(C)(A)
Berichtigung
169. Sitzung, Seite 16517 (D), zweiter Absatz, der dritte Satz ist wie folgt zu
lesen: „Ich glaube, was wir getan haben, nämlich bei allen Gelegenheiten dafür
zu werben, dass die Sicherheitsbedenken berechtigt sind, – gerade was die Aus-
fälle im Turbinenbereich und bei den druckführenden Leitungen betrifft –, ist
dem Ernst der Sache ebenso angemessen wie die Verhandlungen, die die Bun-
desregierung geführt hat.“
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16693
(C)
(D)
(A)
(B)
Behrendt, Wolfgang SPD 17.05.2001**
Bodewig, Kurt SPD 17.05.2001
Bohl, Friedrich CDU/CSU 17.05.2001
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 17.05.2001
Catenhusen, SPD 17.05.2001
Wolf-Michael
Friedhoff, Paul K. F.D.P. 17.05.2001
Friedrich (Altenburg), SPD 17.05.2001
Peter
Goldmann, F.D.P. 17.05.2001
Hans-Michael
Graf (Rosenheim), SPD 17.05.2001
Angelika
Haupt, Klaus F.D.P. 17.05.2001
Hornung, Siegfried CDU/CSU 17.05.2001**
Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 17.05.2001
Klappert, Marianne SPD 17.05.2001
von Larcher, Detlev SPD 17.05.2001
Leutheusser- F.D.P. 17.05.2001
Schnarrenberger, Sabine
Lintner, Eduard CDU/CSU 17.05.2001**
Lippmann, Heidi PDS 17.05.2001
Lörcher, Christa SPD 17.05.2001*
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 17.05.2001
Erich
Mogg, Ursula SPD 17.05.2001
Müller (Berlin), PDS 17.05.2001**
Manfred
Neumann (Gotha), SPD 17.05.2001**
Gerhard
Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 17.05.2001
DIE GRÜNEN
Ostertag, Adolf SPD 17.05.2001
Dr. Rössel, Uwe-Jens PDS 17.05.2001
Rübenkönig, Gerhard SPD 17.05.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 17.05.2001
Hans Peter
Schultz (Everswinkel), SPD 17.05.2001
Reinhard
Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 17.05.2001
Christian
Dr. Spielmann, Margrit SPD 17.05.2001
Spranger, Carl-Dieter CDU/CSU 17.05.2001
Dr. Freiherr von CDU/CSU 17.05.2001
Stetten, Wolfgang
Wiefelspütz, Dieter SPD 17.05.2001
Wiesehügel, Klaus SPD 17.05.2001
Wilz, Bernd CDU/CSU 17.05.2001
Wistuba, Engelbert SPD 17.05.2001
Wohlleben, Verena SPD 17.05.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 17.05.2001**
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 17.05.2001
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates
** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu der Unterrichtung: Weißbuch zur
Umwelthaftung (Tagesordnungspunkt 8)
Petra Bierwirth (SPD): Erinnern wir uns an die Bil-
der, die immer wieder durch die Medien gehen, wenn Tan-
ker wie kürzlich in der Ostsee zerbrechen. Wie können
Verantwortungslosigkeit und Hilflosigkeit besser doku-
mentiert werden? Wie kann deutlicher werden, dass ge-
genwärtig die Umweltschädigung zulasten aller geht, Ge-
winnstreben aber Privatsache ist, wenn engagierte und
verantwortungsbewusste Bürger mit der Mistforke in der
Hand die Küsten von den Ölplacken befreien und die dem
Tod geweihten Vögel reinigen oder diese per Gnaden-
schuss von ihrem Leiden erlösen?
Ich finde, dass es an der Zeit ist, die Praxis zu beenden,
die Beseitigung der Schäden am Allgemeingut Umwelt
auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Wir müssen hier zu
entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich entschuldigt bisAbgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
umfassenden Regelungen kommen. Deshalb bin ich für
die Initiative der EU-Kommission auf diesem Gebiet
dankbar. Nach einer siebenjährigen Vorlaufzeit hat im Fe-
bruar des vergangenen Jahres die EU-Kommission das
Weißbuch zur Umwelthaftung vorgelegt. Die Mitglied-
staaten der Union waren aufgefordert, bis zum Juli eine
Stellungnahme abzugeben.
Der federführende Umweltausschuss begrüßt das mit
dem Weißbuch verfolgte Ziel, die Verursacher von Um-
weltschäden durch einheitliche, gemeinschaftsweit gel-
tende Regelungen zur Verantwortung zu ziehen. Die mit-
beratenden Ausschüsse des Deutschen Bundestages
haben die Kenntnisnahme der Vorlage empfohlen. Zum
Weißbuch hat der Umweltausschuss am 5. Juli des ver-
gangenen Jahres einen Entschließungsantrag vorgelegt.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union empfiehlt die Annahme der Entschließung.
Ich möchte gern die Entschließung und den Zusam-
menhang erläutern. Die EU-Kommission vertritt die An-
sicht, dass das gemeinschaftliche Umweltrecht zum bes-
seren Schutz der Umwelt durch Haftungsregeln ergänzt
werden muss. Mit dem Weißbuch zur Umwelthaftung
werden verschiedene Möglichkeiten für Gemeinschafts-
maßnahmen analysiert. Das Weißbuch kommt zu dem
Schluss, dass die geeignetste Lösung eine Rahmenrichtli-
nie der Gemeinschaft wäre. Bei einheitlichen Wettbe-
werbsbedingungen würden so die Möglichkeiten geschaf-
fen, den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu
stärken.
Dieser Ansicht hat sich der Umweltausschuss des
Deutschen Bundestages mehrheitlich angeschlossen. Wir
sind mit den Autoren des Weißbuches der Überzeugung,
dass ein EU-weites Umwelthaftungssystem das richtige
Instrument ist, zur notwendigen Aufwertung des Verursa-
cher- und des Vorsorgeprinzips zu gelangen. Bislang exis-
tiert ein solches Bewusstsein in Fragen der menschlichen
Gesundheit und in Fragen des Eigentums. Ich halte es für
höchste Zeit, das Verursacher- und das Vorsorgeprinzip
auch hinsichtlich der Umwelt im Bewusstsein zu veran-
kern. Denn mit der Haftung für eine Schädigung der Um-
welt werden wir einen maßgeblichen Beitrag leisten, dass
die Akteure der Wirtschaft mögliche nachteilige Auswir-
kungen ihrer Aktivitäten auf die Umwelt erkennen und
sich verantwortlich fühlen.
Es geht letztlich darum, das Prinzip der Eigenverant-
wortung auch beim Schutz der Umwelt in das Bewusst-
sein der Wirtschaftsakteure zu rücken. Gegenwärtig wird
lediglich die Haftung der Wirtschaftsakteure geregelt,
wenn eine persönliche Betroffenheit vorliegt. Gibt es kei-
nen individuell Geschädigten, wird also „nur“ das Allge-
meingut Umwelt geschädigt, wird der Schaden auf die
Allgemeinheit abgewälzt und im Übrigen auf die Selbst-
heilungskraft der Natur vertraut.
In Teilbereichen wie bei der Anlagen-Gefährdungshaf-
tung gelten bei uns in Deutschland bereits hohe Standards.
Darüber freue ich mich, denn bekanntermaßen ist
Deutschland als Folge einer verfehlten Umweltpolitik der
Vorgängerregierung nicht mehr europäische Spitze bei
Maßnahmen zum Schutz der Umwelt. Dorthin wollen wir
erst wieder zurück. Wir wollen selbstverständlich vermei-
den, dass eine EG-Richtlinie hinter erreichte Standards
zurückfällt. Deshalb enthält unsere Entschließung aus-
drücklich die Aufforderung, bei der Erarbeitung einer
Richtlinie die deutschen Standards zu berücksichtigen.
Angesichts bestehender Regelungen muss sich die Richt-
linie an den Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips
orientieren.
Das Weißbuch ist eine gute Diskussionsgrundlage, um
verbindliche Vorgaben für ein gemeinschaftliches Haf-
tungsregime zu entwickeln. In dieser Diskussion sind Prä-
zisierungen und Definitionen notwendig. In unserer Ent-
schließung haben wir die entscheidenden Punkte benannt:
Gemäß Weißbuch soll sich die Haftung auf Natura-2000-
Gebiete beschränken. Regelungsbedarf besteht daher da-
hin gehend, was bei entsprechenden Schäden außerhalb
solcher Gebiete passieren soll. Zudem müssen der Begriff
der biologischen Vielfalt und die Frage der monetären Be-
wertung der biologischen Vielfalt definiert werden.
Schließlich haben wir die Bundesregierung gebeten,
uns über ihre Stellungnahme zum Weißbuch und den
Fortgang der Verhandlungen zu berichten. Ich möchte die
Bundesregierung daran erinnern, dem Parlament die ent-
sprechenden Berichte zuzuleiten.
Auch im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutsch-
land muss eine gemeinschaftliche Regelung zur Haftung
bei Schädigung der Umwelt kommen. Denn die Verein-
heitlichung wird zu gleichen Wettbewerbsbedingungen
führen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der teilweise
schärferen, nationalen Regelungen unterliegenden deut-
schen Unternehmen verbessern. Wir warten daher mit In-
teresse auf die von der Umweltkommissarin für Ende
dieses Jahres angekündigte Vorlage eines Richtlinienent-
wurfes.
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Derjenige, der Um-
weltschäden verursacht, soll diese auch wieder gutma-
chen! Das ist, in einfachen Worten ausgedrückt, das
umweltrechtliche Verursacherprinzip. Dahinter steht der
Gedanke, dass nicht der Steuerzahler für entstandene
Schäden aufkommen soll, sondern der Umweltver-
schmutzer selbst. In der christdemokratischen Regie-
rungszeit wurde dementsprechend auf nationaler Ebene
das Umwelthaftungsgesetz – UmweltHG – verabschiedet.
Nun werden durch das von der Kommission vorgelegte
Weißbuch verschiedene Möglichkeiten unterbreitet, euro-
paweit ein homogenes Umwelthaftungsrecht zu schaffen.
Schon zu Beginn der 90er-Jahre hat sich in Brüssel die
Auffassung durchgesetzt, dass Handlungsbedarf für ein
EU-einheitliches Umwelthaftungsrecht besteht. Den An-
stoß zur Umsetzung gab dann der Sandoz-Störfall von
1986, der sich auf einen Schaden von insgesamt circa
70 Millionen Mark belief.
Mit der Vorlage des „Grünbuchs über die Sanierung
von Umweltschäden“ begann 1993 die entscheidende Ini-
tiative der Kommission in diese Richtung. Das Grünbuch
sollte als Diskussionsgrundlage für eine künftige umfas-
sende Regelung des gemeinschaftlichen Haftungsrechts
dienen. Es stellte insbesondere die aktuelle Situation in
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116694
(C)
(D)
(A)
(B)
den Mitgliedstaaten sowie die Schwächen der einzelnen
Haftungssysteme dar.
Im Anschluss daran hat die EU-Kommission im Fe-
bruar 2000 das „Weißbuch zur Umwelthaftung“ heraus-
gegeben, welches heute hier diskutiert wird. Das Weiß-
buch untersucht die möglichen Ausgestaltungen eines
einheitlichen Umwelthaftungssystems in Europa. Die
Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung ei-
ner Rahmenrichtlinie den praktikabelsten Weg darstellt.
Durch sie soll eine verschuldensunabhängige Haftung
manifestiert werden, die in den einzelnen Mitgliedstaaten
subsidiär umgesetzt wird.
Dadurch soll das Hauptziel erreicht werden, Umwelt-
schäden zu vermeiden.
Positiv bewerte ich das Bestreben des Weißbuches,
eine Harmonisierung des europäischen Rechts herbeizu-
führen. Schließlich ist das Umwelthaftungsrecht in den
Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach wie vor
sehr unterschiedlich entwickelt und eine homogene Rege-
lung würde einheitliche Wettbewerbsbedingungen her-
stellen. Das Ziel der Angleichung europäischer Wettbe-
werbsbedingungen wird durch die CDU-Fraktion
ausdrücklich begrüßt. Die Bundesregierung hat hier ein-
mal die Möglichkeit, ganz entgegen ihrer sonstigen Ge-
wohnheit eine Regelung zu unterstützen, die Wettbe-
werbsverzerrungen entgegenwirkt.
Bisher hat die Bundesregierung Benachteiligungen
deutscher Unternehmen auf dem europäischen und inter-
nationalen Markt durch nationale Alleingänge ja nicht nur
hingenommen, sondern regelrecht gefördert. Gerade im
Umweltbereich hat die „Politik des deutschen Sonder-
weges“ von Herrn Trittin dazu geführt, dass sich deutsche
Betriebe Belastungen ausgesetzt sehen, die wirtschafts-
politisch nicht mehr tragbar sind. Die Umsetzung europä-
ischer Richtlinien, welche eine Harmonisierung des
Rechts der Mitgliedstaaten bewirken sollte, wurde dazu
genutzt, Reglementierungen und bürokratischen Auf-
wand für die Unternehmen zu erhöhen.
Der vor 1998 eingeschlagene positive Weg der Dere-
gulierung wurde durch die Bundesregierung zunehmend
verlassen. Substitutionsfördernde Instrumente, wie der
Erlass einer Privilegierungsverordnung für solche Unter-
nehmen, die sich aktiv im Umweltschutz engagieren,
wurden verschleppt und vernachlässigt. Durch diese Poli-
tik wird die Verlagerung von Investitionen ins Ausland
riskiert und der Wirtschaftsstandort Deutschland gefähr-
det. Die durch das Weißbuch verfolgte Angleichung der
Bestimmungen der Mitgliedstaaten wird von mir daher
ausdrücklich begrüßt.
Das Weißbuch ist sicher als Diskussionsgrundlage zur
Vereinheitlichung des europäischen Rechts geeignet. Um
verbindliche Richtlinien vorzugeben, lässt es allerdings
zu viele Fragen offen: Das im Weißbuch vorgesehene
Umwelthaftungssystem kollidiert in mehreren Punkten
mit unserem nationalen Schadenersatzrecht.
Zum einen sollen – im Gegensatz zum deutschen Um-
welthaftungsgesetz – auch Schädigungen natürlicher Res-
sourcen eingeschlossen werden. Dies soll aber nur be-
stimmte geschützte Gebiete umfassen. Die daraus
resultierende territoriale Aufspaltung ist dem herkömmli-
chen Schadensersatzrecht fremd und darüber hinaus nicht
vermittelbar. Zum anderen sollen die Mitgliedstaaten
nach dem Willen des Weißbuches eine gewährleistende
Funktion in der Schadensregulierung übernehmen. Auch
dies steht mit dem nationalen Schadensersatzrecht nicht
im Einklang, nach welchem der Schädiger an den Ge-
schädigten ohne den Umweg über eine staatliche Instanz
zu leisten hat. Soll nun aber der Staat als Garant einbezo-
gen werden, so überschreitet dies die Grenzen der zivil-
rechtlichen Regelungsmöglichkeiten. Denkbare Lösun-
gen mit öffentlich-rechtlichen Mitteln werden durch das
Weißbuch aber nicht vorgestellt. Hier besteht also noch
erheblicher Diskussionsbedarf.
Das Weißbuch begegnet daneben auch anderen Beden-
ken: Der Ansatz der europäischen Kommission, eine Haf-
tung für Schädigungen der biologischen Vielfalt in
Schutzgebieten – namentlich: NATURA-2000-Gebie-
ten – nur bei erheblichen Schäden zu begründen, ist zwar
grundsätzlich richtig; die Voraussetzungen einer solchen
Haftung müssen jedoch noch konkretisiert werden. Dies
gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass potenzielle
Verursacher von Schäden an der biologischen Vielfalt vor
allem Betriebe sind, die in unmittelbarer Nähe der Schutz-
gebiete angesiedelt sind. Wie die Kostenbelastung für
jene Betriebe aussieht, bleibt ein Geheimnis des Weiß-
buches. Über die Auswirkungen auf die Wettbewerbs- und
Existenzfähigkeit jener Unternehmen schweigt sich das
Weißbuch ebenso aus. Auf Seite 31 stellt die Kommission
selbst fest, dass die neuen Haftungsrichtlinien erhebliche
Auswirkungen auf kleinere und mittlere Unternehmen ha-
ben werden. Solange diese Auswirkungen aber noch nicht
geklärt sind, halte ich die Einbeziehung von Schäden, die
in NATURA-2000-Gebieten entstehen, aber außerhalb
dieser Gebiete ihren Ursprung haben, für nicht vertretbar.
Einen weiteren kritischen Punkt sehe ich in den Über-
legungen zur Beweislast. Im Falle der Schädigung der
biologischen Vielfalt wird die Beweislast im Schadensfall
dem Beklagten aufgezwungen und nötigt diesen damit,
die Beweispflicht für eine „Nichtschädigung“ zu erbrin-
gen. Ich befürchte, dass aufgrund der noch offenen Fragen
zur Umwelthaftung viele Gutachten, Gegengutachten und
aufwendige Gerichtsverfahren stattfinden werden. Von
diesen Kosten werden hauptsächlich Forst- und Land-
wirtschaft betroffen sein.
Derzeit entsprechen die im Weißbuch genannten An-
sätze zur Schadensermittlung in Bezug auf die Rechtssi-
cherheit und die Bestimmtheit nicht den rechtsstaatlichen
Maßstäben. Ich fordere die Bundesregierung daher auf,
die rechtlichen Lücken im Weißbuch zu schließen, bevor
sie dem Weißbuch als Grundlage für eine europäische
Rahmenrichtlinie ihre Zustimmung gibt.
Neben den genannten rechtlichen Bedenken drängt
sich mir aber auch ein praktisches Problem auf: Die fi-
nanzielle Absicherung der Umwelthaftung durch eine
Deckungsvorsorge ist praktisch schwierig und mit den be-
treffenden Wirtschaftszweigen noch gar nicht diskutiert
oder besprochen worden. Das liegt auch daran, dass
Umweltrisiken besonders schwer zu kalkulieren sind.
Den vielen unterschiedlichen Einzelfällen wird man mit
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16695
(C)
(D)
(A)
(B)
pauschalen Festsetzungen zwangsläufig nicht gerecht. Ich
gebe zu bedenken, dass es bislang noch nicht einmal in
Deutschland gelungen ist, ein Haftpflichtversicherungs-
system für Umweltschäden zu entwickeln und einzuset-
zen! Eine Antwort auf die Frage, wie Ökoschäden zu ver-
sichern sind, ist bislang noch nicht gefunden worden. Es
ist daher nicht vertretbar, den Unternehmen Haftungsrisi-
ken aufzubürden, die unkalkulierbar und unvorhersehbar
sind. Es liegt doch auf der Hand, dass ein Versicherungs-
schutz zu angemessenen Bedingungen gerade für kleinere
und mittelständische Betriebe nicht zu finanzieren ist.
Im Ergebnis muss ich also festhalten, dass insgesamt
– aufgrund der noch offenen Fragen und Probleme im Be-
reich der Umwelthaftung – ein erheblicher Klärungs- und
Beratungsbedarf besteht, bevor ein konkreter Richtlinien-
vorschlag vorgelegt werden kann. Als Grundlage für eine
europäische Rahmenrichtlinie sind die Ansätze des Weiß-
buches daher noch nicht geeignet.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn es um den heutigen Einfluss Brüsseler Politik in
Deutschland geht, dann fühlt man sich leicht an Goethes
„Fischer“ erinnert: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin“ –
die EU-Politik den deutschen Michel.
Fast alle wichtigen, umweltpolitischen Bereiche wer-
den inzwischen auf EU-Ebene geregelt. Nicht immer be-
grüßen wir die Initiativen. Häufig sind anspruchsvollere,
nationale Standards zu verteidigen, damit es für den deut-
schen Michel nicht wie weiter bei Goethe heißt: „und
ward nicht mehr geseh’n“.
Das Weißbuch Umwelthaftung ist anders. Wir be-
grüßen es als eine echte Chance, Verursacherprinzip und
Vorsorgeprinzip EU-weit zu stärken. Wir stimmen mit der
Umweltkommissarin der EU, Frau Margot Wallström, ab-
solut überein: Das Weißbuch wird EU-weit zu gesetz-
lichen Regelungen führen, die endlich sicherstellen, dass
Umweltverschmutzer tatsächlich und effektiv für die von
ihnen verursachten Umweltschäden verantwortlich ge-
macht werden können. Das wird den Umwelt- und
Gesundheitsschutz in Europa stärken und zwar auch in
denjenigen Schadensfällen, in denen die menschliche Ge-
sundheit oder persönliches Eigentum nicht direkt betrof-
fen sind, zum Beispiel bei der bedrohten biologischen Ar-
tenvielfalt. Bisher bestand in solchen Fällen für die
Bürgerinnen und Bürger keine Klagemöglichkeit.
Seit der Beschlussempfehlung des Umweltausschusses
hat sich die Beratung des Weißbuchs weiterentwickelt.
150 überwiegend positive Stellungnahmen sind bei der
Kommission eingereicht worden – von EU-Institutionen,
Regierungen, NGOs, Wirtschaftsverbänden, Versicherun-
gen und anderen –, darunter auch viele aus Deutschland.
Die Kommission wird nun voraussichtlich schon bald
nach der Sommerpause einen Richtlinienvorschlag prä-
sentieren.
Umso wichtiger ist es, dass sich die Bundesregierung
intensiv für notwendige Verbesserungen einsetzt. Der
Koalition ist wichtig, dass die künftigen Standards nicht
hinter dem seit 1990 geltenden deutschen Recht der Um-
welthaftung zurückfallen. Die dort verankerte Gefähr-
dungshaftung für Industrieanlagen muss mindestens ge-
wahrt bleiben, besser noch weiterentwickelt werden. Ein
Großteil der EU-Umweltminister hatte sich zuletzt dafür
eingesetzt, dass auch Schäden durch gentechnische Pro-
dukte oder Gefahrstofftransporte von der Richtlinie er-
fasst werden sollten.
Das unterstützen wir ausdrücklich. Besonders bei der
Haftung für Schäden an der biologischen Vielfalt kann
sich aber unserer Meinung nach die Richtlinie nicht auf
„Natura-2000“-Gebiete beschränken. Das kann allenfalls
ein erster Schritt sein. Wir müssen erkennen und anerken-
nen, dass im ethischen Sinne die technologische Zivilisa-
tion für ihre Schäden haftbar ist. Das Prinzip Verantwor-
tung nach Hans Jonas galt noch nie so sehr wie heute, wo
Schäden häufig nicht sofort sichtbar sind: zum Beispiel
Gentechnik, zum Beispiel schleichende Freisetzung von
Allergenen, zum Beispiel das grassierende Artensterben
in Europa.
