Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001
Winfried Hermann
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1) Anlage 9
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17027
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Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 31.05.2001
Behrendt, Wolfgang SPD 31.05.2001*
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 31.05.2001**
Bläss, Petra PDS 31.05.2001
Dr. Blank, CDU/CSU 31.05.2001**
Joseph-Theodor
Burchardt, Ursula SPD 31.05.2001
Eymer (Lübeck), Anke CDU/CSU 31.05.2001
Friedhoff, Paul K. F.D.P. 31.05.2001
Dr. Friedrich SPD 31.05.2001
(Altenburg), Peter
Göllner, Uwe SPD 31.05.2001
Hempelmann, Rolf SPD 31.05.2001
Heubaum, Monika SPD 31.05.2001**
Ibrügger, Lothar SPD 31.05.2001**
Irmer, Ulrich F.D.P. 31.05.2001**
Kahrs, Johannes SPD 31.05.2001
Kasparick, Ulrich SPD 31.05.2001
Klappert, Marianne SPD 31.05.2001
Kutzmutz, Rolf PDS 31.05.2001
Lambrecht, Christine SPD 31.05.2001
Lintner, Eduard CDU/CSU 31.05.2001*
Meckel, Markus SPD 31.05.2001**
Ostertag, Adolf SPD 31.05.2001
Dr. Paziorek, Peter CDU/CSU 31.05.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 31.05.2001
Hans Peter
Schöler, Walter SPD 31.05.2001
Schultz (Everswinkel), SPD 31.05.2001
Reinhard
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 31.05.2001
Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 31.05.2001
Welt, Jochen SPD 31.05.2001
Wohlleben, Verena SPD 31.05.2001**
Zapf, Uta SPD 31.05.2001**
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 31.05.2001
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für
eine Reform des Stiftungszivilrechts (Stiftungs-
rechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 9)
Jörg Tauss (SPD): Vor knapp einem Jahr haben wir
hier im Deutschen Bundestag die Reform des Stiftungs-
steuerrechts beschlossen. Nach jahrelangem Nichtstun
auf diesem gesellschaftspolitisch so wichtigen Gebiet des
Stiftungsrechtes, nach jahrelangen Diskussionen und
Ankündigungen als Regierungspartei, scheint die FDP-
Fraktion vor stiftungsrechtlichem Eifer nur so zu sprühen
und legt nun im Abstand von wenigen Monaten den 3. Ent-
wurf für eine Novellierung des Stiftungsrechts vor. Schon
allein die Haltbarkeitsdauer der jeweiligen Entwürfe ist
Beleg für die Qualität der jeweiligen Entwürfe.
In der Begründung des Gesetzes heißt es: „Nach jahre-
langen Diskussionen innerhalb und außerhalb des Parla-
ments wurde am 14. Juli 2000 die Reform des Stiftungs-
steuerrechts beschlossen. Diese Reform steht bis heute
aus.“ Nun, so selbstkritisch hätte man dies seitens der
F.D.P.-Fraktion gar nicht erwartet, denn als Koalitions-
partner der vorherigen Regierung ist sie für den aufgelau-
fenen Reformstau mit verantwortlich, den sie hier an den
Pranger stellt.
Die rot-grüne Bundesregierung hat bei der Verabschie-
dung des Stiftungsrechtsreformgesetzes im vergangenen-
Jahr weitere Schritte angekündigt. In meiner Rede bei der
Verabschiedung habe ich den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung als Grundstein einer weitaus umfassenderen
Reform bezeichnet. Natürlich muss insbesondere über die
zivilrechtlichen Rahmenbedingungen zur Errichtung ei-
ner Stiftung nachgedacht werden. Dies erfolgt auch ge-
genwärtig in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Wir wer-
den seitens der Koalitionsfraktionen darauf aufbauend
Vorschläge hierzu unterbreiten.
Aber – und hier unterscheiden wir uns –, lieber Herr
Kollege Otto, anders als Ihre Fraktion werden weder die
rot-grüne Bundesregierung noch die Koalitionsfraktionen
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
im Abstand von weniger als zwei Jahren drei sich einan-
der nahezu ausschließende Gesetzesentwürfe vorlegen,
wobei der erste überhaupt nicht als Diskussionsgrundlage
angesehen werden kann und die Unausgereiftheit des
zweiten nur noch von der Unausgereiftheit des heute zu
diskutierenden damit dritten Gesetzentwurfes übertroffen
werden konnte.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, also eine große
deutsche Tageszeitung, die vermutlich nicht unbedingt in
dem Verdacht steht, besonders regierungsnah zu sein, hat
sich mit diesem stiftungsrechtlichen Findungsprozess der
F.D.P. sehr ausführlich befasst. Ohne in den Verdacht par-
teipolitischer Vorfestlegung zu kommen, kann ich die
„FAZ“ als Kronzeugen für den stiftungsrechtlichen Wirr-
warr anrufen, den Sie hier – nun in der Version 3.0 – heute
vorlegen. Überschrieben ist der Artikel mit den Worten:
„Langer Weg, kurzes Adieu – Die F.D.P. verirrt sich im
Stiftungsrecht“. Einen schöneren und zutreffenderen Titel
hätte man kaum finden können.
Im Januar 1999 hat die F.D.P. einen Entwurf vorgelegt,
der zwar laut Pressemitteilung das Stiftungsrecht nicht
nur reformieren, sondern revolutionieren sollte, bei den
Experten aus Wirtschaft, Verbänden und Wissenschaft le-
diglich beißende Kritik erntete. Losgelöst von jeder
Rechtstradition sollten Stiftungen ohne jede Genehmi-
gung oder Registereintragung durch einfache notarielle
Beurkundung entstehen können, eine Vorstellung, die
selbst den Notaren unheimlich war. Bewertung der
„FAZ“: „Konzeptionslosigkeit und mangelnde Durch-
dringung der Stiftungsrechtdogmatik wurde dem Entwurf
vorgehalten. Man hatte halt danebengeschossen, aber was
sollte es: Hauptsache, das Thema stimmte.“
Im März 2000 legte die F.D.P. einen neuen Entwurf
vor. Nunmehr sollten Stiftungen nicht im Wege freier
Körperschaftsbildung, sondern durch Eintragung in ein
Stiftungsregister entstehen – immerhin ein Fortschritt.
Dumm nur, dass die Frage, nach welchen Maßstäben und
mit welcher Publizitätswirkung denn ein solches Register
geführt werden sollte, aufgeworfen wurde. Vermutlich
waren diese Regelungen zu kompliziert. So ließ man diese
in der Vorlage des Gesetzentwurfes einfach weg.
Dafür kamen andere und vor allem alles andere als li-
berale Vorschläge: Ohne Begründung hieß es plötzlich,
dass auf Stiftungen, die nicht rechtsfähig sind, die Vor-
schriften für rechtsfähige Stiftungen entsprechend An-
wendung finden. Vermutlich war es wohl wieder zu kom-
pliziert oder aber die Zeit für die Wiedervorlage eines
Gesetzentwurfes reichte nicht aus, eine bewährte Diffe-
renzierung auch in den rechtlichen Regelungswerken
fortzuschreiben. Dieser „FAZ“-Artikel fasst den Unsinn
des ach-so-liberalen 2. Stiftungsrecht-Entwurfes wie folgt
zusammen: „Das hatte mit Deregulierung des Stiftungs-
rechts wenig zu tun. De facto kam es vielmehr einer Ab-
schaffung dieser Stiftungen gleich. Immerhin waren sie in
der Vergangenheit gerade wegen ihrer großen Gestal-
tungsflexibilität und mangelnder staatlicher Gründungs-
beteiligung so geschätzt. Erneut schrien die Fachleute auf.
Doch Hauptsache, die Schlagzeilen stimmten: Mit der
F.D.P. für ein liberales Stiftungsrecht! Was immer das
auch heißen mochte.“
Mit der vollmundigen Ankündigung, dass eine Stär-
kung der Stiftungen ein modernes Stiftungsrecht voraus-
setze, welche die F.D.P. nun schaffen werde, hat die F.D.P.
nun ihren heute zur Beratung anstehenden Gesetzentwurf
im letzten Monat mit großem Getöse der Presse vorge-
stellt – sozusagen als dritten Versuch. Die F.D.P. wäre gut
beraten gewesen, hätte sie auch auf ihre eigenen Experten
gehört und sich doch etwas mehr Zeit genommen, um
ihren dritten Anlauf vorzubereiten. Nun werden mit die-
sem Gesetzentwurf Stiftungen gesetzlich definiert als
„nichtmitgliederschaftlich organisierte juristische Perso-
nen, die ein Zweckvermögen verwalten“. So weit, so gut
und auch noch nicht wirklich neu. Solche juristischen Per-
sonen sollen als „rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Stif-
tungen“ errichtet werden können. Fragen wir wie die
„FAZ“: „Jeder Jurist fasst sich da an den Kopf: Nicht-
rechtsfähige Stiftungen als juristische Personen? Wie soll
das gehen?“
Fast scheint es so, dass hierbei die Entwürfe der F.D.P.
etwas durcheinandergeraten sind. Ich möchte jedoch das
Ordnen der Versionen der F.D.P. überlassen. Sehr geehrte
Damen und Herren der F.D.P.-Fraktion, lieber Herr Otto:
Die „FAZ“ schlussfolgert in ihrem Bericht über die stif-
tungsrechtlichen Irrungen der F.D.P. wie folgt: „Um Pu-
blicity geht es, nicht um die Sache.“
Dass man – wenn man sich denn einmal sachlich ori-
entieren würde – auch Erfolg haben kann, belegt ein
Blick in die heutige „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Dort heißt es, dass das Gesetz zur weiteren steuerlichen
Förderung von Stiftungen vom 26. Juli 2000, das rück-
wirkend zum 1. Januar 2000 in Kraft trat, die Rahmen-
bedingungen für Stifter erheblich verbessert und zu einer
Vielzahl von neuen Stiftungsgründungen geführt hat.
Die „FAZ“ spricht gar von einem Stiftungsboom im
Jahr 2001.
Doch kommen wir, denn das ist ja das eigentliche
Thema heute, zum stiftungsrechtlichen Wirrwarr der
F.D.P.-Fraktion zurück. Die „Frankfurter Allgemeine Zei-
tung“ beschließt ihren Artikel über die vergeblichen
Mühen der F.D.P. im Stiftungsrecht mit der Feststellung,
dass sich die F.D.P. mit ihrem dritten Entwurf zu einer Re-
form des Stiftungszivilrechts aus der – ich zitiere wörtlich
– „ernst zu nehmenden Diskussion endgültig verabschie-
det hat. Schade.“
Dieser Feststellung braucht lediglich noch hinzugefügt
werden, dass dies leider nicht nur den Bereich des Stif-
tungsrechts betrifft. Schade, lieber Herr Kollege Otto.
Alfred Hartenbach (SPD): Ziel des vorliegenden Ge-
setzentwurfes ist die Stärkung der Stiftungskultur in
Deutschland. Dieses Ziel wird von uns ganz ausdrücklich
unterstützt. Im letzten Jahr wurden 500 Stiftungen ge-
gründet und in diesem Jahr scheint sich diese Zahl noch
zu erhöhen. Dies zu fördern und potenzielle Stifter stärker
zu unterstützen ist erklärtes Ziel der SPD. Und wir haben
schon eine große Anzahl von Maßnahmen zur Stärkung
des bürgerschaftlichen Engagements vorgelegt. Ich er-
wähne hier nur den ersten Teil der Stiftungsrechtsreform,
das neue Stiftungssteuerrecht.
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An die F.D.P.: Seit dem Regierungswechsel entwickeln
Sie plötzlich einen Aktionismus, einen stiftungsrechtli-
chen Eifer, obwohl Sie 16 Jahre lang Zeit hatten, das Stif-
tungsrecht nach Ihren Vorstellungen zu reformieren. Man
könnte es auch Übereifer nennen, da Sie heute Ihren drit-
ten Gesetzentwurf zur Novellierung des Stiftungsrechts in
dieser Legislaturperiode vorlegen, den dritten unüberleg-
ten und konzeptionslosen. Ihren ersten Gesetzentwurf
vom Januar 1999 warfen Ihnen die Länder, die Verbände
und die Wirtschaft sofort um die Ohren. Der zweite An-
lauf im März 2000 endete ebenfalls im Aus. Die Eintra-
gung von Stiftungen in ein Stiftungsregister sollte die Lö-
sung aller Probleme sein. Allerdings hatten Sie vergessen
zu regeln, nach welchen Kriterien und mit welcher Publi-
zität die Eintragung erfolgen sollte. Vergessen? Vielleicht
nicht vergessen. Vielleicht war es Ihnen einfach zu
schwierig und Sie haben es schlicht weggelassen. Doch
das Thema war populär und die Liberalen sollten in den
Schlagzeilen nicht fehlen.
In der Tat ist das Thema Stiftungsrecht kein einfaches.
Auch wir wollen bürgerschaftliches Engagement unter-
stützen. Wir wollen, dass das Verfahren für Stifter verein-
facht und verkürzt wird. Die Arbeitsabläufe müssen
verbessert und die Beratung und Anerkennung Stiftungs-
williger verstärkt werden. Wenn Verfahren durchschnitt-
lich 190 Tage in Anspruch nehmen, ist das zu lang. Die
Stiftungsbehörden könnten insbesondere einen schnellen
Kontakt zu den Finanzämtern zur Erlangung der Gemein-
nützigkeit herstellen. Dies würde Zeit sparen.
Doch wir werden uns keine Schnellschüsse leisten, die
wie der Ihre auf Publicity und Effekthascherei abzielen.
Wir werden das Ergebnis der eingesetzten Bund-Länder-
Arbeitsgruppe abwarten, die ihre Ergebnisse im Herbst
dieses Jahres vorlegen wird. Im Oktober 2000 wurde mit
Verbänden und Einrichtungen der Stiftungspraxis eine
Anhörung durchgeführt. Im September dieses Jahres wird
eine Anhörung von Sachverständigen insbesondere aus
der Wirtschaft erfolgen. Danach wird die Arbeitsgruppe
ihren Abschlussbericht vorlegen und erst dann werden wir
die notwendigen Regelungen in einer sauberen Art und
Weise erarbeiten. Dass Sie dazu nicht in der Lage sind, ha-
ben Sie mit Ihrem dritten und hoffentlich letzten Versuch
gezeigt.
Sie wollen eine grundlegende Reform des Stiftungs-
rechts im Bürgerlichen Gesetzbuch. Obwohl Sie an ande-
rer Stelle – der Schuldrechtsmodernisierung – das BGB
als nicht anzurührendes Denkmal beschwören, wollen Sie
hier eine völlige Neuregelung der Vorschriften. Sie neh-
men nicht zur Kenntnis, dass das geltende Stiftungsrecht
des BGB und die Stiftungsrechtspraxis funktioniert und
auch die überwiegende Mehrheit der Verbände eine solch
umfassende bundesgesetzliche Regelung des Stiftungs-
rechts für nicht geboten hält. Dies hat auch die Anhörung
im Oktober 2000 ergeben. Es geht also vielmehr um punk-
tuelle Verbesserungen. Die von Ihnen vorgeschlagenen
Regelungen verbessern aber das Stiftungsrecht nicht ein-
mal punktuell.
Nach Ihrem Entwurf werden Stiftungen gesetzlich als
„nicht mitgliedschaftlich organisierte juristische Perso-
nen, die ein Zweckvermögen verwalten“, definiert. Die
Definition als solche ist nicht neu. Nur lassen Sie der De-
finition den Satz folgen, dass eine Stiftung als nicht
rechtsfähige und als rechtsfähige Stiftung errichtet wer-
den kann. Was stellen Sie sich unter einer nicht rechts-
fähigen Stiftung als juristische Person vor? Die Schwie-
rigkeiten, die sich bei einer gesetzlichen Definition der
Stiftung ergeben, wurden schon in der Oktober-Anhörung
dargelegt und teilweise wurde davor gewarnt, ein eigenes
Rechtsinstitut im Gesetz zu schaffen.
Sie schlagen weiterhin vor, dass nicht nur eine, sondern
auch mehrere Personen eine Stiftung gründen können,
und möchten das gern unter dem Schlagwort „Bürgerstif-
tung“ verkaufen. Wie revolutionär! Dass diese Revolution
schon am 1. Januar 1900 erfolgt ist, nämlich mit der Ein-
führung des BGB, scheint Ihnen entgangen zu sein.
In Ihrem Problemaufriss zum Gesetzentwurf heißt es,
dass „staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen ehema-
lige Stiftungsmanager, denen rechtswidriges Verhalten im
Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit vorgeworfen wird, ge-
eignet sind, den guten Ruf der Stiftungen in Deutschland
zu beschädigen“. Soll das etwa heißen, dass die Tätigkeit
für eine Stiftung strafbefreiend wirkt? Über diesen Satz
sollten Sie noch einmal nachdenken.
Aber nicht alles ist schlecht an Ihrem Entwurf. So halte
ich zum Beispiel die von Ihnen vorgeschlagene Rechen-
schaftspflicht für überlegenswert. Ich lade Sie deshalb
ein, mit uns gemeinsam an der Verbesserung des materi-
ellen Stiftungsrechts zu arbeiten und für eine Stärkung der
Bürgergesellschaft einzutreten. Ihr Entwurf ist nicht der
Weisheit letzter Schluss, ... ein erneuter lebender Flop.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Es
ist zu begrüßen, dass mit dem Gesetzentwurf der Freien
Demokraten konkrete Vorschläge für die Reform des
Stiftungsrechts auf dem Tisch liegen, nachdem mehrfache
Ansätze vergeblich waren. Dieser Entwurf hat eine Reihe
von Anregungen der CDU/CSU aufgenommen. Durch
diesen Gesetzentwurf wird auch die Bundesregierung
daran erinnert, dass hier etwas geschehen soll. Besonders
beeindruckend und zu begrüßen ist, dass in 10 Para-
graphen des BGB knapp, übersichtlich und rechtlich
fundiert das über 100 Jahre alte Stiftungsrecht den mo-
dernen Bedürfnissen angepasst wird. Richtig ist, dass es
kein eigenes Stiftungsgesetz gibt, sondern dass die
Vorschriften dort im BGB bleiben, wo sie schon immer
waren und aus rechtlicher Nähe zum Vereinsrecht auch
hingehören. Wenn bei dem Entwurf die eine oder andere
Frage noch geklärt werden muss, so ist das vom Grund-
satz her unbeachtlich, denn dies wird in den Beratungen
geschehen.
Nach diesem Gesetzentwurf werden Stiftungen nichts
Geheimes mehr sein, sie werden auch nicht von der Laune
oder von dem Verständnis eines Beamten abhängen, der
die Genehmigung erteilt oder nicht. Stiftungen sind zu
genehmigen, wie wir es auch immer gefordert haben,
wenn sie den Gesetzen nicht widersprechen. Das ist die
Umkehrung: Was zählt, ist nicht die hoheitliche
Genehmigung, sondern der Anspruch auf Eintragung. Sie
haben ab einer gewissen Größe – ob bei 250 000 Euro, wie
vorgeschlagen, ist noch zu diskutieren – entsprechend den
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handelsgesetzlichen Vorschriften zu bilanzieren. Die
Stiftungen werden dadurch transparent sein und damit
wird Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, wie die Be-
gründung es richtig ausdrückt, steigen.
In Deutschland ist das Stiftungsgeschäft noch immer
mit einem Fragezeichen versehen, auch wenn die steuer-
rechtlichen Voraussetzungen bereits verbessert wurden.
Mancher Bürger glaubt, mit einem Stiftungsgeschäft
ließen sich „Geschäfte“ machen und insbesondere
Steuern sparen. Das ist nur bedingt richtig. Erst muss man
Geld verdienen, damit man es stiften kann. Um ein sim-
ples Beispiel zu nennen: Wenn der Stifter 10 000 DM
stiften will, muss er diese erst verdient haben. Beim un-
terstellten Steuersatz um 50 Prozent muss er für diese ges-
tifteten 10 000 DM keine 5 000 DM Steuern zahlen. Noch
simpler ausgedrückt: Wenn der Stifter die 10 000 DM
nicht gestiftet hätte, dann hätte er in seiner Geldbörse
nicht 10 000 DM mehr, aber immerhin 5 000 DM mehr.
Dies wird oft übersehen, wenn Stiftungen durchgeführt
werden, weil oft nur die 5 000 DM Steuerersparnis gese-
hen werden, aber nicht das Hergeben von 5 000 DM für
den Stiftungszweck. Ohne auf die steuerrechtlichen
Einzelheiten einzugehen, können im Grundsatz bis zu
40 000 DM jährlich gestiftet werden.
Ganz wichtig ist, dass die Stiftungen in Zukunft un-
kompliziert errichtet werden können und dass dies in
einem Rechtsakt geschieht. Ich erinnere an Hürden, die in
anderen Gesetzen vorgesehen waren, auch an frühere ir-
rige F.D.P.-Überlegungen. Dazu hat sich der Kollege
Rawert vor Wochen in der „FAZ“ polemisch ausgelassen.
Wer nur den ersten Absatz seiner Ausführungen gelesen
hat, meint, dass entsprechend dem F.D.P-Entwurf der no-
tarielle Rechtsakt für eine Stiftung immer noch notwendig
sei. Wenn es auch keine Genehmigung im bisherigen
Sinne geben soll, so ist durch die Eintragungsvorausset-
zungen zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung eine
gewisse Kontrolle da, die gegebenenfalls unüberlegte
Stiftungen oder auch Stiftungen, die den Gesetzen wider-
sprechen, verhindern kann.
Es entzieht sich derzeit noch meiner Kenntnis, warum
die Freien Demokraten in ihrem Entwurf eine nicht
rechtsfähige Stiftung ermöglichen wollen. Dazu besteht
meines Erachtens kein Anlass und es widerspricht auch
der Absicht, Klarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.
Überflüssig, weil sein 100 Jahren möglich, aber als
Hinweis nützlich ist, dass Stiftungen auch durch mehrere
Personen, gegebenenfalls auch durch juristische Perso-
nen, errichtet werden können. Das Schlagwort Bürger-
stiftung steckt dahinter; aber es muss deutlich gemacht
werden, dass es keine Stiftungsmitglieder gibt, sondern
höchstens berechtigte Destinatäre und dass mehrere
Bürger, die eine Stiftung errichten, keine Einzelberechti-
gungen haben.
Klargestellt ist im Entwurf, dass nicht nur gemein-
nützige Stiftungen errichtet werden können, sondern auch
Stiftungen zu jedem Zweck; die Familienstiftung ist aus-
drücklich aufgeführt. Zur Klarheit müssten – das sollte
auch für bestehende Stiftungen mit einer Übergangsfrist
gelten – die Stiftungstitel präzisiert werden, zum Beispiel
Familienstiftung, Unternehmensstiftung um sie klar von
den gemeinnützigen Stiftungen zu unterscheiden. Stifter
müssen dabei aber beachten, dass sie steuerrechtlich
weniger oder nicht begünstig werden. So können Erben
und Erbeserben auf Dauer der Zugriff auf das Vermögen
verwehrt bleiben und auf die Erträge beschränkt werden.
Dabei ist zu beachten, dass in solchen Stiftungen unter
Umständen die erbschaftssteuerliche Erfassung alle 30
Jahre erfolgt.
Der Entwurf sollte auch die Zustimmung der Länder
finden können, weil klargestellt ist, dass die Länder wie
bisher individuell die Stiftungshoheit haben und dass sie
Behören und Gremien bestimmen können, die die Rechts-
fähigkeit der Stiftung sozusagen durch Eintragung fest-
stellen. Stiftungsgesetze der Länder, die in ausreichendem
Umfang existieren, sollten wie bisher die BGB-Bestim-
mung als Rahmen nutzen können, um eigene Vorstellun-
gen zu verwirklichen, weil es gerade bei Stiftungen zwar
ein rechtlich einheitliches Korsett, aber keinen Einheits-
brei bei der Ausfüllung geben darf. Ich hoffe, dass damit
auch die immer wieder herumgeisternden Stiftungskam-
mern, die einen unnötigen bürokratischen Aufwand verur-
sachen, vom Tisch sind.
Wir leiden schon jetzt an den Kammersystemen, die oft
als Staat im Staate auftreten und manchmal reine Selbst-
befriedigungsbehörden darstellen. Ich habe bei einer Be-
ratung im letzten Jahr gesagt: Ich bin nur dann für
Stiftungskammern, wenn ich deren erster Präsident
werde. – Scherz beiseite, wir sollten keine neuen Gremien
fordern und wir sollten den Ländern ihre zum Teil her-
vorragend funktionierende Praxis belassen. In Baden-
Württemberg sind die Regierungspräsidien zuständig.
Das hat sich bewährt, weil eine quasi staatliche Kontrolle
sinnvoll ist, wenn sie schnell, zweckmäßig und an der
Sache orientiert ist.
Da, wo sich bei einzelnen Bundesländern Mängel bei
der Verwirklichung gezeigt haben – es soll so genannte
Verhinderungsbehörden bei Genehmigungen von Stiftun-
gen geben –, ist es Aufgabe der Landtage, für Ordnung zu
sorgen und gegebenenfalls die Kompetenzen an andere
Behörden zu übertragen, um Stifter durch schikanöse Be-
handlung nicht im Vorfeld abzuschrecken.
Stiftungen selbst können naturgemäß nur dann funk-
tionieren, wenn auch die steuerliche Begleitung, sprich:
die Entlastung des Stifters, damit einhergehen. Auch da
sollten klare und verständliche Vorgaben Wegbereiter für
den Stiftungswillen sein, wobei die derzeitigen Grenzen
nur Ansatz und Anfang sein können. Wir alle wollen, dass
private Stiftungen bei Kunst, Kultur, bei sozialer
Notwendigkeit der Jugendpflege, bei der Altenpflege,
aber auch bei der Integration von Ausländern oder Ge-
strauchelten Aufgaben wahrnehmen, die der Staat nicht
mehr wahrnehmen kann oder nicht wahrnehmen soll. So
werden schon jetzt Stiftungsprofessuren übernommen
und Theatern, Opern – Beispiel Deutsche Oper Unter den
Linden – oder Freilichttheatern wird das Überleben nur
durch Stiftungen ermöglicht.
Durch die Veröffentlichung entsprechend den handels-
gesetzlichen Vorschriften ist in einem gewissen Umfang
eine Kontrolle gegeben, damit mit den Stiftungsgeldern
nicht manipuliert wird. Wenn schon die steuerrechtliche
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privilegierte Stiftung sozusagen mit öffentlichen oder
halböffentlichen Geldern wirtschaftet, dann sind Sinn und
Zweck der Stiftung klar auszudrücken und zuweilen ist
der Geldfluss zu überprüfen. So dürfen gemeinnützige
Stiftungen nicht zu lukrativen Posten von abgeschobenen
Vorständen oder Aufsichtsratsmitgliedern von Firmen
missbraucht werden. Privaten Interessen oder Hobbys der
Stifter kann nicht steuervergünstigt nachgegangen wer-
den. Andererseits darf es aber auch nicht sein, dass der
Stifterwille durch steuerrechtliche oder sonstige Vor-
schriften so eingeschränkt wird, dass er verfälscht wird,
weil ein zuständiger Beamter einen anderen Kunst-
geschmack oder eine andere Vorstellung von sozialer Un-
terstützung hat. Hier gilt das Primat des Stifterwillens bei
weiter Auslegung der steuerlichen Kriterien.
Vernünftig ist auch, dass die neuen §§ 80 bis 88 BGB
mit einer Übergangsfrist für die derzeit bestehenden
rechtsfähigen Stiftungen gelten, damit in kurzer Zeit ein
einheitliches Stiftungsrecht besteht. Wir sollten diesen
Gesetzentwurf zügig beraten, mit einigen Verbesserungen
verabschieden und dann ebenso zügig den zweiten Teil,
die steuerrechtlichen Begleitgesetze entsprechend den
Vorschlägen der CDU/CSU, auf den Tisch legen und
ebenfalls verabschieden.
Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit Verlaub, liebe Kollegen von der F.D.P., aber über
Ihren neuesten Entwurf zur Reform des Stiftungsrechts
kann ich nur den Kopf schütteln! Es reicht nicht, sich in
Einleitung und Begründung des Entwurfs über die man-
gelnden Qualitäten des derzeitigen Stiftungsrechts und
die große Gefahr des Missbrauchs von Stiftungen zu be-
schweren. Ein Gesetzentwurf verlangt auch eine entspre-
chend gute Lösung. Ihr Entwurf bringt keine Lösung, im
Gegenteil: Er wirft neue Probleme auf. Nach Ihren Vor-
stellungen würde das Stiftungsrecht nicht einfacher, nicht
transparenter und ganz sicher nicht missbrauchsfester.
Aber sehen wir uns die Vorschläge im Einzelnen an:
Erstens. Stiftungszweck: In dem Entwurf ist jeder
rechtmäßige Zweck zur Gründung einer Stiftung erlaubt.
Wie soll aber ein Missbrauch verhindert werden, wenn es
zum Beispiel weiterhin möglich ist, eine Stiftung allein
zum Erhalt eines Unternehmens zu gründen? Diese Art
von Stiftung, die einem Unternehmen verbunden ist, des-
sen Einnahmen nicht zur Erfüllung des Stiftungszwecks
dienen, ist doch gerade diejenige Form von Stiftung, die
diese Organisationsform in Verruf bringt, wie es im Vor-
wort so ernsthaft angemahnt wird. Echte Stiftungen, wie
sie beispielsweise im Entwurf von Bündnis 90/Die Grü-
nen von 1997 geregelt sind, zeichnen sich durch ihre Pri-
vilegien in der Besteuerung aus. Warum sollten die oben
genannte spezielle Form der unternehmensverbundenen
Stiftung oder die Stiftung, die ausschließlich dem Unter-
halt eines bestimmten Nutznießerkreises gewidmet sind,
steuerlich begünstigt werden?
In der Begründung heißt es, dass nun ausdrücklich
auch die Stiftungen mit mehreren Stiftern – Bürgerstif-
tungen also – möglich sind. Dies ist aber schon seit In-
Kraft-Treten des Bürgerlichen Gesetzbuches möglich.
Das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stif-
tungen, das letztes Jahr unter erheblicher Beteiligung der
Grünen in Kraft getreten ist, hat allerdings die Bürgerstif-
tung durch die Neuregelung des Sonderausgabenabzugs
erst wirklich möglich gemacht.
Zweitens. Der Gesetzentwurf ist in Teilen selbst für ei-
nen Laien überaus unpräzise: Erst wird die Stiftung als
nicht mitgliedschaftlich organisierte juristische Personen
definiert; dann heißt es, solche juristischen Personen kön-
nen als rechtsfähige oder nicht rechtsfähige Stiftungen er-
richtet werden. Allerdings gibt es keine nicht rechtsfähi-
gen juristischen Personen. Zur Entstehung einer Stiftung
genügt nach diesem Entwurf die Registrierung. Dass dazu
auch noch ein Stiftungsgeschäft notwendig ist, bleibt ganz
unerwähnt.
Drittens. Zwar spricht der Entwurf von der notwendi-
gen Eintragung in ein Stiftungsregister; aber detaillierte
Angaben zur Einrichtung eines solchen Registers lassen
sich nicht finden. Die angekündigte Verhinderung von
Missbrauch, die gerade durch eine sinnvolle Regelung im
Zusammenhang mit dem Registereintrag entscheidend
beeinflusst werden könnte, wird hier vollständig vernach-
lässigt.
Viertens. Die hemmenden bürokratischen Strukturen
der derzeitigen Regelungen im Stiftungsrecht, die in der
unzureichenden Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch
und in der Uneinheitlichkeit der Behandlung der Stifter in
den Ländern zu suchen sind, werden durch diesen Ent-
wurf der F.D.P. nicht aufgelöst, sondern nur durch andere
ersetzt.
Auf der anderen Seite nimmt der vorliegende Entwurf
viele Punkte des bündnisgrünen Entwurfs von 1997 auf,
setzt sie aber nur unzureichend um. Nach unserer Vorstel-
lung geht es doch bei einer zivilrechtlichen Stiftungsre-
form um Folgendes:
Erstens. Einfachheit: Dabei kann es sich nicht simpel
um die Formel „alles sei erlaubt“ handeln, wie in dem vor-
liegenden Entwurf der F.D.P. Stattdessen muss man sich
der bestehenden Unübersichtlichkeit und Uneinheitlich-
keit der Gepflogenheiten bei der Stiftungserrichtung an-
nehmen und diese neu regeln.
Zweitens. Transparenz: Es ist doch kein Fortschritt in
Richtung Transparenz, noch mehr Arten von Stiftungen
zu genehmigen und davon nur bestimmten die Pflicht der
Rechnungslegung aufzuerlegen. Transparenz kann nur
durch ein bundeseinheitliches Stiftungsregister mit ein-
heitlichen Angaben und einer allgemeingültigen Rege-
lung zur Rechnungslegung sein.
Drittens. Verhinderung von Missbrauch: Jetzt muss
einmal klar festgelegt werden, welche Organisationsform
den Namen Stiftung verdient und welche nicht. Der Miss-
brauch ist dort anzutreffen, wo nicht das im weitesten
Sinne gemeinnützige Anliegen, sondern schnöde Steuer-
ersparnis den Stiftungszweck darstellt.
Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Was gegenüber
unseren Vorschlägen neu an ihm ist, ist unvollständig, in-
konsequent und stellt das Stiftungsrecht – ganz anders
als es im Vorwort heißt – eben nicht auf eine „neue qua-
litative und quantitative Stufe“. Da haben wir schon
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bedeutend bessere Vorschläge gemacht. Ich bin dafür,
dass wir uns ernsthaft mit diesem Thema beschäftigen,
wie es die Regierungskoalition jetzt schon tut, damit wir
nicht einen derart ungaren Vorschlag akzeptieren müssen,
der nur dazu führt, dass wir in einem halben Jahr alles
wieder neu regeln müssen.
