Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001
Ludwig Stiegler
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(B)
1) Anlage 3 2) Anlage 4
3) Anlage 5
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(C)
(D)
(A)
(B)
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlagen zum Stenographischen Bericht
Behrendt, Wolfgang SPD 05.04.2001*
Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 05.04.2001
Binding (Heidelberg), SPD 05.04.2001
Lothar
Bodewig, Kurt SPD 05.04.2001
Dr. Brecht, Eberhard SPD 05.04.2001****
Brudlewsky, Monika CDU/CSU 05.04.2001
Ehlert, Heidemarie PDS 05.04.2001
Fischer (Berlin), BÜNDNIS 90/ 05.04.2001
Andrea DIE GRÜNEN
Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 05.04.2001****
Graf (Rosenheim), SPD 05.04.2001
Angelika
Griefahn, Monika SPD 05.04.2001
Hartnagel, Anke SPD 05.04.2001
Hasenfratz, Klaus SPD 05.04.2001
Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 05.04.2001
DIE GRÜNEN
Hirche, Walter F.D.P. 05.04.2001
Hornung, Siegfried CDU/CSU 05.04.2001*
Irber, Brunhilde SPD 05.04.2001
Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 05.04.2001
Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 05.04.2001
Klappert, Marianne SPD 05.04.2001
Dr. Köster-Loßack, BÜNDNIS 90/ 05.04.2001****
Angelika DIE GRÜNEN
Dr. Lamers CDU/CSU 05.04.2001***
(Heidelberg), Karl A.
Leidinger, Robert SPD 05.04.2001
Link (Diepholz), Walter CDU/CSU 05.04.2001
Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 05.04.2001
Erich
Michels, Meinolf CDU/CSU 05.04.2001
Müller (Berlin), PDS 05.04.2001
Manfred
Nolte, Claudia CDU/CSU 05.04.2001
Pieper, Cornelia F.D.P. 05.04.2001
Raidel, Hans CDU/CSU 05.04.2001****
Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 05.04.2001
Hannelore
Schloten, Dieter SPD 05.04.2001****
Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 05.04.2001
Hans Peter
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 05.04.2001
Andreas
Schuhmann (Delitzsch), SPD 05.04.2001
Richard
Schultz (Everswinkel), SPD 05.04.2001
Reinhard
Dr. Schuster, R. SPD 05.04.2001
Werner
Sehn, Marita F.D.P. 05.04.2001
Steiger, Wolfgang CDU/CSU 05.04.2001
Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 05.04.2001
Wistuba, Engelbert SPD 05.04.2001
Wohlleben, Verena SPD 05.04.2001
Zierer, Benno CDU/CSU 05.04.2001*
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 05.04.2001
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung
des Europarates
*** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union
**** für die Teilnahme an der 105. Jahreskonferenz der Interparlamenta-
rischen Union
Anlage 2
Erklärung des Abgeordneten Bernd Wilz
(CDU/CSU)
zur namentlichen Abstimmung über den Ände-
rungsantrag der Fraktion der PDS: Entwurf ei-
nes Gesetzes über eine einmalige Entschädigung
an die Heimkehrer aus dem Beitrittsgebiet
Drucksache 14/5802 (Tagesordnungspunkt 9)
In der Abstimmungsliste ist mein Name nicht aufge-
führt.
Mein Votum lautet: Nein.
Anlage 3
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Insolvenzordnung und anderer
Gesetze (Tagesordnungspunkt 10)
Alfred Hartenbach (SPD): Von der zehnten bis zur
zwölften Legislaturperiode haben die Beratungen über ein
neues Insolvenzrecht gedauert. Mit dem Insolvenz-
verfahren wollten wir damals ein Verfahren schaffen, dass
den Bedürfnissen von Verbrauchern und Kleingewerbe-
treibenden angepasst ist und nicht zu einer übermäßigen
Belastung der Gerichte führt. Für den genannten Perso-
nenkreis stellt dieses Verfahren nämlich den einzigen Weg
dar, um über eine Restschuldbefreiung einen wirtschaftli-
chen Neuanfang zu erreichen und damit wieder eine Per-
spektive zu haben.
Leider hat das Verfahren, welches nach zähen Ver-
handlungen erst seit 1998 praktiziert werden konnte, die
Erwartungen nur ansatzweise erfüllt. Deshalb ist dieses
Änderungsgesetz notwendig, um dem Insolvenzrecht
neue Impulse zu geben.
Wer aber nun glaubt, wir debattierten hier über eine
unsäglich trockene Materie, der irrt gewaltig. Wir debat-
tieren heute über das Leben. Wir bringen heute Änderun-
gen auf den Weg, die das Leben von Millionen von Men-
schen entscheidend beeinflussen können. Die soziale
Dimension dieser Änderung wird erst richtig deutlich,
wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Überschul-
dungssituation nicht nur unmittelbare Auswirkungen auf
den Schuldner selbst hat, sondern insbesondere auch seine
gesamte Familie belastet.
In dieser Familie, die es schwer genug hat, treffen die
negativen Folgen ganz besonders die Kinder. Wir rechnen
zurzeit mit etwa 2 Millionen Kinder, die aufgrund der
Überschuldung ihrer Eltern in Armut leben. Armut ge-
fährdet die Chancen von Kindern bei der Ausbildung
ihrer Fähigkeiten und ihrer persönlichen Autonomie, ge-
fährdet das Niveau ihrer Schulbildung und ihrer berufli-
chen Ausbildung. Armut beschädigt das Selbstwertgefühl
von Kindern und kann sie nachhaltig entmutigen. Den von
Armut betroffenen Kindern werden Entwicklungsmög-
lichkeiten vorenthalten, auf die sie in einer modernen Ge-
sellschaft angewiesen sind.
Wir aus der rot-grünen Koalition setzen uns deshalb
gerade auch im Interesse überschuldeter Familien und ih-
rer Kinder für ein funktionstüchtiges Entschuldungsma-
nagement ein und rufen alle verantwortlichen Kräfte im
Bundestag auf, hieran mitzuwirken.
Wegen der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Re-
dezeit kann ich mich nur auf einige wesentliche Punkte
beschränken.