Unsere Vertreter im Europäischen Parlament haben be-
reits früh klargemacht: Wir treten für strenge Haftungs-
prinzipien wie die verschuldensunabhängige Haftung
oder die Beweislastumkehr ein. Es darf doch nicht sein,
dass die Haftungsfrage bei Unfällen nach Jahren noch im-
mer ungeklärt ist, wie zum Beispiel beim Minenunglück
im spanischen Naturschutzgebiet Donana vor drei Jahren.
Ähnliches gilt für viele Tankerunfälle im letzten Jahr-
zehnt: Wir mussten feststellen, dass der internationale
Entschädigungsfonds für Ölverschmutzung bei der Hava-
rie des Tankers „Erika“ bei weitem nicht ausreichte. Da-
mals verendeten Hunderttausende von Seevögeln.
Wir wollen nicht erst Schiffseigentümer, Charterer und
Frachtbesitzer zur Anerkennung der Umwelthaftung auf-
fordern müssen. Solche Fälle wollen wir künftig klar ge-
regelt haben.
Endlich, nach einem verlorenen Jahrzehnt in Sachen
Umwelthaftung, ist nun Bewegung in die Sache gekom-
men. Die vormals ablehnende Haltung vieler Staaten
wurde durch die neuen Mitte-Links-Regierungen aufge-
löst. Die französische Ratspräsidentschaft hatte das Weiß-
buch damals zur Priorität erhoben. Die Schweden hatten
die Debatte flott vorangetrieben. Der Deutsche Bundestag
und die Bundesregierung müssen nun Einfluss darauf
nehmen, dass die Umwelthaftung auch unter belgischer
Ratspräsidentschaft höchsten Stellenwert einnimmt.
Wir setzen uns dafür ein, dass noch in diesem Jahr eine
Richtlinie vorgestellt und noch in dieser Legislaturperi-
ode des Bundestages verabschiedet werden kann.
Marita Sehn (F.D.P.): Mit dem EU-Weißbuch zur
Umwelthaftung hat die Europäische Kommission einen
Bauplan zu einem einheitlichen Gesetzentwurf zur Um-
welthaftung vorgelegt. Und die ersten Konturen, die sich
erkennen lassen, sind viel versprechend. Die Vorschriften
zur Umwelthaftung sollen vereinheitlicht werden, das
Vorsorge- und Verursacherprinzip soll gestärkt werden.
Die F.D.P. begrüßt diese Absichten und vor allem auch,
dass die Europäische Kommission dieses wichtige Pro-
blem erkannt hat und initiativ tätig geworden ist.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116696
(C)
(D)
(A)
(B)
Da es sich aber zunächst nur um einen Bauplan handelt
und noch nicht einmal der Rohbau fertig ist, sind natürlich
auch noch viele Fragen offen. Wer die Diskussion um das
Kanzleramt verfolgt hat, wird mir Recht geben. Die bes-
ten Absichten und Interpretationen des Architekten nüt-
zen nichts, wenn der Bau sie nicht entsprechend transpor-
tiert. So sind auch in dem EU-Weißbuch noch viele Dinge
diskussions- und klärungsbedürftig.
Ein ehrgeiziges Ziel des Weißbuches ist es, Schäden an
der biologischen Vielfalt zu erfassen. Dies ist ein neuer
und innovativer Ansatz. Wenn man nur wüsste, wie dies
vor sich gehen soll. Bislang gibt es keine genauen Vor-
stellungen, wie die Schadensbewertung in Bezug auf Bio-
diversität erfolgen soll. Ich halte es für fragwürdig, ob Be-
stimmungen, die noch nicht in der Praxis erprobt sind,
bereits in ein Gesetz gegossen werden sollen. Dies wäre
im wahrsten Sinne des Wortes „auf Sand bauen“.
Wer ein stabiles Gebäude bauen will, der darf auch das
Fundament nicht vernachlässigen. Wenn dieses nicht trag-
fähig ist, dann ist das ganze Gebäude gefährdet. In dem
Weißbuch stehen etliche Punkte, die ein solides Funda-
ment vermissen lassen.
Für die zukünftige Umwelthaftung verweist das Weiß-
buch auf eine noch zu schaffende Art „Umwelthaft-
pflichtversicherung“. Wie diese aussehen soll, welche
Deckungssummen gefordert sein werden – alle diese An-
gaben bleiben im Dunkeln. Die Kommission meint dazu
lapidar, dass sich ein Versicherungsschutz in diesem Be-
reich allmählich durchsetzen könnte. Es ist ein schmaler
Grat zwischen Vision und Halluzination. Die propheti-
schen Gaben der Kommission in Ehren, aber als Grund-
lage für die Planung von Unternehmen, die einer langfris-
tigen und sicheren Basis bedürfen, erscheinen mir solche
Statements als ungeeignet.
Die grün-rote Koalition hat in ihrem Entschließungs-
antrag die Unklarheiten konsequent weitergeführt So ist
es nebulös, was die Koalition unter einer „Weiterentwick-
lung des deutschen Umwelthaftungsgesetzes für die An-
lagen-Gefährdungshaftung“ versteht. Für die F.D.P. sind
solche orakelhaften Formulierungen kein seriöses Ele-
ment der Umweltpolitik.
Prinzipiell ist die Initiative der Kommission be-
grüßenswert, werden doch viele wichtige Themen aufge-
griffen. Andererseits ist noch nicht so richtig klar, was für
ein Gebäude die Kommission auf dem Grundstein auf-
bauen will. In Anbetracht der vielen ungenauen Vorgaben
habe ich auch meine Zweifel, dass die Kommission ihr
Ziel, nämlich eine Harmonisierung der Umwelthaftungs-
vorschriften in Europa, erreichen wird. Je ungenauer die
Vorgaben, umso unterschiedlicher werden die nationalen
Umsetzungen ausfallen, was letztendlich zu einem Mehr
an Wettbewerbsverzerrungen führen wird.
Die Kommission hat mit dem Weißbuch den Bauplan
vorgelegt. Dieser lässt zwar schon Konturen erkennen,
aber man kann noch keine definitiven Aussagen über den
Innenausbau machen. Ein Plan, dem aber keine soliden
Eckdaten und Informationen zugrunde liegen, taugt bes-
tenfalls für Luftschlösser. Deshalb fordere ich die Bun-
desregierung auf, sich konstruktiv und kritisch an der
konzeptionellen und inhaltlichen Weiterentwicklung des
Weißbuches zu beteiligen und ihrer Verantwortung ge-
genüber den Verbrauchern, der Wirtschaft, vor allem aber
auch der Umwelt gerecht zu werden.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Das Weißbuch der
Kommission hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck.
Auf der einen Seite schafft es Grundlagen, Löcher in den
nationalen Gesetzgebungen zu stopfen. Beispielsweise
reguliert das deutsche Umwelthaftungsgesetz nur Ge-
sundheits- und Sachschäden, aber keine Schäden an Na-
tur und Umwelt, wie es begrüßenswerterweise das Weiß-
buch fordert.
Auf der anderen Seite lassen die zahlreichen
Schlupflöcher des Weißbuches erwarten, dass – wenn ich
mal die Grünen-Europaabgeordnete Hiltrud Breyer zitie-
ren darf – „die Umwelthaftung auch künftig ein Papierti-
ger bleibt“. Beispielsweise wäre nach dem Weißbuch
außerhalb von ausgewiesenen Naturschutzgebieten nicht
grundsätzlich jeder Schaden haftungspflichtig. Und im
Unterschied zur deutschen Umwelthaftung liegt die Be-
weislast einseitig auf den Schultern der Geschädigten.
Dies wäre ein Rückschritt gegenüber unserer nationalen
Gesetzgebung. Auch Schäden an Gesundheit und Sachen
werden im Weißbuch ausgeklammert; also das, was Inhalt
des deutschen Umwelthaftungsrechtes ist.
Allerdings werden in Deutschland keine isolierten Ver-
mögensschäden oder gar Schmerzensgeldansprüche regu-
liert. Lediglich die unmittelbaren Kosten für Gesundheits-
und Sachschäden aus Umweltunfällen unterliegen diesem
Gesetz. In Deutschland besteht damit zwar eine verschul-
densunabhängige Gefährdungshaftung. Diese ist letztlich
aber extrem eingeschränkt. Betroffene, unter anderem
Opfer von Unfällen in Atom- oder Chemieanlagen kön-
nen ein Lied davon singen, ganz zu schweigen von der
völlig unzureichenden Deckungsvorsorge für Atomun-
fälle im Atomgesetz.
Was das Weißbuch angeht, so wird durch fehlende De-
finitionen und durch die genannten Einschränkungen des
Anwendungsbereiches die Vorsorgewirkung marginal
sein. Letztlich geht es aber – da sind wir uns wohl einig –
um Vorsorge und nicht allein um Schadensregulierung.
Dies ist um so betrüblicher, als auch das Umweltstrafrecht
in Europa ein Witz ist. Denn letztlich lässt sich gerichts-
fest kaum ein Schuldiger in den Unternehmen ermitteln.
Und ein Umweltstrafrecht für Unternehmen als Ganzes
existiert nicht. Umweltstraftaten steigen rasant, aber nur
bei unter 10 Prozent dieser Delikte werden Verurteilungen
ausgesprochen, 95 Prozent davon sind wiederum ledig-
lich Geldstrafen.
Dieses Dilemma wird übrigens hierzulande durch das
neue UVPIVU-Artikelgesetz noch verschärft, da ja im
Rahmen der Privilegierung ökoauditierter Unternehmen
zahlreiche Berichtspflichten sowie behördliche Überprü-
fungen – und damit Beweismittel – wegfallen werden. Zur
Umwelthaftung möchte ich abschließend unterstreichen,
dass nicht nur das Weißbuch der Kommission, sondern
auch die entsprechende deutsche Gesetzgebung refor-
miert werden muss.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16697
(C)
(D)
(A)
(B)
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Konzept der regionalen und sektoralen Schwer-
punktsetzung in der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit umgehend korrigieren
– Perus Rückkehr zur Demokratie unterstützen
(Tagesordnungspunkt 9 a und b)
Adelheid Tröscher (SPD): Die bilaterale Entwick-
lungszusammenarbeit ist ein zentrales Instrument unserer
Politik, mit dem wir unseren Anspruch, globale Struktur-
politik mitzugestalten, auf Länderebene konkret verwirk-
lichen wollen. Dabei ist Geld wichtig, aber es ist nicht
alles. Wichtiger ist es, den Einsatz der Mittel effektiver zu
gestalten und dabei mit anderen nach den gleichen Krite-
rien zusammenzuarbeiten und eine bessere Arbeitsteilung
zu vereinbaren.
Gleichwohl gilt, dass die knappen finanziellen und per-
sonellen Ressourcen auf Bereiche konzentriert werden
müssen, in denen ein Engagement aufgrund unserer Ziele
und Interessen besonders erforderlich ist und gleichzeitig
die Erfolgsaussichten günstig sind. Deshalb müssen in der
Entwicklungspolitik eindeutigere Prioritäten gesetzt wer-
den als bisher. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der ab-
soluten Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierungspo-
litik der Bundesregierung.
Unser Ziel ist es, die Signifikanz und Wirksamkeit der
Entwicklungszusammenarbeit durch eine bessere Verzah-
nung der bilateralen, multilateralen und der EU-Entwick-
lungspolitik zu steigern. Ein ganzheitlicher Ansatz in der
Entwicklungszusammenarbeit, der koordinierte Einsatz
aller Instrumente, gebietet die Verringerung der Anzahl
der Kooperationsländer.
Kriterien für die Auswahl der 70 Kooperationsländer
waren die Erforderlichkeit der Zusammenarbeit im Hin-
blick auf die wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und
politischen Gestaltungsziele, unsere Möglichkeiten, einen
relevanten Beitrag zu strukturellen Verbesserungen zu
leisten; die Leistungen der anderen bilateralen und multi-
lateralen Geber sowie die internen Rahmenbedingungen
im Partnerland, wie sie in den fünf BMZ-Kriterien
Beachtung der Menschenrechte, Beteiligung der Bevöl-
kerung am politischen Prozess, Gewährleistung von
Rechtssicherheit, sozial und ökologisch ausgerichtete
marktfreundliche Wirtschaftsordnung und Entwicklungs-
orientierung des staatlichen Handelns definiert sind. Die
nun vorliegende Länderliste ist daher auch nicht als starr
zu begreifen, sondern kann im Laufe der Zeit an neuere
Entwicklungen angepasst werden.
Und deshalb ist auch für eine falsche Aufgeregtheit der
Opposition hier kein Platz. Denn: Eine Konzentration der
bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit hat
es auch schon unter einer CDU/CSU-geführten Bundes-
regierung in den 90er-Jahren gegeben. Was damals rich-
tig war, kann ja heute nicht falsch sein.
Derzeit gibt es nach der Definition der OECD 146 Ent-
wicklungsländer. In den vergangenen Jahren hat Deutsch-
land 118 dieser Länder durch bilaterale öffentliche Ent-
wicklungszusammenarbeit gefördert. Diese Länder
wurden einer Analyse und Bewertung unterzogen mit
dem Ergebnis einer Konzentration auf 70 Schwerpunkt-
partnerländer und Partnerländer.
In den 38 Schwerpunktländern, wie etwa Ägypten,
Palästina, Südafrika, Tansania; Vietnam, Peru oder Boli-
vien, soll das gesamte entwicklungspolitische Instrumen-
tarium, in ausgewählten, möglichst drei Schwerpunkten,
in nennenswertem Umfang zum Einsatz kommen. Für die
meisten dieser Länder liegen aufgrund der intensiven Zu-
sammenarbeit Länderkonzepte vor, für einige wenige sind
sie noch zu erstellen. Für die Schwerpunktpartnerländer
werden aber nicht nur Länderkonzepte, sondern auch
Schwerpunktstrategiepapiere erstellt. Sie dienen insbe-
sondere der konzeptionellen Ausgestaltung der Förder-
schwerpunkte, aber auch der stärkeren Bündelung von
Projekten zu Programmen.
In den 32 Partnerländern, wie Jordanien, Costa Rica
oder Kolumbien, soll sich die Arbeit möglichst auf einen
Schwerpunkt konzentrieren. Dies kann realistischerweise
nur langfristig und in Abstimmung mit den Kooperations-
ländern und anderen Gebern geschehen.
Wichtig bei der Unterscheidung eines Landes in
Schwerpunktland und Partnerland ist aber auch, dass dies
keine Aussage über die Höhe der künftigen Fördermittel
macht. Der Unterschied liegt ausschließlich im program-
matischen Bereich und in der Intensität der Arbeit.
Ferner wurde eine Liste von potenziellen Kooperati-
onsländern aufgestellt, mit der Länder auf der Agenda ge-
halten werden sollen, mit denen zurzeit keine nennens-
werte entwicklungspolitische Zusammenarbeit möglich
ist, wo diese jedoch grundsätzlich – bei veränderten Rah-
menbedingungen – sinnvoll scheint.
Insgesamt dient die vorliegende Schwerpunktbildung
der qualitativen Verbesserung der Arbeit des BMZ. Sie
erhöht die Wirksamkeit unserer Entwicklungszusammen-
arbeit und fördert einen ganzheitlichen Ansatz der Regio-
nal- und Länderpolitik.
Karin Kortmann (SPD): Mit Verlaub, dem Deutschen
Bundestag einen Antrag zu Peru vorzulegen, der bereits
bei Drucklegung in seiner politischen Analyse und erst
recht in seinem Forderungskatalog überholt ist, das grenzt
schon an eine neue Form der „Beschäftigungspolitik für
Abgeordnete“.
Wir, die SPD-Bundestagsfraktion, wollen keinen Sta-
tus quo für Peru, sondern wir wollen das Land, die Men-
schen, das neu gewählte Parlament und den zukünftigen
noch zu wählenden Präsidenten auf dem Weg zu einer De-
mokratie aktiv unterstützen.
Wir gratulieren der Übergangsregierung von Peru un-
ter Valentin Paniagua zu ihrem umsichtigen und transpa-
renten Handeln, zu der Ermöglichung von demokrati-
schen Wahlen. Seit dem 17. November 2000 befindet sich
Peru in einem Umwälzungsprozess, der durch den Rück-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116698
(C)
(D)
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(B)
tritt von Alberto Fujimori eingeleitet wurde. Das vergan-
gene halbe Jahr hat den Machtmissbrauch, die Korrup-
tion, die illegalen Waffen- und Drogengeschäfte des ehe-
maligen Präsidenten und seines Helfers Montesinos ans
Tageslicht gebracht. Es sind Ausmaße, die sich selbst die
größten Kritiker des Fujimorismus nicht hätten träumen
lassen. Und so ist es für die demokratische Entwicklung
in Peru auch befriedigend zu sehen, dass bei den Parla-
mentswahlen am 8. April nicht viel vom politischen Sys-
tem Fujimoris übrig geblieben ist: Von den ehemals
52 Abgeordneten der vergangenen Wahl bleiben gerade
noch sechs übrig, die sich auf „Solucion Popular“ und
„Cambio 90/Nueva Mayoria“ aufteilen. Diesem politi-
schen Willen der Wählerinnen und Wähler muss nun wei-
ter Rechnung getragen werden.
Das tut die deutsche Bundesregierung, indem sie nicht
nur Wahlbeobachter für den 8. April entsandt hat und auch
bei der Präsidentenwahl im Juni beobachtend da sein
wird, sondern auch durch einen breiten Unterstützungs-
ansatz des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung. Peru ist Schwerpunkt-
land der Entwicklungszusammenarbeit.
Die Bundesregierung hat sich stets, sowohl bilateral als
auch auf multilateraler Ebene, für die Wiederherstellung
und Respektierung demokratischer und rechtsstaatlicher
Verhältnisse eingesetzt. Für die Respektierung der vom
ehemaligen Präsidenten Fujimori 1993 geänderten Ver-
fassung hat sie sich allerdings nicht eingesetzt; diese ent-
spricht nicht unseren Rechtsstaatlichkeitsprinzipien.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit unterstützt seit langem diejenigen Kräfte der
Zivilgesellschaft, deren Tätigkeit auf die Redemokratisie-
rung Perus in Staat und Gesellschaft ausgerichtet sind.
Und seit den Regierungsverhandlungen 1999 bildet der
Bereich „Modernisierung des Staates“ einen der drei
Schwerpunkte der künftigen Entwicklungszusammen-
arbeit mit Peru. Bei diesen Regierungsverhandlungen
wurde die Einhaltung der verfassungsmäßig garantierten
Gewaltenteilung immer wieder eingefordert, ebenso die
Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsorgane. Dazu
gehörte unter anderem die Unterstützung des Defensor
del Pueblo, des Ombudsmanns. Ganz wichtig ist auch die
Situation der Menschenrechte. Gemeinsam mit allen
EU-Regierungen hat die Bundesregierung die peruani-
sche Regierung mehrfach aufgefordert, ihre Mitarbeit im
lateinamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte
wieder aufzunehmen.
Eine kurze Anfrage bei der Bundesregierung hätte also
Auskunft darüber geben können, welch vielfältige An-
sätze der Demokratieentwicklung in Peru durch die deut-
sche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt werden.
Das hätte das Schreiben dieses Antrags, den wir hier ab-
lehnen, erspart. Peru braucht unsere volle Unterstützung.
Wir wollen unseren Beitrag zur Demokratisierung gerne
fortsetzen.
Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): In üblicher
Vollmundigkeit preist die Bundesregierung ihre letztes
Jahr eingeführte entwicklungspolitische Schwerpunktset-
zung als bahnbrechende Neuerfindung: Durch eine auf
circa 70 reduzierte Zahl der Kooperationsländer, eine Fo-
kussierung der Zusammenarbeit auf wenige Schwer-
punkte und eine noch bessere Verzahnung mit der multi-
lateralen und der EU-Entwicklungspolitik könne die
Wirksamkeit der Arbeit des BMZ erhöht werden. Ver-
schwiegen wurde dabei, dass sich die BMZ-Leitung zu
dieser Schwerpunktsetzung wegen der fortlaufenden
drastischen Kürzungen des Entwicklungshaushalts ge-
zwungen sah.
Gleichzeitig veröffentlichte das BMZ ein Informati-
onspapier, das neben allgemeinen Ausführungen zur
Schwerpunktsetzung ein Länderraster mit einer Untertei-
lung der mit Deutschland kooperierenden Entwicklungs-
länder in drei Kategorien enthielt. Zweck dieser Raster-
kategorisierung sei die Abstufung des Grads der
Entwicklungszusammenarbeit von einer Kooperation mit
einem „Schwerpunktpartnerland“ mittels des gesamten
entwicklungspolitischen Instrumentariums in ausgewähl-
ten, möglichst nur drei Schwerpunkten, über eine Koope-
ration mit einem „Partnerland“ in möglichst nur einem
Schwerpunkt bis hin zu den „potenziellen Partnerlän-
dern“, mit denen eine Kooperation grundsätzlich zwar
sinnvoll, gegenwärtig aber nicht möglich sei.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist sich bewusst,
dass eine sachgerechte und außenpolitisch sensibel und
flexibel umgesetzte Schwerpunktsetzung eine erhebliche
Effizienzsteigerung in der Entwicklungszusammenarbeit
mit sich bringen kann. Sie erinnert daran, dass das BMZ
bereits in der ersten Hälfte der 90er-Jahre mit der Reali-
sierung einer derartigen Schwerpunktsetzung begonnen
hatte. So konzentrierte sich 1994 die bilaterale staatliche
Entwicklungszusammenarbeit Deutschlands auf nur noch
40 Schwerpunktländer, das heißt dorthin flossen 86 Pro-
zent aller Zusagen. Dieses geschah jedoch nicht in Form
eines starren Rasterkorsetts, sondern berücksichtigte die
sich stetig verändernden Realitäten in den einzelnen Ent-
wicklungsregionen und bewahrte auf diese Weise die Fle-
xibilität, Angemessenheit und Glaubwürdigkeit deutscher
Entwicklungs- und Außenpolitik. Zudem trug man so dem
auch heute noch gültigen Umstand Rechnung, dass Na-
turkatastrophen sowie ökonomische und politische Not-
situationen erfahrungsgemäß in fast allen Entwicklungs-
regionen Ad-hoc-Maßnahmen erforderlich machen und
schließlich Deutschland als Außenhandels- und Außen-
investitionsnation ein vitales wirtschaftspolitisches Inte-
resse an Kontakten zu möglichst vielen Ländern und Re-
gionen dieser Erde hat.
