Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001
        Volker Beck (Köln)
        16411
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        1) Anlage 5
        2) Anlage 6
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16413
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Adler, Brigitte SPD 10.05.2001
        Barthel (Berlin), SPD 10.05.2001
        Eckhardt
        Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 10.05.2001
        Marieluise DIE GRÜNEN
        Behrendt, Wolfgang SPD 10.05.2001*
        Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 10.05.2001**
        Bindig, Rudolf SPD 10.05.2001*
        Bohl, Friedrich CDU/CSU 10.05.2001
        Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 10.05.2001
        DIE GRÜNEN
        Friedrich (Altenburg), SPD 10.05.2001
        Peter
        Fuhrmann, Arne SPD 10.05.2001
        Geis, Norbert CDU/CSU 10.05.2001
        Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 10.05.2001
        Dr. Haussmann, F.D.P. 10.05.2001
        Hirche, Walter F.D.P. 10.05.2001
        Holetschek, Klaus CDU/CSU 10.05.2001
        Klappert, Marianne SPD 10.05.2001
        Kopp, Gudrun F.D.P. 10.05.2001
        Kramme, Anette SPD 10.05.2001
        Lamp, Helmut CDU/CSU 10.05.2001
        Leidinger, Robert SPD 10.05.2001
        Marquardt, Angela PDS 10.05.2001
        Müller (Berlin), PDS 10.05.2001
        Manfred
        Pfeifer, Anton CDU/CSU 10.05.2001
        Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 10.05.2001
        Raidel, Hans CDU/CSU 10.05.2001
        Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 10.05.2001
        Dr. Scheer, Hermann SPD 10.05.2001
        Schily, Otto SPD 10.05.2001
        Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 10.05.2001
        Hans Peter
        von Schmude, Michael CDU/CSU 10.05.2001
        Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 10.05.2001
        Schulz, Gerhard CDU/CSU 10.05.2001
        Dr. Schuster, R. SPD 10.05.2001
        Werner
        Dr. Spielmann, Margrit SPD 10.05.2001
        Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 10.05.2001
        Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 10.05.2001
        Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 10.05.2001
        DIE GRÜNEN
        Dr. Westerwelle, Guido F.D.P. 10.05.2001
        Wimmer (Karlsruhe), SPD 10.05.2001
        Brigitte
        Wistuba, Engelbert SPD 10.05.2001
        Wohlleben, Verena SPD 10.05.2001
        Zierer, Benno CDU/CSU 10.05.2001*
        Zöller, Wolfgang CDU/CSU 10.05.2001
        * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
        des Europarates
        ** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm-
        lung der NATO
        Anlage 2
        Zu Protokoll gegebene Rede
        zur Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
        desregierung und des Entschließungsantrages:
        Wohngeld- und Mietenbericht 1999 (Tagesord-
        nungspunkt 5)
        Christine Ostrowski (PDS): Das Fettnäpfchen kann
        ich mir aussuchen: Entweder ich rede zur Sache, zum Be-
        richt  dann bin ich nicht aktuell  oder ich rede über ak-
        tuelle Wohnungspolitik; dann spreche ich nicht zur Sache.
        Das Dilemma ist: Der Wohngeld- und Mietenbericht
        beschreibt die Jahre 1997 und 1998. Heute, im Mai 2001,
        steht er erst auf der Tagesordnung, zu einer Zeit, in der be-
        reits der nächste Wohngeld- und Mietenbericht vor der
        Tür steht. Diese Kluft von drei, vier Jahren, in denen sich
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        entschuldigt bis
        Abgeordnete(r) einschließlich
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Anlagen zum Stenographischen Bericht
        in der Wohnungspolitik vieles, zum Teil auch dramatisch,
        verändert hat, hat auch damit zu tun, dass zwischen Ein-
        bringung des Berichts und seiner heutigen Beratung über
        ein Jahr vergangen ist. Das muss man sich vorstellen. Ich
        kann nur hoffen, dass dieses Zögern nicht etwa Absicht
        war; sonst läge die Vermutung nahe, der späte Zeitpunkt
        wäre Ihnen deshalb recht, weil es jetzt so viel Erfreuli-
        ches darzustellen gibt.
        Denn in der Wohnungspolitik scheint alles Friede,
        Freude, Eierkuchen: entspannte Wohnungsmärkte; sanfte
        Mietanstiege bis ins vergangene Jahr, in dem der Anstieg
        der Mieten sogar erstmalig seit 20 Jahren unter den Le-
        benshaltungskosten lag. Der Anstieg der Wohnnebenkos-
        ten hat sich verlangsamt. Ein neues Wohngeldrecht ist in
        Kraft. Das Mietrecht ist durch. Die Reform des sozialen
        Wohnungsbaus ist eingebracht; sie klingt modern: nach
        Ökologie, sozialer Durchmischung, Innenstadtentwick-
        lung, Flexibilität. Selbst die Leerstandskrise Ost  im
        Bericht kaum thematisiert  scheint verbal gelöst zu wer-
        den. Durch die Medien schwirren Sonderprogramm
        Ost, 6 Kanzler-Milliarden, Solidarpakt II, Sanie-
        rungsprogramme Innenstädte Ost usw.
        Eherne wohnungspolitische Thesen, die noch vor vier,
        fünf Jahren die Debatten beherrschten  besonders von
        SPD und Grünen , sind jetzt aus dem Sprachgebrauch
        der Koalitionsfraktionen verschwunden, werden jetzt gar
        seitenverkehrt von CDU/CSU und F.D.P. geäußert. Bei-
        spielsweise Verstetigung des Wohnungsbaus, antizy-
        klisches Verhalten der Politik, Finanzierungsverant-
        wortung des Staates. Heute erwecken Sie den Eindruck,
        meine Damen und Herren der Koalition, als wären diese
        Grundsätze überholt. Ich glaube, da irren Sie.
        Es beunruhigt, dass Ihre langfristigen Weichenstellun-
        gen in der Wohnungspolitik durch die Augenblicksbrille
        getroffen zu werden scheinen. Dass zum Beispiel die
        Mietrechtsreform eine Jahrzehntereform ist, dazu bedarf
        es keines Beweises. Ihre dominierende Begründung für
        die 20-Prozent-Kappungsgrenze aber war, dass der Woh-
        nungsmarkt eine 30-prozentige Mieterhöhung sowieso
        nicht hergibt. Sie gingen also gedanklich von der mo-
        mentanen Situation eines entspannten Marktes aus. Sol-
        che Begründung haben Sie von mir nie gehört, obwohl
        auch wir für die Senkung der Kappungsgrenzen eingetre-
        ten sind. Unsere Begründung hieß: Den Preis eines Pro-
        duktes, gesetzlich sanktioniert, zu erhöhen, ohne an ihm
        etwas zu verbessern, ist nicht legitim. Und wenn man das
        dennoch tut, dann nutzt man die Sonderstellung des Gutes
        Wohnen aus, die bekanntlich dadurch gekennzeichnet ist,
        dass der Mensch wohnen muss und auf eine Wohnung
        nicht verzichten kann.
        Ein prägnantes Beispiel für Ihre Momentsicht ist auch
        Ihre andauernde Wiederholung, dass der Neubau von
        Wohnungen nahezu überflüssig sei. Drei Anmerkungen
        dazu: Erstens. Tatsächlich sind zwar so viel Mietwohnun-
        gen am Markt wie noch nie  den Osten in seiner Sonder-
        situation klammere ich hier bewusst aus , aber der Spa-
        tenstich für diese Wohnungen vollzog sich noch unter der
        alten Regierung. Das Fehl an Wohnungen  die Differenz
        zwischen Haushalten und Wohnungen  hat sich auf rund
        500 000 verringert. Was mit anderen Worten heißt, dass
        immer noch eine halbe Million Wohnungen fehlt.
        Zweitens. Die Zahl der Haushalte wird bis 2015 weiter
        ansteigen, was einen weiteren Bedarf bis dahin signali-
        siert.
        Drittens. Selbst wenn  theoretisch angenommen  die
        Zahl der Haushalte mit der Zahl der Wohnungen überein-
        stimmen würde  auch qualitativ , selbst wenn also jeder
        Haushalt nicht nur eine, sondern seine Wohnung hätte,
        käme man bei Strafe des Verfalls der Wohnungen nicht
        umhin, alljährlich den erforderlichen Erhaltungs- und Er-
        satzbau zu sichern. Welchen Umfang der hat, kann man
        leicht ausrechnen. Bei 38 Millionen Wohnungen ist das
        eben ein Umfang von 380 000 Wohnungen jedes Jahr.
        Und wenn man diesen Umfang nicht gewährleistet, ihn
        nicht finanziert, dann kommt es mit Sicherheit zum
        Stau, zu neuer Verknappung und zu ansteigenden Mie-
        ten. In Ballungsräumen wie München, Stuttgart, Düssel-
        dorf ist das bereits zu beobachten. Im Übrigen konstatiert
        der RDM aktuell erstmals nach sechs Jahren einen An-
        stieg bei Neuvermietungen und zwar 2 Prozent im Altbau
        und 1,6 Prozent im Neubau.
        Ich werfe Ihnen auch vor, dass Ihnen der Wille zur dif-
        ferenzierten, gründlicheren analytischen Betrachtung ab-
        handen gekommen ist. So sagt allein ein  wenn auch er-
        freulich niedriger  Mietanstieg nichts aus. Zu einer
        realen Beurteilung der Lage kommt man erst, wenn Ein-
        kommen und Miete in Relation gestellt werden, wie es im
        Armuts- und Reichtumsbericht geschieht. Wenn 35 Pro-
        zent aller Haushalte eine Mietbelastung von 30 Prozent
        und mehr haben, sind es bei den reichen Haushalten eben
        nur 6 Prozent, die mehr als ein Drittel für das Wohnen aus-
        geben. Am höchsten liegt die Wohnkostenbelastung bei
        den Einkommensschwächsten. Haushalte mit einem Ein-
        kommen von unter 1 000 DM geben 67 Prozent für das
        Wohnen aus. Das ist eigentlich gar nicht nachvollziehbar.
        Alleinstehende mit Kindern haben besonders hohe Belas-
        tungen, ebenso Familien mit Kindern. Und eine hohe
        Wohnkosten- bzw. Mietbelastung paart sich mit kleineren
        Wohnungen und schlechterer Ausstattung. Finden Sie
        nicht auch, dass das eine ernst zu nehmende Schieflage
        ist? Es ist ja nicht nur die Wohnung. Diese Personengrup-
        pen sind generell in vielfacher Weise benachteiligt. Wie
        Sie diese Schieflage beseitigen wollen, weiß ich nicht. Ich
        höre ja noch nicht einmal davon, dass Sie diese überhaupt
        erkannt hätten. Ihre Reform des Sozialwohnungsbaus löst
        das Problem nicht. Allein die Tatsache, dass Sie die Ein-
        kommensgrenzen nahezu unverändert lassen, ist Beleg
        genug dafür.
        Auch beim Wohngeld bleiben Sie oberflächlich, reden
        stets nur von der Erhöhung, die  was mich auch freut 
        zahlreichen Haushalten zugute kommt. Aber Sie sparen
        gänzlich aus der öffentlichen Debatte aus, dass im Osten
        zusätzliche Freibeträge weggefallen, pauschale Abzugs-
        beträge gekürzt worden sind, sodass es sogar zur Minde-
        rung von Wohngeldansprüchen kommen kann. Für solche
        Härtefälle haben Sie mit den Ländern insgesamt 20 Mil-
        lionen DM eingeplant. Es muss also viele Haushalte be-
        treffen. Wie viel, wissen Sie nicht  so Ihre Antwort auf
        meine entsprechende Frage. Ich sage es Ihnen: Theore-
        tisch betroffen sind 260 000 Arbeitslose, 140 000 Rent-
        nerhaushalte, 78 000 Alleinerziehendenhaushalte.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116414
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Auch haben Sie nie wirklich den Widerspruch reflek-
        tiert, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten der soziale
        Wohnungsbau mit Milliarden und Abermilliarden geför-
        dert wurde. Mit dem Ergebnis, dass dessen Ziel  bezahl-
        bares Wohnen für breite Schichten des Volkes zu si-
        chern  exakt nie erreicht wurde. Und wegen dieses
        verfehlten Ziels  wiederum mit Milliarden und Abermil-
        liarden  das Wohngeld auch noch herhalten musste und
        muss. Ohne Reflexion dieses Widerspruchs haben Sie
        sich Hals über Kopf in die Reform des Sozialwohnungs-
        baus gestürzt, die von der kümmerlichsten Finanzausstat-
        tung in der Geschichte der Bundesrepublik geprägt ist.
        Nur nebenbei: Es interessiert Sie auch nicht, wie sich
         quantitativ und qualitativ  die Zielgruppen entwickeln.
        Es interessiert Sie auch nicht, wie sich deren Wohnungs-
        bedarf entwickelt. Das alles habe ich schriftlich als Ant-
        wort Ihrer Regierung auf eine Anfrage.
        Von Augenblickssicht getrübt ist auch Ihr Verhalten,
        was die Leerstandskrise im Osten angeht: Wo auch immer
        Sie dazu öffentlich auftreten  und es gab ausreichend öf-
        fentliche Foren, Veranstaltungen und Konferenzen , im-
        mer habe ich Ihre Einschätzung gehört, dass Ihre küm-
        merliche Novelle des Altschuldenhilfegesetzes als Hilfe
        und Verantwortung des Bundes an sich genug sei. Nun sei
        der Ball bei den ostdeutschen Ländern und Kommunen.
        Übrigens: Außer dieser in keiner Weise der Krise gerecht
        werdenden Novelle haben Sie seither  das wollen wir
        ausdrücklich feststellen  nichts weiter unternommen. Für
        die Inszenierung Expertenkommission wohnungswirt-
        schaftlicher Strukturwandel in den neuen Ländern
         welch eine Wortschöpfung  fiel der Vorhang im No-
        vember vergangenen Jahres. Seither ging auch das Licht
        in zahlreichen weiteren Wohnungen ostdeutscher Städte
        aus.
        Berichte sind dann gut, wenn sie von wirklicher Pro-
        blemsicht geprägt sind. Berichte sind dann sinnvoll, wenn
        sie von der Politik und von den Politikern als Handlungs-
        grundlage begriffen werden. Ihr Vorgehen mit dem Wohn-
        geld- und Mietenbericht spricht eher dafür, dass er letzt-
        lich für die Ablage taugt. Schade um die Bäume.