Ein Punkt ist, dass wir dem mittellosen Schuldner den
Zugang zum Verfahren erleichtern. Nachdem der Wille
des Gesetzgebers, die Vorschriften über die Prozesskos-
tenhilfe anzuwenden, von den Gerichten nicht akzeptiert
wurde, musste nunmehr eine klare und eindeutige gesetz-
liche Regelung gefunden werden. Mit der Stundung der
Verfahrenskosten ist diese Regelung gefunden. Das heißt,
das Verfahren kann auch dann eröffnet werden, wenn ein
Schuldner nicht über die nötigen Mittel verfügt, um die
Verfahrungskosten zu decken. Ich appelliere hier sehr
eindringlich an die Länder, sich nicht auf fiskalische Ge-
sichtspunkte zurückzuziehen.
Neben dem Interesse der Kinder steckt dahinter auch
ein ganz handfestes wirtschaftliches Interesse: Derjenige,
der Licht am Ende des Tunnels seiner Schulden sieht und
weiß, dass er nach einer gewissen Wohlverhaltensphase
wieder am Wirtschaftsleben teilnehmen kann und auch
teilnehmen will, wird nämlich dann auch wieder zu den
Steuerzahlern gehören. Das ist ein Kreislauf, der letzt-
endlich drei Gewinner hat: die Schuldner, die Gläubiger
und die öffentlichen Kassen, wenn man bedenkt, dass
diese Menschen auch nicht mehr auf Sozialhilfe angewie-
sen sind. Dazu gehört auch die Möglichkeit, aus Gründen
der Waffengleichheit in komplizierten Verfahren Schuld-
nern einen Rechtsanwalt zur Seite zu stellen und diesen
Rechtsanwalt dann auch entsprechend vergüten zu können.
Leider mussten wir aus Gründen der Übersichtlichkeit
den persönlichen Anwendungsbereich des Verbraucher-
insolvenzverfahrens in einem Punkt einschränken. Dort,
wo Kleingewerbetreibende einbezogen werden können,
müssen wir diese Chance auf diejenigen ehemaligen Ge-
werbetreibenden beschränken, deren Zahl der Gläubiger
nicht ins Unermessliche steigt. Wir haben hier ganz be-
wusst eine Beschränkung auf 20 Gläubiger vorgesehen.
Lassen Sie mich abschließend sagen: Alles in allem
bringen wir mit diesem Gesetz für viele Menschen Hoff-
nung. Wir sollte diese Hoffnung unterstützten, wir sollten
sie nähren und wir sollten nicht im kleinlichen Parteien-
gezänk oder im Aufrechnen zwischen Bund und Ländern
diese Hoffnung wieder zunichte machen.
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU):
Am 18. Februar 2000, also fast vor genau einem Jahr, hat-
ten wir in einer Bundestagsdebatte über das Insolvenzge-
setz das Justizministerium aufgefordert, die Entwicklung
der Anwendung der Insolvenzordnung unter allen Aspek-
ten genauestens zu begleiten und dem Deutschen Bun-
destag Bericht zu erstatten, bzw. gegebenenfalls schon
Änderungsvorschläge vorzulegen.
Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
mit der beinahe endgültigen Fassung vom 28. März 2001
entspricht diesem Auftrag und versucht, die aus der Pra-
xis heraus sichtbaren Mängel zu beseitigen. Es soll insbe-
sondere die Teilnahme völlig mittelloser Personen an der
Restschuldbefreiung ermöglicht werden und eine klare
Trennung zwischen ehemaligen Unternehmern von so ge-
nannten Kleingewerbetreibenden durchgeführt werden.
Die Praxis bemängelt, dass ehemalige Unternehmer mit
vielen Hundert oder mehr Gläubigern die Verfahrenswege
bei den Insolvenzgerichten blockieren, und sie sollten auf
das normale Insolvenzverfahren verwiesen werden. Dies
ist einerseits sinnvoll, andererseits muss aber auch ge-
scheiterten Unternehmern die Möglichkeit gegeben wer-
den, ohne persönliche Schuldtitel nach einer gewissen
Wohlverhaltenszeit wieder von vorne anzufangen. Dabei
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werden auch volkswirtschaftlich positive Auswirkungen
erwartet, denn wer einmal Pleite gegangen ist, um es dras-
tisch auszudrücken, hat gelernt aus seinen Fehlern und
wird es beim nächsten Mal besser machen.
Zudem haben sich zum Teil auch, weil die Länder,
obwohl sie eine Vorlaufzeit von sechs Jahren hatten
nicht die nötigen Voraussetzungen ergeben. Weitere
Schwierigkeiten wurden angesammelt, weil Verordnun-
gen nicht erlassen oder die vorgesehenen Schuldnerbera-
tungsstellen nicht ausreichend errichtet wurden. Auch bei
Unternehmensinsolvenzverfahren haben sich verschie-
dene Vorschriften so nicht handhaben lassen, wie ur-
sprünglich gedacht, und sollen nun mit dem Änderungs-
gesetz reformiert werden.
Bei allem Eifer, den Schuldner nach einer Wohlverhal-
tensfrist von alten Schulden zu befreien, darf das Gesetz
aber nicht die Rechte des Gläubigers noch weiter ein-
schränken, es sei denn, diese Einschränkung führt insge-
samt zu einer Beschleunigung des Verfahrens und zu ei-
ner besseren Akzeptanz durch die Schuldner. Es kann kein
Zweifel daran bestehen, dass es allgemein wirtschafts-
politisch sinnvoll ist, überschuldete Menschen oder Fa-
milien wieder in den ordentlichen Arbeits- und Wirt-
schaftskreislauf zurückzuführen.
Zu begrüßen ist daher auch, dass es für völlig pleite
Schuldner die Möglichkeit der Prozesskostenstundung
gibt, gegebenenfalls auch unter Beiordnung eines An-
walts. Die Bedenken der Verbände, dass durch den Ent-
wurf die Wohlverhaltenszeit dadurch von sieben bis auf
elf Jahre ausgedehnt wird, gegebenenfalls durch eine re-
lativ lange Verfahrensdauer noch länger, ist im Gesetzge-
bungsverfahren zu berücksichtigen. Meines Erachtens
könnte darüber nachgedacht werden, die siebenjährige
Frist ab Antragstellung laufen zu lassen mit der Maßgabe,
dass diese verlängert wird, wenn der Schuldner nicht
konstruktiv bei der Antragstellung bis zum Beschluss mit-
arbeitet. Wenn dagegen rechtsdogmatische Gründe spre-
chen, sollten wir über eine Verkürzung auf fünf Jahre
nachdenken.