In scharfem Kontrast hierzu stehen Inhalt und Wirkung
der aktuellen Schwerpunktsetzung des BMZ. Sie weist
schwere inhaltliche Mängel auf. Die starre Kategorisie-
rung legt der deutschen Entwicklungspolitik zu enge re-
gionale und sektorale Fesseln an. Die Kriterien sind un-
scharf und ihre Anwendung bleibt widersprüchlich.
Während mit demokratisch instabilen Entwicklungslän-
dern wie zum Beispiel Simbabwe unter Präsident Mu-
gabe – immerhin Jahrzehnte lang ein Schwerpunktland
deutscher Entwicklungskooperation – die staatliche bila-
terale Entwicklungszusammenarbeit zumindest partiell
ausgesetzt wurde, stufte das BMZ das kommunistisch-to-
talitäre Kuba in den Rang eines Partnerlandes hoch. Völ-
lig verwirrend ist, dass die Bundesregierung gleichzeitig
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16699
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für eine weitere Suspendierung und Aufrechterhaltung
von Sanktionen hinsichtlich des mit dem antidemokrati-
schen Regierungssystem in Kuba gleichzusetzenden Re-
gimes in dem noch ärmeren Myanmar plädiert und paral-
lel dazu – wie gerade bekannt wurde – gegen von der
gesamten EU beschlossene Sanktionen verstößt, indem
sie offensichtlich einem Mitglied der dortigen Militär-
junta ein Besuchsvisum für Deutschland ausgestellt hat –
ein weiterer Beweis dafür, dass Willkür und Beliebigkeit
die rot-grüne Außen- und Entwicklungspolitik beherr-
schen. Schließlich wurden wichtige Kooperationsländer
wie Nigeria, Burundi oder Paraguay erst auf Intervention
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nachträglich wieder
in den Katalog der Partnerländer aufgenommen, nachdem
sie vorher nicht nachvollziehbar zu potenziellen Partner-
ländern degradiert worden waren. Die Kategorisierung als
solche wie auch die Aufteilung der Länder in die einzel-
nen Sparten wurde weder mit dem Auswärtigen Amt noch
anderen betroffenen Ressorts abgestimmt. Sie hat zu er-
heblicher Kritik, Irritation und Verstimmung auf nationa-
ler wie auch internationaler Ebene geführt und schadet
unseren außen-, entwicklungs- und wirtschaftspolitischen
Interessen.
Die Beschränkung der Zusammenarbeit auf eine limi-
tierte Zahl von Schwerpunktsektoren hat fatale Konse-
quenzen: Nach dem Fehlschlagen des Weltklimagipfels in
Den Haag registriert die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
mit Besorgnis, dass dem Sektor Umwelt- und Ressour-
censchutz auch im Rahmen der mit der regionalen Kon-
zentration verknüpften sektoralen Schwerpunktsetzung
offensichtlich eine immer geringere Priorität eingeräumt
wird. Indiz hierfür mag nicht zuletzt sein, dass die Bun-
desregierung in ihrem Haushalt für das Jahr 2001 die ent-
wicklungspolitischen Finanzmittel für diesen wichtigen
Sektor beträchtlich zurückgefahren hat. Hiermit steuert
sie auf einen deutlichen Widerspruch zu den Vorgaben der
UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992
sowie ihren eigenen politischen Ankündigungen hinsicht-
lich Umwelt- und Ressourcenschutz zu und trägt zur Ver-
schärfung der nach dem Fehlschlagen des Den Haager
Weltklimagipfels eingetretenen Krise des Post-Rio-Pro-
zesses bei.
Kürzlich abgeschlossene Regierungsverhandlungen
mit einer Reihe von Nehmerländern lassen weiterhin be-
fürchten, dass die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
den für eine nachhaltige Entwicklung essenziellen Grund-
bildungssektor zu vernachlässigen beginnt. Ich bedaure
dies zutiefst, zumal dieser Sektor zu Recht unter Minister
Spranger eine der drei sektoriellen Säulen unser Entwick-
lungskooperation dargestellt hat. Und überhaupt nimmt
die der deutschen Entwicklungskooperation überge-
stülpte Selbstbeschränkung auf höchstens drei Schwer-
punktsektoren in der Zusammenarbeit mit einem Neh-
merland teilweise geradezu groteske Züge an: Gelingt es
auf Biegen und Brechen nicht, alle Projekte in einem Part-
nerland unter drei Sektoren zu subsumieren, erfindet das
BMZ kunstvolle Neuschöpfungen entwicklungspoliti-
scher Kooperationssektoren, um ja nicht gegen „das hei-
lige Gesetz der drei Sektoren“ verstoßen zu müssen. Und
wenn selbst das nicht mehr gelingt, muss eben der allge-
mein stark strapazierte Begriff bzw. Sektor der Armuts-
bekämpfung herhalten, unter den sich bekanntermaßen ja
so gut wie jede entwicklungspolitische Aktivität mit mehr
oder weniger Quietschen hineinpressen lässt. Und damit
verkommt die hoch gepriesene rot-grüne Schwerpunkt-
setzung vollends zur peinlichen Selbsttäuschungsinsze-
nierung.
Eine sinnvolle regionale und sektorale Schwerpunkt-
setzung setzt darüber hinaus eine intensive vorherige Ab-
stimmung mit anderen bi- und multilateralen Gebern
voraus, um zu verhindern, dass wichtige Entwicklungsre-
gionen und Sektoren nach Vollzug der Schwerpunktset-
zung und Rückzug der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit entwicklungspolitisch vernachlässigt werden.
Aber die angekündigte bessere Verzahnung mit der mul-
tilateralen und EU-Entwicklungszusammenarbeit be-
schränkt sich offensichtlich auf ein simples Abschreiben
der jeweiligen Länderprogramme der anderen Geber,
ohne mit diesen in einen intensiveren Koordinierungs-
und Kooperationsdialog getreten zu sein. Angesichts der
kontinuierlich das BMZ treffenden massiven Personal-
kürzungen, der gleichzeitig stetig wachsenden Aufgaben-
bereiche und einer sogar von Gewerkschaftsseite monier-
ten chaotischen Personal- und Amtsführung dürfte das
BMZ damit gegenwärtig auch überfordert sein.
Auch vonseiten des Verbandes Entwicklungspolitik
deutscher Nichtregierungsorganisationen VENRO hat das
BMZ-Konzept heftige Kritik geerntet. VENRO stellte
zum Beispiel einen Widerspruch zwischen einerseits der
immer wieder öffentlich vom BMZ propagierten Orien-
tierung an der Armut und der Ernährungssicherheit und
andererseits der Tatsache fest, dass 26 der ärmsten Staa-
ten bzw. 18 der hoch verschuldeten Länder im Konzept
nicht mehr berücksichtigt würden. Es sei auch VENRO
nicht bekannt, dass eine intensivere Abstimmung zumin-
dest auf europäischer Geberebene stattgefunden habe. Zu-
dem befürchtet VENRO unter Bezugnahme auf das Bei-
spiel des Zivilen Friedensdienstes, dass das Länderraster
auch für die Nichtregierungsorganisationen eine ver-
pflichtende Wirkung annehmen könnte. Dies war bis dato
im Sinne einer pluralistischen Durchführungsstruktur der
deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit den zwei
voneinander grundsätzlich unabhängigen Strängen der
staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungszusammen-
arbeit sorgfältig vermieden worden.
Nachdem in meinen Ausführungen unser Antrag zu Pe-
rus Rückkehr zur Demokratie etwas zu kurz gekommen
ist, möchte ich mit einem Appell an die Bundesregierung
im Hinblick auf Peru schließen.
Peru befindet sich in einer tiefen Krise. Nach dem
Sturz von Präsident Fujimori ist die Lage im Land immer
noch instabil, zumal der Ausgang der bevorstehenden
Stichwahlen ungewiss ist. Peru braucht dringend eine
Phase politischer Stabilität, um sich wieder politisch,
wirtschaftlich und sozial regenerieren zu können. Ich rufe
daher die Bundesregierung dazu auf, mit der symboli-
schen Geste der Entsendung eines deutschen Vertreters
auf Kabinettsebene die Amtseinführung des neuen perua-
nischen Präsidenten Ende Juli in Lima zu begleiten und so
das hohe Interesse unseres Landes an der Zukunft von Pe-
rus Demokratie zu dokumentieren. Ich rufe die Bundesre-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116700
(C)
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gierung aber auch dazu auf, unsere zukünftige entwick-
lungspolitische Kooperation mit einem Land wie Peru,
das nicht nur ein wichtiger lateinamerikanischer Partner
ist, sondern auch auf unsere Unterstützung zählt, nicht
durch ein hinderliches entwicklungspolitisches Konzen-
trationskorsett einzuengen, sondern sich mit vollem En-
gagement allen für eine nachhaltige Entwicklung Perus
wesentlichen Kooperationssektoren zu widmen.
Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.): Nachdem sich
die rot-grüne Koalition in den ersten zwei Jahren von
ihrem ideologischen Ballast befreit hat, zeigt sich nun
auch in der Entwicklungspolitik, dass es zu liberalen
Konzepten keine vernünftige Alternative gibt. Schon An-
fang der 90er-Jahre hatten wir eine sektorale und regio-
nale Schwerpunktbildung in der Entwicklungspolitik ge-
fordert und waren von der damaligen Opposition
bezichtigt worden, uns aus der weltweiten Verantwortung
für die Entwicklungsländer zurückziehen zu wollen.
Immerhin ist es während unserer Regierungszeit ge-
lungen, den ganz überwiegenden Anteil der finanziellen
und technischen Zusammenarbeit auf vierzig Schwer-
punktländer zu bündeln. Hierauf weist der vorliegende
Antrag zu Recht hin. Bedauerlich ist nur, dass dieser er-
neute Sinneswandel der Bundesregierung nicht einer bes-
seren Erkenntnis, sondern in erster Linie dem Rotstift des
Finanzministers zu verdanken ist. Doch wer sich, wie die
Bundesministerin, gern als Weltinnenpolitikerin darstellt
und den Anspruch erhebt, globale Strukturpolitik betrei-
ben zu wollen, den muss es besonders schmerzen, wenn
die eigene Rolle aus profanen Haushaltszwängen zusam-
mengestutzt wird.
Eine effiziente deutsche Entwicklungspolitik kann
nicht den Anspruch erheben, globale Strukturpolitik zu
betreiben und gleichzeitig in allen entwicklungsrelevan-
ten Bereichen der Welt aktiv zu sein. Sie muss vielmehr
in enger Koordinierung mit anderen Akteuren regionale
und sektorale Schwerpunkte setzen, die dem unterschied-
lichen Entwicklungsstand der Partner gerecht werden.
Dies gilt auch für Peru. Auf den heute hier ebenfalls
vorliegenden Antrag kann ich jetzt nicht im Einzelnen
eingehen. Zwar ist Peru mit den jüngst abgehaltenen
Wahlen formal zur Demokratie zurückgekehrt und ist das
Hauptanliegen des Antrages erfüllt worden. Doch die
nach der Flucht von Fujimori erhoffte Rückkehr zu poli-
tischer Stabilität wird noch bis zu den Stichwahlen im Juni
auf sich warten lassen.
BMZ-Staatssekretär Erich Stather hat versichert, das
Sparen sei nicht Hauptmotiv für die Reform. Sie diene
auch der qualitativen Verbesserung der Zusammenarbeit
und es gehe darum, die knappen Mittel wirksamer einzu-
setzen. Das ist ein löbliches Ziel, es muss nur umgesetzt
werden. Deshalb appellieren wir an Sie: Bleiben Sie nicht
auf halber Strecke stehen und machen Sie aus dem Re-
förmchen eine Reform!
Hierzu sind aus unserer Sicht noch drei weitere wich-
tige Schritte nötig:
Erstens. Es darf nicht sein, dass bei einer neuen
Schwerpunktbildung 26 der ärmsten Länder der Welt aus
dem Raster fallen, während relativ weit fortgeschrittene
Schwellenländer mit einem stabilen politischen Umfeld
weiterhin Empfänger groß angelegter Projekte bleiben.
Schwerpunktbildung heißt aus unserer Sicht daher auch
Konzentration der knappen Mittel auf die wirklich Be-
dürftigen. Gerade vor dem Hintergrund der in diesen Ta-
gen in Genf stattfindenden UNO-Konferenz der ärmsten
Länder der Welt sollte jetzt ein Zeichen gesetzt werden.
Zweitens. Die vom BMZ so oft angekündigte bessere
Verzahnung der bilateralen, der multilateralen und der
EU-Entwicklungszusammenarbeit muss endlich in An-
griff genommen werden. Der vorliegende Antrag geht
zwar einleitend darauf ein, doch auch die CDU/CSU-
Fraktion scheint sich noch nicht zu einer konsequenten
Arbeitsteilung auf europäischer Ebene durchgerungen zu
haben. Im operativen Teil des Antrages fehlt jedenfalls je-
der Bezug hierzu.
Drittens. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im
Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik
der Europäischen Union nachdrücklich für die Verab-
schiedung einer gemeinsamen entwicklungspolitischen
Strategie einzusetzen, die durch komplementäre Arbeits-
teilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten den
spezifischen Erfahrungen, Traditionen und geschicht-
lichen Verantwortlichkeiten der EU-Geberländer gegen-
über den Entwicklungspartnern gerecht wird.
Carsten Hübner (PDS): Eine kurze Debatte ist sicher
nicht hinreichend, diese zwei wichtigen Komplexe, zu de-
nen uns hier Anträge vorliegen, umfassend zu erörtern.
Ich beschränke mich zunächst auf einige Anmerkungen.
Für die weiteren Beratungen in den Ausschüssen und
dann im Plenum wird hoffentlich mehr Zeit zur Verfügung
stehen.
Zunächst zum entwicklungspolitischen Antrag der
CDU/CSU-Fraktion, in dem die regionale und sektorale
Schwerpunktsetzung des BMZ für die kommenden Jahre
kritisiert wird. Dazu ist zunächst zu sagen: Auch wir hal-
ten die angelegten Maßstäbe für nebulös und sind mit der
hinter verschlossenen Türen abgewickelten Erarbeitung
unzufrieden. Solche Weichenstellungen müssen aus unse-
rer Sicht parlamentarisch begleitet und beraten werden.
Das gilt insbesondere, weil ein nicht unerheblicher Teil
der ärmsten und höchst verschuldeten Länder in der
Schwerpunktsetzung nicht mehr vorkommen. Der Ver-
band entwicklungspolitischer Nichtregierungsorganisa-
tionen, VENRO, hat das Vorgehen der Bundesregierung
dementsprechend deutlich kritisiert und überdies ange-
zweifelt, dass die neue Weichenstellung auf ihre
Kohärenz mit anderen internationalen Gebern, etwa Eu-
ropas bzw. der EU, abgeglichen worden ist, um das völ-
lige Herausfallen einzelner Länder aus der internationalen
wie bilateralen Entwicklungszusammenarbeit auszu-
schließen.
Aber allein schon die rein ideologisch motivierten
mehrfachen Ausfälle der CDU/CSU-Fraktion gegen die
längst überfällige Aufnahme der Entwicklungszusam-
menarbeit mit Kuba offenbaren, dass es nicht um eine
fachpolitische Korrektur geht, sondern um ganz etwas an-
deres, nämlich um eine an den Kategorien des Kalten
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16701
(C)
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Krieges ausgerichtete Konzeption von Entwicklungszu-
sammenarbeit, wie wir sie sonst nur noch bei den Hardli-
nern in den USAvorfinden. Die CDU/CSU muss sich hier
ernsthaft den Vorwurf gefallen lassen, wie eine Art politi-
scher Dinosaurier zu agieren. Die haben bekanntlich die
Zeichen der Zeit nicht erkannt und sind dann ausgestor-
ben. Darüber hinaus aber diskreditiert sie damit natürlich
auch die durchaus richtigen Ansätze ihres Antrages. Das
muss man hier so deutlich sagen – insbesondere weil die
CDU/CSU selbst es war, die über viele Jahre zum Beispiel
eine intensive Entwicklungspolitik mit der Suharto-Dik-
tatur in Indonesien gepflegt hat, bis hin zur Männer-
freundschaft Suharto/Kohl.
Nun noch kurz zu Peru: Die Lage dort hat sich, anders
als es noch im Antrag beschrieben wird, inzwischen poli-
tisch stark verändert. Es besteht eine reale Chance für ei-
nen demokratischen Neuanfang, die Bevölkerung drängt
darauf. Umso wichtiger ist es, und hier teile ich die For-
derungen von CDU/CSU weitgehend, auch von interna-
tionaler Seite und auf verschiedensten Wegen die Demo-
kratisierung massiv zu befördern. Dazu gehört sowohl die
Demokratisierung von Staat, Polizei und Militär als auch
die Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen und eine
Verbesserung der ökonomischen und sozialen Situation
der Bevölkerung. Straflosigkeit muss ebenso verhindert
werden wie eine Restrukturierung der reaktionären
Kräfte. In diesem Sinne ist die Bundesregierung dringend
gehalten, ihre Möglichkeiten intensiv zu nutzen, damit ein
wirklich demokratischer Neuanfang gelingen kann.
Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin bei der Bundes-
ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung: Die rot-grüne Bundesregierung hat in der Ent-
wicklungspolitik entschlossen Reformen in die Wege
geleitet. Ein wichtiger Baustein der Reform ist die regio-
nale und sektorale Schwerpunktsetzung, denn sie bedeu-
tet eine Steigerung der Effizienz und eine Erhöhung der
Wirksamkeit und der Signifikanz der bilateralen Ent-
wicklungszusammenarbeit. In einem transparenten Pro-
zess und durch Offenlegung der Kriterien haben wir
regionale Schwerpunkte gesetzt und die Kooperations-
länder ausgewählt.
Die Auswahlkriterien sind: die Erforderlichkeit der Zu-
sammenarbeit im Hinblick auf unsere wirtschaftlichen,
sozialen, ökologischen und politischen Gestaltungsziele,
unsere Möglichkeiten, einen relevanten Beitrag zu leis-
ten, die Leistungen der anderen bilateralen und multilate-
ralen Geber sowie die internen Rahmenbedingungen
beim Partner, so wie sie in den fünf BMZ-Kriterien for-
muliert sind.
Die Vorteile dieser Schwerpunktsetzung sind: höhere
Verlässlichkeit in der Kooperation, gezielterer Einsatz der
Instrumente, bessere Abstimmung mit anderen Gebern,
konzentriertere Einbringung der komparativen Vorteile
eines jeden Geberlandes und der multilateralen Institu-
tionen.
Der zweite wichtige Baustein dieser Reform ist die
konsequente Verknüpfung der bilateralen Entwicklungs-
zusammenarbeit mit den internationalen Entwicklungs-
zielen und der globalen Strukturpolitik.
Nehmen Sie das Ziel, bis zum Jahr 2015 die Anzahl der
Menschen, die in absoluter Armut leben, zu halbieren.
Dieses Ziel wurde 1996 von den OECD-Mitgliedsländern
beschlossen und im September 2000 auf dem Millenni-
umsgipfel von den Vereinten Nationen bekräftigt. Es ist
der rot-grünen Bundesregierung zu verdanken, dass es
endlich ein deutsches Aktionsprogramm zur Armuts-
bekämpfung gibt, das diesem Ziel verpflichtet ist.
Das Kabinett beschloss am 4. April das folgende
10-Punkte-Programm: Erstens, wirtschaftliche Dynamik
und aktive Teilhabe der Armen erhöhen, zweitens, das
Recht auf Nahrung verwirklichen und Agrarreformen
durchführen, drittens, faire Handelschancen für die Ent-
wicklungsländer schaffen, viertens, Verschuldung ab-
bauen – Entwicklung finanzieren, fünftens, soziale
Grunddienste gewährleisten – soziale Sicherung stärken,
sechstens, Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen si-
chern – eine intakte Umwelt fördern, siebtens, Men-
schenrechte verwirklichen – Kernarbeitsnormen respek-
tieren, achtens, Gleichberechtigung der Geschlechter
fördern, neuntens, Beteiligung der Armen sichern – ver-
antwortungsvolle Regierungsführung stärken und zehn-
tens, Konflikte friedlich austragen – menschliche Sicher-
heit und Abrüstung fördern.
Nehmen sie das Ziel, bis zum Jahr 2015 die Anzahl der
Menschen zu halbieren, die Hunger leiden: Auf dem Welt-
ernährungsgipfel in Rom 1996 wurde im Aktionsplan
festgelegt, dass zur Erreichung dieses Zieles in vielen
Ländern Agrarreformen angepackt werden müssen. Es ist
diese Regierung, die dieses schwierige und hochsensible
Thema in ihrer Entwicklungszusammenarbeit anpackt.
Die Bundesregierung ist sich der zentralen Rolle der
Landfrage für die Bekämpfung von Armut und Hunger
sehr bewusst. In der Umsetzung von Agrarreformen sehen
wir eine unmittelbare Voraussetzung für die Verwirkli-
chung des Menschenrechts auf Nahrung. Agrarreformen
und die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung haben da-
mit für die Bundesregierung einen ähnlichen Stellenwert
wie die Schaffung fairer Handelschancen für die Ent-
wicklungsländer oder der Abbau ihrer Verschuldung.
Maßnahmen, die wir unterstützen, sind zum Beispiel:
erstens, direkte Politikberatung für eine Agrarreformpoli-
tik, zweitens, Unterstützung bei lokalen Landnutzungs-
vereinbarungen und beim Erstellen von Katastern zur
rechtlichen Klärung von Eigentumsverhältnissen und
drittens, Unterstützung von runden Tischen für die unter-
schiedlichen Akteure, wie zum Beispiel Bauern, Land-
lose, Vertreterinnen von indigenen Völkern.
