Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001
Volker Beck (Köln)
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1) Anlage 5
2) Anlage 6
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Adler, Brigitte SPD 10.05.2001
Barthel (Berlin), SPD 10.05.2001
Eckhardt
Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 10.05.2001
Marieluise DIE GRÜNEN
Behrendt, Wolfgang SPD 10.05.2001*
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 10.05.2001**
Bindig, Rudolf SPD 10.05.2001*
Bohl, Friedrich CDU/CSU 10.05.2001
Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 90/ 10.05.2001
DIE GRÜNEN
Friedrich (Altenburg), SPD 10.05.2001
Peter
Fuhrmann, Arne SPD 10.05.2001
Geis, Norbert CDU/CSU 10.05.2001
Hauser (Bonn), Norbert CDU/CSU 10.05.2001
Dr. Haussmann, F.D.P. 10.05.2001
Hirche, Walter F.D.P. 10.05.2001
Holetschek, Klaus CDU/CSU 10.05.2001
Klappert, Marianne SPD 10.05.2001
Kopp, Gudrun F.D.P. 10.05.2001
Kramme, Anette SPD 10.05.2001
Lamp, Helmut CDU/CSU 10.05.2001
Leidinger, Robert SPD 10.05.2001
Marquardt, Angela PDS 10.05.2001
Müller (Berlin), PDS 10.05.2001
Manfred
Pfeifer, Anton CDU/CSU 10.05.2001
Dr. Protzner, Bernd CDU/CSU 10.05.2001
Raidel, Hans CDU/CSU 10.05.2001
Roth (Gießen), Adolf CDU/CSU 10.05.2001
Dr. Scheer, Hermann SPD 10.05.2001
Schily, Otto SPD 10.05.2001
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 10.05.2001
Hans Peter
von Schmude, Michael CDU/CSU 10.05.2001
Schulhoff, Wolfgang CDU/CSU 10.05.2001
Schulz, Gerhard CDU/CSU 10.05.2001
Dr. Schuster, R. SPD 10.05.2001
Werner
Dr. Spielmann, Margrit SPD 10.05.2001
Dr. Süssmuth, Rita CDU/CSU 10.05.2001
Dr. Thomae, Dieter F.D.P. 10.05.2001
Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 10.05.2001
DIE GRÜNEN
Dr. Westerwelle, Guido F.D.P. 10.05.2001
Wimmer (Karlsruhe), SPD 10.05.2001
Brigitte
Wistuba, Engelbert SPD 10.05.2001
Wohlleben, Verena SPD 10.05.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 10.05.2001*
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 10.05.2001
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates
** für die Teilnahme an der Sitzung der Parlamentarischen Versamm-
lung der NATO
Anlage 2
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung und des Entschließungsantrages:
Wohngeld- und Mietenbericht 1999 (Tagesord-
nungspunkt 5)
Christine Ostrowski (PDS): Das Fettnäpfchen kann
ich mir aussuchen: Entweder ich rede zur Sache, zum Be-
richt dann bin ich nicht aktuell oder ich rede über ak-
tuelle Wohnungspolitik; dann spreche ich nicht zur Sache.
Das Dilemma ist: Der Wohngeld- und Mietenbericht
beschreibt die Jahre 1997 und 1998. Heute, im Mai 2001,
steht er erst auf der Tagesordnung, zu einer Zeit, in der be-
reits der nächste Wohngeld- und Mietenbericht vor der
Tür steht. Diese Kluft von drei, vier Jahren, in denen sich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
in der Wohnungspolitik vieles, zum Teil auch dramatisch,
verändert hat, hat auch damit zu tun, dass zwischen Ein-
bringung des Berichts und seiner heutigen Beratung über
ein Jahr vergangen ist. Das muss man sich vorstellen. Ich
kann nur hoffen, dass dieses Zögern nicht etwa Absicht
war; sonst läge die Vermutung nahe, der späte Zeitpunkt
wäre Ihnen deshalb recht, weil es jetzt so viel Erfreuli-
ches darzustellen gibt.
Denn in der Wohnungspolitik scheint alles Friede,
Freude, Eierkuchen: entspannte Wohnungsmärkte; sanfte
Mietanstiege bis ins vergangene Jahr, in dem der Anstieg
der Mieten sogar erstmalig seit 20 Jahren unter den Le-
benshaltungskosten lag. Der Anstieg der Wohnnebenkos-
ten hat sich verlangsamt. Ein neues Wohngeldrecht ist in
Kraft. Das Mietrecht ist durch. Die Reform des sozialen
Wohnungsbaus ist eingebracht; sie klingt modern: nach
Ökologie, sozialer Durchmischung, Innenstadtentwick-
lung, Flexibilität. Selbst die Leerstandskrise Ost im
Bericht kaum thematisiert scheint verbal gelöst zu wer-
den. Durch die Medien schwirren Sonderprogramm
Ost, 6 Kanzler-Milliarden, Solidarpakt II, Sanie-
rungsprogramme Innenstädte Ost usw.
Eherne wohnungspolitische Thesen, die noch vor vier,
fünf Jahren die Debatten beherrschten besonders von
SPD und Grünen , sind jetzt aus dem Sprachgebrauch
der Koalitionsfraktionen verschwunden, werden jetzt gar
seitenverkehrt von CDU/CSU und F.D.P. geäußert. Bei-
spielsweise Verstetigung des Wohnungsbaus, antizy-
klisches Verhalten der Politik, Finanzierungsverant-
wortung des Staates. Heute erwecken Sie den Eindruck,
meine Damen und Herren der Koalition, als wären diese
Grundsätze überholt. Ich glaube, da irren Sie.
Es beunruhigt, dass Ihre langfristigen Weichenstellun-
gen in der Wohnungspolitik durch die Augenblicksbrille
getroffen zu werden scheinen. Dass zum Beispiel die
Mietrechtsreform eine Jahrzehntereform ist, dazu bedarf
es keines Beweises. Ihre dominierende Begründung für
die 20-Prozent-Kappungsgrenze aber war, dass der Woh-
nungsmarkt eine 30-prozentige Mieterhöhung sowieso
nicht hergibt. Sie gingen also gedanklich von der mo-
mentanen Situation eines entspannten Marktes aus. Sol-
che Begründung haben Sie von mir nie gehört, obwohl
auch wir für die Senkung der Kappungsgrenzen eingetre-
ten sind. Unsere Begründung hieß: Den Preis eines Pro-
duktes, gesetzlich sanktioniert, zu erhöhen, ohne an ihm
etwas zu verbessern, ist nicht legitim. Und wenn man das
dennoch tut, dann nutzt man die Sonderstellung des Gutes
Wohnen aus, die bekanntlich dadurch gekennzeichnet ist,
dass der Mensch wohnen muss und auf eine Wohnung
nicht verzichten kann.
Ein prägnantes Beispiel für Ihre Momentsicht ist auch
Ihre andauernde Wiederholung, dass der Neubau von
Wohnungen nahezu überflüssig sei. Drei Anmerkungen
dazu: Erstens. Tatsächlich sind zwar so viel Mietwohnun-
gen am Markt wie noch nie den Osten in seiner Sonder-
situation klammere ich hier bewusst aus , aber der Spa-
tenstich für diese Wohnungen vollzog sich noch unter der
alten Regierung. Das Fehl an Wohnungen die Differenz
zwischen Haushalten und Wohnungen hat sich auf rund
500 000 verringert. Was mit anderen Worten heißt, dass
immer noch eine halbe Million Wohnungen fehlt.
Zweitens. Die Zahl der Haushalte wird bis 2015 weiter
ansteigen, was einen weiteren Bedarf bis dahin signali-
siert.
Drittens. Selbst wenn theoretisch angenommen die
Zahl der Haushalte mit der Zahl der Wohnungen überein-
stimmen würde auch qualitativ , selbst wenn also jeder
Haushalt nicht nur eine, sondern seine Wohnung hätte,
käme man bei Strafe des Verfalls der Wohnungen nicht
umhin, alljährlich den erforderlichen Erhaltungs- und Er-
satzbau zu sichern. Welchen Umfang der hat, kann man
leicht ausrechnen. Bei 38 Millionen Wohnungen ist das
eben ein Umfang von 380 000 Wohnungen jedes Jahr.
Und wenn man diesen Umfang nicht gewährleistet, ihn
nicht finanziert, dann kommt es mit Sicherheit zum
Stau, zu neuer Verknappung und zu ansteigenden Mie-
ten. In Ballungsräumen wie München, Stuttgart, Düssel-
dorf ist das bereits zu beobachten. Im Übrigen konstatiert
der RDM aktuell erstmals nach sechs Jahren einen An-
stieg bei Neuvermietungen und zwar 2 Prozent im Altbau
und 1,6 Prozent im Neubau.
Ich werfe Ihnen auch vor, dass Ihnen der Wille zur dif-
ferenzierten, gründlicheren analytischen Betrachtung ab-
handen gekommen ist. So sagt allein ein wenn auch er-
freulich niedriger Mietanstieg nichts aus. Zu einer
realen Beurteilung der Lage kommt man erst, wenn Ein-
kommen und Miete in Relation gestellt werden, wie es im
Armuts- und Reichtumsbericht geschieht. Wenn 35 Pro-
zent aller Haushalte eine Mietbelastung von 30 Prozent
und mehr haben, sind es bei den reichen Haushalten eben
nur 6 Prozent, die mehr als ein Drittel für das Wohnen aus-
geben. Am höchsten liegt die Wohnkostenbelastung bei
den Einkommensschwächsten. Haushalte mit einem Ein-
kommen von unter 1 000 DM geben 67 Prozent für das
Wohnen aus. Das ist eigentlich gar nicht nachvollziehbar.
Alleinstehende mit Kindern haben besonders hohe Belas-
tungen, ebenso Familien mit Kindern. Und eine hohe
Wohnkosten- bzw. Mietbelastung paart sich mit kleineren
Wohnungen und schlechterer Ausstattung. Finden Sie
nicht auch, dass das eine ernst zu nehmende Schieflage
ist? Es ist ja nicht nur die Wohnung. Diese Personengrup-
pen sind generell in vielfacher Weise benachteiligt. Wie
Sie diese Schieflage beseitigen wollen, weiß ich nicht. Ich
höre ja noch nicht einmal davon, dass Sie diese überhaupt
erkannt hätten. Ihre Reform des Sozialwohnungsbaus löst
das Problem nicht. Allein die Tatsache, dass Sie die Ein-
kommensgrenzen nahezu unverändert lassen, ist Beleg
genug dafür.
Auch beim Wohngeld bleiben Sie oberflächlich, reden
stets nur von der Erhöhung, die was mich auch freut
zahlreichen Haushalten zugute kommt. Aber Sie sparen
gänzlich aus der öffentlichen Debatte aus, dass im Osten
zusätzliche Freibeträge weggefallen, pauschale Abzugs-
beträge gekürzt worden sind, sodass es sogar zur Minde-
rung von Wohngeldansprüchen kommen kann. Für solche
Härtefälle haben Sie mit den Ländern insgesamt 20 Mil-
lionen DM eingeplant. Es muss also viele Haushalte be-
treffen. Wie viel, wissen Sie nicht so Ihre Antwort auf
meine entsprechende Frage. Ich sage es Ihnen: Theore-
tisch betroffen sind 260 000 Arbeitslose, 140 000 Rent-
nerhaushalte, 78 000 Alleinerziehendenhaushalte.
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Auch haben Sie nie wirklich den Widerspruch reflek-
tiert, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten der soziale
Wohnungsbau mit Milliarden und Abermilliarden geför-
dert wurde. Mit dem Ergebnis, dass dessen Ziel bezahl-
bares Wohnen für breite Schichten des Volkes zu si-
chern exakt nie erreicht wurde. Und wegen dieses
verfehlten Ziels wiederum mit Milliarden und Abermil-
liarden das Wohngeld auch noch herhalten musste und
muss. Ohne Reflexion dieses Widerspruchs haben Sie
sich Hals über Kopf in die Reform des Sozialwohnungs-
baus gestürzt, die von der kümmerlichsten Finanzausstat-
tung in der Geschichte der Bundesrepublik geprägt ist.
Nur nebenbei: Es interessiert Sie auch nicht, wie sich
quantitativ und qualitativ die Zielgruppen entwickeln.
Es interessiert Sie auch nicht, wie sich deren Wohnungs-
bedarf entwickelt. Das alles habe ich schriftlich als Ant-
wort Ihrer Regierung auf eine Anfrage.
Von Augenblickssicht getrübt ist auch Ihr Verhalten,
was die Leerstandskrise im Osten angeht: Wo auch immer
Sie dazu öffentlich auftreten und es gab ausreichend öf-
fentliche Foren, Veranstaltungen und Konferenzen , im-
mer habe ich Ihre Einschätzung gehört, dass Ihre küm-
merliche Novelle des Altschuldenhilfegesetzes als Hilfe
und Verantwortung des Bundes an sich genug sei. Nun sei
der Ball bei den ostdeutschen Ländern und Kommunen.
Übrigens: Außer dieser in keiner Weise der Krise gerecht
werdenden Novelle haben Sie seither das wollen wir
ausdrücklich feststellen nichts weiter unternommen. Für
die Inszenierung Expertenkommission wohnungswirt-
schaftlicher Strukturwandel in den neuen Ländern
welch eine Wortschöpfung fiel der Vorhang im No-
vember vergangenen Jahres. Seither ging auch das Licht
in zahlreichen weiteren Wohnungen ostdeutscher Städte
aus.