        Anlage 3
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Teilberichts zu dem Thema:
        Schutz des geistigen Eigentums in der Biotech-
        nologie (Tagesordnungspunkt 11)
        Dr. Ilja Seifert (PDS): Erstmals wird heute im Plenum
        des Deutschen Bundestages über ein konkretes Arbeitser-
        gebnis der im März 2000 mit Zustimmung aller Fraktio-
        nen eingesetzten Enquête-Kommission Recht und Ethik
        der modernen Medizin debattiert. Allein diese Tatsache
        verdient bereits Würdigung.
        Damit wird ein wichtiger und durchaus strittiger Dis-
        kussionsprozess über den ethischen und rechtlichen Um-
        gang mit Biotechnologien im Parlament auch für die
        Öffentlichkeit und jeden Bürger transparent. Dass die
        Enquête-Kommission des Bundestages damit also auch
        für die Bevölkerung wieder etwas greifbarer wird, halte
        ich angesichts der Tendenz zur Einsetzung konkurrieren-
        der Ethikräte für einen Fortschritt.
        Nach der im letzten Jahr bekannt gewordenen Patent-
        vergabe des Europäischen Patentamtes auf genmanipu-
        liertes menschliches Erbgut, gegen die die PDS Einspruch
        eingelegt hat, gibt es hier noch genügend Anlass zu be-
        kräftigen: Weder das menschliche Genom noch Teile da-
        von, noch Organe oder Zellen des menschlichen Körpers
        dürfen patentierbar sein. Eine Patentierung von Pflanzen
        und Tieren mit ihren Genen darf ebenso wenig infrage
        kommen.
        Ausgangspunkt für den Teilbericht war die Notwendig-
        keit, eine möglichst gemeinsame Position zur Biopatent-
        Richtlinie 98/44 der Europäischen Union zu erarbeiten
        und zur Diskussion zu stellen. Nun ist aber bekannt, dass
        diese EU-Richtlinie und ihre Umsetzung in nationales
        Recht seit längerer Zeit umstritten sind. Die Parlamentari-
        sche Versammlung des Europarates forderte schon 1999
        eine Neuverhandlung der Biopatent-Richtlinie, insbeson-
        dere wegen Art. 5 Abs. 2, der eine Patentierung isolierter
        Teile des menschlichen Körpers nicht ausschließt und so-
        mit entsprechende Stoffpatente ermöglicht.
        In der EU sei hier auf die kritischen Positionen der Nie-
        derlande, Italiens und auch Frankreichs verwiesen. Bisher
        gibt es seitens des Europäischen Gerichtshofes noch keine
        Entscheidung über die Klage der Niederlande gegen die
        Biopatent-Richtlinie, jedenfalls nicht in der Hauptsache.
        In Deutschland ist die EU-Richtlinie ebenfalls in der Kri-
        tik. Das reicht von der Stellungnahme des Bundesrates
        vom Dezember 2000 über den Deutschen Ärztetag, die
        Bundesärztekammer bis hin zur grundsätzlichen Kritik
        von Greenpeace, die in der Anhörung der Enquête-Kom-
        mission vorgetragen wurde. Deshalb wäre es vernünftig,
        wenn sich die Bundesregierung in Brüssel dafür einge-
        setzt hätte, die Umsetzung dieser EU-Richtlinie auszuset-
        zen und erneute Verhandlungen zu ermöglichen. Sie hat
        sich aber stattdessen entschlossen, ein Biopatentgesetz
        vorzulegen, das  nach eigenem Bekunden  eine nahezu
        wörtliche Umsetzung dieser viel kritisierten EU-Richtli-
        nie vorsieht. Erst auf solcher Grundlage verpflichtet sie
        sich, in der EU einen Änderungsprozess zu initiieren und
        für erforderliche Verbesserungen und Präzisierungen des
        europäischen Patentrechts einzutreten. Dieser Versuch,
        das Pferd von hinten aufzuzäumen, ist weder elegant noch
        akzeptabel.
        Einen Umsetzungszwang der EU-Richtlinie in na-
        tionales Recht, auf den sich die Bundesregierung beruft,
        hat die Enquête-Kommission mehrheitlich nicht erkennen
        können. Mehr noch: Von einer übereilten deutschen Im-
        plementierung wird abgeraten.
        Den Kern des Teilberichts der Enquête-Kommission
        bildet die mehrheitlich beschlossene Stellungnahme zur
        nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie über den Schutz
        biotechnologischer Erfindungen. Auf der Grundlage einer
        Bewertung der EU-Biopatent-Richtlinie hat die Enquête-
        Kommission in ihrer Stellungnahme Eckpunkte und Er-
        wägungen entwickelt, deren Einhaltung bei der Umset-
        zung in nationales Recht unumgänglich ist. In diesem
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16415
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        Sinne werden konkrete Initiativen der Bundesregierung
        zur Verbesserung des Patentrechts auf europäischer Ebene
        gefordert.
        In der Stellungnahme wird ausdrücklich begrüßt, dass
        die Biopatent-Richtlinie versucht, europaweit zu normie-
        ren, für welche Erfindungen keine Patente erteilt werden.
        Dazu gehören unter anderem das Klonen von menschli-
        chen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der mensch-
        lichen Keimbahn sowie die Verwendung menschlicher
        Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwe-
        cken. Es ist positiv, dass der Entwurf für ein Biopatent-
        gesetz diesen Katalog übernimmt und ihn durch einen di-
        rekten Hinweis auf das Embryonenschutzgesetz präzi-
        siert.
        Angesichts der schnellen Entwicklung in den Biotech-
        nologien und grundsätzlicher Probleme der Biopatentie-
        rung, die ebenfalls im Teilbericht aufgezeigt wurden,
        fordert die Stellungnahme aber weiter, unmissverständ-
        lich deutlich zu machen, dass sich der im Gesetz  der
        Bundesregierung  aufgeführte Katalog nicht patentierba-
        rer Erfindungen nicht als abschließend versteht. Ange-
        sichts der Begehrlichkeiten in Forschung und Wirtschaft
        ist nämlich ebenso dringend zu gewährleisten, dass Erfin-
        dungen, die auf einen Eingriff in den Körper eines Men-
        schen ohne dessen Einwilligung zurückgehen, explizit
        von einer Patentierung ausgeschlossen werden.
        Über die sichtlichen Divergenzen in der Enquête-
        Kommission hinweg möchte ich feststellen, dass sich
        wohl alle in folgendem Punkt einig waren:
        Die Übertragung des Patentschutzes auf den Bereich
        des Lebendigen hat einen Paradigmenwechsel ein-
        geleitet, für den das Recht erst noch eine angemes-
        sene Systematik entwickeln muss.
        Ich füge für die PDS hinzu: Die Praxis des Lebens for-
        dert von der Politik nicht allein formalrechtliche Rege-
        lungen, sondern auch adäquate ethische Maßstäbe, damit
        kein Machbarkeitswahn zu nicht mehr rückholbaren Ent-
        wicklungen führt.
        Als Menschen haben wir eine besondere Verantwor-
        tung für die Bewahrung der Natur, nicht nur der eigenen
        Gattung. Viele nennen dies Bewahrung der Schöpfung.
        Für mich ist es ein humanistisches Ideal, das ich mit mög-
        lichst vielen Menschen teilen möchte.
        Dr. Eckard Pick, Parlamentarischer Staatssekretär
        bei der Bundesministerin der Justiz: Durch die Richtlinie
        über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfin-
        dungen wird kein besonderes und auch kein neues Patent-
        recht geschaffen. Mir ist dieser Hinweis sehr wichtig 
        nicht zuletzt wegen der bisherigen Diskussion!
        Es werden bereits seit vielen Jahrzehnten überall auf
        der Welt Patente auf biotechnologische Erfindungen er-
        teilt. Die Biopatent-Richtlinie schafft in diesem Bereich
        in erster Linie größere Rechtsklarheit und Rechtssicher-
        heit. Dabei  dies betone ich  weitet die Biopatent-Richt-
        linie das Patentrecht nicht aus, sondern sie schränkt es ein.
        Lassen Sie mich dies ganz konkret verdeutlichen:
        Die Richtlinie stellt klar, dass nur Erfindungen, nicht
        aber Entdeckungen patentierbar sind. Dies ist zwar nichts
        Neues, jedoch fehlte bisher diese Klarstellung im Gesetz.
        Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten der EU
        ferner bestimmte und fundamental wichtige Patentie-
        rungsverbote in ihre Patentgesetze aufnehmen. Hier geht
        es um die gesetzliche Festschreibung der ethisch gebote-
        nen Grundsätze, die die Würde und die Unversehrtheit der
        Menschen gewährleisten. Auch das ist nichts Neues. Es
        war dem europäischen Richtliniengeber aber wichtig,
        dass die wichtigsten Verbote ausdrücklich im Gesetz ge-
        nannt werden. Hier ist insbesondere zu nennen: Der
        menschliche Körper ist in allen Phasen seiner Entstehung
        und Entwicklung nicht patentierbar.
        Um der Richtlinie in vollem Umfang gerecht zu wer-
        den, muss man sich aber auch vor Augen führen, was die
        Richtlinie nicht regelt: Die Richtlinie enthält nichts, was
        bestimmte gentechnische Verfahren erlaubt oder verbie-
        tet. Sie erlaubt mit keiner Vorschrift irgendein biotechno-
        logisches Verfahren. Sie ermöglicht oder verbietet keine
        Forschungen. Sie regelt nicht das, was Wissenschaftler
        tun dürfen oder besser bleiben lassen.
        Kurz gesagt: Die Biopatent-Richtlinie schafft also
        größere Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und führt die
        ethischen Grenzen der Patentierung ins Bewusstsein und
        benennt sie konkret. Und die Umsetzung dieser Richtlinie
        überträgt dies alles in das deutsche Recht. Ich betone dies
        so nachdrücklich, weil es leider immer wieder übersehen
        wird.
        Der Zwischenbericht der Enquête-Kommission Recht
        und Ethik in der modernen Medizin mit seinen zwei
        Stellungnahmen berücksichtigt diese Gesichtspunkte.
        Während ein Minderheitenvotum vor allem die Vorteile
        der Biopatent-Richtlinie deutlich herausstreicht, emp-
        fiehlt die Stellungnahme selbst die Umsetzung erst für ei-
        nen Moment, zu dem die herausgearbeiteten Eckpunkte
        verwirklicht worden sind. Beim Betrachten dieser Eck-
        punkte komme ich unweigerlich zu dem Schluss: Im Er-
        gebnis empfiehlt die Enquête-Kommission Recht und
        Ethik in der modernen Medizin die Umsetzung der Bio-
        patent-Richtlinie!
        Die meisten der in neun Eckpunkten aufgestellten For-
        derungen der Enquête-Kommission sind ja bereits seit
        vielen Jahren im deutschen Recht verwirklicht. Nur ein
        paar Stichworte: Patente dürfen nicht für Entdeckungen
        erteilt werden; Patente, deren Verwertung gegen die öf-
        fentliche Ordnung verstößt, sind verboten; die Vorschrif-
        ten zum Schutz von Patenten sind einzuhalten; die unbe-
        fristete Möglichkeit von Nichtigkeitsklagen.
        Andere Eckpunkte werden mit der Umsetzung der Bio-
        patent-Richtlinie deutsches Recht: das Erfordernis einer
        konkreten Funktionsbeschreibung von Genen als Patent-
        erteilungsvoraussetzung; die Erleichterung der Zwangsli-
        zenzierung; die Berücksichtigung der Interessen der
        Landwirte durch die Einführung des Landwirteprivilegs.
        Nun zum Stoffpatent: Auch die Bundesregierung will
        eine Überprüfung seiner Reichweite. Es geht um eine Prü-
        fung der Voraussetzungen einer Patentierbarkeit von Ge-
        nen, Gensequenzen und Teilen von Gensequenzen, die
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116416
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        von menschlichen oder tierischen Lebewesen, Pflanzen
        oder Mikroorganismen stammen. Das Bundesministe-
        rium der Justiz hat damit bereits begonnen. Die Europä-
        ische Kommission ist informiert. Wir haben sie gebeten,
        bald in einen Meinungsaustausch darüber einzutreten.
        Über eines müssen wir uns aber klar sein. Das Patent-
        recht ist eine Materie, die wie kaum eine andere inter-
        national verflochten ist. Eine Weiterentwicklung des Pa-
        tentrechts hat nur dann einen Sinn, wenn wir sie im inter-
        nationalen Raum diskutieren. Ein rechtstreues Verhalten
        der EU gegenüber ist dabei eine unabdingbare Vorausset-
        zung für den Erfolg des von der Bundesregierung be-
        schlossenen Änderungsprozesses. Hier ist also die Bun-
        desregierung auf die Unterstützung des Deutschen
        Bundestages angewiesen.
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Antrages: Aufhebung der na-
        tionalistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure
        (Tagesordnungspunkt 12)
        Margot von Renesse (SPD): Zu dem Antrag der PDS
        braucht nicht viel gesagt zu werden, weil nichts zu ent-
        scheiden ist außer seiner Ablehnung. Der Antrag ist das
        Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht, und er ist
        die Zeit nicht wert, die man zu seiner Ablehnung benötigt.
        Nach einem in der Tat quälend langen Beratungspro-
        zess hat der Bundestag in der letzten Legislaturperiode al-
        les nachgeliefert, was den Wehrdienstverweigerern, Fah-
        nenflüchtigen und Wehrkraftaktzersetzern des Zweiten
        Weltkrieges schon lange zugestanden hätte: volle Rehabi-
        litierung und Anspruch auf Entschädigungsleistung. Der
        Antrag der PDS ist daher, wie man bei Gericht sagt, in der
        Hauptsache erledigt. Man kann nur noch darüber disku-
        tieren, was die PDS dazu veranlasst haben mag, ihn zu
        stellen. Die Wiedergutmachung von Unrecht zugunsten
        von Menschen, die zu Opfern wurden, kann es nicht ge-
        wesen sein.
        Bernd Wilz (CDU/CSU): Die Fraktion der CDU/CSU
        lehnt den Antrag der PDS ab. Er greift erneut eine The-
        matik auf, die bereits mehrfach Gegenstand von Debatten
        und Entscheidungen des Bundestages war. Die in diesem
        Zusammenhang getroffenen Entscheidungen des Parla-
        ments stellen eine in jeder Hinsicht ausreichende Rege-
        lung für die Aufhebung von NS-Urteilen dar; dies gilt
        auch für Deserteure.