Sie sehen, reformorientierte Entwicklungspolitik ist
auch in schwierigen Zeiten der Haushaltskonsolidierung
möglich.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Entwürfe:
– Gesetz zur Änderung des Gesetzes überArbeitneh-
mererfindungen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116702
(C)
(D)
(A)
(B)
– Gesetz zur Förderung des Patentwesens an den
Hochschulen
(Tagesordnungspunkt 10 a und b)
Jörg Tauss (SPD): Ziel des heute von den Koalitions-
fraktionen vorgelegten Gesetzentwurfes ist es, die bishe-
rige Regelung der Rechte an den Erfindungen von
Hochschullehrern – das so genannte „Hochschullehrer-
Privileg“ des § 42 Arbeitnehmererfindungsgesetzes – an
die sich gravierend veränderten Rahmenbedingungen der
Hochschulforschung anzupassen. Diese Änderung ist eine
längst überfällige Anpassung und somit ein wichtiger Be-
standteil der zukunftsweisenden Innovationspolitik der
rot-grünen Bundesregierung. Bei der angestrebten Verbes-
serung der Verwertung von Hochschulerfindungen sind
vor allem vier Schwerpunkte das erklärte Ziel der Novelle:
Zum einen soll das derzeit brachliegende Innovations-
potenzial an den Hochschulen auch für die Hochschulen in
einem deutlich höheren Maße genutzt werden. Daneben
geht es um die nachhaltige Stärkung der Hochschulen in
ihrer Verantwortung für den Technologietransfer. Eng da-
mit verbunden ist die dringend gebotene Verbesserung des
Technologietransfers zwischen den Hochschulen und der
Wirtschaft. Schließlich geht es natürlich um die Stärkung
des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutsch-
land in einem immer schwieriger werdenden globalen
Wettbewerb.
Angesichts dieser wichtigen Zielsetzungen sehe ich die
Tatsache, dass es eine von Bund und Ländern gemeinsam
gestartete Initiative war, die den Anstoß für die heute zu
diskutierende Gesetzesänderung gab, mit großer Freude.
Die beabsichtigte Novellierung des § 42 des Arbeitneh-
mererfindungsgesetzes war Gegenstand einer Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe und einer umfassenden Anhörung von
Fachkreisen und allen Betroffenen im August 2000, die
im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungs-
planung und Forschungsförderung – BLK – durchgeführt
wurde. Die zuständigen Fachminister für Wissenschaft
und Forschung haben am 30. Oktober desselben Jahres
einstimmig diese Novellierung des § 42 ArbNErfG mit
eben dieser Zielsetzung beschlossen und haben konkrete
Eckpunkte hierfür formuliert.
Auf der Basis dieses Beschlusses und auf der Basis die-
ser Eckwerte haben die Koalitionsfraktionen mit den auf
Bundesebene federführenden Ressorts – das Bundesminis-
terium für Justiz und das Bundesministerium für Arbeit
und Sozialordnung in enger Abstimmung mit dem Bun-
desministerium für Bildung und Forschung – den nun vor-
liegenden Gesetzesentwurf erarbeitet, der heute zur ersten
Beratung ansteht.
Schaut man sich nun die Entwürfe der BLK und den
Entwurf der Koalitionsfraktionen an, so unterscheiden
sich diese in der Zielsetzung nicht. Die Ansätze, mit de-
nen diese wichtigen und sicherlich unstrittigen Ziele ver-
wirklicht werden sollen, unterscheiden sich dagegen – zu-
gegebenermaßen – schon an einigen Stellen. Dies ist vor
allem darin begründet, dass bei der Novellierung des § 42
Arbeitnehmererfindungsgesetz folgende Aufgaben sei-
tens der Koalitionsfraktionen und der zuständigen Bun-
desministerien erledigt werden mussten:
So musste die neue Regelung in die komplexe Geset-
zessystematik und die Terminologie eingepasst werden.
Daneben stellt natürlich das zwingend zu beachtende
Verfassungsrecht, nämlich die Freiheit von Forschung
und Lehre gemäß Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes, enge
Grenzen an die Novellierung des § 42 ArbNErfG.
Schließlich galt es, die Novellierungsvorschläge hin-
sichtlich ihrer Vollständigkeit und Stimmigkeit zu über-
prüfen.
Dies führte zwangsläufig auch zu Änderungen des
BLK-Beschlusses. Im Ergebnis wurden meines Erachtens
die Eckdaten jedoch konsequent umgesetzt und in recht-
lich haltbare Formen gegossen, wobei die Zielsetzung und
die zentralen Grundlinien des BLK-Beschlusses natürlich
außer Frage standen. Somit sind alle Eckpunkte des
BLK-Beschlusses umgesetzt, nämlich die Sicherstellung
des Rechtes der Hochschulen zur Inanspruchnahme aller
dort gemachten Erfindungen, um so auch die Hochschu-
len in ihrer Bedeutung innerhalb des deutschen Innovati-
onssystems gerade auch im Wettbewerb mit den privaten
Forschungseinrichtungen zu stärken; die Sicherung des
Rechtes auf positive und auf negative Publikationsfrei-
heit; die Verwirklichung einer deutlich höheren Erfinder-
vergütung für Hochschulerfinder, die einen Beitrag zur
besseren Motivation für Innovationen an den Hochschu-
len bieten wird und gemeinsam mit der anstehenden
Dienstrechtsreform grundsätzliche Bedeutung für die Si-
cherung des Wissenschafts- und Forschungsstandortes
Deutschland im globalen Wettbewerb hat sowie natürlich
das Nutzungsrecht des Hochschulerfinders selbst an des-
sen Erfindungen für seine wissenschaftliche Tätigkeit.
Natürlich gibt es – es wäre auch ein Wunder, wenn es
die bei derart komplexen und zudem auch verfassungs-
rechtlich relevanten Fragestellungen nicht gäbe – auch
kritische Einwände, die aber oft die nicht immer ganz ein-
fachen aber eben dringend gebotenen Abstimmungspro-
zesse zwischen den federführenden Ressorts und dem
Fachressort unterschätzen und zum Teil in ihrer tatsächli-
chen Berechtigung zumindest angezweifelt werden dür-
fen. Aber eben dies ist ja auch Sinn einer solchen ersten
Beratung: Dieser folgt die ausführliche Debatte in den
Ausschüssen und auch im Bundesrat, der mit seinem
heute vorgelegten Gesetzentwurf zwar ebenfalls auf der
Basis des BLK-Beschlusses basiert, jedoch den gemein-
sam formulierten Zielen eben nicht Rechnung tragen
kann. Gestatten Sie mir hierzu in aller Kürze einige An-
merkungen zu machen:
Der zur Rede stehende § 42 des Arbeitnehmererfin-
dungsgesetzes ist eine Sondervorschrift zu § 40, bei dem
es sich selbst wiederum um eine Sondervorschrift zu den
gesamten vorangegangenen Bestimmungen des Arbeit-
nehmererfindungsgesetzes handelt. Dies hat natürlich zur
Folge, dass eine Reihe von Forderungen des BLK-Be-
schlusses aus gesetzestechnischen Gründen unberück-
sichtig bleiben konnte, weil diese Regelungen dann eben
kraft Gesetz bereits gelten, ohne dass dies noch einmal
ausdrücklich im Gesetz formuliert werden müsste. Eine
Änderung der Zielsetzung geht damit natürlich nicht
einher.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16703
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Daneben gab es – im Unterschied zum Bundesratsent-
wurf – einige sachliche Änderungen, die ich jedoch nach
den intensiven Diskussionen und Überprüfungen seitens
der beteiligten Häuser durchaus als sachlich gerechtfertigt
ansehe. Dazu zählt der Anwendungsbereich, die Siche-
rung des positiven und negativen Publikationsrechtes, die
Höhe der Endvergütung, den Ausschluss von abweichen-
den Vereinbarungen zulasten der Hochschulangehörigen
und die Aufnahme von Übergangsregelungen.
Wären wir dem BLK-Beschluss hinsichtlich des An-
wendungsbereiches gefolgt, hätten wir in Zukunft zwei-
erlei Recht für Arbeitnehmererfindungen. Für nicht-wis-
senschaftliches Personal an Hochschulen gälte der § 40
ArbNErfG, für Wissenschaftler und ihre Erfindungen da-
gegen § 42. Abgesehen davon, dass eine derartige Grenz-
ziehung sicher nicht immer ganz einfach sein dürfte, wäre
sie – man denke nur an Forschungsgruppen – nicht nur un-
praktisch, sondern vor allem auch extrem konfliktträch-
tig. Diese Konsequenzen werden mit dem von den Koali-
tionsfraktionen vorgelegten Entwurf vermieden.
Die Sicherstellung des positiven und negativen Publi-
kationsrechtes der Wissenschaftler ist zum einen Ergebnis
einer umfangreichen verfassungsrechtlichen Prüfung und
dient auf der anderen Seite der Verfahrensvereinfachung
für die Hochschule. Bei der Sicherung des Rechtes zu pu-
blizieren und bei der Sicherung des Rechtes, dies zu un-
terlassen, zeigt sich, wie schwierig manchmal die unter-
schiedlichen und durchaus berechtigten Interessen aller
Beteiligten unter einen Hut zu bringen sind. Die Rechts-
ordnung zwingt eben auch dazu, die negative Publikati-
onsfreiheit zu beachten. Nach meiner Meinung ist dies mit
dem von den Koalitionsfraktionen vorgelegten Entwurf
deutlich besser gelungen als dies der Entwurf des Bun-
desrates, der auf dem BLK-Beschluss basiert, zu leisten
vermag.
Eine Vereinfachung der Berechnung der Erfinderver-
gütung war ebenfalls das Ziel bei der Abweichung des
BLK-Beschlusses. Während der BLK-Beschluss ein Drit-
tel der Nettoverwertungseinnahmen vorsah und so den
Streit vorprogrammiert hätte, welche Ausgabe denn nun
von den Bruttoeinnahmen seitens der Hochschule abge-
zogen werden dürfte, haben wir uns für einen anderen
Weg entschieden: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass den
Erfindern als Vergütung 30 Prozent der Bruttoverwer-
tungseinnahmen zustehen. Den Patentierungsaufwand
kann die Hochschule aus den ihr verbleibenden 70 Pro-
zent decken. Sie sehen, auch hier verfolgen wir im Grund-
satz das gleiche Ziel wie der BLK-Beschluss, versuchen
nur zu sachgerechteren und auch vergleichbaren Lösun-
gen zu kommen.
Bei der Ausschließung von abweichenden Vereinba-
rungen zulasten der Hochschulangehörigen wollen wir si-
cherstellen, dass im Zusammenhang mit Einstellungen
gegenüber dem Hochschulangehörigen schlechtere Be-
dingungen, als gesetzlich vorgesehen sind, vermieden
werden. Der BLK-Beschluss sah derartiges Abweichen
von den gesetzlichen Bestimmungen dagegen explizit
vor. Hier sahen wir jedoch aufgrund der nicht unberech-
tigten Ängste und Befürchtungen den besseren Weg im
expliziten Ausschluss von abweichenden Vereinbarungen
zulasten der Hochschulangehörigen. Ich denke, auch hier
werden die weiteren Beratungen in den Fachausschüssen
und auch im Bundesrat dahingehend Klarheit bringen,
dass dies die bessere Umsetzung der gleichen Zielset-
zung ist.
Bleibt schließlich noch die Frage der Übergangsrege-
lungen: Der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen gibt
ein Jahr lang die Gelegenheit, bestehende Lehrstuhlver-
träge und Forschungsaufträge abzuwickeln oder an das
neue Recht anzupassen. Dies dient der Erleichterung und
auch der Planungssicherheit bei der Einführung des neuen
Rechtes für alle Beteiligten.
Gestatten Sie mir am Schluss meiner Ausführungen
Dank zu sagen: Danken möchte ich den Fachpolitikern in
den Arbeitsgruppen der Koalitionsfraktionen und den
Fachabteilungen in den beteiligten Bundesministerien.
Als Forschungspolitiker freue ich mich vor allem des-
halb, weil es mit der Vorlage dieses Gesetzes zur Ände-
rung des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen gelin-
gen kann, die Rahmenbedingen für Wissenschaft und
Forschung in Deutschland weiter zu verbessern. Auch
dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer Baustein einer mo-
dernen und zukunftsweisenden Wissenschafts- und For-
schungspolitik, um den überfälligen Reformstau gerade
in diesem für künftige Generationen wichtigen Bereich
abzubauen. Dieser weitere Baustein wird seinen Beitrag
dazu leisten, diesen Standort zu sichern und auszubauen.
Diesen Dank betone ich umso mehr, als es bei den Aus-
einandersetzungen zwischen Forschungs-, Rechts- und
auch Sozialpolitikern oft genug eben darauf ankommt,
die unterschiedlichsten Interessen zu verbinden. Und
Aufgabe einer verantwortungsvollen Wissenschafts- und
Forschungspolitik ist es eben auch, nicht nur die Frage
der Verwertung zu thematisieren, sondern auch die Wis-
senschaftsrechte und die Wissenschaftlerrechte zu be-
achten und zu schützen. Dies ist meines Erachtens mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf der Koalitionsfraktio-
nen gelungen und liefert den soliden Grundstein für die
nun folgende Debatte. Noch offen gebliebene Fragen
können wir nun den Ausschüssen und in den Beratungen
des Bundesrates diskutieren. Ich lade Sie hierzu herzlich
zur Mitarbeit ein und sehe Ihren Vorschlägen mit großem
Interesse entgegen.
Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Beide Gesetzent-
würfe verfolgen das Ziel, das bislang unbefriedigende Pa-
tentaufkommen an den deutschen Hochschulen zu steigern
und den Wissens- und Technologietransfer zwischen
Hochschulen und Wirtschaft zu fördern. Zu diesem Zweck
soll das Hochschullehrerprivileg des § 42 Arbeitnehmer-
erfindungsgesetz stark eingeschränkt werden. Dieses Son-
derrecht macht die von bestimmten Beschäftigten an den
Hochschulen im Rahmen ihrer Diensttätigkeit gemachten
Erfindungen in Abweichung von dem allgemeinen Arbeit-
nehmererfindungsrecht derzeit grundsätzlich zu freien Er-
findungen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt
diese Zielsetzung und ist bereit, an deren Umsetzung kon-
struktiv mitzuwirken.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt auch, dass
die entsprechenden Änderungen zügig erfolgen sollen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116704
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und die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen
zu diesem Zweck einen eigenen Gesetzentwurf einge-
bracht haben, nachdem das Bundeskabinett offenbar nicht
in der Lage war, einen gleich lautenden Referenten-
entwurf von BMJ und BMA zügig zu beschließen. Die-
ser soll erst am 13. Juni dem Bundeskabinett zugeleitet
werden.
Die Regierungsfraktionen müssen sich allerdings die
Frage gefallen lassen, warum sie zum jetzigen Zeitpunkt
lediglich einen einzelnen Paragraphen des Arbeitnehmer-
erfindungsgesetzes ändern wollen, obwohl bereits seit
Beginn dieser Legislaturperiode unbestreitbar feststeht,
dass dieses Gesetz als Ganzes dringend reformbedürftig
ist. So erfreulich es ist, dass nun zumindest im Hoch-
schulbereich die längst fällige Reform angegangen wird,
so wenig ist es verständlich, warum die Bundesregierung
bislang nicht in der Lage war, einen umfassenden Re-
formentwurf zu erarbeiten. Offenbar ist dieses Projekt
– wie auch einige andere – mangels ausreichender Pres-
tigeträchtigkeit ein Opfer des durch die so genannte Jus-
tizreform verursachten Reformstaus in der Rechtspolitik
geworden.
Bereits im Jahre 1999 haben sich zahlreiche Arbeitge-
berverbände mit diesem Reformanliegen an Frau
Däubler-Gmelin gewandt, die sich offiziell auch reform-
willig gezeigt hat. Nun sind fast zwei Jahre vergangen und
nichts ist passiert. Dabei gehört die Stärkung der Wirt-
schaftskraft durch Innovationsförderung zu den in der
Koalitionsvereinbarung erklärten Zielen dieser Bundesre-
gierung. Wie sich der Begründung Ihres Gesetzentwurfes
entnehmen lässt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, wissen Sie um die
dringende Reformbedürftigkeit des Arbeitnehmererfin-
dungsgesetzes. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion for-
dert Sie daher auf: Lassen Sie es nicht bei dieser kleinen
Änderung bewenden. Reformieren Sie endlich das ganze
Arbeitnehmererfindungsgesetz. Befreien Sie dieses Ge-
setz von Investitionshemmnissen und bürokratischem
Ballast! Reagieren Sie auf die Herausforderungen der
Globalisierung und der mit dieser verbundenen Interna-
tionalisierung der Forschung. Wir sind bereit, hieran mit-
zuwirken.
Lassen Sie mich zu den Einzelregelungen der beiden
Gesetzentwürfe Folgendes sagen: Ein Manko des Frakti-
onsentwurfes ist zweifellos der fehlende Hinweis auf die
Geltung der allgemeinen Vorschriften des Arbeitnehmer-
erfindungsgesetzes, wie dies der Bundesratsentwurf zu-
treffend vorsieht. Nur ein solcher Hinweis macht die
nachfolgenden Regelungen verständlich.
Beide Entwürfe sehen Regelungen vor, die der aus der
Wissenschafts- und Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3
GG resultierenden positiven und negativen Publikations-
freiheit Rechnung tragen sollen.
Die Regelungen zur positiven Publikationsfreiheit sind
im Grundsatz nicht zu beanstanden. Die im Fraktionsent-
wurf vorgesehene Monatsfrist zwischen Anzeige und Of-
fenbarung der Erfindung – § 42 Abs. 1 Nr. 1 – dürfte al-
lerdings zu kurz greifen, da die Schutzrechtsanmeldung in
diesem Zeitraum in aller Regel nicht zu bewerkstelligen
ist. Nach der Offenbarung wird die Erfindung aber zum
Stand der Technik und ist damit der Patentierbarkeit ent-
zogen.
Mit Blick auf die negative Publikationsfreiheit, also
das Recht des Wissenschaftlers, die Erfindung der Öf-
fentlichkeit nicht mitzuteilen, will der Entwurf von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen die Meldepflicht der Erfin-
dung ganz entfallen lassen, wenn der Hochschullehrer
seine Erfindung nicht veröffentlichen will, § 42 Abs. 1
Nr. 2. Der Bundesratsentwurf sieht demgegenüber in § 42
Abs. 1 Nr. 3 E in Verbindung mit § 5 AfbNErfG ein bloßes
Widerspruchsrecht bei einer generellen Meldepflicht vor.
Ich bin der Auffassung, dass die Bundesratslösung im
Hinblick auf die Zielrichtung des Entwurfs, das Paten-
taufkommen an den deutschen Hochschulen zu erhöhen,
deutlich mehr überzeugt. Hier werden wir gemeinsam
überlegen müssen, welche Lösung der Wissenschaftsfrei-
heit eher gerecht wird.
Auch nach der Inanspruchnahme durch die Hoch-
schule soll der Erfinder nach beiden Gesetzentwürfen ein
nicht ausschließliches Benutzungsrecht der Erfindung im
Rahmen seiner wissenschaftlichen Lehr- und Forschungs-
tätigkeit haben. Diese Regelungen – Bundesrat: § 42
Abs. 1 Nr. 4; Fraktionen: Nr. 3 – sind zu begrüßen.
In der Frage der Vergütung für den Erfinder bei Ver-
wertung der Erfindung durch den Dienstherrn ist aus mei-
ner Sicht die in dem Fraktionsentwurf unter § 42 Abs. 1
Nr. 4 vorgeschlagene Lösung – 30 Prozent des Bruttover-
wertungserlöses – vorzuziehen. Diese orientiert sich zwar
an der ohnehin bislang im Rahmen – von vertraglichen
Vereinbarungen praktizierten Drittellösung – ein Drittel
des Nettoerlöses erhält die Hochschule, ein Drittel das
Institut, dem der Erfinder angehört, und ein Drittel der Er-
finder selbst –, hängt aber in der Höhe nicht von den im
Einzelfall schwer ermittelbaren Patentierungskosten ab.
Dies sieht jedoch der Bundesratsentwurf vor.
Über andere Details der Entwürfe – wie beispielweise
den Kreis der einzubeziehenden Beschäftigten der
Hochschule – werden wir sicher ebenfalls noch sprechen
müssen.
Ich fordere Sie nochmals auf: Arbeiten Sie gemeinsam
mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion an einer praxisge-
rechten Lösung im Sinne aller Beteiligten. Dieser kommt
der Gesetzentwurf des Bundesrates derzeit allerdings
näher als Ihr Entwurf.
Vielen Dank.
Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Erstens. Ausgangslage – brachliegende Innovations-
potenziale.
In der bisherigen Gesetzesstruktur gibt es weder für
Wissenschaftler noch für die Hochschulen Anreize, um
Erfindungen in Patente umzusetzen und damit wirtschaft-
lich zu verwerten. Auf der einen Seite verzichten die For-
scher oft auf die Anmeldung zum Patent, da die Beantra-
gung mühselig und die Finanzierung ungewiss ist. Statt
sich mit bürokratischen Hürden auseinander zu setzen,
konzentrieren sie sich lieber auf ihre eigene Stärke: das
Forschen. Auf der anderen Seite profitieren Hochschulen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16705
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im Gegensatz zu allen anderen Arbeitgebern und außer-
universitären Forschungseinrichtungen bisher nicht von
den Patenterlösen ihrer Arbeitnehmer. Demnach haben sie
auch kein gehobenes Eigeninteresse an der Anmeldung
und anschließenden Verwertung von Erfindungen.
In der Konsequenz stehen wir vor dem Dilemma, dass
das Innovationspotenzial an den deutschen Universitäten
brachliegt. Statt gute Ideen in Erfindungen umzusetzen
und somit ökonomisch zu nutzen, bleiben sie im Getriebe
der bürokratischen Universitätsstrukturen hängen.
Zweitens. Ziel des Gesetzes – Stärkung des Patent-
rechts der Universitäten.
Mit der Reform des Hochschullehrerprivilegs werden
wir diese verkrusteten Strukturen aufbrechen und das bis-
her brachliegende Innovationspotenzial an den Hoch-
schulen nutzen. Mit dem neuen Gesetz werden die Hoch-
schulen zukünftig das Recht haben, die Erfindungen ihres
Personals zu verwerten – innerhalb eines Monats erhalten
sie das Exklusivzugriffsrecht. Die Forscher werden im
Gegenzug an den Patenterlösen mit einem Drittel beteiligt
und brauchen sich nicht um finanzielle und bürokratische
Fragen der Patentanmeldung und -verwertung kümmern.
Entscheidende Verbesserungen stellen sich in drei Fel-
dern ein: Zukünftig werden wieder mehr Patente ange-
meldet und verwertet. Gute Ideen bleiben nicht in Schub-
laden liegen. Den Hochschulen wird die Möglichkeit
gegeben, aus ihren eigenen Investitionen auch Kapital zu
schlagen – wenn sie anfangen selbst aktiv zu werden.
