hat. Bis sie die verlorene Zeit
        aufgeholt hat, um die Mitgliedstaaten auf eine Linie zu
        bringen, entlasten wir unsere Landwirte nochmals durch
        eine Senkung von 7 Pfennig pro Liter Diesel. Der Steuer-
        satz für den in der Land- und Forstwirtschaft verwende-
        ten Dieselkraftstoff beläuft sich damit auf 50 Pfennige pro
        Liter. Die Ökosteuer greift nun in der Landwirtschaft
        praktisch nicht. Damit erhöhen wir die Wettbewerbs-
        fähigkeit der deutschen Landwirte auf dem internationa-
        len wie europäischen Markt und gewinnen Zeit für Ver-
        handlungen auf europäischer Ebene. Dazu kommt noch
        ein Bündel von Maßnahmen, die mittel- und langfristig
        ihre positiven Wirkungen in den landwirtschaftlichen Be-
        trieben entfalten Erzeugung und Verwendung von Bio-
        Diesel, Nutzung der Möglichkeiten von Biomasse und
        andere. Das sind Chancen, die die Betriebe selbst ergrei-
        fen können.
        Ich habe auch bemerkt – gerade bei mir in der Region –,
        dass der teilweise selbst entfachte ruinöse Wettbewerb der
        Höfe aufgehört hat, immer größere, immer stärkere Trak-
        toren und Maschinen anzuschaffen. Seit Jahren weisen
        die Maschinenringe auf die oft unwirtschaftlichen, viel zu
        großen Maschinenausstattungen in den Betrieben hin.
        Durch die hohen Energiekosten scheinen die Appelle end-
        lich auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Energiespa-
        ren ist auch in der Landwirtschaft zum großen Thema ge-
        worden: Ein Fortschritt für den Umweltschutz und für die
        Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Be-
        triebe.
        Reden wir den Standort Deutschland für die Landwirt-
        schaft nicht schlecht. Mit der jetzigen Änderung des Mi-
        neralölsteuergesetzes, das die nochmalige Senkung des
        Steuersatzes auf Dieselkraftstoff beinhaltet, der Biomas-
        severordnung und der Förderung nachwachsender Roh-
        stoffe geht diese Bundesregierung einen großen Schritt in
        die Zukunft für und mit den deutschen Landwirten.
        Heidemarie Wright (SPD): Das Gesetz zur Änderung
        des Mineralölsteuergesetzes, das wir heute in erster Le-
        sung beraten und in der nächsten Sitzungswoche zum
        guten Ende bringen werden, ist keine Überraschung mehr.
        Das Bemühen und das Ringen um diese Lösung begann
        schon im letzten Jahr und die Landwirtschaft hat auf die-
        ses Bemühen vertraut und darauf, dass wir es schaffen.
        Mit diesem Agrardieselgesetz, das rückwirkend zum
        1. Januar 2001 in Kraft tritt, reduzieren wir nicht nur die
        Mineralölsteuer für die Landwirtschaft um 7 Pfennig auf
        50 Pfennig, sondern geben ihr hiermit auch einen festen
        Steuersatz, der sie unabhängig macht von weiteren Mine-
        ralölsteuererhöhungen.
        Natürlich ist damit die Begehrlichkeit der Wünsche
        nicht erfüllt, wohl aber die Marge der im Sinne der ge-
        samten Konsolidierungspolitik verkraftbaren Steueraus-
        fälle erreicht. Bis zum Jahre 2003 macht dies ein Volumen
        von 840 Millionen DM an Steuermindereinnahmen aus –
        weiß Gott kein Pappenstiel.
        Noch mal zu den Begehrlichkeiten: Natürlich steht die
        deutsche Landwirtschaft im Bereich der Kraftstoffpreise
        im Verhältnis zu ihren europäischen Mitkonkurrenten an
        oberer Stelle. Aber ich bitte gerade im Bereich der Ener-
        giepreissituation auch die für die Landwirtschaft positi-
        ven Entwicklungen nicht zu vergessen. Der Biodiesel –
        das Gold vom Acker – boomt und hat ein Volumen von
        rund 400 000 t erreicht. Die Landwirtschaft hat hier nicht
        nur einen wirtschaftlichen Anteil als Rohstoffproduzent,
        sondern soll künftig über die weitere Entwicklung in der
        Traktorenindustrie auch als Nutzer und Betreiber von
        Pflanzenölschleppern den Treibstoff aus der Landwirt-
        schaft in der Landwirtschaft einsetzen.
        Biogene Treib- und Schmierstoffe und ihr verstärkter
        Einsatz in der Landwirtschaft müssen einen sinnvollen
        ökologischen und ökonomischen Kreislauf bilden.
        Mit dem Agrardieselgesetz und der weiteren Innovati-
        onsförderung im Bereich der erneuerbaren Energien, zu-
        sammen mit dem EEG und der morgen zu behandelnden
        Biomasseverordnung bringen wir die Landwirtschaft in
        Deutschland ein prima Stück weiter. Wir sollten uns alle
        gemeinsam darüber freuen. Den Dank des Bauernverban-
        des – aktuell nochmals vorgestern in einem Präsidialge-
        spräch – haben wir schon angenommen und wir werden
        die frohe Botschaft auch in die landwirtschaftlichen Be-
        triebe im Lande tragen.
        In der letzten Woche hatte ich in meinem Wahlkreis
        eine Veranstaltung zur und mit der Landwirtschaft, die
        wie so oft sehr zwiespältig war: Auf der einen Seite Jam-
        mern und Negativaufzählung, auf der anderen Seite opti-
        mistische Stimmung und Positivfakten – wohl gemerkt je-
        weils von Landwirten. Die Verbraucher betrachteten
        dieses ebenso erstaunt wie fasziniert. Das Fazit war: Die
        Landwirtschaft ist besser als ihr Ruf, sie wird jedoch
        durch das gebetsmühlenartige Dauerjammern – und zwar
        seit Jahrzehnten – in ein negatives Licht gestellt.
        Ich denke, es muss mit dem Dauerjammern aufgehört
        werden. Die Chancen und Perspektiven sind zu ergreifen,
        um auch den Ruf der Landwirtschaft auf die positive und
        optimistische Seite zu bringen.
        Ich will jedoch den zweiten erfreulichen Punkt des Mi-
        neralölsteuergesetzes ansprechen: die Entlastung für den
        Gewächshausanbau. Für diesen Bereich konnte eine Re-
        duzierung der Mineralölsteuer auf Heizstoffe um 8 Pfen-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117044
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        nig bei Heizöl und 3,60 DM pro Megawattstunde bei Erd-
        gas erreicht werden. Ich sage Dank für die Solidarität in-
        nerhalb der Landwirtschaft, die beim Agrardiesel auf eine
        weitere geringfügige Absenkung zugunsten des Ge-
        wächshausanbaus verzichtet hat. In der Gesamtsumme
        geht es hier um 60 Millionen DM, die, wie ich aber mei-
        ne, notwendigerweise für den Gartenbau abzuzweigen
        waren.
        Der deutsche Gartenbau war wirklich in arger Be-
        drängnis durch die unmittelbaren Konkurrenten aus den
        Niederlanden, die seit Jahren durch ihre Energiepolitik
        ihrem Gartenbau enorme Wettbewerbsvorteile sichern.
        Dies führte dazu, dass die holländischen Gartenbaube-
        triebe teils nur ein Drittel der in Deutschland vergleichba-
        ren Energiekosten zu zahlen hatten.
        Aus diesem verdrängenden Wettbewerbsdruck muss-
        ten wir unseren Gartenbau herausnehmen und ihm durch
        die Absenkung der Mineralölsteuer Luft zum Weiterma-
        chen geben.
        Neben dem Investitionsprogramm zur Energieein-
        sparung und dem Liquiditätshilfsprogramm für 2000 und
        2001 ist dies eine echte Hilfe und ein ordentliches Ge-
        samtpaket.
        Ein Gesamtpaket auf dem man sich jedoch nicht aus-
        ruhen kann, denn das Motto „weg vom Öl/Gas“ gilt und
        es gilt, es insbesondere die nächsten zwei Jahren zu nut-
        zen. Ich will als eine der Möglichkeiten des „weg vom Öl“
        hier noch mal den Energieträger Holz in Form von Holz-
        hackschnitzel ansprechen.
        Bei einem Preisäquivalent von 30 Pfennig zum Liter
        Heizöl ist dies eine echte und dauerhafte Alternative für
        die Gartenbaubetriebe.
        Gerade die Landwirtschaft und die Gartenbaubetriebe
        haben unter der unterschiedlichen Energiebesteuerung in
        Europa zu leiden. Deshalb wird besonders aus dieser
        Branche die Forderung nach einer Verbesserung der Wett-
        bewerbssituation durch eine EU-weite Harmonisierung
        der Besteuerung von Dieselkraftstoffen erhoben und die
        diesbezüglichen Anstrengungen der Bundesregierung
        nachdrücklichst unterstützt. Wir sind doch nicht auf ei-
        nem Basar, wo ein „wer bietet weniger“ ein geeignetes In-
        strument europäischer Politik ist. Vielmehr sollten unsere
        gemeinsamen Anstrengungen der Umsetzung der Ge-
        meinschaftsstrategie und des Aktionsplanes erneuerbare
        Energiequellen gelten. Was nützen schöne Weißbücher
        der EU-Kommission, wenn dann jeder den anderen dumpt
        auf Teufel komm raus.
        Norbert Schindler (CDU/CSU): Die in diesem Ge-
        setzentwurf vorgesehene Herabsetzung des Steuersatzes
        für den in der Land- und Forstwirtschaft verwendeten
        Dieselkraftstoff in insbesondere landwirtschaftlich ge-
        nutzten Traktoren soll die Wettbewerbsfähigkeit im Ver-
        gleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten verbessern. So
        steht es in der Zielsetzung der Bundestagsdrucksache
        14/6141. Wenn man weiß, wie sich in Österreich und vor
        allem in Frankreich, dem unmittelbaren großen Mitbe-
        werber in der Nachbarschaft, die Steuersätze bewegen
        – sie liegen zwischen 7 und 12 Pfennig pro Liter – ist dies
        wohl ein gut gemeinter, absolut dringend notwendiger,
        aber nur kleiner Schritt in die richtige Richtung. Dieser
        beseitigt aber nicht die großen finanziellen Vorbelastun-
        gen, die Deutschlands Landwirtschaft gegenüber den an-
        deren EU-Staaten hat!
        Soweit zur angeblichen Wettbewerbsentzerrung. Ich
        erinnere noch mal gerne an das Rheinisch-Westfälische
        Institut für Wirtschaftsforschung, das bei der deutschen
        Landwirtschaft eine Belastung von 1,1 Milliarden DM
        netto in Bezug auf die Ökosteuer festgestellt hat. Hier
        wird die deutsche Landwirtschaft netto voll getroffen und
        zwar aus dem Grund, weil kein Ausgleich über die Lohn-
        nebenkostenverrechnung möglich ist. Dazu muss auch
        angemerkt werden, dass die alte Gasölbeihilfe von über
        850 Millionen DM, die uns 1999 wegen Wettbewerbsver-
        zerrungen doch ausbezahlt wurde und dann verfallen ist,
        mit der Ökosteuer ein Gesamtvolumen von knapp 2 Mil-
        liarden DM an Belastung ergibt. Jetzt von uns zu erwar-
        ten, dass wir wegen der Verringerung dieses Steuersatzes
        noch jemandem die Füße küssen sollen, oder uns für das
        großzügige Geschenk bedanken sollten, wäre wirklich
        des Guten zu viel verlangt.
        Es wird weiterhin vorgerechnet, dass damit eine Entlas-
        tung um 200 Millionen DM für uns herauskommen würde.
        Bei den 57 Pfennig hat dies haushälterisch tatsächlich
        diese Wirkung, wenn man das Kleingedruckte mitrechnet!
        Dass man dem Gewächshausanbau in der Gesamtberech-
        nung von 60 Millionen DM auch entgegenkommen will,
        ist zwar eine nette Geste, entspricht aber nicht, wie ur-
        sprünglich gewollt und versprochen, einem Steuersatz von
        47 Pfennigen für alle. Die 60 Millionen DM Unterglasver-
        billigung schlagen mit 3 Pfennigen somit doch zu Buche.
        Der Steuersatz finanziert das Geld für den Unterglasbau
        gegen. Ich erkenne trotzdem mit Respekt an, dass dieses
        Gesetz endlich in die Gänge kommt. Aber es ist entschie-
        den zu wenig, vor allem aus vorgenannten Wettbewerbs-
        gründen innerhalb der EU.
        Dass in diesen Tagen und Wochen der „neue Weg der
        Agrarpolitik“ mit finanziellen Mittelumschichtungen die
        gesamte Debatte überlagert, war zu erwarten. Dies ist die
        nächste Belastungsebene, die man der deutschen Land-
        wirtschaft zumutet. Die Stichworte Modulation und
        „Cross Compliance“ bringen wiederum sehr viel Unruhe
        in die gesamte deutsche Agrarwirtschaft. Es rächten sich
        auch die von Frau Künast mit großen Worten angekün-
        digten Ziele. Jetzt muss sie, um einer mediengesteuerten
        Hysterie Rechnung zu tragen, ideologisch bedingte Ant-
        worten geben.
        Es kann und darf nicht sein, dass man berechtigte Aus-
        gleichszahlungen, die man der deutschen Landwirtschaft
        in den Agenda-Beschlüssen Berlin 1999 und zuvor in der
        Agrarreform 1992 versprochen und bisher gegeben hat,
        nun opfert, obwohl sie politisch auch vom Kabinett
        Schröder bestätigt wurden. Jetzt werden die Mittel um-
        verteilt, nur weil es einige so wollen.
        Um in aller Deutlichkeit nochmals in Erinnerung zu
        rufen: Diese Zahlungen werden derzeit deshalb geleistet,
        weil man den Weizenpreis von 42 DM auf 20 DM herun-
        tersetzte und politisch nur die Kraft hatte, die Hälfte
        dieses Abschlages auszugleichen. Somit sind wir heute
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17045
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        schon in der Situation, dass Getreideproduktion nur noch
        Geldwechseln darstellt.
        Die Hofnachfolgefrage in allen Bundesländern gibt ein
        deutliches Spiegelbild über die Perspektiven, die sich po-
        litisch auftun. Gehen Sie einmal in die Fach- und Berufs-
        schulen und fragen nach dem landwirtschaftlichen Nach-
        wuchs: Es gibt so gut wie keinen mehr! Ich mache mir
        große Sorgen um die umfassende Bewirtschaftung unse-
        rer landwirtschaftlichen Flächen.
        Aber scheinbar ist es politisch absolut gewollt, dass
        man versucht, den neuen agrarischen Weg ausschließlich
        aus dem eigenen Fleisch der Agraretats zu schneiden.
        Herr Bundeskanzler Schröder, Frau Ministerin Künast,
        wer will, dass mehr Ökobetriebe in die Lage versetzt wer-
        den, Nahrungsmittelangebote zu erzeugen, darf, soll und
        muss diese unterstützen. Dafür haben Sie auch meine per-
        sönliche Unterstützung. Aber es darf nicht auf Kosten der
        übrigen Berufskollegen durch Mittelumschichtung, wie
        derzeit diskutiert, geschehen.
        Wie dabei auch die Kofinanzierungsmittel des Bundes
        und der Länder bereitgestellt werden können oder dürfen,
        fragen wir am besten die Finanzminister aller Couleur.
        Man muss schon ins Kleingedruckte der EU-Agendaver-
        träge schauen, um zu wissen, was Sache ist und welche
        Möglichkeiten wir haben.
        Auch wehre ich mich bei dieser Diskussion gegen die
        Schlechterstellung und Verteufelung des bisherigen land-
        wirtschaftlichen Nahrungsmittelerzeugung.
        Deutschlands Bevölkerung wird alle fünf Jahre im
        Durchschnitt ein Jahr älter. Das hängt nicht nur damit zu-
        sammen, dass ich in meinen Geburtstagswünschen jedem
        ein langes Leben wünsche, sondern natürlich mit gutem
        Weintrinken und Essen aus deutschen Landen. Oder gibt
        es andere Gründe?
        In den zuletzt genannten Punkten werden wir in den
        nächsten Wochen und Monaten mit Sicherheit sehr inten-
        sive Debatten führen. Zur energiepolitischen Kurskorrek-
        tur, sprich zur Ökosteuer, ist das Gesetz zur Änderung des
        Mineralölsteuergesetzes nur ein kleiner Schritt in die rich-
        tige Richtung. Die Ökosteuer im jetzigen Rechtszustand
        und die Verwendung der damit vereinnahmten Steuergel-
        der hat ja mit ordnungspolitischem Lenken im eigentli-
        chen Sinn überhaupt nichts zu tun. Allein deshalb war die
        Ökosteuer von Anfang an ein Vortäuschen falscher Tatsa-
        chen.
        Ich biete Wetten an, dass wir im Sommer und im Herbst
        bei Benzinpreisen von DM 2,50 und darüber auch bei den
        Regierungsparteien eine herrliche Diskussion über die
        Ökosteuer bekommen werden. Dann muss auch dieses
        Gesetz wieder auf den Prüfstand, weil Dieselöl ebenfalls
        massiv im Preis ansteigen wird.
        Dass ich zu so später Stunde und wegen meines gerin-
        gen Kontingents nicht eine Generalabrechnung machen
        kann, tut mir deshalb Leid. Über die beiden letzten Jahre
        der Agrar- und vor allem der Landwirtschaftssteuerpolitik
        dieser Regierung wäre einiges zu sagen, was aber leider
        so nicht möglich ist.
        In der zweiten und dritten Lesung wird das gesamte
        Thema von mir sicherlich nochmals aufgerollt. Bis dahin
        wünsche ich Ihnen – hier spreche ich vor allem die Herr-
        schaften der Koalition an – gute Gedanken nicht nur beim
        Thema Agrardiesel, sondern auch bei allen von mir noch
        angesprochenen agrarpolitischen Themen. Zeigen Sie
        Vernunft in der künftigen Agrarpolitik!
        Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        Preisanstieg beim Diesel, verursacht durch gestiegene
        Rohölpreise und den starken Dollar, hat im Verlaufe des
        letzten Jahres die Landwirtschaft überdurchschnittlich be-
        lastet. Die Landwirtschaft kann im Gegensatz zu anderen
        Wirtschaftsbereichen aufgrund der spezifischen Marktor-
        ganisation die Energieverteuerung nicht an den Markt
        weitergeben.
        Eine untragbare Wettbewerbsverzerrung kommt da-
        durch zustande, dass die EU-Nachbarländer die Energie-
        preise massiv heruntersubventionieren, mit der Kon-
        sequenz, dass der Treibstoff durch unterschiedliche
        Besteuerung zeitweise bis zu 1 DM pro Liter billiger als
        in Deutschland gehalten wird. Noch schlimmer sieht die
        Wettbewerbsverzerrung im Gartenbau, aus. Ergebnis: Wir
        haben in der EU einen gemeinsamen Agrarmarkt mit har-
        monisierten Erzeugerpreisen und EU-Ausgleichszahlun-
        gen, aber mit unterschiedlichen Kostenbelastungen.
        Der Bundestag hat sich zügig dieses Problems ange-
        nommen und trotz knapper Kassen und allgemeinen Spar-
        zwangs eine schnelle Unterstützung beschlossen. Seit An-
        fang 2001 gilt das neue Agrardieselgesetz. Heute
        beschließen wir weitere Verbesserungen für die Land-
        wirtschaft und den Gartenbau weil die anhaltende Wett-
        bewerbsverzerrung dies nötig macht. Die Unterstützung
        für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft in diesem Be-
        reich summiert sich damit bis 2003 auf über 2,3 Milliar-
        den DM.