Rainer Funke (F.D.P.): Vor bald einem Jahr, am
14. Juli 2000, wurde in diesem Hause die Reform des Stif-
tungssteuerrechts beschlossen. Mithilfe der B-Länder im
Bundesrat ist – das gebe ich gerne zu – ein respektables
Ergebnis herausgekommen, auch wenn einige steuerrecht-
liche Probleme – zum Beispiel die Zulässigkeit des so ge-
nannten „Endowments“ – weiter ihrer Lösung harren.
Mit der Änderung des Stiftungssteuerrechts wurde
aber nur die eine Hälfte der notwendigen Reform des Stif-
tungsrechts umgesetzt. Seit einem Jahr warten wir nun auf
den zweiten Teil der Reform. Die Diskussionen um die-
sen zweiten Schritt sind in der Zwischenzeit zum Erliegen
gekommen; das Thema ist von der politischen Bildfläche
verschwunden und dies, obwohl bei Parteien und Verbän-
den Übereinstimmung darüber herrscht, dass die Novel-
lierung von Stiftungssteuerrecht und Stiftungszivilrecht
zwei komplementäre Elemente eines Reformvorhabens
sind und dass dem vollzogenen ersten Schritt nun der
zweite folgen muss.
Bereits im Dezember vergangenen Jahres haben wir
die Bundesregierung ohne befriedigende Antwort nach
den Gründen für die Aufschiebung der Novellierung des
Stiftungszivilrechts gefragt. Was ist aus der vom BMJ ein-
gesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe geworden? Wo
bleiben die Ergebnisse? Die F.D.P. findet: Es ist genug
Zeit verstrichen.
Wir legen Ihnen deshalb heute einen Vorschlag für ein
neues Stiftungszivilrecht vor, der vor allem eines will: Die
Errichtung von Stiftungen vereinfachen und die Transpa-
renz der Stiftungsarbeit erhöhen.
Es geht aber auch noch um anderes: Die Liberalen wol-
len die öffentliche Diskussion über die Reform des Stif-
tungszivilrechts wieder in Gang setzen. Deutschland
braucht ein Stiftungsrecht, das zum Stiften anregt und
nicht durch zu viele bürokratische Hürden abstößt. Dieje-
nigen, die sich bereits entschlossen haben, Stifter zu wer-
den, muss eine deregulierte Stiftungsaufsicht effizienter
unterstützen.
Nun hat unser Entwurf in der Öffentlichkeit bereits
vereinzelt negative Reaktionen ausgelöst. Ich sage hier
nur so viel dazu: Wir haben auch jede Menge Zustimmung
erfahren. Wenn der deutsche Kulturrat, der Bundesver-
band der Deutschen Stiftungen und das Maecenata-Insti-
tut unsere Initiative unterstützen, so kann die F.D.P. mit
parteipolitisch instrumentalisierten Missmutsäußerungen
leben.
Lassen Sie mich abschließend noch eines sagen: Dass
der F.D.P.-Gesetzentwurf so nicht Gesetz wird, ist uns
klar. Gesetzgebungsverfahren haben es so an sich, dass in
ihrem Verlauf noch vieles geändert oder ergänzt wird. Das
haben Sie, meine Damen und Herren von den Regie-
rungskoalitionen, gerade mit ihrem eigenen Gesetzent-
wurf zu einer weiteren Förderung des Stiftungsteuerrechts
im vergangenen Jahr in eindrucksvoller Weise selbst er-
lebt.
Betrachten Sie unseren Vorschlag daher als Grundlage
für eine fraktionsübergreifende Lösung! Lassen Sie uns
über den richtigen Weg und die richtigen Mittel streiten!
Denn das Thema ist viel zu wichtig, als das es in partei-
politischen Grabenkämpfen ausgefochten und zerredet
werden sollte. Niemand wird sich zum Stiften animiert
führen, wenn er den Eindruck gewinnt, selbst die Fraktio-
nen des Deutschen Bundestages können sich nicht auf ei-
nen vernünftigen Entwurf einigen.
Heinrich Fink (PDS): Die PDS unterstützt das Anlie-
gen der F.D.P., mit ihrem Gesetzentwurf nun endlich auch
bei der Reformierung der zivilrechtlichen Rahmenbedin-
gungen des Stiftungswesens ein zügigeres Tempo vorzu-
legen. Allerdings war mit der Einrichtung einer
Bund-Länder-Arbeitsgruppe abzusehen, dass greifbare
Ergebnisse nicht so schnell auf dem Tisch liegen würden.
Noch bedenklicher ist allerdings, dass für die Bundes-
regierung die Notwendigkeit von Änderungen der zivil-
rechtlichen Rahmenbedingungen offenbar noch keines-
wegs feststeht. Denn laut einer Antwort auf eine
entsprechende Anfrage der F.D.P. – Bundestagsdrucksa-
che 14/5055 – will sie nur „gegebenenfalls“ in dieser Sa-
che initiativ werden. Dieser Vorbehalt steht meines Er-
achtens im eklatanten Widerspruch zur eindeutigen
Tendenz in der bisherigen Debatte, sowohl innerhalb als
auch außerhalb des Parlaments. Alle Parteien, einschließ-
lich die Regierungskoalition, waren sich einig, dass neue
zivilrechtliche Rahmenbedingungen unerlässlich sind.
Beim erreichten Stand der Debatte kann es sich also nur
um die Frage handeln, welche Veränderungen am zweck-
mäßigsten sind, nicht aber, ob Veränderungen überhaupt
nötig sind.
Die PDS erwartet also nicht „gegebenenfalls“, sondern
auf jeden Fall eine Gesetzesinitiative der Bundesregie-
rung zu einer Reform des Stiftungszivilrechts. Die große
Mehrheit meiner Fraktion hatte den erweiterten steuerli-
chen Begünstigungen für Stifter und Stiftungen nur im
Vertrauen darauf zugestimmt, dass diese Vergünstigungen
durch entsprechende zivilgesetzliche Regelungen eine
stärkere zivilgesellschaftliche und demokratische Grund-
lage erhalten.
Bei diesen Regelungen muss es aus meiner Sicht da-
rum gehen das Stiftungswesen von bürokratischen Hem-
mnissen zu befreien und ihm wesentlich mehr Rechtssi-
cherheit, Transparenz und Öffentlichkeit zu verleihen, als
das jetzt der Fall ist. Die zivilrechtlichen Rahmenbedin-
gungen müssen so ausgestaltet sein, dass sie neben der
steuerlichen Stimulierung einen eigenständigen Motivati-
onsschub für potenzielle Stifter auslösen. Schließlich will
ich nicht verhehlen, dass wir von den zukünftigen Rege-
lungen auch einen wirksamen Schutz vor Missbrauch des
Stiftungsrechts für privatnützige oder wirtschaftliche In-
teressen erwarten.
Der vorliegende Gesetzentwurf der F.D.P. ist geeignet,
in diese Richtung zu wirken. Dies erreicht er nicht zuletzt
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dadurch, dass er im Vergleich zum Gesetzentwurf von
1999 wichtige Elemente der seitherigen Debatte aufge-
griffen hat, die auch von der PDS nachdrücklich unter-
stützt wurden.
Dazu gehören vor allem die Eintragung in das Stif-
tungsregister als Voraussetzung für die Entstehung der
Rechtsfähigkeit einer Stiftung und – unter bestimmten
Voraussetzungen – die Erstellung von Jahreabschlüssen.
Wie ich den Umstand zu interpretieren habe, dass im
Artikel zum Stiftungszweck das Recht von Stiftungen,
Unternehmen zu betreiben oder sich an Unternehmen zu
beteiligen, nun nicht mehr erscheint, weiß ich noch nicht
so recht. Aber ich denke, hier wird mich Herr Otto in be-
währter kollegialer Weise im Ausschuss aufklären. Mir je-
denfalls wäre es sehr sympathisch, wenn solcherart unter-
nehmensverbundene Stiftungen außen vor blieben.
In einigen Punkten befriedigt der vorliegende Entwurf
allerdings nicht. Auf zwei Elemente will ich kurz hinwei-
sen: Nach wie vor halte ich es für eine gute Idee, den Be-
griff der „Stiftung“ ausschließlich für die steuerbegüns-
tigte gemeinnützige Stiftung zu reservieren und sie so von
den verschiedenen Formen von Privatstiftungen abzu-
grenzen. Dies würde die Akzeptanz dieser Institution in
der Bevölkerung deutlich erhöhen.
Meines Erachtens ist ein Jahresabschluss nach den Vor-
schriften des Handelsgesetzbuches nicht ausreichend, um
der Forderung nach größtmöglicher Transparenz und Öf-
fentlichkeit hinreichend Rechnung zu tragen. Wichtig ist
doch vor allem ein jährlicher Finanz- und Tätigkeitsbe-
richt, der für die betroffene und interessierte Öffentlich-
keit übersichtlich, verständlich und zugänglich ist. Ich
sehe auch nicht ein, warum eine solche öffentliche Re-
chenschaft erst bei Einnahmen oder Ausgaben von über
250 000 Euro beginnen soll.
Schließlich will ich angesichts des vorliegenden Ge-
setzentwurfes nachdrücklich daran erinnern, dass in eine
umfassende Reform des Stiftungswesens auch das ge-
samte Gemeinnützigkeitsrecht einbezogen werden muss.
Von den vielen Aspekten, die dabei zu berücksichtigen
sind, will ich nur einen hervorheben: In einen zukünftigen
Katalog von gemeinnützigen Zwecken müssten auch sol-
che Zwecke aufgenommen werden wie Überwindung der
Arbeitslosigkeit, Gewährleistung von Chancengleichheit
zwischen den Geschlechtern, die Durchsetzung einer
nachhaltigen Entwicklung in allen gesellschaftlichen Be-
reichen sowie Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, mi-
litärische Gewalt nicht mehr als Mittel innerer und äuße-
rer Politik zuzulassen.
Eine solche Ausdehnung der Tätigkeitsfelder würde
die Stiftungen noch stärker in der Gesellschaft verankern
und ihnen zu noch größerer Wirksamkeit verhelfen. Das
ist ja wohl das hauptsächliche Ziel der von uns allen an-
gestrebten Reform.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz: Die F.D.P. beabsichtigt, „die
Stiftungskultur in Deutschland auf eine neue Stufe der
Qualität und Quantität zu heben“ – so die Drucksache.
Dieses Anliegen kann ich unterstützen. Die Stiftungs-
kultur in Deutschland bedarf der Förderung. Aber die Um-
setzung dieses Anliegens im vorliegenden Gesetzentwurf
verdient keinerlei Unterstützung. Der Gesetzentwurf bie-
tet nichts, um der Stiftungskultur tatsächlich Impulse zu
verleihen. Zur Erinnerung: Die Mehrheit des Hauses hat
die steuerlichen Voraussetzungen für die Stiftungen be-
reits verbessert. Nun sind wir dabei, auf einer soliden
Grundlage zu prüfen, ob auch im Bereich des materiellen
Stiftungsrechts Reformbedarf besteht.
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Für das Stiftungs-
wesen können wir nur dann etwas bewirken, wenn die
Diskussion auf eine sachliche Grundlage gestellt wird.
Weder schlagwortartige Pauschalurteile noch Aktionis-
mus bringen in der Sache einen Nutzen. Eher schadet es
dem Stiftungswesen, wenn wir uns nicht ernsthaft mit den
anstehenden rechtlichen und ordnungspolitischen Fragen
auseinander setzen.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht, die
seit Juni vergangenen Jahres unter Leitung des Bundes-
ministeriums der Justiz alle diese Fragen rechtstatsächlich
untersucht und aufbereitet und den Sachverstand von Ver-
bänden und Einrichtungen der Stiftungspraxis sowie von
Sachverständigen in ihre Arbeit einfließen lässt, wird bald
ihren Abschlussbericht vorlegen. Damit wird eine Basis
für sinnvolle gesetzgeberische Überlegungen geschaffen.
Ich will einige Punkte aus dem F.D.P.-Entwurf heraus-
greifen: Er sieht beispielsweise vor, dass Stiftungen künf-
tig nicht durch Genehmigung, sondern durch Eintragung
in ein Stiftungsregister Rechtsfähigkeit erlangen sollen.
Das „umständliche Genehmigungsverfahren“ müsse ab-
geschafft werden. Bei genauer Betrachtung fällt jedoch
sofort auf: In einem Registrierungsverfahren müssten die
gleichen Voraussetzungen für eine Stiftungserrichtung
wie im Genehmigungsverfahren geprüft werden.
Ich verweise auf § 82 BGB des Gesetzentwurfs. Dort
werden die Anforderungen an eine Stiftungssatzung zwin-
gend vorgegeben. Nur wenn diese Anforderungen erfüllt
sind, ist die Stiftung durch die Behörde in das Stiftungs-
register einzutragen, um mit diesem hoheitlichen Akt
Rechtspersönlichkeit zu erlangen. Die in Ihrem Entwurf
genannten Anforderungen an eine Stiftungssatzung sind
die gleichen, die in den Landesgesetzen fast einheitlich
bereits geltendes Recht für die Satzungsanforderungen
und damit auch für die Genehmigung sind. Wo soll der
Vorteil des Entwurfs liegen?
In § 81 BGB wird vorgeschlagen, dass eine Stiftung zu
jedem rechtmäßigen Zweck errichtet werden darf. Das ist
bereits geltende Rechtslage. In § 84 BGB des Gesetzent-
wurfs schlagen Sie vor, dass rechtsfähige Stiftungen der
Rechtsaufsicht unterstehen. Auch das ist bereits beste-
hende Rechtslage. Niemand beabsichtigt, daran zu rüt-
teln. Für Stiftungen, deren jährliche Einnahmen oder Aus-
gaben 250 000 Euro übersteigen, wird in § 86 BGB die
Pflicht zur Erstellung eines Jahresabschlusses vorge-
schlagen. Das ist zunächst einmal keine Vereinfachung
des Stiftungsrechts, sondern belastet Stiftungen mit einer
weiteren Pflicht. Ich stimme dem Anliegen des Gesetz-
entwurfes aber insoweit zu, dass es durchaus sinnvoll ist,
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zur Rechnungslegungspublizität weitere Überlegungen
anzustellen. Eine Insellösung ist jedoch abzulehnen.
In einem Kommentar zum heute vorliegenden F.D.P.-
Gesetzentwurf in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“
vom 24. April 2001 hat Professor Rawert, der wahrlich
nicht als Verteidiger des geltenden Stiftungszivilrechts
gilt, der F.D.P. bedauernd bescheinigt, dass sie sich mit
diesem Entwurf „aus der ernst zu nehmenden Diskussion
endgültig verschiedet“ habe. Gleichwohl lade ich Sie wie
auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktio-
nen ein, auf der Grundlage des Abschlussberichts der
Bund-Länder-Arbeitsgruppe darüber zu sprechen, welche
gesetzlichen Regelungen und Änderungen erforderlich
sind, um dem Stiftungsalltag zu nutzen und dem Stif-
tungswesen tatsächlich Impulse zu geben, was durch ge-
eignete Verwaltungsmaßnahmen verbessert werden kann.
Der vorliegende Gesetzentwurf der F.D.P. leistet jeden-
falls dazu keinen geeigneten Beitrag und kann deshalb
keine Zustimmung finden.
Meines Erachtens muss das Ziel all unserer Überle-
gungen sein, Menschen zur Errichtung von Stiftungen zu
ermuntern. Das können Maßnahmen sein, die bürokrati-
sche Abläufe vereinfachen. Das kann mehr Beratung be-
deuten, möglicherweise auch eine entsprechende Ver-
pflichtung der Behörden. Auch das Zusammenwirken der
Behörden, wie zwischen Aufsichts- und Finanzverwal-
tung, kann verbessert werden.
Insgesamt wollen wir dahin gehend eine Klimaände-
rung bewirken, dass Stiftungswillige nicht als Belästi-
gung, sondern als willkommene Unterstützer des Ge-
meinwohls behandelt werden. Bürgerengagement bedarf
dort der Unterstützung durch die staatlichen Institutionen,
wo es sich im allgemeinen Interesse entfaltet. Aus der
Sicht der Bundesregierung bedarf es keiner grundsätzli-
chen Umwälzung des materiellen Stiftungsrechts, mag es
auch in Einzelfragen Diskussionsbedarf geben. Insgesamt
muss es mehr Service geben. Die Bundesregierung ist zu
einer vorurteilsfreien, konstruktiven Diskussion bereit.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Unterrichtung: Lebenslagen in Deutschland; Der
erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
regierung
– Antrag: Konsequenzen aus dem Armuts- und
Reichtumsbericht ziehen
(Tagesordnungspunkt 10 und Zusatztagesord-
nungspunkt 8)
Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.): Nun liegt er uns also
vor, der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundes-
regierung. Nach der ersten Lektüre habe ich spontan über-
legt, ob ich nicht meine alte Rede, die ich zur Einführung
der Armuts- und Reichtumsberichterstattung gehalten
habe, nochmals vortrage. Sie wäre immer noch aktuell.
Wirklich Neues ist nicht zutage getreten. Es fängt bei
der Definition der Armut an. Selbst die Autoren dieses Be-
richts können sich nicht auf eine Definition einigen, was
denn nun arm ist. Ist es derjenige, der weniger als die
Hälfte des Durchschnittseinkommens verdient? Das wäre
die wissenschaftliche Definition. Dann wären die jetzt Ar-
men aber immer noch arm, selbst wenn auf einen Schlag
jeder das Doppelte bekäme. Oder ist derjenige arm, der So-
zialhilfe bezieht? Hier sagt der Bericht – völlig zu Recht –,
dass Sozialhilfebezug fälschlicherweise mit Armut gleich-
gesetzt wird.
Wir wussten bereits vor dem Bericht, dass es für Fami-
lien mit Kindern in unteren Einkommensregionen sehr
schwer ist, mit dem Familieneinkommen zurechtzukom-
men. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregie-
rung zuletzt auf diesen Missstand aufmerksam gemacht.
Das Gleiche betrifft allein erziehende Frauen. Um dies
festzustellen, brauchte es diesen Bericht nicht, der ja die
Grundlage für Entscheidungen sein soll. Sie haben ledig-
lich Ressourcen und Zeit verschwendet.
Auch die Erkenntnis, dass ein höheres Bildungsniveau
tendenziell in der Lage ist, vor Armut zu schützen,
brauchte ich mir nicht erst aus dem Bericht zu erlesen. Sie
liegt auf der Hand. Aber wenn dieser Bericht der Bil-
dungsministerin – laut Organisationsplan der Bundesre-
gierung gibt es sie, glaube ich, noch – auf die Sprünge
hilft, soll es mir recht sein. Ich bin allerdings der Ansicht,
dass man an die Reform unseres Bildungswesens schon
lange hätte herangehen können. Wo sind denn Investitio-
nen in die Bildung? Und wo ist Ihr Konzept? Meine ver-
ehrte Kollegin Cornelia Pieper ist sicherlich gern behilf-
lich, wenn Sie nicht weiter wissen.
Die schönste Feststellung des Berichts ist aber – und da
war ich richtig froh –, dass der beste Schutz gegen Armut
ein Arbeitsplatz ist. Das habe ich bereits am 27. Januar des
letzten Jahres gesagt. Ich bin richtig erleichtert, dass
meine damalige kühne Behauptung jetzt wissenschaftlich
und amtlich bestätigt ist.
Ich hatte zwischenzeitlich Bedenken, dass es nicht so
sei. Diese Bedenken kommen mir immer dann, wenn ich
mir die Gesetzgebung der Koalition so anschaue. Sie hat
gleich zu Beginn ihrer Amtszeit die beschäftigungswirk-
samen Reformen der alten Bundesregierung – Stichwort:
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Schwellenwerte
im Kündigungsschutz – zurückgenommen. Sie hat dann
folgend eine Attacke auf die Existenzgründer mit ihren
Gesetzen zur so genannten Scheinselbstständigkeit gefah-
ren. Dabei stellt der Bericht fest, dass es die Selbstständi-
gen sind, die die Arbeitsplätze schaffen.
Gleichzeitig mit der Scheinselbstständigkeit hat sie die
630-DM-Jobs vernichtet. Paradoxerweise sind das gerade
die Jobs, mit denen die Familienväter in den unteren Ein-
kommensgruppen durch Zeitungsaustragen das kleine Fa-
milieneinkommen etwas aufgebessert haben. Das steht
auch im Bericht. Sehr konsequent ist diese Vorgehens-
weise nicht.
Nach den 630-DM-Jobs hat die Koalition den Mittel-
stand mit dem Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit überfal-
len. Den Ansatz, neue Jobs durch Teilzeitarbeit schaffen
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zu wollen, finden ja auch wir gut. Nur wollen wir die Teil-
zeit fördern und nicht verordnen. Die Koalition wird auch
keine sehr guten Argumente mehr für die Teilzeit bringen
können, solange sie die Teilzeitbeschäftigten nicht antei-
lig ihrer Arbeitszeit für die Berechnung der Größe der Be-
triebsräte heranzieht, sondern weiterhin einfach die Köpfe
zählt. So wird der Mittelstand – aus gutem Grund – alles
daransetzen, Teilzeitarbeit zu verhindern. Mehr Men-
schen in Beschäftigung bringen und damit aus der Ar-
beitslosen- oder Sozialhilfe holen wird die Koalition mit
dieser Vorgehensweise nicht.
Zeitgleich mit dem Teilzeitverordnungsgesetz hat sie
die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag zu befristen, erheb-
lich beschränkt. Es scheint also unterschiedliche Arten
von Arbeitsplätzen zu geben: diejenigen, die vor Armut
schützen, – das sind offensichtlich die unbefristeten –, und
die Arbeitsplätze, die nicht vor Armut schützen, also die
befristeten. Der Bericht stellt dazu sehr richtig fest, dass
ein befristeter Arbeitsplatz vielfach eine Brücke zu einem
festen Arbeitsverhältnis ist. Dem möchte ich mich an-
schließen.
Der absolute Höhepunkt in der Reihe dieser Gesetzge-
bungsverfahren wird derzeit beraten: das Betriebsverfas-
sungsgesetz. Ich prophezeie, dass auch diese Reform
nicht dazu beitragen wird, neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Ich befürchte vielmehr, dass es zu einem Arbeitsplatzab-
bau kommt und damit mehr Menschen einem Risiko rela-
tiver Armut ausgesetzt werden. Der Mittelstand wird
seine Belegschaften entsprechend den von der Koalition
aufgeblähten Schwellenwerten für Betriebsratsgrößen
und Freistellungen anpassen.
Ich habe es schon im letzten Jahr gesagt: Die Koalition
muss handeln. Sie muss den Arbeitsmarkt deregulieren
und flexibilisieren. Sie muss die Wirtschaft von Steuerlas-
ten und Bürokratiekosten entlasten. Damit schafft sie
Arbeitsplätze. Damit wird die relative Armut verringert.
Aber sie hat sich für einen anderen Weg entschieden.
Dieser Weg wird „Umverteilung“ heißen. Deshalb wollte
sie ja auch einen Reichtumsbericht. Dieter Schulte, Vor-
sitzender einer Organisation, die so reich ist, dass sie der
Koalition 8 Millionen DM für den Bundestagswahlkampf
geben kann, sieht ja durch den Bericht bereits einen An-
lass zur Umverteilung – und das, obwohl der Reichtum
tendenziell gleichmäßiger verteilt ist. Beispiel Immobi-
lien: In 1962 hatten nur 31 Prozent der Haushalte Immo-
bilienbesitz. 1998 hatten 51 Prozent der Arbeitnehmer
und 44 Prozent der Nichterwerbstätigen ihr eigenes Häus-
chen oder ihre Wohnung. 5 Prozent der Steuerzahler zah-
len bereits 40 Prozent des gesamten Aufkommens der
Einkommensteuer. Da kann man nicht mehr davon spre-
chen, dass noch Spielraum zur Umverteilung vorhanden
ist. Sie findet doch bereits statt.
Die Koalition sollte sich auf ihre Aufgaben konzen-
trieren und sich endlich um die Bildung kümmern. Sie
sollte sich der Familien annehmen und es mit einer
Arbeitsgesetzgebung versuchen, die zumindest keine Ar-
beitsplätze gefährdet. Das sind die Erkenntnisse, die die-
Koalition aus diesem ersten Armuts- und Reichtumsbe-
richt gewonnen haben sollte.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge
– Die deutsch-französischen Beziehungen neu be-
gründen
– Die deutsch-französischen Beziehungen mit Leben
erfüllen
(Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesordnungs-
punkt 9)
Gernot Erler (SPD): Mit ihrem Antrag unter dem Ti-
tel „Die deutsch-französischen Beziehungen neu begrü-
nen“ versucht die CDU/CSU-Fraktion, einen falschen
Eindruck zu erwecken – nämlich den, dass es schlecht
stehe um das Verhältnis zwischen Paris und Berlin und
zwischen unseren beiden Gesellschaften. Das Gegenteil
ist der Fall. Der politische und bürgerschaftliche Aus-
tausch zwischen Deutschland und Frankreich war noch
nie so intensiv wie heute. Deutsche und französische Spit-
zenpolitiker sind sich noch nie in so dichter Folge begeg-
net wie in diesen Zeiten.
Und, verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der rechten
Seite des Hauses, es gibt keinen Grund für Ihr Naserümpfen
über die Begegnungen im so genannten Blaesheim-Format.
Sie haben den Sinn dieser Treffen nicht verstanden, wenn
Sie dort reale Substanz vermissen oder gar Sprachlosig-
keit zu bemerken glauben. Das zeigt nur, wie weit weg Sie
sich von der deutsch-französischen Realität bewegt ha-
ben. Diese Abende verlaufen sehr lebhaft, die Dolmet-
scher werden dabei nicht arbeitslos und das Beisammen-
sein schafft die Atmosphäre, die wir für eine keative
deutsch-französische Zusammenarbeit brauchen. Ihre
buchhalterisch-administrativen Vorschläge eignen sich
da, wo sie nicht längst vollzogene oder eingeleitete Maß-
nahmen anmahnen, dagegen kaum dafür, neue Impulse zu
geben.
Wenn Sie sich einmal mit der ganzen Lebendigkeit der
deutsch-französischen Nachbarschaft und des Austau-
sches zwischen unseren beiden Ländern vertraut machen
wollen, dann lade ich Sie zu einem Besuch in meiner Hei-
matstadt Freiburg ein. Hier haben in der Schwarzwald-
hauptstadt und in der südbadischen Region im letzten Jahr
1 Million Menschen die Tour de France gefeiert, als sie
nach Freiburg kam. Hier bereitet man sich jetzt mit großer
Begeisterung auf den Deutsch-Französischen Gipfel am
12. Juni vor. Die Gipfelstadt ist gut gewählt – mit ihren
zahlreichen deutsch-französischen Bildungseinrichtun-
gen, dem Institut français, für dessen Erhalt wir in Frei-
burg mit Erfolg gestritten haben, und mit dem renom-
mierten Frankreich-Zentrum. Wir freuen uns in Freiburg
auf den hohen Besuch.
Es gab viele Anregungen für regional interessierende
Themen für die Tagesordnung des Gipfels, mehr als diese
aufnehmen kann. Aber gerade das ist ein Beleg für die Vi-
talität des deutsch-französischen Zusammenlebens in
dieser Region. Denn diese Wünsche kamen von beiden
Seiten des Rheins. Die Menschen in unserer Region wol-
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len gemeinsame Projekte, zum Beispiel eine echte Trina-
tionalität beim Euro-Airport Basel-Mulhouse-Freiburg,
wollen die Eisenbahnnetze auf beiden Seiten der kaum
noch wahrnehmbaren Grenze miteinander verbinden,
wollen gemeinsame kulturelle Programme ausbauen.
Und sie werden dies aus Anlass dieses Gipfels deutlich
machen.
Und natürlich rechnen wir damit, dass der Gipfel in
Freiburg bei dem wichtigen Thema des gemeinsamen
Kampfes gegen die Herausforderung des Rechtsradikalis-
mus, das im Zentrum des Programms steht, zu guten und
konkreten Ergebnissen kommen wird.
Man könnte noch viele andere Beispiele und Belege
dafür aufführen, dass Ihre pessimistische Bilanz des
deutsch-französischen Verhältnisses realitätsfremd ist.
Ich möchte hier aber eine Ihrer Forderungen aufgreifen.
Sie fordern die Bundesregierung auf, die parlamentari-
sche Dimension in der deutsch-französischen Zusammen-
arbeit zu stärken. Ich finde es eigentlich etwas seltsam,
dass Sie sich bei diesem Ziel an die Bundesregierung
wenden. Der Bundestag und seine Fraktionen sind selber
in der Lage, die parlamentarische Kooperation zwischen
deutschen und französischen Kolleginnen und Kollegen
zu intensivieren.
Ich will Ihnen dafür ein Beispiel geben. Seit Anfang
1999 gibt es zwischen der SPD-Bundestagsfraktion und
der Fraktion des Parti socialiste einen „Circle stratégique
franco-allemand“, geleitet von unserem französischen
Kollegen Guy-Michel Chauveau und mir und gefördert
von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Inzwischen haben, je-
weils abwechselnd in Paris und Berlin, fünf gemeiname
Konferenzen stattgefunden. Sie finden ein wachsendes
Interesse, nicht nur bei Abgeordneten der Asemblée Na-
tionale und des Deutschen Bundestages, sondern auch bei
beiden Regierungen, bei wissenschaftlichen Institutionen
und bei Vertretern der Industrie. Wir haben bisher in dem
„Circle“ über eine Reihe von aktuellen Sachthemen de-
battiert, so über NATO und europäische Verteidigungsi-
dentität, über den Kosovo-Konflikt, Perspektiven der
deutsch-französischen Rüstungskooperation, über die
Zukunft der Abrüstungs-Vertragspolitik, über Rüstungs-
exporte und die dazugehörigen europäischen Begren-
zungsregeln und zuletzt über die amerikanischen Rake-
tenabwehrpläne. Aber wir haben uns auch über die
Entwicklung in einigen Ländern und Regionen von bei-
derseitigem Interesse ausgetauscht wie Russland, Kauka-
sus, Ostasien mit China, Indien und Pakistan und bei un-
serem letzten Treffen über die Afrikapolitik beider
Länder.
Zwar konnten wir jedes Mal Minister und andere hoch-
rangige Sprecher beider Regierungen begrüßen, was un-
sere Diskussionen bereichert hat. Auf die Idee ist aber
noch keiner gekommen, die Regierungen in Paris und
Berlin aufzufordern, den „Circle stratégique“ zu fördern.
Das schaffen wir alleine – und vielleicht ist das ja eine An-
regung für Sie, diesem Beispiel für eine sehr intensive
parlamentarische Dimension in den deutsch-französi-
schen Beziehungen nachzueifern und auf diese Weise das
selber in die Hand zu nehmen, wofür Sie einen Anstoß sei-
tens der Bundesregierung verlangen.
Sie fordern in Ihrem Antrag auch, die Bundesregierung
solle gemeinsam mit der französischen Regierung Vor-
schläge und Initiativen in die Debatte um die Zukunft
der Europäischen Union einbringen. Ich muss Ihnen sa-
gen, dass wir mit dem bisherigen Verlauf der Diskussion
sehr zufrieden sind und ihn für angemessen halten. Die
Zukunft Europas und seiner Verfassung kann keine gou-
vernementale Veranstaltung sein. Wir haben nach der
Humboldt-Rede von Außenminister Fischer und der Ant-
wort von Präsident Chirac hier im Deutschen Bundestag
im Juni letzten Jahres eine lebendige europäische Diskus-
sion erlebt mit zahlreichen bemerkenswerten Beiträgen
aus allen europäischen Ländern. Aus Deutschland sind die
Beiträge des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers
hinzugekommen. Und am 28. Mai haben wir mit großem
Interesse gehört, wie sich der französische Ministerpräsi-
dent Lionel Jospin die „Zukunft des erweiterten Europas“
vorstellt.
Alle diese Konzepte sind nicht deckungsgleich. Wer
könnte das auch zum jetzigen Zeitpunkt erwarten? Aber
jeder dieser Beiträge hat unsere Diskussion bereichert.
Persönlich habe ich Jospins leidenschaftliches Eintreten
für eine prioritäre Entscheidung über die inhaltlich-politi-
schen Zielvorgaben Europas, bevor wir Beschlüsse über
Institutionen fällen, als überzeugend und äußerst anre-
gend empfunden. Die Zeit wird kommen, wo der Post-Niz-
za-Prozess – gemäß der verabredeten Zeitpläne wird das
2004 sein – zu konkreteren Ergebnissen kommen muss.
Bis dahin brauchen wir keine staatlich konzertierte, son-
dern eine offene Diskussion, an der sich die Bürger Euro-
pas so viel wie möglich beteiligen sollten.
Ich kann nur wiederholen: Im Kern beschreibt die
Mehrzahl Ihrer Forderungen das, was längst real existiert;
im Rest gehen Ihre Vorschläge in fragwürdige Richtun-
gen. Und das deutsch-französische Verhältnis ist 100-mal
lebendiger und mehr auf die Zukunft gerichtet als Ihr
bürokratisch-pessimistischer Negativsaldo der deutsch-
französischen Beziehungen.
Monika Griefahn (SPD): Die Beziehungen zu Frank-
reich müssen immer wieder neu erarbeitet werden, haben
aber auch durch die Tradition nach dem Krieg ein gesun-
des Fundament. Sie zählen sehr richtig die vielen Staats-
männer auf deutscher und französischer Seite auf
– leider fehlt Willy Brandt –, die dazu beigetragen haben.
Frankreich ist der wichtigste und engste Partner Deutsch-
lands in Europa.