Ich teile im Übrigen die Bedenken der Länder bei der
Sorge über die Einführung der Prozesskostenhilfe nur
finanziell, nicht aber in rechtspolitischer oder gesell-
schaftspolitischer Hinsicht. Ich bin sicher, dass das, was
an Prozesskostenhilfe für die Restschuldbefreiung ausge-
geben wird, in wenigen Jahren über das Einsparen von So-
zialhilfe, Mietkostenzuschüsse und Ähnlichem wieder
hereingeholt wird. Die Sorge der Justizminister, dass da-
mit ihr Justizhaushalt belastet wird, ist richtig, könnte
aber durch einen Federstrich, zum Beispiel durch Über-
nahme aus den Sozialetats, genommen werden. Es gibt
heute bereits den § 17 BSHG.
Zu Recht versucht der Gesetzentwurf, auch einzelne,
angebliche oder tatsächliche Missstände zu beseitigen.
Insbesondere darf nicht durch übereifrige Treuhänder
zum Beispiel der Wohnraum des Schuldners gekündigt
werden, um an die Mietkaution zu kommen. Dies führt
zur Zerstörung der noch einzigen Lebensgrundlage des
Schuldners. Andererseits kann es nicht richtig sein, wenn
protzige Wohnungen beibehalten werden, während
die Gläubiger auf Großteile ihrer Forderung verzichten
müssen.
Die Rechte der Schuldner werden durch die Erhöhung
der Pfändungsfreigrenzen im Wesentlichen schon genü-
gend berücksichtigt. Aus diesen freien Mitteln sind Woh-
nung und sonstige übliche Lebensverträge zu bestreiten
und zusätzlich gelten auch die §§ 850 ff. ZPO.
Um nochmals zurückzukommen auf die Frage der Ab-
grenzung von Kleingewerbetreibenden zu Unternehmern,
ist nach Auffassung der meisten Verbände die starre Rege-
lung von 20 Gläubigern zu kurz gegriffen. Wir sollten im
Anhörungsverfahren hier änderungsbereit sein. Ob die
Anhebung auf 30 Gläubiger genügt, bezweifele ich. Ein
von den Verbänden ebenfalls zur Sprache gebrachter Vor-
schlag, die Worte in der Regel in § 304 einzuführen,
würde eine allgemeine starre Regelung sicher gerechter
relativieren.
Der Vollstreckungsschutz für den Schuldner für eine
gewisse Zeit nach Beginn des Verfahrens wäre richtig. Er
ist aber sozusagen über Nacht aus dem Entwurf gestrichen
worden, weil die Länder Bedenken hatten und das Gesetz
zustimmungsfrei gemacht werden sollte. Die längere
Rückwirkung der so genannten Rückschlagsperre gemäß
§ 88 Insolvenzordnung auf drei Monate ist schon sehr
hoch gegriffen und sollte nicht, wie von manchen Ver-
bänden vorgeschlagen wurde, noch mehr verlängert
werden.
Sollte sich aus den Umständen ergeben, dass zum
Nachteil anderer Gläubiger in einer Zeit davor Sicherun-
gen erworben wurden, müssten sie nach dem allgemeinen
Recht angefochten werden. Ebenso schwierig ist die
Frage, ob frühere Abtretungsgläubiger zu normalen Gläu-
bigern herabgestuft werden sollten.
Zu fordern ist aber, dass sowohl Gemeinden als auch
insbesondere Finanzbehörden als normale Gläubiger an-
gesehen werden und nicht bevorrechtigte Positionen ein-
nehmen dürfen. Auch bei der Aufforderung zum Verzicht
auf Forderungen müssen die Finanzämter und gegebe-
nenfalls die Krankenkassen flexibler sein, auch wenn es
sich um so genannte Treuhandgelder, wie Beiträge zur
AOK und Lohnsteuer, handelt. Die Entscheidung, dass
das Insolvenzgeld für Arbeitnehmer zur normalen Masse
gehört, ist ordnungspolitisch bedenklich, wirtschaftspoli-
tisch, weil dadurch Einigungen leichter möglich sind,
richtig.
Auf den Schuldenbereinigungsplan, der sehr wichtig
ist, kann nach dem Entwurf richtigerweise vom Gericht
verzichtet werden, wenn keine Aussicht auf Zustimmung
der Gläubiger besteht und dadurch das Restschuldbefrei-
ungsverfahren beschleunigt werden kann. Insgesamt
müssen die Bestrebungen, außergerichtliche Einigungen
durchzuführen, unterstützt werden, da diese sowohl für
Gläubiger als auch für Schuldner am schnellsten und
preiswertesten sind und in der Regel auch zu gerechten
Ergebnissen führen. Gerade für diese Verfahren gilt aber
flexible Mitwirkung der öffentlichen Hand.
Die vom Verbraucherinsolvenzbüro Stuttgart ge-
brauchte Äußerung Die öffentliche Hand ist der Killer
des von ihr geschaffenen Verfahrens ist sicher überspitzt,
fußt aber auf mehreren Hundert Verfahren, wobei außer-
gerichtliche als auch gerichtliche Pläne von der öffentli-
chen Hand in weit unter 10 Prozent Zustimmung von
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(C)
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Gläubigern der öffentlichen Hand fanden, obwohl Rund-
schreiben vom Bundesminister der Finanzen deutlich auf
die Mitwirkungspflicht auch der Finanzämter hinwiesen.