Zwischen Wirtschaft und Universität wird ein intensive-
rer Wissens- und Technologietransfer stattfinden. Der
Diffusionsgrad von Forschungsergebnissen aus den Unis
in die Wirtschaft hinein wird erhöht.
Drittens. Flankierende Maßnahme – Aufbau einer brei-
ten Patent- und Verwertungsinfrastruktur.
Bei der Reform des ArbNErfG geht es allerdings nicht
darum, Inseln der Patentverwertung innerhalb der Hoch-
schulen zu schaffen. Vielmehr sollen diese eng mit wirt-
schaftlichen Interessen verzahnt werden und an den Be-
dürfnissen gerade der kleinen und mittleren Unternehmen
orientiert sein. Die universitären Patentverwertungsstruk-
turen müssen in ein wirtschaftliches Netzwerk eingebun-
den sein.
Daher wird die rot-grüne Regierung parallel eine Ver-
wertungsoffensive starten und den Aufbau einer breiten
Patent- und Verwertungsstruktur an den deutschen Hoch-
schulen unterstützen. Hier gilt es, Kosten von Patentan-
meldungen in der Anfangsphase zu bezuschussen, Mitar-
beiter in einer Qualifizierungsoffensive für die
Patentverwertungsstrukturen auszubilden und die Ver-
wertungslandschaft in Deutschland zu vernetzen und
Kommunikations- und Kooperationsplattformen aufzu-
bauen.
An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass die
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen explizit da-
rauf gedrängt hat, die Reform des Hochschullehrerprivi-
legs einer allgemeinen Novelle des ArbNErfG vorzuzie-
hen. Andernfalls hätte die Gefahr einer zeitlichen
Verzögerung bestanden. In unseren Augen ist diese Re-
form ein erster Schritt zu einer umfassenden Reform der
Hochschulen, die auf mehreren Ebenen stattfinden muss.
Die Verbesserung der Patentverwertung war überfällig
und zwingend notwendig, ihr müssen jedoch weitere Re-
formen folgen.
Rainer Funke (F.D.P.): Seit mindestens sechs Jahren
wird mit den Wirtschaftsverbänden über eine Novellie-
rung des Arbeitnehmererfindergesetzes diskutiert. Ange-
strebt wurde eine allgemeine Reform des Arbeitnehmer-
erfinderrechts; dabei ging es vor allen um den Abbau
unnötiger Verwaltungsstrukturen und eine Vereinfachung
des Vergütungssystems. Diese Forderung ist dem Grunde
nach auch berechtigt. Zusätzlich zu der allgemeinen Re-
form des Arbeitnehmererfinderrechts stand die Änderung
des Hochschullehrerprivilegs zur Debatte. Nach der der-
zeitigen Regelung gehört die Erfindung den Hochschul-
lehrern und kann, anders als in der freien Wirtschaft, nicht
vom Arbeitgeber oder seinem Dienstherrn zur Verwertung
in Anspruch genommen werden.
Nachdem viele Jahre unstreitig war, dass das Arbeit-
nehmererfindergesetz einer generellen Überarbeitung be-
darf, einschließlich des Hochschullehrerprivilegs, ist in
den letzten Monaten Hektik dadurch entstanden, dass das
Bundesforschungsministerium, das für diese Gesetze
noch nicht einmal zuständig ist, eine neue Regelung des
§ 42 des Arbeitnehmererfindergesetzes fordert. Diese
Hektik ist sicherlich auch entstanden durch den parallel
eingebrachten Entwurf des Bundesrates, der für Erfin-
dungen des wissenschaftlichen Personals aus dienstlicher
Tätigkeit eine modifizierte Beteiligung der Hochschul-
lehrer an den Erträgen der Diensterfindungen vorsieht.
Es ist offensichtlich, dass hier wirtschaftliche Interes-
sen in ganz erheblichem Umfang im Spiel sind und durch
die Vorabbehandlung des Hochschullehrerprivilegs Fak-
ten geschaffen werden sollen, die dann in der allgemeinen
Form des Arbeitnehmererfindergesetzes präjudiziell wir-
ken sollen. Wir werden beim Durchpeitschen des Hoch-
schullehrerprivilegs nicht mitwirken, sondern eine um-
fassende Beratung verlangen, auch durch Anhörung. Dies
ist auch erforderlich, weil die gesamte Drittmittelfrage der
Hochschulen zur Debatte steht, aber auch Fragen von
Verwertungsgesellschaften, an denen wiederum die
Hochschullehrer beteiligt sind. Dabei muss auch unter-
sucht werden, ob nicht eine schlichte Streichung des
Hochschullehrerprivilegs zweckmäßig ist und im Hin-
blick des Grundrechts auf Forschungsfreiheit gemäß Art.
5 Abs. 3 des Grundgesetzes gesonderte Bestimmungen
notwendig sind.
Insgesamt sind wir der Auffassung, dass alle Fragen
des Arbeitnehmererfinderrechts, wie von der Bundesre-
gierung beabsichtigt, im Herbst diesen Jahres durch eine
Novellierung insgesamt zu regeln sind. Ich vermag einen
Unterschied zwischen Ingenieuren in der Privatwirtschaft
und Professoren an Hochschulen nicht zu erkennen.
Maritta Böttcher (PDS): Grundsätzlich ist zu be-
grüßen, dass die Koalition nach jahrelangen Ankündigun-
gen eine Überarbeitung des so genannten Hochschulleh-
rerprivilegs im Arbeitnehmererfindungsgesetz aus dem
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116706
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Jahre 1957 in Angriff nimmt. Ich darf in diesem Zusam-
menhang darauf aufmerksam machen, dass die
PDS-Fraktion als erste Bundestagsfraktion bereits in
ihrem Antrag zur Personalstruktur- und Dienstrechtsre-
form an Hochschulen und Forschungseinrichtungen vom
Juli 2000 einen Reformbedarf von § 42 des Arbeitneh-
mererfindungsgesetzes festgestellt und die Bundesregie-
rung zur Aufhebung des Hochschullehrerprivilegs zuguns-
ten einer Gleichbehandlung aller an Hochschulen und
Forschungseinrichtungen Beschäftigten aufgefordert hat.
Offensichtlich hat es aber für eine Gesetzesinitiative der
Koalitionsfraktionen des zusätzlichen Anstoßes der
Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und For-
schungsförderung bedurft, die im Oktober 2000 nach ei-
ner Anhörung mit Beteiligten und Betroffenen einen No-
vellierungsvorschlag vorgelegt hat. An diesem Vorschlag
orientiert sich der heute ebenfalls zur Debatte stehende
Gesetzentwurf des Bundesrats. Es ist das Verdienst des
PDS-Antrags zur Personalstruktur- und Dienstrechtsre-
form und des Gesetzentwurfs des Bundesrats zur Förde-
rung des Patentwesens an Hochschulen, dass wir bereits
heute und nicht erst im Herbst oder Winter – man denke
an die immer noch ausstehenden Gesetzentwürfe der Re-
gierung zur Reform des Hochschuldienstrechts – eine
erste Lesung der Novellierung des Arbeitnehmererfin-
dungsgesetzes durchführen können.
Die PDS befürwortet eine Novellierung des so ge-
nannten Hochschullehrerprivilegs im Arbeitnehmererfin-
dungsgesetz aus zwei Gründen. Erstens haben wir es mit
einem Privileg der Hochschullehrerinnen und Hochschul-
lehrer, das heißt konkret nach Maßgabe des geltenden
Rechts der Professorinnen und Professoren, Dozentinnen
und Dozenten sowie wissenschaftlichen Assistentinnen
und Assistenten an wissenschaftlichen Hochschulen zu
tun. Die PDS ist grundsätzlich gegen Privilegien von Per-
sonengruppen, die andere, nicht privilegierte Gruppen
ohne sachliche Gründe, also willkürlich, benachteiligen.
So sehr besondere, wissenschaftsadäquate Regelungen
für Hochschulen und Forschungseinrichtungen aufgrund
der Geltung des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit
gerechtfertigt sein mögen, so wenig ist die Bevorzugung
einer bestimmten Gruppe von Trägern dieses Grundrechts
legitim. Nicht nur Hochschullehrerinnen und Hochschul-
lehrer, sondern das gesamte wissenschaftliche Personal
einer Hochschule, ja sogar die Studierendenschaft, kann
das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit in Anspruch
nehmen. Und: Nicht nur so genannte wissenschaftliche
Hochschulen, also Universitäten, sondern alle Hochschu-
len, das heißt ausdrücklich auch Fachhochschulen, liegen
im Anwendungsbereich des Grundrechts der Wissen-
schaftsfreiheit. Grundsätzlich nichts anderes gilt für die
außerhochschulischen Forschungseinrichtungen. Wenn
es also im Arbeitnehmererfindungsgesetz Bedarf an be-
sonderen, wissenschaftsadäquaten Regelungen gibt, so
müssen sich diese Ausnahmeregelungen auf alle Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen und alle dort täti-
gen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erstrecken.
Die Gesetzentwürfe sowohl der Koalitionsfraktionen als
auch des Bundesrats bleiben hinter diesen Anforderungen
zurück.
Zweitens befürwortet die PDS eine Novellierung des
Arbeitnehmererfindungsgesetzes, weil wir stärker dem
Umstand Rechnung tragen müssen, dass Erfindungen im
hochschulisch verfassten Wissenschaftsprozess in der Re-
gel nicht nur dank der intellektuellen Kapazitäten von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern
auch unter Nutzung der von der öffentlichen Hand bereit-
gestellten wissenschaftlichen Infrastruktur – von der
Schreibkraft über die Fachbibliothek bis hin zu Groß-
geräten in natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Labo-
ren – zustande kommen. Es ist daher legitim, dass nicht
nur Aufwand und Investitionen, die zu wissenschaftlichen
Erkenntnissen führen, sondern auch Erträge und Erlöse,
die sich daraus möglicherweise ergeben, sozialisiert wer-
den – und nicht, wie es all zu häufig üblich ist, die Unkos-
ten sozialisiert, die Gewinne aber privatisiert werden. Das
geltende Recht trägt diesem Erfordernis nur unzulänglich
Rechnung, da die Hochschulen gemäß § 42 Abs. 2 des Ar-
beitnehmererfindergesetzes nur dann eine angemessene
Beteiligung am Ertrage der Erfindung beanspruchen kön-
nen, wenn sie „besondere“ Mittel hierfür aufgewandt ha-
ben. Die in den vorliegenden Gesetzentwürfen vorge-
schlagene Regelung – ein Drittel für die Erfinderin oder
den Erfinder, zwei Drittel für die Hochschule – scheint
mir eine brauchbare Grundlage für eine Novellierung zu
sein.
Ich habe eingangs begrüßt, dass die Koalitionsfraktio-
nen endlich überhaupt einen Gesetzentwurf vorgelegt ha-
ben. Was die Inhalte und Zielsetzungen dieses Gesetzent-
wurfs betrifft, muss ich leider weiter Essig in den Wein
gießen. Der Forderung der PDS nach einer Gleichstellung
des gesamten Personales kommt der Gesetzentwurf zwar
grundsätzlich nach, macht aber zwei wesentliche Ein-
schränkungen. Zum einen ist die Ausnahmeregelung des
§ 42 weiterhin nur auf Hochschulen beschränkt: zwar er-
freulicherweise nicht nur auf wissenschaftliche Hoch-
schulen, aber an außerhochschulischen Forschungsein-
richtungen hat die Regelung keine Geltung, auch nicht an
staatlichen oder staatlich finanzierten Forschungseinrich-
tungen. Zum anderen möchten SPD und Bündnis 90/Die
Grünen zentrale Norminhalte von § 42 auf das wissen-
schaftliche Personal, womöglich sogar wie bisher auf
Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, beschränkt
wissen. Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetz-
entwurfs zu Art. 1 Nr. 2, wo es heißt, dass die besonderen
Schutzbestimmungen von § 42 „für nicht wissenschaft-
lich Tätige ohne Auswirkung“ bleiben sollen. Beides kann
ich nicht akzeptieren.
Ich kann aber vor allem eine weitere zentrale Zielset-
zung des Gesetzentwurfs nicht akzeptieren. Ich halte es
zwar grundsätzlich für ein legitimes und unterstützens-
wertes Anliegen, den Beitrag der Hochschulen zu techno-
logischen Innovationen auch im wirtschaftlichen Bereich
zu stärken und in diesem Zusammenhang die Möglichkeit
der Hochschulen und ihrer Mitglieder, selbst Patente an-
zumelden und zu verwerten, zu optimieren. Es wäre näm-
lich falsch, wenn Erfindungen, die in öffentlich finanzier-
ten Einrichtungen gemacht werden, nur außerhalb dieser
Einrichtungen, – in der privatwirtschaftlichen Industrie,
verwertet werden könnten. Allerdings wäre es ebenso
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16707
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falsch, die öffentlich finanzierten Wissenschaftseinrich-
tungen, an vorderer Stelle die Hochschulen, und das dort
tätige Personal zur patentrechtlichen Verwertung ihrer Er-
findungen zu zwingen. Der vorliegende Gesetzentwurf
der Koalitionsfraktionen trägt diesen Bedenken zunächst
dadurch Rechnung, dass Erfinderinnen und Erfindern
– mit der erwähnten Einschränkung für nicht wissen-
schaftlich Tätige – das Recht haben sollen, ihre Erfindung
geheim zu halten. Was den Erfinderinnen und Erfindern
aber nicht zugestanden wird, ist ein Recht, die Erfindung
weder geheim zu halten noch sie von der Hochschule pa-
tentieren und verwerten zu lassen, sondern sie durch eine
Veröffentlichung der kommerziellen Nutzung ein für alle
Mal zu entziehen. Die Erfinderinnen und Erfinder müssen
vor Veröffentlichung ihrer Erfindungen vielmehr ihren
Dienstherren Gelegenheit geben, ein Patent anmelden zu
können. Zwar soll den Erfinderinnen und Erfindern das
„nicht ausschließliche Recht“ zugestanden werden, ihre
Erfindungen im Rahmen ihrer Forschungs- und Lehr-
tätigkeit zu nutzen, aber eben nur, wenn eine gleichzeitige
kommerzielle Nutzung ermöglicht wird. Hierin sehe ich
einen eklatanten, verfassungsrechtlich nicht zu rechtferti-
genden Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Das Prinzip
der Öffentlichkeit ist geradezu konstitutiv für den – ins-
besondere hochschulisch organisierten und öffentlich
finanzierten – Wissenschaftsprozess, bei dem es sich ent-
sprechend des neuzeitlichen aufklärerischen Wissen-
schaftsverständnisses um eine res publica handelt. Wir
sollten daher die große Bedeutung der Veröffentlichung
von Forschungsergebnissen respektieren und nicht leicht-
fertigen ökonomischen Gewinninteressen oder dem inter-
nationalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte opfern.
Da die Bundesregierung im Zusammenhang mit ihrem
Aktionsprogramm „Wissen schafft Märkte“ eine regel-
rechte „Verwertungsoffensive“ an den Hochschulen aus-
gerufen hat, möchte ich abschließend die Frage aufwer-
fen, ob Sie die damit verbundenen Gefahren für die
Hochschulentwicklung ausreichend reflektiert haben. Die
Hochschulen sollen demnach durch die vorgeschlagene
Gesetzesnovellierung ja erklärtermaßen systematisch er-
muntert werden, solche Forschungsschwerpunkte einzu-
richten und jene Hochschullehrerinnen und Hochschul-
lehrer zu berufen, die besonders hohe Patentierungs- und
Verwertungserlöse für die Hochschulen versprechen. Die
absehbare Folge wäre eine einseitige Anpassung der
Hochschulentwicklung an das Kriterium der ökonomi-
schen Verwertbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse,
zumindest solange die Hochschulen aufgrund einer struk-
turellen Unterfinanzierung zwingend auf zusätzliche Ein-
nahmen angewiesen sind. Wir brauchen sehr wohl eine
stärkere Öffnung der Hochschulen in die Gesellschaft,
aber die Hochschulen dürfen nicht zu verlängerten Werk-
bänken und Labors der Industrie degradiert werden.
Dr. Eckart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes-
ministerin der Justiz: Heute liegt uns ein Gesetzentwurf
der Koalitionsfraktionen zur Änderung des Gesetzes über
Arbeitnehmererfindungen vor. Parallel hierzu haben wir
über den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Pa-
tentwesens an den Hochschulen zu beraten, der vom Bun-
desrat in den Deutschen Bundestag eingebracht wurde.
Bevor wir uns diesen beiden Gesetzentwürfen im De-
tail widmen, lassen Sie mich ein paar allgemeine Aus-
führungen machen: Das Gesetz über Arbeitnehmererfin-
dungen ist eine der für die Wirtschaft bedeutendsten
Regelungen auf dem Gebiet des Patentrechts. Seine Auf-
gabe ist es, festzulegen, wem eine Erfindung zusteht und
wer sie nutzen darf. Das Gesetz über Arbeitnehmererfin-
dungen ist nach einer außergewöhnlich intensiven Dis-
kussion, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht, im
Jahre 1957 in Kraft getreten. Es wurde – und dies ist be-
merkenswert für ein Gesetz mit arbeitsrechtlichem Ein-
schlag – einstimmig beschlossen und gilt bis heute weit-
gehend unverändert fort. Obwohl der Verwaltungs-
aufwand für die Arbeitgeber und der Eingriff in die be-
triebliche Patentpolitik durch den gesetzlich normierten
Anmeldezwang erkannt wurde, wurde der Vorteil des Ar-
beitnehmererfindungsgesetzes in der grundsätzlichen
rechtssystematischen Geschlossenheit, der sozialen Aus-
gewogenheit und der Rechtssicherheit gesehen. Auch das
gesetzlich normierte so genannte Hochschullehrerprivileg
galt als gesicherter und notwendiger Bestandteil des Ar-
beitnehmererfindergesetzes.
Nach nunmehr über 40 Jahren hat sich die Bundesre-
gierung daran gemacht zu untersuchen, welche Bestim-
mungen des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen
nicht mehr zeitgemäß sind. Das Bundesministerium für
Arbeit und Sozialordnung und das Bundesministerium
der Justiz, die gemeinsam für das Arbeitnehmererfinder-
recht federführend sind, haben zu diesem Zweck am
23. März 2000 eine Anhörung zu einem möglichen Re-
formbedarf beim Gesetz über Arbeitnehmererfindungen
durchgeführt. Die Anhörung hat ergeben: Das Gesetz über
Arbeitnehmererfindungen bedarf einer Reform. Beide
Ressorts arbeiten deshalb an einem Referentenentwurf für
eine Gesamtreform des Arbeitnehmererfinderrechts, der
bis zum Sommer diesen Jahres vorliegen soll. Als Teil die-
ser Gesamtreform war ursprünglich auch eine Änderung
des § 42 Arbeitnehmererfindungsgesetz vorgesehen. Das
vorrangige Ziel, den Aufbau von Patentinfrastruktur an
Hochschulen mit Bundesmitteln zu unterstützen, erfor-
dert allerdings eine vorrangige Behandlung des Pa-
tentwesens an Hochschulen. Auch die Bundesregierung
hat deshalb einen Gesetzentwurf erarbeitet, der in Kürze
dem Kabinett vorgelegt wird.
Ziel aller Regelungen ist die Förderung des Wissens-
und Technologietransfers zwischen den Hochschulen und
der Wirtschaft. Erreicht werden soll dieses Ziel durch eine
Anpassung der Rechte an Erfindungen von Hochschul-
lehrern an die veränderten Rahmenbedingungen der
Hochschulforschung. Nach dem geltenden § 42 Arbeit-
nehmererfindungsgesetz sind die von Professoren, Do-
zenten und wissenschaftlichen Assistenten gemachten Er-
findungen freie Erfindungen. Den betreffenden Personen
steht es also frei, ihre Erfindungen durch ein Patent- oder
Gebrauchsmusterrecht schützen zu lassen. Anders sieht es
hingegen bei den Arbeitnehmern im privaten oder öffent-
lichen Dienst aus. Diese sind verpflichtet, ihrem Arbeit-
geber ihre Erfindungen zu melden, der dann das Recht
hat, diese in Anspruch zu nehmen. Durch die vorliegen-
den Gesetzentwürfe sollen Professoren, Dozenten
und wissenschaftliche Assistenten den Arbeitnehmern im
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116708
(C)
(D)
(A)
(B)
privaten und öffentlichen Dienst grundsätzlich gleichge-
stellt werden, was zu begrüßen ist.
Bei Regelungen mit Auswirkung auf die Wissenschaft
müssen wir aber die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes
garantierte Wissenschaftsfreiheit beachten. Das individu-
elle Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung
muss soweit als möglich unangetastet bleiben. Die posi-
tive und negative Publikationsfreiheit muss gewahrt wer-
den. Diesem Erfordernis wird der von den Koalitions-
fraktionen vorgelegte Gesetzentwurf besser gerecht als
der Gesetzentwurf des Bundesrates, so dass dieser aus
Sicht des BMJ als der vorzugswürdigere erscheint.
Der vom Bundesrat vorgelegte Entwurf hat hier ein-
deutig Schwächen. Demgegenüber trägt der Entwurf der
Koalitionsfraktionen dem Ziel, Technologietransfer zwi-
schen den Hochschulen und der Wirtschaft zu fördern,
besser Rechnung. Und er beachtet Art. 5 Abs. 3 des
Grundgesetzes in stärkerem Maße. Ich unterstütze des-
halb den Koalitionsentwurf!
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem
Antrag: Importverbot für qualgezüchtete Tiere
– des Antrages: Haltungs- und Ausstellungsverbot
für qualgezüchtete Tiere
(Tagesordnungspunkt 11 und Zusatztagesordnungs-
punkt 6)
Heino Wiese (SPD):Mit großer Verwunderung konn-
ten wir in den letzten Tagen feststellen, dass die CDU sich
in ihrer Haltung zum Tierschutz neu orientiert. Das Im-
portverbot für qualgezüchtete Tiere hat die CDU noch in
der letzten Legislaturperiode verhindert. Jetzt wollte die
CDU dieses Importverbot für qualgezüchtete Tiere selbst
in das Gesetzbuch bringen. Und noch mehr: Die CDU, de-
ren Verhinderungstaktiken bezüglich des Tierschutzes in
den vergangenen Jahren die Debatten bestimmte, stimmt
heute sogar einem Haltungsverbot für qualgezüchtete
Tiere zu.