Seit 1963 gibt es den Elysée-Vertrag. Seit die neue
Bundesregierung im Amt ist, hat es vielfältig neue Initia-
tiven – auch insbesondere auf Parlamentsebene – gege-
ben. So haben gerade gestern die auswärtigen Ausschüsse
der beiden Parlamente getagt und vereinbart, diese Tref-
fen fortzusetzen. Ein Treffen beider Parlamente ist bereits
von den Präsidenten besprochen worden und bald statt-
finden. Auf der individuellen Ebene laufen Aktivitäten der
Deutsch-Französischen Parlamentariergruppen, so zum
Beispiel das Hospitantenprogramm von Asemblée natio-
nale und Bundestag, das gerade vor zwei Wochen durch-
geführt wurde. Seit Anfang diesen Jahres finden regel-
mäßige informelle Treffen auf höchster Ebene statt. Ich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117036
(C)
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skizziere hier nur diejenigen Aspekte der deutsch-franzö-
sischen Beziehungen, die ohnehin bekannt sind. Jeden-
falls ist die Intensität der Zusammenarbeit mit Frankreich
ohne Beispiel in den internationalen Beziehungen und
bedarf schon allein deswegen keiner Neubegründung.
Ein weiterer Aspekt, der häufig in der Debatte zu kurz
kommt, ist die zivilgesellschaftliche Ebene der Koopera-
tion. Die Kolleginnen und Kollegen von der Union spre-
chen in ihrem Antrag zwar von kulturpolitischen Maß-
nahmen, die es zu verbessern gelte, lassen aber außer
Acht, dass wir gerade auf diesem Gebiet unzählige und
jahrelange Kontakte pflegen, die meiner Meinung nach
die Grundlage zum Erfolg der deutsch-französischen
Freundschaft und auch der Motoreigenschaft von
Deutschland und Frankreich für die europäische Integra-
tion sind. Dieser Antrag unterbewertet die Rolle der Zi-
vilgesellschaft völlig.
Wenn man daran denkt, dass über Jahrhunderte unsere
Völker ständig im Krieg standen und heute die deutsch-
französische Freundschaft so zur Normalität gehört, dass
sie von den jungen Menschen so gut wie gar nicht infrage
gestellt wird, dann hat der direkte Kontakt auf der Ebene
der Kommunen, der Sportvereine und der Berufsgruppen
eine erheblich Rolle gespielt und wird sie auch weiter
spielen müssen.
So haben wir bereits die Deutsch-Französische Hoch-
schule (seit September 1999 ist das Abkommen in Kraft,
beschlossen auf dem Gipfel von Weimar 1997); so wird
das Zentrum für Deutschlandstudien in Frankreich im
Herbst 2001 eröffnet; so gibt es eine Deutsch-Französi-
sche Hochschulexpertenkommission. Man denke auch an
die vielfältigen kulturpolitischen Beziehungen. So haben
die Kulturausschüsse von Assemblée nationale und Bun-
destag beschlossen gemeinsame Arbeitsgruppen mit den
Themen Stiftungsrecht, Filmförderung und kulturelle Di-
versität auf den Weg zu bringen. Außerdem gibt es keine
Konzentration der Kulturinstitute in Paris, wie die Union
meint, sondern ein vielfältiges Netz der Aktivitäten im
ganzen Land: vier Generalkonsulate, 15 Honorarkonsu-
late, fünf Goethe-Institute oder Nachfolgeorganisationen
in Kooperation mit Städten und Universitäten, die Föde-
ration der deutsch-französischen Kulturhäuser in sechs
französischen Städten, eines große Zahl deutsch-französi-
scher Kulturgesellschaften, davon allein 125 im größten
deutschen Dachverband, circa 2 000 Städtepartnerschaf-
ten, dazu eine Fülle von Direktkontakten von Schulen,
Universitäten, Theatern und Kulturvereinen und, nicht
zu vergessen, das deutsch-französische Jugendwerk mit
circa 7 000 Begegnungen von etwa 140 000 Jugendlichen
pro Jahr.
Ebenso haben wir die Regionalpartnerschaften der
Bundesländer mit einzelnen französischen Regionen: Nie-
dersachsen/Haute Normandie, Rheinland Pfalz/Bourgo-
gne, Thüringen/Picardie, Niederbayern/Oise.
Das Auswärtige Amt hat einen engeren Informations-
austausch zwischen GIIN und der französischen Seite bei
kulturellen Planungen mit dem Ziel vermehrter gemein-
samer Veranstaltungen initiiert. Geplant ist darüber hi-
naus die Einrichtung gemeinsamer deutsch-französischer
Kulturinstitute in Europa.
Der traditionelle Dialog zwischen beiden Ländern wird
immer mehr zu einem Dialog der Gesellschaften. Die Zi-
vilgesellschaft hat eine wachsende Bedeutung für Koope-
ration. Kontakte zwischen Multiplikatoren und Entschei-
dungsträgern kommen zu den traditionellen Kontakten
der Städtepartnerschaften, des Schüleraustausches und
der Regierungszusammenarbeit hinzu. Das ist auch die
große Chance für die Erarbeitung einer europäischen Ver-
fassung und den Prozess der weiteren europäischen Inte-
gration. Die Zivilgesellschaften sind dafür zwingend not-
wendig – unabhängig von der Frage, wie eng die
Freundschaft zwischen Jospin, Chirac und Schröder,
Fischer und Védrine persönlich ist.
Ich bin daher froh, dass der französische Premierminis-
ter Jospin in seiner Europarede vom vergangenen Montag
auch einen Konvent mit Beteiligung des Europaparla-
ments und der nationalen Parlamente vorgeschlagen hat.
Ich füge hinzu: Ich finde auch, die Zivilgesellschaft muss
daran beteiligt werden.
Die Grundkoordinationen der deutsch-französischen
Zusammenarbeit haben sich seit der Wiedervereinigung
und dem Regierungswechsel geändert. Die Neubelebung
der „relance“ darf als gelungen gelten, insofern müssen
die Beziehungen nicht neu begründet werden. Die neue
Zusammenarbeit ist auch durch den Generationenwechsel
gekennzeichnet. Die heutige Generation ist europäisch
und nicht nur deutsch-französisch sozialisiert. Ging es
früher um Versöhnung und die Bewältigung der Vergan-
genheit, so steht heute die Bewältigung der Zukunft von
Europa im Weltkoordinationensystem auf dem gemeinsa-
men Programm.
Es gibt aber immer noch Defizite; das will ich nicht
verschweigen: Der Spracherwerb der jeweils anderen
Sprache ist rückläufig. Dies ist eine der wichtigsten He-
rausforderungen für die Zukunft. Mobilität in der Ausbil-
dung und Etablierung hervorragender Ausbildungsstätten
ist unverzichtbar. Die jeweiligen Kulturinstitutionen in
dem jeweils anderen Land müssen noch stärker eu-
ropäisch ausgerichtet werden und bei knappen Ressour-
cen andere Prioritäten gesetzt werden. Man muss sich ge-
meinsam in Europa verständigen auf gemeinsame
Interessen in der globalisierten Welt. Denn wenn
Deutschland und Frankreich sich streiten, gibt es selten
eine einheitliche Position in Europa. Leider besetzen
dann andere Regionen der Welt die Posten und Positio-
nen – siehe IWF.
Fazit: Sowohl die politische und parlamentarische als
auch die kulturelle wie die zivilgesellschaftliche Zusam-
menarbeit im weiteren Sinne befinden sich in einem in-
tensiven Zustand, die ihresgleichen sucht in den Bezie-
hungen zu einem Partnerland, sei es in Europa oder
sonstwo in der Welt. Gerade die Regierung Schröder hat
dies erkannt und einen besonderen Aspekt auf eben die Zi-
vilgesellschaft und ihre Kommunikation untereinander
gelegt. Sie unterscheidet sich damit deutlich von der Vor-
gängerregierung, unterstützt und unterhält Kontakte auf
allen Ebenen. Was wir brauchen, ist die intensive Kom-
munikation mit den Bürgern in beiden Ländern, damit
diese beteiligt sind am Projekt Europa.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17037
(C)
(D)
(A)
(B)
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Ich habe als Student
und als Doktorand unter Franzosen die deutsch-französi-
sche Zusammenarbeit von ihrer besten Seite kennen ge-
lernt: die Neugier auf den anderen, die Herzlichkeit der
französischen Familien, das Vertrauen und die rückhalt-
lose Unterstützung durch die französischen Kollegen und
Wissenschaftler. Diese Erfahrung, die mit mir nach dem
Krieg Millionen von Deutschen und Franzosen über die
Wissenschaft, über Kommunen, Kirchen, Vereine, als
Schüler, Studenten, aber auch als Politiker erfahren ha-
ben, ist das Fundament der deutsch-französischen Bezie-
hungen. Und es ist ein solides Fundament. Nur auf diesem
soliden Fundament hat sich der europäische Einigungs-
prozess entwickeln können.
Aber auch gute Beziehungen müssen gepflegt werden.
Die allgemeine Großwetterlage zwischen Deutschen und
Franzosen wird maßgeblich bestimmt durch das Verhält-
nis der bilateralen Politik. Dieses Verhältnis ist zurzeit
stark eingetrübt. Die politischen Beziehungen haben sich
seit 1998 verschlechtert; die Behauptung des Bundes-
kanzlers, das deutsch-französische Verhältnis sei so gut
wie schon lange nicht mehr, ist schlichtweg falsch. Rich-
tig ist vielmehr, was Jean-Pierre Froehly im „Handels-
blatt“ erklärte, dass nämlich Sand im deutsch-französi-
schen Getriebe sei. Anders als zu Zeiten von Konrad
Adenauer und Charles de Gaulle, Helmut Schmidt und
Giscard d’Estaing, Helmut Kohl und François Mitterrand
stimmt derzeit zwischen den wichtigsten deutsch-franzö-
sischen Akteuren die Chemie nicht, weder zwischen
Kanzler Schröder, Staatspräsident Chirac, Premiermi-
nister Jospin noch zwischen Außenminister Fischer und
Außenminister Védrine. Selbst normale Arbeitskon-
takte leiden unter Sticheleien; wichtige Vorstöße, wie die
jüngste Rede von Premierminister Jospin, werden nicht
abgestimmt. Die Beraterin des Bundeskanzlers für
deutsch-französische Zusammenarbeit fristet ein Schat-
tendasein. Die vereinbarten Treffen auf der Ebene der
Staats- und Regierungschefs sind ohne Substanz und
Ergebnis.
Die Lähmung der deutsch-französischen Beziehungen
auf politischer Ebene kommt zur Unzeit. Gerade jetzt be-
findet sich der Aufbau Europas in einer entscheidenden
Phase. Gleichzeitig verlangen Globalisierung und die da-
mit verbundenen Chancen und Risiken entschlossenes
und möglichst geschlossenes Handeln befreundeter Nach-
barn: Beide Nationen müssen Wirtschaft und Gesellschaft
an die Herausforderungen anpassen, müssen Strategien
entwickeln, die Chancen nutzen und gleichzeitig die Risi-
ken minimieren. Lassen Sie mich aus meinen Ausschüs-
sen zwei Beispiele nennen: Die rot-grüne Bundesregie-
rung hat mit ihrem dilettantischen Vorgehen in Sachen
Atommüll gegenüber den Franzosen viel Porzellan zer-
schlagen. Aber gerade in der Energiepolitik – und damit
auch in der Klimapolitik – wäre eine neue konstruktive,
technologische Offensive zum Beispiel im Bereich der
erneuerbaren Energien, umweltschonender Antriebstech-
niken im Verkehr und auch bei einer neuen Generation
kerntechnischer Anlagen – Stichwort EPR – nötig und
sinnvoll.
Gleiches gilt für die Entwicklungspolitik als Teil einer
globalen Vorsorgepolitik. Hier kommen gewaltige Pro-
bleme auch auf die Industrienationen zu, weil die Pro-
bleme der Entwicklungsländer immer stärker auf uns zu-
wachsen. Auch hier spielt – trotz mancher Lippenbe-
kenntnisse – noch jeder im eigenen Sandkasten, statt zu
erkennen, dass man gemeinsam effizientere und einfluss-
reichere Ansätze zum Beispiel in Afrika oder Südostasien
finden könnte. Dies sind nur zwei Beispiele; aber in bei-
den Fällen haben Deutschland und Frankreich spezifi-
sche, oft unterschiedliche Lösungsansätze und Traditio-
nen entwickelt, die man zum Wohle beider Länder
gegenseitig ergänzen und verbessern könnte. Ähnliches
lässt sich zum Beispiel bei der Bekämpfung der interna-
tionalen Kriminalität, bei der Rentenpolitik oder in Steu-
erfragen tun.
Leidenschaft der politisch Verantwortlichen fürein-
ander kann man nicht erzwingen; aber man kann die Be-
ziehungen neu beleben durch neue Ideen der Zusammen-
arbeit, durch neue, gemeinsame Initiativen. Davon bietet
der Antrag der CDU/CSU eine große Fülle.
Das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich
ist – gerade in diesen entscheidenden Jahren – zu wichtig,
als dass wir uns die derzeitige Eintrübung lange leisten
könnten. Die Bundesregierung muss einen neuen Anlauf
nehmen, die deutsch-französische Großwetterlage wieder
freundlicher zu gestalten. Der Antrag der CDU/CSU ist
dazu eine gute Aktionsgrundlage.
Irritationen mit Moskau, Vertrauenskrise mit den USA
und Sand im Getriebe der deutsch-französischen Bezie-
hungen – eine solche Außenpolitik ist nicht im deutschen
Interesse.
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): „Seit mehr
als einem halben Jahrhundert arbeiten wir Hand in Hand.
Zwischen uns ist die Aussöhnung abgeschlossen. ... Was
Deutschland und Frankreich im Laufe ihrer Geschichte
erlebt und erlitten haben, ist ohnegleichen. ... Nur sie ver-
mögen Europa voranzubringen, sei es bei der Verwirkli-
chung seiner Ziele, bei der Ausweitung seiner Grenzen
oder bei seiner Verankerung in den Herzen. ...“ Mit diesen
Worten hat uns der französische Staatspräsident Jacques
Chirac hier in diesem Hause am 27. Juni 2000 an die exis-
tenzielle Bedeutung der deutsch-französischen Beziehun-
gen für unseren gesamten Kontinent erinnert.
Gute deutsch-französische Beziehungen sind die ent-
scheidende Grundlage für Fortschritte im europäischen
Einigungsprozess. Dies war in der Vergangenheit so, von
der Montanunion und der EWG bis zum Binnenmarkt, zur
Währungsunion und zur Gemeinsamen Außen- und Si-
cherheitspolitik. Und so gilt es auch für die Gegenwart
und Zukunft.
Die deutsch-französischen Beziehungen haben jedoch
seit dem Regierungswechsel 1998 an Substanz, vor allem
in der Europapolitik, deutlich eingebüßt: zwischen den
deutschen und französischen Regierungsmitgliedern fehlt
die persönliche Beziehung.
Von den EU-Gipfeln in Berlin und Nizza gab es keine
deutsch-französische Abstimmung und keine gemeinsa-
men Initiativen. Deshalb bleiben wesentliche Entschei-
dungen, die die Handlungsfähigkeit der EU langfristig
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117038
(C)
(D)
(A)
(B)
sichern, auch nach diesen Gipfeln blockiert. Die Finan-
zierung der Gemeinsamen Agrarpolitik bleibt zwischen
Frankreich und Deutschland umstritten. Solange wir un-
sere Differenzen nicht in einem fairen Interessenausgleich
ausräumen und den EU-Partnern keinen gemeinsamen
Vorschlag präsentieren, wird es in dieser für die Zukunft
der EU vitalen Frage keine Lösung geben. Stattdessen be-
harrt der Bundeskanzler auf einer strikten Renationalisie-
rung der Agrarpolitik und erklärt vor dem Berliner Gipfel
auf einer Pressekonferenz mit Präsident Chirac in Paris, er
sei nicht dorthin gekommen, um sich zum französischen
Bauernpräsidenten wählen zulassen. Mit dieser schnod-
derigen Art wird die Atmosphäre der Regierungsge-
spräche kaum gefördert.
Für Frankreich bleibt die Landwirtschaft ein Kernele-
ment der EU. Das hat Premierminister Jospin in dieser
Woche in seiner Europarede klar bekräftigt. Ich zitiere:
„Was die gemeinsame Agrarpolitik anbelangt, so muss sie
in Zuständigkeit der Union verbleiben. Jeder Renationali-
sierung von Politiken, die bislang auf Unionsebene fest-
gelegt und umgesetzt wurden, ist eine Absage zu ertei-
len.“
Im Leitantrag der SPD, den der Bundeskanzler kürz-
lich vorgestellt hat, fordert er, „Aufgaben, die durch die
Mitgliedstaaten sachgerechter wahrgenommen werden
können, auf die nationale Ebene zurückzuverlagern, wenn
dies den Binnenmarkt nicht gefährdet. Das gilt insbeson-
dere für die Kompetenzen der EU in den Bereichen
Agrar- und Strukturpolitik.“
In diesem Punkt haben die deutsche und die französi-
sche Regierung völlig gegensätzliche Positionen. Und der
Außenminister kommentiert das wie folgt: „Die Rede von
Lionel Jospin zeigt eine Vielzahl von deutsch-französi-
schen Gemeinsamkeiten auf.“
Der Bundeskanzler fordert den Ausbau der Kommis-
sion zu einer starken europäischen Exekutive. Jospin sagt,
dieses Modell einer Förderation sei für Frankreich in-
akzeptabel, die derzeitigen Staaten erhielten darin den
Status eines deutschen Bundeslandes. Und der Herr
Außenminister sieht eine Vielzahl von deutsch-französi-
schen Gemeinsamkeiten.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Was soll denn
diese Beschwichtigung? Sie zeugt nicht von echtem Inte-
resse und Suchen nach Gemeinsamkeiten. Die derzeitige
Malaise in den deutsch-französischen Beziehungen liegt
nicht an unterschiedlichen Interessen und verschiedenen
Vorstellungen zur zukünftigen Verfasstheit Europas. Das
Problem sind die Indifferenz, die Sprachlosigkeit, die
durch förmliche Floskeln überdeckt wird. Die im elsässi-
schen Blaesheim vereinbarten Treffen der Staats- und Re-
gierungschefs beider Länder in sechs- bis achtwöchigem
Rhythmus sind ohne reale Substanz.
Europa braucht aber mehr denn je eine solide und zu-
kunftorientierte Partnerschaft zwischen Frankreich und
Deutschland. Beide müssen ihre Standpunkte ausgleichen
und annähern und gemeinsame Initiativen vorlegen, um
substanzielle Integrationsfortschritte in der EU zu errei-
chen. Das gilt in einer größeren Union nach der Erweite-
rung umso mehr.
Trotz der Gleichgültigkeit, die die Bundesregierung
gegenüber dem französischen Nachbarn an den Tag legt,
sind die deutsch-französischen Beziehungen im Kern sta-
bil und solide verankert. Das ist nicht zuletzt dem
Deutsch-Französischen Jugendwerk mit seiner erfolgrei-
chen Breitenarbeit zu verdanken, den 1 800 Städtepart-
nerschaften, 900 Hochschulkooperationen und Partner-
schaften von französischen Regionen und deutschen
Ländern.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland
und Frankreich ruhen auf einem dichten Netz der Part-
nerschaft zwischen Kommunen, Regionen, Kirchen,
Vereinen und privaten Initiativen. Austauschprogramme
für Schüler und Studenten haben eine beachtliche Inten-
sität.
Gleichwohl laufen die deutsch-französischen Bezie-
hungen Gefahr, auch auf dieser Ebene zu verkrusten: der
Altersdurchschnitt in den deutsch-französischen Gesell-
schaften ist hoch, das Interesse an der Sprache des ande-
ren Landes geht vor dem Hintergrund der Dominanz des
Englischen zurück, auch die gegenseitige Faszination
nimmt ab. Das gilt für die französische Bewunderung der
deutschen „sozialen Marktwirtschaft“ wie für die deut-
sche Bewunderung französischer Kultur und Lebensart,
auch bedingt durch den Prozess der Globalisierung. Wird
keine substanzielle Verbesserung der deutsch-französi-
schen Kooperation auf allen Ebenen – politisch, wirt-
schaftlich und gesellschaftlich – engagiert verfolgt, laufen
die deutsch-französischen Beziehungen Gefahr, zum
bloßen Ritual zu erstarren und langsam, aber sicher ihrer
Grundlagen beraubt zu werden.
Deshalb müssen auf allen Ebenen der Zusammenarbeit
Initiativen gestartet werden: zur EU-Erweiterung, zur
EU-Verfassungsdebatte, zur Gemeinsamen Außen- und
Verteidigungspolitik. Die Zivilgesellschaft muss noch
stärker einbezogen werden. Wir brauchen integrierte
Strukturen in der Forschung und integrierte deutsch-fran-
zösische Bildungsangebote bis zu den Hochschulen. Wir
müssen viele gesellschaftspolitische Herausforderungen
grenzüberschreitend diskutieren. Deutschland und Frank-
reich können und müssen die Keimzelle einer europä-
ischen Öffentlichkeit sein. Daher sollte die Bundesregie-
rung den Vorschlag von Premierminister Jospin, einen
europäischen Fernsehkanal einzurichten, konstruktiv auf-
greifen.
Den Lippenbekenntnissen zur Förderung des Fremd-
sprachenunterrichts steht die Schließung von Goethe-Ins-
tituten in Frankreich gegenüber, durch die das deutsche
Kulturangebot dort ausgedünnt wird. Der Bundeshaushalt
setzt hier falsche Schwerpunkte und zerstört ein Netz
deutscher Kunst- und Kulturförderung in Frankreich, das
später unwiederbringbar ist.
Wir sind nicht pessimistisch, sondern entschlossen, un-
seren Beitrag zur Pflege der guten deutsch-französischen
Beziehungen zu leisten. Das Fundament dieser Beziehung
ist solide: Deutsche und Franzosen kennen und schätzen
sich, der Austausch von Schülern, Studenten, Vereinen
funktioniert. Die Bedeutung der deutsch-französischen
Beziehungen wird parteiübergreifend anerkannt. CDU
und CSU werden sich, ihrer Tradition gemäß, für die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17039
(C)
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(A)
(B)
deutsch-französischen Beziehungen einsetzen und die
Bundesregierung dort unterstützen, wo sie es verdient. Al-
lerdings habe ich den Eindruck, diese Bundesregierung
misst den deutsch-französischen Beziehungen nicht die
notwendige Bedeutung bei, vernachlässigt sie und ge-
fährdet sie somit. Seit dem Regierungswechsel hat es
jedenfalls keine nennenswerte deutsch-französische Ini-
tiative der Bundesregierung gegeben, die man hätte un-
terstützen können.
Herr Außenminister, hier würden wir Sie von Herzen
gern einmal unterstützen. Wir wünschen der Bundesre-
gierung deshalb mehr Willen und Engagement für die
deutsch-französische Zusammenarbeit.
Ernst Burgbacher (F.D.P.): „Ein dominierendes
Deutschland, ein deutsch-französisches Paar, dessen
Bande sich sehr gelockert haben, ein Frankreich ohne
Seele und Ideen und auf der Suche nach seiner Rolle“, so
beschrieb die Wochenzeitung „Le Point“ die Lage nach
dem Nizza-Gipfel. „Le Monde“ urteilte, dass „das wirk-
lich bedeutsame Abkoppeln zwischen Frankreich und
Deutschland nicht in der Frage der Entscheidungsmecha-
nismen im Rat zu sehen ist, sondern im Verlust an wech-
selseitigem Vertrauen im Kontext der Erfahrungen der
Regierungskonferenz.“ Und Joachim Schild schreibt in
einer Frankreich-Analyse: „Von einer gemeinsamen euro-
päischen Führungsrolle waren Frankreich und Deutsch-
land weit entfernt. Ihre Haltungen waren nicht nur kein
Element der Lösung, sondern teilweise zentraler Bestand-
teil der Verhandlungsprobleme.“
Zwei hauptsächliche Charakteristika kennzeichnen
die deutsch-französischen Beziehungen vom Beginn der
Nachkriegszeit bis heute: Das erste Charakteristikum ist
die Unterschiedlichkeit der Interessen und Ansatz-
punkte. Deutschland und Frankreich haben völlig unter-
schiedliche historische, philosophische und sozialpoliti-
sche Traditionen. Wenn ein Franzose Begriffe wie Staat,
Nation, Heimat, ja Europa gebraucht, meint er damit et-
was völlig anderes als ein Deutscher, der dieselben Wör-
ter in den Mund nimmt. Daher haben Deutschland und
Frankreich in der Außen- und Europapolitik auch
zunächst einmal grundsätzlich unterschiedliche Interes-
sen. So hat Frankreich etwa in der Europapolitik immer
stark auf seine nationale Eigenständigkeit geachtet,
während Deutschland sehr viel eher bereit war, seine na-
tionalen Interessen durch die europäische Integration zu
verwirklichen. Es ist gerade der Unterschied dieser In-
teressen und Ausgangspositionen, der bis in die jüngste
Vergangenheit die deutsch-französische Zusammenar-
beit so fruchtbar für die europäische Integration machte.
Denn es gab immer den festen politischen Willen auf
beiden Seiten, gemeinsam an der Überwindung dieser
Gegensätze zu arbeiten und damit zum gegenseitigen
Nutzen und vor allem auch zum Nutzen Europas zu ge-
meinsamen Positionen zu kommen. Am Ende stand ein
Kompromiss, der gerade wegen der Gegensätzlichkeiten
der Ausgangspositionen so abgerundet und ausbalan-
ciert war, dass alle anderen Partner in Europa zustimmen
konnten – wenn manchmal auch nur mit zusammenge-
bissenen Zähnen. Wären Frankreich und Deutschland
sich in der Regel von vornherein einig gewesen, wäre ein
solch ausbalancierter Kompromiss nicht denkbar gewe-
sen und die anderen Partner in Europa hätten dies als
deutsch-französischen Direktoriumsbeschluss auch ab-
gelehnt.
Das zweite Charakteristikum in der deutsch-französi-
schen Zusammenarbeit ist ein ständiges Auf und Ab. Es
war gewiss nicht immer rosig und die Auseinanderset-
zungen wurden bisweilen mit aller Schärfe geführt. Dabei
wussten aber alle – übrigens in den Regierungen, in den
Parlamenten und in den Bevölkerungen – emotional und
rational, dass der jeweils andere der wichtigste Partner
war, wie es Klaus Kinkel in seiner Zeit als Außenminister
immer wieder gesagt hat. Die Qualität der Zusammenar-
beit war auch unabhängig von der parteipolitischen Aus-
richtung der jeweiligen Regierungen. So gut wie in den
geradezu idealtypischen Paarungen von Adenauer und de
Gaulle, von Schmidt und Giscard und von Kohl und Mit-
terrand konnte es natürlich nicht immer gehen. So
schlecht, lassen Sie mich dies aber in aller Deutlichkeit sa-
gen, wie heute war es aber noch nie.
Es gibt keine gemeinsamen deutsch-französischen Ini-
tiativen vor den Europäischen Räten mehr, wie sie früher
üblich waren. Die Europäischen Räte von Berlin und Niz-
za waren von deutsch-französischen Nickeligkeiten ge-
prägt und ließen gemeinsame Entwürfe vermissen. Die
europapolitischen Vorstellungen von Bundeskanzler
Schröder und Premierminister Jospin sind völlig unilate-
ral vorgetragen worden, ja die Entwürfe sind dem anderen
Partner offensichtlich noch nicht einmal vorab zur Kennt-
nis gegeben worden. Seine Antwort auf Bundeskanzler
Schröder fasst Premierminister Jospin in einem Satz zu-
sammen: „Europa schaffen ohne Frankreich abzuschaf-
fen, das ist mein politisches Credo.“ In diesem Satz wird
der Tiefstand gegenseitigen Misstrauens erschreckend
deutlich.
Nun ist es natürlich nicht so, dass für diesen Zustand
allein die Bundesregierung verantwortlich zu machen
wäre. Es gibt eine Reihe von Gründen in der französi-
schen Innenpolitik und im französischen Präsident-
schaftswahlkampf. Mit unseren französischen Freunden
sprechen wir in aller Offenheit darüber. Aber in diesem
Hohen Hause ist unser Ansprechpartner nun einmal die
Bundesregierung. Und bei ihr liegt nun wahrlich auch ein
gerüttelt Maß an Schuld für den desolaten Zustand
der deutsch-französischen Beziehungen. Bundeskanzler
Schröder hat kaum eine Gelegenheit verstreichen lassen,
die französischen Partner zu brüskieren. Beim ER Berlin,
als es um die Agenda 2000 ging, hat er in völlig unange-
messener Weise die deutsche Nettozahlerposition heraus-
gestellt und ist mit dem – auch aus unserer Sicht richtigen
Vorschlag zur Kofinanzierung in der Agrarpolitik so un-
sensibel vorgegangen, dass es Frankreich verstören
musste. Der ER Nizza wäre fast daran gescheitert, dass
Schröder es auf einen minimalen Unterschied in der Stim-
menneugewichtung im Rat zugunsten Deutschlands an-
legte. Dazwischen hat er mit dem berühmt-berüchtigten
Schröder-Blair-Papier viel Porzellan zerschlagen. Auf
den Schock von Nizza folgte die Verabredung, sich in Zu-
kunft regelmäßig zum Abendessen in den Weinbergen zu
verabreden. Man fragt sich aber, was die Herren außer der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117040
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Speisenfolge dort besprechen. Verbesserungen sind je-
denfalls nicht erkennbar.
Weil beide Länder seit den Veränderungen seit 1989
und ihrer veränderten Rolle in Europa und im gegenseiti-
gen Verhältnis noch nicht wirklich zurande gekommen
sind, wäre eine besondere Feinfühligkeit im Umgang mit-
einander wichtiger denn je. Und weil die Veränderungen
für Frankreich im Zweifel schwieriger zu verarbeiten sind
als für Deutschland, kommt Deutschland in dieser Part-
nerschaft im Moment eine besondere Verantwortung zu.
Daher fordern wir die Bundesregierung auf, die deutsch-
französischen Beziehungen wieder neu mit Leben zu er-
füllen. Der CDU/CSU-Antrag mit seiner Forderung einer
Neubegründung geht am Kern des Problems vorbei. Die
Basis für die deutsch-französische Zusammenarbeit ist
durch den Elysêe-Vertrag und seine Fortentwicklungen
gelegt, sie ist solide und tragfähig. Dazu gehören über
2 000 Städtepartnerschaften, 3 000 Schulpartnerschaften,
zahlreiche Universitätspartnerschaften, vor allem auch
die segensreiche Arbeit des Deutsch-Französischen Ju-
gendwerks. Das Netzwerk an institutioneller Zusammen-
arbeit, an Arbeitsgruppen, an Beamtenaustausch, an Kon-
sultationen usw. usf. ist so eng wie in wahrscheinlich
keiner anderen Partnerschaft zwischen zwei souveränen
Staaten dieser Erde. Was fehlt, ist der politische Wille der
Regierungen, dieses Netzwerk zu nutzen und mit Leben
zu erfüllen. Deswegen fordern wir die Bundesregierung
auf, Frankreich in ihrem politischen Denken und Handeln
wieder den Platz einzuräumen, der ihm zukommt.
Noch ein Wort an uns selber, liebe Kolleginnen und
Kollegen. Solange die Zusammenarbeit auf der Ebene der
Regierungen so starke Defizite aufweist, kommt es umso
mehr auf eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen
den Parlamenten an. Die deutsch-französischen Parla-
mentariergruppen leisten dazu auf beiden Seiten hervor-
ragende Arbeit. Die EU-Ausschüsse von Bundestag und
Assemblêe Nationale haben eine lobenswerte Initiative
entwickelt. Diese sollten wir tatkräftig unterstützen. Auf
mittlere Sicht wäre auch eine gemeinsame Plenarsitzung
unserer beiden Parlamente ein erstrebenswertes Ziel. Es
kommt in der deutsch-französischen Zusammenarbeit
auch darauf an, symbolträchtige Zeichen zu setzen.
Es kommt aber insbesondere darauf an, persönliches
Herzblut einzubringen. Wenn der französische Außenmi-
nister Vêdrine seinen deutschen Kollegen Fischer als
„Flötenspieler“ bezeichnet, zeigt dies, wie zerrüttet das
Verhältnis geworden ist. Wir können dem Bundeskanzler
und dem Außenminister diesen Vorwurf nicht ersparen:
Sie haben den deutsch-französischen Motor abgewürgt.
Wir werden alles dafür tun, diesen Motor wieder zum
Laufen zu bringen. Nur dann können wir die große He-
rausforderung der Erweiterung und damit der Wiederver-
einigung Europas meistern.
Wolfgang Gehrcke (PDS):Der Antrag der CDU „Die
deutsch-französisch Beziehungen neu begründen“ gibt
die Chance über diese Beziehungen im Bundestag zu dis-
kutieren. Wir haben gerade vor zwei Tagen dies gemein-
sam mit unseren französischen Freundinnen und Freun-
den im Auswärtigen Ausschuss getan. Das ist aber fast
schon alles, was ich positiv über den CDU-Antrag sagen
kann. Ansonsten bewegen sich die CDU-Vorschläge im
Rahmen des üblichen deutsch-französischen Alltagsge-
schäfts.
Der CDU-Antrag ist zeitlos wie ein „blauer Faltenrock“ –
dieser soll ja zu allen Anlässen passen. Trotzdem will ich
positiv wie negativ einen Vorschlag kommentieren.
Positiv ist mir aufgefallen, dass die CDU vorschlägt,
die Achse Deutschland-Frankreich durch ein Dreieck
Deutschland-Frankreich-Polen zu ergänzen. Dies ent-
spricht sowohl den geschichtlichen Anforderungen als
auch den Bedingungen der Osterweiterung der Europä-
ischen Union. Das unterstützt die PDS.
Besonders negativ hingegen bewerte ich den Vorschlag
der CDU, die deutsch-französische Rüstungszusammen-
arbeit noch weiter auszubauen. Bei Rot-Grün rennt die
CDU damit wohl offene Türen ein. Nicht in der Rüs-
tungszusammenarbeit, im gemeinsamen Rüstungsexport
liegt die Perspektive der deutsch-französischen Wirt-
schaftskooperation, sondern in einer engeren sozialen Zu-
sammenarbeit.