Die bei Verabschiedung des Gesetzes von den Ländern
an die Wand gemalten Horrorzahlen der Restschuldbe-
freiungsverfahren sind nicht eingetreten, zum einen, weil
es ein ungeliebtes Kind der Länder ist, zum anderen, weil
auch bei den Insolvenzgerichten nicht alle Vorkehrungen
getroffen wurden, aber meines Erachtens auch durch eine
nicht zu übersehende Sperre, die Veröffentlichung des
Verfahrens und damit Preisgabe des Namens, wenn keine
außergerichtliche Einigung zustande kommt. Dies hat na-
turgemäß eine Prangerwirkung, die viele davon abhält, in
eine solches Verfahren zu gehen. Solange man quasi ano-
nym überschuldet war, wussten nur die Geschäftspartner
davon, nunmehr aber die Nachbarschaft, die Bekannten
und Freunde und dies ist eben unangenehm.
Der Sinn des Gesetzes ist, die überschuldeten Personen
in ein geordnetes, finanzielles Leben zurückzuführen, wo-
bei die Gläubiger in einem erheblichen Maße dazu beitra-
gen, durch Verzicht auf Forderungen, aber auch durch die
Aussicht, dass der Schuldner ermutigt ist, durch ein sie-
benjähriges Wohlverhalten und Zahlung wenigstens ge-
ringer Teile der Verbindlichkeiten neben den laufenden
Verfahrenskosten. Insofern ist das Restschuldbefreiungs-
verfahren eine sozialpolitische Aktion und nur durch das
Rechtskorsett der Insolvenzordnung begleitet. So muss
man die rechtspolitisch und ordnungspolitisch gerechtfer-
tigte Veröffentlichung des Namens dem sozialen, persön-
lichen Gesichtspunkt des Schuldners gegenüberstellen
und abwägen. Vielleicht könnte das Risiko eines Miss-
brauchs dadurch gelöst werden, dass der Name nur in Lis-
ten erscheint, in die bei berechtigtem Interesse Einblick
genommen werden kann, weil es sich für den Schuldner
leichter wieder aufbauen lässt, ohne das Stigma, dass er
Konkurs gemacht hat.
Schuldnerberatungsstellen, Verbände, Städtetag und
Landkreistag haben eine Vielzahl von Vorschlägen bereits
im Vorverfahren eingebracht. Hier nenne ich unter ande-
rem das sehr effektiv arbeitende Verbraucherinsolvenz-
büro Stuttgart genauso wie die Arbeitsgemeinschaft
Schuldnerberatung der Verbände, der die Arbeiterwohl-
fahrt, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände,
die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, der
Deutsche Caritas-Verband, das Deutsche Rote Kreuz,
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Diakoni-
sches Werk angehören. Aber auch andere, die sich in die
Diskussion eingebracht haben und noch im Verfahren ein-
bringen werden.
Die CDU/CSU-Fraktion ist bereit, mit den Koalitions-
parteien und den anderen Parteien sowie den Verbänden
insgesamt zusammenzuarbeiten und möglichst eine Über-
einstimmung in den strittigen Fragen zu erreichen, damit
das Instrument der Restschuldbefreiung den Stellenwert
bekommt, den wir seinerzeit bei der Verabschiedung ihm
geben wollten. Wir wussten, dass wir Neuland betreten,
um überschuldete Menschen nicht auf Ewigkeit vom
normalen Gesellschafts- und Wirtschaftsleben auszu-
schließen und eine Zukunft zu eröffnen.
Vorrausetzung ist und bleibt dabei die aktive Mithilfe
oder das Wohlverhalten. Dieses Gesetz soll Hilfe zur
Selbsthilfe sein und alle Beteiligten sollten in diesem
Sinne mitwirken.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit diesem Gesetzentwurf, der das 1999 verabschiedete
Insolvenzrecht nachbessert, erleichtern wir vielen
Schuldnern nun endlich den Weg aus der Schuldenfalle.
Auf diese gesetzgeberische Hilfestellung haben viele
Menschen gewartet. Mein Büro haben in den letzten Mo-
naten eine Reihe von Anfragen erreicht, wann der Ge-
setzgeber das Problem der Prozesskostenhilfe im Insol-
venzverfahren endlich zu lösen gedenke.
Ich stelle hier noch einmal ganz deutlich fest, was ich
den Menschen geantwortet habe: Nicht an der Mehrheit
des Deutschen Bundestages oder an der Bundesregierung
hat es gelegen, dass wir erst heute über dieses Stundungs-
modell diskutieren. Nein, die Bundesländer haben sich
vor dem Hintergrund ihrer gespannten Haushalte überaus
schwer getan. Wäre es nach uns gegangen, dann wären
wir auch über das Stundungsmodell hinausgegangen. Mit
diesem, so meine ich, haben wir aber immerhin eine Lö-
sung gefunden, die den überschuldeten Menschen den
Weg aus der Schuldenfalle tatsächlich ermöglicht. Nur
zur Erinnerung: 1999 sind von rund 20 000 beantragten
Entschuldungsverfahren nur etwa 2 300 auch eröffnet
worden. Den überschuldeten Verbrauchern war manch-
mal nur deshalb der Weg in das Verbraucherinsolvenz-
verfahren versperrt geblieben, weil ihnen die Mittel für
das Verfahren fehlten. Das wird sich mit dieser Reform
ändern.
Rund 2,8 Millionen Haushalte in diesem Land sind
überschuldet. Diese Zahl ist umso alarmierender, wenn
man bedenkt, dass jeder dritte überschuldete Haushalt so-
gar mit mehr als 50 000 Mark in der Kreide steht. Für viele
Menschen sind das keine Peanuts!
Indes: Der Einfluss des Gesetzgebers, diese Situation
drastisch zu verändern, ist begrenzt. Das liegt an den un-
terschiedlichsten Ursachen, die Verschuldung haben
kann. Umfragen zufolge zählt dazu nicht nur mangelnde
Liquidität aufgrund von Arbeitslosigkeit. Plötzliche
Schicksalsschläge wie Unfälle, Krankheit, Tod eines Part-
ners oder das Scheitern einer Beziehung und auch die Un-
erfahrenheit und Naivität der Verbraucher gegenüber so
manchen verlockenden Kredit- und Konsumangeboten
gehören dazu. Wenn in der Nachbarschaft zwar wöchent-
lich ein großes Versandhaus anliefert, die selben Mieter
aber eines Tages ausziehen müssen, weil sie nicht mehr in
der Lage sind, ihre Wohnungsmiete zu bezahlen, dann hat
der bunte Katalog einfach den Geldbeutel gesprengt. Mit
anderen Worten: Nicht nur bei den Essgewohnheiten müs-
sen wir anscheinend viele Bürgerinnen und Bürger noch
von einem anderem Konsumverhalten überzeugen.