        Durch das in der vergangenen Legislaturperiode ver-
        abschiedete Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
        Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege wurde ein Kom-
        promiss zur pauschalen Aufhebung vieler NS-Urteile ge-
        funden. Der Gesetzgeber von 1998 hat ausdrücklich klar-
        gestellt, dass dies auch für militärische Unrechtsurteile
        gilt.
        Insgesamt kam es uns  der Union  bei der Verab-
        schiedung des damaligen Gesetzes und früherer Entschei-
        dungen darauf an, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit für
        die Betroffenen herbeizuführen. Schon damals hatten wir
        auf unsere Bedenken gegen eine pauschale Aufhebung
        aller Urteile hingewiesen. Wie Sie zum Beispiel dem
        Plenarprotokoll vom 15. Mai 1997 und vom 28. Mai 1998
        entnehmen können, gingen bereits diese Entscheidungen
        einem Teil meiner Kolleginnen und Kollegen zu weit.
        Mit ihrem Antrag will die PDS nun in Wahrheit die
        pauschale Aufhebung aller Urteile gegen Deserteure kraft
        Gesetzes erreichen, ganz gleich ob Entscheidungen mit
        oder ohne Todesstrafe, ob von der Militärjustiz oder an-
        deren Gerichtszweigen. Damit schießen sie eindeutig
        über das Ziel hinaus. Ein solcher Freibrief ist aus folgen-
        den Gründen nicht sachgerecht:
        Erstens. Es ist völlig unbestritten, dass es Deserteure
        gab, die aus ehrenhaften Motiven handelten. Dies gilt ins-
        besondere für überzeugte Widerstandskämpfer. Aller-
        dings gab es  und auch dies dürfte unbestritten sein  De-
        serteure, die aus verwerflichen Motiven handelten und die
        auch aus heutiger Sicht strafrechtlich relevant wären.
        Dafür möchte ich nur zwei Beispiele nennen: Ein Sol-
        dat, der desertiert, um sich der Verfolgung wegen einer
        von ihm zuvor begangenen Straftat zu entziehen, verstößt
        gegen Recht und Gesetz. Die von der PDS geforderte pau-
        schale Aufhebung einer entsprechenden Ahndung führte
        geradezu zu einer Billigung eines solchen rechtswidrigen
        Verhaltens.
        Darüber hinaus: Denken Sie einmal an das Ende des
        Zweiten Weltkrieges zurück, als die Wehrmacht sich im
        Abwehrkampf gegen die eindringende Rote Armee be-
        fand, um zum Beispiel Ostpreußen die Flucht zu ermögli-
        chen, die zuvor massenhaft Morde, Vergewaltigungen
        und Plünderungen durch die Sowjets ertragen mussten.
        Wenn in einer solchen Situation ein deutscher Soldat seine
        eigenen Kameraden im Stich ließ, sie damit vorsätzlich
        der Gefahr des Todes oder der Gefangenschaft aussetzte
        und zu den Sowjets überlief, dann ist ein solches Verhal-
        ten, wie ich finde, zutiefst verwerflich. Es sind zahlreiche
        Fälle belegt, in denen Soldaten aufgrund solchen Verhal-
        tens ihr Leben verloren haben.
        Zweitens. Würde man alle Entscheidungen pauschal
        aufheben, so würde man damit auch die Bewertung ver-
        binden, dass alle Richter rechtswidrig und willkürlich ge-
        handelt hätten. Sicherlich gab es Richter, die aus natio-
        nalsozialistischer Ideologie Unrechtsurteile sprachen.
        Unbestritten dürfte aber auch sein, dass Richter nach
        Recht und Gesetz und damit nach bestem Wissen und Ge-
        wissen gehandelt haben. Dies galt auch für Richter der
        Militärjustiz. Die pauschale Aufhebung sämtlicher Ur-
        teile käme faktisch einer Diskriminierung der ganzen
        Richterschaft gleich. Und das wollen wir nicht.
        Drittens. Die Aufhebung aller Urteile gegen Deserteure
        würde per se deren pauschale Rehabilitierung bedeuten.
        Dies käme inzidenter einer Herabsetzung der vielen Mil-
        lionen deutscher Soldaten gleich, die sich anständig ver-
        hielten und tapfer kämpften  zutiefst davon überzeugt,
        ihre Pflicht zu erfüllen.
        Es ist leider wahr, dass die Wehrmacht von dem verbre-
        cherischen NS-Regime instrumentalisiert und missbraucht
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16417
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        wurde. Allein aber aus der Pflichterfüllung Rückschlüsse
        auf eine negative Gesinnung ziehen zu wollen, ist un-
        zulässig. Die Wehrmachtsangehörigen insgesamt zu ver-
        urteilen oder aber einer niederen Gesinnung zu bezichti-
        gen, wäre wahrheitswidrig und ist eindeutig abzulehnen.
        Auch die mit dem PDS-Antrag verfolgte Forderung der
        Ausweitung der Entschädigungspraxis verdient keine Zu-
        stimmung. Sie ist mit dem gefundenen überparteilichen
        Kompromiss aus dem Jahre 1997 nicht vereinbar.
        Die beschlossene Regelung über die einmalige Ent-
        schädigung war eine Geste des guten Willens und von
        dem Gedanken getragen, die unmittelbar betroffenen An-
        tragsteller über bestehende Anspruchsgrundlagen hinaus
        zu begünstigen.
        Dabei war von vornherein beabsichtigt, Leistungen
        grundsätzlich nur an die Überlebenden zu erbringen. Die
        Einbeziehung deren Angehöriger sollte indes sicherstel-
        len, dass sich der Staat nicht durch verzögerte Bearbei-
        tung der Zahlungspflicht entziehen konnte oder kann.
        Im Übrigen bedarf es einer Ausweitung der Entschädi-
        gungszahlung auch deshalb nicht, weil den Angehörigen
        bereits Ansprüche zustehen, die sich aus dem Bundesver-
        sorgungsgesetz, dem Bundesentschädigungsgesetz oder
        dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz ableiten lassen.
        Jörg van Essen (F.D.P.): In den vergangenen Jahren
        haben wir uns wiederholt mit der Frage der Aufhebung
        der NS-Unrechtsurteile befasst. Erst vor wenigen Wochen
        hat der Deutsche Bundestag mit überragender Mehrheit
        die pauschale Aufhebung der NS-Unrechtsurteile gegen
        Homosexuelle beschlossen. Die überragende Mehrheit,
        die es damals für diese wichtige Initiative gab, hat in ein-
        drucksvoller Weise gezeigt, dass der Bundestag sehr wohl
        in der Lage ist, seiner besonderen Verantwortung für die
        Opfer des Naziregimes gerecht zu werden. Wir müssen al-
        les tun, um dem Eindruck der Fortgeltung nationalsozia-
        listischen Unrechts zu begegnen.
        Bei den Beratungen über das NS-Aufhebungsgesetz
        haben wir uns bereits vor einigen Jahren auch mit den Ur-
        teilen der NS-Militärjustiz gegen Deserteure der Wehr-
        macht intensiv beschäftigt. Der Bundestag hat dabei fest-
        gestellt, dass die Gerichte der Militärjustiz im NS-Staat
        keine Gerichte im rechtsstaatlichen Sinne waren. Sie
        waren vielmehr ein Terrorinstrument der nationalsozialis-
        tischen Willkürherrschaft. Das gilt insbesondere für
        Verurteilungen wegen der Tatbestände Desertion/Fah-
        nenflucht, Wehrkraftzersetzung und Wehrdienstver-
        weigerung zu Todesurteilen. Das Bundessozialgericht
        hat in einem Urteil im Jahre 1991 deutliche Worte gefun-
        den. Darin heißt es, maßgeblich für die Bewertung der
        Verurteilungen im NS-Staat müsse die Feststellung sein,
        dass nicht die aktive Teilnahme am völkerrechtswidrigen
        Angriffskrieg Nazideutschlands die von der Rechtsord-
        nung anerkannte Norm darstelle; Maßstab sei gerade die
        Verweigerung der Teilnahme.
        Im NS-Aufhebungsgesetz haben wir 1998 geregelt,
        dass Todesurteile des Reichskriegsgerichts und der Mi-
        litärgerichte wegen Desertion aufgehoben werden sollen,
        soweit sie nicht auf Delikten beruhen, die auch vor dem
        20. Januar 1933 nach allgemeinem Strafrecht mit der To-
        desstrafe bedroht waren. Darüber hinaus können die Ur-
        teile nach einer Einzelfallprüfung aufgehoben werden,
        falls sie die Voraussetzungen der Generalklausel erfüllen.
        Die vielfältigen Initiativen der vergangenen Jahre be-
        legen in eindrucksvoller Weise, dass der Bundestag sich
        sehr verantwortungsvoll mit den unterschiedlichen Op-
        fergruppen auseinander gesetzt hat und die jeweiligen In-
        teressen berücksichtigt hat. Wir waren uns bei den Bera-
        tungen darüber einig, dass wir mit unseren Beschlüssen
        dem Problem der Rehabilitierung gerecht geworden sind.
        Wenn die PDS nun weiteren Klärungsbedarf sieht,
        dann muss sie hier auch schlüssig darlegen, warum die
        bisher vorliegenden Regelungen nicht getragen haben
        und zu Ungerechtigkeiten geführt haben sollen.
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
        Berichts zu der Unterrichtung: Vorschlag für
        eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
        und des Rates zur 20. Änderung der Richtlinie
        76/769/EWG des Rates zur Angleichung der
        Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit-
        gliedstaaten für Beschränkung des Inverkehr-
        bringens und der Verwendung gewisser gefährli-
        cher Stoffe und Zubereitungen (kurzkettige
        Chlorparaffine) (Tagesordnungspunkt 13)
        Dr. Carola Reimann (SPD): Kurzkettige Chlorparaf-
        fine sind leider ein sehr fachspezifisches Thema. Eine
        Aussprache über diesen Gegenstand ist längst nicht so te-
        legen wie eine Debatte über Grundsatzfragen. Trotz der
        wenig prominenten Platzierung auf der Tagesordnung ist
        eine Auseinandersetzung mit diesem Thema notwendig.
        Wir diskutieren heute die Stellungnahme des Bundes-
        tages zu einer Richtlinie der Europäischen Union, in der
        es um die Verwendung von kurzkettigen Chlorparaffinen
        geht. Ich will mich diesem Thema nüchtern naturwissen-
        schaftlich nähern, denn ideologische Voreingenommen-
        heit hat hier keinen Platz.
        Zuerst will ich erklären, was Paraffine und was Chlor-
        paraffine sind. Paraffine entstehen bei der Erdölfraktion,
        das heißt beim Aufspalten von Erdöl in unterschiedliche
        Bestandteile, die unterschiedlich weiterverarbeitet wer-
        den. Paraffine kennen wir alle: Sie sind im Handel meist
        als dick- oder dünnflüssiges Paraffinöl erhältlich. Che-
        misch sind sie sehr reaktionsträge. Paraffine können nicht
        einfach mit einem Streichholz entzündet werden: Erst
        wenn ein Docht vorhanden ist, kann es brennen.
        Paraffine sind Gemische langkettiger, aliphatischer
        und gesättigter Kohlenwasserstoffe, es gibt also weder
        Ring- noch Doppel- und Dreifachbindungen. Sie können
        sich das Ganze wie eine Kette von einfach verbundenen
        Kohlenstoffatomen vorstellen. An jedem Kettenglied
        hängen zwei Wasserstoffatome, am ersten und letzten
        Kohlenstoffatom hängen drei Wasserstoffatome. Bei den
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116418
        (C)
        (D)
        (A)
        (B)
        Chlorparaffinen hängen nun an den Kohlenstoffatomen
        ein oder mehrere Chloratome. Sie sind also Chlorierungs-
        produkte des Paraffins mit einem Chlorgehalt von 15 bis
        70 Prozent.
        Um diese sehr theoretische Debatte über chemische
        Wirkstoffe etwas praktischer zu gestalten, habe ich hier ein
        kleines Modell von einem Chlorparaffin mitgebracht:
        Chemisch gesprochen, habe ich hier das Modell eines
        C12H23Cl3-Moleküls in der Hand. Bei diesem Modell se-
        hen Sie eine Kette von 12 Kohlenstoffmolekülen. Jedes
        der Kohlenstoffmoleküle kann vier Bindungen eingehen.
        An jedem Molekül, das in der Mitte der Kette ist, hängen
        zwei Wasserstoffatome. An den beiden Endstellen hängen
        drei Wasserstoffatome. Ein Paraffin-Molekül würde nur
        aus der Kohlenstoffkette und den daran hängenden weißen
        Wasserstoffmolekülen bestehen. Bei diesem Chlorparaffin
        sind drei Wasserstoffatome durch Chloratome ersetzt wor-
        den. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz
        herzlich bei den chemischen Instituten der Charité bedan-
        ken, bei denen ich dieses Modell ausleihen konnte.
        Chlorparaffine sind farblose oder gelbliche Flüssigkei-
        ten oder Feststoffe. Sie haben sehr unterschiedliche Ei-
        genschaften: leicht beweglich bis stark zähflüssig oder
        glasig erstarrt bis wachsartig. Ebenso wie die Paraffine
        sind Chlorparaffine chemikalien- und lichtbeständig. Bis
        200 Grad Celsius sind die Chlorparaffine temperaturbe-
        ständig und schwer entflammbar.
        Wie in dem vom Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
        und Reaktorsicherheit beschlossenen Antrag beschrieben,
        werden insgesamt 200 verschiedene Chlorparaffine ge-
        nutzt. In der Anwendung sind Chlorparaffine uns auch al-
        len vertraut: Sie werden als wetterfeste Imprägnierung in
        Kleidungsstücken eingesetzt, als Flammschutzmittel, als
        Lösungsmittel für die Farbstoffe im Durchschreibepapier
        oder als Weichmacher im PVC und in der Metallverarbei-
        tung. In der Metallverarbeitung werden sie besonders als
        Schmierstoffe benutzt.
        Unterschieden werden die langkettigen Chlorparaf-
        fine, die eine Kettenlänge von mehr als 17 Kohlenstoffa-
        tomen haben, die mittelkettigen Chlorparaffine mit zwi-
        schen 14 und 17 Chloratomen und die kurzkettigen
        Chlorparaffine, die eine Kettenlänge zwischen 10 und 13
        Kohlenstoffatomen haben.