Genau diese ist ein Schwerpunkt in der jüngsten Euro-
parede des französischen Ministerpräsidenten Jospin.
Dass die SPD die Jospin-Vorschläge nicht offensiv auf-
greift, ist schon bezeichnend. Wer die Reden Schröder-
Jospin vergleicht, begreift, wo die Differenzen zwischen
Deutschland und Frankreich heute liegen.
Jospin schlägt für Europa unter anderem vor, soziale
Solidarität ins Zentrum zustellen, unsichere Arbeitsver-
hältnisse zu bekämpfen, Sozialdumping Widerstand zu
leisten und die kulturelle Vielfalt in Europa zu bekämpfen.
Jospin schlägt vor, ein europäisches Sozialrecht zu
schaffen, einen europäischen Sozialvertrag abzuschließen
und gemeinsam an einer Reform der internationalen Fi-
nanzarchitektur zu arbeiten. Davon findet sich verständli-
cher Weise im Antrag der CDU kein Wort.
Aber die Bundesregierung wäre gut beraten, die
deutsch-französische Zusammenarbeit nicht nur allge-
mein als „Motor der europäischen Einigung“ zu verste-
hen, sondern diese als „Motor für ein soziales Europa“
einzusetzen.
Dieser Art der Zusammenarbeit steht die rot-grüne Re-
gierung reserviert gegenüber. Das Schröder-Blair-Papier
ist ihr doch näher als die sozialen Vorschläge Jospins.
Für die PDS ist es umgekehrt: Wir sind ablehnend ge-
genüber dem neoliberalen Umbau Europas und treten
dafür ein, dass endlich soziale Fragen in Europa ein
größeres Gewicht einnehmen.
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
Frankreich ist unser engster und wichtigster Partner. Eu-
ropa gründet auf der deutsch-französischen Verständi-
gung, auf unserer engen Partnerschaft mit Frankreich.
Diese Beziehung ist nicht austauschbar und das wird auch
für die Zukunft der europäischen Integration gelten.
Die europäische Integration war eine französische
Idee. Die strategische Weitsicht und der politische Mut
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17041
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Frankreichs, mit dem „Erbfeind“ Deutschland, der ihr
Land dreimal in 70 Jahren mit Krieg überzogen hatte, im
besten Sinne des Wortes „gemeinsame Sache“ in der eu-
ropäischen Integration zu machen, sind in ihrer Bedeu-
tung gar nicht zu überschätzen. Sie waren – zusammen
mit dem Entschluss der USA, nach 1945 in Europa prä-
sent zu bleiben – die Antwort auf den historischen
Sprengsatz, der Europa seit dem 19. Jahrhundert unendli-
ches Leid zugefügt und zwei Weltkriege ausgelöst hat,
nämlich die Antwort auf die Frage: Wo liegt Deutschland?
Die deutsche Frage konnte nur im Rahmen der europä-
ischen Integration, deren festen Kern Deutschland und
Frankreich seit Jahrzehnten bilden, definitiv beantwortet
werden. Deutschland und Frankreich haben daher nicht
nur ein pragmatisches, sondern ein sehr viel tiefer gehen-
des, ein historisches Interesse an der Fortsetzung und Ver-
tiefung ihrer Partnerschaft.
Das Jahr 1989 markiert eine tektonische Verschiebung
der politischen Lage auf unserem Kontinent. Gerade auch
für die deutsch-französischen Beziehungen hat das ge-
wachsene Gewicht Deutschlands und seine wiederer-
langte Mittellage ebenso wie die Osterweiterung der Eu-
ropäischen Union neue Fragen aufgeworfen. Sicher kann
die alte Formel von Frankreich als politischer und
Deutschland als wirtschaftlicher Führungsmacht in Eu-
ropa nicht mehr taugen. Sie hat es in Wahrheit nie getan.
Ebenso sicher ist aber auch, dass Deutschland und Frank-
reich die Rolle des Schwungrads für die europäische In-
tegration weiter ausfüllen müssen; denn niemand anders
wird ihnen dies abnehmen können. Dies aber kann und
wird nur gelingen, wenn die politische Balance zwischen
Deutschland und Frankreich erhalten bleibt.
Diese Balance ist und bleibt die Grundlage des
deutsch-französischen Verhältnisses und damit auch der
europäischen Integration. Die deutsch-französische Part-
nerschaft unter den veränderten politischen Bedingungen
weiter zu festigen und, wo nötig, neu zu justieren, immer
mit Blick auf den europäischen Einigungsprozess, darin
besteht eine der großen außenpolitischen Herausforde-
rungen für unsere beiden Länder in der vor uns liegenden
Zeit.
Die Bundesregierung hat das deutsch-französische
Verhältnis von Anfang an zu einer Priorität gemacht. Die
Zusammenarbeit mit Frankreich ist deshalb außerordent-
lich eng. Mit Außenminister Vêdrine habe ich mich im
Vorfeld meiner Humboldt-Rede und auch danach über
alle wichtigen europapolitischen Fragen regelmäßig eng
abgestimmt. Gleiches gilt für die Kosovo- und Südosteu-
ropapolitik. Treffen der Staats- und Regierungschefs und
der Außenminister im Blaesheim-Format finden alle
sechs bis acht, bzw. sogar alle drei Wochen statt.
Fazit: Mit keinem anderen Partner gibt es eine so re-
gelmäßige und enge Abstimmung wie mit Frankreich.
Diese Intensität der Zusammenarbeit ist in den internatio-
nalen Beziehungen wohl ohne Beispiel. Niemand kann
uns also vorwerfen, die Kontakte mit Frankreich nicht so
eng, wie es uns möglich ist, zu gestalten.
Die Opposition wirft der Bundesregierung vor, dass die
Positionen Deutschlands und Frankreichs oft nicht
deckungsgleich sind und dass es zu wenige deutsch-fran-
zösische Initiativen in der Europapolitik gibt. Dieser Vor-
wurf greift in mehrfacher Hinsicht zu kurz:
Zum einen ist es völlig natürlich – und war im Übrigen
auch früher oft genug so –, dass Deutschland und Frank-
reich in europapolitischen Fragen zunächst eine unter-
schiedliche Haltung einnehmen und sich erst allmählich
annähern. Deutschland und Frankreich sind Länder mit
sehr unterschiedlichen Traditionen, Kulturen, Mentalitä-
ten und nationalen Geschichten. Die Stärke der deutsch-
französischen Verbindung liegt eben gerade nicht darin,
dass beide Länder einander, a priori, ähnlich sind, sondern
dass sie sich immer wieder als fähig zur Überbrückung
von Differenzen und zum Kompromiss erwiesen haben.
Dabei liegt die besondere Stärke der deutsch-französi-
schen Verbindung darin, dass zwischen ihnen erzielte
Kompromisse sehr häufig von den übrigen europäischen
Ländern als Ausgangspunkt für eine gesamteuropäische
Einigung genommen werden.
Vor allem aber verkennt ein solcher Vorwurf die histo-
rische Dimension der europapolitischen Herausforderun-
gen, um die es heute geht. Seit den 50er-Jahren standen
noch nie derart fundamentale Fragen auf der europäischen
Tagesordnung: Die Wiedervereinigung Europas durch die
Erweiterung, eine Verfassung für Europa, die Bestim-
mung der internationalen Rolle Europas – all dies muss
gleichzeitig bewältigt werden. Bei der Zukunft der euro-
päischen Institutionen oder der Kompetenzaufteilung
zwischen Europa und den Nationalstaaten geht es um
Grundfragen unserer jeweiligen nationalen Gesellschafts-
kontrakte, um Fragen unserer nationalen Identität, natür-
lich auch um Machtfragen. Wir sehen dies auch in der in-
nerdeutschen Debatte zwischen Bund- und Ländern.
Es ist bemerkenswert, dass sich inzwischen praktisch
alle europäischen Länder sehr ernsthaft und substanziell
mit diesem Thema auseinander setzen. Aber die Debatte
über die Zukunft Europas, über 2004, über eine europä-
ische Verfassung, hat erst begonnen. Es wäre deshalb
mehr als töricht, bereits in diesem frühen Stadium der De-
batte eine weit gehende Konvergenz zwischen den Vor-
stellungen Deutschlands und Frankreichs zu verlangen.
Es ist doch völlig klar, dass am Anfang dieser Debatte in
jedem Land erst einmal ein Prozess der Klärung, der
Selbstvergewisserung stehen muss, der auch mit einer
Prononcierung einzelner Positionen einhergehen wird.
Genau das ist es, was wir derzeit beobachten, und dies ist
der notwendige erste Schritt. Wären Deutschland und
Frankreich schon jetzt, zu Beginn der Debatte, in allen
Punkten einer Meinung, so würde das dem Ziel einer
lebendigen und bürgernahen Debatte eher schaden als
nutzen.
Aus Frankreich sind im vergangenen Jahr bedeutende
Beiträge zur Zukunft Europas gekommen: Präsident Chirac
hat im Deutschen Bundestag gesprochen, Premierminis-
ter Jospin am vergangenen Montag in Paris. Beide haben
sich dabei als überzeugte Europäer erwiesen, die sich mit
Nachdruck für eine Stärkung Europas und der europä-
ischen Integration einsetzen.
Die Rede Jospins war voller Gehalt und konkreter An-
regungen. Es war eine bedeutende Rede. Viele seiner Vor-
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schläge sollten wir ernst nehmen und zu gemeinsamen
deutsch-französischen Initiativen machen. Jospin stimmt
in vielen Punkten mit deutschen Zielvorstellungen über-
ein. Die Rede zeigt deshalb durchaus, dass der Dialog mit
Frankreich ganz konkret Früchte zeitigt:
Sie enthält ein Bekenntnis zu einer europäischen Ver-
fassung, zur Föderation der Nationalstaaten, zu einer ge-
naueren Kompetenzaufteilung, zum Abbau des Demokra-
tiedefizits, zu dem Ziel eines Europas der Bürger. Viele
der konkreten Vorschläge sind zu begrüßen, wie die Ein-
richtung einer europäischen Staatsanwaltschaft, einer in-
tegrierten europäischen Polizeibehörde und Grenzschutz-
polizei oder die Fusion unserer konsularischen Netze im
Ausland.
In anderen Fragen zeigt sich – das ist vor dem Hinter-
grund der Geschichte und der nationalen Kultur Frank-
reichs nicht verwunderlich – eine andere Grundeinstel-
lung, als wir sie haben. Frankreich hält zum Beispiel an
einer starken Stellung des Europäischen Rats in der Exe-
kutive und Legislative fest. Dies entspricht der Verfas-
sungstradition Frankreichs und es ist dort Mehrheitsmei-
nung. Wir müssen diese Haltung respektieren, auch wenn
sie der positiven deutschen Erfahrung mit einem födera-
len Staatsaufbau nicht entspricht.
All jene, die bei uns immer wieder laut nach mehr
deutsch-französischer Gemeinsamkeit rufen, möchte ich
fragen, was sie denn konkret unternehmen würden, um
eine solche herzustellen. Es ist jedenfalls mehr als wider-
sprüchlich, im gleichen Atemzug eine Revision der
Agenda 2000, insbesondere einen Einstieg in die Kofi-
nanzierung der Agrarpolitik und eine engere Abstimmung
mit Frankreich zu verlangen, wo doch jeder weiß, welche
Bedeutung die gemeinsame Agrarpolitik für Paris besitzt.
Hier muss man behutsam vorgehen.
Auch die Frage der Weiterentwicklung der europä-
ischen Institutionen werden wir letztlich nur unter Einbe-
ziehung des französischen Beharrens auf einer starken
Exekutive beantworten können. So sehr für uns die Vor-
teile eines bundesstaatlichen Modells für Europa auf der
Hand liegen mögen, so sehr werden wir in der realen Welt
um einen großen Kompromiss mit Frankreich in diesem
Punkt nicht herumkommen. Kein Mensch kann heute vor-
hersagen, wie Europa in zehn oder 15 Jahren aussehen
wird. Doch lässt sich eines mit Gewissheit feststellen: Die
Vollendung der europäischen Integration, die ich mir als
Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft wünsche
und für die sich die Bundesregierung einsetzt, kann und
wird nur gelingen, wenn Frankreich und Deutschland sie
zu ihrer gemeinsamen Sache machen. Hierin liegt die al-
ternativlose Bedeutung des deutsch-französischen Ver-
hältnisses im 21. Jahrhundert, neben der Notwendigkeit
unserer guten und engen Nachbarschaft.
Ohne enge europäische und transatlantische Partner-
schaft ruft Deutschland allzu schnell Reserviertheit und
Skepsis hervor. Dieser Partner kann bei der Vollendung
der europäischen Integration für uns nur Frankreich sein.
Diese Partnerschaft schloss die anderen Europäer immer
ein und niemals aus. Aber unsere Geschichte verbindet
uns wie keine zwei anderen Länder in Europa in gemein-
samer Verantwortung für die Zukunft. Wir haben sehr un-
terschiedliche Traditionen und kulturelle Prägungen und
diese Unterschiedlichkeit ist zweifellos eine der Konstan-
ten, die die Zeitenwende von 1989 überdauert haben.
Aber die Stärken Frankreichs und Deutschlands ergänzen
sich auf eine besondere, immer wieder sehr produktive
Weise. Nur gemeinsam sind wir in der Lage, Europas
Schwungrad auch in einer größeren Union zu sein und mit
unseren anderen Freunden und Nachbarn die Integration
voranzubringen. Diese Erkenntnis leitet die Politik der
Bundesregierung.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Mi-neralölsteuergesetzes (Tages-
ordnungspunkt 12)
Lydia Westrich (SPD): Zuerst einmal will ich mich
bedanken, aber nicht wie üblich bei der Regierung oder
den Ausschussmitgliedern. Natürlich freuen wir uns über
dieses Gesetz und sind froh, dass unser fleißig sparendes
Finanzministerium noch einmal 200 Millionen DM zur
Verfügung gestellt hat, um bei der schwierigen Situation
der Landwirtschaft und der Unterglasbetriebe Hilfe zu
leisten.
Mein Dank gilt heute vor allem dem Zentralverband
Gartenbau, der uns Abgeordnete sachlich, aber reizvoll
durch eine Vielzahl von ermöglichten Besichtigungen von
Unterglasbaubetrieben mit seiner Notlage vertraut ge-
macht hat. Nichts prägt sich dem Gedächtnis mehr ein als
die hautnahe Begegnung und Erörterung der Probleme
vor Ort. Diese Aktion hat den Landesverbänden sehr viel
Mühe bereitet. Ich habe mit mehreren Kollegen und Kol-
leginnen gesprochen, die die Einladungen wahrgenom-
men haben. Die durchweg sachliche Gesprächsatmo-
sphäre gepaart mit teilweise exotischen, farbenprächtigen
Pflanzenwelten direkt vor der Haustüre hat bei allen Be-
suchern bleibende Eindrücke hinterlassen. Das bedeutet
für den Zentralverband Gartenbau und seine Mitglieder-
betriebe einmal, dass ihre schwierige Wettbewerbssitua-
tion im europäischen Rahmen voll erkannt wurde und wir
heute nun zusätzlich zu den bereits angelaufenen Maß-
nahmen der Hilfe bei Energieeinsparungen und Betriebs-
mittelhilfen 60 Millionen DM zur Minderung der Ener-
giekosten zur Verfügung stellen.
Die Unterglasbetriebe haben übereinstimmend erklärt:
„Wir wollen nicht am Subventionstropf hängen. Wir sind
selbstbewusst genug, um uns durch die Qualität unserer
Züchtungen und Weiterentwicklungen der Pflanzen einen
guten Stand im Wettbewerb zu erobern“. Wenn aber in den
Nachbarländern Betriebe auf hohe Subventionsmittel zu-
greifen und gleichzeitig die Energiekosten explodieren,
sind faire Wettbewerbsbedingungen nicht mehr gewähr-
leistet. Dann beginnt automatisch ein ruinöser Verdrän-
gungsprozess. Und dem will die Bundesregierung, dem
wollen wir Abgeordnete entgegensteuern.
Mit den Programmen für Energieeinsparungen und mit
dem heutigen Gesetz, das rückwirkend zum 1. Januar 2001
bewirkt, dass 8 Pfennig pro Liter bei Heizöl, 3,60 DM je
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Megawattstunde bei Erdgas und 50 DM pro Tonne bei
Flüssiggasen erstattet werden.
Natürlich erwarten wir, dass die Verhandlungen dieser
Bundesregierung auf europäischer Ebene die Wettbe-
werbssituation wieder ins Gleichgewicht bringt und un-
sere Unterglasgartenbaubetriebe dann – wie gewünscht
subventionslos – erfolgreich ihrer Arbeit nachgehen kön-
nen. Gravierende Wettbewerbsverzerrungen bei den
Energiekosten im Vergleich zu den europäischen Nach-
barn bringen die Landwirtschaft in Deutschland in
Schwierigkeiten. Das ist vor allem ein Versäumnis der
früheren Bundesregierung. Natürlich ist es einfacher, in
Brüssel alles abzunicken.
Und die verschiedenen Höhen der Mineralölsteuer sind
ja nur ein Beispiel von vielen: Abbau von Wettbewerbs-
verzerrungen, Steuerharmonisierung auf möglichst enge
Bandbreite – da braucht man zähe, harte Verhandlungen,
die die neue Bundesregierung endlich zum Thema auf eu-
ropäischer Ebene gemacht hat. Bis sie die verlorene Zeit
aufgeholt hat, um die Mitgliedstaaten auf eine Linie zu
bringen, entlasten wir unsere Landwirte nochmals durch
eine Senkung von 7 Pfennig pro Liter Diesel. Der Steuer-
satz für den in der Land- und Forstwirtschaft verwende-
ten Dieselkraftstoff beläuft sich damit auf 50 Pfennige pro
Liter. Die Ökosteuer greift nun in der Landwirtschaft
praktisch nicht. Damit erhöhen wir die Wettbewerbs-
fähigkeit der deutschen Landwirte auf dem internationa-
len wie europäischen Markt und gewinnen Zeit für Ver-
handlungen auf europäischer Ebene. Dazu kommt noch
ein Bündel von Maßnahmen, die mittel- und langfristig
ihre positiven Wirkungen in den landwirtschaftlichen Be-
trieben entfalten Erzeugung und Verwendung von Bio-
Diesel, Nutzung der Möglichkeiten von Biomasse und
andere. Das sind Chancen, die die Betriebe selbst ergrei-
fen können.
Ich habe auch bemerkt – gerade bei mir in der Region –,
dass der teilweise selbst entfachte ruinöse Wettbewerb der
Höfe aufgehört hat, immer größere, immer stärkere Trak-
toren und Maschinen anzuschaffen. Seit Jahren weisen
die Maschinenringe auf die oft unwirtschaftlichen, viel zu
großen Maschinenausstattungen in den Betrieben hin.
Durch die hohen Energiekosten scheinen die Appelle end-
lich auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Energiespa-
ren ist auch in der Landwirtschaft zum großen Thema ge-
worden: Ein Fortschritt für den Umweltschutz und für die
Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit unserer Be-
triebe.
Reden wir den Standort Deutschland für die Landwirt-
schaft nicht schlecht. Mit der jetzigen Änderung des Mi-
neralölsteuergesetzes, das die nochmalige Senkung des
Steuersatzes auf Dieselkraftstoff beinhaltet, der Biomas-
severordnung und der Förderung nachwachsender Roh-
stoffe geht diese Bundesregierung einen großen Schritt in
die Zukunft für und mit den deutschen Landwirten.
Heidemarie Wright (SPD): Das Gesetz zur Änderung
des Mineralölsteuergesetzes, das wir heute in erster Le-
sung beraten und in der nächsten Sitzungswoche zum
guten Ende bringen werden, ist keine Überraschung mehr.
Das Bemühen und das Ringen um diese Lösung begann
schon im letzten Jahr und die Landwirtschaft hat auf die-
ses Bemühen vertraut und darauf, dass wir es schaffen.
Mit diesem Agrardieselgesetz, das rückwirkend zum
1. Januar 2001 in Kraft tritt, reduzieren wir nicht nur die
Mineralölsteuer für die Landwirtschaft um 7 Pfennig auf
50 Pfennig, sondern geben ihr hiermit auch einen festen
Steuersatz, der sie unabhängig macht von weiteren Mine-
ralölsteuererhöhungen.
Natürlich ist damit die Begehrlichkeit der Wünsche
nicht erfüllt, wohl aber die Marge der im Sinne der ge-
samten Konsolidierungspolitik verkraftbaren Steueraus-
fälle erreicht. Bis zum Jahre 2003 macht dies ein Volumen
von 840 Millionen DM an Steuermindereinnahmen aus –
weiß Gott kein Pappenstiel.
Noch mal zu den Begehrlichkeiten: Natürlich steht die
deutsche Landwirtschaft im Bereich der Kraftstoffpreise
im Verhältnis zu ihren europäischen Mitkonkurrenten an
oberer Stelle. Aber ich bitte gerade im Bereich der Ener-
giepreissituation auch die für die Landwirtschaft positi-
ven Entwicklungen nicht zu vergessen. Der Biodiesel –
das Gold vom Acker – boomt und hat ein Volumen von
rund 400 000 t erreicht. Die Landwirtschaft hat hier nicht
nur einen wirtschaftlichen Anteil als Rohstoffproduzent,
sondern soll künftig über die weitere Entwicklung in der
Traktorenindustrie auch als Nutzer und Betreiber von
Pflanzenölschleppern den Treibstoff aus der Landwirt-
schaft in der Landwirtschaft einsetzen.
Biogene Treib- und Schmierstoffe und ihr verstärkter
Einsatz in der Landwirtschaft müssen einen sinnvollen
ökologischen und ökonomischen Kreislauf bilden.
Mit dem Agrardieselgesetz und der weiteren Innovati-
onsförderung im Bereich der erneuerbaren Energien, zu-
sammen mit dem EEG und der morgen zu behandelnden
Biomasseverordnung bringen wir die Landwirtschaft in
Deutschland ein prima Stück weiter. Wir sollten uns alle
gemeinsam darüber freuen. Den Dank des Bauernverban-
des – aktuell nochmals vorgestern in einem Präsidialge-
spräch – haben wir schon angenommen und wir werden
die frohe Botschaft auch in die landwirtschaftlichen Be-
triebe im Lande tragen.
In der letzten Woche hatte ich in meinem Wahlkreis
eine Veranstaltung zur und mit der Landwirtschaft, die
wie so oft sehr zwiespältig war: Auf der einen Seite Jam-
mern und Negativaufzählung, auf der anderen Seite opti-
mistische Stimmung und Positivfakten – wohl gemerkt je-
weils von Landwirten. Die Verbraucher betrachteten
dieses ebenso erstaunt wie fasziniert. Das Fazit war: Die
Landwirtschaft ist besser als ihr Ruf, sie wird jedoch
durch das gebetsmühlenartige Dauerjammern – und zwar
seit Jahrzehnten – in ein negatives Licht gestellt.
Ich denke, es muss mit dem Dauerjammern aufgehört
werden. Die Chancen und Perspektiven sind zu ergreifen,
um auch den Ruf der Landwirtschaft auf die positive und
optimistische Seite zu bringen.
Ich will jedoch den zweiten erfreulichen Punkt des Mi-
neralölsteuergesetzes ansprechen: die Entlastung für den
Gewächshausanbau. Für diesen Bereich konnte eine Re-
duzierung der Mineralölsteuer auf Heizstoffe um 8 Pfen-
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nig bei Heizöl und 3,60 DM pro Megawattstunde bei Erd-
gas erreicht werden. Ich sage Dank für die Solidarität in-
nerhalb der Landwirtschaft, die beim Agrardiesel auf eine
weitere geringfügige Absenkung zugunsten des Ge-
wächshausanbaus verzichtet hat. In der Gesamtsumme
geht es hier um 60 Millionen DM, die, wie ich aber mei-
ne, notwendigerweise für den Gartenbau abzuzweigen
waren.
Der deutsche Gartenbau war wirklich in arger Be-
drängnis durch die unmittelbaren Konkurrenten aus den
Niederlanden, die seit Jahren durch ihre Energiepolitik
ihrem Gartenbau enorme Wettbewerbsvorteile sichern.
Dies führte dazu, dass die holländischen Gartenbaube-
triebe teils nur ein Drittel der in Deutschland vergleichba-
ren Energiekosten zu zahlen hatten.
Aus diesem verdrängenden Wettbewerbsdruck muss-
ten wir unseren Gartenbau herausnehmen und ihm durch
die Absenkung der Mineralölsteuer Luft zum Weiterma-
chen geben.
Neben dem Investitionsprogramm zur Energieein-
sparung und dem Liquiditätshilfsprogramm für 2000 und
2001 ist dies eine echte Hilfe und ein ordentliches Ge-
samtpaket.
Ein Gesamtpaket auf dem man sich jedoch nicht aus-
ruhen kann, denn das Motto „weg vom Öl/Gas“ gilt und
es gilt, es insbesondere die nächsten zwei Jahren zu nut-
zen. Ich will als eine der Möglichkeiten des „weg vom Öl“
hier noch mal den Energieträger Holz in Form von Holz-
hackschnitzel ansprechen.
Bei einem Preisäquivalent von 30 Pfennig zum Liter
Heizöl ist dies eine echte und dauerhafte Alternative für
die Gartenbaubetriebe.
Gerade die Landwirtschaft und die Gartenbaubetriebe
haben unter der unterschiedlichen Energiebesteuerung in
Europa zu leiden. Deshalb wird besonders aus dieser
Branche die Forderung nach einer Verbesserung der Wett-
bewerbssituation durch eine EU-weite Harmonisierung
der Besteuerung von Dieselkraftstoffen erhoben und die
diesbezüglichen Anstrengungen der Bundesregierung
nachdrücklichst unterstützt. Wir sind doch nicht auf ei-
nem Basar, wo ein „wer bietet weniger“ ein geeignetes In-
strument europäischer Politik ist. Vielmehr sollten unsere
gemeinsamen Anstrengungen der Umsetzung der Ge-
meinschaftsstrategie und des Aktionsplanes erneuerbare
Energiequellen gelten. Was nützen schöne Weißbücher
der EU-Kommission, wenn dann jeder den anderen dumpt
auf Teufel komm raus.
Norbert Schindler (CDU/CSU): Die in diesem Ge-
setzentwurf vorgesehene Herabsetzung des Steuersatzes
für den in der Land- und Forstwirtschaft verwendeten
Dieselkraftstoff in insbesondere landwirtschaftlich ge-
nutzten Traktoren soll die Wettbewerbsfähigkeit im Ver-
gleich zu anderen EU-Mitgliedstaaten verbessern. So
steht es in der Zielsetzung der Bundestagsdrucksache
14/6141. Wenn man weiß, wie sich in Österreich und vor
allem in Frankreich, dem unmittelbaren großen Mitbe-
werber in der Nachbarschaft, die Steuersätze bewegen
– sie liegen zwischen 7 und 12 Pfennig pro Liter – ist dies
wohl ein gut gemeinter, absolut dringend notwendiger,
aber nur kleiner Schritt in die richtige Richtung. Dieser
beseitigt aber nicht die großen finanziellen Vorbelastun-
gen, die Deutschlands Landwirtschaft gegenüber den an-
deren EU-Staaten hat!
Soweit zur angeblichen Wettbewerbsentzerrung. Ich
erinnere noch mal gerne an das Rheinisch-Westfälische
Institut für Wirtschaftsforschung, das bei der deutschen
Landwirtschaft eine Belastung von 1,1 Milliarden DM
netto in Bezug auf die Ökosteuer festgestellt hat. Hier
wird die deutsche Landwirtschaft netto voll getroffen und
zwar aus dem Grund, weil kein Ausgleich über die Lohn-
nebenkostenverrechnung möglich ist. Dazu muss auch
angemerkt werden, dass die alte Gasölbeihilfe von über
850 Millionen DM, die uns 1999 wegen Wettbewerbsver-
zerrungen doch ausbezahlt wurde und dann verfallen ist,
mit der Ökosteuer ein Gesamtvolumen von knapp 2 Mil-
liarden DM an Belastung ergibt. Jetzt von uns zu erwar-
ten, dass wir wegen der Verringerung dieses Steuersatzes
noch jemandem die Füße küssen sollen, oder uns für das
großzügige Geschenk bedanken sollten, wäre wirklich
des Guten zu viel verlangt.
Es wird weiterhin vorgerechnet, dass damit eine Entlas-
tung um 200 Millionen DM für uns herauskommen würde.
Bei den 57 Pfennig hat dies haushälterisch tatsächlich
diese Wirkung, wenn man das Kleingedruckte mitrechnet!
Dass man dem Gewächshausanbau in der Gesamtberech-
nung von 60 Millionen DM auch entgegenkommen will,
ist zwar eine nette Geste, entspricht aber nicht, wie ur-
sprünglich gewollt und versprochen, einem Steuersatz von
47 Pfennigen für alle. Die 60 Millionen DM Unterglasver-
billigung schlagen mit 3 Pfennigen somit doch zu Buche.
Der Steuersatz finanziert das Geld für den Unterglasbau
gegen. Ich erkenne trotzdem mit Respekt an, dass dieses
Gesetz endlich in die Gänge kommt. Aber es ist entschie-
den zu wenig, vor allem aus vorgenannten Wettbewerbs-
gründen innerhalb der EU.
Dass in diesen Tagen und Wochen der „neue Weg der
Agrarpolitik“ mit finanziellen Mittelumschichtungen die
gesamte Debatte überlagert, war zu erwarten. Dies ist die
nächste Belastungsebene, die man der deutschen Land-
wirtschaft zumutet. Die Stichworte Modulation und
„Cross Compliance“ bringen wiederum sehr viel Unruhe
in die gesamte deutsche Agrarwirtschaft. Es rächten sich
auch die von Frau Künast mit großen Worten angekün-
digten Ziele. Jetzt muss sie, um einer mediengesteuerten
Hysterie Rechnung zu tragen, ideologisch bedingte Ant-
worten geben.
Es kann und darf nicht sein, dass man berechtigte Aus-
gleichszahlungen, die man der deutschen Landwirtschaft
in den Agenda-Beschlüssen Berlin 1999 und zuvor in der
Agrarreform 1992 versprochen und bisher gegeben hat,
nun opfert, obwohl sie politisch auch vom Kabinett
Schröder bestätigt wurden. Jetzt werden die Mittel um-
verteilt, nur weil es einige so wollen.
Um in aller Deutlichkeit nochmals in Erinnerung zu
rufen: Diese Zahlungen werden derzeit deshalb geleistet,
weil man den Weizenpreis von 42 DM auf 20 DM herun-
tersetzte und politisch nur die Kraft hatte, die Hälfte
dieses Abschlages auszugleichen. Somit sind wir heute
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schon in der Situation, dass Getreideproduktion nur noch
Geldwechseln darstellt.
Die Hofnachfolgefrage in allen Bundesländern gibt ein
deutliches Spiegelbild über die Perspektiven, die sich po-
litisch auftun. Gehen Sie einmal in die Fach- und Berufs-
schulen und fragen nach dem landwirtschaftlichen Nach-
wuchs: Es gibt so gut wie keinen mehr! Ich mache mir
große Sorgen um die umfassende Bewirtschaftung unse-
rer landwirtschaftlichen Flächen.
Aber scheinbar ist es politisch absolut gewollt, dass
man versucht, den neuen agrarischen Weg ausschließlich
aus dem eigenen Fleisch der Agraretats zu schneiden.
Herr Bundeskanzler Schröder, Frau Ministerin Künast,
wer will, dass mehr Ökobetriebe in die Lage versetzt wer-
den, Nahrungsmittelangebote zu erzeugen, darf, soll und
muss diese unterstützen. Dafür haben Sie auch meine per-
sönliche Unterstützung. Aber es darf nicht auf Kosten der
übrigen Berufskollegen durch Mittelumschichtung, wie
derzeit diskutiert, geschehen.
Wie dabei auch die Kofinanzierungsmittel des Bundes
und der Länder bereitgestellt werden können oder dürfen,
fragen wir am besten die Finanzminister aller Couleur.
Man muss schon ins Kleingedruckte der EU-Agendaver-
träge schauen, um zu wissen, was Sache ist und welche
Möglichkeiten wir haben.
Auch wehre ich mich bei dieser Diskussion gegen die
Schlechterstellung und Verteufelung des bisherigen land-
wirtschaftlichen Nahrungsmittelerzeugung.
Deutschlands Bevölkerung wird alle fünf Jahre im
Durchschnitt ein Jahr älter. Das hängt nicht nur damit zu-
sammen, dass ich in meinen Geburtstagswünschen jedem
ein langes Leben wünsche, sondern natürlich mit gutem
Weintrinken und Essen aus deutschen Landen. Oder gibt
es andere Gründe?
In den zuletzt genannten Punkten werden wir in den
nächsten Wochen und Monaten mit Sicherheit sehr inten-
sive Debatten führen. Zur energiepolitischen Kurskorrek-
tur, sprich zur Ökosteuer, ist das Gesetz zur Änderung des
Mineralölsteuergesetzes nur ein kleiner Schritt in die rich-
tige Richtung. Die Ökosteuer im jetzigen Rechtszustand
und die Verwendung der damit vereinnahmten Steuergel-
der hat ja mit ordnungspolitischem Lenken im eigentli-
chen Sinn überhaupt nichts zu tun. Allein deshalb war die
Ökosteuer von Anfang an ein Vortäuschen falscher Tatsa-
chen.
Ich biete Wetten an, dass wir im Sommer und im Herbst
bei Benzinpreisen von DM 2,50 und darüber auch bei den
Regierungsparteien eine herrliche Diskussion über die
Ökosteuer bekommen werden. Dann muss auch dieses
Gesetz wieder auf den Prüfstand, weil Dieselöl ebenfalls
massiv im Preis ansteigen wird.