Berichte sind dann gut, wenn sie von wirklicher Pro-
blemsicht geprägt sind. Berichte sind dann sinnvoll, wenn
sie von der Politik und von den Politikern als Handlungs-
grundlage begriffen werden. Ihr Vorgehen mit dem Wohn-
geld- und Mietenbericht spricht eher dafür, dass er letzt-
lich für die Ablage taugt. Schade um die Bäume.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Teilberichts zu dem Thema:
Schutz des geistigen Eigentums in der Biotech-
nologie (Tagesordnungspunkt 11)
Dr. Ilja Seifert (PDS): Erstmals wird heute im Plenum
des Deutschen Bundestages über ein konkretes Arbeitser-
gebnis der im März 2000 mit Zustimmung aller Fraktio-
nen eingesetzten Enquête-Kommission Recht und Ethik
der modernen Medizin debattiert. Allein diese Tatsache
verdient bereits Würdigung.
Damit wird ein wichtiger und durchaus strittiger Dis-
kussionsprozess über den ethischen und rechtlichen Um-
gang mit Biotechnologien im Parlament auch für die
Öffentlichkeit und jeden Bürger transparent. Dass die
Enquête-Kommission des Bundestages damit also auch
für die Bevölkerung wieder etwas greifbarer wird, halte
ich angesichts der Tendenz zur Einsetzung konkurrieren-
der Ethikräte für einen Fortschritt.
Nach der im letzten Jahr bekannt gewordenen Patent-
vergabe des Europäischen Patentamtes auf genmanipu-
liertes menschliches Erbgut, gegen die die PDS Einspruch
eingelegt hat, gibt es hier noch genügend Anlass zu be-
kräftigen: Weder das menschliche Genom noch Teile da-
von, noch Organe oder Zellen des menschlichen Körpers
dürfen patentierbar sein. Eine Patentierung von Pflanzen
und Tieren mit ihren Genen darf ebenso wenig infrage
kommen.
Ausgangspunkt für den Teilbericht war die Notwendig-
keit, eine möglichst gemeinsame Position zur Biopatent-
Richtlinie 98/44 der Europäischen Union zu erarbeiten
und zur Diskussion zu stellen. Nun ist aber bekannt, dass
diese EU-Richtlinie und ihre Umsetzung in nationales
Recht seit längerer Zeit umstritten sind. Die Parlamentari-
sche Versammlung des Europarates forderte schon 1999
eine Neuverhandlung der Biopatent-Richtlinie, insbeson-
dere wegen Art. 5 Abs. 2, der eine Patentierung isolierter
Teile des menschlichen Körpers nicht ausschließt und so-
mit entsprechende Stoffpatente ermöglicht.
In der EU sei hier auf die kritischen Positionen der Nie-
derlande, Italiens und auch Frankreichs verwiesen. Bisher
gibt es seitens des Europäischen Gerichtshofes noch keine
Entscheidung über die Klage der Niederlande gegen die
Biopatent-Richtlinie, jedenfalls nicht in der Hauptsache.
In Deutschland ist die EU-Richtlinie ebenfalls in der Kri-
tik. Das reicht von der Stellungnahme des Bundesrates
vom Dezember 2000 über den Deutschen Ärztetag, die
Bundesärztekammer bis hin zur grundsätzlichen Kritik
von Greenpeace, die in der Anhörung der Enquête-Kom-
mission vorgetragen wurde. Deshalb wäre es vernünftig,
wenn sich die Bundesregierung in Brüssel dafür einge-
setzt hätte, die Umsetzung dieser EU-Richtlinie auszuset-
zen und erneute Verhandlungen zu ermöglichen. Sie hat
sich aber stattdessen entschlossen, ein Biopatentgesetz
vorzulegen, das nach eigenem Bekunden eine nahezu
wörtliche Umsetzung dieser viel kritisierten EU-Richtli-
nie vorsieht. Erst auf solcher Grundlage verpflichtet sie
sich, in der EU einen Änderungsprozess zu initiieren und
für erforderliche Verbesserungen und Präzisierungen des
europäischen Patentrechts einzutreten. Dieser Versuch,
das Pferd von hinten aufzuzäumen, ist weder elegant noch
akzeptabel.
Einen Umsetzungszwang der EU-Richtlinie in na-
tionales Recht, auf den sich die Bundesregierung beruft,
hat die Enquête-Kommission mehrheitlich nicht erkennen
können. Mehr noch: Von einer übereilten deutschen Im-
plementierung wird abgeraten.
Den Kern des Teilberichts der Enquête-Kommission
bildet die mehrheitlich beschlossene Stellungnahme zur
nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie über den Schutz
biotechnologischer Erfindungen. Auf der Grundlage einer
Bewertung der EU-Biopatent-Richtlinie hat die Enquête-
Kommission in ihrer Stellungnahme Eckpunkte und Er-
wägungen entwickelt, deren Einhaltung bei der Umset-
zung in nationales Recht unumgänglich ist. In diesem
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Sinne werden konkrete Initiativen der Bundesregierung
zur Verbesserung des Patentrechts auf europäischer Ebene
gefordert.
In der Stellungnahme wird ausdrücklich begrüßt, dass
die Biopatent-Richtlinie versucht, europaweit zu normie-
ren, für welche Erfindungen keine Patente erteilt werden.
Dazu gehören unter anderem das Klonen von menschli-
chen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der mensch-
lichen Keimbahn sowie die Verwendung menschlicher
Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwe-
cken. Es ist positiv, dass der Entwurf für ein Biopatent-
gesetz diesen Katalog übernimmt und ihn durch einen di-
rekten Hinweis auf das Embryonenschutzgesetz präzi-
siert.
Angesichts der schnellen Entwicklung in den Biotech-
nologien und grundsätzlicher Probleme der Biopatentie-
rung, die ebenfalls im Teilbericht aufgezeigt wurden,
fordert die Stellungnahme aber weiter, unmissverständ-
lich deutlich zu machen, dass sich der im Gesetz der
Bundesregierung aufgeführte Katalog nicht patentierba-
rer Erfindungen nicht als abschließend versteht. Ange-
sichts der Begehrlichkeiten in Forschung und Wirtschaft
ist nämlich ebenso dringend zu gewährleisten, dass Erfin-
dungen, die auf einen Eingriff in den Körper eines Men-
schen ohne dessen Einwilligung zurückgehen, explizit
von einer Patentierung ausgeschlossen werden.
Über die sichtlichen Divergenzen in der Enquête-
Kommission hinweg möchte ich feststellen, dass sich
wohl alle in folgendem Punkt einig waren:
Die Übertragung des Patentschutzes auf den Bereich
des Lebendigen hat einen Paradigmenwechsel ein-
geleitet, für den das Recht erst noch eine angemes-
sene Systematik entwickeln muss.
Ich füge für die PDS hinzu: Die Praxis des Lebens for-
dert von der Politik nicht allein formalrechtliche Rege-
lungen, sondern auch adäquate ethische Maßstäbe, damit
kein Machbarkeitswahn zu nicht mehr rückholbaren Ent-
wicklungen führt.
Als Menschen haben wir eine besondere Verantwor-
tung für die Bewahrung der Natur, nicht nur der eigenen
Gattung. Viele nennen dies Bewahrung der Schöpfung.
Für mich ist es ein humanistisches Ideal, das ich mit mög-
lichst vielen Menschen teilen möchte.
Dr. Eckard Pick, Parlamentarischer Staatssekretär
bei der Bundesministerin der Justiz: Durch die Richtlinie
über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfin-
dungen wird kein besonderes und auch kein neues Patent-
recht geschaffen. Mir ist dieser Hinweis sehr wichtig
nicht zuletzt wegen der bisherigen Diskussion!
Es werden bereits seit vielen Jahrzehnten überall auf
der Welt Patente auf biotechnologische Erfindungen er-
teilt. Die Biopatent-Richtlinie schafft in diesem Bereich
in erster Linie größere Rechtsklarheit und Rechtssicher-
heit. Dabei dies betone ich weitet die Biopatent-Richt-
linie das Patentrecht nicht aus, sondern sie schränkt es ein.
Lassen Sie mich dies ganz konkret verdeutlichen:
Die Richtlinie stellt klar, dass nur Erfindungen, nicht
aber Entdeckungen patentierbar sind. Dies ist zwar nichts
Neues, jedoch fehlte bisher diese Klarstellung im Gesetz.
Nach der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten der EU
ferner bestimmte und fundamental wichtige Patentie-
rungsverbote in ihre Patentgesetze aufnehmen. Hier geht
es um die gesetzliche Festschreibung der ethisch gebote-
nen Grundsätze, die die Würde und die Unversehrtheit der
Menschen gewährleisten. Auch das ist nichts Neues. Es
war dem europäischen Richtliniengeber aber wichtig,
dass die wichtigsten Verbote ausdrücklich im Gesetz ge-
nannt werden. Hier ist insbesondere zu nennen: Der
menschliche Körper ist in allen Phasen seiner Entstehung
und Entwicklung nicht patentierbar.
Um der Richtlinie in vollem Umfang gerecht zu wer-
den, muss man sich aber auch vor Augen führen, was die
Richtlinie nicht regelt: Die Richtlinie enthält nichts, was
bestimmte gentechnische Verfahren erlaubt oder verbie-
tet. Sie erlaubt mit keiner Vorschrift irgendein biotechno-
logisches Verfahren. Sie ermöglicht oder verbietet keine
Forschungen. Sie regelt nicht das, was Wissenschaftler
tun dürfen oder besser bleiben lassen.
Kurz gesagt: Die Biopatent-Richtlinie schafft also
größere Rechtsklarheit und Rechtssicherheit und führt die
ethischen Grenzen der Patentierung ins Bewusstsein und
benennt sie konkret. Und die Umsetzung dieser Richtlinie
überträgt dies alles in das deutsche Recht. Ich betone dies
so nachdrücklich, weil es leider immer wieder übersehen
wird.
Der Zwischenbericht der Enquête-Kommission Recht
und Ethik in der modernen Medizin mit seinen zwei
Stellungnahmen berücksichtigt diese Gesichtspunkte.
Während ein Minderheitenvotum vor allem die Vorteile
der Biopatent-Richtlinie deutlich herausstreicht, emp-
fiehlt die Stellungnahme selbst die Umsetzung erst für ei-
nen Moment, zu dem die herausgearbeiteten Eckpunkte
verwirklicht worden sind. Beim Betrachten dieser Eck-
punkte komme ich unweigerlich zu dem Schluss: Im Er-
gebnis empfiehlt die Enquête-Kommission Recht und
Ethik in der modernen Medizin die Umsetzung der Bio-
patent-Richtlinie!
Die meisten der in neun Eckpunkten aufgestellten For-
derungen der Enquête-Kommission sind ja bereits seit
vielen Jahren im deutschen Recht verwirklicht. Nur ein
paar Stichworte: Patente dürfen nicht für Entdeckungen
erteilt werden; Patente, deren Verwertung gegen die öf-
fentliche Ordnung verstößt, sind verboten; die Vorschrif-
ten zum Schutz von Patenten sind einzuhalten; die unbe-
fristete Möglichkeit von Nichtigkeitsklagen.
Andere Eckpunkte werden mit der Umsetzung der Bio-
patent-Richtlinie deutsches Recht: das Erfordernis einer
konkreten Funktionsbeschreibung von Genen als Patent-
erteilungsvoraussetzung; die Erleichterung der Zwangsli-
zenzierung; die Berücksichtigung der Interessen der
Landwirte durch die Einführung des Landwirteprivilegs.
Nun zum Stoffpatent: Auch die Bundesregierung will
eine Überprüfung seiner Reichweite. Es geht um eine Prü-
fung der Voraussetzungen einer Patentierbarkeit von Ge-
nen, Gensequenzen und Teilen von Gensequenzen, die
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von menschlichen oder tierischen Lebewesen, Pflanzen
oder Mikroorganismen stammen. Das Bundesministe-
rium der Justiz hat damit bereits begonnen. Die Europä-
ische Kommission ist informiert. Wir haben sie gebeten,
bald in einen Meinungsaustausch darüber einzutreten.
Über eines müssen wir uns aber klar sein. Das Patent-
recht ist eine Materie, die wie kaum eine andere inter-
national verflochten ist. Eine Weiterentwicklung des Pa-
tentrechts hat nur dann einen Sinn, wenn wir sie im inter-
nationalen Raum diskutieren. Ein rechtstreues Verhalten
der EU gegenüber ist dabei eine unabdingbare Vorausset-
zung für den Erfolg des von der Bundesregierung be-
schlossenen Änderungsprozesses. Hier ist also die Bun-
desregierung auf die Unterstützung des Deutschen
Bundestages angewiesen.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrages: Aufhebung der na-
tionalistischen Unrechtsurteile gegen Deserteure
(Tagesordnungspunkt 12)
Margot von Renesse (SPD): Zu dem Antrag der PDS
braucht nicht viel gesagt zu werden, weil nichts zu ent-
scheiden ist außer seiner Ablehnung. Der Antrag ist das
Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht, und er ist
die Zeit nicht wert, die man zu seiner Ablehnung benötigt.
Nach einem in der Tat quälend langen Beratungspro-
zess hat der Bundestag in der letzten Legislaturperiode al-
les nachgeliefert, was den Wehrdienstverweigerern, Fah-
nenflüchtigen und Wehrkraftaktzersetzern des Zweiten
Weltkrieges schon lange zugestanden hätte: volle Rehabi-
litierung und Anspruch auf Entschädigungsleistung. Der
Antrag der PDS ist daher, wie man bei Gericht sagt, in der
Hauptsache erledigt. Man kann nur noch darüber disku-
tieren, was die PDS dazu veranlasst haben mag, ihn zu
stellen. Die Wiedergutmachung von Unrecht zugunsten
von Menschen, die zu Opfern wurden, kann es nicht ge-
wesen sein.
Bernd Wilz (CDU/CSU): Die Fraktion der CDU/CSU
lehnt den Antrag der PDS ab. Er greift erneut eine The-
matik auf, die bereits mehrfach Gegenstand von Debatten
und Entscheidungen des Bundestages war. Die in diesem
Zusammenhang getroffenen Entscheidungen des Parla-
ments stellen eine in jeder Hinsicht ausreichende Rege-
lung für die Aufhebung von NS-Urteilen dar; dies gilt
auch für Deserteure.