Verantwortlich für ihre Misere sind aber keineswegs
immer die Betroffenen selbst: Auch Kredithaie, die die
Notlage der Betroffenen ausnutzen, um über horrende
Zinsen abzukassieren, sind oft Ursache für Verschuldung.
Auch die Banken müssen sich einmal fragen, ob sie nicht
vielleicht künftig weniger aggressiv mit vermeintlich pro-
blemlosen Konsumentenkrediten werben sollten, wenn
doch der Verdacht nahe liegt, dass viele Kreditnehmer
später das Geld nicht mehr zurückzahlen können.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116092
(C)
(D)
(A)
(B)
Die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsver-
bände, AG SBV, hat die Bundesregierung in ihrem Vor-
haben bestärkt und hat die Reform der Insolvenzordnung
begrüßt. Wir freuen uns darüber. Darüber hinaus aber ha-
ben die Verbände Anregungen gemacht, die aus Sicht mei-
ner Fraktion durchaus noch im Gesetzgebungsverfahren
zu prüfen sind. Berechtigte Kritik ist beispielsweise an der
Länge der so genannten Wohlverhaltensperiode, also des
Zeitraums, in dem der Schuldner den pfändbaren Teil sei-
nes Arbeitseinkommens an einen Treuhänder abzutreten
hat, geäußert worden. Die hier geltende Frist von sieben
Jahren sei zu lang und erschwere ebenso den wirtschaftli-
chen Neuanfang des Schuldners wie auch der Umstand,
dass Gehaltsabtretungen noch bis zu drei Jahren nach Ver-
fahrenseröffnung ihre Wirksamkeit behalten. Hierdurch,
so die Kritik, würden einzelne Gläubiger im Verhältnis
zur Gesamtheit der Gläubiger über Gebühr begünstigt.
Diese Kritik wird auch im Bundesjustizministerium
nach meiner Kenntnis sehr ernst genommen. Das BMJ hat
deshalb eine rechtstatsächliche Untersuchung in Auftrag
gegeben, auf deren Ergebnisse ich wirklich sehr gespannt
bin. Wenn alsbald belastbare empirische Daten vorliegen,
die die Kritik insoweit bestätigt, wird sich die Koalition
einer Änderung dieser Frist nicht versperren.
Rainer Funke (F.D.P.): Lassen Sie mich zunächst in
Erinnerung rufen, dass die Insolvenzordnung 1994 prak-
tisch einstimmig von allen Fraktionen des Hauses gebil-
ligt worden ist. Insbesondere die Verbraucherinsolvenz-
ordnung und die Restschuldbefreiung, die vor allem von
den Freidemokraten und auch Sozialdemokraten ge-
wünscht worden war, wurde als großer Fortschritt für die
Privatinsolvenz und als Perspektive für insolvente
Schuldner gesehen und gefeiert. Gerade dieser Teil des
Gesetzes hat beim Bundesrat Ablehnung gefunden, insbe-
sondere wegen der damit verbundenen Kosten. Wir haben
uns dann im Vermittlungsausschuss leider auf ein ziem-
lich spätes In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung zum
1. Januar 1999 geeinigt.
Wenn heute darüber Klage geführt wird, dass seit dem
In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung die Anträge der
Verbraucherinsolvenzen nur schleppend vorankommen,
so liegt dies zum großen Teil daran, dass viele Länder
trotz der langen Vorlaufzeit die Schuldnerberatungsstel-
len und auch die entsprechenden Dienstanweisungen nur
schleppend, zum Teil erst Mitte 1999, in Kraft haben tre-
ten lassen. Inzwischen nehmen die Zahlen auf Verbrau-
cherinsolvenzen und Schuldenbefreiungen zu.
Insgesamt glaube ich, dass die neue Insolvenzordnung
nach einer gewissen Eingewöhnungsphase erfolgreich ist.
Es kann nicht ausbleiben, dass einzelne Fragen, auch be-
dingt durch die Rechtsprechung, überdacht werden müs-
sen. Dies gilt sicherlich auch für die Frage der Verfah-
renskosten bei Verbraucherinsolvenzverfahren, wenn
völlig mittellose Personen an diesem Verfahren teilneh-
men wollen. Es war stets die Auffassung aller Fraktionen
dieses Hauses und des Bundesjustizministeriums, dass
das PKH-Verfahren für diese Personen gelten soll. Dies
haben wir auch stets in den Materialien zum Gesetz ver-
treten. Ein Teil der Gerichte hat sich dieser Auffassung an-
geschlossen, aber der größte Teil der Rechtsprechung
nicht, sodass hierzu eine Klarstellung notwendig ist. Die
F.D.P. macht keinen Hehl daraus, dass sie das nun vorge-
sehene Stundungsverfahren für bürokratisch und für die
betroffenen Schuldner für belastend hält. Wir ziehen ein
klares PKH-Verfahren vor. Wir wollen diesen Schuldnern
eine klare Perspektive für ihre zukünftige wirtschaftliche
Situation geben.
Soweit vorgeschlagen wird, ehemalige Unternehmer
und so genannte Kleingewerbetreibende nicht mehr in das
Verbraucherinsolvenzverfahren einzubeziehen, muss
aber überlegt werden, ob schon insoweit hinreichend Er-
fahrung gesammelt werden konnte. Wir würden es vor-
ziehen, wenn hier die Auswirkungen der Insolvenzord-
nung in diesem Bereich länger und intensiver betrachtet
werden könnten.
Die Vorschläge der Bundesregierung hinsichtlich der
Entgeltansprücheverfahren der Arbeitnehmer, soweit sie
vom vorläufigen Insolvenzverwalter weiter beschäftigt
werden, dürften der Praxis entsprechen und werden von
uns unterstützt.