Dass ich zu so später Stunde und wegen meines gerin-
gen Kontingents nicht eine Generalabrechnung machen
kann, tut mir deshalb Leid. Über die beiden letzten Jahre
der Agrar- und vor allem der Landwirtschaftssteuerpolitik
dieser Regierung wäre einiges zu sagen, was aber leider
so nicht möglich ist.
In der zweiten und dritten Lesung wird das gesamte
Thema von mir sicherlich nochmals aufgerollt. Bis dahin
wünsche ich Ihnen – hier spreche ich vor allem die Herr-
schaften der Koalition an – gute Gedanken nicht nur beim
Thema Agrardiesel, sondern auch bei allen von mir noch
angesprochenen agrarpolitischen Themen. Zeigen Sie
Vernunft in der künftigen Agrarpolitik!
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
Preisanstieg beim Diesel, verursacht durch gestiegene
Rohölpreise und den starken Dollar, hat im Verlaufe des
letzten Jahres die Landwirtschaft überdurchschnittlich be-
lastet. Die Landwirtschaft kann im Gegensatz zu anderen
Wirtschaftsbereichen aufgrund der spezifischen Marktor-
ganisation die Energieverteuerung nicht an den Markt
weitergeben.
Eine untragbare Wettbewerbsverzerrung kommt da-
durch zustande, dass die EU-Nachbarländer die Energie-
preise massiv heruntersubventionieren, mit der Kon-
sequenz, dass der Treibstoff durch unterschiedliche
Besteuerung zeitweise bis zu 1 DM pro Liter billiger als
in Deutschland gehalten wird. Noch schlimmer sieht die
Wettbewerbsverzerrung im Gartenbau, aus. Ergebnis: Wir
haben in der EU einen gemeinsamen Agrarmarkt mit har-
monisierten Erzeugerpreisen und EU-Ausgleichszahlun-
gen, aber mit unterschiedlichen Kostenbelastungen.
Der Bundestag hat sich zügig dieses Problems ange-
nommen und trotz knapper Kassen und allgemeinen Spar-
zwangs eine schnelle Unterstützung beschlossen. Seit An-
fang 2001 gilt das neue Agrardieselgesetz. Heute
beschließen wir weitere Verbesserungen für die Land-
wirtschaft und den Gartenbau weil die anhaltende Wett-
bewerbsverzerrung dies nötig macht. Die Unterstützung
für eine wettbewerbsfähige Landwirtschaft in diesem Be-
reich summiert sich damit bis 2003 auf über 2,3 Milliar-
den DM.
Aber wir haben diesen Systemwechsel weg von der
Gasölbeihilfe hin zu einem eigenen Agrardieselsteuersatz
nicht aus der gerade beschriebenen aktuellen Situation he-
raus gemacht. Wir haben den Agrardiesel eingeführt, weil
wir davon überzeugt sind, dass der Ersatz der alten Gasöl-
beihilfe überfällig war: weniger Bürokratie, direktere Un-
terstützung statt Rückerstattung. Die Einführung eines
dritten Steuersatzes für Agrardiesel, der zwischen dem für
stationären Verbrauch in der Produktion und dem für
Straßenverkehr liegt, ist gerechtfertigt, weil die mobilen
landwirtschaftlichen Maschinen in der Regel genau dies
sind: Produktionsmittel, die auch – aber nur wenig – die
öffentlichen Straßen benutzen und abnutzen. Insofern
passt die neue Regelung in die Logik unserer Steuersyste-
matik. Die Gasölbeihilfe tat dies nicht. Sie hafte zudem
den Nachteil, innovationshemmend auf die Entwicklung
und den Einsatz alternativer Treibstoffe zu wirken. Das
haben wir jetzt geändert.
Die deutsche Agrarpolitik stellt – zu Recht – hohe An-
forderungen an die landwirtschaftliche Produktion in Sa-
chen Lebensmittelsicherheit und -qualität, Tierschutz,
Natur- und Umweltschutz. Nicht zuletzt sind für uns die
Landwirte Träger der Energiewende und künftige Öko-
bauern. Dazu benötigen wir eine ökonomisch lebens-
fähige Landwirtschaft, die Möglichkeiten hat, in Zu-
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kunftstechnologien zu investieren. Mittelfristig wollen
wir weg von der Abhängigkeit vom Mineralöl. Wir haben
dazu ein Förderprogramm „Biogene Treibstoffe“ aufge-
legt. Bis serienreife auf Rapsölbasis betriebene landwirt-
schaftliche Maschinen zur Verfügung stehen, werden aber
noch zwei bis vier Jahre vergehen. Bis dahin hat der
Agrardiesel die wichtige Funktion, die Wettbewerbs-
fähigkeit der Landwirte zu erhalten.
Wir entscheiden heute auch über bedeutende Verbesse-
rungen für den Gartenbau. Mit insgesamt 60 Millionen
DM pro Jahr sollen die Energiekosten für den Unterglas-
anbau wettbewerbsfähiger gestaltet werden. Damit und
mit den Energiesparprogrammen hat die Bundesregierung
effektiv zum Erhalt des deutschen Gartenbaus beigetra-
gen.
Da die eigentlichen Probleme für Landwirtschaft und
Gartenbau nicht die objektiv hohen Belastungen und
Energiepreise sind, sondern die verzerrten Wettbewerbs-
bedingungen in Vergleich zu den Nachbarländern, muss
dieses Problem auch auf der EU-Ebene gelöst werden.
Diese Wettbewerbsverzerrung innerhalb der EU – die im
Übrigen von der alten Bundesregierung immer geduldet
bzw. mitbeschlossen wurde – ist nicht weiter hinnehmbar.
Um die Wettbewerbsbedingungen zu nivellieren, muss
die Europäische Kommission handeln und für einheitli-
che Wettbewerbsbedingungen sorgen. Hier ist in der Ver-
gangenheit eine Entwicklung verschlafen worden. Die
CDU/F.D.P.-Bundesregierung hat nichts getan, um in der
EU vergleichbare Wettbewerbsbedingungen herzustellen.
Im Gegenteil, sie hat die massive Subventionierung des
niederländischen Erdgases für den Gartenbau noch unter-
stützt. Die rot-grüne Bundesregierung setzt sich unmiss-
verständlich und vehement dafür ein, dass es endlich zu
einer Harmonisierung der Energiebesteuerung in der EU
kommt.
Marita Sehn (F.D.P.):Wenn regional erste Wahl sein
soll, dann müsste das doch eigentlich heißen, dass die re-
gionale, sprich einheimische Landwirtschaft, gestärkt
werden soll. Die logische Schlussfolgerung wäre eigent-
lich, dass die Politik dafür sorgt, dass die deutsche Land-
wirtschaft die gleichen Produktionsbedingungen hat wie
ihre europäische Konkurrenz. Wenn regional wirklich
erste Wahl für die Politik wäre, dann müssten die deut-
schen Landwirte nicht mehr für Energie bezahlen als ihre
europäischen Kollegen.
Aber ist es denn auch wirklich so? Zahlt der deutsche
Bauer nicht mehr für seinen Diesel als der französische
und muss der deutsche Gartenbaubetrieb tatsächlich nicht
mehr für sein Heizöl bezahlen als der niederländische?
Ich denke, Sie alle kennen die Antwort.
Regional ist erste Wahl, das ist die Theorie. Unter-
schiedliche Wettbewerbsbedingungen in der Europä-
ischen Union, das ist die Realität. Wer die deutsche Land-
wirtschaft mit immer neuen Auflagen belastet, der macht
sich zum Exportgehilfen für die europäische Konkurrenz.
Vielleicht darf ich Sie, meine Damen und Herren von
der Regierungsbank, daran erinnern: Versprochen hatten
Sie eine Absenkung auf 47 Pfennig pro Liter. Bei dieser
Regierung ist es schon eine traurige Gewohnheit gewor-
den: Die meisten Versprechen bleiben Versprecher.
Die F.D.P. wird diesen politischen Gedächtnisschwund
nicht einfach hinnehmen und Sie immer wieder an ihre
Versprechungen erinnern. Wer die ganze Hand verspro-
chen hat, der kann schließlich nicht nur den kleinen Fin-
ger anbieten.
Aber vielleicht hat die Regierung aufgrund ihres chro-
nisch schlechten Gedächtnisses es bereits vergessen: Bis
Ende 1999 zahlten die Landwirte eine Steuer von 27 Pfen-
nig pro Liter Diesel.
Mit der Ablösung der Gasölbeihilfe durch die Agrar-
dieselregelung erhöhten sich die Kosten für die Land-
wirte auf 57 Pfennige pro Liter. Auch eine Agrarwende.
In Anbetracht der gestiegenen Rohölpreise hatte der
damalige Landwirtschaftsminister Funke den Landwirten
im Oktober 2000 eine Absenkung auf 47 Pfennige pro Li-
ter versprochen. Diese Forderung wurde auch von der
SPD-Fraktion mitgetragen. Herr Funke und die SPD sind
aber am entschiedenen Widerstand von Herrn Berninger
gescheitert.
Mittlerweile haben wir Mai, Herr Funke genießt sei-
nen wohlverdienten Ruhestand, Herr Berninger ist
Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium und erst
jetzt senkt die Regierung die Steuer auf den Agrardiesel
auf 50 Pfennige ab. Aber: Bei 47 Pfennigen pro Liter
liegt die Meßlatte und nicht bei 50 Pfennigen.
Sie sollten eines nicht vergessen: Es geht hier nicht um
Geld, welches Sie der Landwirtschaft geben, sondern da-
rum, ihr weniger zu nehmen. Wenn die Regierung es ernst
meint mit „Regional ist erste Wahl“, dann ist es unlogisch,
gerade die heimische Landwirtschaft immer stärker zu be-
lasten.
Bei dieser Politik zählt nicht nur die Landwirtschaft zu
den Verlierern, sondern auch die Verbraucher. Statt si-
chere Lebensmittel von deutschen Bauern werden durch
diese Politik Lebensmittelimporte gefördert. Auch aus
Ländern, wo das Künastsche Reinheitsgebot der Rind-
viehhaltung unbekannt ist.
„In unsere Kühe kommt nur Getreide, Gras und Was-
ser!“, so weit so gut, aber was ist mit denen in Neuseeland,
in Amerika, in Osteuropa oder in den anderen EU-Län-
dern?
Kersten Naumann (PDS): „Rein in die Kartoffeln,
raus aus den Kartoffeln“, so könnte das Motto der Aktion
der Bundesregierung lauten. Nachdem Mitte April der
Kabinettsbeschluss des heute vorliegenden Entwurfs zur
Änderung des Mineralölsteuergesetzes, insbesondere
die rückwirkende Senkung des Steuersatzes von 57 auf
50 Pfennig je Liter Agrardiesel, bekannt wurde, erntete
die Bundesregierung keinen Beifall von den Bäuerinnen
und Bauern.
Das große Aufatmen der Betroffenen nach dem Motto
„Nun ist es doch nicht so schlimm gekommen“ blieb aus,
da sich die Landwirte veralbert fühlen mussten, als die
Korrektur als Absenkung der Agrardieselsteuer vollmun-
dig verkündet wurde. Die Realität ist doch, dass erstens
noch immer ein Anstieg von 29 Pfennig je Liter gegen-
über dem bis Anfang 1999 geltenden Nettosteuersatz von
21 Pfennig kostenseitig zu schultern ist, und dass zweitens
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17047
(C)
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(B)
die 50 Pfennig je Liter einen gravierenden Wettbewerbs-
nachteil in EU-Europa darstellen, wo es immerhin Mine-
ralölsteuersätze von beispielsweise Null in Dänemark,
5 Pfennig in Frankreich oder 10 Pfennig in Großbritan-
nien gibt. So habe ich mir – das gilt sicherlich auch für die
Landwirte – die Umsetzung der Forderung nach Schritten
zur europäischen Steuerharmonisierung nicht vorgestellt.
Die Agrardieselregelung kann man nicht losgelöst von
anderen Bedingungen beurteilen. Immerhin ist die Situa-
tion für die Landwirte derzeit schwierig. Insbesondere
wegen der großen BSE-bedingten Einkommensausfälle
bei Rind, zu denen täglich neue Einbußen hinzu kommen.
Auf der anderen Seite verhehle ich nicht eine bestimmte
Genugtuung. Die PDS-Fraktion hatte als einzige in das
parlamentarische Verfahren zum Agrardieselgesetz einen
Änderungsantrag eingebracht. Wir wollten 47 Pfennig je
Liter Agrardiesel, also 10 Pfennig weniger, was einem
Entlastungsvolumen von 200 Millionen DM entsprochen
hätte.
Im vorliegenden Änderungsentwurf geht es ebenfalls
um 200 Millionen DM. Allerdings entfallen nur 140 Mil-
lionen DM auf Agrardiesel; 60 Millionen sollen dem Un-
terglasgartenbau zur Verfügung stehen. Letzteres hatte ich
mir als gesonderte Lösung vorgestellt. Das eigentliche
Problem ist jedoch, dass am 16. November vorigen Jah-
res, dem Tage der Verabschiedung des Gesetzes, bereits
allen Beteiligten – Koalition wie Opposition – klar war,
dass die 57 Pfennig nicht zu halten sind. Selbst der dama-
lige Bundesminister Funke sagte in der Debatte unter Be-
zugnahme auf meine Ausführungen – ich zitiere –: „Als
wir das Agrardieselgesetz debattierten, hätten wir andere
Schwerpunkte setzten müssen, wenn wir gewusst hätten,
dass sich angesichts der Marktverhältnisse im Energie-
sektor andere Bedingungen stellten.“ Er kündigte bereits
zur Verabschiedung des Gesetzes dessen Korrektur an.
Ich bin davon überzeugt, sie wäre bereits damals möglich
gewesen.
Wenigstens diesmal sollte bis zu Ende gedacht werden.
Das wäre im Interesse der Landwirtschaft und der Politik.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge
– FairerWettbewerb bei Basel II
– Basel II – Belange des Mittelstandes wahren
– FairerWettbewerb bei Basel II – Neufassung
der Basler Eigenkapitalvereinbarung und
Überarbeitung der Eigenkapitalvorschriften
für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen
(Tagesordnungspunkt 13 und Zusatzpunkte 10
und 11)
Klaus Lennartz (SPD): In den letzten Wochen und
Monaten gingen im Zusammenhang mit der Baseler Ei-
genkapitalvereinbarung folgende Schlagworte durch die
Wirtschaftspresse: Mittelständler werden abserviert; Pis-
tole auf der Brust des Mittelstandes; Kreditvergabe an den
Mittelstand auf dem Prüfstand oder: Geschäftsbanken
ziehen sich aus der Fläche zurück, um sich auf Großkun-
den und innovative Unternehmen guter Bonität zu kon-
zentrieren.
In der Tat: Die Baseler Eigenkapitalvereinbarung darf
nicht zu einer Benachteiligung bewährter deutscher Wirt-
schaftstrukturen führen, die mittelständisch, dezentral
und damit letztlich deutlich weniger krisenanfällig als an-
dere sind.
Die Überlegungen des Baseler Ausschusses sind
grundsätzlich gut und ausdrücklich zu unterstützen: Risi-
koreicher Kredit soll von den Kreditinstituten stärker mit
Eigenkapital unterlegt werden als risikoarmer Kredit.
Aber: Neue Wirklichkeiten schaffen, das heißt auch, die
tatsächlichen Wirklichkeiten nicht zu ignorieren.
Wir haben zur Kenntnis zu nehmen: Der Mittelstand ist
das Rückgrat unserer heimischen Wirtschaft. Ihn gilt es
vor übertriebenem Regulierungswahn und übersteigerter
Risikovorsorge zu schützen. Über 70 Prozent aller Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also 24,5 Millionen,
sind bei kleinen und mittelständischen Betrieben beschäf-
tigt. In mittelständischen Betrieben und im Handwerk
werden Jahr für Jahr Hunderttausende neuer Arbeitsplätze
geschaffen. Kleine und mittlere Unternehmen machen
über 90 Prozent der Betriebe aus. 80 Prozent aller Lehr-
linge werden in kleinen und mittelständischen Unterneh-
men ausgebildet. Kleine und mittelständische Betriebe
sind in vielen Bereichen flexibler, innovativer und enga-
gierter als Global Players.
Diese Unternehmen sind das Rückgrat der deutschen
Wirtschaft. Sie verdienen unsere volle Unterstützung
– nicht in Sonntagsreden, sondern in der konkreten Tat.
Die Schattenseite des Mittelstandes ist mit Blick auf
Basel II seine vergleichsweise geringe Kapitalausstat-
tung. Während die durchschnittliche Eigenkapitalquote in
Deutschland zwischen 10 und 20 Prozent liegt, beträgt sie
in den USA 50 Prozent, in Frankreich über 30 Prozent, in
angelsächsischen Unternehmen 35 bis 40 Prozent und in
Spanien über 40 Prozent. Für Investitionen aus eigener
Kraft bleibt da kein Spielraum. Der Weg zur Bank ist für
die meisten Betriebe bei uns lebensnotwendig.
Ausdrücklich ist daher den deutschen Verhandlungs-
führern zu Basel II zu danken. Es ist ihnen gelungen, zu
einer Reihe von Regelungen eine Verständigung herbei-
zuführen, die insbesondere für den deutschen Mittelstand
erhebliche Bedeutung haben.
Dies ist vor allem die Einführung eines auf bankinterne
Ratings gestützten Ansatzes. Er erlaubt es der Hausbank
eines mittelständischen Unternehmens, eben neben der
reinen Bewertung quantitativer Faktoren, wie der Eigen-
kapitalquote, auch qualitative Aspekte zu berücksich-
tigen. Über das von vielen Banken und vor allem Spar-
kassen gelebte Beziehungsbanking können so objektive
Daten zum Unternehmer, seinen Planungen und Produk-
ten in das interne Rating einfließen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117048
(C)
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(B)
Ein Erfolg der Verhandlungsführer ist nicht minder die
nur 50-prozentige Anrechnung des gewerblichen Real-
kredites sowie Sonderregelungen für die Anrechnung von
Kreditrisiken aus Geschäften mit Privatkunden.
Die vorgeschlagenen Regelungen weisen allerdings im
Detail noch eine Vielzahl von Fragen auf. Wichtige Sach-
verhalte sind ungeklärt, die zur abschließenden Beurtei-
lung der Auswirkungen der neuen Regelungen auf die
Kreditinstitute und deren Kreditnehmer von Bedeutung
sind. In einigen zentralen Punkten besteht sogar die Ge-
fahr, dass die Entschließung des Deutschen Bundestages
vom 8. Juni letzten Jahres unterlaufen wird. Das darf nicht
sein. Es muss unbedingt vermieden werden, die Kredit-
vergabe an mittelständische Unternehmen erheblich zu
verteuern und möglicherweise sogar zu gefährden.
So ist zunächst sicherzustellen, dass für langfristige
Kredite kein überteuerter Zinssatz eingeführt wird. Der
langfristige Kredit ist ein wesentlicher Eckpfeiler der be-
währten Finanzierungskultur in Deutschland. In Deutsch-
land haben über 50 Prozent aller Handwerksbetriebe mit-
tel- bis langfristige Kredite aufgenommen.
Die Forderung von Basel, langfristige Kredite mit dem
Sechsfachen an Eigenkapital zu hinterlegen, ist völlig in-
akzeptabel. Welcher Mittelständler kann es sich schon
leisten, für langfristige Kredite bis zu 15 Prozent an Zin-
sen zu zahlen. Eine hohe Eigenkapitalunterlegung lang-
fristiger Kredite nimmt den Unternehmen die günstige
und stabilisierende langfristige Finanzierungsmöglich-
keit.
Auch bei den Gewichtungssätzen ist eine strukturelle
Benachteiligung des Mittelstandes zu vermeiden. Eine
dynamische Entwicklung der deutschen Wirtschaft setzt
ausreichende Finanzierungsmöglichkeiten zu angemesse-
nen Konditionen voraus. Hier schließe ich ganz besonders
Existenzgründer mit ein. Deshalb müssen kleinere Ge-
werbekunden und Existenzgründer ebenso wie die Privat-
kunden behandelt werden und in separaten Portfolien,
Retail, zusammengeführt werden, um von einer niedrigen
Eigenkapitalanforderung und damit günstigeren Kondi-
tionen zu profitieren.
Die Absicht des Baseler Ausschusses, Sicherheiten
stärker als bisher bei der aufsichtsrechtlichen Eigenkapi-
talbestimmung zu berücksichtigen, wird von der Kredit-
wirtschaft ausdrücklich begrüßt. Allerdings ist der Kreis
der anrechnungsfähigen Sicherheiten sehr eng gesteckt.
Die Vorschläge spiegeln das mittelständische Kreditge-
schäft nur unzureichend wider. Deshalb ist zu fordern, den
Kreis der anrechnungsfähigen Sicherheiten auf sämtliche
banküblichen Sicherheiten, wie beispielsweise Mobiliar-
sicherheiten und Grundpfandrechte, zu erweitern.
Die Verhandlungen des Baseler Ausschusses für Ban-
kenaufsicht scheinen bei flüchtiger Betrachtung eher für
eine begrenzte Expertenrunde als für eine breite politische
Diskussion geeignet zu sein. Ein trügerischer Eindruck
– und ein fataler hinzu. Hinter 500 eng beschriebenen Sei-
ten von Papier liegt jede Menge Sprengstoff, der insbe-
sondere den deutschen Mittelstand und das Kreditwesen
torpediert.
Die Zündschnüre, die in Basel bei der Neufassung der
Eigenkapitalvorschriften für Kreditinstitute gelegt wer-
den, glimmen bereits. Es muss unsere Aufgabe sein, diese
auszutreten – im Interesse von Mittelstand, Handel, Hand-
werk und Gewerbe.
Ich bin daher allen Fraktionen des Deutschen Bundes-
tages äußerst dankbar, dass diese Entschließung gemein-
sam getragen wird. Sie stellt einen weiteren Schritt zur Si-
cherung unseres Wohlstandes dar und unterstützt die
Regierung in der Durchsetzung legitimer deutscher Inte-
ressen in den internationalen Verhandlungen.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Mit dem gemeinsa-
men Antrag vom 31. Mai 2001 – Drucksache 14/6196 –
der Fraktionen im Finanzausschuss liegt unser gemeinsa-
mes Beratungsergebnis zu den weiteren Beratungen im
Baseler Ausschuss vor. Das Ergebnis der gemeinsamen
Beratungen hat aber auch eine Vorgeschichte, die hier
nicht unerwähnt bleiben darf: Nur aufgrund der Initiative
der CDU/CSU-Fraktion und unseres Antrages vom
15. Mai 2001 – Drucksache 14/6049 – haben wir es er-
möglicht, dass noch zeitnah vor Ende der Konsultations-
frist – also noch vor dem 31. Mai 2001 – mit den Fach-
leuten des Zentralen Kreditausschusses, den Vertretern
der Bundesbank und Vertretern des Bundesaufsichtsamtes
für das Kreditwesen wichtige Beratungsgespräche geführt
wurden.
In der gemeinsamen Sitzung des Finanzausschusses
vom 16. Mai 2001 mit den Vertretern des Zentralen Kre-
ditausschusses wäre diese Thematik sonst nicht proble-
matisiert worden und die Grundlage für unser heutiges
gemeinsames Verhandlungsergebnis nicht geschaffen
worden. Nach der ursprünglichen Terminplanung wäre
dies womöglich erst in der Sitzung am 30. Mai 2001 zur
Sprache gekommen.
Auch die Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau
Kollegin Scheel, wollte dieses Thema zunächst erst in der
Sitzung am 30. Mai 2001 behandeln. Daher ist auch er-
klärbar, warum die Frau Vorsitzende die Einbringung un-
seres Antrages „Fairer Wettbewerb bei Basel II“ – Druck-
sache 14/6049 vom 15. Mai 2001 – in der Sitzung des
Finanzausschusses am 16. Mai 2001 zu unterlaufen
suchte. In Erinnerung zu rufen ist unsere gemeinsame
Entschließung vom 7. Juni 2000 – Drucksache 14/35231 –,
mit der es uns gelungen ist, über die Verhandlungsführer
wichtige Punkte bereits positiv umzusetzen. Als Beispiele
sind hier zu nennen: die Einführung eines gleichwertigen
bankinternen Ratings, welches die Ermittlung der Eigen-
kapitalanforderungen für das Kreditrisiko erleichtert;
die Festlegung des ermäßigten Gewichtungssatzes in
Höhe von 50 Prozent für den gewerblichen Realkredit; die
Festlegung eines festen Zeitpunktes für ein einheitlich
weltweites In-Kraft-Treten der neuen Standards; die
Berücksichtigung verminderter Kreditrisiken bei Kredit-
geschäften mit Privatkunden, die die Festsetzung ange-
messen niedriger Anrechnungssätze für Kredite an Hand-
werksbetriebe und andere Kleinbetriebe zur Folge hat.
Die deutschen Bankenaufsichtsvertreter konnten in
Basel auch diese wichtigen Punkte aus der Entschließung
des Bundestages vom 8. Juni 2000 in den Verhandlungen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17049
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durchsetzen. Dies sind wichtige Voraussetzungen, damit
die Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft, insbeson-
dere der mittelständischen Unternehmen, weiterhin gesi-
chert ist.
Zu Beginn des Jahres 2001 hat der Baseler Ausschuss
für Bankenaufsicht ein zweites Konsultationspapier mit
Frist zur Stellungnahme bis 31. Mai 2001 herausgegeben.
In diesem mehr als fünfhundertseitigen „Umsetzungs-
papier“ stellte sich heraus, dass wichtige Punkte der ge-
meinsamen Entschließung teilweise unterlaufen werden;
außerdem kamen zwischenzeitlich neue Problemstellun-
gen hinzu. Ferner sollten laut „Umsetzungspapier“ Be-
rechnungen erfolgen, für die es zurzeit noch keine kon-
kreten Handlungsanweisungen gibt.
Der Bankenausschuss hat wiederholt betont, dass sich
die neue Eigenkapitalvereinbarung insgesamt kapitalneu-
tral auswirken soll, das heißt, dass die durchschnittlichen
Kapitalanforderungen nicht sinken, aber auch nicht stei-
gen sollen; erwartete Einsparungen im Kreditrisikobe-
reich sollen durch Kapitalunterlegung für operationelle
Risiken als Ausgleich dienen. Parallel hierzu hat auch die
EU-Kommission am 5. Februar 2001 ihrerseits ein zwei-
tes Konsultationspapier zur Stellungnahme vorgelegt. Die
Vorschläge aus dem Baseler Ausschuss vom 16. Januar
2001 verlangen in einigen Punkten unsere besondere Auf-
merksamkeit. Deshalb haben wir im vorliegenden ge-
meinsamen Antrag die Bundesregierung ersucht, sicher-
zustellen, dass diese Forderungen in allen internationalen
Verhandlungen zu den Eigenkapitalrichtlinien des Base-
ler Ausschusses für die Bankenaufsicht und bei der Über-
nahme dieser Richtlinien durch die EU-Kommission um-
gesetzt werden. Die einseitigen Benachteiligungen und
Belastungen für die mittelständischen Unternehmen müs-
sen verhindert werden und die Chancengleichheit im
Wettbewerb zwischen den nationalen Kreditinstituten un-
tereinander sowie im Verhältnis zu den international täti-
gen Kreditinstituten muss aufrechterhalten werden. Um
dies sicherzustellen, stellen wir folgende Forderungen im
Einzelnen:
Erstens. Bei der Festlegung der Risikogewichtung darf
es zu keiner generellen Erhöhung der Eigenkapitalbelas-
tung für die deutschen Kreditinstitute kommen, die insbe-
sondere auch durch risikoinadäquate Kapitalanforderun-
gen für operationelle Risiken verursacht werden. Eine
Ursache für die hohen relativen Risikogewichte ist, dass
bei deren Festlegung der Baseler Ausschuss für Banken-
aufsicht von der Vorstellung ausgeht, mit bankaufsichtlich
vorgegebenem Eigenkapital müssten nicht nur die uner-
warteten, vielmehr auch die erwarteten Verluste aus Kre-
diten unterlegt werden. Weiterhin hat diese Erhöhung
auch zur Folge, dass mittelständische Unternehmen in
Deutschland unangemessen benachteiligt würden und so-
wohl im nationalen als auch im internationalen Wettbe-
werb Nachteile erführen.
Zweitens. Die Übergangsfristen in Bezug auf die Min-
destanforderungen für die gleichberechtigte Anwendung
interner Ratingverfahren sollte flexibler gefasst und so
ausgestaltet werden, dass sie allen Bankengruppen eine
faire und realistische Chance bieten, von den Vorteilen der
neuen Regelungen zu profitieren.
Allein diese flexiblere Anwendung garantiert die
Chancengleichheit aller Bankengruppen bei der Schaf-
fung von Risikokontrollsystemen durch den Aufbau von
Datensammlungen. Das sehr komplexe Kreditvergabewe-
sen in Deutschland erfordert lange Übergangsfristen für
die Schaffung dieser Datenbasen.
Drittens. Der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht
sollte von der Forderung Abstand nehmen, dass für Kre-
dite mit einer längeren Laufzeit eine höhere Eigenkapital-
unterlegung vonnöten sein solle als für Kredite mit kurzer
Laufzeit. Wir als CDU/CSU-Fraktion konnten uns leider
nicht durchsetzen, das Wort „unangemessen“ in Bezug
auf den Malus zu streichen. Wir wolten verdeutlichen,
dass kein Malus in Frage kommt.
Zurzeit diskutiert man in Basel Eigenkapital-Unterle-
gungen für diesen Bereich von 1,2- bis zum 6fachen. Dies
sind für die deutschen Finanzierungsstrukturen gerade der
mittelständischen Unternehmen unakzeptable Bedingun-
gen. Sollte dies dennoch kommen, würden insbesondere
die deutschen mittelständischen Unternehmen benachtei-
ligt werden, die schon immer den langfristigen Kredit als
Folge einer weitsichtigen Unternehmenspolitik bevorzugt
haben. Langfristige Kredite tragen aufgrund ihrer verläss-
licheren Kalkulierbarkeit wesentlich zur Stabilisierung
bei.
Viertens. Bei der Berechnung der Eigenkapitalunterle-
gung sollten wichtige Kreditbesicherungsinstrumente des
deutschen Mittelstandes risikomindernd anerkannt wer-
den – so etwa die Sicherungsübereignung und die Bestel-
lung eines Grundpfandrechtes bei einem Betriebsmittel-
oder Investitionskredit und die Abtretung der Ansprüche
aus Kapitallebensversicherungsverträgen bei Personen-
unternehmen.
Fünftens. Bei der Verwendung des internen Ratingver-
fahrens darf der Besitz von Aktien und die Beteiligung
von Banken an dritten Unternehmen nicht als ein deutlich
höheres Risiko eingestuft werden als ein Kredit an dieses
Unternehmen. Andernfalls würden gerade junge Mittel-
standsunternehmen im Wettbewerb benachteiligt, weil
gerade Existenzgründer oft ihre Finanzierung durch Be-
reitstellung dieses Wagniskapitals sichern. Der Vorschlag
der CDU/CSU-Fraktion, dass der Baseler Ausschuss für
Bankenaufsicht nach seinem für die künftige Eigenkapi-
tal-Unterlegungen wichtigen Treffen im Oktober 2001
eine weitere Konsultation durchführt, wurde leider nicht
aufgenommen. In dem gemeinsamen Antrag konnten wir
jedoch erreichen, dass der Deutsche Bundestag die Bun-
desregierung gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank
ersucht, dass der Finanz- und der Wirtschaftsausschuss
des Deutschen Bundestages, das Kreditgewerbe und die
Wirtschaft vor der deutschen Zustimmung zu der beab-
sichtigten Vereinbarung die Möglichkeit zur Stellung-
nahme erhalten.
Die Diskussion über Basel II wird bis zu deren Unter-
zeichnung ein weiterer permanenter Diskussionsprozess
bleiben, deshalb auch diese Forderung an die Bundesre-
gierung. Mit diesem gemeinsamen Antrag sind die Forde-
rungen der deutschen Seite für die Verhandlungsführer
eindeutig formuliert mit der Bitte, die Umsetzung dieser
Punkte bei den Verhandlungen sicherzustellen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117050
(C)
(D)
(A)
(B)
Hiermit haben die Verhandlungsführer eine gute Ver-
handlungsposition, da das deutsche Parlament hinter die-
sen Forderungen steht. Gleichzeitig bietet auch der Passus
„mit dem Sicherstellen der Forderung“ die Möglichkeit,
für die Verhandlungsführer, bei Nichterreichung unserer
gemeinsamen Position vom Vetorecht Gebrauch zu ma-
chen.
Denn unsere Forderung ist: Fairer Wettbewerb bei Ba-
sel II.
Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
freue mich, dass sich alle Fraktionen auf einen gemeinsa-
men Antrag zum zweiten Konsultationspapier des Baseler
Ausschusses für Bankenaufsicht zur Neuregelung der an-
gemessenen Eigenkapitalausstattung von Kreditinstituten
(kurz: Basel II) verständigt haben. Diese parlamentari-
sche Einigung soll helfen, die deutschen Positionen im in-
ternationalen Dialog zu stärken. Die Baseler Bank für In-
ternationalen Zahlungsausgleich (BIZ) will mit diesem
internationalen Konsultationsprozess die Bedingungen
für das Kreditgeschäft von Banken neu regeln. Diese dann
international gültigen Eigenkapitalanforderungen für
Banken sollen einen Beitrag zur Stabilisierung der inter-
nationalen Finanzarchitektur leisten. Die Regeln sollen
im Jahr 2004 international in Kraft treten. Im Grundsatz
müssen Banken höhere Risiken bei der Einräumung von
Krediten für Unternehmen dann mit mehr Eigenkapital
absichern. Am Konsultationsprozess haben in Deutsch-
land alle relevanten Verbände der Kreditwirtschaft und
der Kredit nehmenden Wirtschaft teilgenommen und wer-
den auch bis zur abschließenden Beratung weiter beteiligt
werden.