Was verstehen wir unter Qualzüchtungen? Im Tier-
schutzgesetz heißt es in § 11, dass man züchtungsbedingte
Veränderungen, die Schmerzen, Leiden oder Schäden ver-
ursachen, diesem Tatbestand zuordnet.
Lassen sie mich ein paar Beispiele nennen: Da gibt es
die Bulldogge, die wegen ihrer angezüchteten Platt-
schnauze kaum noch Luft bekommt und an heißen Tagen
nur noch in der kühlen Nachtluft Gassi gehen darf. Ein an-
deres Beispiel ist die Warzentaube, bei der der Schnabel
unter einer tumorähnlichen Wucherung verschwindet.
Diese Tiere sind stark sehbehindert und können nur durch
ihren offenen Schnabel atmen, da die Nasenlöcher zuge-
wuchert sind.
Im Internet habe ich das Angebot einer Züchterin aus
Amerika gesehen, die Katzen anbietet, deren Vorderläufe
verkürzt sind und die als Känguru-Katzen angeboten wer-
den, da sie nur noch auf den Hinterbeinen stehen können.
Was muss es für eine Qual für ein Tier sein, für den so ge-
nannten Tierfreund ein Ausstellungsstück oder ein putzi-
ger Begleiter zu sein. Dem Tier können wir es oft nicht an-
sehen – oder manchmal eben doch –, dass sein putziges
oder schönes Aussehen nur durch eine Qualzüchtung zu-
stande gekommen ist.
Solche Qualzüchtungen sind schon seit dem In-Kraft-
Treten des neuen Tierschutzgesetzes in Deutschland ver-
boten. Wir wollen und müssen verhindern, dass Hunde im
Handtaschenformat produziert und Tiere zu Krüppeln ge-
züchtet werden, damit Wettkämpfe, Kampforgien und an-
dere perverse Spiele betrieben werden können.
Wir haben die Aufgabe, unsere Mitgeschöpfe zu schüt-
zen und lebenswert zu erhalten und nicht zu quälen und
ihnen zu schaden. Deswegen begrüße ich auch den vor-
liegenden fraktionsübergreifenden Antrag zu einem Hal-
tungs- und Ausstellungsverbot für qualgezüchtete Tiere.
Denn dadurch schließen wir die Lücke im Tierschutzge-
setz, die es noch erlaubt, solche Züchtungen aus dem Aus-
land nach Deutschland einzuführen.
Es kommt ja nicht oft vor, aber heute verfolgen alle
Fraktionen dieses Hauses das gleiche Ziel: Wir fordern
gemeinsam die Bundesregierung auf, umgehend eine Ver-
ordnung zu erlassen, die ein nationales Haltungs- und
Ausstellungsverbot auf alle Wirbeltiere aus Qualzüchtun-
gen nach § 11 des Tierschutzgesetzes ausdehnt.
Ich hoffe, die CDU meint mit ihrer Zustimmung zu
dem Gesetz nicht nur die qualgezüchteten Heim- und
Ausstellungstiere, sondern auch Nutztiere, wie den Trut-
hahn, der aufgrund der besonders schweren Brust nicht
mehr laufen kann. Tierschutz gilt für die SPD vor allem
auch für die Tiere, die der Mensch aus Wirtschaftlich-
keitsgründen und Gründen der so genannten Leistungs-
steigerung deformiert und quält. Wenn wir uns auch in
diesem Sinne mit Herrn Ronsöhr einigen können, wird
sich die CDU ja vielleicht irgendwann nicht mehr als ein-
zige Partei unserem Hauptwunsch „Tierschutz ins Grund-
gesetz“ verschließen. Ich fände es jedenfalls sehr be-
grüßenswert, wenn die Parteien mit dem „C“ im Sinne der
Schöpfung handeln würden und die Tiere vor Gewinn-
streben und menschlicher Geltungssucht in Schutz neh-
men würden. Die SPD, die anderen Fraktionen und alle
echten Tierfreunde würden es ihnen danken.
Heinrich-Wilhelm Ronsöhr (CDU/CSU): Unser
Ziel, das Leiden qualgezüchteter Tiere zu beenden, ist uns
wichtig, weniger der Weg dahin. Im Sommer des letzten
Jahres haben wir an dieser Stelle unseren Antrag „Import-
verbot für qualgezüchtete Tiere“ behandelt. Von Regie-
rungsseite wurde dieser Antrag damals mit der Begrün-
dung abgelehnt, ein Importverbot für qualgezüchtete
Tiere könne nach deutschem Recht nicht erlassen werden,
da das Tierschutzgesetz dafür keine Ermächtigungs-
grundlage vorsehe. Außerdem wurde gegen den Antrag
ins Feld geführt, er verstoße gegen die Vorschriften der
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16709
(C)
(D)
(A)
(B)
Europäischen Gemeinschaft über den freien Warenver-
kehr, darüber hinaus gegen das WTO-Übereinkommen.
Insofern wurde unser Antrag abschlägig beschieden.
Wir haben die Diskussion aber weiter hochgehalten
und es hat sich gezeigt, dass es auch einen anderen Weg
gibt, die Qualzucht zu verbieten. Ich finde es deshalb gut,
dass wir heute einen gemeinsamen Antrag der Regie-
rungskoalitionen und von CDU/CSU vorlegen können,
der auf ein Haltungs- und Ausstellungsverbot abzielt. Ich
möchte allerdings dabei noch einmal festhalten, dass wir
diesen Antrag heute nur deshalb vorliegen haben, weil wir
bei diesem Thema nicht locker gelassen haben.
Ich erlebe immer wieder, dass ich gefragt werde, was
denn Qualzucht überhaupt ist. Deshalb ist es angebracht,
sich einmal etwas eingehender mit diesem Begriff aus-
einander zusetzen. Schon immer hat der Mensch durch
Auslese und Zucht versucht, Tiere speziellen Anforderun-
gen anzupassen; denken wir nur an die Jagdhunde: Hier
den Dackel, dort den Vorstehhund. Durch Auslese und
Züchtung sind auch die sehr unterschiedlichen Rinder-,
Schaf-, Ziegen- und Pferderassen entstanden. Der
Mensch war früher bei der Tierhaltung viel abhängiger
von Standortbedingungen als heute. Nicht von ungefähr
tragen viele alte Rassen den Namen der jeweiligen Land-
schaft, in der sie heimisch waren. Heute kann man zu-
mindest teilweise durch entsprechenden Stallbau die
Außenbedingungen weitgehend egalisieren; das höhere
Leistungspotenzial der dort gehaltenen Tiere hat die alten
Rassen verdrängt, die wir heute durch Sonderprogramme
zu erhalten versuchen.
Sicher hat man in der Vergangenheit auch in der Zucht
unserer Nutztiere Fehler gemacht, indem man in be-
stimmten Fällen zuviel Gewicht auf das Merkmal Leis-
tung gelegt hat. Insgesamt kann man aber feststellen:
Hätten wir es nur mit der Züchtung unserer landwirt-
schaftlichen Nutztiere zu tun, so bräuchten wir uns über
das heutige Thema der Qualzüchtungen nicht zu unter-
halten. Diese in dem Gutachten zur Auslegung von § 11 b
des Tierschutzgesetzes ausführlich beschriebenen Ver-
irrungen bei den Zuchtzielen sind sämtlich auf die Be-
strebungen zurückzuführen, den Tieren eine selbst defi-
nierte Art der Schönheit angedeihen zu lassen. Das
Ergebnis dieser Bemühungen äußert sich dann in Minder-
leistung der Sinnesorgane, Deformation des Skelettes, ge-
minderter Fortpflanzungsfähigkeit oder auch Verhaltens-
störungen, weil die Zucht auf Schönheitsmerkmale oder
auch auf bestimmte Größenvorstellungen mit Schäden
der Tiere gekoppelt ist, die bei diesen Leiden auslösen.
Dieses Problem ist schon seit längerem bekannt und
man hat bei der Tierschutzgesetzgebung darauf reagiert.
Nach § 11 b des Tierschutzgesetzes ist es verboten, Wir-
beltieren Schmerzen, Leiden oder Schäden durch Zucht
zuzufügen. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass
man Auflagen und Verbote nur aussprechen kann, wenn
man dafür nachvollziehbare Kriterien hat. Das Gutachten
zur Auslegung von § 11 b des Tierschutzgesetzes ist dafür
eine wertvolle Hilfe. Es ist mir klar, dass die Bewertung
einer Qualzucht aus Sicht des Tierschutzes und aus Sicht
der betreffenden Züchter unterschiedlich vorgenommen
wird. Sicher gibt es dabei auch fließende Übergänge, wel-
che die konkrete Entscheidung schwierig machen. Auf der
anderen Seite gibt es aber auch genügend eindeutige
Fälle, wie das Gutachten ausweist. Nach § 11 des Tier-
schutzgesetzes ist das Bundesministerium ermächtigt, die
erblich bedingten Veränderungen, Verhaltensstörungen
und Aggressionssteigerungen näher zu bestimmen und
dabei insbesondere bestimmte Zuchtformen und Rasse-
merkmale zu verbieten oder zu beschränken.
Wir haben für ein Stopp der Qualzucht das so genannte
milde Mittel des Haltungs- und Ausstellungsverbotes für
Wirbeltiere aus Qualzüchtungen gewählt. Mit diesem An-
trag ist nun der erste Schritt getan. Es kommt aber nun da-
rauf an, möglichst schnell den Sack zuzubinden und die
notwendigen rechtlichen Regelungen in Kraft zu setzen.
Es ist richtig und rechtlich auch nicht anders machbar,
dass die qualgezüchteten Tiere, die im Augenblick bereits
in Deutschland gehalten werden, von dem Haltungsverbot
ausgeschlossen sind. Ich möchte in diesem Zusammen-
hang auch dafür plädieren, dass mit der Ermächtigung
nach § 11 des Tierschutzgesetzes sensibel vorgegangen
wird. Welche Zuchtformen bzw. Rassemerkmale als
Qualzüchtungen einzustufen sind, sollte soweit wie mög-
lich in Zusammenarbeit mit den Hobbyzüchtern festge-
legt werden. Ich weiß, dass dies zum Teil schwierig sein
wird, aber für das Erreichen des gemeinsamen Zieles ist
es besser, wenn die entsprechenden Vereine mit ins Boot
geholt werden können. Je weniger die Hobbyzüchter von
Tierschutzanliegen überzeugt sind, desto mehr wird diese
Art von Zucht dann in die Grauzone abwandern. Die Tat-
sache, dass an dem Gutachten zur Qualzucht auch die
Züchter und die Zuchtverbände mitgearbeitet haben, gibt
Anlass zur Hoffnung.
Ich möchte möglichst bald keine Qualzüchtungen
mehr in Deutschland sehen, aber ebenso, dass dieses Tier-
schutzanliegen europaweit verwirklicht wird. Wie in dem
Antrag steht, ist dazu das europäische Übereinkommen
zum Schutz von Heimtieren das entsprechende Instru-
ment. Die Bundesregierung weist in ihrem Tierschutzbe-
richt 2001 darauf hin, dass die Qualzuchtproblematik ein
Schwerpunktthema der multilateralen Konsultation der
Vertragsparteien im März 1995 war. Somit ist die Diskus-
sion über das Thema Qualzucht auch auf europäischer
Ebene angestoßen. Ich fordere die Bundesregierung auf,
dafür zu sorgen, dass diese Diskussion auch zu einer Ent-
scheidung für mehr Tierschutz in ganz Europa führt.
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unser
Anliegen ist es bereits seit sehr langer Zeit, tierquälerische
Züchtungen ganz zu verbieten. Wir begrüßen es, dass die
Bundesregierung im letzten Jahr das Tierschutzgesetz
weiter in diese Richtung verbessert hat.
Leider gab es immer noch eine Gesetzeslücke, weil
EU- und internationales Recht verhindern, dass wir wirk-
same Importverbote verhängen können.
Mit dem vorliegenden Antrag zum Verbot von Haltung
und Ausstellung von qualgezüchteten Tieren schließen
wir diese Lücke und stärken damit den Tierschutz weiter.
Wir gehen über das bereits bestehende Verbot der Qual-
zucht hinaus und richten eine wirksame Barriere gegen
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116710
(C)
(D)
(A)
(B)
die Haltung qualgezüchteter Tiere auf. Damit wird auch
den Importen qualgezüchteter Tiere, die aufgrund ihrer
Züchtung gesundheitliche Schäden haben, endlich ein
Riegel vorschoben.
Was sind eigentlich Qualzüchtungen?
Man spricht von Qualzüchtungen, wenn Tiere erblich
bedingte körperliche Defekte, Verhaltensstörungen oder
Aggressionssteigerungen aufweisen. Sie finden zu unter-
schiedlichen Zwecken statt.
Zum einen gibt es Qualzüchtungen an Nutztieren –
diese richten sich auf die leistungssteigernden Merkmale.
Beispielsweise gibt es bestimmte Geflügelrassen, die der-
artig auf Leistung und Gewicht getrimmt sind, dass sie
kaum noch stehen können, sondern nur noch sitzen, sich
so häufige Entzündungen zuziehen und nur noch mit An-
tibiotika am Leben gehalten werden können. Das Bun-
desverfassungsgericht hat klare Kriterien für eine tierge-
rechte Haltung gesetzt. Die rot-grüne Bundesregierung
wird daher auch die entsprechenden Tierhaltungsverord-
nungen im Sinne des Tierschutzes verbessern.
Zum anderen gibt es Qualzüchtungen an Haustieren,
beispielsweise an Hunden und Katzen. So haben einige
Hunde- und Katzenrassen sehr kurze Nasen, wodurch ihre
Atmung stark beeinträchtigt wird, oder es gibt Kaninchen,
die so lange Ohren haben, dass sie darüber stolpern. In die
Kategorie der Qualzüchtungen gehören aber auch so ge-
nannte Kampfhunde, denen eine Aggressionssteigerung
angezüchtet wurde.
Für uns geht Tierschutz vor Modeerscheinungen, die
dazu führen, dass geschädigte und verstümmelte Tiere ge-
züchtet und auf den Markt geworfen werden. Das gilt für
Wirtschaftsinteressen zum Beispiel in der gewerblichen
Geflügelfleischproduktion ebenso wie für Schönheitskri-
terien bei Haustieren.
Die Tiere, die aufgrund ihrer Züchtung an Schmerzen,
Leiden oder gesundheitlichen Schäden leiden oder, im
Falle von Kampfhunden, eine Gefährdung von Menschen
darstellen, sollen künftig verboten werden. Damit erfüllen
wir ein wichtiges Ziel des Tierschutzes und kommen auch
dem Gutachten des früheren Bundeslandwirtschafts-
ministeriums nach, das ein Verbot dieser Züchtungen
empfiehlt.
Ausgenommen werden zunächst die derzeit noch in
Deutschland lebenden Tiere. Wir wollen selbstverständ-
lich keine bereits lebenden Tiere beeinträchtigen.
Ich freue mich besonders, dass wir hier ein Tierschutz-
anliegen fraktionsübergreifend einbringen und, ich denke
wohl einstimmig, beschließen werden. Ich würde mir von
der CDU/CSU auch endlich dieses gemeinsame Vorgehen
für den wichtigen Punkt Tierschutz in die Verfassung
wünschen.
Gudrun Kopp (F.D.P.): Um es gleich vorweg zu sa-
gen: Die F.D.P. lehnt jede Form von Qualzüchtungen
strikt ab! Wir Liberalen haben dem Tierschutzgesetz zu-
gestimmt und starten in Kürze einen dritten Versuch, für
unseren Gesetzentwurf auf Aufnahme des Tierschutzes
als Staatsziel ins Grundgesetz endlich die nötige Zwei-
drittelmehrheit zu bekommen.
SPD und Grüne sowie die CDU/CSU wollen mit ihrem
Antrag ein EU-rechtswidriges nationales Importverbot
für Wirbeltiere/Hunde durchsetzen. Sie begründen dieses
Anliegen damit, Qualzüchtungen bekämpfen zu wollen.
Wie genau aber werden Qualzüchtungen definiert? Im
Gutachten zur Auslegung von § 11 b des Tierschutzgeset-
zes – Verbot von Qualzüchtungen – wird eine Rasseliste
von Hunden wie Bullterrier, American Staffordshire Ter-
rier und Pitbull Terrier genannt, und zwar im Zusammen-
hang mit vermeintlich übersteigertem Angriffs- und
Kampfverhalten, das angeblich als angezüchtete Verhal-
tensstörung gilt. Welch ein völliger Unsinn. Es gibt kein
wissenschaftliches Gutachten, das diese Vermutung un-
termauert. Die Gefährlichkeit von Hunden lässt sich eben
nicht an bestimmten Rassen festmachen. Das bestätigen
alle Fachleute. Und genau dies scheint das eigentliche An-
liegen der Antragsteller zu sein.
Die EU-Kommission hat wissenschaftliche Beweise
für die Rechtfertigung von Rasselisten und damit von Be-
schränkungen des Imports nach Deutschland gefordert.
Denn genau die erwähnten Hunderassen und eine weitere
sind als Rasseliste Bestandteil des „Gesetzes zur Bekämp-
fung gefährlicher Hunde“.
Die F.D.P. hat diesem unsinnigen Gesetz, das zudem
fundamentale Bürgerrechte aushöhlt, nicht zugestimmt.
Wissenschaftlich fundierte Beweise für eine Zuordnung
von Aggressivität von Hunden zu bestimmten Rassen gibt
es nicht. Also droht der Bundesregierung ein Vertragsver-
letzungsverfahren wegen des eingeschränkten Warenver-
kehrs innerhalb der EU-Staaten.
Wieder einmal fehlt es vielen Fraktionen im Deutschen
Bundestag an Sachkunde. Gegen Qualzüchtungen hilft
ein Heimtierzuchtgesetz und keine noch so fein verpackte
rechtliche Hilfskonstruktion. Ein solches nationales
Heimtierzuchtgesetz muss auch auf EU-Ebene durchge-
führt werden. Dafür setzt sich die F.D.P. massiv ein.
Wir, die Liberalen, schlagen deshalb vor, dass sich der
Deutsche Bundestag nicht länger einer Expertenanhörung
verweigert, die viele Erkenntnisse rund um das Thema
Kampfhunde, Qualzüchtungen und wirksame Maßnah-
men gegen gefährliche Hunde und ihre Halter bringen
wird. Diesem scheinheiligen Antrag stimmt die F.D.P.
nicht zu.
Eva Bulling-Schröter (PDS):Haustiere sind die Part-
ner der Menschen. Wir leiden, wenn das Tier leidet, pfle-
gen es, wenn es krank ist und trauern, wenn es dann stirbt.
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere sind Aus-
stellungen, auf denen Qualzuchten prämiert werden und
der Hund umso wertvoller geschätzt wird, je mehr er ei-
nem menschlichen Schönheitsideal entspricht. Ich be-
tone: einem menschlichen Ideal und nicht seiner Ur-
sprungsart entsprechend.
Die Nase muss immer kürzer sein, sodass der Hund
dann nicht mehr richtig atmen kann, oder der Rücken, be-
sonders bei Schäferhunden, so gerade, dass er zwangsläu-
fig ab einem bestimmten Alter an Hüftschäden erkrankt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16711
(C)
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(A)
(B)
Es werden Hunde gezüchtet, die ohne Kaiserschnitt keine
Jungen gebären können, und solche, die mit übergroßer
Sicherheit an Bandscheibenvorfall erkranken.
Und warum das alles? Im Namen der Schönheit wird
die Gesundheit von Haustieren dem Markt geopfert, weil
es unverantwortliche Züchter gibt und weil es Menschen
gibt, denen beim Kauf eines Rassehundes nicht bewusst
ist, welche Schäden durch die Zucht erzeugt wurden. Lei-
der fehlt an dieser Stelle oft die Einsicht und wieder ein-
mal muss dann der Gesetzgeber Regelungen beschließen.
Ich möchte nicht alle Halter und Züchter in Bausch und
Bogen verurteilen. Vieles ist besser geworden, auch auf
Ausstellungen. Notwendig wäre sicher ein Gespräch des
zuständigen Ministeriums mit den Züchterverbänden, um
auch hier noch einmal mit Nachdruck auf Veränderungen
zu drängen.
Wir warten noch immer auf das ausstehende Heimtier-
zuchtgesetz. Es soll die Haltung von Hunden, die Auf-
zucht, den Handel und einen Befähigungsnachweis des
Züchters regeln. Einen Schritt in die richtige Richtung
geht der vorgelegte Antrag: Mit einem Ausstellungsverbot
für qualgezüchtete Tiere werden Weichen gestellt und so-
mit Züchtern eindeutig klargemacht, dass es sich für sie
nicht mehr so lohnt, solche Züchtungen weiterzubetrei-
ben. Im Übrigen eine Forderung, die die Tierschutzver-
bände schon seit langem erhoben haben: Mit einem Im-
portverbot werden hier auch dem Tierhandel Schranken
gesetzt. Ich halte das für sinnvoll und hoffe, dass dann
auch eine Überwachung an den Grenzen stattfindet. Ob-
wohl die PDS bei diesem Antrag wieder einmal ausge-
grenzt wurde, werden wir dem Antrag zustimmen. Ich
halte es schon für bemerkenswert, wie wichtig den Koali-
tionsparteien die Unterschrift der CDU/CSU ist, gerade
bei einem solchen Thema. Ich möchte die CDU/CSU da-
ran erinnern: Vor noch nicht allzu langer Zeit haben Sie
einen Antrag auf Verankerung des Tierschutzes im Grund-
gesetz abgelehnt. Wie glaubwürdig Ihr Engagement in
dieser Sache ist, müssen die Wählerinnen und Wähler ent-
scheiden.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Für die demokrati-
sche Erneuerung Pakistans (Tagesordnungs-
punkt 12)
Johannes Pflug (SPD):19 Monate ist es her, seit am
12. Oktober 1999 der damalige Generalstabschef des pa-
kistanischen Militärs General Pervez Musharraf in einem
Militärputsch die Regierungsmacht in der Islamischen
Republik Pakistan übernahm. Der Sturz des damaligen
Premierministers Nawaz Sharif durch das Militär erfolgte
in einer Zeit, in der Pakistan sich seit Jahren in einem öko-
nomischen, ökologischen und sozialen Niedergang be-
fand und allgegenwärtige Korruption, Kriminalität, Ar-
mut und Bildungsnotstand das Land völlig lähmten und
politisch handlungsunfähig machten.