Wir machen damit deutlich, dass wir an der Novellie-
rung der Insolvenzordnung mitwirken werden, soweit Re-
paraturen notwendig sind, jedoch ausschließlich fiska-
lisch bedingte Vorschläge der Länder, wie bei den
Stundungsverfahren, ablehnen werden. Die Beratungen
im Rechtsausschuss werden wir intensiv begleiten.
Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Der Regierungsentwurf
zur Änderung der Insolvenzordnung kommt spät, hof-
fentlich jedoch noch nicht zu spät, um das Knäuel von
nicht praktikablen, bürokratischen und komplizierten Re-
gelungen der Verbraucherinsolvenz zu entwirren, das vor
allem viele Schuldner vor unlösbare Finanzprobleme
stellt. Deshalb hat meine Fraktion bereits vor einem Jahr
einen Änderungsentwurf vorgelegt, der das Insolvenzver-
fahren insbesondere für viele mittellose Schuldner öffnen
soll.
Die Finanzierung des Insolvenzverfahrens für mittel-
lose Schuldner ist das Hauptproblem der gesetzlichen
Regelung, da ohne praktikable Finanzierungsmöglichkei-
ten die beabsichtigte Verbraucherinsolvenz mit dem Ziel
der Restschuldbefreiung von vornherein zum Scheitern
verurteilt ist. Bei vielen Schuldnern reicht bekanntlich das
Vermögen und Einkommen für die Begleichung der Ver-
fahrenskosten nicht aus.
Während wir hierzu eine klarstellende Regelung zur
Gewährung von Prozesskostenhilfe vorgeschlagen haben,
sieht der Regierungsentwurf ein so genanntes Stundungs-
modell vor. Grundsätzlich halte ich dieses Modell für
möglich, favorisiere jedoch weiterhin unser PKH-Modell.
Der Regierungsentwurf weist selbst darauf hin, dass eine
klarstellende Regelung für die Anwendung der §§ 114 ff.
ZPO im Insolvenzverfahren nahe gelegen hätte. Weil da-
mit jedoch erhebliche Kosten auf die Länder zukommen
würden, wird ein Stundungsmodell vorgeschlagen.
Dieses Argument greift nur bedingt, denn die Stundung
suggeriert zwar zunächst die Rückzahlung während bzw.
nach der Wohlverhaltensperiode. Bei den so genannten
Nullplanverfahren ist die Einkommens- und Vermögens-
situation meist so desolat, dass weder vorab die Verfah-
renskosten berichtigt noch die Gläubigerforderungen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16093
(C)
(D)
(A)
(B)
beglichen werden können. Selbst nach der Restschuld-
befreiung ist bei vielen Betroffenen nicht mit einer durch-
greifenden Änderung ihrer Einkommenssituation zu rech-
nen, sodass die Stundung am Ende ebenso wie die
Gewährung von PKH, die ja auch nur ein zinsloses Darle-
hen darstellt, auf einen Erlass der Verfahrenskosten hi-
nausläuft. Hinzu kommt, dass außerdem keine eindeutige
Erlassregelung mit Abschluss der Restschuldbefreiung
vorgesehen ist. Da in Anlehnung an die PKH-Regelung
eine Änderung zum Nachteil des Schuldners erst mit
Ablauf von vier Jahren nach Beendigung des Verfahrens
ausgeschlossen ist, bedeutet dies faktisch eine Verfah-
rensverlängerung bis zur endgültigen Entschuldung um
weitere vier Jahre.
Überlegenswert sind die Vorschläge zur Einführung ei-
nes fakultativen Schuldenbereinigungsverfahrens, zur
Senkung der Kosten im Verbraucherinsolvenzverfahren
durch Internetnutzung und Verringerung der zuzustellen-
den Unterlagen. Und auch die Einführung einer Notfrist
von einem Monat im § 307 für die Gläubigerstellung-
nahme ist zwecks Verfahrensbeschleunigung sinnvoll.
Ausdrücklich begrüße ich die Ausdehnung der Rück-
schlagsperre § 88 InsO von einem auf drei Monate, zu-
mal die in § 765 a Abs. 4 ZPO gewählte Formulierung un-
serem Vorschlag in § 314 b InsO sehr nahe kommt.
Allerdings wäre eine konsequente Ausdehnung des Voll-
streckungsschutzes auf das gesamte Verfahren der außer-
gerichtlichen Einigung wie von uns vorgeschlagen an-
gebracht.
Keinesfalls einverstanden bin ich mit der vorgesehe-
nen Einschränkung des persönlichen Anwendungsberei-
ches des Verbraucherinsolvenzverfahrens nach §§ 304 ff.
InsO. Unter dem Vorwand der in der Praxis auftretenden
erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten der Kleinge-
werbetreibenden von anderen Unternehmern werden
diese nunmehr faktisch von der Verbraucherinsolvenz
weitgehend ausgeschlossen und wieder an das für sie we-
sentlich nachteiligere Regelinsolvenzverfahren verwiesen.
Abgesehen davon, dass die Überschaubarkeit seiner
Vermögensverhältnisse bei Ausübung der selbstständi-
gen Tätigkeit eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten nach
sich ziehen dürfte, bedeutet die weitere Abgrenzung bei
einer Gläubigerzahl von weniger als 20 und dem Nicht-
vorliegen von Forderungen aus Arbeitsverhältnissen de
facto den Ausschluss von Kleinunternehmern aus der Ver-
braucherinsolvenz. Eine solche Regelung wird der beson-
deren Situation dieser Schuldnergruppe nicht gerecht, da
diese oft weitaus mehr als 20 Gläubiger haben, sich je-
doch ihre Einkommens- und Vermögenssituation nicht
wesentlich von überschuldeten Privatpersonen unter-
scheidet, zumal sie Privat- und Firmenvermögen ein-
schließlich der damit verbundenen Forderungen meist
nicht voneinander trennen konnten.
Meine Fraktion wird hierzu sowie zu weiteren Punkten
wie zur Frage von abgetretenen Forderungen Ände-
rungsvorschläge in die weitere Diskussion einbringen.
Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär der Bundesmi-
nisterin der Justiz: Mit dem neuen Insolvenzrecht sollte
auch den vielen völlig überschuldeten Menschen ein Neu-
anfang ermöglicht werden. Aber bereits kurz nach dem In-
Kraft-Treten des neuen Rechts mussten wir feststellen,
dass für diese Schuldner der Zugang zum Verbraucherin-
solvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren vielfach
versperrt war, weil sie die Verfahrenskosten nicht auf-
bringen konnten und ihnen auch keine Prozesskostenhilfe
für das Verfahren gewährt wurde. Bisher haben 31 Land-
gerichte in letzter Instanz entschieden, dass für das Ver-
braucherinsolvenzverfahren keine Prozesskostenhilfe ge-
währt werden kann. In den Bezirken dieser Landgerichte
können völlig mittellose Schuldner deshalb keine Rest-
schuldbefreiung erreichen und haben somit auch keine
Chance auf eine Zukunft ohne Schulden und auf einen
wirtschaftlichen Neubeginn. Eine der wichtigsten sozial-
politischen Zielsetzungen der Insolvenzrechtsreform ist
damit infrage gestellt.
Es handelt sich deshalb nicht nur um eine technische
Änderung der Insolvenzordnung. Um Ihnen die soziale
Dimension zu verdeutlichen, möchte ich nur ein paar Zah-
len nennen: 1999 waren in Deutschland 2,7 Millionen
Haushalte überschuldet. Unter diesen Haushalten befan-
den sich rund 1,2 Millionen Familien mit circa 2 Mil-
lionen Kindern. Die heute vorliegende Änderung der
Insolvenzordnung erschöpft sich deshalb nicht in verfah-
rensrechtlichen Vereinfachungen. Vielmehr muss sie als
eine Voraussetzung zur Überwindung von Überschuldung
angesehen werden, mit der ein wirtschaftlicher Neu-
anfang verbunden ist. Dies hat angesichts der aufgezeig-
ten Zahlen eine hohe familien- und jugendpolitische Be-
deutung.
Damit künftig alle Schuldner Zugang zur Restschuld-
befreiung haben, soll mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung
und anderer Gesetze das neue Institut der Insolvenzkos-
tenhilfe geschaffen werden. Mit der Insolvenzkostenhilfe
wird den Schuldnern im Insolvenzrecht ein eigenständi-
ger von der Prozesskostenhilfe unabhängiger An-
spruch auf Unterstützung gewährt, wenn sie die Verfah-
renskosten nicht zahlen können. Dieser zielt darauf ab,
den Schuldnern, die die Verfahrenskosten nicht aufbrin-
gen können, diese Kosten zunächst zu stunden. Gleich-
zeitig entsteht für die Vergütung des Insolvenzverwalters
bzw. Treuhänders ein Sekundäranspruch gegen die Staats-
kasse. Während der gesamten Entschuldungsphase sind
die gestundeten Kosten aus der Masse vorweg zu befrie-
digen und auch nach erteilter Restschuldbefreiung besteht
für den Schuldner noch für eine gewisse Zeit die Pflicht
zur Zahlung der gestundeten oder vorgestreckten Verfah-
renskosten.
Ich halte dies für eine sachgerechte und ausgewogene
Lösung des Problems. Sachgerecht, weil sie den Zugang
aller zum Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefrei-
ungsverfahren ermöglicht, und ausgewogen, weil sie
nicht zwangsläufig zu einer Entschuldung zum Nulltarif
führt. Die teilweise bereits im Vorfeld des Gesetzge-
bungsverfahrens geäußerte Kritik, die Stundungslösung
wäre rein fiskalisch begründet, ist nicht gerechtfertigt.
Diese Kritik berücksichtigt nicht, dass das Stundungsmo-
dell auf die Entschuldungsbemühungen des Schuldners
vorteilhafte Auswirkungen haben wird. Mit den Pflichten,
die mit der Stundung verbunden sind, werden eigene Mit-
wirkungshandlungen des Schuldners zwangsläufig akti-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116094
(C)
(D)
(A)
(B)
viert. Dadurch werden nicht nur die Gerichte entlastet,
sondern auch aussichtslose Verfahren vermieden werden.
Die Insolvenzkostenhilfe wird aber auch den außerge-
richtlichen Einigungsversuch deutlich stärken. Schulden-
regulierungen sind in der Vergangenheit häufig geschei-
tert, weil es für die Schuldner, bei denen die Ablehnung
der Prozesskostenhilfe voraussehbar war, keine Chance
auf eine gerichtlich erteilte Restschuldbefreiung gab.
Diese schwache Position des Schuldners war für einzelne
Gläubiger oft der ausschlaggebende Grund für eine Ab-
lehnung der einvernehmlichen Schuldenregulierung.
Wird der Schuldner zukünftig bei seinen Einigungs-
bemühungen aber eine klare rechtliche Option auf das
gerichtliche Entschuldungsverfahren haben, ist davon
auszugehen, dass sich die Verhandlungs- und Einigungs-
bereitschaft der Gläubiger erhöhen wird.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf basiert im We-
sentlichen auf den Vorschlägen einer von der Justizminis-
terkonferenz eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Ich begrüße es nachdrücklich, dass der in der Arbeits-
gruppe gefundene Konsens zwischen den berechtigten In-
teressen überschuldeter Menschen und den fiskalischen
Belangen der Länder als eine tragfähige Grundlage des
Änderungsgesetzes auch im Bundesrat im Wesentlichen
bestätigt wurde.
Was die Kostenbelastung anbetrifft, kann ich Ihnen
versichern, dass die finanziellen Auswirkungen des Ge-
setzentwurfes mehrfach geprüft wurden. Die zu erwarten-
den Verfahrenszahlen und die Höhe der Rückflüsse sind
derzeit allerdings schwer zu kalkulieren, da sie von einer
Vielzahl von Faktoren abhängen. Besonders schwierig ist
die Schätzung der Beträge, die die Schuldner im Laufe der
Wohlverhaltensperiode zur Kostentilgung aufbringen
werden. Nach meiner Auffassung ist allerdings die An-
nahme der Länder sehr pessimistisch, dass in mehr als
50 Prozent der Fälle kein abtretbares Einkommen vor-
handen sein wird, aus dem zumindest Teile der Verfah-
renskosten beglichen werden können.