Wir haben uns im Finanzausschuss des Deutschen
Bundestages wiederholt mit dem Thema auseinander ge-
setzt und dabei eine gemeinsame Formulierung verein-
bart. Diese ist Gegenstand der heutigen Beschlussfas-
sung, die dem Bundestag vorliegt. Gewissermaßen als
Fortsetzung der Stellungnahme vom Juni des letzten Jah-
res werden im jetzigen Entschließungsantrag die Fort-
schritte im internationalen Konsultationsprozess begrüßt.
Dazu zählen die Einführung eines auf bankinterne Ra-
tings gestützten einfachen Ansatzes zur Ermittlung der Ei-
genkapitalanforderungen für das Kreditrisiko, die Festle-
gung des ermäßigten Gewichtungssatzes in Höhe von
50 Prozent für den gewerblichen Realkredit, die Berück-
sichtigung verminderter Kreditrisiken beim Kreditge-
schäft mit Privatkunden im Rahmen der auf bankinterne
Ratings gestützten Ansätze und damit die Schaffung einer
wesentlichen Voraussetzung für die Festsetzung ange-
messen niedriger Anrechnungssätze für Kredite auch an
Handwerksbetriebe und Kleinbetriebe des Mittelstandes
sowie eine Festlegung eines festen Zeitpunktes für ein
einheitlich weltweites In-Kraft-Treten der neuen Stan-
dards.
Dieser Zwischenerfolg im Rahmen des Verhandlungs-
prozesses ist sicherlich ein Ergebnis gemeinsamer An-
strengungen im internationalen Dialog. Dabei will der
Deutsche Bundestag aber nicht stehen bleiben, sondern
richtet an den vor uns liegenden Teil des Konsultations-
prozesses einige wichtige Anforderungen. Derzeit werden
unter Beteiligung von rund 50 Privatbanken, Sparkassen
und Landesbanken sowie Kreditgenossenschaften unter
Betreuung der Deutschen Bundesbank Daten erhoben und
zusammengestellt für die so genannten „country reports“.
Im Spätsommer 2001 werden diese Ergebnisse den Mit-
gliedern des Baseler Ausschusses vorgelegt. Erst auf die-
ser Datengrundlage sind Abschätzungen über die verän-
derten Eigenkapitalanforderungen und damit auch
Kreditkosten möglich. Die bislang vorliegenden Konsul-
tationspapiere enthalten noch keine endgültigen Festle-
gungen für die Anrechnungsgrundsätze für die Kapitalun-
terlegung des Kreditrisikos bei Anwendung der auf
bankinterne Ratings gestützten Ansätze.
Deshalb ist aus Perspektive des Bundestages sicherzu-
stellen, dass die endgültige Struktur der Gewichtungs-
sätze bei der Ermittlung der Eigenkapitalanforderungen
für das Kreditrisiko im Rahmen der auf bankinterne Ra-
tings gestützten Ansätze und die Anrechnungssätze für
operationelle Risiken so ausgestaltet sind, dass risiko-
überzeichnende Eigenkapitalanforderungen und damit
eine generelle Verteuerung von Firmenkrediten vermie-
den und insbesondere die kleinen und mittleren Unter-
nehmen fair behandelt werden; die Übergangsfristen
bezüglich der Mindestanforderungen für die gleichbe-
rechtigte Anwendung interner Ratingverfahren flexibler
gefasst und so ausgestaltet werden, dass sie allen Ban-
kengruppen die Chance bieten, von den Vorteilen der
neuen Regelungen zu profitieren; bei dem auf bankinterne
Ratings gestützten Ansatz kein ungerechtfertigter Malus
für mittel- und langfristige Kredite eingeführt wird; be-
währte Kreditbesicherungen für kleine und mittlere
Unternehmen in Deutschland bei der Berechnung der
Eigenkapitalunterlegung wie die Begebung von grund-
pfand-rechtlichen Sicherheiten, die Sicherungsübereig-
nung bei einem Betriebsmittelkredit und Investitionskre-
dit und die Abtretung der Ansprüche aus Kapital-
lebensversicherungsverträgen bei Personenunternehmen
in angemessener Weise risikomindernd anerkannt wer-
den. Letzter Punkt ist angesichts der praktizierten Kredit-
besicherungen für kleine und mittlere Personengesell-
schaften von hoher Relevanz.
Angesichts der Tatsache, dass die Auswirkungen der
Neuregelung von Basel II erst im Herbst 2001 nach Aus-
wertung der aufbereiteten Datenbasis und der weiteren in-
ternationalen Konsultationsgespräche überschaubar sind,
ist es für den deutschen Bundestag eine Selbstverständ-
lichkeit, dass er vor der Zustimmung zu der geplanten in-
ternationalen Vereinbarung die Möglichkeit zur erneuten
Stellungnahme erhält. Dieser Anspruch gilt selbstver-
ständlich auch für das Kreditgewerbe und die Kredit auf-
nehmende Wirtschaft.
Rainer Funke (F.D.P.): Unter dem kryptisch klingen-
den Stichwort „Basel II“ werden in der Öffentlichkeit in
letzter Zeit viele Ängste geschürt, wie ich meine, zum Teil
zu Recht, aber auch zum Teil zu Unrecht. In der Tat haben
die bisherigen Beschlüsse zu den Baseler Eigenkapital-
vorschriften einen großen Einfluss auf unsere mittelstän-
disch orientierte Wirtschaft und auch auf unsere mittel-
ständisch ausgerichteten und häufig auch mittelständisch
strukturierten Finanzinstitute. Die Folgen von „Basel II“
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17051
(C)
(D)
(A)
(B)
werden für den Mittelstand gravierend sein, allein wenn
man bedenkt, dass die Eigenkapitalquote unserer mittel-
ständischen Unternehmen häufig bei 20 Prozent und dar-
unter liegt, dem gemäß eine Fremdkapitalfinanzierung bis
zu 80 Prozent notwendig ist. Dagegen sind die Kapital-
verhältnisse in den USA genau umgekehrt: 80 Prozent
werden eigenfinanziert und 20 Prozent fremdfinanziert.
Die mittelständische Wirtschaft spielt in den USA eine
geringere Rolle als in der Bundesrepublik Deutschland.
Deswegen wäre es gefährlich, sich in Basel ausschließlich
an den amerikanischen Vorstellungen zur Kreditfinanzie-
rung zu orientieren.
Der Deutschen Bundesbank und auch der Bundesre-
gierung ist Dank zu sagen, dass sie auf die besonderen In-
teressenslagen, die sich ja auch mit anderen europäischen
Ländern decken, in Basel hingewiesen und sich in weiten
Teilen auch haben durchsetzen können.
Im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung
steht das Rating für mittelständische Unternehmen, mit
anderen Worten: Kreditbeurteilung eines jeden Unterneh-
mens nach einem festgelegten Muster – man könnte auch
sagen: Formular – durch die Kredit gebende Bank. Dabei
ist inzwischen geklärt, dass diese Ratings sowohl durch
externe Ratinggesellschaften vorgenommen werden kön-
nen aber auch durch interne Ratings der Banken, die ja auf
diesem Gebiet entsprechende jahrelange Erfahrungen ha-
ben. In der Öffentlichkeit ist häufig der – falsche – Ein-
druck entstanden, dass die Ratingsysteme völlig neu
seien. Diese Systeme bestehen seit langem und sind in den
letzten Jahren immer mehr verfeinert worden. Die Ratings
der Kreditinstitute sind für den Mittelstand preislich güns-
tiger als externe Ratings, wenn man auch ehrlicherweise
sagen muss, dass Kreditinstitute keine Wohlfahrtinstitute
sind und dem gemäß die Kosten für das Rating im Preis
für den Kredit mit eingehen.
Dieses Ratingsystem hat sich für Banken und auch für
die kreditnehmende Wirtschaft durchaus positiv ausge-
wirkt, weil durch dieses Verfahren Schwachstellen bei
den Kreditnehmern frühzeitig aufgedeckt werden können
und das Kreditrisiko bei den Banken in Grenzen gehalten
werden kann. Deswegen sehe ich das Hauptproblem bei
„Basel II“ nicht so sehr im Ratingsystem, sondern eher bei
der Frage, in welchem Umfang die kreditgebenden Ban-
ken die Kredite durch Eigenkapital unterlegen müssen.
Insoweit wird sich die Bankenlandschaft in der Bundes-
republik Deutschland sicherlich grundlegend verändern.
Der zusätzliche Eigenkapitalbedarf wird zu einer Kon-
zentration im Sparkassen-, Volksbanken- und Raiffeisen-
bereich führen, aber auch bei vielen anderen mittelstän-
disch orientierten Bankinstituten. Auf der anderen Seite
wird dies aber auch für innovative Kreditinstitute neue
Chancen eröffnen, zum Beispiel auch Verbriefung und
Verhandelbarkeit von Forderungen, so wie es heute schon
in den USA für ganze Körbe von Kreditportefeuilles gilt.
Auf diese Weise entlasten sich die Banken auf der Aktiv-
seite und damit auch hinsichtlich des Zwangs, zusätzlich
Eigenkapital zu bilden.
Eine Fundamentalopposition gegen „Basel II“ macht
keinen Sinn. „Basel II“ kann auch ein Fundament für zu-
sätzliche Produkte an internationalen Finanzmärkten sein,
wenn es international voll umgesetzt wird. Und dies liegt
im Interesse des deutschen Mittelstandes, der auch export-
orientiert ist. Die Ratingverfahren sind eine Chance zur
Früherkennung von Mängeln in der Unternehmensstruk-
tur, wobei ich nicht verkenne, dass Kredite für Firmen in
schwierigen Branchen oder mit schlechter Eigenkapital-
ausstattung zweifellos teurer werden; dasselbe gilt leider
auch für schöpferisch innovative Jungunternehmen.
Deswegen wird in Basel bei einzelnen Bedingungen im
Entwurf noch nachverhandelt werden müssen, wie zum
Beispiel bei der Berücksichtigung von Kreditlaufzeiten
und der zu finanzierenden Produkte, aber auch im Hin-
blick auf die Anerkennung von Sicherheiten und deren
Beurteilung. „Basel II“ bedeutet also für den deutschen
Mittelstand und für die kreditgebenden Institute Risiko,
Bereitschaft zur Veränderung, aber zugleich auch Chance.
Dr. Barbara Höll (PDS): Zukünftig sollen internatio-
nale Finanzkrisen noch wirksamer bekämpft werden. Zu
diesem Zweck wird – auf internationaler Ebene – bereits
seit einiger Zeit an internationalen Richtlinien zu einer
Neuregelung der angemessenen Eigenkapitalausstattung
von Kreditinstituten gearbeitet.
Diese Verhandlungen sind zweifelsohne ein mühseli-
ger Prozess. Schließlich agieren die Kreditinstitute der
verschiedenen Staaten, die die verbindlichen Richtlinien
anwenden sollen, unter völlig unterschiedlichen wirt-
schaftlichen Bedingungen. Dies zeigte sich nicht zuletzt
am zähen Tauziehen zwischen den amerikanischen und
europäischen Verhandlungsführern.
Inzwischen liegt ein mehrmals überarbeiteter Entwurf
vor, der nach erneuter Revision bis Jahresende verab-
schiedet und 2004 in Kraft treten soll.
Grundsätzlich sind die Bedenken, die in den behan-
delnden Ausschüssen geäußert wurden, umgesetzt wor-
den. Es konnte verhindert werden, dass ausschließlich die
amerikanischen Verhältnisse Maßstab für die Richtlinien
sind. Das bankinterne Rating wurde ermöglicht, es gibt
eine hinreichende Risikodifferenzierung, die grundsätz-
lich auch Kredite an klein- und mittelständische Unter-
nehmen zu vertretbaren Bedingungen möglich machen
wird.
Einige Details der Eigenkapitalunterlegung sind jedoch
noch offen. So droht insbesondere bei den hierzulande üb-
lichen langlaufenden Krediten noch eine überhohe Unter-
legung, wird die Problematik von ExistenzgründerInnen
kaum beachtet.
Deshalb heute der Antrag aller Fraktionen, in dem die
Bundesregierung aufgefordert wird, gerade diese Aspekte
bei der Verhandlungsführung noch stärker einzubringen.
Doch trotz der bisher erzielten Fortschritte: Die PDS
wünscht sich in der kontinuierlichen Berichterstattung
über die Verhandlungen Aussagen zu den praktischen
wirtschaftspolitischen Konsequenzen.
So erwarten wir Auskunft darüber, wie seitens der
Wirtschaftsförderpolitik auf die neue Risikogewichtung
im Rahmen interner Ratings reagiert werden soll.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117052
(C)
(D)
(A)
(B)
Wir wollen ferner wissen, inwieweit die neuen Wege
der KfW, den „Hausbanken“ auf Wunsch KMU-Kredit-
portfolios auf eigene Rechnung an den Finanzmärkten zu
platzieren, kompatibel mit den Richtlinien von Basel sind.
Dazu kommt, dass eine besondere Betrachtung der Un-
ternehmen aus den neuen Bundesländern nicht stattfindet.
Gerade für diese verstecken sich jedoch Risiken in den
Richtlinien. So sind ostdeutsche Unternehmen nach 1990
im Wesentlichen fremdfinanziert worden, ist ihre Eigen-
kapitalquote äußerst gering und nur ansatzweise gesi-
chert, sind diese Unternehmen durch hohe Refinanzie-
rungslasten belastet. Dies alles wirkt sich zweifelsohne
auf ihre Risikobewertung und damit auf die Kreditver-
gabe an diese Unternehmen aus. Dies sollte in der ver-
bleibenden Zeit noch stärker berücksichtigt werden.
Ein Hauptproblem der Verhandlungen ist für uns aber
die Säule II. Diese beinhaltet die Verbesserung der auf-
sichtsrechtlichen Überprüfung der institutsinternen Risi-
kosteuerung und -kontrolle. Die Vorschriften dafür wur-
den bisher – egal ob seitens der Verhandlungsführer, der
Kreditwirtschaft oder der Bundesbank – äußerst allge-
mein gehalten. Die Richtlinien sollten ausdrücklich
„keine Festschreibung konkreter, zwingend zu ergreifen-
der Maßnahmen“ enthalten. Dies reicht absolut nicht.
Basel II soll Risiken, wie die Bankenkrisen in Fernost
und Russland Ende der 90er-Jahre vermindern helfen.
Nun frage ich Sie, was ausgefeilte Risikobewertungsvor-
gaben an die Banken nützen, wenn deren Durchführung
aufgrund fehlender Vorgaben nicht hinreichend kontrol-
liert wird? Sie sind Makulatur.
Hier fordert die PDS eine ausführlichere Berichterstat-
tung als dies bisher geschehen ist, ein stärkeres Bemühen
der Bundesregierung in diese Richtung und letztlich sub-
stanzielle Verhandlungsergebnisse.
Dr. Barbara Hendricks, Parlamentarische Staatsse-
kretärin beim Bundesminister der Finanzen: „Fairer Wett-
bewerb“ ist ein zentrales Stichwort in der Diskussion über
die gegenwärtige Überarbeitung der internationalen bank-
aufsichtsrechtlichen Eigenkapitalstandards, die kurz un-
ter dem Schlagwort „Basel II“ geführt werden. Die Aus-
gestaltung fairer bankaufsichtsrechtlicher Regelungen
war ein zentrales Anliegen des Deutschen Bundestages
bei seiner ersten Entschließung vom 8. Juni 2000 zu Ba-
sel II. Die Stärkung der Fairness steht auch im Mittelpunkt
des heute zur Entschließung vorliegenden gemeinsamen
Antrages der Fraktionen zu Basel II.
Befürchtungen, dass Basel II zu systematischen Be-
nachteiligungen oder einseitigen Belastungen bestimmter
Gruppen aus dem Kreditgewerbe oder einzelner Teile der
Wirtschaft führt, sind nicht gerechtfertigt. Vielmehr trifft
es zu, dass die Idee gleicher Chancen für die Kreditinsti-
tute und deren Kundschaft in Basel II viel stärker angelegt
ist als im bestehenden Regelungswerk. Allerdings besteht
in einzelnen Bereichen der zur Diskussion gestellten Re-
geln zu Basel Il noch Nachbesserungsbedarf:
Was bedeutet Fairness im Zusammenhang mit Basel II?
Fairness bedeutet zunächst eine risikogenauere Erfassung
der mit dem Kreditgeschäft der Banken verbundenen Ri-
siken. Die bankaufsichtlichen Eigenkapitalanforderungen
werden stärker an das betriebswirtschaftlich relevante Ri-
siko angepasst und damit wird die gewandelte Bankpra-
xis nachvollzogen.
Durch die genauere Abbildung der Risiken werden den
Bankkunden gerechtere Kreditkonditionen in Rechnung
gestellt. Mit Basel II wird eine risikoadäquate Umstruk-
turierung der bankaufsichtlichen Eigenkapitalanforderun-
gen angestrebt, aber keine Erhöhung der Belastungen für
die Institute insgesamt. Generelle Verteuerungen von
Krediten in Folge von Basel II sind nicht beabsichtigt und
müssen unbedingt vermieden werden.
Fairness bedeutet außerdem, dass den Banken entspre-
chend dem Entwicklungsstand ihrer Risikoerfassungssys-
teme verschiedene Anrechnungsmethoden zur Auswahl
gestellt werden. Das neue Regelungswerk ist evolutionär
angelegt und ist flexibel. Sämtliche Kreditinstitute sollen
eine faire Chance zur Nutzung der neuen Anrechnungs-
methoden ab dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der
Regelung haben.
Die Stärkung gleichwertiger Rahmenbedingungen für
den internationalen Wettbewerb der Banken ist ein zen-
trales Ziel von Basel II. Die neuen Anrechnungsregelun-
gen müssen wettbewerbsneutral konzipiert sein. In Bezug
auf die Methoden zur Erfassung der Schuldnerbonitäten
bedeutet dies, bankinterne Ratings gleichberechtigt neben
Bonitätsurteilen externer Rating-Agenturen anzuerken-
nen. Anders als externe Ratings, die insbesondere im an-
gloamerikanischen Raum verbreitet sind, sind interne Ra-
tings den hiesigen Kreditinstituten besser vertraut.
Auf deutsche Initiative hin ist es gelungen, bankinterne
Ratings als gleichwertige Alternative zu den externen Ra-
tings in Basel II aufzunehmen. Dies ist ein wichtiger Er-
folg für die Interessen der deutschen Kreditwirtschaft.
Dabei ist von deutscher Seite darauf geachtet worden, die
Voraussetzungen zur Anwendung bankinterner Ratings so
auszugestalten, dass auch kleinere und mittlere Kreditin-
stitute eine faire Chance haben, diese neuen Verfahren zu
nutzen. Es gilt, einheitliche Rahmenbedingungen für den
nationalen Wettbewerb sicherzustellen. Deshalb enthält
der Entschließungsantrag die Forderung, in Basel II die
Anforderungen für den Einstieg in die gleichberechtigte
Anwendung interner Ratingverfahren flexibel festzulegen
und so auszugestalten, dass sie allen Bankengruppen die
realistische Chance bieten, von den Vorteilen der neuen
Regelungen zu profitieren.
Eine faire bankaufsichtliche Regelung zeichnet sich
auch dadurch aus, dass sie positive Anreize für die Insti-
tute enthält, genauere und damit risikogerechtere Metho-
den zur Erfassung der Risiken anzuwenden. Der Umstieg
von einer grobschlächtigen Anrechnungsmethodik zu ei-
nem ausgefeilten System muss sich lohnen. Damit die
richtigen Anreizstrukturen geschaffen werden, bedarf es
noch einer Überarbeitung der zur Diskussion gestellten
Vorschläge zu Basel II. Dies beinhaltet die Absenkung der
Gewichtungssätze beim internen Rating sowie eine
Neuausrichtung der Konzepte zur Anrechnung von Be-
triebsrisiken.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17053
(C)
(D)
(A)
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Finanz- und wirtschaftspolitisch nicht zu akzeptieren
wäre, wenn die neuen Risikoanrechnungsregelungen die
Kreditfinanzierung der Wirtschaft insgesamt verteuern
würden. Risikoüberzeichnende Eigenkapitalanforderun-
gen müssen vermieden werden. Diese zentrale Forderung
des Entschließungsantrages schließt ein, dass insbeson-
dere auch die Unternehmen des Mittelstandes fair behan-
delt werden. Dies setzt Anrechnungssätze für die Kredit-
und Betriebsrisiken in angemessener Höhe voraus. Die
zur Diskussion gestellten Anrechnungssätze sind nach
dem Urteil von Experten unausgewogen, weshalb drin-
gender Korrekturbedarf besteht.
Basel II darf nicht bewirken, dass bewährte Bestand-
teile der deutschen Finanzierungskultur in Frage gestellt
werden. Dazu gehören: die Vergabe mittel- und langfris-
tiger Kredite – eine unangemessene Schlechterbehand-
lung längerfristiger Kredite gegenüber kurzfristigen
Darlehen ist unakzeptabel – und die Berücksichtigung be-
währter Kreditbesicherungen insbesondere auch des Mit-
telstandes.
Insgesamt ist Basel II auf einem guten Weg. Den deut-
schen Verhandlungsführern ist es gelungen, in Aus-
führung der Entschließung des Deutschen Bundestages
vom 8. Juni 2000 zu Basel II wesentliche Verbesserungen
gegenüber den ursprünglichen Vorschlägen durchzuset-
zen. Zusätzlich soll der neue Entschließungsantrag zu Ba-
sel II dazu beitragen, dass faire bankaufsichtsrechtliche
Standards geschaffen werden.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Berichte zur Technikfolgenab-
schätzung:
– hier: Monitoring „Risikoabschätzung und Nach-
zulassungs-Monitoring transgener Pflanzen“
– hier: Monitoring „Nachwachsende Rohstoffe“ –
Einsatz nachwachsender Rohstoffe im Baube-
reich
(Tagesordnungspunkt 14 a und b)
René Röspel (SPD): Der von uns heute diskutierte
Sachstandsbericht des Büros für Technikfolgenab-
schätzung beim Deutschen Bundestag zum Monitoring
„Risikoabschätzung und Nachzulassungs-Monitoring
transgener Pflanzen“ ist erstens ein weiterer Beweis für die
Fähigkeit des TAB, Fragestellungen des Parlamentes und
seiner Ausschüsse wissenschaftlich hervorragend zu bear-
beiten, und zweitens eine wichtige und umfassende Quelle
von Informationen für die politische Diskussion der so
genannten „Grünen Gentechnik“.
Zielsetzung des Berichtes ist es, den jeweiligen Stand
der Sicherheitsforschung und der Risikodiskussion, der
Regelungen und der Handhabungen von Zulassungsver-
fahren unter anderem bei der Freisetzung transgener
Pflanzen in der EU und der Umsetzung der Novel-Food-
Verordnung sowie daraus ableitbare Handlungsmöglich-
keiten darzustellen. Dieses Ziel wird erreicht.
Leider kann ich wegen der kurzen mir zur Verfügung
stehenden Zeit nicht detailliert auf alle Bereiche eingehen.
Erlauben Sie mir deshalb, einen Punkt aus diesem Be-
richt hervorzuheben: Eine der wichtigen Aussagen des Be-
richtes ist sicherlich die Feststellung, dass die Datenlage,
was die Begleitforschung von Freisetzungen anbelangt,
„in vieler Hinsicht dürftig ist“. Lediglich 1 Prozent aller
weltweit durchgeführten Freisetzungsversuche waren bis-
her mit ökologischer Begleitforschung verbunden. Wenn
Deutschland mit 15 Prozent dabei positiv herausragt, so ist
das sicherlich nicht das Verdienst einer freiwilligen Selbst-
verpflichtung der beteiligten Unternehmen, sondern einer
sehr kritisch eingestellten und aufmerksamen Bevölke-
rung. Geschadet hat das aus meiner Sicht übrigens nicht.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Initiative des
Bundeskanzlers aus dem letzten Sommer eine neue Be-
deutung. Ziel der Initiative ist eine Vereinbarung mit den
betroffenen Unternehmen, für eine dreijährige Über-
gangsphase keinen großflächigen kommerziellen Anbau
transgener Pflanzen zuzulassen, sondern mit einem inten-
siven Beobachtungsprogramm zu einem deutlichen Er-
kennntnisgewinn zu kommen und Wissenslücken zu fül-
len. Ich hoffe, dass die Initiative Erfolg haben wird.
Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass einer der Aus-
löser dieser Initiative die Diskussion über das Inverkehr-
bringen des genetisch veränderten Maises Bt-176/Wind-
sor Ende 1999/Anfang 2000 war. Die rot-grüne Koalition
hat diesen Mais nicht ausbringen lassen, weil viele Risi-
ken nicht geklärt sind. Den Anhang des TAB-Berichtes
kann ich der Opposition zur Lektüre empfehlen: Viele der
von uns vorgebrachten Kritikpunkte finden Sie dort be-
stätigt! Der Bericht gibt eine Reihe von Handlungsemp-
fehlungen, die wir in unsere politische Arbeit integrieren
werden.
Verantwortungsvolle und nachhaltige Politik sind bei
Rot-Grün in guten Händen!
Heino Wiese (Hannover) (SPD): Der uns hier vorlie-
gende Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung
wurde im Auftrag des Ausschusses für Bildung und For-
schung erarbeitet. Auf Anregung unseres Ausschusses für
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sollte
er auch den aktuellen Diskussionsstand zur Sicherheits-
forschung und zur Entwicklung des Nachzulassungsmo-
nitoring zusammenfassen. Was wir erhalten haben, sind
ein fundierter und umfassender Überblick zum Diskussi-
onsstand und gute Ansätze zum weiteren Handlungsbe-
darf. Ich möchte dem TAB-Büro an dieser Stelle für diese
hervorragende Arbeit danken.
Was hat uns der Bericht gezeigt? Er macht vor allem
deutlich, dass die Diskussion um die Sicherheit gentech-
nisch veränderter Pflanzen ständig weitergeht und noch
längst nicht beendet ist. Die Datenlage in Bezug auf die
Freisetzungsversuche ist nach wie vor dürftig. Es gibt in
Europa bis jetzt mittlerweile über 1 300 Freisetzungsver-
suche, aber es wurde bislang nur wenig Wissen über mög-
liche ökologische Wirkungen gesammelt. Kein Wunder
also, dass die grüne Gentechnik weiter abgelehnt wird.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117054
(C)
(D)
(A)
(B)
Nun mögen beispielsweise Herr Heinrich und Frau
Flach von der F.D.P. sagen, alle in Rede stehenden Risi-
ken seien bloße Spekulation. Ihnen möchte ich aber erwi-
dern, auch die Vermutung, es gebe keine Gefährdungen,
ist reine Spekulation. Solange wir nicht mögliche Folge-
schäden ausschließen können, wird meine Skepsis weiter
bestehen bleiben.
Natürlich ergibt sich daraus die Notwendigkeit, dass
wir die transgenen Pflanzen erst einmal zulassen und er-
forschen müssen, um mögliche Einflüsse auf die Umwelt
festzustellen. Aber, bitte schön, nur mit einem Nachzu-
lassungsmonitoring und weiterer Sicherheitsforschung,
die unsere Wissenslücken schließt und Zweifel ausräumt.
Langzeitfolgen und komplexe Fernwirkungen können nur
in größerem Maßstab beobachtet und untersucht werden.
Deswegen brauchen wir eine anbaubegleitende Dauer-
beobachtung transgener Pflanzen, um Effekte zu erfassen,
die auf den begrenzten Versuchsfeldern und bei Freiset-
zungsversuchen nicht untersucht werden können. Ich
möchte daher den Bundeskanzler ausdrücklich bitten, die
Gespräche mit den Pflanzenzüchtern und der Saatgutin-
dustrie wieder aufzunehmen.
Wir sollten den Vorschlag, innerhalb eines Moratori-
ums in Bezug auf die Vermarktung umfassende Monito-
rings durchzuführen, unbedingt wieder aufgreifen. Im Fe-
bruar wurde auf Weisung des Gesundheitsministeriums
die Inverkehrbringungsgenehmigung der Maissorte Bt
176/Windsor ausgesetzt. Darüber haben wir lange disku-
tiert und es hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Öf-
fentlichkeit bzw. der Verbraucher transgenen Pflanzen
sehr kritisch gegenüber steht. Solange die Hersteller von
transgenen Pflanzen uns kein Produkt präsentieren kön-
nen, dass für Verbraucherinnen und Verbraucher einen
konkreten Nutzen bietet, wird die negative Meinung zum
Gen-Food weiter bestehen bleiben.
Horrorszenarien werden durch die Unwissenheit und
mangelnde Aufklärung geschürt, aber auch weil man das
Gefühl hat, dass der Sicherheitsaspekt vernachlässigt
wird. Dies sollte die beteiligten Firmen eigentlich veran-
lassen, auch ohne Einfluss der Bundesregierung in eige-
ner Selbstverpflichtung ein Sicherheitsforschungspro-
gramm durchzuführen.
Dass diese Sicherheitsforschung bzw. ein Nachzulas-
sungsmonitoring mehr als nötig ist, hat uns der vorlie-
gende Bericht gezeigt. Die Zukunft der grünen Gentech-
nik ist nach wie vor schwer einschätzbar. Auch bei den
Monitoring-Konzepten herrscht noch keine Einigkeit.
Auf „weniger ist mehr“ dürfen wir uns hier jedoch nicht
einlassen. Schon aus Verbraucherschutzgründen haben
wir die Verpflichtung, eine umfassende Risikoabschät-
zung vorzunehmen und die entsprechenden Firmen da-
rauf zu verpflichten.
Es wird auch deutlich, dass in der Öffentlichkeit und
Politik nur unzureichende Kenntnisse vorhanden sind,
welche Überwachungssysteme im Bereich Umwelt und
Landwirtschaft bereits existieren und wie diese für ein an-
baubegleitendes Monitoring genutzt werden können. Da-
raus ergibt sich die Aufgabe, Zielstellungen, Kriterien und
Methoden des anbaubegleitenden Monitorings mit Wis-
senschaft, Wirtschaft, Öffentlichkeit und Politik zu disku-
tieren. Deshalb schlägt der Bericht auch vor, dass im Rah-
men des Förderschwerpunktes „Sicherheitsforschung und
Monitoring“ im Programm Biotechnologie 2000 des Mi-
nisteriums für Bildung und Forschung ein neuer Themen-
schwerpunkt „Grundlagen, Methoden und Modelle zur
Abschätzung indirekter und langfristiger Auswirkungen
transgener Pflanzen“ eingerichtet wird.
Diesem kann ich nur ausdrücklich zustimmen. Denn
wir müssen uns immer bewusst sein: Bei der Freisetzung
von gentechnisch manipulierten Pflanzen und auch Tieren
werden Organismen in die Umwelt entlassen, die lebens-,
vermehrungs- und anpassungsfähig sind. Eine Freiset-
zung ist somit irreversibel. Wir können sie nicht einfach
wieder zurückholen wie einen Stuhl, den wir in den Gar-
ten stellen. Sie entwickeln sich weiter und wir könnten sie
aus den Augen verlieren. Deswegen ist es so wichtig,
mögliche Risiken vor der kommerziellen Freisetzung von
gentechnisch veränderten Pflanzen sorgfältig zu ermitteln
und zu bewerten. Der vorliegende Bericht macht dies in
eindrucksvoller Weise deutlich.
Zu dem TAB-Arbeitsbericht Nr. 61 über den Einsatz
nachwachsender Rohstoffe im Wohnungsbau möchte ich
nur kurz Stellung beziehen. Ich glaube – das wird auch
durch den Bericht bestätigt –, dass nachwachsenden Roh-
stoffen auch für den Baubereich außerordentlich große
Zukunftschancen bescheinigt werden können. Ölpflanzen
wie Raps, Stärkepflanzen wie Kartoffeln, Faserpflanzen
wie Schilfrohr, Flachs und Hanf sowie Färberpflanzen
wie Färberwaid können im Wohnungsbau vielfach einge-
setzt werden.
Auch wenn es zurzeit noch nicht möglich ist, ab-
schließende Aussagen über die ökologische Vorteilhaftig-
keit der nachwachsenden Baustoffe zu machen, so ist dem
Bericht dennoch zu entnehmen, dass es im Hinblick auf
den Gesundheitsschutz sowie bezüglich der Verwertung
der Bauabfälle deutliche Vorteile gibt. Ein wesentliches
Kriterium für den bislang noch geringen Einsatz der nach-
wachsenden Baustoffe ist der nach wie vor hohe Preis.
Wenn man hier aber erkennt, dass die Verwendung von
nachwachsenden Rohstoffen neben den anderen Vorteilen
auch für neue Beschäftigung in der Landwirtschaft sorgen
wird, glaube ich, dass hier große Chancen für die gesamte
Volkswirtschaft liegen. Ich werde mich – gerade nach der
Lektüre des Berichtes – besonders dafür einsetzen, dass
wir diese Chancen nutzen.
Peter Bleser (CDU/CSU): Ich möchte in meinem fol-
genden Beitrag beide Tagesordnungspunkte ansprechen,
sowohl den Einsatz nachwachsender Rohstoffe im Bau-
bereich als auch Fragen im Zusammenhang mit dem An-
bau und der Nutzung transgener Pflanzen.
Die Verfasser des vorliegenden Berichtes über den Ein-
satz nachwachsender Rohstoffe im Baubereich haben die
augenblickliche Situation in diesem Bereich umfassend
beschrieben, so auch die heutige Gefühlslage beim
Bauen: Das neue Haus soll technisch hochwertig, trotz-
dem billig und darüber hinaus umweltfreundlich und ge-
sund sein. Die beiden letzten Punkte erfüllen die nach-
wachsenden Rohstoffe hervorragend. Dämmstoffe aus
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17055
(C)
(D)
(A)
(B)
Flachs- oder Schafwolle, Span- und Faserplatten aus
Holzabfällen, aber auch Folien, Bindemittel und Lacke
können als nachwachsende Rohstoffe verbaut werden. Al-
lerdings wird der Bauherr feststellen, dass Dämmstoffe
aus Flachs oder Hanf drei- bis viermal so teuer sind wie
herkömmliche. Dämmstoffe mit Schafwolle sind noch
teurer. Hier stoßen also Ökonomie und Ökologie hart auf-
einander.