Durch das in der vergangenen Legislaturperiode ver-
abschiedete Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer
Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege wurde ein Kom-
promiss zur pauschalen Aufhebung vieler NS-Urteile ge-
funden. Der Gesetzgeber von 1998 hat ausdrücklich klar-
gestellt, dass dies auch für militärische Unrechtsurteile
gilt.
Insgesamt kam es uns der Union bei der Verab-
schiedung des damaligen Gesetzes und früherer Entschei-
dungen darauf an, Rechtssicherheit und Gerechtigkeit für
die Betroffenen herbeizuführen. Schon damals hatten wir
auf unsere Bedenken gegen eine pauschale Aufhebung
aller Urteile hingewiesen. Wie Sie zum Beispiel dem
Plenarprotokoll vom 15. Mai 1997 und vom 28. Mai 1998
entnehmen können, gingen bereits diese Entscheidungen
einem Teil meiner Kolleginnen und Kollegen zu weit.
Mit ihrem Antrag will die PDS nun in Wahrheit die
pauschale Aufhebung aller Urteile gegen Deserteure kraft
Gesetzes erreichen, ganz gleich ob Entscheidungen mit
oder ohne Todesstrafe, ob von der Militärjustiz oder an-
deren Gerichtszweigen. Damit schießen sie eindeutig
über das Ziel hinaus. Ein solcher Freibrief ist aus folgen-
den Gründen nicht sachgerecht:
Erstens. Es ist völlig unbestritten, dass es Deserteure
gab, die aus ehrenhaften Motiven handelten. Dies gilt ins-
besondere für überzeugte Widerstandskämpfer. Aller-
dings gab es und auch dies dürfte unbestritten sein De-
serteure, die aus verwerflichen Motiven handelten und die
auch aus heutiger Sicht strafrechtlich relevant wären.
Dafür möchte ich nur zwei Beispiele nennen: Ein Sol-
dat, der desertiert, um sich der Verfolgung wegen einer
von ihm zuvor begangenen Straftat zu entziehen, verstößt
gegen Recht und Gesetz. Die von der PDS geforderte pau-
schale Aufhebung einer entsprechenden Ahndung führte
geradezu zu einer Billigung eines solchen rechtswidrigen
Verhaltens.
Darüber hinaus: Denken Sie einmal an das Ende des
Zweiten Weltkrieges zurück, als die Wehrmacht sich im
Abwehrkampf gegen die eindringende Rote Armee be-
fand, um zum Beispiel Ostpreußen die Flucht zu ermögli-
chen, die zuvor massenhaft Morde, Vergewaltigungen
und Plünderungen durch die Sowjets ertragen mussten.
Wenn in einer solchen Situation ein deutscher Soldat seine
eigenen Kameraden im Stich ließ, sie damit vorsätzlich
der Gefahr des Todes oder der Gefangenschaft aussetzte
und zu den Sowjets überlief, dann ist ein solches Verhal-
ten, wie ich finde, zutiefst verwerflich. Es sind zahlreiche
Fälle belegt, in denen Soldaten aufgrund solchen Verhal-
tens ihr Leben verloren haben.
Zweitens. Würde man alle Entscheidungen pauschal
aufheben, so würde man damit auch die Bewertung ver-
binden, dass alle Richter rechtswidrig und willkürlich ge-
handelt hätten. Sicherlich gab es Richter, die aus natio-
nalsozialistischer Ideologie Unrechtsurteile sprachen.
Unbestritten dürfte aber auch sein, dass Richter nach
Recht und Gesetz und damit nach bestem Wissen und Ge-
wissen gehandelt haben. Dies galt auch für Richter der
Militärjustiz. Die pauschale Aufhebung sämtlicher Ur-
teile käme faktisch einer Diskriminierung der ganzen
Richterschaft gleich. Und das wollen wir nicht.
Drittens. Die Aufhebung aller Urteile gegen Deserteure
würde per se deren pauschale Rehabilitierung bedeuten.
Dies käme inzidenter einer Herabsetzung der vielen Mil-
lionen deutscher Soldaten gleich, die sich anständig ver-
hielten und tapfer kämpften zutiefst davon überzeugt,
ihre Pflicht zu erfüllen.
Es ist leider wahr, dass die Wehrmacht von dem verbre-
cherischen NS-Regime instrumentalisiert und missbraucht
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wurde. Allein aber aus der Pflichterfüllung Rückschlüsse
auf eine negative Gesinnung ziehen zu wollen, ist un-
zulässig. Die Wehrmachtsangehörigen insgesamt zu ver-
urteilen oder aber einer niederen Gesinnung zu bezichti-
gen, wäre wahrheitswidrig und ist eindeutig abzulehnen.
Auch die mit dem PDS-Antrag verfolgte Forderung der
Ausweitung der Entschädigungspraxis verdient keine Zu-
stimmung. Sie ist mit dem gefundenen überparteilichen
Kompromiss aus dem Jahre 1997 nicht vereinbar.
Die beschlossene Regelung über die einmalige Ent-
schädigung war eine Geste des guten Willens und von
dem Gedanken getragen, die unmittelbar betroffenen An-
tragsteller über bestehende Anspruchsgrundlagen hinaus
zu begünstigen.
Dabei war von vornherein beabsichtigt, Leistungen
grundsätzlich nur an die Überlebenden zu erbringen. Die
Einbeziehung deren Angehöriger sollte indes sicherstel-
len, dass sich der Staat nicht durch verzögerte Bearbei-
tung der Zahlungspflicht entziehen konnte oder kann.
Im Übrigen bedarf es einer Ausweitung der Entschädi-
gungszahlung auch deshalb nicht, weil den Angehörigen
bereits Ansprüche zustehen, die sich aus dem Bundesver-
sorgungsgesetz, dem Bundesentschädigungsgesetz oder
dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz ableiten lassen.
Jörg van Essen (F.D.P.): In den vergangenen Jahren
haben wir uns wiederholt mit der Frage der Aufhebung
der NS-Unrechtsurteile befasst. Erst vor wenigen Wochen
hat der Deutsche Bundestag mit überragender Mehrheit
die pauschale Aufhebung der NS-Unrechtsurteile gegen
Homosexuelle beschlossen. Die überragende Mehrheit,
die es damals für diese wichtige Initiative gab, hat in ein-
drucksvoller Weise gezeigt, dass der Bundestag sehr wohl
in der Lage ist, seiner besonderen Verantwortung für die
Opfer des Naziregimes gerecht zu werden. Wir müssen al-
les tun, um dem Eindruck der Fortgeltung nationalsozia-
listischen Unrechts zu begegnen.
Bei den Beratungen über das NS-Aufhebungsgesetz
haben wir uns bereits vor einigen Jahren auch mit den Ur-
teilen der NS-Militärjustiz gegen Deserteure der Wehr-
macht intensiv beschäftigt. Der Bundestag hat dabei fest-
gestellt, dass die Gerichte der Militärjustiz im NS-Staat
keine Gerichte im rechtsstaatlichen Sinne waren. Sie
waren vielmehr ein Terrorinstrument der nationalsozialis-
tischen Willkürherrschaft. Das gilt insbesondere für
Verurteilungen wegen der Tatbestände Desertion/Fah-
nenflucht, Wehrkraftzersetzung und Wehrdienstver-
weigerung zu Todesurteilen. Das Bundessozialgericht
hat in einem Urteil im Jahre 1991 deutliche Worte gefun-
den. Darin heißt es, maßgeblich für die Bewertung der
Verurteilungen im NS-Staat müsse die Feststellung sein,
dass nicht die aktive Teilnahme am völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg Nazideutschlands die von der Rechtsord-
nung anerkannte Norm darstelle; Maßstab sei gerade die
Verweigerung der Teilnahme.
Im NS-Aufhebungsgesetz haben wir 1998 geregelt,
dass Todesurteile des Reichskriegsgerichts und der Mi-
litärgerichte wegen Desertion aufgehoben werden sollen,
soweit sie nicht auf Delikten beruhen, die auch vor dem
20. Januar 1933 nach allgemeinem Strafrecht mit der To-
desstrafe bedroht waren. Darüber hinaus können die Ur-
teile nach einer Einzelfallprüfung aufgehoben werden,
falls sie die Voraussetzungen der Generalklausel erfüllen.
Die vielfältigen Initiativen der vergangenen Jahre be-
legen in eindrucksvoller Weise, dass der Bundestag sich
sehr verantwortungsvoll mit den unterschiedlichen Op-
fergruppen auseinander gesetzt hat und die jeweiligen In-
teressen berücksichtigt hat. Wir waren uns bei den Bera-
tungen darüber einig, dass wir mit unseren Beschlüssen
dem Problem der Rehabilitierung gerecht geworden sind.
Wenn die PDS nun weiteren Klärungsbedarf sieht,
dann muss sie hier auch schlüssig darlegen, warum die
bisher vorliegenden Regelungen nicht getragen haben
und zu Ungerechtigkeiten geführt haben sollen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts zu der Unterrichtung: Vorschlag für
eine Richtlinie des Europäischen Parlaments
und des Rates zur 20. Änderung der Richtlinie
76/769/EWG des Rates zur Angleichung der
Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mit-
gliedstaaten für Beschränkung des Inverkehr-
bringens und der Verwendung gewisser gefährli-
cher Stoffe und Zubereitungen (kurzkettige
Chlorparaffine) (Tagesordnungspunkt 13)
Dr. Carola Reimann (SPD): Kurzkettige Chlorparaf-
fine sind leider ein sehr fachspezifisches Thema. Eine
Aussprache über diesen Gegenstand ist längst nicht so te-
legen wie eine Debatte über Grundsatzfragen. Trotz der
wenig prominenten Platzierung auf der Tagesordnung ist
eine Auseinandersetzung mit diesem Thema notwendig.
Wir diskutieren heute die Stellungnahme des Bundes-
tages zu einer Richtlinie der Europäischen Union, in der
es um die Verwendung von kurzkettigen Chlorparaffinen
geht. Ich will mich diesem Thema nüchtern naturwissen-
schaftlich nähern, denn ideologische Voreingenommen-
heit hat hier keinen Platz.
Zuerst will ich erklären, was Paraffine und was Chlor-
paraffine sind. Paraffine entstehen bei der Erdölfraktion,
das heißt beim Aufspalten von Erdöl in unterschiedliche
Bestandteile, die unterschiedlich weiterverarbeitet wer-
den. Paraffine kennen wir alle: Sie sind im Handel meist
als dick- oder dünnflüssiges Paraffinöl erhältlich. Che-
misch sind sie sehr reaktionsträge. Paraffine können nicht
einfach mit einem Streichholz entzündet werden: Erst
wenn ein Docht vorhanden ist, kann es brennen.
Paraffine sind Gemische langkettiger, aliphatischer
und gesättigter Kohlenwasserstoffe, es gibt also weder
Ring- noch Doppel- und Dreifachbindungen. Sie können
sich das Ganze wie eine Kette von einfach verbundenen
Kohlenstoffatomen vorstellen. An jedem Kettenglied
hängen zwei Wasserstoffatome, am ersten und letzten
Kohlenstoffatom hängen drei Wasserstoffatome. Bei den
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116418
(C)
(D)
(A)
(B)
Chlorparaffinen hängen nun an den Kohlenstoffatomen
ein oder mehrere Chloratome. Sie sind also Chlorierungs-
produkte des Paraffins mit einem Chlorgehalt von 15 bis
70 Prozent.
Um diese sehr theoretische Debatte über chemische
Wirkstoffe etwas praktischer zu gestalten, habe ich hier ein
kleines Modell von einem Chlorparaffin mitgebracht:
Chemisch gesprochen, habe ich hier das Modell eines
C12H23Cl3-Moleküls in der Hand. Bei diesem Modell se-
hen Sie eine Kette von 12 Kohlenstoffmolekülen. Jedes
der Kohlenstoffmoleküle kann vier Bindungen eingehen.
An jedem Molekül, das in der Mitte der Kette ist, hängen
zwei Wasserstoffatome. An den beiden Endstellen hängen
drei Wasserstoffatome. Ein Paraffin-Molekül würde nur
aus der Kohlenstoffkette und den daran hängenden weißen
Wasserstoffmolekülen bestehen. Bei diesem Chlorparaffin
sind drei Wasserstoffatome durch Chloratome ersetzt wor-
den. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz
herzlich bei den chemischen Instituten der Charité bedan-
ken, bei denen ich dieses Modell ausleihen konnte.
Chlorparaffine sind farblose oder gelbliche Flüssigkei-
ten oder Feststoffe. Sie haben sehr unterschiedliche Ei-
genschaften: leicht beweglich bis stark zähflüssig oder
glasig erstarrt bis wachsartig. Ebenso wie die Paraffine
sind Chlorparaffine chemikalien- und lichtbeständig. Bis
200 Grad Celsius sind die Chlorparaffine temperaturbe-
ständig und schwer entflammbar.
Wie in dem vom Ausschuss für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit beschlossenen Antrag beschrieben,
werden insgesamt 200 verschiedene Chlorparaffine ge-
nutzt. In der Anwendung sind Chlorparaffine uns auch al-
len vertraut: Sie werden als wetterfeste Imprägnierung in
Kleidungsstücken eingesetzt, als Flammschutzmittel, als
Lösungsmittel für die Farbstoffe im Durchschreibepapier
oder als Weichmacher im PVC und in der Metallverarbei-
tung. In der Metallverarbeitung werden sie besonders als
Schmierstoffe benutzt.
Unterschieden werden die langkettigen Chlorparaf-
fine, die eine Kettenlänge von mehr als 17 Kohlenstoffa-
tomen haben, die mittelkettigen Chlorparaffine mit zwi-
schen 14 und 17 Chloratomen und die kurzkettigen
Chlorparaffine, die eine Kettenlänge zwischen 10 und 13
Kohlenstoffatomen haben.