Das so genannte Kargil-Abenteuer im Sommer dessel-
ben Jahres, nämlich der Überfall von bewaffneten Grup-
pen auf indische Armee-Einheiten im Kaschmir-Tal mit
beabsichtigter zunehmender Eskalation, hatte zudem Pa-
kistan in die internationale Isolation geführt. Insbeson-
dere die Vereinigten Staaten, die während der Zeit der
Aufteilung der Welt in Westblock und Ostblock und des
Kalten Krieges unverbrüchlich auf pakistanischer Seite
gegen den Intimgegner Indien standen, wendeten sich
nach Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen
zwischen diesen beiden Staaten den Indern zu. Übrigens
kam es erst nach massivem Druck der Vereinigten Staaten
und Chinas vor allem auf Pakistan zur Einstellung der be-
waffneten Feindseligkeiten.
Pakistan ist ein Schlüsselland für die Stabilität in
Asien. Obwohl Pakistan arm ist, hat es doch genügend
höchst qualifizierte Wissenschaftler und Ingenieure, um
Raketen und die Atomwaffe zu bauen. Pakistan gehört zu
den vier Ländern, die bis heute dem Nichtverbreitungs-
vertrag nicht beigetreten sind. Deswegen hat Pakistan mit
dem Bau und dem Test von Atomwaffen auch keinen in-
ternationalen Vertrag gebrochen. Dennoch ist die sicher-
heitspolitische Entwicklung in diesem Land ein Anlass
zur Sorge und ein Grund für politisches Handeln.
Seit einiger Zeit sprechen die Amerikaner, die Eu-
ropäer, die Russen und die Chinesen über die Gefahr der
Weiterverbreitung von Atomwaffen. Für den Westen ste-
hen Länder wie Nordkorea, Iran und Irak als Beleg dafür,
dass die Proliferationsrisiken global gestiegen sind. In der
Wirklichkeit sind es nicht diese drei, die nuklear gewor-
den sind; in der Wirklichkeit handelt es sich ausschließ-
lich um zwei Staaten, die in der Diskussion so gut wie gar
nicht vorkommen: Pakistan und Indien. Anders sieht es
aus, wenn nicht von der Weiterverbreitung von Atomwaf-
fen, sondern von der Weiterverbreitung von Raketentech-
nologie gesprochen wird. Hier sind Nordkorea und Iran
zutreffend benannt. Aber die wirklichen Weiterverbreiter
von Raketentechnologie waren früher Russland und
China und ist heute Pakistan.
Unser Interesse ist es, dass Pakistan mit der Macht, die
es in Händen hält, verantwortungsbewusst umgeht. Dies
lässt sich nicht durch Boykotte und Sanktionen erreichen;
dies erfordert vielmehr die internationale Einbindung des
Landes. Daran kann und sollte auch die Bundesrepublik
Deutschland teilhaben, auch wenn die Gefahr, die heute
von Pakistan ausgehen könnte, Deutschland noch nicht
unmittelbar, sondern nur indirekt berührt.
Obwohl Pakistans Innenpolitik unübersichtlich und
komplex ist, darf uns dies aus sicherheitspolitischen
Gründen nicht daran hindern, die Zusammenarbeit mit
diesem Land zu fördern und uns an der Einbindung dieses
Landes in internationale Institutionen und Vertragswerke
zu beteiligen.
Asien insgesamt – und der Teil Asiens, in dem Pakistan
liegt, insbesondere – braucht eine Sicherheitsarchitektur
mit rüstungskontrollpolitischen Regimen, mit Abrüs-
tungsvereinbarungen und militärischen vertrauensbilden-
den Maßnahmen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116712
(C)
(D)
(A)
(B)
Auch wenn für das damalige Kargil-Abenteuer der
heutige Chief Executive und damalige Generalstabschef
General Pervez Musharraf die Mitverantwortung trägt, ist
trotzdem richtig, dass die vor dem Putsch von 1999 de-
mokratisch gewählten Regierungsparteien, nämlich so-
wohl die Pakistan People Party (PPP) von Benazir Bhutto
als auch die Pakistan Muslem League-Nawaz (PML) von
Nawaz Sharif, reformunfähig und reformunwillig waren.
Die Militärregierung hatte angekündigt, einen Trans-
formationsprozess zurück zu demokratischen Verhältnis-
sen bis Oktober 2002 durchzuführen. Das von Chief Exe-
cutive Musharraf gegebene Versprechen, in diesem Jahr
Kommunalwahlen durchzuführen, wird konsequent um-
gesetzt. In vier Phasen finden bzw. fanden die Wahlen zu
den kommunalen Vertretungskörperschaften statt. Abge-
schlossen sind die beiden ersten Phasen mit Wahlen am
31. Dezember 2000 und am 21. März dieses Jahres. Die
nächsten Wahlen finden am 31. Mai und voraussichtlich
im Juli dieses Jahres statt, weil die Militärregierung die
Kommunalwahlen bis zum pakistanischen Unabhängig-
keitstag am 14. August abgeschlossen haben will.
Natürlich müssen sich die derzeitigen Machthaber in
Islamabad beurteilen lassen an echten Fortschritten im de-
mokratischen Transformationsprozess und an tatsächlich
eingeleiteten und verifizierbaren ökonomischen und so-
zialen Reformen.
In den letzten Monaten gab es zunehmende Zweifel an
der Reformfähigkeit und -willigkeit des pakistanischen
Militärregimes, die auch heute noch längst nicht
ausgeräumt sind. Jedoch lassen mich Gespräche mit
Pakistanexperten, die gerade das Land mehrere Wochen
besucht haben, zu einer freundlicheren Beurteilung
kommen.
Nach wie vor gilt die Militärregierung für die meisten
Menschen, gesellschaftlichen Gruppen, ausländischen
Politiker und die Wirtschaft in Pakistan als Hoffnungsträ-
ger – allerdings mit mittlerweile stark reduzierten Erwar-
tungen.
Ich sagte es bereits: Die Kommunalwahlen werden
Ende Juli dieses Jahres abgeschlossen sein. Was fehlt,
sind gesetzliche Regelungen, die den Gemeinden die Fi-
nanzeinnahmen garantieren, die sie zur Bewältigung ihrer
Aufgaben benötigen. Was fehlt, sind gesetzliche Rege-
lungen, die eine klare Aufgaben- und Kompetenzvertei-
lung zwischen Zentralstaat, den Provinzen und den Ge-
meinden treffen. Bei meinem Besuch vor einem Jahr war
es erklärter Wille der Militärregierung, den demokrati-
schen Transformationsprozess vom „Grass-root-level“ an
aufzubauen. Das mag so für die kommunale Ebene ohne
die organisierte Beteiligung der Parteien funktionieren,
weil es Tradition in Pakistan hat. Es wird aber für die Pro-
vinzebene ohne die Beteiligung der Parteien nach Mei-
nung der Experten nicht funktionieren. Deshalb müssen
die Parteien, insbesondere die PML und die PPP, endlich
die längst überfälligen personellen und inhaltlichen Er-
neuerungen an Haupt und Gliedern vornehmen. Sie dür-
fen sich auch im Vorfeld zur Übergabe der Macht an eine
demokratisch gewählte Regierung nicht der Mitarbeit an
der Lösung der wichtigsten Probleme verweigern. Dazu
gehören sowohl die Installation eines funktionierenden
Steuersystems als auch die Durchsetzung der Steuerzah-
lungen. Dazu gehört auch die von der Regierung einge-
leitete „Documentation of Economy“, die den Händlern
und Wirtschaftseinrichtungen eine nachprüfbare Doku-
mentation ihrer Wirtschaftstätigkeit auferlegt. Die
Bekämpfung der Korruption und der Kriminalität war ein
erklärtes Hauptziel nach dem Putsch von Musharraf. Die
Abschiebung seines Amtsvorgängers Nawaz Sharif nach
Saudi-Arabien sowie das Fehlen weiterer Anklagen und
Prozesse gegen der Korruption Verdächtige lassen an dem
Durchsetzungswillen der Regierung in diesem Punkte
zweifeln.
Die auch von der Weltbank anerkannte Verbesserung
der wirtschaftlichen Situation in Pakistan darf nicht dazu
führen, die Bestrebungen um die Sanierung des Staats-
haushaltes zu verringern. Vor allem müssten die enormen
Militärausgaben verringert werden – und nicht die Bil-
dungsausgaben und Sozialausgaben, die gerade um rund
10 Prozent gekürzt wurden.
Chief Executive Musharraf sollte nicht dem Einfluss
feudaler Clans oder zentralistisch denkender Militärs er-
liegen und die Stellung der Provinzen schwächen. Ein de-
mokratischer Staat wird durch dezentrale Strukturen eher
gestärkt. Dazu bedarf es einer gesetzlichen Nachfolgere-
gelung für die in der Verfassung von 1973 auf die Dauer
von 20 Jahren festgelegte „Concurrent list“, die keine
klare Aufgaben- und Kompetenzenteilung zwischen Zen-
tralstaat und Provinzen beinhaltet. Die Regierung sollte
den Mut besitzen, der Forderung der „Human Right Com-
mission“ zu entsprechen und die Verfassung von 1973 re-
aktivieren.
Pakistan braucht ausländische Unterstützung beim
wirtschaftlichen Aufbau und für die Herstellung eines
besseren Lebensstandards der Menschen. Und es braucht
Unterstützung bei der Herstellung von Rechtsstaatlichkeit
und einer vergrößerten Teilhabe der Menschen an den po-
litischen und gesellschaftlichen Entscheidungen des Lan-
des. Dafür muss die Isolation Pakistans aufgehoben wer-
den. Es ist richtig, diesem Land für eine Beteiligung des
Westens an seiner Entwicklung eigene Leistungen abzu-
fordern. Aber wir dürfen auch nicht die Geschichte und
das Umfeld Pakistans außer Acht lassen und unangemes-
sene Maßstäbe anlegen. Der Antrag versucht, hier die Ba-
lance zu wahren. Er will die Bundesregierung ermutigen,
gemeinsam mit unseren Partnern Pakistan eine Perspek-
tive im Rahmen der internationalen Gemeinschaft zu
bieten.
Dr. Werner Hoyer (F.D.P.): Dass wir hier in einer
überaus kurzen Debatte über die Haltung des Bundestages
zu der Militärregierung in Pakistan diskutieren, wird der
Brisanz des Themas nur bedingt gerecht. Denn wenn wir
über Maßnahmen zur Förderung der politischen Stabilität
in Pakistan sprechen, dann reden wir nicht über eine x-be-
liebige entwicklungspolitische Maßnahme. Wir alle wis-
sen, dass von der Stabilität Pakistans letztendlich die Sta-
bilität des gesamten Subkontinents mit abhängt.
Dass sich der Kaschmir-Konflikt zwischen Pakistan
und Indien auf einem Fundament aus politischer Instabi-
lität und religiösem Fanatismus abspielt und dass die
Proliferationsrisiken für höchstbrisante Massenvernich-
tungswaffen wohl nirgendwo auf der Welt so besorgniser-
regend sind wie in dieser Region inhärenter Instabilität,
macht diesen Teil der Welt zu einem Pulverfass. Aus die-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16713
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sem Grunde kann unsere eigene Aufmerksamkeit und die
Aufmerksamkeit der Bundesregierung für die dortigen
Entwicklungen meines Erachtens nicht groß genug sein.
Die seit 1999 von General Musharraf geführte Militär-
regierung in Pakistan unterschied sich ja zunächst einmal
durchaus von dem, was wir gemeinhin von Militärregie-
rungen her kennen und erwarten. Die von General
Musharraf signalisierte Bereitschaft, bis 2002 die Macht
an eine gewählte Regierung zurückzugeben, die angekün-
digten Programme zur Wiederbelebung der Wirtschaft,
Aufdeckung und Ahndung der Korruption, Demokratisie-
rung und Dezentralisierung von Staats- und Verwaltungs-
strukturen sowie die Förderung von Sozial- und Bil-
dungsprogrammen gaben ja auch Anlass zu ein wenig
Hoffnung. Die mehr als 900 vom pakistanischen Fernse-
hen und Rundfunk im letzten Jahr ausgestrahlten Men-
schenrechtssendungen und die Durchführung erster Men-
schenrechtsseminare für Lehrerinnen und Lehrer waren
positive Signale, dass es sich bei den Ankündigungen
Musharrafs nicht nur um Lippenbekenntnisse handeln
könnte.
Aber der Blick auf den Stand der Umsetzung dieser
Vorhaben zeigt, dass Pakistan trotz dieser ermutigenden
Ansätze noch ganz am Anfang eines langen Weges steht.
Wir alle wissen, dass Pakistan alles andere als ein Men-
schenrechtsparadies ist. Die Situation der mehr als 2 Mil-
lionen afghanischer Flüchtlinge, die weitere Verfolgung
religiöser Minderheiten aufgrund eines überaus proble-
matischen Blasphemieparagraphen und die weiterhin be-
drückende Situation der Frauen in Pakistan sprechen eine
deutliche Sprache. Die Gefahr, nach den ersten Schritten
auf dem eingeschlagenen Weg stehen zu bleiben, ist über-
aus groß und darf von uns nicht übersehen werden.
Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die
Machtübernahme durch das Militär zunächst von weiten
Teilen der Bevölkerung als ein willkommener Versuch ge-
wertet wurde, den Verfall von Recht und Ordnung zu stop-
pen und die dringendsten wirtschaftlichen und sozialen
Probleme des Landes zu lösen. Anderthalb Jahre nach
dem Militärputsch zeigt sich jedoch, dass die von
Musharraf angekündigten Reformen für die Wiederbele-
bung der Wirtschaft, die Beendigung der Korruption und
für die Demokratisierung und Dezentralisierung von Staat
und Verwaltung bisher nur schleppend in Angriff genom-
men wurden.
Daneben mehren sich die Anzeichen, dass die von ihm
durchgeführten Kommunalwahlen in erster Linie darauf
abzielten, die traditionellen politischen Eliten aus den
Machtstrukturen zu verdrängen und eigene Gefolgsleute
zu mobilisieren. Die Festnahme von mehr als 1 600 Op-
positionellen in den letzten Wochen hat unter anderem das
Europaparlament in Straßburg veranlasst, die sofortige
Freilassung aller politischen Häftlinge zu fordern. Dieser
Forderung sollte sich der Deutsche Bundestag anschlie-
ßen.
Zu Recht fordert Musharraf, die fundamentalistischen
Parteien besser zu kontrollieren. Auch in diesem Punkt
verdient er Unterstützung. Den Taliban in Afghanistan,
die außer Rauschgift auch ihre Ideologien nach Pakistan
exportieren, will er freilich die Freundschaft nicht kündi-
gen. Im Gegenteil: Gegenüber der Weltöffentlichkeit tritt
Pakistan zunehmend als Anwalt der Taliban auf, die sich
über die pakistanische Grenze mit Waffen und Nachschub
versorgen. Es ist daher richtig, dass mit dem Antrag die
Einstellung der militärischen und logistischen Unterstüt-
zung der Taliban gefordert wird. Dies und die vollständige
Umsetzung der Resolution 1333 des UN-Sicherheitsrats,
die jede militärische und logistische Unterstützung der
Taliban in Afghanistan untersagt, sollte ebenso zur Vo-
raussetzung für die Durchführung entwicklungspoliti-
scher Hilfsmaßnahmen gemacht werden wie die Verhin-
derung der Infiltration von Militanten über die „Line of
Control“ in Kaschmir.
Der vorliegende interfraktionelle Antrag ist das Ergeb-
nis langer Beratungen, in deren Verlauf die F.D.P.-Bun-
destagsfraktion darauf gedrängt hat, das Musharraf-Re-
gime nicht mit Vorschusslorbeeren auszustatten, sondern
die zügige und vollständige Wiederherstellung eines
funktionsfähigen demokratischen Staatswesens in Pakis-
tan zu fördern. Bis zur an sich dringend erforderlichen und
wünschenswerten Vertiefung der Beziehungen zu Pakis-
tan ist es aber noch ein weiter und schwieriger Weg. Es ist
zu hoffen, dass es mit diesem interfraktionellen Antrag
gelingen kann, einen kleinen internationalen Beitrag zum
Fortschritt zu leisten.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung
– des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ei-
genheimzulagengesetzes (EigZulG)
– der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem
Antrag: UMTS-Milliarden für Entlastung von Alt-
schulden auf dauerhaft leer stehenden Wohnraum
– der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem
Antrag: Sofortmaßnahmen zur Sicherung der
Existenz von Wohnungsgenossenschaften aus
Treuhandliegenschaftsbeständen in den neuen
Bundesländern
– der Beschlssempfehlung und des Berichts zu dem
Antrag: Herabsetzung der Grundsteuer bei struk-
turellem Mietwohnungsleerstand
– des Antrages: Dranske retten – der Gemeinde eine
Perspektive geben
– des Antrages: Maßnahme-Programm zum woh-
nungswirtschaftlichen Strukturwandel in den
neuen Ländern
(Tagesordnungspunkt 13 a bis e und Zusatztagesord-
nungspunkt 7)
Dr. Peter Danckert (SPD): Die hier zu beratenden
Gesetzentwürfe und Anträge der PDS sind alle dem The-
menkreis der Wohnungs- und Bauwirtschaft in den neuen
Ländern zuzuordnen: Damit sprechen wir heute erneut
über den Wohnungsleerstand Ost, wobei meiner Ansicht
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116714
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nach über dieses Thema gar nicht oft und intensiv genug
gesprochen werden kann. Trotz zahlreicher und erfolgrei-
cher Ansätze der neuen Bundesregierung ist deutlich ge-
worden, dass es für das Problem des Wohnungsleerstan-
des Ost keine Generallösung gibt. Auch die PDS bietet
keine finanzierbaren Lösungsvorschläge. Anlässlich der
ersten Beratung am 27. Oktober 2000 hat Frau Kollegin
Ostrowski die Defizite ihrer Vorschläge bereits einge-
räumt.
Zu den verschiedenen Anträgen:
Erstens. Mit Ihrem Entwurf zur Änderung des Eigen-
heimzulagengesetzes widersprechen Sie Sinn und Zweck
des Gesetzes, mit dem eine verstärkte Förderung der so
genannten Schwellenhaushalte und dabei vorrangig der
Familien mit Kindern beabsichtigt ist. Über das Eigen-
heimzulagengesetz wird dabei die Herstellung, die An-
schaffung oder Ausbauten und Erweiterungen an einer Ei-
gentumswohnung bzw. an einer Wohnung im eigenen
Haus gefördert, sofern der Anspruchsberechtigte die Woh-
nung zu eigenen Wohnzwecken nutzt. Werden Genossen-
schaftsanteile erworben, bestimmt § 17 EigZulG, dass die
Mitglieder Anteile in Höhe von mindestens 10 000 DM an
einer eigentumsorientierten Genossenschaft zeichnen
müssen. Die Förderung bezieht sich demnach nur auf
selbstgenutztes Wohneigentum und auf Anteile an eigen-
tumsorientierten Wohnungsgenossenschaften.
Die PDS möchte sich von diesem Grundsatz lösen und
mit der Aufnahme eines neuen § 17 a EigZu1G die För-
derung auch auf den Anteilserwerb für bestehende, nicht
eigentumsorientierte Wohnungsgenossenschaften erwei-
tern sowie die Mindesthöhe des Genossenschaftsanteils
als Bedingung für die Gewährung der Zulage entfallen
lassen. Nach dem Willen der PDS würde es den beste-
henden Genossenschaften leichter fallen, neue Mitglieder
und finanzielle Mittel für Investitionen in den Bestand zu
gewinnen. Breitere Bevölkerungsschichten würden sich
an genossenschaftlichem Wohnungseigentum beteiligen
und die Genossenschaften könnten ihre Bestände einfa-
cher halten.
Aber dieser erweiterte Fördertatbestand wäre system-
widrig, denn Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, was in
§ 2 EigZulG auch deutlich zum Ausdruck kommt, dass
nur Eigentum und damit auch nur Anteile an eigen-
tumsorientierten Wohnungsgenossenschaften gefördert
werden. Auch die Fraktion der CDU/CSU hat im feder-
führenden Finanzausschuss erkannt, dass das Ziel des Ei-
genheimzulagengesetzes die Schaffung von Wohneigen-
tum sei. Diese Gedankenleistung der CDU/CSU wird nur
dadurch getrübt, dass dem zusätzlich erhobenen Vorwurf
der fehlenden Eigenheimorientierung nicht zugestimmt
werden kann. Denn, wie gerade gezeigt, das Eigen-
heimzulagengesetz fördert nicht nur Eigenheime, sondern
eben über § 17 EigZulG auch Anteile an eigentumsorien-
tierten Wohnungsgenossenschaften.
Natürlich sollen in der Sache nicht nur die eigentums-
orientierten, sondern auch die nicht eingentumsorientier-
ten Genossenschaften gestärkt und unterstützt werden,
nur bitte nicht regelwidrig über das Eigenheimzulagenge-
setz, sondern über die Altschuldenhilfe, womit wir beim
nächsten Punkt wären:
Zweitens. Am 1. September 2000 ist die Novelle zum
Altschuldenhilfegesetz in Kraft getreten. Auf Initiative
der SPD-Fraktion wurde in die Novelle eine „Härtefallre-
gelung“ in Form des § 6 a AHG aufgenommen. Danach
erhalten diejenigen Wohnungsunternehmen, die infolge
erheblichen dauerhaften Leerstandes in ihrer wirtschaftli-
chen Existenz gefährdet sind, zusätzliche Entlastungen,
und zwar unabhängig, ob sie Zinsbeihilfe oder Teilentlas-
tung in Anspruch genommen haben.
Dass mit der Härtefallregelung das Problem des struk-
turellen Wohnungsleerstandes nicht umfassend gelöst
werden kann, liegt an den vielseitigen Ursachen: Rück-
gang der Geburtenrate, hohe Arbeitslosigkeit und Wegzug
in wirtschaftsstärkere Regionen führen zu sinkender
Wohnraumnachfrage in den ohnehin strukturschwachen
Gebieten. Mit dem einseitigen Antrag der PDS, aus den
Erlösen der Versteigerung der Mobilfunklizenzen einen
Betrag von 3 Milliarden DM für die Entlastung von Alt-
schulden auf dauerhaft leer stehenden Wohnraum in
strukturschwachen Gebieten zu verwenden, kann dieses
vielschichtiges Problem jedenfalls nicht gelöst werden,
und zwar aus einem einfachen Grund:
Die Erlöse in Höhe von 99,4 Milliarden DM aus der
Versteigerung sind bereits komplett in die Schuldentil-
gung des Staatshaushaltes geflossen, um den Haushalt
nachhaltig zu konsolidieren und den Sparkurs der Bun-
desregierung mit entschlossenem, konkreten Handeln zu
verfestigen. Die Mittel sind also schon ausgegeben wor-
den, eine mehrfache Verwendung ist nicht möglich; des-
halb hat der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungs-
wesen gegen die Stimmen der PDS zu Recht beschlossen,
den Antrag abzulehnen. Neue oder gar bessere Argumente
hat die PDS nicht vorgetragen.