Man könnte sich jetzt hinstellen wie Ministerin
Künast, die den Verbrauchern empfiehlt, für Lebensmittel
doch bitteschön höhere Preise zu zahlen, aber zu einer sol-
chen Naivität kann ich mich – übertragen auf den Baube-
reich – nicht versteigen. Bekanntlich kann die Politik
keine Preise diktieren, sondern höchstens für bestimmte
Produkte die Rahmenbedingungen verbessern.
Ich fordere deshalb: Erstens bestehende nicht techni-
sche Einsatzhemmnisse – damit sind vor allem baurecht-
liche Vorschriften gemeint – abzubauen, zweitens mit ei-
ner stärkeren Förderung der Entwicklung von Baustoffen
aus nachwachsenden Rohstoffen diesem Bereich einen
wirksamen Anschub zu geben und drittens die Öffentlich-
keit, insbesondere Bauwillige, verstärkt über die Mög-
lichkeiten des Einsatzes von Material aus nachwachsen-
den Rohstoffen beim Bauen zu informieren. Nur so kann
man erwarten, dass aufgrund erhöhter Produktion die ein-
zelnen Produkte preiswerter werden.
Jetzt zu dem Thema Technikfolgenabschätzung trans-
gener Pflanzen. In der Bevölkerung herrscht eine große
Skepsis über mögliche Auswirkungen transgener Pflan-
zen auf ihre Gesundheit und auf die Umwelt. Deshalb hat
für die CDU/CSU die Risikovorsorge für die Akzeptanz
dieser neuen Technologie absolute Priorität. Durch unser
Gentechnikgesetz wird dieser Forderung Rechnung getra-
gen. Auch wir sind für ein Monitoring, also eine beglei-
tende Sicherheitsforschung bei der Freisetzung von gen-
technisch veränderten Pflanzen. Konkret bedeutet dies
aber auch, dass bei entsprechenden wissenschaftlichen
Erkenntnissen die Freisetzungsgenehmigung erfolgen
muss.
Die Bundesregierung versteht dagegen unter „Monito-
ring“ lediglich ein wissenschaftlich unbegründetes Verta-
gen von Freisetzungsgenehmigungen. Für die CDU/CSU
steht fest, dass die Entscheidung über die Nutzung trans-
gener Pflanzen dem Verbraucher überlassen bleibt, das
heißt, durch eine eindeutige Kennzeichnung der Lebens-
mittel muss der Verbraucher jederzeit die Wahlmöglich-
keit bei seiner Kaufentscheidung haben.
Die Tatsache, dass zurzeit unsere Verbraucher transge-
nen Pflanzen und daraus hergestellten Lebensmitteln
skeptisch gegenüber stehen, rührt vor allem daher, dass
die erste Generation transgener Pflanzen im Wesentlichen
auf Pflanzenschutzmittelresistenz ausgerichtet ist. Wir
setzen Hoffnungen auf die so genannte zweite Generation
der durch Gentechnik beschleunigten Züchtungen – die so
genannten funktionellen Lebensmitteln, welche auch ge-
sundheitsfördernde Wirkung entfalten sollen.
Ein weiteres viel versprechendes Anwendungsgebiet
transgener Pflanzen ist das Gebiet der nachwachsenden
Rohstoffe, zum Beispiel die biologischen Verpackungen,
technische Öle und Dämmstoffe, die deutliche Umwelt-
vorteile in vielfältigen Bereichen bis hin zur Entsorgung
aufweisen.
Die Bundesregierung ist drauf und dran, aus Angst vor
den Risiken einer neuen Technologie deren Potenzial im
Bereich der Wirtschaft und der Umwelt zu verbauen. Wir,
die CDU/CSU-Fraktion, hingegen sehen an erster Stelle
die großen Chancen der grünen Gentechnik, die wir im In-
teresse unserer Mitbürger nutzen möchten – ohne dabei
etwaige Risiken beim Verbraucher- und Umweltschutz
hintanzustellen.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
TAB-Bericht zum „Sachstand zur Risikoabschätzung und
zum Nachzulassungs-Monitoring transgener Pflanzen“
bietet auftragsgemäß einen guten Überblick über den
Stand der biologischen Sicherheitsforschung und für das
Monitoring bei Freisetzungen transgener Pflanzen.
Dargestellt werden: die Sicherheitsforschung, die Risiko-
abschätzung im Genehmigungsverfahren, rechtliche Re-
gelungen in der EU und in Deutschland, das anbaubeglei-
tende Monitoring sowie die Sicherheitsbewertung und
Monitoring im Rahmen der Novel-Food-Verordnung.
Risikoabschätzung und Monitoring sind zwingend ge-
boten aus a) rechtlichen Gründen – ich nenne das Gen-
technikgesetz, die EU-Freisetzungsrichtlinie 90/220 und
die Novel-Food-Verordnung –, b) aus Gründen der ge-
sundheitlichen und ökologischen Vorsorge und c) als
wichtige Grundlage über den gesellschaftlichen Diskurs
über Chancen und Risiken der Gentechnik. Risikoab-
schätzung und Monitoring bei transgenen Pflanzen sind
Bereiche der Wissenschaft, die sich erst entwickeln.
Beide müssen durch eine gezielte Forschungsförderung
vorangebracht werden, damit sie die rechtlichen und po-
litischen Ansprüche erfüllen können und die wesentlichen
Fragen in einem überschaubarem Zeitraum beantworten
können. Nach Auffassung von Bündnis 90/Die Grünen
sind Risikoforschung und Monitoring in erster Linie Auf-
gabe der Umweltvorsorge und sollten daher in die Feder-
führung des UBA übertragen werden.
Der TAB-Bericht gibt einen hervorragenden Überblick
und klare Handlungsaufträge für die Politik: Einrichtung
eines neuen Themenschwerpunktes „Grundlagen, Metho-
den und Modelle zur Abschätzung indirekter und lang-
fristiger Auswirkungen transgener Pflanzen, Ausstattung
der zuständigen Fachbehörden mit Kompetenzen und Ar-
beitsmöglichkeiten für ein Resistenzmanagement und zur
Konzeptentwicklung, Verständigung über den normativen
Rahmen, was nachhaltige Landwirtschaft heißt, alsbal-
dige Festlegung von Zielsetzungen, Zuständigkeiten und
Finanzierungen, Beteiligung der Öffentlichkeit, Berück-
sichtigung von Erkenntnissen aus dem Monitoring und
konkrete Verbesserungen beim Vollzug der Novel-Food-
Richtlinie. Unserer Meinung nach sollte der Bericht zur
Grundlage für die weiteren politischen Entscheidungen
gemacht werden.
Die Nachfrage der Industrie nach nachwachsenden
Rohstoffen nimmt stetig zu. Im vergangenen Jahr wurden
fast 700 000 Hektar Ackerland mit nachwachsenden Roh-
stoffen angebaut. Für die Landwirte schaffen sie neue
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 200117056
(C)
(D)
(A)
(B)
Produktions- und Einkommensmöglichkeiten und sichern
so Arbeitsplätze auf den Höfen und im ländlichen Raum.
Nachwachsende Rohstoffe werden sowohl energetisch als
auch stofflich verwertet. Bei der stofflichen Verwertung
dienen sie als Grundlage für die Herstellung von biolo-
gisch abbaubaren Schmierstoffen, Verpackungsmateria-
lien und Waschmitteln. Darüber hinaus sind sie Aus-
gangsstoffe für Arzneimittel, Textilien und Baustoffe.
Das Büro für Technikfolgenabschätzung hat wieder
einmal sehr gute Arbeit geleistet. Da es sich nur um ein
Monitoring und keine umfangreiche Studie gehandelt hat,
konnte nicht auf jedes Detail eingegangen werden. Den-
noch liefert dieses Papier einen guten Überblick über die
Möglichkeiten und Chancen nachwachsender Rohstoffe.
Das Papier zeigt, dass nachwachsende Rohstoffe in fast
allen Bereichen eine mögliche Alternative zu den kon-
ventionellen Produkten bieten. Allerdings sind sie zu-
meist teurer. Daher müssen sich die nachwachsenden
Rohstoffe über eine bessere Qualität durchsetzen. Diese
bessere Qualität kann sich zum Beispiel in geringeren
Schadstoffbelastungen ausdrücken. Dies scheint häufig
der Fall zu sein. Umfangreiche abschließende Untersu-
chungen stehen aber noch aus, die die gesamten Stoff-
ströme analysieren und bewerten. Zur besseren Qualität
gehören zum Beispiel das bessere Feuchteverhalten von
Wolle und Chinaschilf oder die Fähigkeit von Wolle,
Schadstoffe zu absorbieren und sogar in unbedenkliche
Stoffe umzuwandeln. Letzteres ist im Übrigen eine neue
Entdeckung, die nicht mehr in das Papier einfließen
konnte. Naturfarben aus Färberwad bekämpfen den
Schimmelpilz und rücken damit zunehmend in den Mit-
telpunkt des Interesses.
Auch bei den nachwachsenden Rohstoffen zeigt sich,
dass sich der Wert eines Produktes nicht nur aus dem
Preis, sondern aus dem Verhältnis von Preis und Qualität
zusammensetzt. Wie beim Biolandbau und dem Öko-
strom sind es noch relativ wenige, die dies in Betracht zie-
hen. Aber die Zahl steigt auch hier und es wird in den
nächsten Jahren damit gerechnet, dass die nachwachsen-
den Rohstoffe zum Beispiel bei den Dämmstoffen in eini-
gen Jahren schon einen Anteil von 10 Prozent haben
könnten.
Um den nachwachsenden Rohstoffen zum Durchbruch
zu verhelfen, müssen die Forschungsaktivitäten, die bis-
her eher sporadisch erfolgten, systematisiert und verstärkt
werden, verbesserte Verwertungsstrategien entwickelt
werden und vermehrte Anstrengungen zur Entwicklung
und Demonstration im Rahmen von Pilotprojekten unter-
nommen werden. Ich denke, dass die neue Verbraucher-
schutzministerin gemeinsam mit dem Bauminister die
aufgezeigten Handlungsmöglichkeiten ergreifen wird.
Der Staat hat im Übrigen ein großes Interesse an einer
Förderung der nachwachsenden Rohstoffe im Baube-
reich, da dadurch die externen Kosten des Bauens redu-
ziert werden, für die bekanntlich an anderer Stelle gera-
degestanden werden müsste. Darüber hinaus können
nachwachsende Rohstoffe Arbeitsplätze in der Landwirt-
schaft erhalten und zu einer Erweiterung der Diversität
beim Anbau beitragen, was zu einer besseren Qualität der
Böden beiträgt.
Ulrike Flach (F.D.P.): Das Monitoring-Vorhaben
„Nachwachsende Rohstoffe“ wurde auf Initiative des
Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung begonnen und gibt einen Überblick über den
Stand und die Perspektiven des Einsatzes dieser Rohstoffe
im Baubereich. Wie wir es von den Berichten des TAB
kennen, liegt uns auch hier wieder eine gründliche und er-
giebige Studie über wirtschaftliche, rechtliche und ökolo-
gische Aspekte vor. Ich danke den Mitarbeitern des TAB
für die sorgfältige Arbeit.
Die Einsatzmöglichkeiten von Hanf, Flachs, Schilf,
Altpapier, Öl- und Färberpflanzen sind vielfältig. Das Be-
wusstsein für ökologische Zusammenhänge – Stichwort
„Klimaschutz“ – und für bauliche Qualitätsansprüche
– Stichworte „Asbest und Formaldehyd“ – ist gestiegen
und sollte die Markteinführung von biogenen Baustoffen
fördern.
Dennoch gibt es objektive Hindernisse: Da sind erstens
die höheren Kosten, die allerdings bei entsprechender
Massenproduktion sinken würden. Da erweist sich zwei-
tens das Baurecht als Blockade. Die Zulassung neuer Bau-
produkte ist an ein nationales und europäisches Zulas-
sungsverfahren gebunden. Dazu kommen noch die
Landesbauordnungen der Bundesländer. Bürokratie gegen
Biologie. Wir brauchen eine Entrümpelung der Bauord-
nungen, die dem Durchbruch von biogenen Baustoffen im
wahrsten Sinne des Wortes „Steine in den Weg legen“.
Drittens muss eingeräumt werden, dass die Ökobilanz
mancher nachwachsender Baustoffe deshalb nicht so
glänzend ist, weil sie vor dem Einsatz chemisch behandelt
werden müssen. Um Fäulnis zu verhindern, werden Bo-
rate eingesetzt, als Feuer hemmender Stoff wird Ammo-
niumphosphat verwendet. Dämmstoffe mit hohem Borat-
gehalt dürfen nicht auf Bauschuttdeponien abgelagert
werden.
Aus Sicht der FDP müssen wir dazu kommen, den ge-
samten Lebenszyklus eines Bauprodukts in die Bewer-
tung einzubeziehen, also Produktion, Verwendung, Lage-
rung und Entsorgung. Nur so erhalten wir vernünftige
Vergleichsmaßstäbe zu konventionellen Bauprodukten.
Und nur so werden wir auch zu einer verbesserten Markt-
chance für biologische Baustoffe kommen.
Ich komme zu Ihrem Antrag. Mich hat bei der Diskus-
sion der Vorlage im Ausschuss eines erstaunt: In der Aus-
schussdrucksache 14/339 steht, dass die Bundesregierung
aufgefordert wird, die Entwicklung und Demonstration
innovativer Baustoffe und -produkte aus biogenen Roh-
stoffen verstärkt und gezielt zu fördern. Am Tage der Be-
ratung hat die SPD-Fraktion als Änderungsvorschlag ein-
gebracht, „verstärkt und gezielt“ durch „weiterhin“ zu
ersetzen; also keine Ausweitung der Förderung. Das soll-
ten die Hersteller biogener Baustoffen wissen, denen Sie
sonst immer erzählen, Sie setzten sich für sie ein. Das sind
die Tatsachen.
Wir nehmen den Bericht zu Kenntnis, lehnen aber den
Antrag der Koalitionsfraktionen als nicht ausreichend ab.
Kersten Naumann (PDS): Im Zuge der BSE-Krise
und der Akzeptanzprobleme schien das Nachbaumonito-
ring zu transgenen Pflanzen schon fast in der Versenkung
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verschwunden. Ich meine, das Nachbaumonitoring sollte
dort auch bleiben: in der Versenkung. Denn es verdrängt
den Vorsorgegedanken. Es ist ein falscher Ansatz, Risiken
eines großflächigen Anbaus und einer kommerziellen
Nutzung begleitend zu erforschen, dessen Folgen selbst
nicht gewiss sind.
Im März dieses Jahres ist nach langwierigen Verhand-
lungen in der EU eine novellierte Freisetzungsrichtlinie
verabschiedet worden, die Änderungen auch des deut-
schen Gentechnikgesetzes nach sich ziehen wird. Sie ent-
hält eine Reihe positiver Veränderungen, wie etwa den
mittelfristigen Ausschluss von Antibiotika-Resistenzmar-
kern und die Befristung von Freisetzungsgenehmigungen.
Gefordert ist zudem eine Einzelfallprüfung und die stär-
kere Beteiligung der Öffentlichkeit vor Beginn des An-
baus transgener Pflanzen – womit eine Rückkehr zu
früheren, strengeren Regelungen eingeleitet wird.
Der Versuch von Bürokratie und verbundener Industrie
ist misslungen, über die Novellierung des deutschen Gen-
technikgesetzes und die Etablierung des so genannten
„vereinfachten Verfahrens“ auf europäischer Ebene die
kommerzielle Anwendung der Gentechnik in der Land-
wirtschaft flächendeckend durchzusetzen. Gescheitert ist
dieser Versuch am Widerstand der Bürgerinnen und Bür-
ger der EU, der in das De-facto-Moratorium für Freiset-
zungen mündete.
Der TAB-Bericht zu transgenen Pflanzen macht näm-
lich an mindestens zwei Punkten sehr deutlich, dass die
grundlegenden Fragen ihrer Bewertung bis heute nicht
beantwortet sind. Erstens werden die Bewertungsent-
scheidungen, auch der Genehmigungsbehörden, ohne ein-
deutige und sichere Wissensgrundlage getroffen.
Zweitens – die noch entscheidendere Frage –: Vor wel-
chem normativen Hintergrund werden die Auswirkungen
und Risiken transgener Pflanzen betrachtet? Entscheidet
man sich wirklich für eine ökologische und soziale Land-
wirtschaft und führt sie nicht nur im Munde, dann haben
transgene Pflanzen ganz schlechte Karten.
Die wirtschaftlichen, ökologischen und sozioökonomi-
schen Erfahrungen in den Hauptanbauländern USA, Ka-
nada und Argentinien lassen Zweifel an grüner Gentech-
nik nicht nur bei den Verbrauchern, sondern auch bei den
Landwirten selbst wachsen. Nach immensen Wachstums-
raten ist ein Anbaurückgang zu verzeichnen. Sozioökono-
mische Folgen werden laut TAB-Bericht auch nur in Ös-
terreich überhaupt in die Bewertung transgener Pflanzen
einbezogen.
Das De-facto-Moratorium für die Zulassung von Frei-
setzungen sollte auch von der Bundesrepublik aufrechter-
halten werden, alleine schon deshalb, weil die Kenn-
zeichnungsregelungen im Lebensmittelbereich absolut
unzureichend sind. Und die bestehenden Regelungen
können kaum durchgesetzt werden, wie ja auch der TAB-
Bericht hervorhebt. Ohne Kennzeichnung und Kontrolle
bei Futtermitteln, Zutaten, Enzymen und Aromastoffen,
ohne Abkehr von der nachweisbasierten Kennzeichnung
bleiben Reden über die freie Kaufentscheidung der Ver-
braucherinnen und Verbraucher völlig irreführend.
Einen Präzedenzfall mit dem in der Diskussion stehen-
den herbizidresistenten Mais mit der Bezeichnung „T 25“
zu schaffen, unterläuft nicht nur die Neuausrichtung der
Agrarpolitik auf Nachhaltigkeit, sondern auch die Ver-
braucherinteressen, die diese Produktionsweise auch für
Futtermittel ablehnen. In Österreich, Italien und Großbri-
tannien besteht bereits ein Anbau- bzw. Importverbot für
den herbizidresistenten Mais, da keine neuen wissen-
schaftlichen Erkenntnisse vorlägen, die Anlass gäben, das
bisher vorgesehene Risikomanagement zu verändern.
Die Wahl des normativen Rahmens bleibt doch von
entscheidender Bedeutung: Eine konventionelle, ökologi-
sche und soziale Landwirtschaft und Lebensmittelpro-
duktion kann ganz ohne Freisetzungen und transgene
Pflanzen arbeiten. Wöchentlich berichten Fachzeitschrif-
ten der Agrarwissenschaften und Bauernzeitungen über
züchterische und technische Potenziale zu Ertragssteige-
rungen, zu Einsparungen und gezielten spezifischen
Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln und Düngemit-
teln – sozusagen als Alternative zur kommerziellen An-
wendung von Gentechnik.
Warum sollte man also Risiken und negative Auswir-
kungen in Kauf nehmen? Warum also Gentechnik gegen
den Willen des Verbrauchers auf den Markt drücken, was
vor allem den Steuerzahler kostet?
Transgene Pflanzen sind eine Gleichung mit vielen Un-
bekannten. Die Unbedenklichkeitsbeteuerungen der Pro-
tagonisten unterliegen jedoch nach wie vor einer hohen
Irrtumswahrscheinlichkeit.
Ersparen wir den Bauern das Experiment mit negativen
wirtschaftlichen Folgen. Ersparen wir unserer ohnehin
belasteten und ökologisch diffamierten Umwelt eine zu-
sätzliche Belastung. Ersparen wir den Verbrauchern den
Biss ins Ungewisse!
Was wir brauchen, ist eine Landwirtschaft, die Ein-
kommen erwirtschaftet, und nicht eine, an der die Phar-
maindustrie verdient. Was wir brauchen, sind technische
Entwicklungen, die im Einklang mit der Natur produzie-
ren. Was wir brauchen, ist Transparenz für den Verbrau-
cher und seine demokratische Mitbestimmung. Was wir
brauchen, ist eine Landwirtschaft für den Verbraucher und
nicht für die Industrie.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zurBeratung des Entwurfs eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des
Energiewirtschaftsrechts (Tagesordnungspunkt
16)
Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Der vorliegende
Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschafts-
rechts berührt zwei Themenkreise: Zum einen geht es um
die endgültige Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie
in deutsches Recht. Zum anderen geht es aber auch – weit
über den engeren Regelungsbereich des Gasmarktes hi-
naus – um grundsätzliche energie- und wettbewerbsrecht-
liche Fragen, die ihren Ausgangspunkt in der Energie-
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wirtschaftsgesetznovelle von 1998 haben. Auf beide The-
menkreise möchte ich etwas näher eingehen.
Zur engeren Thematik, der Umsetzung der Gasrichtli-
nie, ist zunächst einmal festzuhalten, dass die Bundesre-
gierung damit einer Aufforderung der Europäischen
Kommission folgt, die bereits vor längerer Zeit in einem
Mahnschreiben diesen Schritt eingefordert hat. Die Kom-
mission ist der Auffassung, dass die mit der Energie-
rechtsnovelle von 1998 erfolgte Öffnung der deutschen
Märkte nicht ausreicht, um dem Wettbewerb auch auf dem
Gasmarkt zum Durchbruch zu verhelfen. Nun mag man
über die Berechtigung der damit verbundenen Androhung
eines Vertragsverletzungsverfahrens streiten; dies umso
mehr, als in anderen Mitgliedsländern der Europäischen
Union die Liberalisierung viel weniger konsequent aus-
gefallen ist als bei uns, was für unsere Energie-, aber auch
für unsere Volkswirtschaft teilweise erhebliche Probleme
aufwirft. Man kann diese konsequente Umsetzung der Li-
beralisierung bei uns aber guten Gewissens vertreten,
denn das schlechte Beispiel anderer Länder sollte uns
nicht davon abhalten, unsere Hausaufgaben ordentlich zu
machen.
Wie stets, wenn es um wichtige gesetzliche Rahmen-
setzungen für relevante Wirtschaftsbereiche geht, werden
auch an diese Novelle des Energiewirtschaftsrechts zahl-
reiche – oft widersprüchliche – Erwartungen geknüpft.
Dabei wurde in einigen Veröffentlichungen der Eindruck
erweckt, es stehe nun auch bei den Gaspreisen ein der
Strommarktentwicklung vergleichbarer Dammbruch un-
mittelbar bevor. Ich möchte diese Erwartungen nur un-
gern enttäuschen, aber es erscheint mir eher unwahr-
scheinlich, dass wir einen ähnlichen Preisverfall wie beim
Strom erleben werden. Dem stehen die gänzlich anderen
Strukturen des Gasmarktes entgegen. Hierzu gehören:
langfristige Lieferverträge auf take-or-pay-Basis mit
festen Preisgleitklauseln und transparenten Margen, nur
sehr geringe, kurzfristig verfügbare Überkapazitäten und
schließlich eine Erdgas-Importabhängigkeit von rund
80 Prozent gegenüber einer in etwa ausgeglichenen
Stromhandelsbilanz. Dennoch erwarten auch wir von der
neuen Verbändevereinbarung Gas und dieser Novelle eine
deutliche Stärkung des Wettbewerbs und positive Preis-
signale für die Kunden – und zwar auf allen Ebenen.
Die Diskussion über den Wettbewerb auf dem Gas-
markt hat bereits eine beachtliche Vorgeschichte. Es ist er-
freulich, dass in einigen bislang kontrovers diskutierten
Fragen eine grundsätzliche Klärung im Sinne einer ver-
besserten Marktöffnung und Wettbewerbserleichterung
erzielt werden konnte. Hierzu zählen unter anderem die
Fragen des Speicherzugangs und der Offenlegung wett-
bewerbsrelevanter Daten, insbesondere zu Netzkapazitä-
ten und Engpässen. Wir unterstützen die Ansätze im
Gesetzentwurf der Bundesregierung und ihre Gegenäuße-
rung zu den teilweise sehr restriktiven Beschlüssen des
Bundesrates nachdrücklich. Es wäre falsch, dem Bundes-
rat hier zu folgen und hinter die von den Verbänden der
Gaswirtschaft gefundenen Lösungen zurückzufallen. Al-
lerdings sehe ich hinter einigen Regelungsvorschlägen
auch noch Fragezeichen. Insbesondere in der Frage der
Reziprozität besteht meines Erachtens Klärungsbedarf.
Die neu gefasste Reziprozitätsregelung bei Gas und Strom
wirft meines Erachtens europa- und verfassungsrechtli-
che, aber auch wettbewerbs- und handelsrechtliche Pro-
bleme auf, die genau zu prüfen sein werden. Diese Rezi-
prozitätsregelung, die über die Ermächtigungsgrundlage
der europäischen Richtlinien hinausgeht, muss eindeutig
und belastbar sein. Es werden tiefe Eingriffe in Eigen-
tumsrechte, Gewerbefreiheit und internationale Handels-
abkommen geltend gemacht. Ich glaube, dass wir über die
Erfordernisse und Risiken einer solchen Reziprozitätsre-
gelung im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren noch
sehr intensiv nachdenken müssen.
In der letzten Zeit ist der in der Europäischen Union
einmalige deutsche Sonderweg des verhandelten Netzzu-
gangs unter Druck geraten. Die jüngsten Vorschläge der
Europäischen Kommission zur Vollendung des Energie-
binnenmarktes verfolgen bekanntlich zwei Ziele: die Be-
schleunigung der Marktöffnung – was wir als europä-
ischer Vorreiter nur sehr nachdrücklich unterstützen
können – und eine stärkere Kontrolle der Energiemärkte
durch – staatliche – Regulierung, was im Ergebnis auf das
Ende des bislang von der Kommission akzeptierten deut-
schen Modells der Verbändevereinbarungen abzielt.
Nun wird über den Begriff der Regulierung seit Jahren
eine oft sehr ideologisch eingefärbte Diskussion geführt,
an der ich mich heute nicht beteiligen möchte. Die Frage,
welche Form der Markt- und Wettbewerbsaufsicht zu be-
vorzugen ist, entscheidet sich immer an der Qualität der
Praxis. Dabei ist es völlig unstrittig, dass auch der
verhandelte Netzzugang auf der Grundlage von Verbän-
devereinbarungen den Marktteilnehmern die gleichen
Qualitäten wie Rechtsverordnungen und staatliche Kon-
trolleinrichtungen bieten muss.
Die maßgeblichen Kriterien und Ziele sind in abstrak-
ter Form relativ klar zu benennen und bilden die Grund-
lage der entsprechenden Verbändevereinbarungen: diskri-
minierungsfreier und preisgünstiger Netzzugang sowie
Transparenz, Überprüfbarkeit und Verlässlichkeit der
Modalitäten der Netznutzung. Die Umsetzung dieser ab-
strakten Vorgaben in die tägliche Praxis des Energiege-
schäfts gestaltet sich – erwartungsgemäß – allerdings
schwierig, wie die offenkundigen Defizite der Verbände-
vereinbarungen belegen. Einiges ist sicherlich dem wohl
unvermeidlichen „trial and error“ eines jeden neuen
Marktprozesses zuzuschreiben. Der Aufbruch aus den
Monopolstrukturen ist ja auch keine Kleinigkeit, zumal
die Netze weiterhin natürliche Monopole sind und eine
gewisse Neigung zur Kartellbildung existiert.
So manche Kritik hat allerdings auch etwas von Kro-
kodilstränen an sich, wenn beispielsweise die bundes-
deutschen Vertriebsstellen von Unternehmen, die in ihren
Mutterländern aus geschützten Märkten heraus operieren,
nun ein arges Wehgeschrei anstimmen. Auch scheinen
manche Energieversorgungsmütter mehr als nur ein Auge
zuzudrücken, wenn es um das Marktgebaren ihrer Betei-
ligungstöchter geht. Und dann gibt es ja auch noch dieje-
nigen, die Wettbewerb und Regulierung grundsätzlich als
inkompatibel ansehen. Das sind übrigens die gleichen Ak-
teure, die zum Beispiel zur Förderung der erneuerbaren
Energien eine Quote als marktwirtschaftliches Instrument
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 173. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 31. Mai 2001 17059
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fordern, sie bei der Kraft-Wärme-Kopplung aber als
marktfeindliches Teufelswerk verdammen.
Jenseits von Polemik und Vernebelung sind unbestreit-
bar Defizite in der Sache erkennbar, denen sich nicht
zuletzt das Bundeskartellamt angenommen hat. Als Stich-
worte nenne ich hier nur: Durchleitungsentgelte, Wechsel-
gebühren, Gebühren und Kostentransparenz, Vergütung
der Netzentlastung, missbräuchliche Kostenwälzungen
beim Erneuerbare-Energien-Gesetz und beim Kraft-
Wärme-Kopplungs-Gesetz sowie Quersubventionierung.
Diese Monita bedürfen einer Klärung.
Inzwischen sind auch erste Konsequenzen im Bundes-
wirtschaftsministerium gezogen worden, bei dem eine
Schlichtungsstelle eingerichtet wird, die dann parallel zu
den in den Verbändevereinbarungen angelegten Struktu-
ren wirken könnte. Wir begrüßen diesen Schritt.
Es ist nicht von den Hand zu weisen: Wir werden uns
anlässlich der Novellierung des Energiewirtschaftsgeset-
zes auch mit weiteren Fragen auseinanderzusetzen haben:
Fairer Marktzugang auch für neue Akteure, Transparenz
für die Verbraucher, Rechtssicherheit für alle Beteiligten
sowie die bislang völlig unzureichende Vertretung deut-
scher Interessen bei Regulatorenreffen auf europäischer
Ebene sowie die zügige Beseitigung der internationalen
Marktverwerfungen sind und bleiben drängende energie-
politische Aufgaben, die auch energierechtliche Aspekte
besitzen.
Mit Blick auf die Europäische Union füge ich noch
zwei Aspekte hinzu: Erstens. Das offenkundige Brüsseler
Junktim zwischen Beschleunigung der Marktöffnung und
Verstärkung der Regulierung erfordert in absehbarer Zeit
eine politische Entscheidung, welche Anliegen schwerer
wiegen: eine schnellere und gleichmäßigere Marktöff-
nung zur Stärkung unserer Produktionsstandorte und
Wertschöpfung oder die exklusive Selbstregulierung nach
dem Modell des verhandelten Netzzugangs.
Zweitens. Es ist unverzichtbar, dass Deutschland als
größter Stromproduzent und -konsument der Europä-
ischen Union bei den Regulatorentreffen nicht länger
draußen vor der Tür oder am Katzentisch platziert wird,
sondern angemessen vertreten ist. Wenn wir in diesen
wichtigen informellen Runden nicht „auf Augenhöhe“
mitreden können, werden wir zum bloßen Objekt der Re-
gulierer aus anderen EU-Staaten. Dies kann bei uns nie-
mand ernsthaft wollen.
Es geht nichts daran vorbei: Die Vielzahl der offenen
Fragen erfordert eine intensive Diskussion in den parla-
mentarischen Gremien. Wir scheuen diese Arbeit nicht
und freuen uns auf lebhafte Beratungen.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wettbewerb ist
keine Einbahnstraße. Wettbewerb ist das treibende Prin-
zip der sozialen Marktwirtschaft, Motor für fairen Leis-
tungsvergleich, Garant für Markttransparenz, Garantie für
Verbraucherschutz und kostenorientierte Preise, treibende
Kraft für Innovationen, Modernisierung und internatio-
nale Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland.
Wettbewerb ist die Autobahn, mit der wir am schnellsten
und am sichersten die Ziele der sozialen Marktwirtschaft
erreichen werden, solange die Politik den Marktteilneh-
mern klare ordnungspolitische Spielregeln vorgibt und
Instrumente bereithält, um Wettbewerbsverstöße effektiv
und effizient zu ahnden.
Die Herausforderung der Marktöffnung in traditionell
monopolistisch und oligopolistisch geprägten, stark regu-
lierten Sektoren unserer Volkswirtschaft war und ist eines
unserer zentralen wirtschaftspolitischen Ziele. Gegen viel
und hartnäckigen Widerstand haben wir in der letzten
Wahlperiode die Liberalisierung der Telekommunikation,
der Post und des Strommarktes erfolgreich auf den Weg
gebracht. Die Öffnung dieser Sektoren für den Wettbe-
werb hat zu sinkenden Preisen und einer deutlichen Ver-
besserung des Angebots für die Verbraucher geführt und
zugleich die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstand-
ortes Deutschland gestärkt.
Die positiven Erfahrungen mit den liberalisierten
Branchen Strom, Post und Telekommunikation müssen
nun auch auf andere Sektoren übertragen werden. Dies
gilt vor allem für die Wasserwirtschaft, den öffentlichen
Personennahverkehr und den Gasmarkt, über den wir
heute Abend zu diskutieren haben. Der Liberalisierungs-
prozess im Bereich der leitungsgebundenen Energien
wurde auf europäischer Ebene mit der Binnenmarkt-
Richtlinie Elektrizität eingeleitet. Die Erdgasrichtlinie ist
am 10. August 1998 in Kraft getreten. Sie sollte bis zum
10. August vergangenen Jahres durch die Mitgliedstaaten
in nationales Recht umgesetzt werden. Die Bundesregie-
rung hat diese europäischen Vorschriften zur Öffnung des
Gasmarktes nicht vollständig fristgerecht in nationales
Recht übertragen. Zwar haben das Energiewirtschaftsge-
setz in der Fassung von 1998 und das novellierte Gesetz
gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit ihren Bestim-
mungen zum freien Leitungsbau, zur Abschaffung der
Gebietsmonopole und des allgemeinen Netzzugangsan-
spruchs auf Basis des allgemeinen Kartellrechts die
Richtlinie bereits teilweise umgesetzt. Um den Verpflich-
tungen aus der Richtlinie jedoch vollends Rechnung zu
tragen, muss das Energiewirtschaftsrecht nun abermals
geändert werden.