Was sind nun die Probleme der Chlorparaffine, die es
notwendig machen, sich politisch mit ihnen auseinander
zu setzen? Zwar sind Chlorparaffine nicht akut giftig, aber
von ihnen geht eine andere Gefahr aus, die wir nicht un-
terschätzen dürfen: Chlorparaffine persistieren in der Um-
welt. Das bedeutet, sie können nicht natürlich abgebaut
werden und akkumulieren so in der Umwelt. Jährlich wer-
den nach Schätzungen von Prof. Wolfgang Rotard von der
Technischen Universität Berlin 300 000 Tonnen Chlor-
paraffine hergestellt, die nicht biologisch abgebaut wer-
den. Dabei ist es ganz egal, ob wir über kurzkettige, mit-
telkettige oder langkettige Chlorparaffine sprechen: Alle
diese Stoffe akkumulieren sich in unserer Umwelt. Das
heißt, Chlorparaffine reichern sich in der Nahrungskette
an. Chlorparaffine konnten in Muscheln und Fischen, aber
auch in Vögeln nachgewiesen werden. Und sie konnten
auch im menschlichen Fettgewebe nachgewiesen werden.
Kurzkettige Chlorparaffine werden heutzutage vor al-
lem in der Metallverarbeitung eingesetzt. Im PVC werden
mittelkettige Chlorparaffine als Weichmacher eingesetzt.
Man benutzt sie, weil sie flammhemmend wirken. Sie ha-
ben aber die gleichen Nachteile wie alle anderen Chlor-
paraffine.
Von besonderer Gefährlichkeit für den Menschen und
die Umwelt sind die kurzkettigen Chlorparaffine: Sie
begünstigen den Ausbruch von Tumoren, sie wirken als
Tumorpromotoren.
Daher kommt der Deutsche Bundestag nicht umhin,
sich mit Chlorparaffinen zu beschäftigen. Uns stellt sich
ganz grundsätzlich die Frage: Wollen wir Stoffe herstel-
len und nutzen, die in der Umwelt dauerhaft bestehen blei-
ben und das Ökosystem belasten und unsere Gesundheit
gefährden? Die Antwort, die wir in dem Antrag von SPD
und Bündnis 90/Die Grünen gegeben haben, ist eindeutig:
Nein.
Wir wollen diese Stoffe aus dem Verkehr ziehen, denn
es gibt in allen Bereichen Alternativen, sowohl im Bereich
der Metallverarbeitung bis hin zu den Weichmachern für
PVC-Produkte. Wir können daher sicherlich gemeinsam
von allen Seiten des Hauses feststellen, dass wir diese
Richtlinie begrüßen: Kurzkettige Chlorparaffine gefähr-
den Mensch und Umwelt. Auf diese Stoffe wollen wir in
Zukunft verzichten.
Dabei bleibt aber eine Frage offen und das ist der po-
litische Streitpunkt: Reichen die Festlegungen in dieser
Richtlinie des Rates und des Europäischen Parlamentes
aus? Ganz eindeutig: Diese Richtlinie geht nicht weit ge-
nug! In der Richtlinie wird nur eine Gruppe der Chlorpa-
raffine berücksichtigt: Es geht leider nur um die kurzket-
tigen Chlorparaffine.
Die Richtlinie bleibt weit hinter dem PARCOM-Be-
schluss von 1995 zurück. Zehn Mitglieder der Europä-
ischen Union darunter auch die Bundesrepublik
Deutschland haben schon 1995 die Einstellung der Ver-
wendung von kurzkettigen Chlorparaffinen beschlossen.
Bis zum 31. Dezember 1999 sollten keine Chlorparaffine
mehr verwandt werden. Lediglich zwei Ausnahmen sind
vorgesehen: im Dammbau und als Flammschutzmittel für
Förderbänder im Untertagebau. Doch auch hier sollte bis
Ende des Jahres 2004 die Verwendung untersagt werden.
Wir führen hier also keine parteipolitische Auseinander-
setzung um Umweltfragen: Dieser Beschluss ist 1995 von
CDU/CSU und F.D.P., damals in der Regierungsverant-
wortung, mitgetragen worden. Deshalb ist es für mich un-
verständlich, wie Sie innerhalb des Ausschusses für Um-
welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit diskutiert und
abgestimmt haben.
Bei der vorliegenden EU-Richtlinie geht es lediglich
um die Einschränkung der Verwendung von kurzkettigen
Chlorparaffinen in zwei Anwendungsgebieten, bei der
Verarbeitung von Metall und dem Fetten von Leder. Das
ist inkonsequent. Wenn wir unsere Umwelt und letztlich
uns wirksam schützen wollen, müssen wir ganz auf Chlor-
paraffine verzichten!
Kurzkettige Chlorparaffine werden sonst auch weiter-
hin in Farben, Beschichtungen, Dichtungsmitteln und als
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16419
(C)
(D)
(A)
(B)
Flammschutzmittel in Gummi, Kunststoffen und Tex-
tilien verwandt. Die vorliegende Richtlinie will nur in-
nerhalb von drei Jahren nach Verabschiedung Maßnah-
men prüfen, die die Risiken verringern. Doch das reicht
nicht aus!
Dem Verbot von Chlorparaffinen stehen auch keine
wirtschaftlichen Gründe im Weg: Kurzkettige Chlorpa-
raffine werden in Deutschland seit 1995 nicht mehr pro-
duziert. Der Markt für mittelkettige Chlorparaffine lag
1994 bei etwa 5 000 Tonnen. Das ist wirtschaftlich be-
trachtet eine sehr geringe Menge. Hauptanwendungsge-
biet ist das PVC und hier gibt es wie gesagt genügend
Ersatzstoffe.
Das Problem, vor dem wir stehen, ist ein bürokrati-
sches: In den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
sind gefährliche Chemikalien im Einsatz. Entsprechend
der EU-Verordnung zur Bewertung und Kontrolle der
Umweltrisiken bestimmter Altstoffe findet eine Risikobe-
wertung statt. Chlorparaffine sind ein sehr gutes Beispiel,
an dem sich zeigt, dass die Langsamkeit in der Bürokra-
tie dazu führt, dass eine gefährliche Stoffgruppe weiter
eingesetzt werden kann, weil die Überprüfungen und Ent-
scheidungen so lange dauern.
Deshalb ist das neue Weißbuch Chemiepolitik der Eu-
ropäischen Union der Schritt in die richtige Richtung: Wir
brauchen zugunsten der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher eine grundsätzliche Veränderung des Systems. Eine
Chemikalie darf nur noch dann eingesetzt werden, wenn
sie unschädlich ist. Diese Beweislast muss umgekehrt
werden. Es muss vom Hersteller oder Importeur, vom
Verkäufer oder Benutzer nachgewiesen werden, dass sein
Produkt keine negativen Wirkungen auf die Umwelt hat.
Nur dann darf ein Stoff auch eingesetzt werden. Das ist
die Chemiepolitik des 21. Jahrhunderts. Im 19. 20.?
Jahrhundert war es so, dass eine nützliche chemische Ver-
bindung so lange und ohne Rücksicht auf Verluste einge-
setzt werden konnte, bis sie verboten wurde. Dieses über-
kommene Verständnis, in dem Natur einfach verbraucht
werden kann, muss beendet werden.
Deshalb hat dieses Verfahren der Umkehr der Beweis-
last auch eine breite Unterstützung im Umweltausschuss
des Bundesrates am 26. April gefunden: Auch Bayern hat
diesem Prinzip dort zugestimmt!
Im Umweltausschuss hat die Fraktion von CDU/CSU
leider gegen unseren Antrag gestimmt: Sie haben ausge-
führt, dass nur im Bereich der Leder- und Metallverarbei-
tung Probleme bestehen und die weitere Verwendung der
kurzkettigen Chlorparaffine ungefährlich sei. Das ist lei-
der falsch. Es sind nur die Bereiche mit den größten Emis-
sionen. Und auch die Auffassung der F.D.P. trifft nicht zu,
dass es Anwendungsbereiche gibt, in denen Chlorparaf-
fine ungefährlich sind. Persistierende Stoffe führen auf-
grund der Akkumulation in der Umwelt zu Problemen.
Mit dem Antrag fordern wir eine Konkretisierung der
Richtlinie. Nicht das Inverkehrbringen kurzkettiger
Chlorparaffine, sondern der Einsatz dieser Stoffe muss
untersagt sein. Darüber hinaus wollen wir eine Kenn-
zeichnung der Produkte, die Chlorparaffine enthalten. Wir
wollen die Lacke, Textilien und anderen Stoffe, die Chlor-
paraffine beinhalten, für den Verbraucher und die Ver-
braucherin sichtbar machen. Dagegen hat auch im Aus-
schuss niemand protestiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und der F.D.P., ich bitte Sie heute die gleiche Auffassung
zu vertreten, die Sie vor sechs Jahren hatten, als Sie die
Regierung stellten: Unterstützen Sie die Position, die Sie
selbst im PARCOM-Beschluss festgeschrieben haben.
Kurzkettige Chlorparaffine müssen aus dem Verkehr ge-
zogen werden. Ohne Ausnahme.
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Trotz steigender Ar-
beitslosigkeit und hoher Benzinpreise gehört der Schutz
der Umwelt noch immer zu den aktuellen Themen unse-
rer Gesellschaft. Ein großer Teil der Bevölkerung hält den
Umweltschutz unabhängig von der aktuellen Tagespolitik
für wichtig. Immerhin steht er nach Angaben des Um-
weltbundesamtes aus dem Jahre 2000 auf Platz vier der
größten Probleme in Deutschland.
Das heute geltende Umweltschutzrecht wurde in den
16 Jahren christdemokratischer Regierungszeit gestaltet
und geprägt. Aufgrund der Durchsetzung verschiedener
medienbezogener Gesetze wie das Bundesbodenschutz-
gesetz durch die vorherige Bundesregierung, hat sich
ein hoher Standard des deutschen Umweltschutzes ent-
wickelt. Das erfolgreiche Wirken christdemokratischer
Umweltminister hat die Umweltpolitik zu einem Gütesie-
gel Deutschlands gemacht. Trotzdem müssen sich heutige
und zukünftige Generationen noch immer mit den Gefah-
ren chemischer Stoffe in Natur und Umwelt auseinander
setzen.
Aufgrund ihrer Langlebigkeit verbreiten sich Chemi-
kalien in allen Umweltmedien. Sowohl Luft und Boden
als auch die Gewässer sind davon betroffen. Deshalb ist
die seit 1994 erreichte Reduzierung der Schadstoffbelas-
tung in der Umwelt fortzusetzen. Dafür sollten einfache
und praktikable Lösungen gefunden werden, die eine si-
chere Anwendung gefährlicher Stoffe sicherstellen.
Zu einem dieser gefährlichen Stoffe gehören Chlorpa-
raffine. Chlorparaffine enthalten Kohlenstoffketten Pa-
raffine unterschiedlicher Länge, an denen Wasserstoff
durch Chlor ersetzt wurde. Sie sind je nach Kettenlänge
und Chlorgehalt farblose oder gelbliche, leichtbewegliche
bis hochviskose Flüssigkeiten oder glasig erstarrte bis
wachsartige Feststoffe. Chlorparaffine sind chemikalien-
und lichtbeständig sowie temperaturbeständig bis circa
200 Grad Celsius. Darüber hinaus sind sie vergleichs-
weise wenig flüchtig und schwer entflammbar. Sie wer-
den aufgrund ihrer hohen chemischen und physikalischen
Beständigkeit als Weichmacher in Farben, Lacken und
Dichtungsmaterialien sowie als Flammschutzmittel in
Gummi, Kunststoffen und Textilien eingesetzt.
Anzutreffen sind Chlorparaffine in Fugendichtungsmas-
sen, Beschichtungen, Farben, Gehäusen, Gummi und PVC-
Produkten wie zum Beispiel Bodenbelägen. Hauptanwen-
dungsbereich für die hier zu behandelnden kurzkettigen
Chlorparaffine ist die Metall- und Lederverarbeitung.
Dem vielfältigen Nutzen dieses Stoffes stehen jedoch
die umfangreichen Umweltschäden, die er verursacht,
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116420
(C)
(D)
(A)
(B)
gegenüber: Chlorparaffine sind biologisch schlecht ab-
baubar. Sie reichern sich in der marinen Umwelt an und
finden Eingang in die Nahrungskette. Dadurch gefährden
sie nicht nur die natürliche Umwelt, sondern auch die Ge-
sundheit der Bevölkerung. Es ist demnach nicht verwun-
derlich, dass Chlorparaffine in Kleinkrebsen, Fischen und
letztlich auch im menschlichen Körper nachgewiesen
wurden. Chlorparaffine sind wie die anderen chlorierten
Kohlenwasserstoffe sehr langlebig in Standardtests bio-
logisch nicht abbaubar und fettlöslich. Sie reichern sich
im Fettgewebe, in der Niere und in der Leber an.
Dies ist deshalb so besorgniserregend, weil kurzkettige
Chlorparaffine möglicherweise krebserregend sind. In der
MAK-Liste sind Chlorparaffine in Abschnitt III B einge-
stuft, das heißt: es besteht ein begründeter Verdacht auf
krebserzeugendes Potenzial.
Auf bestimmte Organismen wirken Chlorparaffine so-
gar toxisch. Im Brandfall entstehen Salzsäure sowie poly-
chlorierte Furane. Chlorparaffinhaltige Abfälle müssen
als Sondermüll entsorgt werden. Chlorparaffine sind in
die Wassergefährdungsklasse 3 stark wassergefährdend
eingestuft.