Drittens. Diese direkten Finanzierungskompetenzen
über das Altschuldenhilfegesetz stehen dem Bund hin-
sichtlich der TLG-Genossenschaften nicht zu, wobei wir
schon beim dritten PDS-Antrag wären. Eine Analogie zu
den Bestandsunternehmen im Sinne des Altschuldenhilfe-
gesetzes verbietet sich, denn bei den TLG-Genossenschaf-
ten handelt es sich nicht um so genannte Bestandsunter-
nehmen, sondern um neu gegründete Unternehmen, die
Kaufpreise auf Grundlage abgestimmter Bewertungen ak-
zeptiert haben. Entlastungen nach dem Altschuldenhilfe-
gesetz müssen deshalb ausscheiden.
Zudem hat die TLG bereits verschiedene Maßnahmen
zur Unterstützung ergriffen. Nach einer einberufenen Ge-
sprächsrunde im Bundeskanzleramt hat die TLG den zehn
Genossenschaften angeboten, durch die Firma „bonkon-
sult“ eine einzelfallbezogene und kostenlose betriebswirt-
schaftliche Beratung durchführen zu lassen. Dieses Ange-
bot haben – und ich weiß nicht warum – nur fünf
TLG-Genossenschaften angenommen, denen allen gutes
Management bescheinigt wurde.
Ferner empfiehlt die Kommission den TLG-Genossen-
schaften einzelfallbezogene Vertragsnachverhandlungen
mit der TLG, um so eine Verbesserung der wirtschaftli-
chen Situation zu erreichen. Nach meinen Kenntnissen ist
die TLG bereit, wie bisher über offene Forderungen Stun-
dungsvereinbarungen zu treffen oder über Zinszahlungen
Nachverhandlungen zu führen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16715
(C)
(D)
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(B)
Der Antrag der PDS mit den angedeuteten Soforthilfen
schießt somit weit über das Ziel hinaus. Bevor die von der
Lehmann-Grube-Kommission vorgeschlagenen Instru-
mentarien umgesetzt werden und möglicherweise auch
auf TLG-Genossenschaften Anwendung finden, müssen
Gespräche stattfinden. Diese Gespräche müssen nicht
zwingend unter der Leitung des Beauftragten der Bun-
desregierung für die Angelegenheiten der neuen Länder,
Staatsminister Rolf Schwanitz, stattfinden, wie es die
PDS in ihrem Antrag fordert. An diesen Gesprächen müs-
sen die Kommunen, die Wohnungsgenossenschaften und
vor allem die Bundesländer teilnehmen! Meiner Meinung
nach stehen hier auch die Länder in der Pflicht und in der
Verantwortung.
Viertens. Mit ihrem nächsten Antrag, die Grundsteuer
bei strukturellem Mietwohnungsleerstand herabzusetzen,
bemüht sich die PDS erneut und anerkennenswerterweise,
für die Fälle des strukturellen Mietwohnleerstandes eine
Lösung zu finden. Leider in alter Manier: systemfremd
und regelwidrig! Bisher kann nach § 33 Grundsteuerge-
setz die Grundsteuer auf Antrag bei der zuständigen Ge-
meinde in Höhe des Prozentsatzes erlassen werden, der
vier Fünftel des Prozentsatzes der vom Steuerschuldner
nicht zu vertretenden Minderung des Mietertrages ent-
spricht. Ein Fünftel entfällt dabei bei bebauten Grund-
stücken auf Grund und Boden. So hat zum Beispiel bei
Wohnungen der Vermieter eine Minderung des normalen
Rohertrages grundsätzlich nicht zu vertreten, wenn er sich
in ortsüblicher Weise um deren Vermietung bemüht und
keine höhere als die marktübliche Miete vereinbart hat.
Die von der PDS geforderte volle prozentuale Minderung
der Grundsteuer wäre insoweit systemwidrig, da auch
Grund und Boden nicht mehr anteilig besteuert werden
würden. Der ähnlich lautende Vorschlag der Lehmann-
Grube-Kommission muss erst genauer untersucht wer-
den, denn die damit einhergehenden Grundsteuerminder-
einnahmen würden die Gemeinden treffen, denen ohnehin
aufgrund der Leerstandsproblematik besondere finanzi-
elle Belastungen aufgebürdet sind.
Fünftens. Mit dem fünften Antrag verfolgt die PDS das
Ziel, die Gemeinde Dranske auf Rügen finanziell zu un-
terstützen. Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten einge-
hen zu wollen, möchte ich vorab nur sagen, dass es mir
zweifelhaft erscheint, dem Bund eine umfassende Verant-
wortung für das wirtschaftliche Schicksal hinsichtlich der
an die Gemeinde Dranske verkauften Plattenbauten zu
übertragen, die sich allein aus seiner Verkäuferstellung
begründet. Aber ich denke, dass wir im Sinne von Frau
Kollegin Ostrowski diesen Antrag zunächst ausführlich
im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen be-
raten sollten, um dann zu einem sachgerechten Ergebnis
zu kommen.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass
Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam die Verantwor-
tung für eine notwendige Veränderung und Verbesserung
der äußerst problematischen Situation tragen. Es gilt, Ab-
wanderung zu stoppen, strukturelle Wohnungsleerstände
zu beseitigen und einen innovativen Stadtumbau einzulei-
ten. Deswegen müssen wir auch gemeinsam tragfähige
und stabile Strukturen im Bereich der Wohnungsbau- und
Städtebaupolitik entwickeln, denn diesen Bereichen
kommt eine ganz zentrale Rolle bei der persönlichen Le-
bensgestaltung eines jeden von uns zu.
Neben dem finanziellen Engagement der Länder ist
auch seitens des Bundes weitere Unterstützung dringend
notwendig. Deshalb begrüße ich es besonders, dass im
Rahmen der Gespräche um die Weiterführung des Soli-
darpaktes II sowie der Roundtablegespräche des Kanzlers
mit den Ministerpräsidenten das Thema struktureller
Wohnungsleerstand aktiver diskutiert und bereits nach
weiteren finanziellen Lösungen gesucht wird. Denn es
geht nicht nur um eine positive Zukunft der Städte und
Wohngebiete, sondern um eine lebenswerte Zukunft der
hier lebenden Menschen!
Norbert Otto (Erfurt) (CDU/CSU): Die von der PDS
angesprochene Problematik wird von meiner Fraktion
grundsätzlich erkannt. Rund eine Million leer stehende
Wohnungen – im Übrigen zu erheblichen Teilen eine Alt-
last von vierzig Jahren verfehlter Wohnungsbaupolitik der
DDR – sind ein großes Problem in den neuen Ländern.
Ihre Vorschläge, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der PDS, bringen uns an dieser Stelle aber sicherlich nicht
weiter. Wir können das getrost als Schaufensterantrag ver-
buchen.
Ich kann hier aber nicht verschweigen, dass die heutige
Situation auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt die
Folge von nicht eingehaltenen Versprechungen der
Bundesregierung ist. Schröder und damals noch Herr
Lafontaine sind ja bekanntlich 1998 mit dem Ziel ange-
treten, gerade in den neuen Ländern Arbeitsplätze in er-
heblichen Größenordnungen zu schaffen. Leider lässt der
große Wurf noch auf sich warten. Die Chefsache Ost kann
ich hier beim besten Willen nicht erkennen. Die Kanzler-
versprechungen scheinen mir so leer zu sein wie die Plat-
tenbauten in Dranske, mit denen wir uns heute ja auch be-
schäftigen. Der Verbleib der Menschen in Mecklenburg
oder in Thüringen oder in einem anderen östlichen Bun-
desland – und damit natürlich auch der Bedarf an Wohn-
raum – kann nur mit der Schaffung von mehr Arbeit
schmackhaft gemacht werden. Die zunehmende Abwan-
derung von Ost nach West muss ein Ende haben.
Nun zum Eigenheimzulagengesetz: Ich kann ja verste-
hen, dass die Kolleginnen und Kollegen von der PDS ihre
Klientel in Wohnungsbaugenossenschaften bedienen wol-
len, doch ihr Vorschlag geht nun völlig an der Sache vor-
bei, denn eine Förderung von nicht eigentumsorientierten
Anteilen widerspricht der grundsätzlichen Intention der
Eigenheimzulage.
Wie Sie sicher wissen, hat sich der Deutsche Städtetag
mit dem Thema Eigenheimzulage beschäftigt und fordert
die Einfügung einer Regionalisierungskomponente. Wir
warnen in diesem Zusammenhang vor solchen Bestre-
bungen. Eine Ungleichbehandlung von Stadt und Land
oder Ost und West kann nicht in unserem Sinne sein! Ge-
rade in Ostdeutschland besteht ein erheblicher Nachhol-
bedarf im Eigenheimbereich. Diesem müssen wir nach-
kommen, wollen wir Alternativen zur Abwanderung
bieten. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Häusle-
bauer von der Stadt aufs Land ziehen, nicht zuletzt um den
hohen Bauauflagen und den durch die Städte künstlich
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116716
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hochgeschraubten Grundstückspreisen zu entkommen.
Unser Vorschlag: vereinfachte Bedingungen für städti-
sches Bauen und mehr Ausweisung von Bauland in den
Städten anstatt Regionalisierung der Eigenheimzulage,
die verständlicherweise auch vom Landkreistag abgelehnt
wird.
Das beliebte Spiel mit den UMTS-Milliarden an dieser
Stelle noch einmal mitzuspielen ist müßig und ist nur ein
Symbol für den Populismus, den wir von der PDS zur
Genüge kennen. Für den Bereich der Altschuldenhilfe se-
hen wir die klare Notwendigkeit für weitere Entlastungen
der ostdeutschen Wohnungsunternehmen. Über die 15-
Prozent-Klausel muss dringend gesprochen werden.
Was die Sofortmaßnahmen für existenzbedrohte Woh-
nungsbaugenossenschaften aus TLG-Beständen betrifft,
so sind wir uns mit der Bundesregierung einig, dass hier
nur im Einklang mit Ländern und Kommunen weiterge-
holfen werden kann. Es handelt sich in diesem Falle nicht
um den klassischen Altschuldenhilfebereich oder den
Erblastentilgungsfonds betreffende Fälle, sondern um pri-
vatrechtliche Geschäfte, die nach Vollendung der deut-
schen Einheit abgeschlossen wurden. Im Sinne der An-
teilseigner ist die Bund-Länder-Arbeitsgruppe aber
aufgefordert, zu schnellen Lösungen zu kommen. Aller-
dings warne ich vor einer generellen Änderung, denn
in diesem Falle stehen demnächst möglicherweise eine
Vielzahl von Zwischenerwerbern vor der Tür, die sich aus
heutiger Sicht bei der Kaufpreisbildung verkalkuliert
haben.
Zum Thema der Herabsetzung der Grundsteuer bei
Leerstand: Es wäre zu einfach, von Bundesseite etwas zu
fordern und die Zeche von den Ländern und den Kom-
munen zahlen zu lassen, die die Grundsteuer einnehmen.
Ich empfehle Ihnen, dies doch einmal mit Kommunalpo-
litikern in Ihren Wahlkreisen zu besprechen. Viel Spaß da-
bei! Natürlich ist auch fraglich, ob durch solche Maßnah-
men überhaupt Anreize zum Rückbau geschaffen werden.
In Zusammenhang mit der Grundsteuerdebatte sollten
vom Bund angesichts der Reformbestrebungen in den
Ländern keine vorgreifenden Entscheidungen getroffen
werden.
Abschließend zu Dranske: Meine Damen und Herren,
man muss sich schon wundern, was den Kollegen von der
PDS manchmal einfällt. Da sind sie nun schon einmal
– oder soll man sagen, noch? – in einem Bundesland an
der Macht und dann rufen sie den Bund um Hilfe. Da
könnte doch der Kanzler nach Holzmann-Art eingreifen!
Den sollten Sie mal fragen! Im Ernst: Es kann doch nicht
angehen, den Bund bei jedem Einzelfall zu Hilfe zu rufen
und auch noch auf zusätzliches Geld zu hoffen. Dieses
Problem sollten die Genossen in Schwerin lieber unter
sich klären. Wir sind gespannt!
Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die PDS gibt dem Deutschen Bundestag
heute anhand zahlreicher Anträge Gelegenheit, ein weite-
res Mal über die wachsenden Leerstandsprobleme in Ost-
deutschland zu debattieren, und ich will mich in meinem
Redebeitrag auf eben diese Anträge konzentrieren.
In der Drucksache 14/6051 fordert die PDS die Bun-
desregierung auf, unverzüglich ein Maßnahmeprogramm
zur Umsetzung der Vorschläge der Expertenkommission
„Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen
Ländern“ vorzulegen. Mit der Einsetzung eben dieser
Expertenkommission hat die Bundesregierung einen
wichtigen Beitrag in der Analyse geleistet und hat beden-
kenswerte Vorschläge zur Problemlösung entgegenge-
nommen, die nun in einer Arbeitsgruppe intensiv und
sorgfältig geprüft werden. Mit der Novellierung des Alt-
schuldenhilfegesetzes und der Härtefallregelung in § 6 hat
die rot-grüne Bundesregierung einen wichtigen Beitrag
zur Entlastung der besonders von Leerstand betroffenen
Wohnungsunternehmen geleistet. Jetzt ist es an der Zeit,
dass die betroffenen Kommunen mit neuen städtebauli-
chen und raumordnerischen Leitbildern ihren Beitrag
leisten, um den Strukturwandel zu meistern. Dazu gehö-
ren auch Bedarfsentwicklungspläne, damit nicht wie in
der Vergangenheit am Bedarf vorbei investiert wird. Es
wäre schön zu sehen, dass insbesondere PDS-regierte
Kommunen hier eine Vorreiterrolle übernehmen würden.
Ich sage aber auch ganz deutlich, dass ich von der Bun-
desregierung erwarte, dass sie die vom Bundeskanzler
angekündigte weitere Hilfestelle bald zur Verfügung
stellt.
Die PDS fordert in der Drucksache 14/4350, 3 Milli-
arden DM aus den Erlösen der Versteigerung der
Mobilfunklizenzen für die Entlastung von Wohnungsun-
ternehmen einzusetzen. Tatsächlich sind Wohnungsunter-
nehmen, die über größere Leerstände verfügen und
gleichzeitig mit Altschulden belastet sind, in einer äußerst
schwierigen Situation. Dass wir diese Probleme ernst neh-
men, haben wir mit der Novellierung des Altschuldenhil-
fegesetzes und insbesondere mit der Verordnung § 6 a
AHG unter Beweis gestellt. Mit dieser Härtefallregel sol-
len Zuschüsse zur Tilgung der Altschulden gewährt wer-
den, wenn das Wohnungsunternehmen durch dauerhaften
Leerstand in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet
ist. Dafür stellt die Bundesregierung 700 Millionen DM
per Verpflichtungsrahmen zur Verfügung. Bevor wir also
wieder nach mehr Geld rufen, sollten wir zunächst einmal
die Erfahrungen mit dem novellierten Altschuldenhilfe-
gesetz abwarten. Wir erwarten aber auch von der Bundes-
regierung, dass der Verpflichtungsrahmen nunmehr fest in
den Haushalt eingestellt wird und die mit der Abwicklung
beauftragte KfW endlich die versprochenen Vordrucke
ausgibt, die tatsächlich eine effektive Bearbeitung ermög-
lichen sollen.
In der Drucksache 14/4011 fordert die PDS Sofort-
maßnahmen zur Existenzsicherung von Wohnungsgenos-
senschaften aus Treuhandliegenschaftsbeständen in den
neuen Bundesländern. Es handelt sich um zehn zwischen
1993 und 1996 gegründete TLG-Genossenschaften, deren
wirtschaftliche Situation ohne Zweifel sehr schwierig ist.
Sie wurden zur Privatisierung von Werkswohnungsbe-
ständen ehemals volkseigener Betriebe überwiegend in
den Regionen gegründet, die heute am stärksten mit Be-
völkerungsrückgang und Leerständen zu kämpfen haben.
Wenn Sie aber die Bundesregierung wieder zu finanziel-
len Leistungen auffordern, richtet sich Ihre Forderung an
den falschen Adressaten. Eventuelle Hilfsmaßnahmen
sind zunächst mal Sache der TLG, die ja auch bereits
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 2001 16717
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(B)
verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung ergriffen
hat. Beispielsweise stundet die TLG offene Forderungen
und verzichtet teilweise auf Nutzungs- oder Verzugszin-
sen.
In der Drucksache 14/4010 fordert die PDS schließlich
die Herabsetzung der Grundsteuer bei strukturellem Woh-
nungsleerstand. Ich bedaure an dieser Stelle, dass die PDS
offensichtlich nicht bereit ist, die Wirkungen des refor-
mierten Altschuldenhilfegesetzes und damit der weit rei-
chenden finanziellen Entlastung der betroffenen Woh-
nungsunternehmen abzuwarten und auf dieser Grundlage
über weiter reichende Forderungen nachzudenken. Statt-
dessen formulieren Sie einseitig Anforderungen an den
Bund. Die Gemeinden sollten aber erst einmal die gel-
tende Regelung zur Grundsteuerminderung nutzen. Erst
dann sollte geprüft werden, ob und welchen weiteren
Handlungsbedarf es gibt.
Zu guter Letzt fordern Sie auch noch Bundesregierung
und Parlament auf, die Gemeinde Dranske vor dem Un-
tergang zu retten. Ich will gar nicht die strukturellen Pro-
bleme dieser Gemeinde bagatellisieren, frage mich aber
doch, ob nicht zuerst das von der PDS mitregierte Meck-
lenburg-Vorpommern hier bei der Problemlösung gefor-
dert ist oder doch eher überfordert? Ich glaube nicht, dass
eine Parlamentsberatung der Gemeinde Dranske wirklich
weiter hilft. Ich möchte anregen, dass Ihr Minister Holter
sich der Sache annimmt und die Initiative zu Nachver-
handlungen mit der Oberfinanzdirektion ergreift. Damit
könnte die PDS auch beweisen, dass sie nicht nur an der
Darstellung von Problemen interessiert ist, sondern auch
einen Beitrag zur Lösung leistet.
Dr. Karlheinz Guttmacher (F.D.P.): In der Beurtei-
lung der Wohnungspolitik für die neuen Bundesländer
stimmt die F.D.P. der PDS in zwei Punkten zu: Erstens.
Die unternehmerische Wohnungswirtschaft befindet sich
in einer existenzbedrohenden strukturellen Krise. Zwei-
tens. Die Maßnahmen der Bundesregierung reichen zur
Bewältigung dieser Krise nicht aus. In der heutigen De-
batte fällt der Bundesregierung erneut zu Recht auf die
Füße, dass sie ihre Wohnungspolitik in Bezug auf die
neuen Bundesländer ganz einseitig auf ein Teilsegment
ausgerichtet hat. Das sind die kommunalen Wohnungsbe-
stände und die Genossenschaften, die von den geplanten
zusätzlichen Entlastungen nach der Altschuldenhilfever-
ordnung profitieren. Die Wohnungsgesellschaften aus
Treuhandliegenschaftsbeständen – TLG – bilden eine be-
sondere Spezies am Wohnungsmarkt der neuen Bundes-
länder.
Unverschuldet besteht bei diesen Wohnungsunterneh-
men ein struktureller Leerstand, der bei über 10 Prozent
des Wohnungsbestandes liegt. Wie im Beispiel „Dranske“
muss die Kommune mit 53 Prozent strukturellem Leer-
stand der Wohnungen umgehen. Da für jede leer stehende
Wohnung aber die anstehenden Nebenkosten gezahlt wer-
den müssen, ist der Bankrott der Kommune „Dranske“
vorprogrammiert.
Die F.D.P.-Bundestagsfraktion fordert die Bundesre-
gierung auf, aus der einseitigen Ausrichtung ihrer Woh-
nungspolitik Konsequenzen zu ziehen und endlich ein
wohnungspolitisches Konzept für den Wohnungsmarkt in
den neuen Bundesländern vorzulegen, das alle am Woh-
nungsmarkt Beteiligten gleichermaßen berücksichtigt.
Die unternehmerische Wohnungswirtschaft und die
privaten Haus- und Grundeigentümer müssen in die Lage
versetzt werden, differenzierte und auf den jeweiligen lo-
kalen Markt abgestellte Entscheidungen zur Bewältigung
des Strukturwandels sowie zur Beseitigung der Leer-
stände zu treffen. Die Wohnungswirtschaft Ost braucht
eine Strukturhilfe. Die Altschulden für dauerhaft leer ste-
hende Wohnungen oberhalb von 5 Prozent des Bestandes
müssen bei Vorlage eines wohnungswirtschaftlichen
Konzeptes in Abstimmung mit der Kommune zulasten
des Erblastentilgungsfonds gestrichen werden, wenn das
Unternehmen den Leerstand nicht zu vertreten hat. Zur
Strukturbereinigung in der Wohnungswirtschaft muss ein
Strukturprogramm über drei Jahre aufgelegt werden, das
mit 1 Milliarde DM aus dem Erblastentilgungsfonds do-
tiert wird und auch die Finanzierung des Abrisses ein-
schließt.
Das Wohnungsmodernisierungsprogramm der KfW
wird für strukturverbessernde Maßnahmen im Wohn-
umfeld im Zusammenhang mit einem städtebaulichen
Konzept der Kommune geöffnet.
Die Städtebaufördermittel des Bundes und der Länder
sowie das Programm „Die soziale Stadt“ werden mit ei-
nem Schwerpunkt zur Wohnumweltverbesserung und
-gestaltung versehen. In der Fiskalpolitik müssen Sonder-
regelungen zur Erleichterung des Strukturwandels geprüft
werden, wie zum Beispiel die befristete Befreiung von der
Grunderwerbsteuer bei Verkäufen, die der Strukturberei-
nigung dienen.
Wir benötigen endlich von der Bundesregierung ein in
sich schlüssiges Konzept. Anträge der PDS, die sich auf
Strukturhilfen in Bezug auf Einzelfälle in der Wohnungs-
wirtschaft beziehen, machen keinen Sinn.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 170. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Mai 200116718
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