        Aber wir haben diesen Systemwechsel weg von der
        Gasölbeihilfe hin zu einem eigenen Agrardieselsteuersatz
        nicht aus der gerade beschriebenen aktuellen Situation he-
        raus gemacht. Wir haben den Agrardiesel eingeführt, weil
        wir davon überzeugt sind, dass der Ersatz der alten Gasöl-
        beihilfe überfällig war: weniger Bürokratie, direktere Un-
        terstützung statt Rückerstattung. Die Einführung eines
        dritten Steuersatzes für Agrardiesel, der zwischen dem für
        stationären Verbrauch in der Produktion und dem für
        Straßenverkehr liegt, ist gerechtfertigt, weil die mobilen
        landwirtschaftlichen Maschinen in der Regel genau dies
        sind: Produktionsmittel, die auch – aber nur wenig – die
        öffentlichen Straßen benutzen und abnutzen. Insofern
        passt die neue Regelung in die Logik unserer Steuersyste-
        matik. Die Gasölbeihilfe tat dies nicht. Sie hafte zudem
        den Nachteil, innovationshemmend auf die Entwicklung
        und den Einsatz alternativer Treibstoffe zu wirken. Das
        haben wir jetzt geändert.
        Die deutsche Agrarpolitik stellt – zu Recht – hohe An-
        forderungen an die landwirtschaftliche Produktion in Sa-
        chen Lebensmittelsicherheit und -qualität, Tierschutz,
        Natur- und Umweltschutz. Nicht zuletzt sind für uns die
        Landwirte Träger der Energiewende und künftige Öko-
        bauern. Dazu benötigen wir eine ökonomisch lebens-
        fähige Landwirtschaft, die Möglichkeiten hat, in Zu-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117046
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        kunftstechnologien zu investieren. Mittelfristig wollen
        wir weg von der Abhängigkeit vom Mineralöl. Wir haben
        dazu ein Förderprogramm „Biogene Treibstoffe“ aufge-
        legt. Bis serienreife auf Rapsölbasis betriebene landwirt-
        schaftliche Maschinen zur Verfügung stehen, werden aber
        noch zwei bis vier Jahre vergehen. Bis dahin hat der
        Agrardiesel die wichtige Funktion, die Wettbewerbs-
        fähigkeit der Landwirte zu erhalten.
        Wir entscheiden heute auch über bedeutende Verbesse-
        rungen für den Gartenbau. Mit insgesamt 60 Millionen
        DM pro Jahr sollen die Energiekosten für den Unterglas-
        anbau wettbewerbsfähiger gestaltet werden. Damit und
        mit den Energiesparprogrammen hat die Bundesregierung
        effektiv zum Erhalt des deutschen Gartenbaus beigetra-
        gen.
        Da die eigentlichen Probleme für Landwirtschaft und
        Gartenbau nicht die objektiv hohen Belastungen und
        Energiepreise sind, sondern die verzerrten Wettbewerbs-
        bedingungen in Vergleich zu den Nachbarländern, muss
        dieses Problem auch auf der EU-Ebene gelöst werden.
        Diese Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU – die im
        Übrigen von der alten Bundesregierung immer geduldet
        bzw. mitbeschlossen wurde – ist nicht weiter hinnehmbar.
        Um die Wettbewerbsbedingungen zu nivellieren, muss
        die Europäische Kommission handeln und für einheitli-
        che Wettbewerbsbedingungen sorgen. Hier ist in der Ver-
        gangenheit eine Entwicklung verschlafen worden. Die
        CDU/F.D.P.-Bundesregierung hat nichts getan, um in der
        EU vergleichbare Wettbewerbsbedingungen herzustellen.
        Im Gegenteil, sie hat die massive Subventionierung des
        niederländischen Erdgases für den Gartenbau noch unter-
        stützt. Die rot-grüne Bundesregierung setzt sich unmiss-
        verständlich und vehement dafür ein, dass es endlich zu
        einer Harmonisierung der Energiebesteuerung in der EU
        kommt.
        Marita Sehn (F.D.P.):Wenn regional erste Wahl sein
        soll, dann müsste das doch eigentlich heißen, dass die re-
        gionale, sprich einheimische Landwirtschaft, gestärkt
        werden soll. Die logische Schlussfolgerung wäre eigent-
        lich, dass die Politik dafür sorgt, dass die deutsche Land-
        wirtschaft die gleichen Produktionsbedingungen hat wie
        ihre europäische Konkurrenz. Wenn regional wirklich
        erste Wahl für die Politik wäre, dann müssten die deut-
        schen Landwirte nicht mehr für Energie bezahlen als ihre
        europäischen Kollegen.
        Aber ist es denn auch wirklich so? Zahlt der deutsche
        Bauer nicht mehr für seinen Diesel als der französische
        und muss der deutsche Gartenbaubetrieb tatsächlich nicht
        mehr für sein Heizöl bezahlen als der niederländische?
        Ich denke, Sie alle kennen die Antwort.
        Regional ist erste Wahl, das ist die Theorie. Unter-
        schiedliche Wettbewerbsbedingungen in der Europä-
        ischen Union, das ist die Realität. Wer die deutsche Land-
        wirtschaft mit immer neuen Auflagen belastet, der macht
        sich zum Exportgehilfen für die europäische Konkurrenz.
        Vielleicht darf ich Sie, meine Damen und Herren von
        der Regierungsbank, daran erinnern: Versprochen hatten
        Sie eine Absenkung auf 47 Pfennig pro Liter. Bei dieser
        Regierung ist es schon eine traurige Gewohnheit gewor-
        den: Die meisten Versprechen bleiben Versprecher.
        Die F.D.P. wird diesen politischen Gedächtnisschwund
        nicht einfach hinnehmen und Sie immer wieder an ihre
        Versprechungen erinnern. Wer die ganze Hand verspro-
        chen hat, der kann schließlich nicht nur den kleinen Fin-
        ger anbieten.
        Aber vielleicht hat die Regierung aufgrund ihres chro-
        nisch schlechten Gedächtnisses es bereits vergessen: Bis
        Ende 1999 zahlten die Landwirte eine Steuer von 27 Pfen-
        nig pro Liter Diesel.
        Mit der Ablösung der Gasölbeihilfe durch die Agrar-
        dieselregelung erhöhten sich die Kosten für die Land-
        wirte auf 57 Pfennige pro Liter. Auch eine Agrarwende.
        In Anbetracht der gestiegenen Rohölpreise hatte der
        damalige Landwirtschaftsminister Funke den Landwirten
        im Oktober 2000 eine Absenkung auf 47 Pfennige pro Li-
        ter versprochen. Diese Forderung wurde auch von der
        SPD-Fraktion mitgetragen. Herr Funke und die SPD sind
        aber am entschiedenen Widerstand von Herrn Berninger
        gescheitert.
        Mittlerweile haben wir Mai, Herr Funke genießt sei-
        nen wohlverdienten Ruhestand, Herr Berninger ist
        Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und erst
        jetzt senkt die Regierung die Steuer auf den Agrardiesel
        auf 50 Pfennige ab. Aber: Bei 47 Pfennigen pro Liter
        liegt die Meßlatte und nicht bei 50 Pfennigen.
        Sie sollten eines nicht vergessen: Es geht hier nicht um
        Geld, welches Sie der Landwirtschaft geben, sondern da-
        rum, ihr weniger zu nehmen. Wenn die Regierung es ernst
        meint mit „Regional ist erste Wahl“, dann ist es unlogisch,
        gerade die heimische Landwirtschaft immer stärker zu be-
        lasten.
        Bei dieser Politik zählt nicht nur die Landwirtschaft zu
        den Verlierern, sondern auch die Verbraucher. Statt si-
        chere Lebensmittel von deutschen Bauern werden durch
        diese Politik Lebensmittelimporte gefördert. Auch aus
        Ländern, wo das Künastsche Reinheitsgebot der Rind-
        viehhaltung unbekannt ist.
        „In unsere Kühe kommt nur Getreide, Gras und Was-
        ser!“, so weit so gut, aber was ist mit denen in Neuseeland,
        in Amerika, in Osteuropa oder in den anderen EU-Län-
        dern?
        Kersten Naumann (PDS): „Rein in die Kartoffeln,
        raus aus den Kartoffeln“, so könnte das Motto der Aktion
        der Bundesregierung lauten. Nachdem Mitte April der
        Kabinettsbeschluss des heute vorliegenden Entwurfs zur
        Änderung des Mineralölsteuergesetzes, insbesondere
        die rückwirkende Senkung des Steuersatzes von 57 auf
        50 Pfennig je Liter Agrardiesel, bekannt wurde, erntete
        die Bundesregierung keinen Beifall von den Bäuerinnen
        und Bauern.
        Das große Aufatmen der Betroffenen nach dem Motto
        „Nun ist es doch nicht so schlimm gekommen“ blieb aus,
        da sich die Landwirte veralbert fühlen mussten, als die
        Korrektur als Absenkung der Agrardieselsteuer vollmun-
        dig verkündet wurde. Die Realität ist doch, dass erstens
        noch immer ein Anstieg von 29 Pfennig je Liter gegen-
        über dem bis Anfang 1999 geltenden Nettosteuersatz von
        21 Pfennig kostenseitig zu schultern ist, und dass zweitens
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        die 50 Pfennig je Liter einen gravierenden Wettbewerbs-
        nachteil in EU-Europa darstellen, wo es immerhin Mine-
        ralölsteuersätze von beispielsweise Null in Dänemark,
        5 Pfennig in Frankreich oder 10 Pfennig in Großbritan-
        nien gibt. So habe ich mir – das gilt sicherlich auch für die
        Landwirte – die Umsetzung der Forderung nach Schritten
        zur europäischen Steuerharmonisierung nicht vorgestellt.
        Die Agrardieselregelung kann man nicht losgelöst von
        anderen Bedingungen beurteilen. Immerhin ist die Situa-
        tion für die Landwirte derzeit schwierig. Insbesondere
        wegen der großen BSE-bedingten Einkommensausfälle
        bei Rind, zu denen täglich neue Einbußen hinzu kommen.
        Auf der anderen Seite verhehle ich nicht eine bestimmte
        Genugtuung. Die PDS-Fraktion hatte als einzige in das
        parlamentarische Verfahren zum Agrardieselgesetz einen
        Änderungsantrag eingebracht. Wir wollten 47 Pfennig je
        Liter Agrardiesel, also 10 Pfennig weniger, was einem
        Entlastungsvolumen von 200 Millionen DM entsprochen
        hätte.
        Im vorliegenden Änderungsentwurf geht es ebenfalls
        um 200 Millionen DM. Allerdings entfallen nur 140 Mil-
        lionen DM auf Agrardiesel; 60 Millionen sollen dem Un-
        terglasgartenbau zur Verfügung stehen. Letzteres hatte ich
        mir als gesonderte Lösung vorgestellt. Das eigentliche
        Problem ist jedoch, dass am 16. November vorigen Jah-
        res, dem Tage der Verabschiedung des Gesetzes, bereits
        allen Beteiligten – Koalition wie Opposition – klar war,
        dass die 57 Pfennig nicht zu halten sind. Selbst der dama-
        lige Bundesminister Funke sagte in der Debatte unter Be-
        zugnahme auf meine Ausführungen – ich zitiere –: „Als
        wir das Agrardieselgesetz debattierten, hätten wir andere
        Schwerpunkte setzten müssen, wenn wir gewusst hätten,
        dass sich angesichts der Marktverhältnisse im Energie-
        sektor andere Bedingungen stellten.“ Er kündigte bereits
        zur Verabschiedung des Gesetzes dessen Korrektur an.
        Ich bin davon überzeugt, sie wäre bereits damals möglich
        gewesen.
        Wenigstens diesmal sollte bis zu Ende gedacht werden.
        Das wäre im Interesse der Landwirtschaft und der Politik.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Anträge
        – FairerWettbewerb bei Basel II
        – Basel II – Belange des Mittelstandes wahren
        – FairerWettbewerb bei Basel II – Neufassung
        der Basler Eigenkapitalvereinbarung und
        Überarbeitung der Eigenkapitalvorschriften
        für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen
        (Tagesordnungspunkt 13 und Zusatzpunkte 10
        und 11)
        Klaus Lennartz (SPD): In den letzten Wochen und
        Monaten gingen im Zusammenhang mit der Baseler Ei-
        genkapitalvereinbarung folgende Schlagworte durch die
        Wirtschaftspresse: Mittelständler werden abserviert; Pis-
        tole auf der Brust des Mittelstandes; Kreditvergabe an den
        Mittelstand auf dem Prüfstand oder: Geschäftsbanken
        ziehen sich aus der Fläche zurück, um sich auf Großkun-
        den und innovative Unternehmen guter Bonität zu kon-
        zentrieren.
        In der Tat: Die Baseler Eigenkapitalvereinbarung darf
        nicht zu einer Benachteiligung bewährter deutscher Wirt-
        schaftstrukturen führen, die mittelständisch, dezentral
        und damit letztlich deutlich weniger krisenanfällig als an-
        dere sind.
        Die Überlegungen des Baseler Ausschusses sind
        grundsätzlich gut und ausdrücklich zu unterstützen: Risi-
        koreicher Kredit soll von den Kreditinstituten stärker mit
        Eigenkapital unterlegt werden als risikoarmer Kredit.
        Aber: Neue Wirklichkeiten schaffen, das heißt auch, die
        tatsächlichen Wirklichkeiten nicht zu ignorieren.
        Wir haben zur Kenntnis zu nehmen: Der Mittelstand ist
        das Rückgrat unserer heimischen Wirtschaft. Ihn gilt es
        vor übertriebenem Regulierungswahn und übersteigerter
        Risikovorsorge zu schützen. Über 70 Prozent aller Ar-
        beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also 24,5 Millionen,
        sind bei kleinen und mittelständischen Betrieben beschäf-
        tigt. In mittelständischen Betrieben und im Handwerk
        werden Jahr für Jahr Hunderttausende neuer Arbeitsplätze
        geschaffen. Kleine und mittlere Unternehmen machen
        über 90 Prozent der Betriebe aus. 80 Prozent aller Lehr-
        linge werden in kleinen und mittelständischen Unterneh-
        men ausgebildet. Kleine und mittelständische Betriebe
        sind in vielen Bereichen flexibler, innovativer und enga-
        gierter als Global Players.
        Diese Unternehmen sind das Rückgrat der deutschen
        Wirtschaft. Sie verdienen unsere volle Unterstützung
        – nicht in Sonntagsreden, sondern in der konkreten Tat.
        Die Schattenseite des Mittelstandes ist mit Blick auf
        Basel II seine vergleichsweise geringe Kapitalausstat-
        tung. Während die durchschnittliche Eigenkapitalquote in
        Deutschland zwischen 10 und 20 Prozent liegt, beträgt sie
        in den USA 50 Prozent, in Frankreich über 30 Prozent, in
        angelsächsischen Unternehmen 35 bis 40 Prozent und in
        Spanien über 40 Prozent. Für Investitionen aus eigener
        Kraft bleibt da kein Spielraum. Der Weg zur Bank ist für
        die meisten Betriebe bei uns lebensnotwendig.
        Ausdrücklich ist daher den deutschen Verhandlungs-
        führern zu Basel II zu danken. Es ist ihnen gelungen, zu
        einer Reihe von Regelungen eine Verständigung herbei-
        zuführen, die insbesondere für den deutschen Mittelstand
        erhebliche Bedeutung haben.
        Dies ist vor allem die Einführung eines auf bankinterne
        Ratings gestützten Ansatzes. Er erlaubt es der Hausbank
        eines mittelständischen Unternehmens, eben neben der
        reinen Bewertung quantitativer Faktoren, wie der Eigen-
        kapitalquote, auch qualitative Aspekte zu berücksich-
        tigen. Über das von vielen Banken und vor allem Spar-
        kassen gelebte Beziehungsbanking können so objektive
        Daten zum Unternehmer, seinen Planungen und Produk-
        ten in das interne Rating einfließen.
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        Ein Erfolg der Verhandlungsführer ist nicht minder die
        nur 50-prozentige Anrechnung des gewerblichen Real-
        kredites sowie Sonderregelungen für die Anrechnung von
        Kreditrisiken aus Geschäften mit Privatkunden.
        Die vorgeschlagenen Regelungen weisen allerdings im
        Detail noch eine Vielzahl von Fragen auf. Wichtige Sach-
        verhalte sind ungeklärt, die zur abschließenden Beurtei-
        lung der Auswirkungen der neuen Regelungen auf die
        Kreditinstitute und deren Kreditnehmer von Bedeutung
        sind. In einigen zentralen Punkten besteht sogar die Ge-
        fahr, dass die Entschließung des Deutschen Bundestages
        vom 8. Juni letzten Jahres unterlaufen wird. Das darf nicht
        sein. Es muss unbedingt vermieden werden, die Kredit-
        vergabe an mittelständische Unternehmen erheblich zu
        verteuern und möglicherweise sogar zu gefährden.
        So ist zunächst sicherzustellen, dass für langfristige
        Kredite kein überteuerter Zinssatz eingeführt wird. Der
        langfristige Kredit ist ein wesentlicher Eckpfeiler der be-
        währten Finanzierungskultur in Deutschland. In Deutsch-
        land haben über 50 Prozent aller Handwerksbetriebe mit-
        tel- bis langfristige Kredite aufgenommen.
        Die Forderung von Basel, langfristige Kredite mit dem
        Sechsfachen an Eigenkapital zu hinterlegen, ist völlig in-
        akzeptabel. Welcher Mittelständler kann es sich schon
        leisten, für langfristige Kredite bis zu 15 Prozent an Zin-
        sen zu zahlen. Eine hohe Eigenkapitalunterlegung lang-
        fristiger Kredite nimmt den Unternehmen die günstige
        und stabilisierende langfristige Finanzierungsmöglich-
        keit.
        Auch bei den Gewichtungssätzen ist eine strukturelle
        Benachteiligung des Mittelstandes zu vermeiden. Eine
        dynamische Entwicklung der deutschen Wirtschaft setzt
        ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten zu angemesse-
        nen Konditionen voraus. Hier schließe ich ganz besonders
        Existenzgründer mit ein. Deshalb müssen kleinere Ge-
        werbekunden und Existenzgründer ebenso wie die Privat-
        kunden behandelt werden und in separaten Portfolien,
        Retail, zusammengeführt werden, um von einer niedrigen
        Eigenkapitalanforderung und damit günstigeren Kondi-
        tionen zu profitieren.
        Die Absicht des Baseler Ausschusses, Sicherheiten
        stärker als bisher bei der aufsichtsrechtlichen Eigenkapi-
        talbestimmung zu berücksichtigen, wird von der Kredit-
        wirtschaft ausdrücklich begrüßt. Allerdings ist der Kreis
        der anrechnungsfähigen Sicherheiten sehr eng gesteckt.
        Die Vorschläge spiegeln das mittelständische Kreditge-
        schäft nur unzureichend wider. Deshalb ist zu fordern, den
        Kreis der anrechnungsfähigen Sicherheiten auf sämtliche
        banküblichen Sicherheiten, wie beispielsweise Mobiliar-
        sicherheiten und Grundpfandrechte, zu erweitern.
        Die Verhandlungen des Baseler Ausschusses für Ban-
        kenaufsicht scheinen bei flüchtiger Betrachtung eher für
        eine begrenzte Expertenrunde als für eine breite politische
        Diskussion geeignet zu sein. Ein trügerischer Eindruck
        – und ein fataler hinzu. Hinter 500 eng beschriebenen Sei-
        ten von Papier liegt jede Menge Sprengstoff, der insbe-
        sondere den deutschen Mittelstand und das Kreditwesen
        torpediert.
        Die Zündschnüre, die in Basel bei der Neufassung der
        Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute gelegt wer-
        den, glimmen bereits. Es muss unsere Aufgabe sein, diese
        auszutreten – im Interesse von Mittelstand, Handel, Hand-
        werk und Gewerbe.