Die Reinhaltung der Gewässer von Chlorparaffinen ist
in Anbetracht der überragenden Bedeutung von Wasser
als Grundnahrungsmittel unablässig. Wasser ist Lebens-
grundlage für Mensch und Tier. Die mögliche Aufnahme
von Chlorparaffinen auf den verschiedensten Wegen der
Nahrungskette gefährdet die Gesundheit von Erwachse-
nen und Kindern. Um Risiken für Mensch und Umwelt zu
vermeiden, die auf die Verwendung von kurzkettigen
Chlorparaffinen zurückgehen, sind Schutzmaßnahmen
daher dringend erforderlich. Bei der Ausarbeitung solcher
Maßnahmen ist aber immer der Grundsatz der Verhältnis-
mäßigkeit zu wahren. Insbesondere darf die Innovations-
und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht
unnötig beeinträchtigt werden.
Im Rahmen des Oslo-Paris-Meeresschutzabkommens
bestehen bereits umfassende, über den vorliegenden
Richtlinienentwurf hinausgehende Regelungen zur Ver-
wendung von kurzkettigen Chlorparaffinen. Durch diesen
so genannten PARCOM-Beschluss wurde normiert, dass
die Verwendung kurzkettiger Paraffine als Plastifiziermit-
tel in Farben und Lacken, die Verwendung in Schmier-
stoffen zur Metallbearbeitung und die Verwendung als
Flammschutzmittel in Gummi, Kunststoff und Textilien
bis zum 31. Dezember 1999 und die Verwendung als Plas-
tifizierungsmittel in Dichtmassen bis zum 31. Dezember
2004 einzustellen ist. Leider haben nicht alle Mitglied-
staaten der Europäischen Union diesem Abkommen zu-
gestimmt. Dies hat ein weiteres Mal Wettbewerbsverzer-
rungen zulasten der deutschen Unternehmen zur Folge.
Dies ist aber nicht der einzige Nachteil. Daneben be-
steht auch der grenzüberschreitende Charakter der Ver-
schmutzung von Gewässern. Das verunreinigte Grund-
oder Oberflächengewässer macht vor Staatengrenzen
eben nicht Halt. Die Bemühungen der deutschen Indus-
trie, diese Stoffe nicht mehr zu verwenden und dadurch
die Landesbevölkerung zu schützen, werden damit hin-
fällig. Das Problem des Schadstoffeintrags in Gewässer
ist nur international zu lösen.
Durch den vorliegenden Richtlinienentwurf wird nun
endlich eine Harmonisierung des europäischen Rechts an-
gestrebt und der von deutschen Unternehmen bereits seit
langem praktizierte Umweltschutz im Bereich der Chlor-
paraffine wird nun endlich europaweit eingefordert. Die
Vorreiterrolle deutscher Unternehmen in Bezug auf die
kurzkettigen Chlorparaffine ist zwar durchweg zu be-
grüßen, die damit verbundenen Belastungen dürfen aber
nicht übersehen werden. Die Bundesregierung hat hier
einmal die Möglichkeit, ganz entgegen Ihrer sonstigen
Gewohnheit, eine Regelung zu unterstützen, die Wettbe-
werbsverzerrungen entgegenwirkt.
Bisher hat die Bundesregierung Benachteiligungen
deutscher Unternehmen auf dem europäischen und inter-
nationalen Markt durch nationale Alleingänge ja nicht nur
hingenommen, sondern regelrecht gefördert. Gerade im
Umweltbereich hat die Politik des deutschen Sonder-
weges von Herrn Trittin dazu geführt, dass sich deutsche
Betriebe Belastungen ausgesetzt sehen, die wirtschafts-
politisch nicht mehr tragbar sind.
Die Umsetzung europäischer Richtlinien, welche eine
Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten bewirken
sollte, wurde dazu genutzt, Reglementierungen und
bürokratischen Aufwand für die Unternehmen zu erhö-
hen. Der vor 1998 eingeschlagene positive Weg der De-
regulierung wurde durch die Bundesregierung zuneh-
mend verlassen. Substitutionsfördernde Instrumente wie
der Erlass einer Privilegierungsverordnung für solche
Unter-nehmen, die sich aktiv im Umweltschutz en-
gagieren, wurden verschleppt und vernachlässigt. Durch
diese Politik wird die Verlagerung von Investitionen ins
Ausland riskiert und der Wirtschaftsstandort Deutschland
gefährdet. Die durch den Richtlinienentwurf verfolgte
Angleichung der Bestimmungen der Mitgliedstaaten ist
daher ausdrücklich zu begrüßen.
Der Entwurf bezieht sich richtigerweise lediglich auf
kurzkettige Chlorparaffine. Die Aufnahme anderer Klas-
sen von Chlorparaffinen ist nicht notwendig; denn die öko-
toxikologischen Eigenschaften hängen von der Ketten-
länge ab. Lediglich die kurzkettigen Vertreter neigen stark
zur Verbreitung im aquatischen Ökosystem und sind für
einig Organismen giftig. Nur sie stellen daher die pro-
blematischen Vertreter der Chlorparaffine dar. Nicht um-
sonst liegt für andere Chlorparaffine auch gar keine
Risikobewertung gemäß der EU-Altstoffverordnung vor.
Diese unterschiedliche Gefährlichkeit der verschiedenen
Chlorparaffinklassen kommt nur in der getroffenen Un-
terscheidung richtig zum Ausdruck.
Auch die Beschränkung der Einsatzbereiche auf die
Metallbearbeitung und Lederverarbeitung ist zweck-
mäßig. Es werden konsequenterweise nur diejenigen
Einsatzbereiche genannt, für die im Rahmen der Kom-
missionsempfehlung Risikominderungsmaßnahmen vor-
geschlagen werden. Ein vollständiges Verbot von
kurzkettigen Chlorparaffinen wäre vor dem Hintergrund
der Kommissionsempfehlung zu den Ergebnissen der
Risikobewertung kurzkettiger Chlorparaffine nicht mit
der Auffassung der EU-Kommission zur Anwendbarkeit
des Vorsorgeprinzips vereinbar.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16421
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Richtlinie ist also im Grundsatz richtig gestaltet.
Allerdings ist der Regelungsbereich der vorliegenden
Richtlinie missverständlich und inhaltlich unpräzise. Ins-
besondere der Änderungsvorschlag zu Ziffer 1 ist miss-
glückt. Die vorgeschlagene Fassung vermittelt den Ein-
druck, dass lediglich das Inverkehrbringen kurzkettiger
Chlorparaffine als Ersatzstoffe für Zubereitungen unter-
sagt werden soll. Ziel ist doch aber, den Einsatz des Stoffs
als solchen zu versagen, was den Einsatz im Zuberei-
tungsverfahren natürlich mit umfasst.
Darüber hinaus ist eine Konkretisierung des Gesetzes-
entwurfs notwendig. Es muss auf eine klare Regelung
hingewirkt werden, die präzise aufführt, welche Prozesse
der Metallverarbeitung unter die Norm fallen sollen. Ich
fordere die Bundesregierung daher auf, in diesen Punkten
Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren zu nehmen und
eine Klarstellung und Präzisierung zu erreichen.
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn wir heute über ein Einsatzverbot von Chorparaffi-
nen sprechen, dann beraten wir einmal mehr nach dem
Motto: Wer ist der Schadstoff der Woche?. Gestern die
Phthalate, heute die Chlorparaffine und morgen die POPs
und richtig schreiben müssen das die Journalisten auch
noch.
Das ist so flapsig dahergesagt, aber eigentlich ernst ge-
meint: Vorsorgende Chemiepolitik sollte nicht mehr Ein-
zelstoffen oder Stoffgruppen hinterherhecheln müssen.
Das ist Politikstil von gestern. Solange aber die europä-
ische Chemieindustrie nicht aktiv Verantwortung für ihre
gefährlichen Stoffe trägt, solange sie nicht aktiv ihr Motto
Responsible Care auf die von ihr hergestellten Stoffe
anwendet, solange wird sich die Politik auch mit völlig
unaussprechlichen Einzelstoffen befassen müssen sehr
zur Freude des Stenographischen Dienstes.
Und deshalb reden wir heute wieder einmal über ein
Stoffverbot, auf das die Chemiker gerne den Grundsatz
des Theophrastus Bombastus von Hohenheim (Paracel-
sus) anwenden, wonach die Dosis erst das Gift mache.
Doch hier haben wir es nicht mit dosisabhängigen Wir-
kungen zu tun: Chlorparaffine stehen im begründeten
Verdacht, Krebs erregend zu sein, krebsfördernd wirken
sie allemal. Nicht nur, dass es für solche Stoffe keinen
Grenzwert geben kann, Chlorparaffine sind auch noch
schwerst abbaubar und reichern sich im Fettgewebe und
in der Muttermilch an. Auch niedrigste Dosen werden im
Nahrungskreislauf zum unkalkulierbaren Risiko in einer
sich immer stärker auffüllenden Vorratskammer
Mensch.
Heute finden sich so gefährliche Stoffe wie die Chlor-
paraffine in jedem Winkel unserer Haushalte wieder. Al-
lein über die Hälfte der Produktion wird als Weichmacher
und Flammschutzmittel für PVC eingesetzt. Im Haushalt
gasen diese Chlorparaffine dann aus Böden, Computer-
gehäusen, Weichfolien, Radiergummis, Farben, Kitt, Tex-
tilien, Lederwaren und Autositzen aus und verpesten uns
die Innenraumluft. Im Brandfall oder beim Verschwelen
werden ultragiftige Dioxine und Furane gebildet. Unter-
suchungen des Umweltbundesamtes bestätigen dabei
Überschreitungen der in der Gefahrstoffverordnung fest-
gehaltenen Grenzwerte.
Aber nicht nur der Mensch ist betroffen. Über unsere
Flüsse gelangen diese Stoffe in die Nord- und Ostsee. Be-
sonders das sensible Wattenmeer ist betroffen und da
Chlorparaffine reproduktionstoxisch wirken, schädigen
sie die dortige Tierwelt noch über Generationen hinaus.
Also sage ich: Kant statt Paracelsus. Der kategorische
Imperativ als Grundsatz nachhaltiger Chemiepolitik ge-
recht gegenüber der Umwelt und gegenüber künftigen
Generationen. Daran müssen wir arbeiten. Und deshalb
nehmen wir die OSPAR-Verpflichtung von 1995 sehr
ernst, die Einleitung derartiger Stoffe in den Nordost-At-
lantik innerhalb einer Generation zu stoppen.
Leider beraten wir heute aber nur über einen ver-
schwindend geringen Teil dieser Stoffgruppe. Wir reden
nur über die kurzkettigen Chlorparaffine und wir reden
nur über Einsatzverbote in der Metall- und Lederverar-
beitung, also über eine Teilmenge in einem kleinen Ein-
satzbereich.
An dieser Stelle spreche ich ein großes Lob an die deut-
sche Chemieindustrie aus, die bereits seit 1995 ganz auf
die Produktion der Kurzkettigen verzichtet.
Das war nahe liegend, weil die Krebs erregende Wir-
kung der Chlorparaffine mit dem relativen Gehalt an Chlor
ansteigt und bei den kurzkettigen der schwere Chloranteil
also überwiegt. Sie sind am gesundheitsschädlichsten.
Trotzdem werden diese Chemikalien auch bei uns ein-
gesetzt. Das EU-weite Verbot greift zu kurz: Wir brauchen
rasch ein europaweites Verbot in allen Bereichen indus-
trieller Verwendung: Elektro- und Verkehrsmittelindus-
trie, Bau- und Möbelindustrie.
Wir brauchen auch ein Verbot aller langkettigen Chlor-
paraffine. In Persistenz und Bioakkumulation stehen sie
den Kurzkettigen in nichts nach.
Eine europäische Harmonisierung ist wünschenswert,
aber sie darf nicht zu Minimallösungen führen. Heute
sieht es doch so aus: Nur für Kurzkettige und nur für die
Bereiche Metall- und Lederverarbeitung liegen abge-
schlossene Risikobewertungen vor, also werden nur sie
verboten. Als ob wir nicht immer wieder zum Beispiel auf
Alternativen in der Metallbranchen hingewiesen hätten:
Bohr- und Schneidöle auf Pflanzenbasis, insbesondere
aus Rapsöl; als ob der Vorsorgegrundsatz nicht schon spä-
testens seit 1995 OSPAR, Einstellung deutscher Pro-
duktion für ein Verbot ausreichend gewesen wäre.
Die Chlorparaffine sind das beste Beispiel dafür, dass
die bisherige Überprüfung von Altstoffen kläglich ge-
scheitert ist. Von über 30 000 marktrelevanten Chemika-
lien sind gerade eine Handvoll Risikobewertungen abge-
schlossen.
Sisyphus so sagte Camus sei ja eigentlich ein glück-
licher Mensch gewesen, war seine Tätigkeit doch seine
Existenz und seine Existenz seine Tätigkeit. Für die Sisy-
phusarbeit der Risikobewertung von Chemikalien trifft
das nicht zu: Wir wälzen keine Steine, wir wälzen Gift-
tonnen und die gefährden unsere Existenz.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116422
(C)
(D)
(A)
(B)
Es ist Zeit, den Stein liegen zu lassen und die Tonnen
zu öffnen, Zeit, den gordischen Knoten einer nahezu er-
gebnislosen, jahrzehntelangen Prüfung zu zerschlagen.
Das Beispiel der Chlorparaffine zeigt: Wir brauchen
eine Wende in der europäischen Chemikalienpolitik. Statt
zeitaufwendiger und kostenintensiver Risikobewertun-
gen, statt einer Unmenge von Tierversuchen brauchen wir
eine Einstufung nach Stoffeigenschaften: Chlorparaffine
ob kurz- oder langkettige stehen im Verdacht, kanze-
rogen zu sein, sie sind fruchtbarkeitsschädigend, sie sind
schwer abbaubar und reichern sich im Körper an.