        Was sind nun die Probleme der Chlorparaffine, die es
        notwendig machen, sich politisch mit ihnen auseinander
        zu setzen? Zwar sind Chlorparaffine nicht akut giftig, aber
        von ihnen geht eine andere Gefahr aus, die wir nicht un-
        terschätzen dürfen: Chlorparaffine persistieren in der Um-
        welt. Das bedeutet, sie können nicht natürlich abgebaut
        werden und akkumulieren so in der Umwelt. Jährlich wer-
        den nach Schätzungen von Prof. Wolfgang Rotard von der
        Technischen Universität Berlin 300 000 Tonnen Chlor-
        paraffine hergestellt, die nicht biologisch abgebaut wer-
        den. Dabei ist es ganz egal, ob wir über kurzkettige, mit-
        telkettige oder langkettige Chlorparaffine sprechen: Alle
        diese Stoffe akkumulieren sich in unserer Umwelt. Das
        heißt, Chlorparaffine reichern sich in der Nahrungskette
        an. Chlorparaffine konnten in Muscheln und Fischen, aber
        auch in Vögeln nachgewiesen werden. Und sie konnten
        auch im menschlichen Fettgewebe nachgewiesen werden.
        Kurzkettige Chlorparaffine werden heutzutage vor al-
        lem in der Metallverarbeitung eingesetzt. Im PVC werden
        mittelkettige Chlorparaffine als Weichmacher eingesetzt.
        Man benutzt sie, weil sie flammhemmend wirken. Sie ha-
        ben aber die gleichen Nachteile wie alle anderen Chlor-
        paraffine.
        Von besonderer Gefährlichkeit für den Menschen und
        die Umwelt sind die kurzkettigen Chlorparaffine: Sie
        begünstigen den Ausbruch von Tumoren, sie wirken als
        Tumorpromotoren.
        Daher kommt der Deutsche Bundestag nicht umhin,
        sich mit Chlorparaffinen zu beschäftigen. Uns stellt sich
        ganz grundsätzlich die Frage: Wollen wir Stoffe herstel-
        len und nutzen, die in der Umwelt dauerhaft bestehen blei-
        ben und das Ökosystem belasten und unsere Gesundheit
        gefährden? Die Antwort, die wir in dem Antrag von SPD
        und Bündnis 90/Die Grünen gegeben haben, ist eindeutig:
        Nein.
        Wir wollen diese Stoffe aus dem Verkehr ziehen, denn
        es gibt in allen Bereichen Alternativen, sowohl im Bereich
        der Metallverarbeitung bis hin zu den Weichmachern für
        PVC-Produkte. Wir können daher sicherlich gemeinsam
        von allen Seiten des Hauses feststellen, dass wir diese
        Richtlinie begrüßen: Kurzkettige Chlorparaffine gefähr-
        den Mensch und Umwelt. Auf diese Stoffe wollen wir in
        Zukunft verzichten.
        Dabei bleibt aber eine Frage offen  und das ist der po-
        litische Streitpunkt: Reichen die Festlegungen in dieser
        Richtlinie des Rates und des Europäischen Parlamentes
        aus? Ganz eindeutig: Diese Richtlinie geht nicht weit ge-
        nug! In der Richtlinie wird nur eine Gruppe der Chlorpa-
        raffine berücksichtigt: Es geht leider nur um die kurzket-
        tigen Chlorparaffine.
        Die Richtlinie bleibt weit hinter dem PARCOM-Be-
        schluss von 1995 zurück. Zehn Mitglieder der Europä-
        ischen Union  darunter auch die Bundesrepublik
        Deutschland  haben schon 1995 die Einstellung der Ver-
        wendung von kurzkettigen Chlorparaffinen beschlossen.
        Bis zum 31. Dezember 1999 sollten keine Chlorparaffine
        mehr verwandt werden. Lediglich zwei Ausnahmen sind
        vorgesehen: im Dammbau und als Flammschutzmittel für
        Förderbänder im Untertagebau. Doch auch hier sollte bis
        Ende des Jahres 2004 die Verwendung untersagt werden.
        Wir führen hier also keine parteipolitische Auseinander-
        setzung um Umweltfragen: Dieser Beschluss ist 1995 von
        CDU/CSU und F.D.P., damals in der Regierungsverant-
        wortung, mitgetragen worden. Deshalb ist es für mich un-
        verständlich, wie Sie innerhalb des Ausschusses für Um-
        welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit diskutiert und
        abgestimmt haben.
        Bei der vorliegenden EU-Richtlinie geht es lediglich
        um die Einschränkung der Verwendung von kurzkettigen
        Chlorparaffinen in zwei Anwendungsgebieten, bei der
        Verarbeitung von Metall und dem Fetten von Leder. Das
        ist inkonsequent. Wenn wir unsere Umwelt und letztlich
        uns wirksam schützen wollen, müssen wir ganz auf Chlor-
        paraffine verzichten!
        Kurzkettige Chlorparaffine werden sonst auch weiter-
        hin in Farben, Beschichtungen, Dichtungsmitteln und als
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16419
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        Flammschutzmittel in Gummi, Kunststoffen und Tex-
        tilien verwandt. Die vorliegende Richtlinie will nur in-
        nerhalb von drei Jahren nach Verabschiedung Maßnah-
        men prüfen, die die Risiken verringern. Doch das reicht
        nicht aus!
        Dem Verbot von Chlorparaffinen stehen auch keine
        wirtschaftlichen Gründe im Weg: Kurzkettige Chlorpa-
        raffine werden in Deutschland seit 1995 nicht mehr pro-
        duziert. Der Markt für mittelkettige Chlorparaffine lag
        1994 bei etwa 5 000 Tonnen. Das ist wirtschaftlich be-
        trachtet eine sehr geringe Menge. Hauptanwendungsge-
        biet ist das PVC und hier gibt es  wie gesagt  genügend
        Ersatzstoffe.
        Das Problem, vor dem wir stehen, ist ein bürokrati-
        sches: In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
        sind gefährliche Chemikalien im Einsatz. Entsprechend
        der EU-Verordnung zur Bewertung und Kontrolle der
        Umweltrisiken bestimmter Altstoffe findet eine Risikobe-
        wertung statt. Chlorparaffine sind ein sehr gutes Beispiel,
        an dem sich zeigt, dass die Langsamkeit in der Bürokra-
        tie dazu führt, dass eine gefährliche Stoffgruppe weiter
        eingesetzt werden kann, weil die Überprüfungen und Ent-
        scheidungen so lange dauern.
        Deshalb ist das neue Weißbuch Chemiepolitik der Eu-
        ropäischen Union der Schritt in die richtige Richtung: Wir
        brauchen zugunsten der Verbraucherinnen und Verbrau-
        cher eine grundsätzliche Veränderung des Systems. Eine
        Chemikalie darf nur noch dann eingesetzt werden, wenn
        sie unschädlich ist. Diese Beweislast muss umgekehrt
        werden. Es muss vom Hersteller oder Importeur, vom
        Verkäufer oder Benutzer nachgewiesen werden, dass sein
        Produkt keine negativen Wirkungen auf die Umwelt hat.
        Nur dann darf ein Stoff auch eingesetzt werden. Das ist
        die Chemiepolitik des 21. Jahrhunderts. Im 19.  20.? 
        Jahrhundert war es so, dass eine nützliche chemische Ver-
        bindung so lange und ohne Rücksicht auf Verluste einge-
        setzt werden konnte, bis sie verboten wurde. Dieses über-
        kommene Verständnis, in dem Natur einfach verbraucht
        werden kann, muss beendet werden.
        Deshalb hat dieses Verfahren der Umkehr der Beweis-
        last auch eine breite Unterstützung im Umweltausschuss
        des Bundesrates am 26. April gefunden: Auch Bayern hat
        diesem Prinzip dort zugestimmt!
        Im Umweltausschuss hat die Fraktion von CDU/CSU
        leider gegen unseren Antrag gestimmt: Sie haben ausge-
        führt, dass nur im Bereich der Leder- und Metallverarbei-
        tung Probleme bestehen und die weitere Verwendung der
        kurzkettigen Chlorparaffine ungefährlich sei. Das ist lei-
        der falsch. Es sind nur die Bereiche mit den größten Emis-
        sionen. Und auch die Auffassung der F.D.P. trifft nicht zu,
        dass es Anwendungsbereiche gibt, in denen Chlorparaf-
        fine ungefährlich sind. Persistierende Stoffe führen auf-
        grund der Akkumulation in der Umwelt zu Problemen.
        Mit dem Antrag fordern wir eine Konkretisierung der
        Richtlinie. Nicht das Inverkehrbringen kurzkettiger
        Chlorparaffine, sondern der Einsatz dieser Stoffe muss
        untersagt sein. Darüber hinaus wollen wir eine Kenn-
        zeichnung der Produkte, die Chlorparaffine enthalten. Wir
        wollen die Lacke, Textilien und anderen Stoffe, die Chlor-
        paraffine beinhalten, für den Verbraucher und die Ver-
        braucherin sichtbar machen. Dagegen hat auch im Aus-
        schuss niemand protestiert.
        Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
        und der F.D.P., ich bitte Sie heute die gleiche Auffassung
        zu vertreten, die Sie vor sechs Jahren hatten, als Sie die
        Regierung stellten: Unterstützen Sie die Position, die Sie
        selbst im PARCOM-Beschluss festgeschrieben haben.
        Kurzkettige Chlorparaffine müssen aus dem Verkehr ge-
        zogen werden. Ohne Ausnahme.
        Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Trotz steigender Ar-
        beitslosigkeit und hoher Benzinpreise gehört der Schutz
        der Umwelt noch immer zu den aktuellen Themen unse-
        rer Gesellschaft. Ein großer Teil der Bevölkerung hält den
        Umweltschutz unabhängig von der aktuellen Tagespolitik
        für wichtig. Immerhin steht er nach Angaben des Um-
        weltbundesamtes aus dem Jahre 2000 auf Platz vier der
        größten Probleme in Deutschland.
        Das heute geltende Umweltschutzrecht wurde in den
        16 Jahren christdemokratischer Regierungszeit gestaltet
        und geprägt. Aufgrund der Durchsetzung verschiedener
        medienbezogener Gesetze  wie das Bundesbodenschutz-
        gesetz  durch die vorherige Bundesregierung, hat sich
        ein hoher Standard des deutschen Umweltschutzes ent-
        wickelt. Das erfolgreiche Wirken christdemokratischer
        Umweltminister hat die Umweltpolitik zu einem Gütesie-
        gel Deutschlands gemacht. Trotzdem müssen sich heutige
        und zukünftige Generationen noch immer mit den Gefah-
        ren chemischer Stoffe in Natur und Umwelt auseinander
        setzen.
        Aufgrund ihrer Langlebigkeit verbreiten sich Chemi-
        kalien in allen Umweltmedien. Sowohl Luft und Boden
        als auch die Gewässer sind davon betroffen. Deshalb ist
        die seit 1994 erreichte Reduzierung der Schadstoffbelas-
        tung in der Umwelt fortzusetzen. Dafür sollten einfache
        und praktikable Lösungen gefunden werden, die eine si-
        chere Anwendung gefährlicher Stoffe sicherstellen.
        Zu einem dieser gefährlichen Stoffe gehören Chlorpa-
        raffine. Chlorparaffine enthalten Kohlenstoffketten  Pa-
        raffine  unterschiedlicher Länge, an denen Wasserstoff
        durch Chlor ersetzt wurde. Sie sind je nach Kettenlänge
        und Chlorgehalt farblose oder gelbliche, leichtbewegliche
        bis hochviskose Flüssigkeiten oder glasig erstarrte bis
        wachsartige Feststoffe. Chlorparaffine sind chemikalien-
        und lichtbeständig sowie temperaturbeständig bis circa
        200 Grad Celsius. Darüber hinaus sind sie vergleichs-
        weise wenig flüchtig und schwer entflammbar. Sie wer-
        den aufgrund ihrer hohen chemischen und physikalischen
        Beständigkeit als Weichmacher in Farben, Lacken und
        Dichtungsmaterialien sowie als Flammschutzmittel in
        Gummi, Kunststoffen und Textilien eingesetzt.
        Anzutreffen sind Chlorparaffine in Fugendichtungsmas-
        sen, Beschichtungen, Farben, Gehäusen, Gummi und PVC-
        Produkten wie zum Beispiel Bodenbelägen. Hauptanwen-
        dungsbereich für die hier zu behandelnden kurzkettigen
        Chlorparaffine ist die Metall- und Lederverarbeitung.
        Dem vielfältigen Nutzen dieses Stoffes stehen jedoch
        die umfangreichen Umweltschäden, die er verursacht,
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116420
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        gegenüber: Chlorparaffine sind biologisch schlecht ab-
        baubar. Sie reichern sich in der marinen Umwelt an und
        finden Eingang in die Nahrungskette. Dadurch gefährden
        sie nicht nur die natürliche Umwelt, sondern auch die Ge-
        sundheit der Bevölkerung. Es ist demnach nicht verwun-
        derlich, dass Chlorparaffine in Kleinkrebsen, Fischen und
        letztlich auch im menschlichen Körper nachgewiesen
        wurden. Chlorparaffine sind wie die anderen chlorierten
        Kohlenwasserstoffe sehr langlebig  in Standardtests bio-
        logisch nicht abbaubar  und fettlöslich. Sie reichern sich
        im Fettgewebe, in der Niere und in der Leber an.
        Dies ist deshalb so besorgniserregend, weil kurzkettige
        Chlorparaffine möglicherweise krebserregend sind. In der
        MAK-Liste sind Chlorparaffine in Abschnitt III B einge-
        stuft, das heißt: es besteht ein begründeter Verdacht auf
        krebserzeugendes Potenzial.
        Auf bestimmte Organismen wirken Chlorparaffine so-
        gar toxisch. Im Brandfall entstehen Salzsäure sowie poly-
        chlorierte Furane. Chlorparaffinhaltige Abfälle müssen
        als Sondermüll entsorgt werden. Chlorparaffine sind in
        die Wassergefährdungsklasse 3  stark wassergefährdend 
        eingestuft.