        Ich bin daher allen Fraktionen des Deutschen Bundes-
        tages äußerst dankbar, dass diese Entschließung gemein-
        sam getragen wird. Sie stellt einen weiteren Schritt zur Si-
        cherung unseres Wohlstandes dar und unterstützt die
        Regierung in der Durchsetzung legitimer deutscher Inte-
        ressen in den internationalen Verhandlungen.
        Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Mit dem gemeinsa-
        men Antrag vom 31. Mai 2001 – Drucksache 14/6196 –
        der Fraktionen im Finanzausschuss liegt unser gemeinsa-
        mes Beratungsergebnis zu den weiteren Beratungen im
        Baseler Ausschuss vor. Das Ergebnis der gemeinsamen
        Beratungen hat aber auch eine Vorgeschichte, die hier
        nicht unerwähnt bleiben darf: Nur aufgrund der Initiative
        der CDU/CSU-Fraktion und unseres Antrages vom
        15. Mai 2001 – Drucksache 14/6049 – haben wir es er-
        möglicht, dass noch zeitnah vor Ende der Konsultations-
        frist – also noch vor dem 31. Mai 2001 – mit den Fach-
        leuten des Zentralen Kreditausschusses, den Vertretern
        der Bundesbank und Vertretern des Bundesaufsichtsamtes
        für das Kreditwesen wichtige Beratungsgespräche geführt
        wurden.
        In der gemeinsamen Sitzung des Finanzausschusses
        vom 16. Mai 2001 mit den Vertretern des Zentralen Kre-
        ditausschusses wäre diese Thematik sonst nicht proble-
        matisiert worden und die Grundlage für unser heutiges
        gemeinsames Verhandlungsergebnis nicht geschaffen
        worden. Nach der ursprünglichen Terminplanung wäre
        dies womöglich erst in der Sitzung am 30. Mai 2001 zur
        Sprache gekommen.
        Auch die Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau
        Kollegin Scheel, wollte dieses Thema zunächst erst in der
        Sitzung am 30. Mai 2001 behandeln. Daher ist auch er-
        klärbar, warum die Frau Vorsitzende die Einbringung un-
        seres Antrages „Fairer Wettbewerb bei Basel II“ – Druck-
        sache 14/6049 vom 15. Mai 2001 – in der Sitzung des
        Finanzausschusses am 16. Mai 2001 zu unterlaufen
        suchte. In Erinnerung zu rufen ist unsere gemeinsame
        Entschließung vom 7. Juni 2000 – Drucksache 14/35231 –,
        mit der es uns gelungen ist, über die Verhandlungsführer
        wichtige Punkte bereits positiv umzusetzen. Als Beispiele
        sind hier zu nennen: die Einführung eines gleichwertigen
        bankinternen Ratings, welches die Ermittlung der Eigen-
        kapitalanforderungen für das Kreditrisiko erleichtert;
        die Festlegung des ermäßigten Gewichtungssatzes in
        Höhe von 50 Prozent für den gewerblichen Realkredit; die
        Festlegung eines festen Zeitpunktes für ein einheitlich
        weltweites In-Kraft-Treten der neuen Standards; die
        Berücksichtigung verminderter Kreditrisiken bei Kredit-
        geschäften mit Privatkunden, die die Festsetzung ange-
        messen niedriger Anrechnungssätze für Kredite an Hand-
        werksbetriebe und andere Kleinbetriebe zur Folge hat.
        Die deutschen Bankenaufsichtsvertreter konnten in
        Basel auch diese wichtigen Punkte aus der Entschließung
        des Bundestages vom 8. Juni 2000 in den Verhandlungen
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17049
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        durchsetzen. Dies sind wichtige Voraussetzungen, damit
        die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft, insbeson-
        dere der mittelständischen Unternehmen, weiterhin gesi-
        chert ist.
        Zu Beginn des Jahres 2001 hat der Baseler Ausschuss
        für Bankenaufsicht ein zweites Konsultationspapier mit
        Frist zur Stellungnahme bis 31. Mai 2001 herausgegeben.
        In diesem mehr als fünfhundertseitigen „Umsetzungs-
        papier“ stellte sich heraus, dass wichtige Punkte der ge-
        meinsamen Entschließung teilweise unterlaufen werden;
        außerdem kamen zwischenzeitlich neue Problemstellun-
        gen hinzu. Ferner sollten laut „Umsetzungspapier“ Be-
        rechnungen erfolgen, für die es zurzeit noch keine kon-
        kreten Handlungsanweisungen gibt.
        Der Bankenausschuss hat wiederholt betont, dass sich
        die neue Eigenkapitalvereinbarung insgesamt kapitalneu-
        tral auswirken soll, das heißt, dass die durchschnittlichen
        Kapitalanforderungen nicht sinken, aber auch nicht stei-
        gen sollen; erwartete Einsparungen im Kreditrisikobe-
        reich sollen durch Kapitalunterlegung für operationelle
        Risiken als Ausgleich dienen. Parallel hierzu hat auch die
        EU-Kommission am 5. Februar 2001 ihrerseits ein zwei-
        tes Konsultationspapier zur Stellungnahme vorgelegt. Die
        Vorschläge aus dem Baseler Ausschuss vom 16. Januar
        2001 verlangen in einigen Punkten unsere besondere Auf-
        merksamkeit. Deshalb haben wir im vorliegenden ge-
        meinsamen Antrag die Bundesregierung ersucht, sicher-
        zustellen, dass diese Forderungen in allen internationalen
        Verhandlungen zu den Eigenkapitalrichtlinien des Base-
        ler Ausschusses für die Bankenaufsicht und bei der Über-
        nahme dieser Richtlinien durch die EU-Kommission um-
        gesetzt werden. Die einseitigen Benachteiligungen und
        Belastungen für die mittelständischen Unternehmen müs-
        sen verhindert werden und die Chancengleichheit im
        Wettbewerb zwischen den nationalen Kreditinstituten un-
        tereinander sowie im Verhältnis zu den international täti-
        gen Kreditinstituten muss aufrechterhalten werden. Um
        dies sicherzustellen, stellen wir folgende Forderungen im
        Einzelnen:
        Erstens. Bei der Festlegung der Risikogewichtung darf
        es zu keiner generellen Erhöhung der Eigenkapitalbelas-
        tung für die deutschen Kreditinstitute kommen, die insbe-
        sondere auch durch risikoinadäquate Kapitalanforderun-
        gen für operationelle Risiken verursacht werden. Eine
        Ursache für die hohen relativen Risikogewichte ist, dass
        bei deren Festlegung der Baseler Ausschuss für Banken-
        aufsicht von der Vorstellung ausgeht, mit bankaufsichtlich
        vorgegebenem Eigenkapital müssten nicht nur die uner-
        warteten, vielmehr auch die erwarteten Verluste aus Kre-
        diten unterlegt werden. Weiterhin hat diese Erhöhung
        auch zur Folge, dass mittelständische Unternehmen in
        Deutschland unangemessen benachteiligt würden und so-
        wohl im nationalen als auch im internationalen Wettbe-
        werb Nachteile erführen.
        Zweitens. Die Übergangsfristen in Bezug auf die Min-
        destanforderungen für die gleichberechtigte Anwendung
        interner Ratingverfahren sollte flexibler gefasst und so
        ausgestaltet werden, dass sie allen Bankengruppen eine
        faire und realistische Chance bieten, von den Vorteilen der
        neuen Regelungen zu profitieren.
        Allein diese flexiblere Anwendung garantiert die
        Chancengleichheit aller Bankengruppen bei der Schaf-
        fung von Risikokontrollsystemen durch den Aufbau von
        Datensammlungen. Das sehr komplexe Kreditvergabewe-
        sen in Deutschland erfordert lange Übergangsfristen für
        die Schaffung dieser Datenbasen.
        Drittens. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht
        sollte von der Forderung Abstand nehmen, dass für Kre-
        dite mit einer längeren Laufzeit eine höhere Eigenkapital-
        unterlegung vonnöten sein solle als für Kredite mit kurzer
        Laufzeit. Wir als CDU/CSU-Fraktion konnten uns leider
        nicht durchsetzen, das Wort „unangemessen“ in Bezug
        auf den Malus zu streichen. Wir wolten verdeutlichen,
        dass kein Malus in Frage kommt.
        Zurzeit diskutiert man in Basel Eigenkapital-Unterle-
        gungen für diesen Bereich von 1,2- bis zum 6fachen. Dies
        sind für die deutschen Finanzierungsstrukturen gerade der
        mittelständischen Unternehmen unakzeptable Bedingun-
        gen. Sollte dies dennoch kommen, würden insbesondere
        die deutschen mittelständischen Unternehmen benachtei-
        ligt werden, die schon immer den langfristigen Kredit als
        Folge einer weitsichtigen Unternehmenspolitik bevorzugt
        haben. Langfristige Kredite tragen aufgrund ihrer verläss-
        licheren Kalkulierbarkeit wesentlich zur Stabilisierung
        bei.
        Viertens. Bei der Berechnung der Eigenkapitalunterle-
        gung sollten wichtige Kreditbesicherungsinstrumente des
        deutschen Mittelstandes risikomindernd anerkannt wer-
        den – so etwa die Sicherungsübereignung und die Bestel-
        lung eines Grundpfandrechtes bei einem Betriebsmittel-
        oder Investitionskredit und die Abtretung der Ansprüche
        aus Kapitallebensversicherungsverträgen bei Personen-
        unternehmen.
        Fünftens. Bei der Verwendung des internen Ratingver-
        fahrens darf der Besitz von Aktien und die Beteiligung
        von Banken an dritten Unternehmen nicht als ein deutlich
        höheres Risiko eingestuft werden als ein Kredit an dieses
        Unternehmen. Andernfalls würden gerade junge Mittel-
        standsunternehmen im Wettbewerb benachteiligt, weil
        gerade Existenzgründer oft ihre Finanzierung durch Be-
        reitstellung dieses Wagniskapitals sichern. Der Vorschlag
        der CDU/CSU-Fraktion, dass der Baseler Ausschuss für
        Bankenaufsicht nach seinem für die künftige Eigenkapi-
        tal-Unterlegungen wichtigen Treffen im Oktober 2001
        eine weitere Konsultation durchführt, wurde leider nicht
        aufgenommen. In dem gemeinsamen Antrag konnten wir
        jedoch erreichen, dass der Deutsche Bundestag die Bun-
        desregierung gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank
        ersucht, dass der Finanz- und der Wirtschaftsausschuss
        des Deutschen Bundestages, das Kreditgewerbe und die
        Wirtschaft vor der deutschen Zustimmung zu der beab-
        sichtigten Vereinbarung die Möglichkeit zur Stellung-
        nahme erhalten.
        Die Diskussion über Basel II wird bis zu deren Unter-
        zeichnung ein weiterer permanenter Diskussionsprozess
        bleiben, deshalb auch diese Forderung an die Bundesre-
        gierung. Mit diesem gemeinsamen Antrag sind die Forde-
        rungen der deutschen Seite für die Verhandlungsführer
        eindeutig formuliert mit der Bitte, die Umsetzung dieser
        Punkte bei den Verhandlungen sicherzustellen.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117050
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        Hiermit haben die Verhandlungsführer eine gute Ver-
        handlungsposition, da das deutsche Parlament hinter die-
        sen Forderungen steht. Gleichzeitig bietet auch der Passus
        „mit dem Sicherstellen der Forderung“ die Möglichkeit,
        für die Verhandlungsführer, bei Nichterreichung unserer
        gemeinsamen Position vom Vetorecht Gebrauch zu ma-
        chen.
        Denn unsere Forderung ist: Fairer Wettbewerb bei Ba-
        sel II.
        Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
        freue mich, dass sich alle Fraktionen auf einen gemeinsa-
        men Antrag zum zweiten Konsultationspapier des Baseler
        Ausschusses für Bankenaufsicht zur Neuregelung der an-
        gemessenen Eigenkapitalausstattung von Kreditinstituten
        (kurz: Basel II) verständigt haben. Diese parlamentari-
        sche Einigung soll helfen, die deutschen Positionen im in-
        ternationalen Dialog zu stärken. Die Baseler Bank für In-
        ternationalen Zahlungsausgleich (BIZ) will mit diesem
        internationalen Konsultationsprozess die Bedingungen
        für das Kreditgeschäft von Banken neu regeln. Diese dann
        international gültigen Eigenkapitalanforderungen für
        Banken sollen einen Beitrag zur Stabilisierung der inter-
        nationalen Finanzarchitektur leisten. Die Regeln sollen
        im Jahr 2004 international in Kraft treten. Im Grundsatz
        müssen Banken höhere Risiken bei der Einräumung von
        Krediten für Unternehmen dann mit mehr Eigenkapital
        absichern. Am Konsultationsprozess haben in Deutsch-
        land alle relevanten Verbände der Kreditwirtschaft und
        der Kredit nehmenden Wirtschaft teilgenommen und wer-
        den auch bis zur abschließenden Beratung weiter beteiligt
        werden.
        Wir haben uns im Finanzausschuss des Deutschen
        Bundestages wiederholt mit dem Thema auseinander ge-
        setzt und dabei eine gemeinsame Formulierung verein-
        bart. Diese ist Gegenstand der heutigen Beschlussfas-
        sung, die dem Bundestag vorliegt. Gewissermaßen als
        Fortsetzung der Stellungnahme vom Juni des letzten Jah-
        res werden im jetzigen Entschließungsantrag die Fort-
        schritte im internationalen Konsultationsprozess begrüßt.
        Dazu zählen die Einführung eines auf bankinterne Ra-
        tings gestützten einfachen Ansatzes zur Ermittlung der Ei-
        genkapitalanforderungen für das Kreditrisiko, die Festle-
        gung des ermäßigten Gewichtungssatzes in Höhe von
        50 Prozent für den gewerblichen Realkredit, die Berück-
        sichtigung verminderter Kreditrisiken beim Kreditge-
        schäft mit Privatkunden im Rahmen der auf bankinterne
        Ratings gestützten Ansätze und damit die Schaffung einer
        wesentlichen Voraussetzung für die Festsetzung ange-
        messen niedriger Anrechnungssätze für Kredite auch an
        Handwerksbetriebe und Kleinbetriebe des Mittelstandes
        sowie eine Festlegung eines festen Zeitpunktes für ein
        einheitlich weltweites In-Kraft-Treten der neuen Stan-
        dards.
        Dieser Zwischenerfolg im Rahmen des Verhandlungs-
        prozesses ist sicherlich ein Ergebnis gemeinsamer An-
        strengungen im internationalen Dialog. Dabei will der
        Deutsche Bundestag aber nicht stehen bleiben, sondern
        richtet an den vor uns liegenden Teil des Konsultations-
        prozesses einige wichtige Anforderungen. Derzeit werden
        unter Beteiligung von rund 50 Privatbanken, Sparkassen
        und Landesbanken sowie Kreditgenossenschaften unter
        Betreuung der Deutschen Bundesbank Daten erhoben und
        zusammengestellt für die so genannten „country reports“.
        Im Spätsommer 2001 werden diese Ergebnisse den Mit-
        gliedern des Baseler Ausschusses vorgelegt. Erst auf die-
        ser Datengrundlage sind Abschätzungen über die verän-
        derten Eigenkapitalanforderungen und damit auch
        Kreditkosten möglich. Die bislang vorliegenden Konsul-
        tationspapiere enthalten noch keine endgültigen Festle-
        gungen für die Anrechnungsgrundsätze für die Kapitalun-
        terlegung des Kreditrisikos bei Anwendung der auf
        bankinterne Ratings gestützten Ansätze.
        Deshalb ist aus Perspektive des Bundestages sicherzu-
        stellen, dass die endgültige Struktur der Gewichtungs-
        sätze bei der Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen
        für das Kreditrisiko im Rahmen der auf bankinterne Ra-
        tings gestützten Ansätze und die Anrechnungssätze für
        operationelle Risiken so ausgestaltet sind, dass risiko-
        überzeichnende Eigenkapitalanforderungen und damit
        eine generelle Verteuerung von Firmenkrediten vermie-
        den und insbesondere die kleinen und mittleren Unter-
        nehmen fair behandelt werden; die Übergangsfristen
        bezüglich der Mindestanforderungen für die gleichbe-
        rechtigte Anwendung interner Ratingverfahren flexibler
        gefasst und so ausgestaltet werden, dass sie allen Ban-
        kengruppen die Chance bieten, von den Vorteilen der
        neuen Regelungen zu profitieren; bei dem auf bankinterne
        Ratings gestützten Ansatz kein ungerechtfertigter Malus
        für mittel- und langfristige Kredite eingeführt wird; be-
        währte Kreditbesicherungen für kleine und mittlere
        Unternehmen in Deutschland bei der Berechnung der
        Eigenkapitalunterlegung wie die Begebung von grund-
        pfand-rechtlichen Sicherheiten, die Sicherungsübereig-
        nung bei einem Betriebsmittelkredit und Investitionskre-
        dit und die Abtretung der Ansprüche aus Kapital-
        lebensversicherungsverträgen bei Personenunternehmen
        in angemessener Weise risikomindernd anerkannt wer-
        den. Letzter Punkt ist angesichts der praktizierten Kredit-
        besicherungen für kleine und mittlere Personengesell-
        schaften von hoher Relevanz.
        Angesichts der Tatsache, dass die Auswirkungen der
        Neuregelung von Basel II erst im Herbst 2001 nach Aus-
        wertung der aufbereiteten Datenbasis und der weiteren in-
        ternationalen Konsultationsgespräche überschaubar sind,
        ist es für den deutschen Bundestag eine Selbstverständ-
        lichkeit, dass er vor der Zustimmung zu der geplanten in-
        ternationalen Vereinbarung die Möglichkeit zur erneuten
        Stellungnahme erhält. Dieser Anspruch gilt selbstver-
        ständlich auch für das Kreditgewerbe und die Kredit auf-
        nehmende Wirtschaft.
        Rainer Funke (F.D.P.): Unter dem kryptisch klingen-
        den Stichwort „Basel II“ werden in der Öffentlichkeit in
        letzter Zeit viele Ängste geschürt, wie ich meine, zum Teil
        zu Recht, aber auch zum Teil zu Unrecht. In der Tat haben
        die bisherigen Beschlüsse zu den Baseler Eigenkapital-
        vorschriften einen großen Einfluss auf unsere mittelstän-
        disch orientierte Wirtschaft und auch auf unsere mittel-
        ständisch ausgerichteten und häufig auch mittelständisch
        strukturierten Finanzinstitute. Die Folgen von „Basel II“
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17051
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        werden für den Mittelstand gravierend sein, allein wenn
        man bedenkt, dass die Eigenkapitalquote unserer mittel-
        ständischen Unternehmen häufig bei 20 Prozent und dar-
        unter liegt, dem gemäß eine Fremdkapitalfinanzierung bis
        zu 80 Prozent notwendig ist. Dagegen sind die Kapital-
        verhältnisse in den USA genau umgekehrt: 80 Prozent
        werden eigenfinanziert und 20 Prozent fremdfinanziert.
        Die mittelständische Wirtschaft spielt in den USA eine
        geringere Rolle als in der Bundesrepublik Deutschland.
        Deswegen wäre es gefährlich, sich in Basel ausschließlich
        an den amerikanischen Vorstellungen zur Kreditfinanzie-
        rung zu orientieren.
        Der Deutschen Bundesbank und auch der Bundesre-
        gierung ist Dank zu sagen, dass sie auf die besonderen In-
        teressenslagen, die sich ja auch mit anderen europäischen
        Ländern decken, in Basel hingewiesen und sich in weiten
        Teilen auch haben durchsetzen können.
        Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung
        steht das Rating für mittelständische Unternehmen, mit
        anderen Worten: Kreditbeurteilung eines jeden Unterneh-
        mens nach einem festgelegten Muster – man könnte auch
        sagen: Formular – durch die Kredit gebende Bank. Dabei
        ist inzwischen geklärt, dass diese Ratings sowohl durch
        externe Ratinggesellschaften vorgenommen werden kön-
        nen aber auch durch interne Ratings der Banken, die ja auf
        diesem Gebiet entsprechende jahrelange Erfahrungen ha-
        ben. In der Öffentlichkeit ist häufig der – falsche – Ein-
        druck entstanden, dass die Ratingsysteme völlig neu
        seien. Diese Systeme bestehen seit langem und sind in den
        letzten Jahren immer mehr verfeinert worden. Die Ratings
        der Kreditinstitute sind für den Mittelstand preislich güns-
        tiger als externe Ratings, wenn man auch ehrlicherweise
        sagen muss, dass Kreditinstitute keine Wohlfahrtinstitute
        sind und dem gemäß die Kosten für das Rating im Preis
        für den Kredit mit eingehen.
        Dieses Ratingsystem hat sich für Banken und auch für
        die kreditnehmende Wirtschaft durchaus positiv ausge-
        wirkt, weil durch dieses Verfahren Schwachstellen bei
        den Kreditnehmern frühzeitig aufgedeckt werden können
        und das Kreditrisiko bei den Banken in Grenzen gehalten
        werden kann. Deswegen sehe ich das Hauptproblem bei
        „Basel II“ nicht so sehr im Ratingsystem, sondern eher bei
        der Frage, in welchem Umfang die kreditgebenden Ban-
        ken die Kredite durch Eigenkapital unterlegen müssen.
        Insoweit wird sich die Bankenlandschaft in der Bundes-
        republik Deutschland sicherlich grundlegend verändern.
        Der zusätzliche Eigenkapitalbedarf wird zu einer Kon-
        zentration im Sparkassen-, Volksbanken- und Raiffeisen-
        bereich führen, aber auch bei vielen anderen mittelstän-
        disch orientierten Bankinstituten. Auf der anderen Seite
        wird dies aber auch für innovative Kreditinstitute neue
        Chancen eröffnen, zum Beispiel auch Verbriefung und
        Verhandelbarkeit von Forderungen, so wie es heute schon
        in den USA für ganze Körbe von Kreditportefeuilles gilt.
        Auf diese Weise entlasten sich die Banken auf der Aktiv-
        seite und damit auch hinsichtlich des Zwangs, zusätzlich
        Eigenkapital zu bilden.
        Eine Fundamentalopposition gegen „Basel II“ macht
        keinen Sinn. „Basel II“ kann auch ein Fundament für zu-
        sätzliche Produkte an internationalen Finanzmärkten sein,
        wenn es international voll umgesetzt wird. Und dies liegt
        im Interesse des deutschen Mittelstandes, der auch export-
        orientiert ist. Die Ratingverfahren sind eine Chance zur
        Früherkennung von Mängeln in der Unternehmensstruk-
        tur, wobei ich nicht verkenne, dass Kredite für Firmen in
        schwierigen Branchen oder mit schlechter Eigenkapital-
        ausstattung zweifellos teurer werden; dasselbe gilt leider
        auch für schöpferisch innovative Jungunternehmen.
        Deswegen wird in Basel bei einzelnen Bedingungen im
        Entwurf noch nachverhandelt werden müssen, wie zum
        Beispiel bei der Berücksichtigung von Kreditlaufzeiten
        und der zu finanzierenden Produkte, aber auch im Hin-
        blick auf die Anerkennung von Sicherheiten und deren
        Beurteilung. „Basel II“ bedeutet also für den deutschen
        Mittelstand und für die kreditgebenden Institute Risiko,
        Bereitschaft zur Veränderung, aber zugleich auch Chance.
        Dr. Barbara Höll (PDS): Zukünftig sollen internatio-
        nale Finanzkrisen noch wirksamer bekämpft werden. Zu
        diesem Zweck wird – auf internationaler Ebene – bereits
        seit einiger Zeit an internationalen Richtlinien zu einer
        Neuregelung der angemessenen Eigenkapitalausstattung
        von Kreditinstituten gearbeitet.
        Diese Verhandlungen sind zweifelsohne ein mühseli-
        ger Prozess. Schließlich agieren die Kreditinstitute der
        verschiedenen Staaten, die die verbindlichen Richtlinien
        anwenden sollen, unter völlig unterschiedlichen wirt-
        schaftlichen Bedingungen. Dies zeigte sich nicht zuletzt
        am zähen Tauziehen zwischen den amerikanischen und
        europäischen Verhandlungsführern.
        Inzwischen liegt ein mehrmals überarbeiteter Entwurf
        vor, der nach erneuter Revision bis Jahresende verab-
        schiedet und 2004 in Kraft treten soll.
        Grundsätzlich sind die Bedenken, die in den behan-
        delnden Ausschüssen geäußert wurden, umgesetzt wor-
        den. Es konnte verhindert werden, dass ausschließlich die
        amerikanischen Verhältnisse Maßstab für die Richtlinien
        sind. Das bankinterne Rating wurde ermöglicht, es gibt
        eine hinreichende Risikodifferenzierung, die grundsätz-
        lich auch Kredite an klein- und mittelständische Unter-
        nehmen zu vertretbaren Bedingungen möglich machen
        wird.
        Einige Details der Eigenkapitalunterlegung sind jedoch
        noch offen. So droht insbesondere bei den hierzulande üb-
        lichen langlaufenden Krediten noch eine überhohe Unter-
        legung, wird die Problematik von ExistenzgründerInnen
        kaum beachtet.
        Deshalb heute der Antrag aller Fraktionen, in dem die
        Bundesregierung aufgefordert wird, gerade diese Aspekte
        bei der Verhandlungsführung noch stärker einzubringen.
        Doch trotz der bisher erzielten Fortschritte: Die PDS
        wünscht sich in der kontinuierlichen Berichterstattung
        über die Verhandlungen Aussagen zu den praktischen
        wirtschaftspolitischen Konsequenzen.
        So erwarten wir Auskunft darüber, wie seitens der
        Wirtschaftsförderpolitik auf die neue Risikogewichtung
        im Rahmen interner Ratings reagiert werden soll.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117052
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        Wir wollen ferner wissen, inwieweit die neuen Wege
        der KfW, den „Hausbanken“ auf Wunsch KMU-Kredit-
        portfolios auf eigene Rechnung an den Finanzmärkten zu
        platzieren, kompatibel mit den Richtlinien von Basel sind.
        Dazu kommt, dass eine besondere Betrachtung der Un-
        ternehmen aus den neuen Bundesländern nicht stattfindet.
        Gerade für diese verstecken sich jedoch Risiken in den
        Richtlinien. So sind ostdeutsche Unternehmen nach 1990
        im Wesentlichen fremdfinanziert worden, ist ihre Eigen-
        kapitalquote äußerst gering und nur ansatzweise gesi-
        chert, sind diese Unternehmen durch hohe Refinanzie-
        rungslasten belastet. Dies alles wirkt sich zweifelsohne
        auf ihre Risikobewertung und damit auf die Kreditver-
        gabe an diese Unternehmen aus. Dies sollte in der ver-
        bleibenden Zeit noch stärker berücksichtigt werden.
        Ein Hauptproblem der Verhandlungen ist für uns aber
        die Säule II. Diese beinhaltet die Verbesserung der auf-
        sichtsrechtlichen Überprüfung der institutsinternen Risi-
        kosteuerung und -kontrolle. Die Vorschriften dafür wur-
        den bisher – egal ob seitens der Verhandlungsführer, der
        Kreditwirtschaft oder der Bundesbank – äußerst allge-
        mein gehalten. Die Richtlinien sollten ausdrücklich
        „keine Festschreibung konkreter, zwingend zu ergreifen-
        der Maßnahmen“ enthalten. Dies reicht absolut nicht.
        Basel II soll Risiken, wie die Bankenkrisen in Fernost
        und Russland Ende der 90er-Jahre vermindern helfen.
        Nun frage ich Sie, was ausgefeilte Risikobewertungsvor-
        gaben an die Banken nützen, wenn deren Durchführung
        aufgrund fehlender Vorgaben nicht hinreichend kontrol-
        liert wird? Sie sind Makulatur.
        Hier fordert die PDS eine ausführlichere Berichterstat-
        tung als dies bisher geschehen ist, ein stärkeres Bemühen
        der Bundesregierung in diese Richtung und letztlich sub-
        stanzielle Verhandlungsergebnisse.
        Dr. Barbara Hendricks, Parlamentarische Staatsse-
        kretärin beim Bundesminister der Finanzen: „Fairer Wett-
        bewerb“ ist ein zentrales Stichwort in der Diskussion über
        die gegenwärtige Überarbeitung der internationalen bank-
        aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalstandards, die kurz un-
        ter dem Schlagwort „Basel II“ geführt werden. Die Aus-
        gestaltung fairer bankaufsichtsrechtlicher Regelungen
        war ein zentrales Anliegen des Deutschen Bundestages
        bei seiner ersten Entschließung vom 8. Juni 2000 zu Ba-
        sel II. Die Stärkung der Fairness steht auch im Mittelpunkt
        des heute zur Entschließung vorliegenden gemeinsamen
        Antrages der Fraktionen zu Basel II.
        Befürchtungen, dass Basel II zu systematischen Be-
        nachteiligungen oder einseitigen Belastungen bestimmter
        Gruppen aus dem Kreditgewerbe oder einzelner Teile der
        Wirtschaft führt, sind nicht gerechtfertigt. Vielmehr trifft
        es zu, dass die Idee gleicher Chancen für die Kreditinsti-
        tute und deren Kundschaft in Basel II viel stärker angelegt
        ist als im bestehenden Regelungswerk. Allerdings besteht
        in einzelnen Bereichen der zur Diskussion gestellten Re-
        geln zu Basel Il noch Nachbesserungsbedarf:
        Was bedeutet Fairness im Zusammenhang mit Basel II?
        Fairness bedeutet zunächst eine risikogenauere Erfassung
        der mit dem Kreditgeschäft der Banken verbundenen Ri-
        siken. Die bankaufsichtlichen Eigenkapitalanforderungen
        werden stärker an das betriebswirtschaftlich relevante Ri-
        siko angepasst und damit wird die gewandelte Bankpra-
        xis nachvollzogen.
        Durch die genauere Abbildung der Risiken werden den
        Bankkunden gerechtere Kreditkonditionen in Rechnung
        gestellt. Mit Basel II wird eine risikoadäquate Umstruk-
        turierung der bankaufsichtlichen Eigenkapitalanforderun-
        gen angestrebt, aber keine Erhöhung der Belastungen für
        die Institute insgesamt. Generelle Verteuerungen von
        Krediten in Folge von Basel II sind nicht beabsichtigt und
        müssen unbedingt vermieden werden.
        Fairness bedeutet außerdem, dass den Banken entspre-
        chend dem Entwicklungsstand ihrer Risikoerfassungssys-
        teme verschiedene Anrechnungsmethoden zur Auswahl
        gestellt werden. Das neue Regelungswerk ist evolutionär
        angelegt und ist flexibel. Sämtliche Kreditinstitute sollen
        eine faire Chance zur Nutzung der neuen Anrechnungs-
        methoden ab dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der
        Regelung haben.
        Die Stärkung gleichwertiger Rahmenbedingungen für
        den internationalen Wettbewerb der Banken ist ein zen-
        trales Ziel von Basel II. Die neuen Anrechnungsregelun-
        gen müssen wettbewerbsneutral konzipiert sein. In Bezug
        auf die Methoden zur Erfassung der Schuldnerbonitäten
        bedeutet dies, bankinterne Ratings gleichberechtigt neben
        Bonitätsurteilen externer Rating-Agenturen anzuerken-
        nen. Anders als externe Ratings, die insbesondere im an-
        gloamerikanischen Raum verbreitet sind, sind interne Ra-
        tings den hiesigen Kreditinstituten besser vertraut.
        Auf deutsche Initiative hin ist es gelungen, bankinterne
        Ratings als gleichwertige Alternative zu den externen Ra-
        tings in Basel II aufzunehmen. Dies ist ein wichtiger Er-
        folg für die Interessen der deutschen Kreditwirtschaft.
        Dabei ist von deutscher Seite darauf geachtet worden, die
        Voraussetzungen zur Anwendung bankinterner Ratings so
        auszugestalten, dass auch kleinere und mittlere Kreditin-
        stitute eine faire Chance haben, diese neuen Verfahren zu
        nutzen. Es gilt, einheitliche Rahmenbedingungen für den
        nationalen Wettbewerb sicherzustellen. Deshalb enthält
        der Entschließungsantrag die Forderung, in Basel II die
        Anforderungen für den Einstieg in die gleichberechtigte
        Anwendung interner Ratingverfahren flexibel festzulegen
        und so auszugestalten, dass sie allen Bankengruppen die
        realistische Chance bieten, von den Vorteilen der neuen
        Regelungen zu profitieren.
        Eine faire bankaufsichtliche Regelung zeichnet sich
        auch dadurch aus, dass sie positive Anreize für die Insti-
        tute enthält, genauere und damit risikogerechtere Metho-
        den zur Erfassung der Risiken anzuwenden. Der Umstieg
        von einer grobschlächtigen Anrechnungsmethodik zu ei-
        nem ausgefeilten System muss sich lohnen. Damit die
        richtigen Anreizstrukturen geschaffen werden, bedarf es
        noch einer Überarbeitung der zur Diskussion gestellten
        Vorschläge zu Basel II. Dies beinhaltet die Absenkung der
        Gewichtungssätze beim internen Rating sowie eine
        Neuausrichtung der Konzepte zur Anrechnung von Be-
        triebsrisiken.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17053
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Finanz- und wirtschaftspolitisch nicht zu akzeptieren
        wäre, wenn die neuen Risikoanrechnungsregelungen die
        Kreditfinanzierung der Wirtschaft insgesamt verteuern
        würden. Risikoüberzeichnende Eigenkapitalanforderun-
        gen müssen vermieden werden. Diese zentrale Forderung
        des Entschließungsantrages schließt ein, dass insbeson-
        dere auch die Unternehmen des Mittelstandes fair behan-
        delt werden. Dies setzt Anrechnungssätze für die Kredit-
        und Betriebsrisiken in angemessener Höhe voraus. Die
        zur Diskussion gestellten Anrechnungssätze sind nach
        dem Urteil von Experten unausgewogen, weshalb drin-
        gender Korrekturbedarf besteht.
        Basel II darf nicht bewirken, dass bewährte Bestand-
        teile der deutschen Finanzierungskultur in Frage gestellt
        werden. Dazu gehören: die Vergabe mittel- und langfris-
        tiger Kredite – eine unangemessene Schlechterbehand-
        lung längerfristiger Kredite gegenüber kurzfristigen
        Darlehen ist unakzeptabel – und die Berücksichtigung be-
        währter Kreditbesicherungen insbesondere auch des Mit-
        telstandes.
        Insgesamt ist Basel II auf einem guten Weg. Den deut-
        schen Verhandlungsführern ist es gelungen, in Aus-
        führung der Entschließung des Deutschen Bundestages
        vom 8. Juni 2000 zu Basel II wesentliche Verbesserungen
        gegenüber den ursprünglichen Vorschlägen durchzuset-
        zen. Zusätzlich soll der neue Entschließungsantrag zu Ba-
        sel II dazu beitragen, dass faire bankaufsichtsrechtliche
        Standards geschaffen werden.
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Berichte zur Technikfolgenab-
        schätzung:
        – hier: Monitoring „Risikoabschätzung und Nach-
        zulassungs-Monitoring transgener Pflanzen“
        – hier: Monitoring „Nachwachsende Rohstoffe“ –
        Einsatz nachwachsender Rohstoffe im Baube-
        reich
        (Tagesordnungspunkt 14 a und b)
        René Röspel (SPD): Der von uns heute diskutierte
        Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenab-
        schätzung beim Deutschen Bundestag zum Monitoring
        „Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Monitoring
        transgener Pflanzen“ ist erstens ein weiterer Beweis für die
        Fähigkeit des TAB, Fragestellungen des Parlamentes und
        seiner Ausschüsse wissenschaftlich hervorragend zu bear-
        beiten, und zweitens eine wichtige und umfassende Quelle
        von Informationen für die politische Diskussion der so
        genannten „Grünen Gentechnik“.
        Zielsetzung des Berichtes ist es, den jeweiligen Stand
        der Sicherheitsforschung und der Risikodiskussion, der
        Regelungen und der Handhabungen von Zulassungsver-
        fahren unter anderem bei der Freisetzung transgener
        Pflanzen in der EU und der Umsetzung der Novel-Food-
        Verordnung sowie daraus ableitbare Handlungsmöglich-
        keiten darzustellen. Dieses Ziel wird erreicht.
        Leider kann ich wegen der kurzen mir zur Verfügung
        stehenden Zeit nicht detailliert auf alle Bereiche eingehen.
        Erlauben Sie mir deshalb, einen Punkt aus diesem Be-
        richt hervorzuheben: Eine der wichtigen Aussagen des Be-
        richtes ist sicherlich die Feststellung, dass die Datenlage,
        was die Begleitforschung von Freisetzungen anbelangt,
        „in vieler Hinsicht dürftig ist“. Lediglich 1 Prozent aller
        weltweit durchgeführten Freisetzungsversuche waren bis-
        her mit ökologischer Begleitforschung verbunden. Wenn
        Deutschland mit 15 Prozent dabei positiv herausragt, so ist
        das sicherlich nicht das Verdienst einer freiwilligen Selbst-
        verpflichtung der beteiligten Unternehmen, sondern einer
        sehr kritisch eingestellten und aufmerksamen Bevölke-
        rung. Geschadet hat das aus meiner Sicht übrigens nicht.
        Vor diesem Hintergrund gewinnt die Initiative des
        Bundeskanzlers aus dem letzten Sommer eine neue Be-
        deutung. Ziel der Initiative ist eine Vereinbarung mit den
        betroffenen Unternehmen, für eine dreijährige Über-
        gangsphase keinen großflächigen kommerziellen Anbau
        transgener Pflanzen zuzulassen, sondern mit einem inten-
        siven Beobachtungsprogramm zu einem deutlichen Er-
        kennntnisgewinn zu kommen und Wissenslücken zu fül-
        len. Ich hoffe, dass die Initiative Erfolg haben wird.
        Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass einer der Aus-
        löser dieser Initiative die Diskussion über das Inverkehr-
        bringen des genetisch veränderten Maises Bt-176/Wind-
        sor Ende 1999/Anfang 2000 war. Die rot-grüne Koalition
        hat diesen Mais nicht ausbringen lassen, weil viele Risi-
        ken nicht geklärt sind. Den Anhang des TAB-Berichtes
        kann ich der Opposition zur Lektüre empfehlen: Viele der
        von uns vorgebrachten Kritikpunkte finden Sie dort be-
        stätigt! Der Bericht gibt eine Reihe von Handlungsemp-
        fehlungen, die wir in unsere politische Arbeit integrieren
        werden.
        Verantwortungsvolle und nachhaltige Politik sind bei
        Rot-Grün in guten Händen!
        Heino Wiese (Hannover) (SPD): Der uns hier vorlie-
        gende Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung
        wurde im Auftrag des Ausschusses für Bildung und For-
        schung erarbeitet. Auf Anregung unseres Ausschusses für
        Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sollte
        er auch den aktuellen Diskussionsstand zur Sicherheits-
        forschung und zur Entwicklung des Nachzulassungsmo-
        nitoring zusammenfassen. Was wir erhalten haben, sind
        ein fundierter und umfassender Überblick zum Diskussi-
        onsstand und gute Ansätze zum weiteren Handlungsbe-
        darf. Ich möchte dem TAB-Büro an dieser Stelle für diese
        hervorragende Arbeit danken.