Dieser Katalog an Grausamkeiten zeigt: Wir brauchen
für Chemikalien ein Zulassungsverfahren mit Umkehr der
Beweislast. Daran muss sich nun auch die Chemieindus-
trie messen lassen, die mit ihrer Responsible Care-Ini-
tiative bereits seit Jahren den nachhaltigen Umgang mit
Chemikalien ankündigt. Verantwortliches Handeln heißt,
diese gefährlichen Substanzen künftig einer Rezeptpflicht
zu unterwerfen und erst über ein Zulassungsverfahren
Einsatzgebiete zu erlauben. So sollen bis 2012 alle wich-
tigen Altstoffe registriert und aufgrund ihrer Eigenschaf-
ten bewertet sein.
Wir begrüßen daher im Grundsatz das Weißbuch der
Europäischen Kommission zur Strategie für eine künf-
tige Chemikalienpolitik. Wir werden demnächst eine
parlamentarische Initiative vorlegen, um weitere Verbes-
serungen zu erreichen.
Chemieindustrie und Umweltverbände sollten jetzt
ruhig Blut bewahren. Das neue Weißbuch zur Chemi-
kalienpolitik bedeutet weder den Untergang der industri-
ellen, chemischen Produktion noch das Ende einer Vor-
sorgeorientierung in der Chemiepolitik. Das Weißbuch ist
vielmehr ein mutiger Schritt hin zu einer Chemie, die den
Generationen übergreifenden Ansprüchen der Nachhal-
tigkeit genügen soll. Denn eines ist sicher: Die heutige
chemische Praxis Beispiel Chlorparaffine ist nicht
nachhaltig.
Birgit Homburger (F.D.P.):Mit dem Vorschlag für
eine Richtlinie zur zwanzigsten Änderung der Richtlinie
des Rates über die Beschränkungen des Inverkehrbrin-
gens und der Verwendung kurzkettiger Chlorparaffine
verfolgt die EU-Kommission das Ziel der Angleichung
des Binnenmarkts zur Vermeidung von Verzerrungen auf-
grund der Unterschiede in den einzelstaatlichen Rechts-
vorschriften in Bezug auf Chlorparaffine und den Schutz
des aquatischen Ökosystems gegen die möglichen Um-
weltgefahren in Zusammenhang mit dem Lebenszyklus
von Chlorparaffinen.
Vor dem Hintergrund der anzustrebenden Angleichung
der Umweltschutzvorschriften und der Gewährleistung
eines möglichst hohen Umweltschutzstandards in Europa
ist der Vorschlag zu begrüßen. Dies gilt auch und gerade
im Hinblick auf die Situation deutscher Unternehmen im
europäischen Wettbewerb, denn die deutsche Industrie hat
die Produktion und Verwendung von kurzkettigen Chlor-
paraffinen weitgehend eingestellt und auf Ersatzstoffe
umgestellt.
Als Umweltpolitikerin begrüße ich auch das Ziel des
Schutzes der aquatischen Ökosysteme. Mögliche Um-
weltrisiken, die von kurzkettigen Chlorparaffinen ausge-
hen können, werden in den letzten Jahren von der Wis-
senschaft verstärkt diskutiert. Der Wissenschaftliche
Ausschuss für Toxizität, Ökotoxizität und Umwelt des
Europäischen Parlaments hat darauf hingewiesen, dass
kurzkettige Chlorparaffine nicht nur für die Umwelt, son-
dern auch für die Gesundheit der Menschen gefährlich
sein können.
Der Kommissionsvorschlag setzt den Beschluss der
Oslo- und Paris-Kommissionen, wonach sich die Zeich-
ner darunter die Bundesrepublik Deutschland ver-
pflichtet haben, die Verwendung von als umweltgefähr-
dend eingestuften kurzkettigen Chlorparaffinen für
bestimmte Anwendungen zu verbieten, nur teilweise um.
Auch der von Rot-Grün vorgelegte Antrag lässt unter
Punkt III. 3 die Möglichkeit offen, bestimmte Ausnahmen
zuzulassen. Es gibt also Bereiche, in denen keinerlei Ge-
fährdung besteht. Daher wäre es nach meiner Auffassung
besser, man würde insoweit Verbote nur da erlassen, wo
sie nötig sind, anstatt nachträglich Ausnahmen vorzuse-
hen. Dies sorgt für einen erheblichen Unterschied zum
Beispiel beim Kontrollaufwand.
Wenn dem so wäre, dass kurzkettige Chlorparaffine
per se gefährlich sind, dann stellt sich schon die Frage,
warum das unmittelbar geltende Verbot der Verwendung
kurzkettiger Chlorparaffine nur in der Metall und Leder
verarbeitenden Industrie vorgesehen ist. Insoweit ist der
Richtlinienvorschlag inkonsequent.
In dem Richtlinienvorschlag ist weiterhin ein großer
Anwendungsbereich von Chlorparaffinen nicht geregelt.
So werden auch mittel- und langkettige Chlorparaffine
von dem Vorschlag nicht erfasst. Hierauf muss die Bun-
desregierung in den weiteren Beratungen über den Richt-
linienvorschlag hinweisen. Sie muss sich dafür einsetzen,
dass für diese Stoffe eine Risikobewertung durchgeführt
wird und sollte es nötig sein darauf hinwirken, dass der
Anwendungsbereich der Richtlinie entsprechend ausge-
weitet wird.
Dem Kritikpunkt des Bundesrats, wonach eine inhalt-
liche Klarstellung und Präzisierung des Regelungsbe-
reichs nötig sind, möchte ich mich anschließen: Nicht das
Inverkehrbringen als Ersatzstoffe für Zubereitungen,
sondern der Einsatz der Stoffe als solcher und als Be-
standteil von Zubereitungen sollte soweit nötig unter-
sagt werden. Es muss auch konkret geregelt werden, wel-
che Prozesse der Metallverarbeitung unter die geplante
Regelung fallen.
Ich fordere daher die Bundesregierung auf, die ge-
nannten Hinweise aufzugreifen und insbesondere auf die
inhaltliche Klarstellung und Präzisierung des Regelungs-
bereichs in den weiteren Beratungen hinzuwirken.
Eva Bulling-Schröter (PDS): Die PDS unterstützt
den Vorschlag der Kommission zur Richtlinienänderung
bezüglich der kurzkettigen Chlorparaffine-Verbindung
mit dem Entschließungsantrag der Koalition. Die Richt-
linienänderung übernimmt jetzt EU-weit in wesentlichen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16423
(C)
(D)
(A)
(B)
Bereichen die deutsche Praxis. Damit wird neben der
Zurückdrängung dieser toxischen Stoffe in Produkten
auch der Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt ent-
zerrt. Ein Umstand, den übrigens immer wieder die Ver-
treter der chemischen Industrie angemahnt hatten. Der
freiwillige Produktionsverzicht in Deutschland wird nun
durch einheitliche Rahmenbedingungen ersetzt. Eine EU-
weite Ausdehnung des Verwendungsverbotes auch auf
den Kunststoff- sowie Farb- und Lackbereich sollte mög-
lichst schnell erfolgen.
Entsprechende Schritte hin zu Verwendungsverboten
bei mittel- und langkettigen Chlorparaffinen sollten eben-
falls schnellstens nach Prüfung eingeleitet werden. Wir
sehen dabei auch die Probleme bei der Abgrenzung zwi-
schen diesen Stoffgruppen. Hier ist Forschung vonnöten,
um belastbare Aussagen zu erhalten.
Auch hierbei muss allerdings das Vorsorgeprinzip im
Vordergrund stehen. Also. nicht so lange Gutachten schrei-
ben, bis der letzte Zweifel, ob denn ein Produkt nicht
womöglich doch unschädlich wäre ausgeräumt werden
wird. Schließlich stehen nach dem neuen Weißbuch der
EU-Kommission zur Chemiepolitik die Zeichen in der an-
deren Richtung: Die Beweislast für .die Ungefährlichkeit
eines Stoffes soll künftig bei den Unternehmen liegen.
In diesem Zusammenhang stimmt folgendes bedenk-
lich: Vor zwei Wochen hat Kanzler Schröder vor der In-
dustrie verkündet, die Umsetzung des Chemikalien-
Weißbuches der EU-Kommission würde zur Vertreibung
der Chemieindustrie aus Europa führen. Und weiter die
Financial Times: Der Kanzler verglich das Weißbuch
mit der Altauto-Verordnung, die Deutschland in letzter
Minute angehalten und im Sinne der deutschen Industrie
entschärft hatte.
Ich habe dies schon vorhin bei der Debatte zur Umset-
zung der Altauto-Richtlinie erwähnt. Und ich wiederhole
es hier noch einmal, weil hier alle Alarmglocken läuten
sollten.
Wir wollen nicht noch einmal, wie bei der Altauto-
Richtlinie, einen vor Scham in den Boden versinkenden
Umweltminister sehen, der nun zusätzlich durch Gewalt-
und Entschuldigungsdebatten weich geprügelt in Brüs-
sel den Konzernlobbyisten, diesmal als VCI-Vertreter gibt.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kom-
mission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der
Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz
der finanziellen Beziehungen zwischen den Mit-
gliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen
(Transparenzrichtlinie-Gesetz TranspRLG)
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Die neue EU-
Transparenzrichtlinie wurde im Juli 2000 von der Kom-
mission verabschiedet und trat am 18. August 2000 in
Kraft. Damit will die Kommission die öffentliche Hand
für Marktverzerrungen aufgrund von Monopolstellung
oder Subventionierung sensibilisieren.
Ein Zitat aus der Begründung: Sie verfolgt das Ziel,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaft die An-
wendung der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des
EG-Vertrages auf Unternehmen zu erleichtern, die einer-
seits auf öffentlich-rechtlich geschützten Märkten agieren
und/oder Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftli-
chem Interesse erbringen und hierfür Beihilfen erhalten,
und andererseits in weiteren Geschäftsbereichen unter
chancengleichen Marktbedingungen mit dritten Unter-
nehmen konkurrieren. Hier kann es zu Quersubventionen
aus dem geschützten bzw. finanziell unterstützten Bereich
in den Wettbewerbsbereich kommen, die möglicherweise
mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind. Das soll
die europäische Wettbewerbsaufsicht verhindern. Will die
Kommission prüfen, ob Quersubventionierungen stattfin-
den, können die Unternehmen bisher die gewünschten
Informationen oft erst nach umfänglichen und langwieri-
gen Ermittlungen im Einzelfall erteilen, weil aus ihren
Büchern nicht eindeutig hervorgeht, welche Kosten und
Erlöse den jeweiligen Geschäftsbereichen zuzurechnen
sind. Die Änderungsrichtlinie soll sicherstellen, dass
diese Informationen über die interne Finanz- und
Organisationsstruktur zukünftig bei den Unternehmen
vorhanden sind und bei Bedarf von der Kommission ab-
gefragt werden können.
Bund und Länder hatten die Richtlinie im Vorfeld ihrer
Verabschiedung aus zwei wesentlichen Gründen massiv
kritisiert:
Erstens. Es bestand die Sorge, dass die Transparenz-
pflichten kleine und mittlere Unternehmen über Gebühr
belasten könnten. Diese Befürchtung ist jedoch gegen-
standslos geworden, weil unsere Regierung sorgsam da-
rauf geachtet hat dass kleine Unternehmen bevorzugt be-
handelt werden: Sie hat in Abstimmung mit dem VKU
eine Umsatzschwelle von 40 Millionen Euro für Unter-
nehmen bzw. einer Bilanzsumme von 800 Millionen Euro
für Kreditinstitute erreicht, unterhalb der getrennte Kon-
ten etc. entbehrlich bleiben.
Zweitens. Die Länder befürchteten außerdem, dass im
Rahmen der Umsetzung politisch höchst sensible beihil-
ferechtliche Fragen, vor allem in Bezug auf öffentliche
Kreditinstitute und Rundfunkanstalten, präjudiziert wer-
den könnten. Angesichts des nun vorliegenden minimalis-
tischen Umsetzungskonzepts des BMF, das die politisch
sensiblen Fragen in keiner Weise präjudiziert, haben sich
die Länder für eine bundeseinheitliche Umsetzung ausge-
sprochen.
Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der neuen
EU-Transparenzrichtlinie. Unternehmen, die sowohl in
öffentlich privilegierten Bereichen als auch zusätzlich
rein kommerziell tätig sind, müssen danach getrennte
Konten für die unterschiedlichen Geschäftsbereiche
führen und hierüber auf Verlangen der Kommission Aus-
kunft geben. Damit soll der EG-Kommission die Kon-
trolle über wettbewerbsrechtlich unzulässige Quer-
subventionen erleichtert werden. Wir halten diese
Zielsetzung für sinnvoll.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116424
(C)
(D)
(A)
(B)
Das Gesetz sollte so bald wie möglich in Kraft treten,
da die Richtlinie bis zum 31. Juli 2001 umgesetzt werden
muss. Außerdem sollten wir sicherstellen, dass die Unter-
nehmen einen ausreichenden zeitlichen Vorlauf für die
Umstellung ihrer Kosten- und Leistungsrechnung, die
zum 1. Januar 2002 erfolgen muss, haben.
Gelegentlich wird die Sorge formuliert, die Transpa-
renzrichtlinie könnte sich negativ auf den in den Kom-
munen häufig zu findenden steuerlichen Querverbund
auswirken. Diese Sorge ist unbegründet. Ein Beispiel: Im
liberalisierten Strommarkt erwirtschaftete Gewinne zur
Finanzierung des öffentlichen Bereichs Nahverkehr wer-
den von diesem Gesetz nicht tangiert. Der steuerliche
Querverbund ist hier nicht betroffen, weil spezielle Rege-
lungen existieren und für diesen Fall greifen. Genauso
wenig ist die Gewinnverwendung betroffen.
Es geht bei diesem Gesetz vielmehr um Haushaltsklar-
heit. Auch hier einige Beispiele:
Erstens. Eine gemeinnützige GmbH, sofern sie sowohl
im privaten Markt operiert als auch in allgemeinem wirt-
schaftlichen Interesse von der öffentlichen Hand betraut
ist, bestimmte Leistungen zu erbringen, muss das Trans-
parenzrichtlinie-Gesetz beachten, sofern sie die Umsatz-
schwelle von 80 Millionen DM überschreitet.