        Die Reinhaltung der Gewässer von Chlorparaffinen ist
        in Anbetracht der überragenden Bedeutung von Wasser
        als Grundnahrungsmittel unablässig. Wasser ist Lebens-
        grundlage für Mensch und Tier. Die mögliche Aufnahme
        von Chlorparaffinen auf den verschiedensten Wegen der
        Nahrungskette gefährdet die Gesundheit von Erwachse-
        nen und Kindern. Um Risiken für Mensch und Umwelt zu
        vermeiden, die auf die Verwendung von kurzkettigen
        Chlorparaffinen zurückgehen, sind Schutzmaßnahmen
        daher dringend erforderlich. Bei der Ausarbeitung solcher
        Maßnahmen ist aber immer der Grundsatz der Verhältnis-
        mäßigkeit zu wahren. Insbesondere darf die Innovations-
        und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht
        unnötig beeinträchtigt werden.
        Im Rahmen des Oslo-Paris-Meeresschutzabkommens
        bestehen bereits umfassende, über den vorliegenden
        Richtlinienentwurf hinausgehende Regelungen zur Ver-
        wendung von kurzkettigen Chlorparaffinen. Durch diesen
        so genannten PARCOM-Beschluss wurde normiert, dass
        die Verwendung kurzkettiger Paraffine als Plastifiziermit-
        tel in Farben und Lacken, die Verwendung in Schmier-
        stoffen zur Metallbearbeitung und die Verwendung als
        Flammschutzmittel in Gummi, Kunststoff und Textilien
        bis zum 31. Dezember 1999 und die Verwendung als Plas-
        tifizierungsmittel in Dichtmassen bis zum 31. Dezember
        2004 einzustellen ist. Leider haben nicht alle Mitglied-
        staaten der Europäischen Union diesem Abkommen zu-
        gestimmt. Dies hat ein weiteres Mal Wettbewerbsverzer-
        rungen zulasten der deutschen Unternehmen zur Folge.
        Dies ist aber nicht der einzige Nachteil. Daneben be-
        steht auch der grenzüberschreitende Charakter der Ver-
        schmutzung von Gewässern. Das verunreinigte Grund-
        oder Oberflächengewässer macht vor Staatengrenzen
        eben nicht Halt. Die Bemühungen der deutschen Indus-
        trie, diese Stoffe nicht mehr zu verwenden und dadurch
        die Landesbevölkerung zu schützen, werden damit hin-
        fällig. Das Problem des Schadstoffeintrags in Gewässer
        ist nur international zu lösen.
        Durch den vorliegenden Richtlinienentwurf wird nun
        endlich eine Harmonisierung des europäischen Rechts an-
        gestrebt und der von deutschen Unternehmen bereits seit
        langem praktizierte Umweltschutz im Bereich der Chlor-
        paraffine wird nun endlich europaweit eingefordert. Die
        Vorreiterrolle deutscher Unternehmen in Bezug auf die
        kurzkettigen Chlorparaffine ist zwar durchweg zu be-
        grüßen, die damit verbundenen Belastungen dürfen aber
        nicht übersehen werden. Die Bundesregierung hat hier
        einmal die Möglichkeit, ganz entgegen Ihrer sonstigen
        Gewohnheit, eine Regelung zu unterstützen, die Wettbe-
        werbsverzerrungen entgegenwirkt.
        Bisher hat die Bundesregierung Benachteiligungen
        deutscher Unternehmen auf dem europäischen und inter-
        nationalen Markt durch nationale Alleingänge ja nicht nur
        hingenommen, sondern regelrecht gefördert. Gerade im
        Umweltbereich hat die Politik des deutschen Sonder-
        weges von Herrn Trittin dazu geführt, dass sich deutsche
        Betriebe Belastungen ausgesetzt sehen, die wirtschafts-
        politisch nicht mehr tragbar sind.
        Die Umsetzung europäischer Richtlinien, welche eine
        Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten bewirken
        sollte, wurde dazu genutzt, Reglementierungen und
        bürokratischen Aufwand für die Unternehmen zu erhö-
        hen. Der vor 1998 eingeschlagene positive Weg der De-
        regulierung wurde durch die Bundesregierung zuneh-
        mend verlassen. Substitutionsfördernde Instrumente wie
        der Erlass einer Privilegierungsverordnung für solche
        Unter-nehmen, die sich aktiv im Umweltschutz en-
        gagieren, wurden verschleppt und vernachlässigt. Durch
        diese Politik wird die Verlagerung von Investitionen ins
        Ausland riskiert und der Wirtschaftsstandort Deutschland
        gefährdet. Die durch den Richtlinienentwurf verfolgte
        Angleichung der Bestimmungen der Mitgliedstaaten ist
        daher ausdrücklich zu begrüßen.
        Der Entwurf bezieht sich richtigerweise lediglich auf
        kurzkettige Chlorparaffine. Die Aufnahme anderer Klas-
        sen von Chlorparaffinen ist nicht notwendig; denn die öko-
        toxikologischen Eigenschaften hängen von der Ketten-
        länge ab. Lediglich die kurzkettigen Vertreter neigen stark
        zur Verbreitung im aquatischen Ökosystem und sind für
        einig Organismen giftig. Nur sie stellen daher die pro-
        blematischen Vertreter der Chlorparaffine dar. Nicht um-
        sonst liegt für andere Chlorparaffine auch gar keine
        Risikobewertung gemäß der EU-Altstoffverordnung vor.
        Diese unterschiedliche Gefährlichkeit der verschiedenen
        Chlorparaffinklassen kommt nur in der getroffenen Un-
        terscheidung richtig zum Ausdruck.
        Auch die Beschränkung der Einsatzbereiche auf die
        Metallbearbeitung und Lederverarbeitung ist zweck-
        mäßig. Es werden konsequenterweise nur diejenigen
        Einsatzbereiche genannt, für die im Rahmen der Kom-
        missionsempfehlung Risikominderungsmaßnahmen vor-
        geschlagen werden. Ein vollständiges Verbot von
        kurzkettigen Chlorparaffinen wäre vor dem Hintergrund
        der Kommissionsempfehlung zu den Ergebnissen der
        Risikobewertung kurzkettiger Chlorparaffine nicht mit
        der Auffassung der EU-Kommission zur Anwendbarkeit
        des Vorsorgeprinzips vereinbar.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16421
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        Die Richtlinie ist also im Grundsatz richtig gestaltet.
        Allerdings ist der Regelungsbereich der vorliegenden
        Richtlinie missverständlich und inhaltlich unpräzise. Ins-
        besondere der Änderungsvorschlag zu Ziffer 1 ist miss-
        glückt. Die vorgeschlagene Fassung vermittelt den Ein-
        druck, dass lediglich das Inverkehrbringen kurzkettiger
        Chlorparaffine als Ersatzstoffe für Zubereitungen unter-
        sagt werden soll. Ziel ist doch aber, den Einsatz des Stoffs
        als solchen zu versagen, was den Einsatz im Zuberei-
        tungsverfahren natürlich mit umfasst.
        Darüber hinaus ist eine Konkretisierung des Gesetzes-
        entwurfs notwendig. Es muss auf eine klare Regelung
        hingewirkt werden, die präzise aufführt, welche Prozesse
        der Metallverarbeitung unter die Norm fallen sollen. Ich
        fordere die Bundesregierung daher auf, in diesen Punkten
        Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren zu nehmen und
        eine Klarstellung und Präzisierung zu erreichen.
        Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Wenn wir heute über ein Einsatzverbot von Chorparaffi-
        nen sprechen, dann beraten wir einmal mehr nach dem
        Motto: Wer ist der Schadstoff der Woche?. Gestern die
        Phthalate, heute die Chlorparaffine und morgen die POPs 
        und richtig schreiben müssen das die Journalisten auch
        noch.
        Das ist so flapsig dahergesagt, aber eigentlich ernst ge-
        meint: Vorsorgende Chemiepolitik sollte nicht mehr Ein-
        zelstoffen oder Stoffgruppen hinterherhecheln müssen.
        Das ist Politikstil von gestern. Solange aber die europä-
        ische Chemieindustrie nicht aktiv Verantwortung für ihre
        gefährlichen Stoffe trägt, solange sie nicht aktiv ihr Motto
        Responsible Care auf die von ihr hergestellten Stoffe
        anwendet, solange wird sich die Politik auch mit völlig
        unaussprechlichen Einzelstoffen befassen müssen  sehr
        zur Freude des Stenographischen Dienstes.
        Und deshalb reden wir heute wieder einmal über ein
        Stoffverbot, auf das die Chemiker gerne den Grundsatz
        des Theophrastus Bombastus von Hohenheim (Paracel-
        sus) anwenden, wonach die Dosis erst das Gift mache.
        Doch hier haben wir es nicht mit dosisabhängigen Wir-
        kungen zu tun: Chlorparaffine stehen im begründeten
        Verdacht, Krebs erregend zu sein, krebsfördernd wirken
        sie allemal. Nicht nur, dass es für solche Stoffe keinen
        Grenzwert geben kann, Chlorparaffine sind auch noch
        schwerst abbaubar und reichern sich im Fettgewebe und
        in der Muttermilch an. Auch niedrigste Dosen werden im
        Nahrungskreislauf zum unkalkulierbaren Risiko in einer
        sich immer stärker auffüllenden Vorratskammer
        Mensch.
        Heute finden sich so gefährliche Stoffe wie die Chlor-
        paraffine in jedem Winkel unserer Haushalte wieder. Al-
        lein über die Hälfte der Produktion wird als Weichmacher
        und Flammschutzmittel für PVC eingesetzt. Im Haushalt
        gasen diese Chlorparaffine dann aus Böden, Computer-
        gehäusen, Weichfolien, Radiergummis, Farben, Kitt, Tex-
        tilien, Lederwaren und Autositzen aus und verpesten uns
        die Innenraumluft. Im Brandfall oder beim Verschwelen
        werden ultragiftige Dioxine und Furane gebildet. Unter-
        suchungen des Umweltbundesamtes bestätigen dabei
        Überschreitungen der in der Gefahrstoffverordnung fest-
        gehaltenen Grenzwerte.
        Aber nicht nur der Mensch ist betroffen. Über unsere
        Flüsse gelangen diese Stoffe in die Nord- und Ostsee. Be-
        sonders das sensible Wattenmeer ist betroffen und da
        Chlorparaffine reproduktionstoxisch wirken, schädigen
        sie die dortige Tierwelt noch über Generationen hinaus.
        Also sage ich: Kant statt Paracelsus. Der kategorische
        Imperativ als Grundsatz nachhaltiger Chemiepolitik  ge-
        recht gegenüber der Umwelt und gegenüber künftigen
        Generationen. Daran müssen wir arbeiten. Und deshalb
        nehmen wir die OSPAR-Verpflichtung von 1995 sehr
        ernst, die Einleitung derartiger Stoffe in den Nordost-At-
        lantik innerhalb einer Generation zu stoppen.
        Leider beraten wir heute aber nur über einen ver-
        schwindend geringen Teil dieser Stoffgruppe. Wir reden
        nur über die kurzkettigen Chlorparaffine und wir reden
        nur über Einsatzverbote in der Metall- und Lederverar-
        beitung, also über eine Teilmenge in einem kleinen Ein-
        satzbereich.
        An dieser Stelle spreche ich ein großes Lob an die deut-
        sche Chemieindustrie aus, die bereits seit 1995 ganz auf
        die Produktion der Kurzkettigen verzichtet.
        Das war nahe liegend, weil die Krebs erregende Wir-
        kung der Chlorparaffine mit dem relativen Gehalt an Chlor
        ansteigt und bei den kurzkettigen der schwere Chloranteil
        also überwiegt. Sie sind am gesundheitsschädlichsten.
        Trotzdem werden diese Chemikalien auch bei uns ein-
        gesetzt. Das EU-weite Verbot greift zu kurz: Wir brauchen
        rasch ein europaweites Verbot in allen Bereichen indus-
        trieller Verwendung: Elektro- und Verkehrsmittelindus-
        trie, Bau- und Möbelindustrie.
        Wir brauchen auch ein Verbot aller langkettigen Chlor-
        paraffine. In Persistenz und Bioakkumulation stehen sie
        den Kurzkettigen in nichts nach.
        Eine europäische Harmonisierung ist wünschenswert,
        aber sie darf nicht zu Minimallösungen führen. Heute
        sieht es doch so aus: Nur für Kurzkettige und nur für die
        Bereiche Metall- und Lederverarbeitung liegen abge-
        schlossene Risikobewertungen vor, also werden nur sie
        verboten. Als ob wir nicht immer wieder zum Beispiel auf
        Alternativen in der Metallbranchen hingewiesen hätten:
        Bohr- und Schneidöle auf Pflanzenbasis, insbesondere
        aus Rapsöl; als ob der Vorsorgegrundsatz nicht schon spä-
        testens seit 1995  OSPAR, Einstellung deutscher Pro-
        duktion  für ein Verbot ausreichend gewesen wäre.
        Die Chlorparaffine sind das beste Beispiel dafür, dass
        die bisherige Überprüfung von Altstoffen kläglich ge-
        scheitert ist. Von über 30 000 marktrelevanten Chemika-
        lien sind gerade eine Handvoll Risikobewertungen abge-
        schlossen.
        Sisyphus  so sagte Camus  sei ja eigentlich ein glück-
        licher Mensch gewesen, war seine Tätigkeit doch seine
        Existenz und seine Existenz seine Tätigkeit. Für die Sisy-
        phusarbeit der Risikobewertung von Chemikalien trifft
        das nicht zu: Wir wälzen keine Steine, wir wälzen Gift-
        tonnen und die gefährden unsere Existenz.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116422
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        Es ist Zeit, den Stein liegen zu lassen und die Tonnen
        zu öffnen, Zeit, den gordischen Knoten einer nahezu er-
        gebnislosen, jahrzehntelangen Prüfung zu zerschlagen.
        Das Beispiel der Chlorparaffine zeigt: Wir brauchen
        eine Wende in der europäischen Chemikalienpolitik. Statt
        zeitaufwendiger und kostenintensiver Risikobewertun-
        gen, statt einer Unmenge von Tierversuchen brauchen wir
        eine Einstufung nach Stoffeigenschaften: Chlorparaffine
         ob kurz- oder langkettige  stehen im Verdacht, kanze-
        rogen zu sein, sie sind fruchtbarkeitsschädigend, sie sind
        schwer abbaubar und reichern sich im Körper an.