        Was hat uns der Bericht gezeigt? Er macht vor allem
        deutlich, dass die Diskussion um die Sicherheit gentech-
        nisch veränderter Pflanzen ständig weitergeht und noch
        längst nicht beendet ist. Die Datenlage in Bezug auf die
        Freisetzungsversuche ist nach wie vor dürftig. Es gibt in
        Europa bis jetzt mittlerweile über 1 300 Freisetzungsver-
        suche, aber es wurde bislang nur wenig Wissen über mög-
        liche ökologische Wirkungen gesammelt. Kein Wunder
        also, dass die grüne Gentechnik weiter abgelehnt wird.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117054
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Nun mögen beispielsweise Herr Heinrich und Frau
        Flach von der F.D.P. sagen, alle in Rede stehenden Risi-
        ken seien bloße Spekulation. Ihnen möchte ich aber erwi-
        dern, auch die Vermutung, es gebe keine Gefährdungen,
        ist reine Spekulation. Solange wir nicht mögliche Folge-
        schäden ausschließen können, wird meine Skepsis weiter
        bestehen bleiben.
        Natürlich ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dass
        wir die transgenen Pflanzen erst einmal zulassen und er-
        forschen müssen, um mögliche Einflüsse auf die Umwelt
        festzustellen. Aber, bitte schön, nur mit einem Nachzu-
        lassungsmonitoring und weiterer Sicherheitsforschung,
        die unsere Wissenslücken schließt und Zweifel ausräumt.
        Langzeitfolgen und komplexe Fernwirkungen können nur
        in größerem Maßstab beobachtet und untersucht werden.
        Deswegen brauchen wir eine anbaubegleitende Dauer-
        beobachtung transgener Pflanzen, um Effekte zu erfassen,
        die auf den begrenzten Versuchsfeldern und bei Freiset-
        zungsversuchen nicht untersucht werden können. Ich
        möchte daher den Bundeskanzler ausdrücklich bitten, die
        Gespräche mit den Pflanzenzüchtern und der Saatgutin-
        dustrie wieder aufzunehmen.
        Wir sollten den Vorschlag, innerhalb eines Moratori-
        ums in Bezug auf die Vermarktung umfassende Monito-
        rings durchzuführen, unbedingt wieder aufgreifen. Im Fe-
        bruar wurde auf Weisung des Gesundheitsministeriums
        die Inverkehrbringungsgenehmigung der Maissorte Bt
        176/Windsor ausgesetzt. Darüber haben wir lange disku-
        tiert und es hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Öf-
        fentlichkeit bzw. der Verbraucher transgenen Pflanzen
        sehr kritisch gegenüber steht. Solange die Hersteller von
        transgenen Pflanzen uns kein Produkt präsentieren kön-
        nen, dass für Verbraucherinnen und Verbraucher einen
        konkreten Nutzen bietet, wird die negative Meinung zum
        Gen-Food weiter bestehen bleiben.
        Horrorszenarien werden durch die Unwissenheit und
        mangelnde Aufklärung geschürt, aber auch weil man das
        Gefühl hat, dass der Sicherheitsaspekt vernachlässigt
        wird. Dies sollte die beteiligten Firmen eigentlich veran-
        lassen, auch ohne Einfluss der Bundesregierung in eige-
        ner Selbstverpflichtung ein Sicherheitsforschungspro-
        gramm durchzuführen.
        Dass diese Sicherheitsforschung bzw. ein Nachzulas-
        sungsmonitoring mehr als nötig ist, hat uns der vorlie-
        gende Bericht gezeigt. Die Zukunft der grünen Gentech-
        nik ist nach wie vor schwer einschätzbar. Auch bei den
        Monitoring-Konzepten herrscht noch keine Einigkeit.
        Auf „weniger ist mehr“ dürfen wir uns hier jedoch nicht
        einlassen. Schon aus Verbraucherschutzgründen haben
        wir die Verpflichtung, eine umfassende Risikoabschät-
        zung vorzunehmen und die entsprechenden Firmen da-
        rauf zu verpflichten.
        Es wird auch deutlich, dass in der Öffentlichkeit und
        Politik nur unzureichende Kenntnisse vorhanden sind,
        welche Überwachungssysteme im Bereich Umwelt und
        Landwirtschaft bereits existieren und wie diese für ein an-
        baubegleitendes Monitoring genutzt werden können. Da-
        raus ergibt sich die Aufgabe, Zielstellungen, Kriterien und
        Methoden des anbaubegleitenden Monitorings mit Wis-
        senschaft, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Politik zu disku-
        tieren. Deshalb schlägt der Bericht auch vor, dass im Rah-
        men des Förderschwerpunktes „Sicherheitsforschung und
        Monitoring“ im Programm Biotechnologie 2000 des Mi-
        nisteriums für Bildung und Forschung ein neuer Themen-
        schwerpunkt „Grundlagen, Methoden und Modelle zur
        Abschätzung indirekter und langfristiger Auswirkungen
        transgener Pflanzen“ eingerichtet wird.
        Diesem kann ich nur ausdrücklich zustimmen. Denn
        wir müssen uns immer bewusst sein: Bei der Freisetzung
        von gentechnisch manipulierten Pflanzen und auch Tieren
        werden Organismen in die Umwelt entlassen, die lebens-,
        vermehrungs- und anpassungsfähig sind. Eine Freiset-
        zung ist somit irreversibel. Wir können sie nicht einfach
        wieder zurückholen wie einen Stuhl, den wir in den Gar-
        ten stellen. Sie entwickeln sich weiter und wir könnten sie
        aus den Augen verlieren. Deswegen ist es so wichtig,
        mögliche Risiken vor der kommerziellen Freisetzung von
        gentechnisch veränderten Pflanzen sorgfältig zu ermitteln
        und zu bewerten. Der vorliegende Bericht macht dies in
        eindrucksvoller Weise deutlich.
        Zu dem TAB-Arbeitsbericht Nr. 61 über den Einsatz
        nachwachsender Rohstoffe im Wohnungsbau möchte ich
        nur kurz Stellung beziehen. Ich glaube – das wird auch
        durch den Bericht bestätigt –, dass nachwachsenden Roh-
        stoffen auch für den Baubereich außerordentlich große
        Zukunftschancen bescheinigt werden können. Ölpflanzen
        wie Raps, Stärkepflanzen wie Kartoffeln, Faserpflanzen
        wie Schilfrohr, Flachs und Hanf sowie Färberpflanzen
        wie Färberwaid können im Wohnungsbau vielfach einge-
        setzt werden.
        Auch wenn es zurzeit noch nicht möglich ist, ab-
        schließende Aussagen über die ökologische Vorteilhaftig-
        keit der nachwachsenden Baustoffe zu machen, so ist dem
        Bericht dennoch zu entnehmen, dass es im Hinblick auf
        den Gesundheitsschutz sowie bezüglich der Verwertung
        der Bauabfälle deutliche Vorteile gibt. Ein wesentliches
        Kriterium für den bislang noch geringen Einsatz der nach-
        wachsenden Baustoffe ist der nach wie vor hohe Preis.
        Wenn man hier aber erkennt, dass die Verwendung von
        nachwachsenden Rohstoffen neben den anderen Vorteilen
        auch für neue Beschäftigung in der Landwirtschaft sorgen
        wird, glaube ich, dass hier große Chancen für die gesamte
        Volkswirtschaft liegen. Ich werde mich – gerade nach der
        Lektüre des Berichtes – besonders dafür einsetzen, dass
        wir diese Chancen nutzen.
        Peter Bleser (CDU/CSU): Ich möchte in meinem fol-
        genden Beitrag beide Tagesordnungspunkte ansprechen,
        sowohl den Einsatz nachwachsender Rohstoffe im Bau-
        bereich als auch Fragen im Zusammenhang mit dem An-
        bau und der Nutzung transgener Pflanzen.
        Die Verfasser des vorliegenden Berichtes über den Ein-
        satz nachwachsender Rohstoffe im Baubereich haben die
        augenblickliche Situation in diesem Bereich umfassend
        beschrieben, so auch die heutige Gefühlslage beim
        Bauen: Das neue Haus soll technisch hochwertig, trotz-
        dem billig und darüber hinaus umweltfreundlich und ge-
        sund sein. Die beiden letzten Punkte erfüllen die nach-
        wachsenden Rohstoffe hervorragend. Dämmstoffe aus
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17055
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Flachs- oder Schafwolle, Span- und Faserplatten aus
        Holzabfällen, aber auch Folien, Bindemittel und Lacke
        können als nachwachsende Rohstoffe verbaut werden. Al-
        lerdings wird der Bauherr feststellen, dass Dämmstoffe
        aus Flachs oder Hanf drei- bis viermal so teuer sind wie
        herkömmliche. Dämmstoffe mit Schafwolle sind noch
        teurer. Hier stoßen also Ökonomie und Ökologie hart auf-
        einander.
        Man könnte sich jetzt hinstellen wie Ministerin
        Künast, die den Verbrauchern empfiehlt, für Lebensmittel
        doch bitteschön höhere Preise zu zahlen, aber zu einer sol-
        chen Naivität kann ich mich – übertragen auf den Baube-
        reich – nicht versteigen. Bekanntlich kann die Politik
        keine Preise diktieren, sondern höchstens für bestimmte
        Produkte die Rahmenbedingungen verbessern.
        Ich fordere deshalb: Erstens bestehende nicht techni-
        sche Einsatzhemmnisse – damit sind vor allem baurecht-
        liche Vorschriften gemeint – abzubauen, zweitens mit ei-
        ner stärkeren Förderung der Entwicklung von Baustoffen
        aus nachwachsenden Rohstoffen diesem Bereich einen
        wirksamen Anschub zu geben und drittens die Öffentlich-
        keit, insbesondere Bauwillige, verstärkt über die Mög-
        lichkeiten des Einsatzes von Material aus nachwachsen-
        den Rohstoffen beim Bauen zu informieren. Nur so kann
        man erwarten, dass aufgrund erhöhter Produktion die ein-
        zelnen Produkte preiswerter werden.
        Jetzt zu dem Thema Technikfolgenabschätzung trans-
        gener Pflanzen. In der Bevölkerung herrscht eine große
        Skepsis über mögliche Auswirkungen transgener Pflan-
        zen auf ihre Gesundheit und auf die Umwelt. Deshalb hat
        für die CDU/CSU die Risikovorsorge für die Akzeptanz
        dieser neuen Technologie absolute Priorität. Durch unser
        Gentechnikgesetz wird dieser Forderung Rechnung getra-
        gen. Auch wir sind für ein Monitoring, also eine beglei-
        tende Sicherheitsforschung bei der Freisetzung von gen-
        technisch veränderten Pflanzen. Konkret bedeutet dies
        aber auch, dass bei entsprechenden wissenschaftlichen
        Erkenntnissen die Freisetzungsgenehmigung erfolgen
        muss.
        Die Bundesregierung versteht dagegen unter „Monito-
        ring“ lediglich ein wissenschaftlich unbegründetes Verta-
        gen von Freisetzungsgenehmigungen. Für die CDU/CSU
        steht fest, dass die Entscheidung über die Nutzung trans-
        gener Pflanzen dem Verbraucher überlassen bleibt, das
        heißt, durch eine eindeutige Kennzeichnung der Lebens-
        mittel muss der Verbraucher jederzeit die Wahlmöglich-
        keit bei seiner Kaufentscheidung haben.
        Die Tatsache, dass zurzeit unsere Verbraucher transge-
        nen Pflanzen und daraus hergestellten Lebensmitteln
        skeptisch gegenüber stehen, rührt vor allem daher, dass
        die erste Generation transgener Pflanzen im Wesentlichen
        auf Pflanzenschutzmittelresistenz ausgerichtet ist. Wir
        setzen Hoffnungen auf die so genannte zweite Generation
        der durch Gentechnik beschleunigten Züchtungen – die so
        genannten funktionellen Lebensmitteln, welche auch ge-
        sundheitsfördernde Wirkung entfalten sollen.
        Ein weiteres viel versprechendes Anwendungsgebiet
        transgener Pflanzen ist das Gebiet der nachwachsenden
        Rohstoffe, zum Beispiel die biologischen Verpackungen,
        technische Öle und Dämmstoffe, die deutliche Umwelt-
        vorteile in vielfältigen Bereichen bis hin zur Entsorgung
        aufweisen.
        Die Bundesregierung ist drauf und dran, aus Angst vor
        den Risiken einer neuen Technologie deren Potenzial im
        Bereich der Wirtschaft und der Umwelt zu verbauen. Wir,
        die CDU/CSU-Fraktion, hingegen sehen an erster Stelle
        die großen Chancen der grünen Gentechnik, die wir im In-
        teresse unserer Mitbürger nutzen möchten – ohne dabei
        etwaige Risiken beim Verbraucher- und Umweltschutz
        hintanzustellen.
        Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
        TAB-Bericht zum „Sachstand zur Risikoabschätzung und
        zum Nachzulassungs-Monitoring transgener Pflanzen“
        bietet auftragsgemäß einen guten Überblick über den
        Stand der biologischen Sicherheitsforschung und für das
        Monitoring bei Freisetzungen transgener Pflanzen.
        Dargestellt werden: die Sicherheitsforschung, die Risiko-
        abschätzung im Genehmigungsverfahren, rechtliche Re-
        gelungen in der EU und in Deutschland, das anbaubeglei-
        tende Monitoring sowie die Sicherheitsbewertung und
        Monitoring im Rahmen der Novel-Food-Verordnung.
        Risikoabschätzung und Monitoring sind zwingend ge-
        boten aus a) rechtlichen Gründen – ich nenne das Gen-
        technikgesetz, die EU-Freisetzungsrichtlinie 90/220 und
        die Novel-Food-Verordnung –, b) aus Gründen der ge-
        sundheitlichen und ökologischen Vorsorge und c) als
        wichtige Grundlage über den gesellschaftlichen Diskurs
        über Chancen und Risiken der Gentechnik. Risikoab-
        schätzung und Monitoring bei transgenen Pflanzen sind
        Bereiche der Wissenschaft, die sich erst entwickeln.
        Beide müssen durch eine gezielte Forschungsförderung
        vorangebracht werden, damit sie die rechtlichen und po-
        litischen Ansprüche erfüllen können und die wesentlichen
        Fragen in einem überschaubarem Zeitraum beantworten
        können. Nach Auffassung von Bündnis 90/Die Grünen
        sind Risikoforschung und Monitoring in erster Linie Auf-
        gabe der Umweltvorsorge und sollten daher in die Feder-
        führung des UBA übertragen werden.
        Der TAB-Bericht gibt einen hervorragenden Überblick
        und klare Handlungsaufträge für die Politik: Einrichtung
        eines neuen Themenschwerpunktes „Grundlagen, Metho-
        den und Modelle zur Abschätzung indirekter und lang-
        fristiger Auswirkungen transgener Pflanzen, Ausstattung
        der zuständigen Fachbehörden mit Kompetenzen und Ar-
        beitsmöglichkeiten für ein Resistenzmanagement und zur
        Konzeptentwicklung, Verständigung über den normativen
        Rahmen, was nachhaltige Landwirtschaft heißt, alsbal-
        dige Festlegung von Zielsetzungen, Zuständigkeiten und
        Finanzierungen, Beteiligung der Öffentlichkeit, Berück-
        sichtigung von Erkenntnissen aus dem Monitoring und
        konkrete Verbesserungen beim Vollzug der Novel-Food-
        Richtlinie. Unserer Meinung nach sollte der Bericht zur
        Grundlage für die weiteren politischen Entscheidungen
        gemacht werden.
        Die Nachfrage der Industrie nach nachwachsenden
        Rohstoffen nimmt stetig zu. Im vergangenen Jahr wurden
        fast 700 000 Hektar Ackerland mit nachwachsenden Roh-
        stoffen angebaut. Für die Landwirte schaffen sie neue
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117056
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        Produktions- und Einkommensmöglichkeiten und sichern
        so Arbeitsplätze auf den Höfen und im ländlichen Raum.
        Nachwachsende Rohstoffe werden sowohl energetisch als
        auch stofflich verwertet. Bei der stofflichen Verwertung
        dienen sie als Grundlage für die Herstellung von biolo-
        gisch abbaubaren Schmierstoffen, Verpackungsmateria-
        lien und Waschmitteln. Darüber hinaus sind sie Aus-
        gangsstoffe für Arzneimittel, Textilien und Baustoffe.
        Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat wieder
        einmal sehr gute Arbeit geleistet. Da es sich nur um ein
        Monitoring und keine umfangreiche Studie gehandelt hat,
        konnte nicht auf jedes Detail eingegangen werden. Den-
        noch liefert dieses Papier einen guten Überblick über die
        Möglichkeiten und Chancen nachwachsender Rohstoffe.
        Das Papier zeigt, dass nachwachsende Rohstoffe in fast
        allen Bereichen eine mögliche Alternative zu den kon-
        ventionellen Produkten bieten. Allerdings sind sie zu-
        meist teurer. Daher müssen sich die nachwachsenden
        Rohstoffe über eine bessere Qualität durchsetzen. Diese
        bessere Qualität kann sich zum Beispiel in geringeren
        Schadstoffbelastungen ausdrücken. Dies scheint häufig
        der Fall zu sein. Umfangreiche abschließende Untersu-
        chungen stehen aber noch aus, die die gesamten Stoff-
        ströme analysieren und bewerten. Zur besseren Qualität
        gehören zum Beispiel das bessere Feuchteverhalten von
        Wolle und Chinaschilf oder die Fähigkeit von Wolle,
        Schadstoffe zu absorbieren und sogar in unbedenkliche
        Stoffe umzuwandeln. Letzteres ist im Übrigen eine neue
        Entdeckung, die nicht mehr in das Papier einfließen
        konnte. Naturfarben aus Färberwad bekämpfen den
        Schimmelpilz und rücken damit zunehmend in den Mit-
        telpunkt des Interesses.
        Auch bei den nachwachsenden Rohstoffen zeigt sich,
        dass sich der Wert eines Produktes nicht nur aus dem
        Preis, sondern aus dem Verhältnis von Preis und Qualität
        zusammensetzt. Wie beim Biolandbau und dem Öko-
        strom sind es noch relativ wenige, die dies in Betracht zie-
        hen. Aber die Zahl steigt auch hier und es wird in den
        nächsten Jahren damit gerechnet, dass die nachwachsen-
        den Rohstoffe zum Beispiel bei den Dämmstoffen in eini-
        gen Jahren schon einen Anteil von 10 Prozent haben
        könnten.
        Um den nachwachsenden Rohstoffen zum Durchbruch
        zu verhelfen, müssen die Forschungsaktivitäten, die bis-
        her eher sporadisch erfolgten, systematisiert und verstärkt
        werden, verbesserte Verwertungsstrategien entwickelt
        werden und vermehrte Anstrengungen zur Entwicklung
        und Demonstration im Rahmen von Pilotprojekten unter-
        nommen werden. Ich denke, dass die neue Verbraucher-
        schutzministerin gemeinsam mit dem Bauminister die
        aufgezeigten Handlungsmöglichkeiten ergreifen wird.
        Der Staat hat im Übrigen ein großes Interesse an einer
        Förderung der nachwachsenden Rohstoffe im Baube-
        reich, da dadurch die externen Kosten des Bauens redu-
        ziert werden, für die bekanntlich an anderer Stelle gera-
        degestanden werden müsste. Darüber hinaus können
        nachwachsende Rohstoffe Arbeitsplätze in der Landwirt-
        schaft erhalten und zu einer Erweiterung der Diversität
        beim Anbau beitragen, was zu einer besseren Qualität der
        Böden beiträgt.