Ziel des heute vorgelegten Gesetzentwurfs der Bun-
desregierung muss es sein, den bestehenden energiewirt-
schaftlichen Ordnungsrahmen durch die angestrebten
Änderungen des Energiewirtschaftsrechtes auf die
Grundlage eines fairen und funktionierenden Wett-
bewerbs zu stellen. Das Ziel muss wie im Strombe-
reich darin liegen, eine möglichst schlanke gesetzliche
Normierung zu finden, die durch die betroffenen Wirt-
schaftsverbände mit organisatorischen und technisch-
wirtschaftlichen Detailregelungen im Rahmen einer Ver-
bändevereinbarung konkretisiert, ergänzt und flankiert
wird. Inhaltlich geht es darum, Lösungen zu finden für ein
Netzzugangsrecht im Wege des verhandelten Netzzu-
gangs, Vorschriften für den Netzbetrieb und zur Veröf-
fentlichung der wesentlichen geschäftlichen Bedingun-
gen für den Netzzugang und zur buchhalterischen
Trennung der Rechnungslegung.
Wir begrüßen es grundsätzlich, dass die Bundesregie-
rung wenigstens im Gassektor zur Einsicht gekommen ist,
dass die erfolgreiche Marktöffnung- und Wettbewerbsför-
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derungspolitik der CDU/CSU der einzig gangbare Weg
ist. Es ist erschreckend, in wie vielen anderes Bereichen
der rot-grünen Wirtschaftspolitik zulasten der Verbrau-
cher und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
unseres Landes gehandelt wird. Mit immer neuen Regu-
lierungen und Interventionen wird fairer und gleicher
Leistungswettbewerb verhindert, Strukturwandel ver-
schleppt, die Verwirklichung des europäischen Binnen-
marktes gebremst, Wirtschaftswachstum und Wohl-
standsvermehrung blockiert. Die Liste reicht von einer
staatsmonopolistischen Postpolitik, einer missbräuchli-
chen Aufblähung der Daseinsvorsorge über das Zwangs-
pfand und das KWK-Vorschaltgesetz, dem Technikverbot
Atomenergie bis hin zur inflationstreibenden Ökosteuer
ohne ökologische Lenkungswirkung. Die Umsetzung ei-
ner europäischen Richtlinie im Gassektor darf von sol-
chem eklatanten Versagen rot-grüner Ordnungspolitik
nicht ablenken. Gerade im Energiesektor drohen die
rot-grünen Eingriffe und Kostenbelastungen die mühsam
errungenen Liberalisierungsvorteile von 20 bis 30 Milli-
arden DM pro Jahr schon bald wieder aufzufressen. Die
verspätete Umsetzung der europäischen Gasrichtlinie, zu
der die Bundesrepublik vertraglich verpflichtet ist, kann
nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rot-Grün und Bun-
deswirtschaftsminister Müller in ihrer Energie- und Wett-
bewerbspolitik bislang versagt haben.
Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens auf dem Gasmarkt
mit dem vorliegenden Gesetzesvorhaben ein funktionie-
render Wettbewerb erreicht werden kann. Gas besitzt ge-
genüber der Stromversorgung einige Besonderheiten. Es
herrscht ein Angebotsoligopol und eine hohe Importab-
hängigkeit. Es existieren unterschiedliche Verteilerstruk-
turen und geringere Überkapazitäten als beim Strom. Po-
litisch vorrangiges Ziel muss sein, dass die früheren
Monopolisten ihre Gaspipelines für Wettbewerber öffnen.
Das Netz ist „essential facility“ – der diskriminierungs-
freie Netzzugang für Dritte ist integrale Voraussetzung für
mehr Wettbewerb, damit künftig nicht nur industrielle
Großkunden, sondern auch das Kleingewerbe und die
Haushaltskunden durch Preissenkungen und freie Anbie-
terwahl von der angestrebten Liberalisierung profitieren.
Dazu bedarf es mehr Transparenz bei der Durchleitung
und den Durchleitungstarifen, eines eindeutigen Engpass-
managements und klarer Regelung beim Zugang zu Gas-
speichern.
Nicht akzeptabel ist aus unserer Sicht die Vielzahl von
Rechtsverordnungsermächtigungen im Gesetzentwurf
der Bundesregierung. Auch der Versuch, den Import von
sogenanntem „schmutzigen Strom“ im Rahmen einer
Verordnungsermächtigung zu verbieten, lehnen wir kate-
gorisch ab. Der ehemalige Veba-Manager Dr. Werner
Müller sollte eigentlich wissen, dass ein solches Vorgehen
weder juristisch machbar noch technisch durchführbar ist.
Die Bundesrepublik hat sich in der Vergangenheit unter
unserer Regierungszeit mit der vollständigen Öffnung der
Energiemärkte an die Spitze des Liberalisierungsprozes-
ses begeben und wir befürworten gemeinsam die EU-
Osterweiterung. Sowohl der jetzige Bundeskanzler als
auch sein Außenminister haben sich in der Vergangenheit
wiederholt positiv für die Öffnung der mittel- und osteu-
ropäischen Märkte ausgesprochen. Ein Teilausschluss,
insbesondere der mittel- und osteuropäischen Staaten, aus
dem liberalisierten europäischen Strommarkt ist mit die-
sen Bekenntnissen nicht vereinbar und widerspricht den
Grundsätzen des freien Warenverkehrs. Mit der Absicht,
den Strommarkt abzuschotten und Importstrom aus Kern-
energie zu verbieten, beschneidet die Bundesregierung
die Aktivitäten der deutschen Wirtschaft und belastet un-
sere Geschäftsbeziehungen zu den mittel- und osteu-
ropäischen Wirtschaftspartnern.
Die Pläne der EU-Kommission, die Liberalisierung der
Strom- und Gasmärkte zu beschleunigen und den europä-
ischen Energiebinnenmarkt schon bis 2005 zu vollenden,
verdienten unsere uneingeschränkte Unterstützung. Der
von EU-Kommissarin de Palacio beabsichtigte regulierte
Zugang Dritter zu den Energienetzen auf der Basis fest-
gelegter oder genehmigter Tarife durch eine Regulie-
rungsbehörde würde das deutsche Modell der Verhand-
lungslösung auf der Grundlage von Verbändever-
einbarungen unmöglich machen. Wir sind aber der Auf-
fassung, dass funktionierende freiwillige Vereinbarungen
und Verhandlungslösungen bei einem effektiven Kartell-
recht zu effizienterem Wettbewerb führen als Regulie-
rungsregime staatlicher Behörden. Natürlich setzen wir
zuallererst auf freiwillige Vereinbarungen anstatt auf
staatliche Regulierungsbürokratie. Es gibt jedoch Signale
aus dem Markt, dass die verabredeten Verbändevereinba-
rungen nicht richtig funktionieren und vor allem rechts-
beratende Berufe beschäftigen. Die Beteiligten sind auf-
gefordert, solche Vereinbarungen im Interesse der
Verbraucher und der Marktoffenheit wirklich praktikabel
zu gestalten und vor allem zu handhaben. Sollte dies nicht
nachvollziehbar ausreichend funktionieren, muss über
Neuvereinbarungen oder als Ultimo Ratio über schärfere
gesetzliche Bedingungen nachgedacht werden.
Das Prinzip der Reziprozität bei der Vollendung des
EU-Energiebinnenmarktes muss sicherstellen, dass Ener-
gieunternehmen beispielsweise gegenüber ausländischen
Staatskonzernen nicht benachteiligt werden. Fehlt eine
ausreichende Reziprozität, darf dies jedoch nicht zu einer
Abkehr vom Ziel eines liberalisierten Energiebinnen-
marktes führen.
Versorgungssicherheit, Preisgünstigkeit, Effizienz und
Umweltverträglichkeit bleiben für uns unverändert die
Grundanforderungen, an denen sich Energiepolitik aus-
richten muss. Um diese Ziele zu erreichen, muss die künf-
tige Energiepolitik an den Maximen Nachhaltigkeit, Glo-
balisierung, Zukunftsoffenheit und Marktwirtschaft
ausgerichtet werden. Wir müssen global und europäisch
verantwortliche rechtliche Rahmen finden, weil Energie-
politik aufgrund der globalen Zusammenhänge nicht
mehr nur im nationalen Rahmen gesehen werden kann.
Wir müssen die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als
Energieproduktionsstandort sichern und mit marktwirt-
schaftlichen Methoden verbessern, weil nur das Wettbe-
werbsprinzip zu den effizientesten Ergebnissen und zu
niedrigen gesamtwirtschaftlichen Kosten führt. Markt-
wirtschaftlich heißt zugleich auch, mittelfristig ein Level-
Playing-Field für alle Marktteilnehmer herzustellen, ei-
nen freien und fairen Zugang zu den Versorgungsnetzen
zu ermöglichen und das Entstehen sowie den Missbrauch
marktbeherrschender Stellungen zu verhindern.
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(B)
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird im Zuge der
nun anstehenden Ausschussberatungen eine öffentliche
Anhörung zum vorgelegten Regierungsentwurf beantra-
gen, um mit den Betroffenen die noch strittigen Punkte
des Gesetzgebungsvorhabens in aller Ausführlichkeit zu
diskutieren. – Der Überweisung in die Ausschüsse stim-
men wir zu.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Liberalisierung der Energiemärkte Europas schreitet
immer weiter voran. Die EU hat uns aufgefordert, die EU-
Gasrichtlinie in Deutschland umzusetzen. Dieser Auffor-
derung kommen wir gerne nach. Nachdem vor drei Jah-
ren in Deutschland der Strommarkt liberalisiert wurde,
komme jetzt der Gasmarkt an die Reihe. Das begrüße ich
sehr, da hier ein großes Potenzial für den zukünftigen
Wettbewerb liegt. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein
guter Schritt in die Richtung zu einer weiteren Marktöff-
nung.
Wir müssen aber aufpassen, wie die Liberalisierung
durchgeführt werden soll. Das nötige Wissen dazu haben
wir. Nach drei Jahren der Strommarktliberalisierung hat
sich gezeigt, dass Liberalisierung nicht automatisch mehr
Wettbewerb bedeutet.
Es gibt bei der Liberalisierung des Gasmarktes struk-
turelle Unterschiede zum Strommarkt. Dies muss bei der
Umsetzung berücksichtigt werden. Während Strom fast
vollständig in Deutschland produziert wird, sind wir bei
Erdgas zu 80 Prozent auf Importe angewiesen. Diese Im-
porte kommen aus einigen wenigen Ländern, mit denen
zum Teil sehr langfristige Lieferverträge abgeschlossen
wurden. Das macht den Beginn von Wettbewerb in
Deutschland zunächst nicht einfach. Wettbewerb auf dem
Gasmarkt benötigt auch Gasmengen für konkurrierende
Angebote. Diese Angebote sind vorhanden; es gibt auch
eine Reihe von Firmen, die sich in diesem Bereich enga-
gieren. Dies ist aber noch sehr schwierig. Wir müssen hier
für einen ausreichenden Wettbewerb sorgen, damit im In-
teresse der Verbraucher die Gaspreise sinken.
Obwohl es um die Umsetzung der EU-Gasrichtlinie
geht, dürfen wir den Strommarkt nicht aus den Augen ver-
lieren. Und gerade bei Strom gibt es in der bisherigen Li-
beralisierung noch große Hindernisse für einen erfolgrei-
chen Wettbewerb. Deutschland ist das einzige Land in der
EU, dass einen verhandelten Netzzugang gewählt hat. Da-
durch haben sich viele Probleme ergeben, die die neuen
Wettbewerber nun vom Markt verdrängen. Am drängends-
ten ist die ungenügende Rechtssicherheit für die neuen
Marktteilnehmer. Die Netzbetreiber nutzen ihre Möglich-
keiten, den Wettbewerb zu behindern. Im Konfliktfall ha-
ben besonders die kleinen Unternehmen gegen die großen
Netzbesitzer keine Chance. Ein Prozess vor Gericht ist
häufig zu teuer und dauert zu lange. Bis er gewonnen ist,
ist der Kunde weg und manchmal auch das Unternehmen
nicht mehr auf dem Markt. Selbst wenn das durchleitende
Unternehmen also Recht hatte, nützt ihm das bei diesem
zum Teil sehr schnelllebigen Markt nichts. Darüber hi-
naus gibt es viele Beispiele, wie die Durchleitung von
Strom erschwert wird. In vielen Bereichen sind die Netz-
nutzungsentgelte überhöht. Wechselwillige Kunden müs-
sen einen zusätzlichen Netznutzungsvertrag abschließen,
in einigen Fällen werden dazu die Unterschrift des Ver-
mieters und ein Grundbuchauszug verlangt. Für den
Kunden wirkt dieser hohe bürokratische Aufwand ab-
schreckend und verhindert in vielen Fällen den Anbieter-
wechsel.
Die Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes bietet
jetzt die Möglichkeit, etwas für den Wettbewerb im
Strommarkt zu tun. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen,
besonders da in dieser Legislaturperiode das Energiewirt-
schaftsgesetz sicher nicht noch einmal geändert wird.
Nach einer intensiven Phase nach Einführung des Wett-
bewerbs steigen jetzt die Preise seit Ende des letzten
Jahres wieder an. Dies liegt nicht an den Kosten durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz und das Gesetz zur Kraft-
Wärme-Kopplung, wie es die Energieunternehmen glaub-
haft machen wollen. Eine aktuelle Studie des BETAachen
zeigt deutlich, dass die Kosten für den Endverbraucher
durch EEG und KWKG wesentlich geringer sind. Einige
Energieversorgungsunternehmen hätten ihre Preise sogar
senken müssen, weil mit dem EEG eine bundesweite Um-
lage der Kosten erfolgt. Statt der vorgenommenen Strom-
preiserhöhungen von bis zu 1,5 Pf/kWh wären im Schnitt
nur 0,39 Pf/kWh gerechtfertigt gewesen. Vielmehr be-
steht jetzt die Gefahr, dass die fusionierten Großkonzerne
den Markt wieder abschotten und in einer konzertierten
Aktion die Strompreise wieder anheben. Hier müssen wir
genau hinschauen, sonst haben wir den ganzen Akt um-
sonst gemacht.
Es liegen viele verschiedene zusätzliche Vorschläge zur
Änderung auf dem Tisch. Besonders die neuen Wettbe-
werber auf dem Strommarkt haben genaue Vorstellungen,
was noch verbessert werden muss. Wir werden diese Vor-
schläge im parlamentarischen Verfahren genau prüfen.
Einen wichtigen Punkt möchte ich hier dazu anspre-
chen: die vermiedenen Netznutzungskosten bei dezentra-
len Anlagen. Dezentrale Anlagen, die in das Stromnetz
einspeisen, vermeiden Netznutzung auf höheren Span-
nungsebenen. Diese vermiedene Netznutzung muss an
diese dezentralen Anlagen weitergegeben werden. Dies
war auch ein Bestandteil der Verbändevereinbarung, ist
aber bis heute nicht umgesetzt. Die Energiewirtschaft hat
mehr als genug Zeit gehabt. Wenn sie sich nicht an die
freiwillige Vereinbarung hält, muss der Gesetzgeber dafür
sorgen, dass diese rechtlich verbindlich ist.
In diesem Zusammenhang bedauerlich ist, dass auf
dem Gipfel von Stockholm der Prozess einer zügigen Li-
beralisierung in der EU ins Stocken gekommen ist. Die
Vorschläge der EU-Kommissarin de Palacio sind dabei
sehr ambitioniert und finden meine volle Unterstützung,
und zwar beide Seiten: mehr Wettbewerb in Frankreich
durch zügige Liberalisierung und mehr Wettbewerb in
Deutschland durch stärkere Regulierung. Ich würde mich
freuen, wenn wir den Beratungsprozess nutzen, auch für
den Strombereich Zwischenbilanz zu ziehen und intensiv
über die Weiterentwicklung und Begleitung des Liberali-
sierungsprozesses zu sprechen.
Walter Hirche (F.D.P.): Hinter dem komplizierten Ti-
tel des Gesetzes, das heute in der ersten Lesung beraten
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wird, versteckt sich eines der vordringlichsten energiepo-
litischen Ziele dieser Legislaturperiode: die Öffnung der
deutschen Erdgasmärkte und damit die Umsetzung der
Binnenmarktrichtlinie Gas. Die F.D.P. begrüßt das Gesetz
ausdrücklich. Mit dem heutigen Tag können endlich die
parlamentarischen Beratungen beginnen, auf die wir viel
zu lange haben warten müssen. Denn obwohl die Bun-
desregierung verpflichtet war, die Binnenmarktrichtlinie
Gas bis zum 8. August 2000 umzusetzen, hat sie unnötig
Zeit verstreichen lassen. Sie hat ein Vertragsverletzungs-
verfahren in Kauf genommen und sich nicht gescheut, die
Liberalisierung und Deregulierung der Energiemärkte
– wenn auch nur zeitweise – zu boykottieren. Dabei hinkt
die Öffnung der deutschen Gasmärkte bereits zwei Jahre
hinter der Liberalisierung der deutschen Strommärkte her.
Ein Grund der Verzögerung war, dass die alte Bundes-
regierung – anders als bei Strom – mit Blick auf die da-
mals noch ausstehende EU-Gas-Direktive davon Abstand
genommen hatte, wichtige gasspezifische Details, insbe-
sondere im Hinblick auf die Gestaltung des Netzzugangs,
unmittelbar in Zusammenhang mit der Energierechtsno-
velle von 1998 zu regeln. Heute nun liegen die energie-
rechtlichen Vorschläge der Bundesregierung mit den ein-
schlägigen gasspezifischen Tatbeständen vor, die jedoch
noch intensiver Beratungen bedürfen.
Die F.D.P. hat maßgeblich die Liberalisierung und De-
regulierung der deutschen Energiemärkte initiiert und
durchgesetzt. Die positiven Effekte – und das hat uns der
Strombereich gezeigt – werden auch bei der Gasliberali-
sierung überwiegen: Kostensenkungspotenziale können
genutzt, Synergieeffekte erschlossen werden. Neue
Marktanbieter mit innovativen Produkten haben auf dem
Strommarkt für mehr Wettbewerb gesorgt. Genau das er-
warten wir auch auf den deutschen Gasmärkten. Damit er-
wachsen dem Verbraucher Vorteile, von denen er profitie-
ren kann und mit denen er ganz persönliches Plus er-
wirtschaftet. In der Summe stärkt die Öffnung der Gas-
märkte den Standort Deutschland. Er braucht ein politi-
sches Signal, damit neues Wachstum entstehen kann. Eine
zügige Liberalisierung der Gasmärkte ohne protektionis-
tische Gängelungen ist ein wichtiger Schritt dazu.
Die F.D.P. ist sich bewusst, dass entscheidende Unter-
schiede zwischen dem Gas- und Strommarkt bestehen.
Hierzu zählen insbesondere der physische Fluss des Ga-
ses, die Qualitätsunterschiede, seine hohe Konzentration
auf dem Wärmemarkt und der daraus – trotz gegebener
Speicherbarkeit – resultierenden Saisonkomponente und
last, but not least die hohe Importabhängigkeit des Gases
von insbesondere Norwegen und Russland inklusive der
Take-or-Pay-Verträge.
Die F.D.P. will faire Chancen auf den deutschen Gas-
märkten. Dazu gehört insbesondere auch, dass die Neuan-
bieter einen diskrimierungsfreien Zutritt zum Markt er-
halten und nicht von den alten Marktteilhabern aus-
gebootet werden, wie dies vielfach noch der Fall ist. Das
Modell des verhandelten Netzzugangs muss der Praxis-
bewährung standhalten. Das schließt zum Beispiel Mög-
lichkeiten einer zügigen Kontrolle und den Sofortvollzug
bei Anforderungen des Bundeskartellamts ein.
Die parlamentarischen Beratungen werden Gelegen-
heit geben, die komplexe Materie zu erörtern und Ant-
worten zu den noch offenen Fragen zu finden. Unser Ziel,
die Entstehung eines aktiven Wettbewerbsmarktes für
Gas, werden wir dabei stets im Auge behalten.
Eva-Bulling-Schröter (PDS): Gestatten Sie mir ein-
gangs einen Kommentar zu einem Schreibfehler im Ge-
setzentwurf, der mich erheitert hat. Auf Seite 1 findet sich
eingangs des vorgeschlagenen Lösungsansatzes ein Satz,
dessen tiefgründiger Humor in einem unfreiwilligen Be-
zug zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts und
der hier vorgelegten ersten Änderung steht. Ich zitiere:
Für Betreiber von Gasversorgungsnetzen bzw. Gas-
versorgungsunternehmen soll künftig die Verpflich-
tung gelten, Dritten diskriminierungsfreien Zugang
zu ihren Gesetzen zu gewähren.
Gemeint war jedoch, dass Betreiber von Erdgasnetzen
künftig verpflichtet werden sollen, Dritten einen „diskri-
minierungsfreien Zugang zu ihren Netzen zu gewähren“.
Voilá! Uns selbst ist es bisher nicht gelungen, das Ener-
giewirtschaftsgesetz der Ära Kohl in dieser Kürze und
Würze zu charakterisieren.
Auf Gesetze wie das Energiewirtschaftsrecht sollen
sich Dritte ausdrücklich nicht berufen können. Denn im
darauf folgenden Satz wird klar zum Ausdruck gebracht,
dass der diskriminierungsfreie Zugang zu den Erdgasnet-
zen nach geschäftlichen Bedingungen gewährleistet wer-
den soll, die vonseiten der Betreiber von Gasversor-
gungsnetzen aufzustellen und zu veröffentlichen sind. Ein
Wettbewerb der wenigen großen Erdgasbeschaffer um die
Gunst kommunaler Erdgasversorgungsunternehmen kann
so nicht erwartet werden. Diese Regelung ist vielmehr
eine unverholene Ermunterung, Absprachen über die
Höhe von Monopolprofiten zu machen, die aus dem na-
türlichen Monopol der Leitungsgebundenheit erwachsen.
Nicht etwa ein Gesetz dieses Hauses, sondern die all-
gemeinen veröffentlichten Geschäftsordnungen der Be-
treiber der Erdgasnetze sollen dem diskriminierenden
Treiben Einhalt gebieten. Wie auch bei den Stromnetzen
soll der Zugang zu den Gasversorgungsnetzen nach dem
System des verhandelten Netzzugangs erfolgen.
Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschafts-
rechts legt mit dem so genannten verhandelten Netzzu-
gang – und das ist in Europa ein einmaliger Sonderweg –
die Regulierung und Gestaltung der leitungsgebundenen
Energien Strom und nun auch Erdgas in die Hand der
großen Energiekonzerne. SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen setzen diese Politik der Regierung Kohl fort. Aus der
Brüsseler EU-Kommission mehren sich bereits die Stim-
men, welche die Einrichtung einer Regulierungsbehörde
für den Betrieb der Strom- und Gasnetze auch in Deutsch-
land fordern.
Vonseiten der Energiewirtschaft hören wir, dass es da-
rum gehe, die deutsche Energiewirtschaft für einen euro-
päischen Wettbewerb fit zu machen. Dieser Wettbewerb
soll auch um die Übernahme der Energiemärkte in den
neuen Beitrittsländern in Mittel- und Osteuropa geführt
werden. Die wirtschaftsstarken Mitgliedsländer der EU
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setzen ihre Macht ein, um die Beitrittskandidaten zur Pri-
vatisierung ihrer Infrastruktur zu drängen. Die Bundesre-
gierung teilt diese Ziele und gesteht den heimischen
Energiemonopolisten die Akkumulation von Monopol-
profiten zu. Bezahlen tun das die privaten Haushalte,
während die Sonderpreise für Großkunden weiter abge-
senkt werden konnten. Der politische Preis ist der Ver-
zicht auf den Ausstieg aus der Atomkraft. In Deutschland
bekommen insbesondere die Beschäftigten der Stadt-
werke die Auswirkungen dieses ungleichen Kampfes zu
spüren. Die Liberalisierung führt zur Herausbildung eines
Oligopols im Bereich der leitungsgebundenen Energien.
Im Rahmen der ersten Änderung des Energiewirt-
schaftsrechtes hatten wir einige Korrekturen vonseiten
der Bundesregierung erwartet. Die Bundesregierung hat
die Gelegenheit jedoch nicht genutzt. Dabei muss auch
der Verbraucherschutz dringend an die neuen Bedingun-
gen angepasst werden. Die privaten Haushalte sehen sich
mit intransparenten Angeboten zum Wechsel des Strom-
anbieters konfrontiert. Bisher wurde der monatliche
Grundbetrag in der Stromrechnung mit den Kosten zur
Ablesung und Wartung von Zählern gerechtfertigt. Dieser
Posten liegt etwa im Bereich von 5 bis 6 DM pro Monat
und war im Zuge der Tarifaufsicht durch Vergleich mit
den realen Kosten nachprüfbar. Die neuen Angebote las-
sen eine Überprüfung nicht mehr zu. Dort werden bei-
spielsweise Grundbeträge in Höhe von 19 DM gefordert,
ohne dass klar wird, welche Dienstleistungen des Ener-
gieversorgers mit diesen fiktiven Grundbeträgen bereits
abgegolten sind.
Die politisch-ökonomische Verantwortung des Gesetz-
gebers ist es, der zunehmenden Machtkonzentration der
Energiekonzerne entgegenzuwirken. Es liegt in der Natur
dieses Verhältnisses, dass finanzstarke Konzerne Investi-
tionen in Bereiche scheuen, die konjunkturellen Schwan-
kungen und Risiken unterliegen. Die bisherige Wirt-
schaftspolitik bietet ihnen durch Privatisierung von
Infrastruktur und öffentlichen Aufgaben ein vergleichs-
weise sicheres Geschäft. In der Tendenz werden konjunk-
turelle Schwächen und Wirtschaftskrisen jedoch tiefere
Spuren in der Infrastruktur hinterlassen. Auch der Sozial-
bereich wird davon nicht verschont bleiben und deshalb
muss auch die Riester-Rente in diesem Zusammenhang
genannt werden.
Wir wollen keine Infrastrukturkonzerne, die in alle Be-
reich der Ver- und Entsorgung eindringen. Aufgaben der
Daseinsvorsorge und natürliche Monopole gehören in die
öffentliche Hand. Energiepolitisch halten wir daher an un-
serer Forderung fest: Die überregionalen Transportnetze
sollen in gemeinwirtschaftliches Eigentum überführt
werden.
Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie:Mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf wird die EU-Gasrichtlinie voll-
ständig umgesetzt. Der Gesetzentwurf stellt einen
weiteren Meilenstein in der Liberalisierung des deutschen
Energiemarktes dar.
Die Marktöffnung im Gasbereich ist zwar schon mit
der Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts im April
1998 und mit dem 1999 novellierten Gesetz gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen auf den Weg gebracht worden.
Mit diesen Gesetzen wurden nämlich Demarkations- und
ausschließliche Wegerechtsverträge verboten und eine
spezialgesetzliche Regelung für den Netzzugang einge-
führt. Der vorliegende Gesetzentwurf führt diesen Weg
der Liberalisierung – wie schon für den Strombereich ge-
schehen – nun auch für den Gasbereich konsequent fort.
Wesentliches Ziel ist die Stärkung des Wettbewerbs auf
dem Gasmarkt, um Kostensenkungspotenziale freizuset-
zen und die Verhandlungsposition der Gaskunden deut-
lich zu stärken. Mit diesem Gesetz sind unsere europä-
ischen Verpflichtungen erfüllt.
Ich möchte auf einige zentrale Punkte des Gesetzent-
wurfs eingehen:
Der Entwurf sieht eine „schlanke“ Richtlinienumset-
zung vor. Er enthält im Wesentlichen das Netzzugangs-
recht für Dritte im Verhandlungswege. Damit wird der Tat-
sache Rechnung getragen, dass der Zugang zum Netz auch
im Gasbereich als Schlüssel für den Prozess der Liberali-
sierung anzusehen ist. Wir setzen zudem – trotz zuneh-
mender Kritik von der Kommission – weiterhin auf den in
der Richtlinie vorgesehenen Weg des verhandelten Netz-
zugangs. Wir halten diesen Weg angesichts der pluralisti-
schen, privatwirtschaftlich organisierten Marktstruktur in
Deutschland für den Erfolg versprechenden. Die Markt-
ergebnisse im Strombereich geben uns da Recht.
Ein regulierter Netzzugang mag bei Existenz staat-
licher Monopolgesellschaften angebracht sein. Deswegen
gehen viele europäische Mitgliedstaaten diesen Weg. Wir
hingegen setzen auf Deregulierung und die dynamischen
Kräfte des Marktes.
Neben weiteren, den transparenten Netzzugang regeln-
den Vorschriften enthält der Gesetzentwurf eine Rezipro-
zitätsklausel für Gas; außerdem wurde die bereits beste-
hende Reziprozitätsklausel für Strom verschärft. Diese
soll die Chancengleichheit deutscher Energieversor-
gungsunternehmen während der europaweiten Marktöff-
nungsphase sichern. Wettbewerbsverzerrungen zulasten
deutscher Unternehmen sollen zwar in erster Linie wei-
terhin durch das Recht der betroffenen Unternehmen zur
Verweigerung des Netzzugangs vermieden werden;
gleichwohl können Ungleichgewichte zulasten deutscher
Energieversorgungsunternehmen entstehen, da derzeit
noch unterschiedliche Marktöffnungsgrade in den Mit-
gliedstaaten vorhanden sind. Für diesen Fall wird das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie er-
mächtigt, im Wege einer Verordnung mit Zustimmung des
Bundesrates Kriterien für die Netzzugangsverweigerung
bei grenzüberschreitenden Energielieferungen näher zu
bestimmen. Gleiches gilt gegenüber Drittstaaten.
Diese politische Antwort auf unterschiedliche Markt-
öffnungsgrade sind wir unserer Wirtschaft schuldig. Die
Reziprozitätsklausel zum Schutze unserer Wirtschaft
kann allerdings entfallen, sobald alle Märkte in Europa
voll für den Wettbewerb geöffnet sind. Wir unterstützen
daher die Kommission in ihrem Bemühen, die Integration
der Märkte für Strom und Gas weiter voranzutreiben.
Daneben enthält der Gesetzentwurf eine Reihe von
Verordnungsermächtigungen, die eine Feinsteuerung der
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Marktöffnung ermöglichen. Diese Vorschriften werden
mit Leben erfüllt werden, sofern sie sich zum Entstehen
eines erfolgreichen Wettbewerbs als notwendig erweisen.
Das Gesetz sieht schließlich auch die Einrichtung einer
Schiedsstelle beim Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie vor. Wir erwarten von ihr, dass sie die Strei-
tigkeiten bereits im Vorfeld gerichtlicher Verfahren er-
folgreich ausräumt.
Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht nur um die for-
malrechtliche Umsetzung der EU-Gasrichtlinie. Ich er-
warte mir hiervon auch wesentliche Impulse für die deut-
sche Wirtschaft.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Antrags: Errichtung eines
Fonds zur Unterstützung der Doping-Opfer der
DDR (Tagesordnungspunkt 17)
Gustav-Adolf Schur (PDS): Die Zuständigen für die
Tagesordnung haben diese Debatte für die Zeit um Mit-
ternacht angesetzt. Das ist die Zeit der Berufsboxer
– Showtime – und das lässt Assoziationen aufkommen:
Schattenboxen mit Zwölf-Unzen-Handschuhen ist ange-
sagt. Zum besseren Verständnis: Das sind die dick gepols-
terten für Kinderkämpfe! Ich denke, dass in diesem Fall
Fünf-Unzen-Handschuhe gefragt wären, das heißt die,
mit denen sich die Profis prügeln.
Ich bin gegen jedes Doping, das habe ich oft genug er-
klärt. Ich bin dafür, dass Doping juristisch verfolgt wird
und zwar im Leistungssport und in den Fitnesszentren. Es
ist auch vonnöten, durch Doping gesundheitlich Geschä-
digte gebührend zu entschädigen. Aber dieses Hohe Haus
hat Entscheidungen für ganz Deutschland zu treffen und
nicht – wenn es gerade wieder mal politisch passt –, für
die Gegend um Schwerin oder Leipzig, Erfurt oder Dres-
den. Also: wenn gegen Doping und Dopingmissbrauch
kämpfen, dann deutschlandweit.
In dem Antrag der Kollegen von der CDU/CSU heißt
es anklagend – ich zitiere –:
Sport war in der ehemaligen DDR Mittel staatlicher
Repräsentation, staatlicher Propaganda; sportliche
Spitzenleistungen sollten der Welt die Leistungs-
fähigkeit einer Gesellschaft widerspiegeln und das
Ansehen der ehemaligen DDR stärken.
Zur Erweiterung Ihres Wissens auf diesem Gebiet
möchte ich Ihnen ein Interview des Abgeordneten
Kanther im Deutschlandfunk aus dem Jahre 1996 emp-
fehlen. Auf die Frage nach dem Wert der in Atlanta von
Deutschen eroberten Medaillen sagte er wörtlich:
Sie sind ein nationales Anliegen. Sie sind in einem
Teilaspekt Ausweis des Leistungsvermögens eines
Volkes.
Ich wiederhole den Namen: Kanther, damals Bun-
desinnenminister.
Abschließend: Doping ist in erster Linie eine medizi-
nische Disziplin, in zweiter Linie eine juristische; ob man
in den Ring steigen sollte, um Doping auch noch als poli-
tische Disziplin vorzuführen, bezweifele ich sehr – weder
mit Fünf-, noch mit Sechs-, Acht- oder Zwölf-Unzen-
Handschuhen.
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