        Dieser Katalog an Grausamkeiten zeigt: Wir brauchen
        für Chemikalien ein Zulassungsverfahren mit Umkehr der
        Beweislast. Daran muss sich nun auch die Chemieindus-
        trie messen lassen, die mit ihrer Responsible Care-Ini-
        tiative bereits seit Jahren den nachhaltigen Umgang mit
        Chemikalien ankündigt. Verantwortliches Handeln heißt,
        diese gefährlichen Substanzen künftig einer Rezeptpflicht
        zu unterwerfen und erst über ein Zulassungsverfahren
        Einsatzgebiete zu erlauben. So sollen bis 2012 alle wich-
        tigen Altstoffe registriert und aufgrund ihrer Eigenschaf-
        ten bewertet sein.
        Wir begrüßen daher im Grundsatz das Weißbuch der
        Europäischen Kommission zur Strategie für eine künf-
        tige Chemikalienpolitik. Wir werden demnächst eine
        parlamentarische Initiative vorlegen, um weitere Verbes-
        serungen zu erreichen.
        Chemieindustrie und Umweltverbände sollten jetzt
        ruhig Blut bewahren. Das neue Weißbuch zur Chemi-
        kalienpolitik bedeutet weder den Untergang der industri-
        ellen, chemischen Produktion noch das Ende einer Vor-
        sorgeorientierung in der Chemiepolitik. Das Weißbuch ist
        vielmehr ein mutiger Schritt hin zu einer Chemie, die den
        Generationen übergreifenden Ansprüchen der Nachhal-
        tigkeit genügen soll. Denn eines ist sicher: Die heutige
        chemische Praxis  Beispiel Chlorparaffine  ist nicht
        nachhaltig.
        Birgit Homburger (F.D.P.):Mit dem Vorschlag für
        eine Richtlinie zur zwanzigsten Änderung der Richtlinie
        des Rates über die Beschränkungen des Inverkehrbrin-
        gens und der Verwendung kurzkettiger Chlorparaffine
        verfolgt die EU-Kommission das Ziel der Angleichung
        des Binnenmarkts zur Vermeidung von Verzerrungen auf-
        grund der Unterschiede in den einzelstaatlichen Rechts-
        vorschriften in Bezug auf Chlorparaffine und den Schutz
        des aquatischen Ökosystems gegen die möglichen Um-
        weltgefahren in Zusammenhang mit dem Lebenszyklus
        von Chlorparaffinen.
        Vor dem Hintergrund der anzustrebenden Angleichung
        der Umweltschutzvorschriften und der Gewährleistung
        eines möglichst hohen Umweltschutzstandards in Europa
        ist der Vorschlag zu begrüßen. Dies gilt auch und gerade
        im Hinblick auf die Situation deutscher Unternehmen im
        europäischen Wettbewerb, denn die deutsche Industrie hat
        die Produktion und Verwendung von kurzkettigen Chlor-
        paraffinen weitgehend eingestellt und auf Ersatzstoffe
        umgestellt.
        Als Umweltpolitikerin begrüße ich auch das Ziel des
        Schutzes der aquatischen Ökosysteme. Mögliche Um-
        weltrisiken, die von kurzkettigen Chlorparaffinen ausge-
        hen können, werden in den letzten Jahren von der Wis-
        senschaft verstärkt diskutiert. Der Wissenschaftliche
        Ausschuss für Toxizität, Ökotoxizität und Umwelt des
        Europäischen Parlaments hat darauf hingewiesen, dass
        kurzkettige Chlorparaffine nicht nur für die Umwelt, son-
        dern auch für die Gesundheit der Menschen gefährlich
        sein können.
        Der Kommissionsvorschlag setzt den Beschluss der
        Oslo- und Paris-Kommissionen, wonach sich die Zeich-
        ner  darunter die Bundesrepublik Deutschland  ver-
        pflichtet haben, die Verwendung von als umweltgefähr-
        dend eingestuften kurzkettigen Chlorparaffinen für
        bestimmte Anwendungen zu verbieten, nur teilweise um.
        Auch der von Rot-Grün vorgelegte Antrag lässt unter
        Punkt III. 3 die Möglichkeit offen, bestimmte Ausnahmen
        zuzulassen. Es gibt also Bereiche, in denen keinerlei Ge-
        fährdung besteht. Daher wäre es nach meiner Auffassung
        besser, man würde insoweit Verbote nur da erlassen, wo
        sie nötig sind, anstatt nachträglich Ausnahmen vorzuse-
        hen. Dies sorgt für einen erheblichen Unterschied zum
        Beispiel beim Kontrollaufwand.
        Wenn dem so wäre, dass kurzkettige Chlorparaffine
        per se gefährlich sind, dann stellt sich schon die Frage,
        warum das unmittelbar geltende Verbot der Verwendung
        kurzkettiger Chlorparaffine nur in der Metall und Leder
        verarbeitenden Industrie vorgesehen ist. Insoweit ist der
        Richtlinienvorschlag inkonsequent.
        In dem Richtlinienvorschlag ist weiterhin ein großer
        Anwendungsbereich von Chlorparaffinen nicht geregelt.
        So werden auch mittel- und langkettige Chlorparaffine
        von dem Vorschlag nicht erfasst. Hierauf muss die Bun-
        desregierung in den weiteren Beratungen über den Richt-
        linienvorschlag hinweisen. Sie muss sich dafür einsetzen,
        dass für diese Stoffe eine Risikobewertung durchgeführt
        wird und  sollte es nötig sein  darauf hinwirken, dass der
        Anwendungsbereich der Richtlinie entsprechend ausge-
        weitet wird.
        Dem Kritikpunkt des Bundesrats, wonach eine inhalt-
        liche Klarstellung und Präzisierung des Regelungsbe-
        reichs nötig sind, möchte ich mich anschließen: Nicht das
        Inverkehrbringen als Ersatzstoffe für Zubereitungen,
        sondern der Einsatz der Stoffe als solcher und als Be-
        standteil von Zubereitungen sollte  soweit nötig  unter-
        sagt werden. Es muss auch konkret geregelt werden, wel-
        che Prozesse der Metallverarbeitung unter die geplante
        Regelung fallen.
        Ich fordere daher die Bundesregierung auf, die ge-
        nannten Hinweise aufzugreifen und insbesondere auf die
        inhaltliche Klarstellung und Präzisierung des Regelungs-
        bereichs in den weiteren Beratungen hinzuwirken.
        Eva Bulling-Schröter (PDS): Die PDS unterstützt
        den Vorschlag der Kommission zur Richtlinienänderung
        bezüglich der kurzkettigen Chlorparaffine-Verbindung
        mit dem Entschließungsantrag der Koalition. Die Richt-
        linienänderung übernimmt jetzt EU-weit in wesentlichen
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16423
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        Bereichen die deutsche Praxis. Damit wird neben der
        Zurückdrängung dieser toxischen Stoffe in Produkten
        auch der Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt ent-
        zerrt. Ein Umstand, den übrigens immer wieder die Ver-
        treter der chemischen Industrie angemahnt hatten. Der
        freiwillige Produktionsverzicht in Deutschland wird nun
        durch einheitliche Rahmenbedingungen ersetzt. Eine EU-
        weite Ausdehnung des Verwendungsverbotes auch auf
        den Kunststoff- sowie Farb- und Lackbereich sollte mög-
        lichst schnell erfolgen.
        Entsprechende Schritte hin zu Verwendungsverboten
        bei mittel- und langkettigen Chlorparaffinen sollten eben-
        falls schnellstens nach Prüfung eingeleitet werden. Wir
        sehen dabei auch die Probleme bei der Abgrenzung zwi-
        schen diesen Stoffgruppen. Hier ist Forschung vonnöten,
        um belastbare Aussagen zu erhalten.
        Auch hierbei muss allerdings das Vorsorgeprinzip im
        Vordergrund stehen. Also. nicht so lange Gutachten schrei-
        ben, bis der letzte Zweifel, ob denn ein Produkt nicht
        womöglich doch unschädlich wäre ausgeräumt werden
        wird. Schließlich stehen nach dem neuen Weißbuch der
        EU-Kommission zur Chemiepolitik die Zeichen in der an-
        deren Richtung: Die Beweislast für .die Ungefährlichkeit
        eines Stoffes soll künftig bei den Unternehmen liegen.
        In diesem Zusammenhang stimmt folgendes bedenk-
        lich: Vor zwei Wochen hat Kanzler Schröder vor der In-
        dustrie verkündet, die Umsetzung des Chemikalien-
        Weißbuches der EU-Kommission würde zur Vertreibung
        der Chemieindustrie aus Europa führen. Und weiter die
        Financial Times: Der Kanzler verglich das Weißbuch
        mit der Altauto-Verordnung, die Deutschland in letzter
        Minute angehalten und im Sinne der deutschen Industrie
        entschärft hatte.
        Ich habe dies schon vorhin bei der Debatte zur Umset-
        zung der Altauto-Richtlinie erwähnt. Und ich wiederhole
        es hier noch einmal, weil hier alle Alarmglocken läuten
        sollten.
        Wir wollen nicht noch einmal, wie bei der Altauto-
        Richtlinie, einen vor Scham in den Boden versinkenden
        Umweltminister sehen, der  nun zusätzlich durch Gewalt-
        und Entschuldigungsdebatten weich geprügelt  in Brüs-
        sel den Konzernlobbyisten, diesmal als VCI-Vertreter gibt.
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
        Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kom-
        mission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der
        Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz
        der finanziellen Beziehungen zwischen den Mit-
        gliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen
        (Transparenzrichtlinie-Gesetz  TranspRLG)
        Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die neue EU-
        Transparenzrichtlinie wurde im Juli 2000 von der Kom-
        mission verabschiedet und trat am 18. August 2000 in
        Kraft. Damit will die Kommission die öffentliche Hand
        für Marktverzerrungen aufgrund von Monopolstellung
        oder Subventionierung sensibilisieren.
        Ein Zitat aus der Begründung: Sie verfolgt das Ziel,
        der Kommission der Europäischen Gemeinschaft die An-
        wendung der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des
        EG-Vertrages auf Unternehmen zu erleichtern, die einer-
        seits auf öffentlich-rechtlich geschützten Märkten agieren
        und/oder Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftli-
        chem Interesse erbringen und hierfür Beihilfen erhalten,
        und andererseits  in weiteren Geschäftsbereichen  unter
        chancengleichen Marktbedingungen mit dritten Unter-
        nehmen konkurrieren. Hier kann es zu Quersubventionen
        aus dem geschützten bzw. finanziell unterstützten Bereich
        in den Wettbewerbsbereich kommen, die möglicherweise
        mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind. Das soll
        die europäische Wettbewerbsaufsicht verhindern. Will die
        Kommission prüfen, ob Quersubventionierungen stattfin-
        den, können die Unternehmen bisher die gewünschten
        Informationen oft erst nach umfänglichen und langwieri-
        gen Ermittlungen im Einzelfall erteilen, weil aus ihren
        Büchern nicht eindeutig hervorgeht, welche Kosten und
        Erlöse den jeweiligen Geschäftsbereichen zuzurechnen
        sind. Die Änderungsrichtlinie soll sicherstellen, dass
        diese Informationen über die interne Finanz- und
        Organisationsstruktur zukünftig bei den Unternehmen
        vorhanden sind und bei Bedarf von der Kommission ab-
        gefragt werden können.
        Bund und Länder hatten die Richtlinie im Vorfeld ihrer
        Verabschiedung aus zwei wesentlichen Gründen massiv
        kritisiert:
        Erstens. Es bestand die Sorge, dass die Transparenz-
        pflichten kleine und mittlere Unternehmen über Gebühr
        belasten könnten. Diese Befürchtung ist jedoch gegen-
        standslos geworden, weil unsere Regierung sorgsam da-
        rauf geachtet hat dass kleine Unternehmen bevorzugt be-
        handelt werden: Sie hat in Abstimmung mit dem VKU
        eine Umsatzschwelle von 40 Millionen Euro für Unter-
        nehmen bzw. einer Bilanzsumme von 800 Millionen Euro
        für Kreditinstitute erreicht, unterhalb der getrennte Kon-
        ten etc. entbehrlich bleiben.
        Zweitens. Die Länder befürchteten außerdem, dass im
        Rahmen der Umsetzung politisch höchst sensible beihil-
        ferechtliche Fragen, vor allem in Bezug auf öffentliche
        Kreditinstitute und Rundfunkanstalten, präjudiziert wer-
        den könnten. Angesichts des nun vorliegenden minimalis-
        tischen Umsetzungskonzepts des BMF, das die politisch
        sensiblen Fragen in keiner Weise präjudiziert, haben sich
        die Länder für eine bundeseinheitliche Umsetzung ausge-
        sprochen.
        Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der neuen
        EU-Transparenzrichtlinie. Unternehmen, die sowohl in
        öffentlich privilegierten Bereichen als auch zusätzlich
        rein kommerziell tätig sind, müssen danach getrennte
        Konten für die unterschiedlichen Geschäftsbereiche
        führen und hierüber auf Verlangen der Kommission Aus-
        kunft geben. Damit soll der EG-Kommission die Kon-
        trolle über wettbewerbsrechtlich unzulässige Quer-
        subventionen erleichtert werden. Wir halten diese
        Zielsetzung für sinnvoll.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116424
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        Das Gesetz sollte so bald wie möglich in Kraft treten,
        da die Richtlinie bis zum 31. Juli 2001 umgesetzt werden
        muss. Außerdem sollten wir sicherstellen, dass die Unter-
        nehmen einen ausreichenden zeitlichen Vorlauf für die
        Umstellung ihrer Kosten- und Leistungsrechnung, die
        zum 1. Januar 2002 erfolgen muss, haben.
        Gelegentlich wird die Sorge formuliert, die Transpa-
        renzrichtlinie könnte sich negativ auf den in den Kom-
        munen häufig zu findenden steuerlichen Querverbund
        auswirken. Diese Sorge ist unbegründet. Ein Beispiel: Im
        liberalisierten Strommarkt erwirtschaftete Gewinne zur
        Finanzierung des öffentlichen Bereichs Nahverkehr wer-
        den von diesem Gesetz nicht tangiert. Der steuerliche
        Querverbund ist hier nicht betroffen, weil spezielle Rege-
        lungen existieren und für diesen Fall greifen. Genauso
        wenig ist die Gewinnverwendung betroffen.