        Ulrike Flach (F.D.P.): Das Monitoring-Vorhaben
        „Nachwachsende Rohstoffe“ wurde auf Initiative des
        Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
        abschätzung begonnen und gibt einen Überblick über den
        Stand und die Perspektiven des Einsatzes dieser Rohstoffe
        im Baubereich. Wie wir es von den Berichten des TAB
        kennen, liegt uns auch hier wieder eine gründliche und er-
        giebige Studie über wirtschaftliche, rechtliche und ökolo-
        gische Aspekte vor. Ich danke den Mitarbeitern des TAB
        für die sorgfältige Arbeit.
        Die Einsatzmöglichkeiten von Hanf, Flachs, Schilf,
        Altpapier, Öl- und Färberpflanzen sind vielfältig. Das Be-
        wusstsein für ökologische Zusammenhänge – Stichwort
        „Klimaschutz“ – und für bauliche Qualitätsansprüche
        – Stichworte „Asbest und Formaldehyd“ – ist gestiegen
        und sollte die Markteinführung von biogenen Baustoffen
        fördern.
        Dennoch gibt es objektive Hindernisse: Da sind erstens
        die höheren Kosten, die allerdings bei entsprechender
        Massenproduktion sinken würden. Da erweist sich zwei-
        tens das Baurecht als Blockade. Die Zulassung neuer Bau-
        produkte ist an ein nationales und europäisches Zulas-
        sungsverfahren gebunden. Dazu kommen noch die
        Landesbauordnungen der Bundesländer. Bürokratie gegen
        Biologie. Wir brauchen eine Entrümpelung der Bauord-
        nungen, die dem Durchbruch von biogenen Baustoffen im
        wahrsten Sinne des Wortes „Steine in den Weg legen“.
        Drittens muss eingeräumt werden, dass die Ökobilanz
        mancher nachwachsender Baustoffe deshalb nicht so
        glänzend ist, weil sie vor dem Einsatz chemisch behandelt
        werden müssen. Um Fäulnis zu verhindern, werden Bo-
        rate eingesetzt, als Feuer hemmender Stoff wird Ammo-
        niumphosphat verwendet. Dämmstoffe mit hohem Borat-
        gehalt dürfen nicht auf Bauschuttdeponien abgelagert
        werden.
        Aus Sicht der FDP müssen wir dazu kommen, den ge-
        samten Lebenszyklus eines Bauprodukts in die Bewer-
        tung einzubeziehen, also Produktion, Verwendung, Lage-
        rung und Entsorgung. Nur so erhalten wir vernünftige
        Vergleichsmaßstäbe zu konventionellen Bauprodukten.
        Und nur so werden wir auch zu einer verbesserten Markt-
        chance für biologische Baustoffe kommen.
        Ich komme zu Ihrem Antrag. Mich hat bei der Diskus-
        sion der Vorlage im Ausschuss eines erstaunt: In der Aus-
        schussdrucksache 14/339 steht, dass die Bundesregierung
        aufgefordert wird, die Entwicklung und Demonstration
        innovativer Baustoffe und -produkte aus biogenen Roh-
        stoffen verstärkt und gezielt zu fördern. Am Tage der Be-
        ratung hat die SPD-Fraktion als Änderungsvorschlag ein-
        gebracht, „verstärkt und gezielt“ durch „weiterhin“ zu
        ersetzen; also keine Ausweitung der Förderung. Das soll-
        ten die Hersteller biogener Baustoffen wissen, denen Sie
        sonst immer erzählen, Sie setzten sich für sie ein. Das sind
        die Tatsachen.
        Wir nehmen den Bericht zu Kenntnis, lehnen aber den
        Antrag der Koalitionsfraktionen als nicht ausreichend ab.
        Kersten Naumann (PDS): Im Zuge der BSE-Krise
        und der Akzeptanzprobleme schien das Nachbaumonito-
        ring zu transgenen Pflanzen schon fast in der Versenkung
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17057
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        verschwunden. Ich meine, das Nachbaumonitoring sollte
        dort auch bleiben: in der Versenkung. Denn es verdrängt
        den Vorsorgegedanken. Es ist ein falscher Ansatz, Risiken
        eines großflächigen Anbaus und einer kommerziellen
        Nutzung begleitend zu erforschen, dessen Folgen selbst
        nicht gewiss sind.
        Im März dieses Jahres ist nach langwierigen Verhand-
        lungen in der EU eine novellierte Freisetzungsrichtlinie
        verabschiedet worden, die Änderungen auch des deut-
        schen Gentechnikgesetzes nach sich ziehen wird. Sie ent-
        hält eine Reihe positiver Veränderungen, wie etwa den
        mittelfristigen Ausschluss von Antibiotika-Resistenzmar-
        kern und die Befristung von Freisetzungsgenehmigungen.
        Gefordert ist zudem eine Einzelfallprüfung und die stär-
        kere Beteiligung der Öffentlichkeit vor Beginn des An-
        baus transgener Pflanzen – womit eine Rückkehr zu
        früheren, strengeren Regelungen eingeleitet wird.
        Der Versuch von Bürokratie und verbundener Industrie
        ist misslungen, über die Novellierung des deutschen Gen-
        technikgesetzes und die Etablierung des so genannten
        „vereinfachten Verfahrens“ auf europäischer Ebene die
        kommerzielle Anwendung der Gentechnik in der Land-
        wirtschaft flächendeckend durchzusetzen. Gescheitert ist
        dieser Versuch am Widerstand der Bürgerinnen und Bür-
        ger der EU, der in das De-facto-Moratorium für Freiset-
        zungen mündete.
        Der TAB-Bericht zu transgenen Pflanzen macht näm-
        lich an mindestens zwei Punkten sehr deutlich, dass die
        grundlegenden Fragen ihrer Bewertung bis heute nicht
        beantwortet sind. Erstens werden die Bewertungsent-
        scheidungen, auch der Genehmigungsbehörden, ohne ein-
        deutige und sichere Wissensgrundlage getroffen.
        Zweitens – die noch entscheidendere Frage –: Vor wel-
        chem normativen Hintergrund werden die Auswirkungen
        und Risiken transgener Pflanzen betrachtet? Entscheidet
        man sich wirklich für eine ökologische und soziale Land-
        wirtschaft und führt sie nicht nur im Munde, dann haben
        transgene Pflanzen ganz schlechte Karten.
        Die wirtschaftlichen, ökologischen und sozioökonomi-
        schen Erfahrungen in den Hauptanbauländern USA, Ka-
        nada und Argentinien lassen Zweifel an grüner Gentech-
        nik nicht nur bei den Verbrauchern, sondern auch bei den
        Landwirten selbst wachsen. Nach immensen Wachstums-
        raten ist ein Anbaurückgang zu verzeichnen. Sozioökono-
        mische Folgen werden laut TAB-Bericht auch nur in Ös-
        terreich überhaupt in die Bewertung transgener Pflanzen
        einbezogen.
        Das De-facto-Moratorium für die Zulassung von Frei-
        setzungen sollte auch von der Bundesrepublik aufrechter-
        halten werden, alleine schon deshalb, weil die Kenn-
        zeichnungsregelungen im Lebensmittelbereich absolut
        unzureichend sind. Und die bestehenden Regelungen
        können kaum durchgesetzt werden, wie ja auch der TAB-
        Bericht hervorhebt. Ohne Kennzeichnung und Kontrolle
        bei Futtermitteln, Zutaten, Enzymen und Aromastoffen,
        ohne Abkehr von der nachweisbasierten Kennzeichnung
        bleiben Reden über die freie Kaufentscheidung der Ver-
        braucherinnen und Verbraucher völlig irreführend.
        Einen Präzedenzfall mit dem in der Diskussion stehen-
        den herbizidresistenten Mais mit der Bezeichnung „T 25“
        zu schaffen, unterläuft nicht nur die Neuausrichtung der
        Agrarpolitik auf Nachhaltigkeit, sondern auch die Ver-
        braucherinteressen, die diese Produktionsweise auch für
        Futtermittel ablehnen. In Österreich, Italien und Großbri-
        tannien besteht bereits ein Anbau- bzw. Importverbot für
        den herbizidresistenten Mais, da keine neuen wissen-
        schaftlichen Erkenntnisse vorlägen, die Anlass gäben, das
        bisher vorgesehene Risikomanagement zu verändern.
        Die Wahl des normativen Rahmens bleibt doch von
        entscheidender Bedeutung: Eine konventionelle, ökologi-
        sche und soziale Landwirtschaft und Lebensmittelpro-
        duktion kann ganz ohne Freisetzungen und transgene
        Pflanzen arbeiten. Wöchentlich berichten Fachzeitschrif-
        ten der Agrarwissenschaften und Bauernzeitungen über
        züchterische und technische Potenziale zu Ertragssteige-
        rungen, zu Einsparungen und gezielten spezifischen
        Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln und Düngemit-
        teln – sozusagen als Alternative zur kommerziellen An-
        wendung von Gentechnik.
        Warum sollte man also Risiken und negative Auswir-
        kungen in Kauf nehmen? Warum also Gentechnik gegen
        den Willen des Verbrauchers auf den Markt drücken, was
        vor allem den Steuerzahler kostet?
        Transgene Pflanzen sind eine Gleichung mit vielen Un-
        bekannten. Die Unbedenklichkeitsbeteuerungen der Pro-
        tagonisten unterliegen jedoch nach wie vor einer hohen
        Irrtumswahrscheinlichkeit.
        Ersparen wir den Bauern das Experiment mit negativen
        wirtschaftlichen Folgen. Ersparen wir unserer ohnehin
        belasteten und ökologisch diffamierten Umwelt eine zu-
        sätzliche Belastung. Ersparen wir den Verbrauchern den
        Biss ins Ungewisse!
        Was wir brauchen, ist eine Landwirtschaft, die Ein-
        kommen erwirtschaftet, und nicht eine, an der die Phar-
        maindustrie verdient. Was wir brauchen, sind technische
        Entwicklungen, die im Einklang mit der Natur produzie-
        ren. Was wir brauchen, ist Transparenz für den Verbrau-
        cher und seine demokratische Mitbestimmung. Was wir
        brauchen, ist eine Landwirtschaft für den Verbraucher und
        nicht für die Industrie.
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zurBeratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes
        zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des
        Energiewirtschaftsrechts (Tagesordnungspunkt
        16)
        Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Der vorliegende
        Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschafts-
        rechts berührt zwei Themenkreise: Zum einen geht es um
        die endgültige Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie
        in deutsches Recht. Zum anderen geht es aber auch – weit
        über den engeren Regelungsbereich des Gasmarktes hi-
        naus – um grundsätzliche energie- und wettbewerbsrecht-
        liche Fragen, die ihren Ausgangspunkt in der Energie-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117058
        (C)
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        wirtschaftsgesetznovelle von 1998 haben. Auf beide The-
        menkreise möchte ich etwas näher eingehen.
        Zur engeren Thematik, der Umsetzung der Gasrichtli-
        nie, ist zunächst einmal festzuhalten, dass die Bundesre-
        gierung damit einer Aufforderung der Europäischen
        Kommission folgt, die bereits vor längerer Zeit in einem
        Mahnschreiben diesen Schritt eingefordert hat. Die Kom-
        mission ist der Auffassung, dass die mit der Energie-
        rechtsnovelle von 1998 erfolgte Öffnung der deutschen
        Märkte nicht ausreicht, um dem Wettbewerb auch auf dem
        Gasmarkt zum Durchbruch zu verhelfen. Nun mag man
        über die Berechtigung der damit verbundenen Androhung
        eines Vertragsverletzungsverfahrens streiten; dies umso
        mehr, als in anderen Mitgliedsländern der Europäischen
        Union die Liberalisierung viel weniger konsequent aus-
        gefallen ist als bei uns, was für unsere Energie-, aber auch
        für unsere Volkswirtschaft teilweise erhebliche Probleme
        aufwirft. Man kann diese konsequente Umsetzung der Li-
        beralisierung bei uns aber guten Gewissens vertreten,
        denn das schlechte Beispiel anderer Länder sollte uns
        nicht davon abhalten, unsere Hausaufgaben ordentlich zu
        machen.
        Wie stets, wenn es um wichtige gesetzliche Rahmen-
        setzungen für relevante Wirtschaftsbereiche geht, werden
        auch an diese Novelle des Energiewirtschaftsrechts zahl-
        reiche – oft widersprüchliche – Erwartungen geknüpft.
        Dabei wurde in einigen Veröffentlichungen der Eindruck
        erweckt, es stehe nun auch bei den Gaspreisen ein der
        Strommarktentwicklung vergleichbarer Dammbruch un-
        mittelbar bevor. Ich möchte diese Erwartungen nur un-
        gern enttäuschen, aber es erscheint mir eher unwahr-
        scheinlich, dass wir einen ähnlichen Preisverfall wie beim
        Strom erleben werden. Dem stehen die gänzlich anderen
        Strukturen des Gasmarktes entgegen. Hierzu gehören:
        langfristige Lieferverträge auf take-or-pay-Basis mit
        festen Preisgleitklauseln und transparenten Margen, nur
        sehr geringe, kurzfristig verfügbare Überkapazitäten und
        schließlich eine Erdgas-Importabhängigkeit von rund
        80 Prozent gegenüber einer in etwa ausgeglichenen
        Stromhandelsbilanz. Dennoch erwarten auch wir von der
        neuen Verbändevereinbarung Gas und dieser Novelle eine
        deutliche Stärkung des Wettbewerbs und positive Preis-
        signale für die Kunden – und zwar auf allen Ebenen.
        Die Diskussion über den Wettbewerb auf dem Gas-
        markt hat bereits eine beachtliche Vorgeschichte. Es ist er-
        freulich, dass in einigen bislang kontrovers diskutierten
        Fragen eine grundsätzliche Klärung im Sinne einer ver-
        besserten Marktöffnung und Wettbewerbserleichterung
        erzielt werden konnte. Hierzu zählen unter anderem die
        Fragen des Speicherzugangs und der Offenlegung wett-
        bewerbsrelevanter Daten, insbesondere zu Netzkapazitä-
        ten und Engpässen. Wir unterstützen die Ansätze im
        Gesetzentwurf der Bundesregierung und ihre Gegenäuße-
        rung zu den teilweise sehr restriktiven Beschlüssen des
        Bundesrates nachdrücklich. Es wäre falsch, dem Bundes-
        rat hier zu folgen und hinter die von den Verbänden der
        Gaswirtschaft gefundenen Lösungen zurückzufallen. Al-
        lerdings sehe ich hinter einigen Regelungsvorschlägen
        auch noch Fragezeichen. Insbesondere in der Frage der
        Reziprozität besteht meines Erachtens Klärungsbedarf.
        Die neu gefasste Reziprozitätsregelung bei Gas und Strom
        wirft meines Erachtens europa- und verfassungsrechtli-
        che, aber auch wettbewerbs- und handelsrechtliche Pro-
        bleme auf, die genau zu prüfen sein werden. Diese Rezi-
        prozitätsregelung, die über die Ermächtigungsgrundlage
        der europäischen Richtlinien hinausgeht, muss eindeutig
        und belastbar sein. Es werden tiefe Eingriffe in Eigen-
        tumsrechte, Gewerbefreiheit und internationale Handels-
        abkommen geltend gemacht. Ich glaube, dass wir über die
        Erfordernisse und Risiken einer solchen Reziprozitätsre-
        gelung im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren noch
        sehr intensiv nachdenken müssen.
        In der letzten Zeit ist der in der Europäischen Union
        einmalige deutsche Sonderweg des verhandelten Netzzu-
        gangs unter Druck geraten. Die jüngsten Vorschläge der
        Europäischen Kommission zur Vollendung des Energie-
        binnenmarktes verfolgen bekanntlich zwei Ziele: die Be-
        schleunigung der Marktöffnung – was wir als europä-
        ischer Vorreiter nur sehr nachdrücklich unterstützen
        können – und eine stärkere Kontrolle der Energiemärkte
        durch – staatliche – Regulierung, was im Ergebnis auf das
        Ende des bislang von der Kommission akzeptierten deut-
        schen Modells der Verbändevereinbarungen abzielt.
        Nun wird über den Begriff der Regulierung seit Jahren
        eine oft sehr ideologisch eingefärbte Diskussion geführt,
        an der ich mich heute nicht beteiligen möchte. Die Frage,
        welche Form der Markt- und Wettbewerbsaufsicht zu be-
        vorzugen ist, entscheidet sich immer an der Qualität der
        Praxis. Dabei ist es völlig unstrittig, dass auch der
        verhandelte Netzzugang auf der Grundlage von Verbän-
        devereinbarungen den Marktteilnehmern die gleichen
        Qualitäten wie Rechtsverordnungen und staatliche Kon-
        trolleinrichtungen bieten muss.
        Die maßgeblichen Kriterien und Ziele sind in abstrak-
        ter Form relativ klar zu benennen und bilden die Grund-
        lage der entsprechenden Verbändevereinbarungen: diskri-
        minierungsfreier und preisgünstiger Netzzugang sowie
        Transparenz, Überprüfbarkeit und Verlässlichkeit der
        Modalitäten der Netznutzung. Die Umsetzung dieser ab-
        strakten Vorgaben in die tägliche Praxis des Energiege-
        schäfts gestaltet sich – erwartungsgemäß – allerdings
        schwierig, wie die offenkundigen Defizite der Verbände-
        vereinbarungen belegen. Einiges ist sicherlich dem wohl
        unvermeidlichen „trial and error“ eines jeden neuen
        Marktprozesses zuzuschreiben. Der Aufbruch aus den
        Monopolstrukturen ist ja auch keine Kleinigkeit, zumal
        die Netze weiterhin natürliche Monopole sind und eine
        gewisse Neigung zur Kartellbildung existiert.
        So manche Kritik hat allerdings auch etwas von Kro-
        kodilstränen an sich, wenn beispielsweise die bundes-
        deutschen Vertriebsstellen von Unternehmen, die in ihren
        Mutterländern aus geschützten Märkten heraus operieren,
        nun ein arges Wehgeschrei anstimmen. Auch scheinen
        manche Energieversorgungsmütter mehr als nur ein Auge
        zuzudrücken, wenn es um das Marktgebaren ihrer Betei-
        ligungstöchter geht. Und dann gibt es ja auch noch dieje-
        nigen, die Wettbewerb und Regulierung grundsätzlich als
        inkompatibel ansehen. Das sind übrigens die gleichen Ak-
        teure, die zum Beispiel zur Förderung der erneuerbaren
        Energien eine Quote als marktwirtschaftliches Instrument
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17059
        (C)
        (D)
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        (B)
        fordern, sie bei der Kraft-Wärme-Kopplung aber als
        marktfeindliches Teufelswerk verdammen.
        Jenseits von Polemik und Vernebelung sind unbestreit-
        bar Defizite in der Sache erkennbar, denen sich nicht
        zuletzt das Bundeskartellamt angenommen hat. Als Stich-
        worte nenne ich hier nur: Durchleitungsentgelte, Wechsel-
        gebühren, Gebühren und Kostentransparenz, Vergütung
        der Netzentlastung, missbräuchliche Kostenwälzungen
        beim Erneuerbare-Energien-Gesetz und beim Kraft-
        Wärme-Kopplungs-Gesetz sowie Quersubventionierung.
        Diese Monita bedürfen einer Klärung.
        Inzwischen sind auch erste Konsequenzen im Bundes-
        wirtschaftsministerium gezogen worden, bei dem eine
        Schlichtungsstelle eingerichtet wird, die dann parallel zu
        den in den Verbändevereinbarungen angelegten Struktu-
        ren wirken könnte. Wir begrüßen diesen Schritt.
        Es ist nicht von den Hand zu weisen: Wir werden uns
        anlässlich der Novellierung des Energiewirtschaftsgeset-
        zes auch mit weiteren Fragen auseinanderzusetzen haben:
        Fairer Marktzugang auch für neue Akteure, Transparenz
        für die Verbraucher, Rechtssicherheit für alle Beteiligten
        sowie die bislang völlig unzureichende Vertretung deut-
        scher Interessen bei Regulatorenreffen auf europäischer
        Ebene sowie die zügige Beseitigung der internationalen
        Marktverwerfungen sind und bleiben drängende energie-
        politische Aufgaben, die auch energierechtliche Aspekte
        besitzen.