Zweitens. Eine Stadtgärtnerei, sofern sie private
Dienstleitungen erbringt, muss das Transparenzrichtlinie-
Gesetz beachten.
Drittens. Ein städtisches Busunternehmen bietet am
Wochenende einem privaten Konzertveranstalter einen
Bustransfer an zu besonders günstigen Preisen. Auch
dann ist das Transparenzrichtlinie-Gesetz zu beachten.
Es geht also darum, dass keine Verzerrungen an einem
privaten Markt dadurch entstehen, dass Quersubventio-
nen aus dem geschützten bzw. öffentlich finanziell unter-
stützten Bereich in den privaten Wettbewerbsbereich
kommen.
Bei all dem handelt es sich um unternehmensinterne
Kontentrennung. Auskünfte werden der Kommission nur
aufgrund eines Auskunftsersuchens erteilt. Es geht also
nicht um zu veröffentlichende Bilanzen.
Auch innerhalb der kommunalen Spitzenverbände ent-
wickelt sich eine Diskussion im Zusammenhang mit der
öffentlichen Daseinsvorsorge darüber, wie transparent die
Vorgänge in städtischen Betrieben auch für Bürgermeis-
ter und Gemeinderäte eigentlich sind. Zitat eines Käm-
merers: Viele Kommunen wissen nicht, was ihre Be-
triebe machen. In diesem Sinne verbessert mehr
Transparenz auch den demokratischen Entscheidungspro-
zess in der Kommune.
Erste Schritte werden in fortschrittlichen Gemeinden
schon gegangen: Betriebswirtschaftliche Elemente wie
dezentrale Ressourcenverantwortung, optimierte Regie-
betriebe, contract-management und Zielvereinbarung
etc. ersetzen langsam die kamerale Haushaltsführung.
Ähnlich liegt das Interesse großer Wohlfahrtsverbände,
zum Beispiel der Caritas oder der Diakonie. Ein Beispiel
für ein bereits gut funktionierendes System sind die Kran-
kenhäuser, die auf der Basis des SGB V mit einer Buch-
führungsverordnung im Sinne dieses Gesetzes eine hin-
reichend getrennte Buchführung eingeführt haben. An
diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die mit diesem
Gesetz zusammenhängenden Belastungen vertretbar
sind.
Nachfolgend einige besondere Aspekte: Öffentliche
Kreditinstitute: Die Richtlinie geht davon aus, dass auch
öffentliche Kreditinstitute transparenzpflichtig sein kön-
nen. Vom Anwendungsbereich gänzlich ausgenommen
sind lediglich solche Institute, deren jährliche Bi-
lanzsumme 800 Millionen Euro nicht überschreitet. Das
betrifft circa 210 von insgesamt 560 deutschen Sparkas-
sen. Die übrigen öffentlichen Kreditinstitute sind von die-
sem Gesetz sicher dann nicht erfasst, wenn man Anstalts-
last und Gewährträgerhaftung abschafft, die von der
Kommission als Beihilfen angesehen werden. Hier gibt es
also noch einiges zu tun. Allerdings stellt sich die Frage,
ob ein Konfrontationskurs zielführend ist. Wir sind froh,
dass Staatssekretär Koch-Weser gemeinsam mit Länder-
und Bankenvertretern, also im Austausch mit dem DSGV,
zurzeit intensiv mit der Kommission verhandelt, um diese
Problematik zu lösen.
Die Regierung hat im Wesentlichen zwei Modelle vor-
gestellt, die auf eine gemeinsame beihilfeneutrale Platt-
form passen: Erstens. Modifikation der Anstaltslast bzw.
Abschaffung der Gewährträgerhaftung. Zweitens. Die
rechtliche Verselbstständigung des Wettbewerbsgeschäfts.
Die Kommission hat diese Plattformlösung im Grund-
satz begrüßt. Sobald die Details der Plattformlösung im
Einvernehmen mit der Kommission umgesetzt worden
sind, kommt eine Anwendung des Gesetzes auf öffent-
liche Kreditinstitute auch aus Sicht der Kommission nicht
mehr in Betracht. Für die Übergangszeit bemüht sich die
Bundesregierung um eine stand still-Vereinbarung mit
der Kommission.
Zum Adressatenkreis: Wir halten es für sehr sinnvoll,
dass der Entwurf bewusst davon absieht, den Kreis der be-
troffenen Unternehmen zu konkretisieren. Er beschränkt
sich darauf, die abstrakten Kriterien der Richtlinie abzu-
bilden. Die Konkretisierung wird den für die Geset-
zesanwendung zuständigen Landesbehörden überlassen.
Das hat zwei Gründe:
Erstens lässt sich nur anhand der konkreten Umstände
des Einzelfalles feststellen, welches Unternehmen betrof-
fen ist. Nehmen wir beispielsweise eine GmbH, die der-
zeit unter das Gesetz fällt, weil sie sich einerseits im
öffentlichen Auftrag um eine Altlastensanierung kümmert
und andererseits im privatwirtschaftlichen Interesse Bera-
tungsdienste vermarktet. Würde das Unternehmen seine
privatwirtschaftlichen Aktivitäten aus betriebswirtschaft-
lichen Gründen einstellen, fiele es aus dem Anwendungs-
bereich des Gesetzes heraus. Umgekehrt ist es natürlich
auch denkbar, dass eine Einrichtung der Wohlfahrtspflege
rein privatwirtschaftliche Aktivitäten aufnimmt, um
Deckungsbeiträge zu erzielen. Hierdurch würde sie in den
Anwendungsbereich des Gesetzes hineinwachsen. Diese
Beispiele zeigen, dass es nicht sinnvoll wäre, in diesem
Gesetz eine Positivliste oder eine Negativliste der
betroffenen Unternehmen aufzunehmen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16425
(C)
(D)
(A)
(B)
Zweitens sind sich die Kommission und Deutschland
nicht in allen Punkten darüber einig, wie das Anknüp-
fungskriterium Beihilfen auszulegen ist. Wichtigste
Beispiele sind Anstaltslast und Gewährträgerhaftung oder
die Frage, ob die deutschen Rundfunkgebühren Beihilfen
sind. Um ein Vertragsverletzungsverfahren wegen unzu-
reichender Umsetzung zu vermeiden, begnügt sich das
Gesetz damit, das Anknüpfungskriterium Beihilfe zu
übernehmen und überlässt es den Ländern, ihre Rechts-
auffassungen bei der Anwendung des Gesetzes auf die be-
troffenen Unternehmen zum Tragen zu bringen, eine ele-
gante Lösung.
Nicht betroffene Unternehmen: Wahrscheinlich ist der
Anwendungsbereich des Gesetzes sehr beschränkt.
Unternehmen, die nur im öffentlichen Interesse tätig sind,
fallen gar nicht darunter. Das wird auch für zahlreiche
Wohlfahrtsverbände und -einrichtungen gelten. Außer-
dem sind Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz bis
zu knapp 80 Millionen DM bzw. Kreditinstitute mit einer
jährlichen Bilanzsumme bis zu knapp 1,6 Milliarden DM
ausgeschlossen. Eine große Anzahl weiterer Unterneh-
men ist nicht erfasst, weil für ihre Geschäftstätigkeit
Spezialvorschriften der Europäischen Gemeinschaften
zum rechnungsmäßigen unbundling gelten. Das gilt
beispielsweise für den Strom- und Gasbereich, die Flug-
häfen, eine Vielzahl von Verkehrsunternehmen und dem-
nächst wohl auch für die Hafenbetreiber.
Bußgeldtatbestand: Mit Blick auf den Europäischen
Gerichtshof, der mehrfach festgestellt hat, dass die
Mitgliedstaaten Verstöße bei der Umsetzung von Richtli-
nien nach den gleichen Regeln ahnden müssen, wie Ver-
stöße gegen gleichartiges nationales Recht, ist eine
Bußgeldregelung im Transparenzrichtlinie-Gesetz not-
wendig. Das ergibt sich daraus, dass das Handelsgesetz-
buch, das Kreditwesengesetz, das Gesetz gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen und andere deutsche Gesetze
Verstöße gegen Buchführungs- und Auskunftspflichten
mit Bußgeldern ahnden.
Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass das Trans-
parenzrichtlinie-Gesetz sehr transparent die finanziellen
Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öf-
fentlichen Unternehmen regelt und dass die Bundesregie-
rung sehr erfolgreich für unsere kleinen Unternehmen
verhandelt hat. Eine Umsatzschwelle von 40 Millionen
Euro kann sich ja wirklich sehen lassen.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Würden tatsäch-
lich so viele Leute in den Himmel wollen, wenn sie nicht
Angst vor der Hölle hätten? Strengen sich Menschen stär-
ker mehr an, wenn sie nicht nur Zulagen für gute Leistun-
gen, sondern auch Abgaben für schlechte befürchten müs-
sen? Ich glaube, wir sind uns alle einig darüber, dass das
Prinzip des Wettbewerbs mit seinen positiven und mit sei-
nen negativen Sanktionsmöglichkeiten die beste trei-
bende Kraft für mehr Wohlstand, Innovation und Moder-
nisierung in unserer Wirtschaft ist. Letzte Zweifler sollten
die Erfahrungen der Geschichte überzeugt haben, insbe-
sondere der Zusammenbruch der kommunistischen
Staatswirtschaften. Intensiver Wettbewerb und ein Level-
Playing-Field für alle Marktteilnehmer sind der beste
Kunden- und Verbraucherschutz.
Leider gibt es in Deutschland immer noch zu viele Be-
reiche, die sich mit staatlicher Schützenhilfe dem Leis-
tungswettbewerb entziehen und an überkommenen, lieb-
gewonnen Privilegien hängen, die Privatwirtschaft in
Bedrängnis bringen und dadurch volkwirtschaftliche
Wohlfahrtspotenziale verhindern. Ich spreche von den öf-
fentlichen Unternehmen. Laut belastbaren Schätzungen
erwirtschaften öffentliche Unternehmen in unserem Land
jährlich rund 400 Milliarden DM. Gemessen am Brutto-
sozialprodukt sind dies rund 11 Prozent. Mehr als 50 Pro-
zent ihres jährlichen Gesamtauftragsvolumens entfallen
auf kommunale Betriebe. Bei der Vergabe gehen jährlich
öffentliche Aufträge in Höhe von 200 Milliarden DM an
die kommunalen Betriebe statt an den freien Wettbewer-
ber. Diese Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Kann
es Aufgabe des Staates sein, der Privatwirtschaft, vor al-
lem dem schon genügend geschröpften Mittelstand, Kon-
kurrenz zu machen?
Die öffentliche Hand dehnt ihre wirtschaftlichen Akti-
vitäten immer weiter aus und besetzt zunehmend Tätig-
keitsfelder, die bislang der Privatwirtschaft vorbehalten
waren. Der konturlose Deckmantel der Daseinsvor-
sorge muss dazu herhalten, dass insbesondere Länder
und Gemeinden vor allem in den Märkten, die gerade erst
liberalisiert worden sind, ihre wirtschaftlichen Tätigkei-
ten ausweiten. Städtische Gartenbaubetriebe übernehmen
die Pflege privater Grünflächen, kommunale Abfallent-
sorger steigen in das Geschäft der Verwertung gewerbli-
cher Abfälle ein, städtische Einrichtungen übernehmen
die Bewirtschaftung von Gebäuden oder bieten Consul-
ting- und Ingenieurleistungen an. Im Gegensatz zu priva-
ten Unternehmen erhalten öffentliche Unternehmen Auf-
träge häufig freihändig oder sie nutzen die amtliche Nähe
zur Verwaltung, um die Auftragsvergabe zu ihren Gunsten
zu beeinflussen.
Private Unternehmen, vor allem der Mittelstand, kön-
nen diese massiven Wettbewerbsverzerrungen kaum wirt-
schaftlich auffangen. Dies gilt auch gegenüber scheinpri-
vatisierten Unternehmen, die trotz ihrer Rechtsform von
der öffentlichen Hand beherrscht werden. Öffentliche Un-
ternehmen tragen kein echtes Konkursrisiko und kein
echtes Beschäftigungsrisiko. Diese Risiken trägt der Steu-
erzahler. Öffentliche und scheinprivatisierte Unterneh-
men haben die Möglichkeit, das hinter ihnen stehende
Personal der Verwaltung zu nutzen. Personelle Verflech-
tungen zwischen Aufsichtsbehörden und Gesellschaftsor-
ganen ermöglichen durch Verquickung amtlicher und pri-
vater Informationen Wettbewerbsvorsprünge gegenüber
der privaten Konkurrenz. Bestimmte wirtschaftliche
Tätigkeiten der Körperschaften des öffentlichen Rechts
sind von der Umsatz-, Körperschafts- und Gewerbesteuer
befreit. Private Unternehmen müssen für die gleiche
Tätigkeit Steuern zahlen.
Nicht der schlanke Staat, sondern der aufgeblähte Staat
wird zum Leitbild rot-grüner Wirtschaftspolitik. Die Aus-
weitung staatlicher Wirtschaftsaktivitäten ist nicht geeig-
net, die öffentlichen Haushalte dauerhaft zu sanieren. Die
Suche nach immer neuen Tätigkeitsfeldern, die Auswei-
tung von Kapazitäten und die daraus folgende Aufnahme
neuer Haushaltsposten löst keine finanziellen Probleme
der öffentlichen Hand. Im Gegenteil: Mit zunehmender
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116426
(C)
(D)
(A)
(B)
wirtschaftlicher Betätigung des Staates verschlimmern
sich langfristig ihre finanziellen Probleme, weil die ihr
obliegenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen in
aller Regel immer ein Hindernis sind, effizient am Wett-
bewerb orientiert zu wirtschaften.
Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Privatwirt-
schaft durch Marktzutrittsschranken im Energie-, Abfall-
und Telekommunikationssektor, verzerrter Preiswettbe-
werb und die Benachteiligung bei der öffentlichen Auf-
tragsvergabe können wir nicht weiter hinnehmen. Mit Da-
seinsvorsorge hat dies nichts mehr zu tun, mit verfehlter
rot-grüner Wettbewerbspolitik schon eher. Wohin soll es
führen, wenn die Privatwirtschaft Steuern zahlt und der
Staat ihr mit ihren eigenen Steuergeldern ernsthaft wirt-
schaftliche Konkurrenz macht? Wie soll die Privatwirt-
schaft nachhaltig Arbeitsplätze schaffen, wenn staatliche
Wettbewerber sie in ihrer Existenz bedrohen?
Was hat dies alles mit dem heute Abend zur Beratung
anstehenden Umsetzungsgesetzentwurf der Bundesregie-
rung zur europäischen Transparenzrichtlinie zu tun? Je in-
tensiver öffentliche Hand und Wirtschaft zusammenhän-
gen, desto größer der volkswirtschaftliche Wohlfahrts-
verlust und desto größer die Gefahr der Versumpfung.
Trennung ist hier die beste Medizin. Einen kleinen Schritt
in die richtige Richtung ist der wesentliche Inhalt des vor-
liegenden Gesetzes: Unternehmen, die sowohl in staatlich
geschützten als auch in liberalisierten Märkten tätig sind,
sollen künftig zur getrennten Kontenführung für die ent-
sprechenden Geschäftsbereiche verpflichtet werden. Den
Wettbewerbsbehörden soll es damit erleichtert werden,
Wettbewerbsverzerrungen infolge unerlaubter Quersub-
ventionierung aufzudecken und zu verfolgen. Damit soll
verhindert werden, dass öffentliche Hilfen aus geschütz-
ten Bereichen in freie Bereiche überführt werden und dort
den Wettbewerb verfälschen.
Die Transparenzrichtlinie der Europäischen Union ist
im Sinne eines intensiven und unverzerrten Wettbewerbs
grundsätzlich zu begrüßen. Mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf ist die ordnungsgemäße Umsetzung in natio-
nales Recht in den wesentlichen Zügen gewährleistet.
Gleichwohl ist besonders an zwei Stellen Wachsamkeit
geboten. Zum einen baut der Anwendungsbereich des
Entwurfes auf ungeklärten Rechtsbegriffen des EU-
Rechts auf und ist damit a priori unscharf. Zwar würde
eine weitergehende Konkretisierung einer Entwicklung
des europäischen Rechts vorgreifen. Gleichwohl besteht
die Gefahr, dass diese Interpretationsfähigkeit als Ein-
fallstor für die Schaffung von Ausnahmetatbeständen
dient, die aus wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch
sind. Zum Zweiten beschränkt sich die Sanktionierung
etwaiger Verstöße gegen das Gesetz auf vorsätzliche
Handlungen. Fahrlässigkeit wird damit nicht als Ord-
nungswidrigkeit geahndet. Diese Beschränkung darf bei
der Umsetzung durch die Landesbehörden nicht zu einem
Persilschein für Verstöße gegen die Transparenz-Vor-
schriften werden. Die Landesbehörden müssen mit Un-
terstützung des Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsmi-
nisteriums auf eine strenge und dem Zweck der
Transparenzrichtlinie angemessene Buchführung hinwir-
ken. Nur so kann das Gebot der getrennten Buchführung
zu einem wirksamen Instrument einer strengen Beihilfe-
kontrolle werden, die wir seit langem fordern.
Getrennte Buchführung darf allerdings nicht zum Fei-
genblatt einer konturlosen Daseinsfürsorge-Auswei-
tungspolitik gemacht werden. Trennung zwischen öffent-
licher Hand und Wirtschaft im grundsätzlichen Sinne,
Deregulierung und Liberalisierung sind die beste Medizin
für mehr Wettbewerb, mehr Effizienz, Innovation und
nachhaltiges Gemeinwohl.
Der Überweisung in die Ausschüsse stimmen wir zu.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
vielen Bereichen der Daseinsvorsorge, die früher in Mo-
nopolen von der Kommune organisiert wurden, wird
Schritt für Schritt Wettbewerb eingeführt. Wir begrüßen
dies. Aber Marktwirtschaft und Wettbewerb sind für
Bündnis 90/Die Grünen kein Selbstzweck. Sie sind In-
strumente, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Wir
wollen keine Marktwirtschaft um ihrer selbst willen, son-
dern eine Wirtschaft, die den Markt nutzt, um soziale und
ökologische Ziele zu erreichen.
Der Staat schafft den Ordnungsrahmen, damit Märkte
überhaupt entstehen und funktionieren können. Wir wol-
len den Ordnungsrahmen so gestalten, dass soziale und
ökologische Ziele erreicht werden können. Politik muss
über die Gestaltung von Märkten entscheiden. Wenn dem
Markt ökologische und qualitative Kriterien vorgegeben
werden, werden die Unternehmen die besten Lösungen
und Technologien entwickeln, um die Ziele zu erreichen.
Es ist gute Tradition in der Bundesrepublik, dass der
Staat unter der Überschrift Daseinsvorsorge garantiert,
dass jeder Bürger und die Industrie mit lebensnotwendi-
gen Produkten und Dienstleistungen versorgt werden. Zu
diesem Bereich gehören die Sparkassen, der öffentlich-
rechtliche Rundfunk, der öffentliche Nahverkehr, die Ab-
fallentsorgung, die Energieversorgung, die Telekommu-
nikations- und Postdienstleistungen. Wie aktuell das ist,
zeigt das Beispiel der Energiekrise in Kalifornien.
Unternehmen erbringen hier Dienstleistungen im öf-
fentlichen Interesse. Sie erhalten Subventionen, sind im
öffentlichen Besitz oder besitzen Exklusivlizenzen, die es
ihnen ermöglichen, zu Monopolbedingungen anzubieten.
Von der Europäischen Kommission geht ein kräftiger Im-
puls für mehr Wettbewerb auch in diesem Bereich aus.
Das ist gut so.
Es ist notwendig, dass alle Bereiche auf den Prüfstand
gestellt werden. Die Telekommunikation hat gezeigt, wel-
che Preissenkungen und Dienstleistungsverbesserungen
durch die Einführung von Markt erreicht werden können.
Die Aufrechterhaltung von Subventionen und Monopolen
in Bereichen, in denen der Markt bessere Ergebnisse er-
zielt, lehnen wir ab. Ebenso lehnen wir Versuche ab, den
reinen Preiswettbewerb an die Stelle der Berücksichti-
gung ökologischer und sozialer Kriterien zu stellen. Wett-
bewerbliche Maßstäbe dürfen auch nicht dazu führen,
dass zum Beispiel die Versorgung von kleinen und mittle-
ren Unternehmen mit Krediten nicht mehr gewährleistet
wird. Deshalb wollen wir das System der Sparkassen er-
halten. Ebenso wenig dürfen Unternehmen, die aus guten
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2001 16427
(C)
(D)
(A)
(B)
Gründen in bestimmten Bereichen alleiniger Anbieter
sind oder Subventionen halten, diese nutzen, um in ande-
ren Bereichen private Anbieter niederzukonkurrieren.
Hier ist eine Entflechtung, ein unbundling, notwendig.
Wir begrüßen daher die Transparenzrichtlinie und set-
zen sie in nationales Recht um. Unternehmen, die einer-
seits in öffentlich-rechtlichen Märkten agieren und
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Inte-
resse erbringen und hierfür Beihilfen erhalten und die an-
dererseits in anderen Geschäftsfeldern mit Unternehmen
konkurrieren, müssen getrennte Konten für diese unter-
schiedlichen Geschäftsbereiche führen. Das gilt für Spar-
kassen genauso wie für die Post. Kosten und Erlöse müs-
sen strikt getrennt werden.
Diese Vorgabe halten wir für eine minimale Anforde-
rung, um fairen Wettbewerb zu ermöglichen, denn es darf
nicht sein, das private Unternehmen mit Monopolrenten
niederkonkurriert werden.
Rainer Funke (F.D.P.): Der Gesetzentwurf der Frak-
tionen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen wird, was
Sie vielleicht wundern wird, von uns ausdrücklich
begrüßt. So ganz aus freien Stücken kommt dieser Gesetz-
entwurf jedoch nicht und er widerspricht in vielen Punkten
dem bisherigen tatsächlichen Verhalten der Regierungsko-
alition. Der Gesetzentwurf setzt nämlich lediglich die
Transparenzrichtlinie der EU um. Dazu ist die Regierung
bzw. sind die sie tragenden Fraktionen rechtlich verpflich-
tet. Hinter dem ziemlich verquasten Deutsch des vorgeleg-
ten Gesetzentwurfs verbirgt sich nämlich Folgendes: Die
Kommission bemüht sich, anders als mancher Mitglied-
staat einschließlich der Bundesrepublik Deutschland
um Subventionsabbau. Man kann mit anderen Worten sa-
gen, der politische Wille zum Subventionsabbau ist in den
letzten Jahren mehr und mehr von Berlin nach Brüssel ge-
wandert. Mit zum Teil fadenscheinigen Argumenten und so
schönen Worten wie Daseinsvorsorge, Planungssicher-
heit, Universaldienst, Marktstabilisierung werden der
Subventionsabbau behindert und der Strukturwandel hi-
nausgezögert. Dabei sind öffentliche Unternehmen oft fe-
derführend. Die Kommission hat daher in der Transparenz-
richtlinie gefordert, dass die finanziellen Beziehungen
zwischen Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unterneh-
men offen gelegt werden. Weiterhin sollen Unternehmen,
die auf öffentlich-rechtlich geschützten Märkten agieren
und für ihre Dienstleistungen Beihilfen erhalten, diese Sub-
ventionen gesondert ausweisen, damit Quersubventionen
einfacher als bisher festgestellt werden können. Das Thema
der Quersubventionen hat uns ja auch zum Beispiel bei der
Deutschen Post AG hinreichend beschäftigt. Gerade dieses
Beispiel hat gezeigt, wie schwer diese Quersubventionen
zu quantifizieren sind. Hier wird uns die Transparenzricht-
linie hoffentlich weiterhelfen, denn wir wollen durch die
Transparenz auch erreichen, dass zum Nutzen des Verbrau-
chers mehr Wettbewerb entsteht als bisher.
Aber etwas wundern darf man sich schon, dass diesel-
ben Sozialdemokraten, die dieses Gesetz unterschrieben
haben, angeblich öffentliche Belange in Postdiensten
durch besondere Universaldienste schützen, Wettbewerb
behindern und Postmonopole verlängern wollen, dass die-
selben Sozialdemokraten die Privatisierung der Bahn AG
noch immer nicht auf das richtige Gleis geschoben haben,
dass die Sozialdemokraten die öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten dabei unterstützen, jenseits ihres öf-
fentlich-rechtlichen Auftrags zusätzliche Programme ein-
zurichten, und dass die Sozialdemokraten die Vermen-
gung von strukturpolitischem Förderauftrag und private
banking bei den öffentlichen Landesbanken und die da-
mit verbundene Gewährträgerhaftung und Anstaltslast ge-
genüber der Europäischen Kommission verbissen vertei-
digt haben, bis es nicht mehr ging.
Wenn die Sozialdemokraten und die Grünen bei all die-
sen Sündenfällen durch dieses Gesetz Abbitte leisten wol-
len, freuen wir Liberale uns natürlich aufrichtig.
Heidemarie Ehlert (PDS): Fast über Nacht ereilte uns
ein Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, der nun auch
noch bis zum Sommer abgenickt werden soll. Die EU-
Richtlinie über die Transparenz der finanziellen Bezie-
hungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentli-
chen Unternehmen, beschlossen im Juli 2000, muss
umgesetzt werden.
Der Entwurf ist so spannend wie die Richtlinie, denn
diese wurde de facto nur übersetzt. Auch zu den Inhalten
gibt es nicht allzu viel Aufregendes festzustellen. Grund-
anliegen ist, staatliche Beihilfen und Quersubventionen
transparenter für die EU-Kommission zu machen, um
schneller gegen Missbrauch vorgehen zu können bzw.
Missbrauch zu vermeiden. Dem kann angesichts der Mil-
liarden Steuergelder, die jährlich irgendwo verschwinden,
nur zugestimmt werden. Die Führung von intern getrenn-
ten Konten wird bei manchen Unternehmen zwar wieder
zu einem Aufschrei führen, aber von der rechnungstech-
nischen Seite und mit der modernen Technik ist das ohne
weiteres zu lösen.
Aus den Erfahrungen mit Subventionsmissbrauch er-
innert sei an die Bremer Vulkan, kann so, wenn es denn
gewollt ist, schnell geprüft werden, ob die Gelder auch
wirklich dort hinkommen, wo sie hinkommen sollen, und
wofür sie verwendet werden. Nur zu unterstützen ist auch
der § 5, der den Unternehmen Auskunfts- und Vorlage-
pflichten auferlegt, wenn die Kommission der Europä-
ischen Union dies verlangt.
Spannend ist hier die Frage, wer von der Transparenz-
richtlinie betroffen ist. Sind es auch die deutschen Lan-
desbanken und Sparkassen? Neben dem grundlegenden
Konflikt zwischen der EU-Kommission und der Bundesre-
gierung über das Beihilfesystem der Landesbanken ist ein
Streitpunkt ja auch die Anwendung der Transparenzrichtli-
nie auf die Landesbanken. Aber hier wird uns sicher die Dis-
kussion in den Ausschüssen wichtige Erkenntnisse bringen.
Die Praxis wird zeigen, wie mit dem Gesetz umgegan-
gen wird, denn leider bewahrheitet sich immer wieder die
alte Erkenntnis, dass eine Krähe der anderen kein Auge
aushackt.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 167. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 200116428
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