        Es geht bei diesem Gesetz vielmehr um Haushaltsklar-
        heit. Auch hier einige Beispiele:
        Erstens. Eine gemeinnützige GmbH, sofern sie sowohl
        im privaten Markt operiert als auch in allgemeinem wirt-
        schaftlichen Interesse von der öffentlichen Hand betraut
        ist, bestimmte Leistungen zu erbringen, muss das Trans-
        parenzrichtlinie-Gesetz beachten, sofern sie die Umsatz-
        schwelle von 80 Millionen DM überschreitet.
        Zweitens. Eine Stadtgärtnerei, sofern sie private
        Dienstleitungen erbringt, muss das Transparenzrichtlinie-
        Gesetz beachten.
        Drittens. Ein städtisches Busunternehmen bietet am
        Wochenende einem privaten Konzertveranstalter einen
        Bustransfer an  zu besonders günstigen Preisen. Auch
        dann ist das Transparenzrichtlinie-Gesetz zu beachten.
        Es geht also darum, dass keine Verzerrungen an einem
        privaten Markt dadurch entstehen, dass Quersubventio-
        nen aus dem geschützten bzw. öffentlich finanziell unter-
        stützten Bereich in den privaten Wettbewerbsbereich
        kommen.
        Bei all dem handelt es sich um unternehmensinterne
        Kontentrennung. Auskünfte werden der Kommission nur
        aufgrund eines Auskunftsersuchens erteilt. Es geht also
        nicht um zu veröffentlichende Bilanzen.
        Auch innerhalb der kommunalen Spitzenverbände ent-
        wickelt sich eine Diskussion im Zusammenhang mit der
        öffentlichen Daseinsvorsorge darüber, wie transparent die
        Vorgänge in städtischen Betrieben  auch für Bürgermeis-
        ter und Gemeinderäte  eigentlich sind. Zitat eines Käm-
        merers: Viele Kommunen wissen nicht, was ihre Be-
        triebe machen. In diesem Sinne verbessert mehr
        Transparenz auch den demokratischen Entscheidungspro-
        zess in der Kommune.
        Erste Schritte werden in fortschrittlichen Gemeinden
        schon gegangen: Betriebswirtschaftliche Elemente wie
        dezentrale Ressourcenverantwortung, optimierte Regie-
        betriebe, contract-management und Zielvereinbarung
        etc. ersetzen langsam die kamerale Haushaltsführung.
        Ähnlich liegt das Interesse großer Wohlfahrtsverbände,
        zum Beispiel der Caritas oder der Diakonie. Ein Beispiel
        für ein bereits gut funktionierendes System sind die Kran-
        kenhäuser, die auf der Basis des SGB V mit einer Buch-
        führungsverordnung im Sinne dieses Gesetzes eine hin-
        reichend getrennte Buchführung eingeführt haben. An
        diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die mit diesem
        Gesetz zusammenhängenden Belastungen vertretbar
        sind.
        Nachfolgend einige besondere Aspekte: Öffentliche
        Kreditinstitute: Die Richtlinie geht davon aus, dass auch
        öffentliche Kreditinstitute transparenzpflichtig sein kön-
        nen. Vom Anwendungsbereich gänzlich ausgenommen
        sind lediglich solche Institute, deren jährliche Bi-
        lanzsumme 800 Millionen Euro nicht überschreitet. Das
        betrifft circa 210 von insgesamt 560 deutschen Sparkas-
        sen. Die übrigen öffentlichen Kreditinstitute sind von die-
        sem Gesetz sicher dann nicht erfasst, wenn man Anstalts-
        last und Gewährträgerhaftung abschafft, die von der
        Kommission als Beihilfen angesehen werden. Hier gibt es
        also noch einiges zu tun. Allerdings stellt sich die Frage,
        ob ein Konfrontationskurs zielführend ist. Wir sind froh,
        dass Staatssekretär Koch-Weser gemeinsam mit Länder-
        und Bankenvertretern, also im Austausch mit dem DSGV,
        zurzeit intensiv mit der Kommission verhandelt, um diese
        Problematik zu lösen.
        Die Regierung hat im Wesentlichen zwei Modelle vor-
        gestellt, die auf eine gemeinsame beihilfeneutrale Platt-
        form passen: Erstens. Modifikation der Anstaltslast bzw.
        Abschaffung der Gewährträgerhaftung. Zweitens. Die
        rechtliche Verselbstständigung des Wettbewerbsgeschäfts.
        Die Kommission hat diese Plattformlösung im Grund-
        satz begrüßt. Sobald die Details der Plattformlösung im
        Einvernehmen mit der Kommission umgesetzt worden
        sind, kommt eine Anwendung des Gesetzes auf öffent-
        liche Kreditinstitute auch aus Sicht der Kommission nicht
        mehr in Betracht. Für die Übergangszeit bemüht sich die
        Bundesregierung um eine stand still-Vereinbarung mit
        der Kommission.
        Zum Adressatenkreis: Wir halten es für sehr sinnvoll,
        dass der Entwurf bewusst davon absieht, den Kreis der be-
        troffenen Unternehmen zu konkretisieren. Er beschränkt
        sich darauf, die abstrakten Kriterien der Richtlinie abzu-
        bilden. Die Konkretisierung wird den für die Geset-
        zesanwendung zuständigen Landesbehörden überlassen.
        Das hat zwei Gründe:
        Erstens lässt sich nur anhand der konkreten Umstände
        des Einzelfalles feststellen, welches Unternehmen betrof-
        fen ist. Nehmen wir beispielsweise eine GmbH, die der-
        zeit unter das Gesetz fällt, weil sie sich einerseits im
        öffentlichen Auftrag um eine Altlastensanierung kümmert
        und andererseits im privatwirtschaftlichen Interesse Bera-
        tungsdienste vermarktet. Würde das Unternehmen seine
        privatwirtschaftlichen Aktivitäten aus betriebswirtschaft-
        lichen Gründen einstellen, fiele es aus dem Anwendungs-
        bereich des Gesetzes heraus. Umgekehrt ist es natürlich
        auch denkbar, dass eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege
        rein privatwirtschaftliche Aktivitäten aufnimmt, um
        Deckungsbeiträge zu erzielen. Hierdurch würde sie in den
        Anwendungsbereich des Gesetzes hineinwachsen. Diese
        Beispiele zeigen, dass es nicht sinnvoll wäre, in diesem
        Gesetz eine Positivliste oder eine Negativliste der
        betroffenen Unternehmen aufzunehmen.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16425
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        Zweitens sind sich die Kommission und Deutschland
        nicht in allen Punkten darüber einig, wie das Anknüp-
        fungskriterium Beihilfen auszulegen ist. Wichtigste
        Beispiele sind Anstaltslast und Gewährträgerhaftung oder
        die Frage, ob die deutschen Rundfunkgebühren Beihilfen
        sind. Um ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzu-
        reichender Umsetzung zu vermeiden, begnügt sich das
        Gesetz damit, das Anknüpfungskriterium Beihilfe zu
        übernehmen und überlässt es den Ländern, ihre Rechts-
        auffassungen bei der Anwendung des Gesetzes auf die be-
        troffenen Unternehmen zum Tragen zu bringen, eine ele-
        gante Lösung.
        Nicht betroffene Unternehmen: Wahrscheinlich ist der
        Anwendungsbereich des Gesetzes sehr beschränkt.
        Unternehmen, die nur im öffentlichen Interesse tätig sind,
        fallen gar nicht darunter. Das wird auch für zahlreiche
        Wohlfahrtsverbände und -einrichtungen gelten. Außer-
        dem sind Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz bis
        zu knapp 80 Millionen DM bzw. Kreditinstitute mit einer
        jährlichen Bilanzsumme bis zu knapp 1,6 Milliarden DM
        ausgeschlossen. Eine große Anzahl weiterer Unterneh-
        men ist nicht erfasst, weil für ihre Geschäftstätigkeit
        Spezialvorschriften der Europäischen Gemeinschaften
        zum rechnungsmäßigen unbundling gelten. Das gilt
        beispielsweise für den Strom- und Gasbereich, die Flug-
        häfen, eine Vielzahl von Verkehrsunternehmen und dem-
        nächst wohl auch für die Hafenbetreiber.
        Bußgeldtatbestand: Mit Blick auf den Europäischen
        Gerichtshof, der mehrfach festgestellt hat, dass die
        Mitgliedstaaten Verstöße bei der Umsetzung von Richtli-
        nien nach den gleichen Regeln ahnden müssen, wie Ver-
        stöße gegen gleichartiges nationales Recht, ist eine
        Bußgeldregelung im Transparenzrichtlinie-Gesetz not-
        wendig. Das ergibt sich daraus, dass das Handelsgesetz-
        buch, das Kreditwesengesetz, das Gesetz gegen Wettbe-
        werbsbeschränkungen und andere deutsche Gesetze
        Verstöße gegen Buchführungs- und Auskunftspflichten
        mit Bußgeldern ahnden.
        Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass das Trans-
        parenzrichtlinie-Gesetz sehr transparent die finanziellen
        Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öf-
        fentlichen Unternehmen regelt und dass die Bundesregie-
        rung sehr erfolgreich für unsere kleinen Unternehmen
        verhandelt hat. Eine Umsatzschwelle von 40 Millionen
        Euro kann sich ja wirklich sehen lassen.
        Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Würden tatsäch-
        lich so viele Leute in den Himmel wollen, wenn sie nicht
        Angst vor der Hölle hätten? Strengen sich Menschen stär-
        ker mehr an, wenn sie nicht nur Zulagen für gute Leistun-
        gen, sondern auch Abgaben für schlechte befürchten müs-
        sen? Ich glaube, wir sind uns alle einig darüber, dass das
        Prinzip des Wettbewerbs mit seinen positiven und mit sei-
        nen negativen Sanktionsmöglichkeiten die beste trei-
        bende Kraft für mehr Wohlstand, Innovation und Moder-
        nisierung in unserer Wirtschaft ist. Letzte Zweifler sollten
        die Erfahrungen der Geschichte überzeugt haben, insbe-
        sondere der Zusammenbruch der kommunistischen
        Staatswirtschaften. Intensiver Wettbewerb und ein Level-
        Playing-Field für alle Marktteilnehmer sind der beste
        Kunden- und Verbraucherschutz.
        Leider gibt es in Deutschland immer noch zu viele Be-
        reiche, die sich mit staatlicher Schützenhilfe dem Leis-
        tungswettbewerb entziehen und an überkommenen, lieb-
        gewonnen Privilegien hängen, die Privatwirtschaft in
        Bedrängnis bringen und dadurch volkwirtschaftliche
        Wohlfahrtspotenziale verhindern. Ich spreche von den öf-
        fentlichen Unternehmen. Laut belastbaren Schätzungen
        erwirtschaften öffentliche Unternehmen in unserem Land
        jährlich rund 400 Milliarden DM. Gemessen am Brutto-
        sozialprodukt sind dies rund 11 Prozent. Mehr als 50 Pro-
        zent ihres jährlichen Gesamtauftragsvolumens entfallen
        auf kommunale Betriebe. Bei der Vergabe gehen jährlich
        öffentliche Aufträge in Höhe von 200 Milliarden DM an
        die kommunalen Betriebe statt an den freien Wettbewer-
        ber. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Kann
        es Aufgabe des Staates sein, der Privatwirtschaft, vor al-
        lem dem schon genügend geschröpften Mittelstand, Kon-
        kurrenz zu machen?
        Die öffentliche Hand dehnt ihre wirtschaftlichen Akti-
        vitäten immer weiter aus und besetzt zunehmend Tätig-
        keitsfelder, die bislang der Privatwirtschaft vorbehalten
        waren. Der konturlose Deckmantel der Daseinsvor-
        sorge muss dazu herhalten, dass insbesondere Länder
        und Gemeinden vor allem in den Märkten, die gerade erst
        liberalisiert worden sind, ihre wirtschaftlichen Tätigkei-
        ten ausweiten. Städtische Gartenbaubetriebe übernehmen
        die Pflege privater Grünflächen, kommunale Abfallent-
        sorger steigen in das Geschäft der Verwertung gewerbli-
        cher Abfälle ein, städtische Einrichtungen übernehmen
        die Bewirtschaftung von Gebäuden oder bieten Consul-
        ting- und Ingenieurleistungen an. Im Gegensatz zu priva-
        ten Unternehmen erhalten öffentliche Unternehmen Auf-
        träge häufig freihändig oder sie nutzen die amtliche Nähe
        zur Verwaltung, um die Auftragsvergabe zu ihren Gunsten
        zu beeinflussen.
        Private Unternehmen, vor allem der Mittelstand, kön-
        nen diese massiven Wettbewerbsverzerrungen kaum wirt-
        schaftlich auffangen. Dies gilt auch gegenüber scheinpri-
        vatisierten Unternehmen, die trotz ihrer Rechtsform von
        der öffentlichen Hand beherrscht werden. Öffentliche Un-
        ternehmen tragen kein echtes Konkursrisiko und kein
        echtes Beschäftigungsrisiko. Diese Risiken trägt der Steu-
        erzahler. Öffentliche und scheinprivatisierte Unterneh-
        men haben die Möglichkeit, das hinter ihnen stehende
        Personal der Verwaltung zu nutzen. Personelle Verflech-
        tungen zwischen Aufsichtsbehörden und Gesellschaftsor-
        ganen ermöglichen durch Verquickung amtlicher und pri-
        vater Informationen Wettbewerbsvorsprünge gegenüber
        der privaten Konkurrenz. Bestimmte wirtschaftliche
        Tätigkeiten der Körperschaften des öffentlichen Rechts
        sind von der Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuer
        befreit. Private Unternehmen müssen für die gleiche
        Tätigkeit Steuern zahlen.
        Nicht der schlanke Staat, sondern der aufgeblähte Staat
        wird zum Leitbild rot-grüner Wirtschaftspolitik. Die Aus-
        weitung staatlicher Wirtschaftsaktivitäten ist nicht geeig-
        net, die öffentlichen Haushalte dauerhaft zu sanieren. Die
        Suche nach immer neuen Tätigkeitsfeldern, die Auswei-
        tung von Kapazitäten und die daraus folgende Aufnahme
        neuer Haushaltsposten löst keine finanziellen Probleme
        der öffentlichen Hand. Im Gegenteil: Mit zunehmender
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116426
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        wirtschaftlicher Betätigung des Staates verschlimmern
        sich langfristig ihre finanziellen Probleme, weil die ihr
        obliegenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen in
        aller Regel immer ein Hindernis sind, effizient am Wett-
        bewerb orientiert zu wirtschaften.
        Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Privatwirt-
        schaft durch Marktzutrittsschranken im Energie-, Abfall-
        und Telekommunikationssektor, verzerrter Preiswettbe-
        werb und die Benachteiligung bei der öffentlichen Auf-
        tragsvergabe können wir nicht weiter hinnehmen. Mit Da-
        seinsvorsorge hat dies nichts mehr zu tun, mit verfehlter
        rot-grüner Wettbewerbspolitik schon eher. Wohin soll es
        führen, wenn die Privatwirtschaft Steuern zahlt und der
        Staat ihr mit ihren eigenen Steuergeldern ernsthaft wirt-
        schaftliche Konkurrenz macht? Wie soll die Privatwirt-
        schaft nachhaltig Arbeitsplätze schaffen, wenn staatliche
        Wettbewerber sie in ihrer Existenz bedrohen?
        Was hat dies alles mit dem heute Abend zur Beratung
        anstehenden Umsetzungsgesetzentwurf der Bundesregie-
        rung zur europäischen Transparenzrichtlinie zu tun? Je in-
        tensiver öffentliche Hand und Wirtschaft zusammenhän-
        gen, desto größer der volkswirtschaftliche Wohlfahrts-
        verlust und desto größer die Gefahr der Versumpfung.
        Trennung ist hier die beste Medizin. Einen kleinen Schritt
        in die richtige Richtung ist der wesentliche Inhalt des vor-
        liegenden Gesetzes: Unternehmen, die sowohl in staatlich
        geschützten als auch in liberalisierten Märkten tätig sind,
        sollen künftig zur getrennten Kontenführung für die ent-
        sprechenden Geschäftsbereiche verpflichtet werden. Den
        Wettbewerbsbehörden soll es damit erleichtert werden,
        Wettbewerbsverzerrungen infolge unerlaubter Quersub-
        ventionierung aufzudecken und zu verfolgen. Damit soll
        verhindert werden, dass öffentliche Hilfen aus geschütz-
        ten Bereichen in freie Bereiche überführt werden und dort
        den Wettbewerb verfälschen.
        Die Transparenzrichtlinie der Europäischen Union ist
        im Sinne eines intensiven und unverzerrten Wettbewerbs
        grundsätzlich zu begrüßen. Mit dem vorliegenden Ge-
        setzentwurf ist die ordnungsgemäße Umsetzung in natio-
        nales Recht in den wesentlichen Zügen gewährleistet.
        Gleichwohl ist besonders an zwei Stellen Wachsamkeit
        geboten. Zum einen baut der Anwendungsbereich des
        Entwurfes auf ungeklärten Rechtsbegriffen des EU-
        Rechts auf und ist damit a priori unscharf. Zwar würde
        eine weitergehende Konkretisierung einer Entwicklung
        des europäischen Rechts vorgreifen. Gleichwohl besteht
        die Gefahr, dass diese Interpretationsfähigkeit als Ein-
        fallstor für die Schaffung von Ausnahmetatbeständen
        dient, die aus wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch
        sind. Zum Zweiten beschränkt sich die Sanktionierung
        etwaiger Verstöße gegen das Gesetz auf vorsätzliche
        Handlungen. Fahrlässigkeit wird damit nicht als Ord-
        nungswidrigkeit geahndet. Diese Beschränkung darf bei
        der Umsetzung durch die Landesbehörden nicht zu einem
        Persilschein für Verstöße gegen die Transparenz-Vor-
        schriften werden. Die Landesbehörden müssen mit Un-
        terstützung des Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsmi-
        nisteriums auf eine strenge und dem Zweck der
        Transparenzrichtlinie angemessene Buchführung hinwir-
        ken. Nur so kann das Gebot der getrennten Buchführung
        zu einem wirksamen Instrument einer strengen Beihilfe-
        kontrolle werden, die wir seit langem fordern.
        Getrennte Buchführung darf allerdings nicht zum Fei-
        genblatt einer konturlosen Daseinsfürsorge-Auswei-
        tungspolitik gemacht werden. Trennung zwischen öffent-
        licher Hand und Wirtschaft im grundsätzlichen Sinne,
        Deregulierung und Liberalisierung sind die beste Medizin
        für mehr Wettbewerb, mehr Effizienz, Innovation und
        nachhaltiges Gemeinwohl.
        Der Überweisung in die Ausschüsse stimmen wir zu.
        Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
        vielen Bereichen der Daseinsvorsorge, die früher in Mo-
        nopolen von der Kommune organisiert wurden, wird
        Schritt für Schritt Wettbewerb eingeführt. Wir begrüßen
        dies. Aber Marktwirtschaft und Wettbewerb sind für
        Bündnis 90/Die Grünen kein Selbstzweck. Sie sind In-
        strumente, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Wir
        wollen keine Marktwirtschaft um ihrer selbst willen, son-
        dern eine Wirtschaft, die den Markt nutzt, um soziale und
        ökologische Ziele zu erreichen.
        Der Staat schafft den Ordnungsrahmen, damit Märkte
        überhaupt entstehen und funktionieren können. Wir wol-
        len den Ordnungsrahmen so gestalten, dass soziale und
        ökologische Ziele erreicht werden können. Politik muss
        über die Gestaltung von Märkten entscheiden. Wenn dem
        Markt ökologische und qualitative Kriterien vorgegeben
        werden, werden die Unternehmen die besten Lösungen
        und Technologien entwickeln, um die Ziele zu erreichen.
        Es ist gute Tradition in der Bundesrepublik, dass der
        Staat unter der Überschrift Daseinsvorsorge garantiert,
        dass jeder Bürger und die Industrie mit lebensnotwendi-
        gen Produkten und Dienstleistungen versorgt werden. Zu
        diesem Bereich gehören die Sparkassen, der öffentlich-
        rechtliche Rundfunk, der öffentliche Nahverkehr, die Ab-
        fallentsorgung, die Energieversorgung, die Telekommu-
        nikations- und Postdienstleistungen. Wie aktuell das ist,
        zeigt das Beispiel der Energiekrise in Kalifornien.
        Unternehmen erbringen hier Dienstleistungen im öf-
        fentlichen Interesse. Sie erhalten Subventionen, sind im
        öffentlichen Besitz oder besitzen Exklusivlizenzen, die es
        ihnen ermöglichen, zu Monopolbedingungen anzubieten.
        Von der Europäischen Kommission geht ein kräftiger Im-
        puls für mehr Wettbewerb auch in diesem Bereich aus.
        Das ist gut so.
        Es ist notwendig, dass alle Bereiche auf den Prüfstand
        gestellt werden. Die Telekommunikation hat gezeigt, wel-
        che Preissenkungen und Dienstleistungsverbesserungen
        durch die Einführung von Markt erreicht werden können.
        Die Aufrechterhaltung von Subventionen und Monopolen
        in Bereichen, in denen der Markt bessere Ergebnisse er-
        zielt, lehnen wir ab. Ebenso lehnen wir Versuche ab, den
        reinen Preiswettbewerb an die Stelle der Berücksichti-
        gung ökologischer und sozialer Kriterien zu stellen. Wett-
        bewerbliche Maßstäbe dürfen auch nicht dazu führen,
        dass zum Beispiel die Versorgung von kleinen und mittle-
        ren Unternehmen mit Krediten nicht mehr gewährleistet
        wird. Deshalb wollen wir das System der Sparkassen er-
        halten. Ebenso wenig dürfen Unternehmen, die aus guten
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16427
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        Gründen in bestimmten Bereichen alleiniger Anbieter
        sind oder Subventionen halten, diese nutzen, um in ande-
        ren Bereichen private Anbieter niederzukonkurrieren.
        Hier ist eine Entflechtung, ein unbundling, notwendig.
        Wir begrüßen daher die Transparenzrichtlinie und set-
        zen sie in nationales Recht um. Unternehmen, die einer-
        seits in öffentlich-rechtlichen Märkten agieren und
        Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Inte-
        resse erbringen und hierfür Beihilfen erhalten und die an-
        dererseits in anderen Geschäftsfeldern mit Unternehmen
        konkurrieren, müssen getrennte Konten für diese unter-
        schiedlichen Geschäftsbereiche führen. Das gilt für Spar-
        kassen genauso wie für die Post. Kosten und Erlöse müs-
        sen strikt getrennt werden.
        Diese Vorgabe halten wir für eine minimale Anforde-
        rung, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen, denn es darf
        nicht sein, das private Unternehmen mit Monopolrenten
        niederkonkurriert werden.
        Rainer Funke (F.D.P.): Der Gesetzentwurf der Frak-
        tionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen wird, was
        Sie vielleicht wundern wird, von uns ausdrücklich
        begrüßt. So ganz aus freien Stücken kommt dieser Gesetz-
        entwurf jedoch nicht und er widerspricht in vielen Punkten
        dem bisherigen tatsächlichen Verhalten der Regierungsko-
        alition. Der Gesetzentwurf setzt nämlich lediglich die
        Transparenzrichtlinie der EU um. Dazu ist die Regierung
        bzw. sind die sie tragenden Fraktionen rechtlich verpflich-
        tet. Hinter dem ziemlich verquasten Deutsch des vorgeleg-
        ten Gesetzentwurfs verbirgt sich nämlich Folgendes: Die
        Kommission bemüht sich, anders als mancher Mitglied-
        staat  einschließlich der Bundesrepublik Deutschland 
        um Subventionsabbau. Man kann mit anderen Worten sa-
        gen, der politische Wille zum Subventionsabbau ist in den
        letzten Jahren mehr und mehr von Berlin nach Brüssel ge-
        wandert. Mit zum Teil fadenscheinigen Argumenten und so
        schönen Worten wie Daseinsvorsorge, Planungssicher-
        heit, Universaldienst, Marktstabilisierung werden der
        Subventionsabbau behindert und der Strukturwandel hi-
        nausgezögert. Dabei sind öffentliche Unternehmen oft fe-
        derführend. Die Kommission hat daher in der Transparenz-
        richtlinie gefordert, dass die finanziellen Beziehungen
        zwischen Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unterneh-
        men offen gelegt werden. Weiterhin sollen Unternehmen,
        die auf öffentlich-rechtlich geschützten Märkten agieren
        und für ihre Dienstleistungen Beihilfen erhalten, diese Sub-
        ventionen gesondert ausweisen, damit Quersubventionen
        einfacher als bisher festgestellt werden können. Das Thema
        der Quersubventionen hat uns ja auch zum Beispiel bei der
        Deutschen Post AG hinreichend beschäftigt. Gerade dieses
        Beispiel hat gezeigt, wie schwer diese Quersubventionen
        zu quantifizieren sind. Hier wird uns die Transparenzricht-
        linie hoffentlich weiterhelfen, denn wir wollen durch die
        Transparenz auch erreichen, dass zum Nutzen des Verbrau-
        chers mehr Wettbewerb entsteht als bisher.
        Aber etwas wundern darf man sich schon, dass diesel-
        ben Sozialdemokraten, die dieses Gesetz unterschrieben
        haben, angeblich öffentliche Belange in Postdiensten
        durch besondere Universaldienste schützen, Wettbewerb
        behindern und Postmonopole verlängern wollen, dass die-
        selben Sozialdemokraten die Privatisierung der Bahn AG
        noch immer nicht auf das richtige Gleis geschoben haben,
        dass die Sozialdemokraten die öffentlich-rechtlichen
        Rundfunkanstalten dabei unterstützen, jenseits ihres öf-
        fentlich-rechtlichen Auftrags zusätzliche Programme ein-
        zurichten, und dass die Sozialdemokraten die Vermen-
        gung von strukturpolitischem Förderauftrag und private
        banking bei den öffentlichen Landesbanken und die da-
        mit verbundene Gewährträgerhaftung und Anstaltslast ge-
        genüber der Europäischen Kommission verbissen vertei-
        digt haben, bis es nicht mehr ging.
        Wenn die Sozialdemokraten und die Grünen bei all die-
        sen Sündenfällen durch dieses Gesetz Abbitte leisten wol-
        len, freuen wir Liberale uns natürlich aufrichtig.
        Heidemarie Ehlert (PDS): Fast über Nacht ereilte uns
        ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der nun auch
        noch bis zum Sommer abgenickt werden soll. Die EU-
        Richtlinie über die Transparenz der finanziellen Bezie-
        hungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentli-
        chen Unternehmen, beschlossen im Juli 2000, muss
        umgesetzt werden.
        Der Entwurf ist so spannend wie die Richtlinie, denn
        diese wurde de facto nur übersetzt. Auch zu den Inhalten
        gibt es nicht allzu viel Aufregendes festzustellen. Grund-
        anliegen ist, staatliche Beihilfen und Quersubventionen
        transparenter für die EU-Kommission zu machen, um
        schneller gegen Missbrauch vorgehen zu können bzw.
        Missbrauch zu vermeiden. Dem kann angesichts der Mil-
        liarden Steuergelder, die jährlich irgendwo verschwinden,
        nur zugestimmt werden. Die Führung von intern getrenn-
        ten Konten wird bei manchen Unternehmen zwar wieder
        zu einem Aufschrei führen, aber von der rechnungstech-
        nischen Seite und mit der modernen Technik ist das ohne
        weiteres zu lösen.
        Aus den Erfahrungen mit Subventionsmissbrauch  er-
        innert sei an die Bremer Vulkan, kann so, wenn es denn
        gewollt ist, schnell geprüft werden, ob die Gelder auch
        wirklich dort hinkommen, wo sie hinkommen sollen, und
        wofür sie verwendet werden. Nur zu unterstützen ist auch
        der § 5, der den Unternehmen Auskunfts- und Vorlage-
        pflichten auferlegt, wenn die Kommission der Europä-
        ischen Union dies verlangt.
        Spannend ist hier die Frage, wer von der Transparenz-
        richtlinie betroffen ist. Sind es auch die deutschen Lan-
        desbanken und Sparkassen? Neben dem grundlegenden
        Konflikt zwischen der EU-Kommission und der Bundesre-
        gierung über das Beihilfesystem der Landesbanken ist ein
        Streitpunkt ja auch die Anwendung der Transparenzrichtli-
        nie auf die Landesbanken. Aber hier wird uns sicher die Dis-
        kussion in den Ausschüssen wichtige Erkenntnisse bringen.
        Die Praxis wird zeigen, wie mit dem Gesetz umgegan-
        gen wird, denn leider bewahrheitet sich immer wieder die
        alte Erkenntnis, dass eine Krähe der anderen kein Auge
        aushackt.
        Deutscher Bundestag  14. Wahlperiode  167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116428
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