        Mit Blick auf die Europäische Union füge ich noch
        zwei Aspekte hinzu: Erstens. Das offenkundige Brüsseler
        Junktim zwischen Beschleunigung der Marktöffnung und
        Verstärkung der Regulierung erfordert in absehbarer Zeit
        eine politische Entscheidung, welche Anliegen schwerer
        wiegen: eine schnellere und gleichmäßigere Marktöff-
        nung zur Stärkung unserer Produktionsstandorte und
        Wertschöpfung oder die exklusive Selbstregulierung nach
        dem Modell des verhandelten Netzzugangs.
        Zweitens. Es ist unverzichtbar, dass Deutschland als
        größter Stromproduzent und -konsument der Europä-
        ischen Union bei den Regulatorentreffen nicht länger
        draußen vor der Tür oder am Katzentisch platziert wird,
        sondern angemessen vertreten ist. Wenn wir in diesen
        wichtigen informellen Runden nicht „auf Augenhöhe“
        mitreden können, werden wir zum bloßen Objekt der Re-
        gulierer aus anderen EU-Staaten. Dies kann bei uns nie-
        mand ernsthaft wollen.
        Es geht nichts daran vorbei: Die Vielzahl der offenen
        Fragen erfordert eine intensive Diskussion in den parla-
        mentarischen Gremien. Wir scheuen diese Arbeit nicht
        und freuen uns auf lebhafte Beratungen.
        Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wettbewerb ist
        keine Einbahnstraße. Wettbewerb ist das treibende Prin-
        zip der sozialen Marktwirtschaft, Motor für fairen Leis-
        tungsvergleich, Garant für Markttransparenz, Garantie für
        Verbraucherschutz und kostenorientierte Preise, treibende
        Kraft für Innovationen, Modernisierung und internatio-
        nale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland.
        Wettbewerb ist die Autobahn, mit der wir am schnellsten
        und am sichersten die Ziele der sozialen Marktwirtschaft
        erreichen werden, solange die Politik den Marktteilneh-
        mern klare ordnungspolitische Spielregeln vorgibt und
        Instrumente bereithält, um Wettbewerbsverstöße effektiv
        und effizient zu ahnden.
        Die Herausforderung der Marktöffnung in traditionell
        monopolistisch und oligopolistisch geprägten, stark regu-
        lierten Sektoren unserer Volkswirtschaft war und ist eines
        unserer zentralen wirtschaftspolitischen Ziele. Gegen viel
        und hartnäckigen Widerstand haben wir in der letzten
        Wahlperiode die Liberalisierung der Telekommunikation,
        der Post und des Strommarktes erfolgreich auf den Weg
        gebracht. Die Öffnung dieser Sektoren für den Wettbe-
        werb hat zu sinkenden Preisen und einer deutlichen Ver-
        besserung des Angebots für die Verbraucher geführt und
        zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstand-
        ortes Deutschland gestärkt.
        Die positiven Erfahrungen mit den liberalisierten
        Branchen Strom, Post und Telekommunikation müssen
        nun auch auf andere Sektoren übertragen werden. Dies
        gilt vor allem für die Wasserwirtschaft, den öffentlichen
        Personennahverkehr und den Gasmarkt, über den wir
        heute Abend zu diskutieren haben. Der Liberalisierungs-
        prozess im Bereich der leitungsgebundenen Energien
        wurde auf europäischer Ebene mit der Binnenmarkt-
        Richtlinie Elektrizität eingeleitet. Die Erdgasrichtlinie ist
        am 10. August 1998 in Kraft getreten. Sie sollte bis zum
        10. August vergangenen Jahres durch die Mitgliedstaaten
        in nationales Recht umgesetzt werden. Die Bundesregie-
        rung hat diese europäischen Vorschriften zur Öffnung des
        Gasmarktes nicht vollständig fristgerecht in nationales
        Recht übertragen. Zwar haben das Energiewirtschaftsge-
        setz in der Fassung von 1998 und das novellierte Gesetz
        gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit ihren Bestim-
        mungen zum freien Leitungsbau, zur Abschaffung der
        Gebietsmonopole und des allgemeinen Netzzugangsan-
        spruchs auf Basis des allgemeinen Kartellrechts die
        Richtlinie bereits teilweise umgesetzt. Um den Verpflich-
        tungen aus der Richtlinie jedoch vollends Rechnung zu
        tragen, muss das Energiewirtschaftsrecht nun abermals
        geändert werden.
        Ziel des heute vorgelegten Gesetzentwurfs der Bun-
        desregierung muss es sein, den bestehenden energiewirt-
        schaftlichen Ordnungsrahmen durch die angestrebten
        Änderungen des Energiewirtschaftsrechtes auf die
        Grundlage eines fairen und funktionierenden Wett-
        bewerbs zu stellen. Das Ziel muss wie im Strombe-
        reich darin liegen, eine möglichst schlanke gesetzliche
        Normierung zu finden, die durch die betroffenen Wirt-
        schaftsverbände mit organisatorischen und technisch-
        wirtschaftlichen Detailregelungen im Rahmen einer Ver-
        bändevereinbarung konkretisiert, ergänzt und flankiert
        wird. Inhaltlich geht es darum, Lösungen zu finden für ein
        Netzzugangsrecht im Wege des verhandelten Netzzu-
        gangs, Vorschriften für den Netzbetrieb und zur Veröf-
        fentlichung der wesentlichen geschäftlichen Bedingun-
        gen für den Netzzugang und zur buchhalterischen
        Trennung der Rechnungslegung.
        Wir begrüßen es grundsätzlich, dass die Bundesregie-
        rung wenigstens im Gassektor zur Einsicht gekommen ist,
        dass die erfolgreiche Marktöffnung- und Wettbewerbsför-
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117060
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        derungspolitik der CDU/CSU der einzig gangbare Weg
        ist. Es ist erschreckend, in wie vielen anderes Bereichen
        der rot-grünen Wirtschaftspolitik zulasten der Verbrau-
        cher und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
        unseres Landes gehandelt wird. Mit immer neuen Regu-
        lierungen und Interventionen wird fairer und gleicher
        Leistungswettbewerb verhindert, Strukturwandel ver-
        schleppt, die Verwirklichung des europäischen Binnen-
        marktes gebremst, Wirtschaftswachstum und Wohl-
        standsvermehrung blockiert. Die Liste reicht von einer
        staatsmonopolistischen Postpolitik, einer missbräuchli-
        chen Aufblähung der Daseinsvorsorge über das Zwangs-
        pfand und das KWK-Vorschaltgesetz, dem Technikverbot
        Atomenergie bis hin zur inflationstreibenden Ökosteuer
        ohne ökologische Lenkungswirkung. Die Umsetzung ei-
        ner europäischen Richtlinie im Gassektor darf von sol-
        chem eklatanten Versagen rot-grüner Ordnungspolitik
        nicht ablenken. Gerade im Energiesektor drohen die
        rot-grünen Eingriffe und Kostenbelastungen die mühsam
        errungenen Liberalisierungsvorteile von 20 bis 30 Milli-
        arden DM pro Jahr schon bald wieder aufzufressen. Die
        verspätete Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie, zu
        der die Bundesrepublik vertraglich verpflichtet ist, kann
        nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rot-Grün und Bun-
        deswirtschaftsminister Müller in ihrer Energie- und Wett-
        bewerbspolitik bislang versagt haben.
        Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens auf dem Gasmarkt
        mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben ein funktionie-
        render Wettbewerb erreicht werden kann. Gas besitzt ge-
        genüber der Stromversorgung einige Besonderheiten. Es
        herrscht ein Angebotsoligopol und eine hohe Importab-
        hängigkeit. Es existieren unterschiedliche Verteilerstruk-
        turen und geringere Überkapazitäten als beim Strom. Po-
        litisch vorrangiges Ziel muss sein, dass die früheren
        Monopolisten ihre Gaspipelines für Wettbewerber öffnen.
        Das Netz ist „essential facility“ – der diskriminierungs-
        freie Netzzugang für Dritte ist integrale Voraussetzung für
        mehr Wettbewerb, damit künftig nicht nur industrielle
        Großkunden, sondern auch das Kleingewerbe und die
        Haushaltskunden durch Preissenkungen und freie Anbie-
        terwahl von der angestrebten Liberalisierung profitieren.
        Dazu bedarf es mehr Transparenz bei der Durchleitung
        und den Durchleitungstarifen, eines eindeutigen Engpass-
        managements und klarer Regelung beim Zugang zu Gas-
        speichern.
        Nicht akzeptabel ist aus unserer Sicht die Vielzahl von
        Rechtsverordnungsermächtigungen im Gesetzentwurf
        der Bundesregierung. Auch der Versuch, den Import von
        sogenanntem „schmutzigen Strom“ im Rahmen einer
        Verordnungsermächtigung zu verbieten, lehnen wir kate-
        gorisch ab. Der ehemalige Veba-Manager Dr. Werner
        Müller sollte eigentlich wissen, dass ein solches Vorgehen
        weder juristisch machbar noch technisch durchführbar ist.
        Die Bundesrepublik hat sich in der Vergangenheit unter
        unserer Regierungszeit mit der vollständigen Öffnung der
        Energiemärkte an die Spitze des Liberalisierungsprozes-
        ses begeben und wir befürworten gemeinsam die EU-
        Osterweiterung. Sowohl der jetzige Bundeskanzler als
        auch sein Außenminister haben sich in der Vergangenheit
        wiederholt positiv für die Öffnung der mittel- und osteu-
        ropäischen Märkte ausgesprochen. Ein Teilausschluss,
        insbesondere der mittel- und osteuropäischen Staaten, aus
        dem liberalisierten europäischen Strommarkt ist mit die-
        sen Bekenntnissen nicht vereinbar und widerspricht den
        Grundsätzen des freien Warenverkehrs. Mit der Absicht,
        den Strommarkt abzuschotten und Importstrom aus Kern-
        energie zu verbieten, beschneidet die Bundesregierung
        die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft und belastet un-
        sere Geschäftsbeziehungen zu den mittel- und osteu-
        ropäischen Wirtschaftspartnern.
        Die Pläne der EU-Kommission, die Liberalisierung der
        Strom- und Gasmärkte zu beschleunigen und den europä-
        ischen Energiebinnenmarkt schon bis 2005 zu vollenden,
        verdienten unsere uneingeschränkte Unterstützung. Der
        von EU-Kommissarin de Palacio beabsichtigte regulierte
        Zugang Dritter zu den Energienetzen auf der Basis fest-
        gelegter oder genehmigter Tarife durch eine Regulie-
        rungsbehörde würde das deutsche Modell der Verhand-
        lungslösung auf der Grundlage von Verbändever-
        einbarungen unmöglich machen. Wir sind aber der Auf-
        fassung, dass funktionierende freiwillige Vereinbarungen
        und Verhandlungslösungen bei einem effektiven Kartell-
        recht zu effizienterem Wettbewerb führen als Regulie-
        rungsregime staatlicher Behörden. Natürlich setzen wir
        zuallererst auf freiwillige Vereinbarungen anstatt auf
        staatliche Regulierungsbürokratie. Es gibt jedoch Signale
        aus dem Markt, dass die verabredeten Verbändevereinba-
        rungen nicht richtig funktionieren und vor allem rechts-
        beratende Berufe beschäftigen. Die Beteiligten sind auf-
        gefordert, solche Vereinbarungen im Interesse der
        Verbraucher und der Marktoffenheit wirklich praktikabel
        zu gestalten und vor allem zu handhaben. Sollte dies nicht
        nachvollziehbar ausreichend funktionieren, muss über
        Neuvereinbarungen oder als Ultimo Ratio über schärfere
        gesetzliche Bedingungen nachgedacht werden.
        Das Prinzip der Reziprozität bei der Vollendung des
        EU-Energiebinnenmarktes muss sicherstellen, dass Ener-
        gieunternehmen beispielsweise gegenüber ausländischen
        Staatskonzernen nicht benachteiligt werden. Fehlt eine
        ausreichende Reziprozität, darf dies jedoch nicht zu einer
        Abkehr vom Ziel eines liberalisierten Energiebinnen-
        marktes führen.
        Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit, Effizienz und
        Umweltverträglichkeit bleiben für uns unverändert die
        Grundanforderungen, an denen sich Energiepolitik aus-
        richten muss. Um diese Ziele zu erreichen, muss die künf-
        tige Energiepolitik an den Maximen Nachhaltigkeit, Glo-
        balisierung, Zukunftsoffenheit und Marktwirtschaft
        ausgerichtet werden. Wir müssen global und europäisch
        verantwortliche rechtliche Rahmen finden, weil Energie-
        politik aufgrund der globalen Zusammenhänge nicht
        mehr nur im nationalen Rahmen gesehen werden kann.
        Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als
        Energieproduktionsstandort sichern und mit marktwirt-
        schaftlichen Methoden verbessern, weil nur das Wettbe-
        werbsprinzip zu den effizientesten Ergebnissen und zu
        niedrigen gesamtwirtschaftlichen Kosten führt. Markt-
        wirtschaftlich heißt zugleich auch, mittelfristig ein Level-
        Playing-Field für alle Marktteilnehmer herzustellen, ei-
        nen freien und fairen Zugang zu den Versorgungsnetzen
        zu ermöglichen und das Entstehen sowie den Missbrauch
        marktbeherrschender Stellungen zu verhindern.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17061
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        Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Zuge der
        nun anstehenden Ausschussberatungen eine öffentliche
        Anhörung zum vorgelegten Regierungsentwurf beantra-
        gen, um mit den Betroffenen die noch strittigen Punkte
        des Gesetzgebungsvorhabens in aller Ausführlichkeit zu
        diskutieren. – Der Überweisung in die Ausschüsse stim-
        men wir zu.
        Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Die Liberalisierung der Energiemärkte Europas schreitet
        immer weiter voran. Die EU hat uns aufgefordert, die EU-
        Gasrichtlinie in Deutschland umzusetzen. Dieser Auffor-
        derung kommen wir gerne nach. Nachdem vor drei Jah-
        ren in Deutschland der Strommarkt liberalisiert wurde,
        komme jetzt der Gasmarkt an die Reihe. Das begrüße ich
        sehr, da hier ein großes Potenzial für den zukünftigen
        Wettbewerb liegt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein
        guter Schritt in die Richtung zu einer weiteren Marktöff-
        nung.
        Wir müssen aber aufpassen, wie die Liberalisierung
        durchgeführt werden soll. Das nötige Wissen dazu haben
        wir. Nach drei Jahren der Strommarktliberalisierung hat
        sich gezeigt, dass Liberalisierung nicht automatisch mehr
        Wettbewerb bedeutet.
        Es gibt bei der Liberalisierung des Gasmarktes struk-
        turelle Unterschiede zum Strommarkt. Dies muss bei der
        Umsetzung berücksichtigt werden. Während Strom fast
        vollständig in Deutschland produziert wird, sind wir bei
        Erdgas zu 80 Prozent auf Importe angewiesen. Diese Im-
        porte kommen aus einigen wenigen Ländern, mit denen
        zum Teil sehr langfristige Lieferverträge abgeschlossen
        wurden. Das macht den Beginn von Wettbewerb in
        Deutschland zunächst nicht einfach. Wettbewerb auf dem
        Gasmarkt benötigt auch Gasmengen für konkurrierende
        Angebote. Diese Angebote sind vorhanden; es gibt auch
        eine Reihe von Firmen, die sich in diesem Bereich enga-
        gieren. Dies ist aber noch sehr schwierig. Wir müssen hier
        für einen ausreichenden Wettbewerb sorgen, damit im In-
        teresse der Verbraucher die Gaspreise sinken.
        Obwohl es um die Umsetzung der EU-Gasrichtlinie
        geht, dürfen wir den Strommarkt nicht aus den Augen ver-
        lieren. Und gerade bei Strom gibt es in der bisherigen Li-
        beralisierung noch große Hindernisse für einen erfolgrei-
        chen Wettbewerb. Deutschland ist das einzige Land in der
        EU, dass einen verhandelten Netzzugang gewählt hat. Da-
        durch haben sich viele Probleme ergeben, die die neuen
        Wettbewerber nun vom Markt verdrängen. Am drängends-
        ten ist die ungenügende Rechtssicherheit für die neuen
        Marktteilnehmer. Die Netzbetreiber nutzen ihre Möglich-
        keiten, den Wettbewerb zu behindern. Im Konfliktfall ha-
        ben besonders die kleinen Unternehmen gegen die großen
        Netzbesitzer keine Chance. Ein Prozess vor Gericht ist
        häufig zu teuer und dauert zu lange. Bis er gewonnen ist,
        ist der Kunde weg und manchmal auch das Unternehmen
        nicht mehr auf dem Markt. Selbst wenn das durchleitende
        Unternehmen also Recht hatte, nützt ihm das bei diesem
        zum Teil sehr schnelllebigen Markt nichts. Darüber hi-
        naus gibt es viele Beispiele, wie die Durchleitung von
        Strom erschwert wird. In vielen Bereichen sind die Netz-
        nutzungsentgelte überhöht. Wechselwillige Kunden müs-
        sen einen zusätzlichen Netznutzungsvertrag abschließen,
        in einigen Fällen werden dazu die Unterschrift des Ver-
        mieters und ein Grundbuchauszug verlangt. Für den
        Kunden wirkt dieser hohe bürokratische Aufwand ab-
        schreckend und verhindert in vielen Fällen den Anbieter-
        wechsel.
        Die Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes bietet
        jetzt die Möglichkeit, etwas für den Wettbewerb im
        Strommarkt zu tun. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen,
        besonders da in dieser Legislaturperiode das Energiewirt-
        schaftsgesetz sicher nicht noch einmal geändert wird.
        Nach einer intensiven Phase nach Einführung des Wett-
        bewerbs steigen jetzt die Preise seit Ende des letzten
        Jahres wieder an. Dies liegt nicht an den Kosten durch das
        Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Gesetz zur Kraft-
        Wärme-Kopplung, wie es die Energieunternehmen glaub-
        haft machen wollen. Eine aktuelle Studie des BETAachen
        zeigt deutlich, dass die Kosten für den Endverbraucher
        durch EEG und KWKG wesentlich geringer sind. Einige
        Energieversorgungsunternehmen hätten ihre Preise sogar
        senken müssen, weil mit dem EEG eine bundesweite Um-
        lage der Kosten erfolgt. Statt der vorgenommenen Strom-
        preiserhöhungen von bis zu 1,5 Pf/kWh wären im Schnitt
        nur 0,39 Pf/kWh gerechtfertigt gewesen. Vielmehr be-
        steht jetzt die Gefahr, dass die fusionierten Großkonzerne
        den Markt wieder abschotten und in einer konzertierten
        Aktion die Strompreise wieder anheben. Hier müssen wir
        genau hinschauen, sonst haben wir den ganzen Akt um-
        sonst gemacht.
        Es liegen viele verschiedene zusätzliche Vorschläge zur
        Änderung auf dem Tisch. Besonders die neuen Wettbe-
        werber auf dem Strommarkt haben genaue Vorstellungen,
        was noch verbessert werden muss. Wir werden diese Vor-
        schläge im parlamentarischen Verfahren genau prüfen.
        Einen wichtigen Punkt möchte ich hier dazu anspre-
        chen: die vermiedenen Netznutzungskosten bei dezentra-
        len Anlagen. Dezentrale Anlagen, die in das Stromnetz
        einspeisen, vermeiden Netznutzung auf höheren Span-
        nungsebenen. Diese vermiedene Netznutzung muss an
        diese dezentralen Anlagen weitergegeben werden. Dies
        war auch ein Bestandteil der Verbändevereinbarung, ist
        aber bis heute nicht umgesetzt. Die Energiewirtschaft hat
        mehr als genug Zeit gehabt. Wenn sie sich nicht an die
        freiwillige Vereinbarung hält, muss der Gesetzgeber dafür
        sorgen, dass diese rechtlich verbindlich ist.
        In diesem Zusammenhang bedauerlich ist, dass auf
        dem Gipfel von Stockholm der Prozess einer zügigen Li-
        beralisierung in der EU ins Stocken gekommen ist. Die
        Vorschläge der EU-Kommissarin de Palacio sind dabei
        sehr ambitioniert und finden meine volle Unterstützung,
        und zwar beide Seiten: mehr Wettbewerb in Frankreich
        durch zügige Liberalisierung und mehr Wettbewerb in
        Deutschland durch stärkere Regulierung. Ich würde mich
        freuen, wenn wir den Beratungsprozess nutzen, auch für
        den Strombereich Zwischenbilanz zu ziehen und intensiv
        über die Weiterentwicklung und Begleitung des Liberali-
        sierungsprozesses zu sprechen.
        Walter Hirche (F.D.P.): Hinter dem komplizierten Ti-
        tel des Gesetzes, das heute in der ersten Lesung beraten
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117062
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        wird, versteckt sich eines der vordringlichsten energiepo-
        litischen Ziele dieser Legislaturperiode: die Öffnung der
        deutschen Erdgasmärkte und damit die Umsetzung der
        Binnenmarktrichtlinie Gas. Die F.D.P. begrüßt das Gesetz
        ausdrücklich. Mit dem heutigen Tag können endlich die
        parlamentarischen Beratungen beginnen, auf die wir viel
        zu lange haben warten müssen. Denn obwohl die Bun-
        desregierung verpflichtet war, die Binnenmarktrichtlinie
        Gas bis zum 8. August 2000 umzusetzen, hat sie unnötig
        Zeit verstreichen lassen. Sie hat ein Vertragsverletzungs-
        verfahren in Kauf genommen und sich nicht gescheut, die
        Liberalisierung und Deregulierung der Energiemärkte
        – wenn auch nur zeitweise – zu boykottieren. Dabei hinkt
        die Öffnung der deutschen Gasmärkte bereits zwei Jahre
        hinter der Liberalisierung der deutschen Strommärkte her.
        Ein Grund der Verzögerung war, dass die alte Bundes-
        regierung – anders als bei Strom – mit Blick auf die da-
        mals noch ausstehende EU-Gas-Direktive davon Abstand
        genommen hatte, wichtige gasspezifische Details, insbe-
        sondere im Hinblick auf die Gestaltung des Netzzugangs,
        unmittelbar in Zusammenhang mit der Energierechtsno-
        velle von 1998 zu regeln. Heute nun liegen die energie-
        rechtlichen Vorschläge der Bundesregierung mit den ein-
        schlägigen gasspezifischen Tatbeständen vor, die jedoch
        noch intensiver Beratungen bedürfen.
        Die F.D.P. hat maßgeblich die Liberalisierung und De-
        regulierung der deutschen Energiemärkte initiiert und
        durchgesetzt. Die positiven Effekte – und das hat uns der
        Strombereich gezeigt – werden auch bei der Gasliberali-
        sierung überwiegen: Kostensenkungspotenziale können
        genutzt, Synergieeffekte erschlossen werden. Neue
        Marktanbieter mit innovativen Produkten haben auf dem
        Strommarkt für mehr Wettbewerb gesorgt. Genau das er-
        warten wir auch auf den deutschen Gasmärkten. Damit er-
        wachsen dem Verbraucher Vorteile, von denen er profitie-
        ren kann und mit denen er ganz persönliches Plus er-
        wirtschaftet. In der Summe stärkt die Öffnung der Gas-
        märkte den Standort Deutschland. Er braucht ein politi-
        sches Signal, damit neues Wachstum entstehen kann. Eine
        zügige Liberalisierung der Gasmärkte ohne protektionis-
        tische Gängelungen ist ein wichtiger Schritt dazu.
        Die F.D.P. ist sich bewusst, dass entscheidende Unter-
        schiede zwischen dem Gas- und Strommarkt bestehen.
        Hierzu zählen insbesondere der physische Fluss des Ga-
        ses, die Qualitätsunterschiede, seine hohe Konzentration
        auf dem Wärmemarkt und der daraus – trotz gegebener
        Speicherbarkeit – resultierenden Saisonkomponente und
        last, but not least die hohe Importabhängigkeit des Gases
        von insbesondere Norwegen und Russland inklusive der
        Take-or-Pay-Verträge.
        Die F.D.P. will faire Chancen auf den deutschen Gas-
        märkten. Dazu gehört insbesondere auch, dass die Neuan-
        bieter einen diskrimierungsfreien Zutritt zum Markt er-
        halten und nicht von den alten Marktteilhabern aus-
        gebootet werden, wie dies vielfach noch der Fall ist. Das
        Modell des verhandelten Netzzugangs muss der Praxis-
        bewährung standhalten. Das schließt zum Beispiel Mög-
        lichkeiten einer zügigen Kontrolle und den Sofortvollzug
        bei Anforderungen des Bundeskartellamts ein.
        Die parlamentarischen Beratungen werden Gelegen-
        heit geben, die komplexe Materie zu erörtern und Ant-
        worten zu den noch offenen Fragen zu finden. Unser Ziel,
        die Entstehung eines aktiven Wettbewerbsmarktes für
        Gas, werden wir dabei stets im Auge behalten.
        Eva-Bulling-Schröter (PDS): Gestatten Sie mir ein-
        gangs einen Kommentar zu einem Schreibfehler im Ge-
        setzentwurf, der mich erheitert hat. Auf Seite 1 findet sich
        eingangs des vorgeschlagenen Lösungsansatzes ein Satz,
        dessen tiefgründiger Humor in einem unfreiwilligen Be-
        zug zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts und
        der hier vorgelegten ersten Änderung steht. Ich zitiere:
        Für Betreiber von Gasversorgungsnetzen bzw. Gas-
        versorgungsunternehmen soll künftig die Verpflich-
        tung gelten, Dritten diskriminierungsfreien Zugang
        zu ihren Gesetzen zu gewähren.
        Gemeint war jedoch, dass Betreiber von Erdgasnetzen
        künftig verpflichtet werden sollen, Dritten einen „diskri-
        minierungsfreien Zugang zu ihren Netzen zu gewähren“.
        Voilá! Uns selbst ist es bisher nicht gelungen, das Ener-
        giewirtschaftsgesetz der Ära Kohl in dieser Kürze und
        Würze zu charakterisieren.
        Auf Gesetze wie das Energiewirtschaftsrecht sollen
        sich Dritte ausdrücklich nicht berufen können. Denn im
        darauf folgenden Satz wird klar zum Ausdruck gebracht,
        dass der diskriminierungsfreie Zugang zu den Erdgasnet-
        zen nach geschäftlichen Bedingungen gewährleistet wer-
        den soll, die vonseiten der Betreiber von Gasversor-
        gungsnetzen aufzustellen und zu veröffentlichen sind. Ein
        Wettbewerb der wenigen großen Erdgasbeschaffer um die
        Gunst kommunaler Erdgasversorgungsunternehmen kann
        so nicht erwartet werden. Diese Regelung ist vielmehr
        eine unverholene Ermunterung, Absprachen über die
        Höhe von Monopolprofiten zu machen, die aus dem na-
        türlichen Monopol der Leitungsgebundenheit erwachsen.
        Nicht etwa ein Gesetz dieses Hauses, sondern die all-
        gemeinen veröffentlichten Geschäftsordnungen der Be-
        treiber der Erdgasnetze sollen dem diskriminierenden
        Treiben Einhalt gebieten. Wie auch bei den Stromnetzen
        soll der Zugang zu den Gasversorgungsnetzen nach dem
        System des verhandelten Netzzugangs erfolgen.
        Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschafts-
        rechts legt mit dem so genannten verhandelten Netzzu-
        gang – und das ist in Europa ein einmaliger Sonderweg –
        die Regulierung und Gestaltung der leitungsgebundenen
        Energien Strom und nun auch Erdgas in die Hand der
        großen Energiekonzerne. SPD und Bündnis 90/Die Grü-
        nen setzen diese Politik der Regierung Kohl fort. Aus der
        Brüsseler EU-Kommission mehren sich bereits die Stim-
        men, welche die Einrichtung einer Regulierungsbehörde
        für den Betrieb der Strom- und Gasnetze auch in Deutsch-
        land fordern.
        Vonseiten der Energiewirtschaft hören wir, dass es da-
        rum gehe, die deutsche Energiewirtschaft für einen euro-
        päischen Wettbewerb fit zu machen. Dieser Wettbewerb
        soll auch um die Übernahme der Energiemärkte in den
        neuen Beitrittsländern in Mittel- und Osteuropa geführt
        werden. Die wirtschaftsstarken Mitgliedsländer der EU
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17063
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        setzen ihre Macht ein, um die Beitrittskandidaten zur Pri-
        vatisierung ihrer Infrastruktur zu drängen. Die Bundesre-
        gierung teilt diese Ziele und gesteht den heimischen
        Energiemonopolisten die Akkumulation von Monopol-
        profiten zu. Bezahlen tun das die privaten Haushalte,
        während die Sonderpreise für Großkunden weiter abge-
        senkt werden konnten. Der politische Preis ist der Ver-
        zicht auf den Ausstieg aus der Atomkraft. In Deutschland
        bekommen insbesondere die Beschäftigten der Stadt-
        werke die Auswirkungen dieses ungleichen Kampfes zu
        spüren. Die Liberalisierung führt zur Herausbildung eines
        Oligopols im Bereich der leitungsgebundenen Energien.
        Im Rahmen der ersten Änderung des Energiewirt-
        schaftsrechtes hatten wir einige Korrekturen vonseiten
        der Bundesregierung erwartet. Die Bundesregierung hat
        die Gelegenheit jedoch nicht genutzt. Dabei muss auch
        der Verbraucherschutz dringend an die neuen Bedingun-
        gen angepasst werden. Die privaten Haushalte sehen sich
        mit intransparenten Angeboten zum Wechsel des Strom-
        anbieters konfrontiert. Bisher wurde der monatliche
        Grundbetrag in der Stromrechnung mit den Kosten zur
        Ablesung und Wartung von Zählern gerechtfertigt. Dieser
        Posten liegt etwa im Bereich von 5 bis 6 DM pro Monat
        und war im Zuge der Tarifaufsicht durch Vergleich mit
        den realen Kosten nachprüfbar. Die neuen Angebote las-
        sen eine Überprüfung nicht mehr zu. Dort werden bei-
        spielsweise Grundbeträge in Höhe von 19 DM gefordert,
        ohne dass klar wird, welche Dienstleistungen des Ener-
        gieversorgers mit diesen fiktiven Grundbeträgen bereits
        abgegolten sind.
        Die politisch-ökonomische Verantwortung des Gesetz-
        gebers ist es, der zunehmenden Machtkonzentration der
        Energiekonzerne entgegenzuwirken. Es liegt in der Natur
        dieses Verhältnisses, dass finanzstarke Konzerne Investi-
        tionen in Bereiche scheuen, die konjunkturellen Schwan-
        kungen und Risiken unterliegen. Die bisherige Wirt-
        schaftspolitik bietet ihnen durch Privatisierung von
        Infrastruktur und öffentlichen Aufgaben ein vergleichs-
        weise sicheres Geschäft. In der Tendenz werden konjunk-
        turelle Schwächen und Wirtschaftskrisen jedoch tiefere
        Spuren in der Infrastruktur hinterlassen. Auch der Sozial-
        bereich wird davon nicht verschont bleiben und deshalb
        muss auch die Riester-Rente in diesem Zusammenhang
        genannt werden.
        Wir wollen keine Infrastrukturkonzerne, die in alle Be-
        reich der Ver- und Entsorgung eindringen. Aufgaben der
        Daseinsvorsorge und natürliche Monopole gehören in die
        öffentliche Hand. Energiepolitisch halten wir daher an un-
        serer Forderung fest: Die überregionalen Transportnetze
        sollen in gemeinwirtschaftliches Eigentum überführt
        werden.
        Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
        minister für Wirtschaft und Technologie:Mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf wird die EU-Gasrichtlinie voll-
        ständig umgesetzt. Der Gesetzentwurf stellt einen
        weiteren Meilenstein in der Liberalisierung des deutschen
        Energiemarktes dar.
        Die Marktöffnung im Gasbereich ist zwar schon mit
        der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts im April
        1998 und mit dem 1999 novellierten Gesetz gegen Wett-
        bewerbsbeschränkungen auf den Weg gebracht worden.
        Mit diesen Gesetzen wurden nämlich Demarkations- und
        ausschließliche Wegerechtsverträge verboten und eine
        spezialgesetzliche Regelung für den Netzzugang einge-
        führt. Der vorliegende Gesetzentwurf führt diesen Weg
        der Liberalisierung – wie schon für den Strombereich ge-
        schehen – nun auch für den Gasbereich konsequent fort.
        Wesentliches Ziel ist die Stärkung des Wettbewerbs auf
        dem Gasmarkt, um Kostensenkungspotenziale freizuset-
        zen und die Verhandlungsposition der Gaskunden deut-
        lich zu stärken. Mit diesem Gesetz sind unsere europä-
        ischen Verpflichtungen erfüllt.
        Ich möchte auf einige zentrale Punkte des Gesetzent-
        wurfs eingehen:
        Der Entwurf sieht eine „schlanke“ Richtlinienumset-
        zung vor. Er enthält im Wesentlichen das Netzzugangs-
        recht für Dritte im Verhandlungswege. Damit wird der Tat-
        sache Rechnung getragen, dass der Zugang zum Netz auch
        im Gasbereich als Schlüssel für den Prozess der Liberali-
        sierung anzusehen ist. Wir setzen zudem – trotz zuneh-
        mender Kritik von der Kommission – weiterhin auf den in
        der Richtlinie vorgesehenen Weg des verhandelten Netz-
        zugangs. Wir halten diesen Weg angesichts der pluralisti-
        schen, privatwirtschaftlich organisierten Marktstruktur in
        Deutschland für den Erfolg versprechenden. Die Markt-
        ergebnisse im Strombereich geben uns da Recht.
        Ein regulierter Netzzugang mag bei Existenz staat-
        licher Monopolgesellschaften angebracht sein. Deswegen
        gehen viele europäische Mitgliedstaaten diesen Weg. Wir
        hingegen setzen auf Deregulierung und die dynamischen
        Kräfte des Marktes.
        Neben weiteren, den transparenten Netzzugang regeln-
        den Vorschriften enthält der Gesetzentwurf eine Rezipro-
        zitätsklausel für Gas; außerdem wurde die bereits beste-
        hende Reziprozitätsklausel für Strom verschärft. Diese
        soll die Chancengleichheit deutscher Energieversor-
        gungsunternehmen während der europaweiten Marktöff-
        nungsphase sichern. Wettbewerbsverzerrungen zulasten
        deutscher Unternehmen sollen zwar in erster Linie wei-
        terhin durch das Recht der betroffenen Unternehmen zur
        Verweigerung des Netzzugangs vermieden werden;
        gleichwohl können Ungleichgewichte zulasten deutscher
        Energieversorgungsunternehmen entstehen, da derzeit
        noch unterschiedliche Marktöffnungsgrade in den Mit-
        gliedstaaten vorhanden sind. Für diesen Fall wird das
        Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie er-
        mächtigt, im Wege einer Verordnung mit Zustimmung des
        Bundesrates Kriterien für die Netzzugangsverweigerung
        bei grenzüberschreitenden Energielieferungen näher zu
        bestimmen. Gleiches gilt gegenüber Drittstaaten.
        Diese politische Antwort auf unterschiedliche Markt-
        öffnungsgrade sind wir unserer Wirtschaft schuldig. Die
        Reziprozitätsklausel zum Schutze unserer Wirtschaft
        kann allerdings entfallen, sobald alle Märkte in Europa
        voll für den Wettbewerb geöffnet sind. Wir unterstützen
        daher die Kommission in ihrem Bemühen, die Integration
        der Märkte für Strom und Gas weiter voranzutreiben.
        Daneben enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von
        Verordnungsermächtigungen, die eine Feinsteuerung der
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117064
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        Marktöffnung ermöglichen. Diese Vorschriften werden
        mit Leben erfüllt werden, sofern sie sich zum Entstehen
        eines erfolgreichen Wettbewerbs als notwendig erweisen.
        Das Gesetz sieht schließlich auch die Einrichtung einer
        Schiedsstelle beim Bundesministerium für Wirtschaft und
        Technologie vor. Wir erwarten von ihr, dass sie die Strei-
        tigkeiten bereits im Vorfeld gerichtlicher Verfahren er-
        folgreich ausräumt.
        Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht nur um die for-
        malrechtliche Umsetzung der EU-Gasrichtlinie. Ich er-
        warte mir hiervon auch wesentliche Impulse für die deut-
        sche Wirtschaft.
        Anlage 9
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung des Antrags: Errichtung eines
        Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der
        DDR (Tagesordnungspunkt 17)
        Gustav-Adolf Schur (PDS): Die Zuständigen für die
        Tagesordnung haben diese Debatte für die Zeit um Mit-
        ternacht angesetzt. Das ist die Zeit der Berufsboxer
        – Showtime – und das lässt Assoziationen aufkommen:
        Schattenboxen mit Zwölf-Unzen-Handschuhen ist ange-
        sagt. Zum besseren Verständnis: Das sind die dick gepols-
        terten für Kinderkämpfe! Ich denke, dass in diesem Fall
        Fünf-Unzen-Handschuhe gefragt wären, das heißt die,
        mit denen sich die Profis prügeln.
        Ich bin gegen jedes Doping, das habe ich oft genug er-
        klärt. Ich bin dafür, dass Doping juristisch verfolgt wird
        und zwar im Leistungssport und in den Fitnesszentren. Es
        ist auch vonnöten, durch Doping gesundheitlich Geschä-
        digte gebührend zu entschädigen. Aber dieses Hohe Haus
        hat Entscheidungen für ganz Deutschland zu treffen und
        nicht – wenn es gerade wieder mal politisch passt –, für
        die Gegend um Schwerin oder Leipzig, Erfurt oder Dres-
        den. Also: wenn gegen Doping und Dopingmissbrauch
        kämpfen, dann deutschlandweit.
        In dem Antrag der Kollegen von der CDU/CSU heißt
        es anklagend – ich zitiere –:
        Sport war in der ehemaligen DDR Mittel staatlicher
        Repräsentation, staatlicher Propaganda; sportliche
        Spitzenleistungen sollten der Welt die Leistungs-
        fähigkeit einer Gesellschaft widerspiegeln und das
        Ansehen der ehemaligen DDR stärken.
        Zur Erweiterung Ihres Wissens auf diesem Gebiet
        möchte ich Ihnen ein Interview des Abgeordneten
        Kanther im Deutschlandfunk aus dem Jahre 1996 emp-
        fehlen. Auf die Frage nach dem Wert der in Atlanta von
        Deutschen eroberten Medaillen sagte er wörtlich:
        Sie sind ein nationales Anliegen. Sie sind in einem
        Teilaspekt Ausweis des Leistungsvermögens eines
        Volkes.
        Ich wiederhole den Namen: Kanther, damals Bun-
        desinnenminister.
        Abschließend: Doping ist in erster Linie eine medizi-
        nische Disziplin, in zweiter Linie eine juristische; ob man
        in den Ring steigen sollte, um Doping auch noch als poli-
        tische Disziplin vorzuführen, bezweifele ich sehr – weder
        mit Fünf-, noch mit Sechs-, Acht- oder Zwölf-Unzen-
        Handschuhen.
        Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17065
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        Druck: MuK. Medien- und Kommunikations GmbH, Berlin