Zusammengefasst: Das Änderungsgesetz steht in Über-
einstimmung mit dem ursprünglichen Ziel des Gesetzge-
bers, ein Verfahren zu schaffen, das den Bedürfnissen von
Verbrauchern angepasst ist und nicht zu einer übermäßi-
gen Belastung der Gerichte führt.
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
Kraft-Wärme-Kopplung im Wettbewerb stärken
Kraft-Wärme-Kopplung auf dem Prüfstand
Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes er-
neuerbarer Energieträger
(Tagesordnungspunkt 12)
Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Die Diskussion
über die Kraft-Wärme-Kopplung in der Regierungskoali-
tion und mit den Verbänden dauert an.
Dabei war die Taktik der Verbundwirtschaft bislang so
einfach wie durchsichtig: Angegriffen wurde das Mittel
die Quotenregelung , obwohl eigentlich das Ziel der
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung gemeint war und
bekämpft wurde. Daran ist die erste Gesprächsrunde ge-
scheitert.
Daraufhin hat der Verband der Elektrizitätswirtschaft
die Initiative ergriffen, um einen Konsens in der Branche
herbeizuführen. Konsensfähig scheint eine Bonusrege-
lung zum Erhalt effizienter und zur Modernisierung inef-
fizienter KWK-Anlagen zu sein. Aber die konkrete Aus-
gestaltung der Bonusregelung ist noch ebenso umstritten
wie der Zubau neuer KWK-Anlagen. Daran ist die zweite
Gesprächsrunde gescheitert. Deswegen werden wir einen
neuen Anlauf machen.
Was Sie von der Opposition mit der Kraft-Wärme-
Kopplung wollen, ist mir bei der Lektüre Ihrer Anträge
nicht ganz klar geworden. Die F.D.P. hält weitere Markt-
eingriffe schlicht nicht für vertretbar. Der Wettbewerb soll
es alleine richten. Und sie versucht, den Bundeswirt-
schaftsminister mit Zitaten gegen das KWK-Gesetz für
sich in Anspruch zu nehmen. Deshalb folgendes Zitat aus
der letzten Haushaltsrede des Bundeswirtschaftsministers
an Ihre Adresse:
Ich sage allen Anhängern des völlig liberalen Wettbe-
werbs: Der Wettbewerb regelt vieles; er richtet nicht alles,
aber er richtet die Zukunft unter Umständen zugrunde.
Geradezu erheiternd finde ich, dass die F.D.P. für er-
neuerbare Energien den gleichen Fördermechanismus
nämlich eine Quotenregelung mit Zertifikathandel
propagiert, den sie bei der KWK so vehement ablehnt.
Das müssen Sie uns noch einmal erklären.
Die CDU/CSU will die Kraft-Wärme-Kopplung nach
der Überschrift ihres Antrags zwar stärken, führt im Text
allerdings nur Argumente und Instrumente auf, um sie zu
schwächen. Dies sind samt und sonders Versatzstücke aus
den Zuschriften der Verbundwirtschaft, die uns in den
vergangenen Monaten erreicht haben. Ein besonders be-
liebter wie irreführender Einwand ist es, die Brennstoff-
zelle als Opfer eines KWK-Ausbaus hinzustellen. Richtig
ist das Gegenteil: Die Brennstoffzelle ist nur in der ge-
koppelten Produktion von Wärme und Strom sinnvoll ein-
setzbar, also als Kraft-Wärme-Kopplung, und sie ist auf
ihre Förderung angewiesen. Aus diesem Grund haben wir
sie bereits in dem von Ihnen bekämpfte KWK-Gesetz ein-
bezogen. Und genau deshalb wird sie auch in das Aus-
baugesetz einbezogen.
Soweit sachliche Einwände zum Beispiel nicht aus-
baubarer Wärmeabsatz oder die Erzeugung von Über-
schussstrom geltend gemacht werden, sind sie durch die
begleitenden wissenschaftlichen Studien ausgeräumt. Die
europarechtlichen Einwände sind inzwischen in unmiss-
verständlicher Weise durch den Europäischen Gerichts-
hof widerlegt worden, der in seinem Urteil zum deutschen
Stromeinspeisungsgesetz den Umweltschutz als Schranke
des europäischen Wettbewerbsrechts anerkannt hat.
Europarechtlich ist aber ebenso klar, dass sich der
KWK-Ausbau als gesetzliche Regelung an die gesamte
Stromwirtschaft richten muss. Selbstverpflichtungen und
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16095
(C)
(D)
(A)
(B)
Verbändevereinbarungen können dabei hilfreich sein,
aber sie sind kein Ersatz. Dazu haben wir eindeutige Si-
gnale aus Brüssel. Auf jeden Fall müssen sie einem wirk-
samen Monitoring unterworfen und mit Sanktionen be-
wehrt werden.
Ich fürchte also, in Ihnen werden wir in dieser Frage
keinen konstruktiven Gesprächspartner haben. Sie haben
sich in der Opposition von einer vernünftigen Umwelt-
und Klimapolitik und damit auch von wichtigen Zielen
der Europäischen Union verabschiedet, die sich eindeutig
zur Verdopplung der Energieerzeugung aus erneuerbaren
Energien und aus KWK in einem 10-Jahres-Zeitraum be-
kennt.
Im Rahmen des Klimaschutzprogramms der Bundes-
regierung kommt dem Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-
lung eine herausragende Bedeutung zu. Durch ihn sollen
bis zum Jahr 2010 23 Millionen Tonnen CO2-Emissionen
eingespart werden, das heißt ein gutes Drittel des von
Deutschland noch zu erbringenden Beitrages zu den von
der Europäischen Union in Kioto eingegangenen Ver-
pflichtungen.
Weltweit wird die Verbrennung fossiler Energieträger
noch auf lange Zeit eine dominierende Rolle spielen. Des-
halb stehen zur CO2-Reduzierung die Effizienzsteigerung
sowie die Erschließung verbrennungsfreier Energieträger
im Vordergrund unserer Bemühungen. Der Ausbau der
Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und aus
Kraft-Wärme-Kopplung ist deshalb ein Kernbestandteil
der Klimaschutzstrategie der Regierungskoalition.
Mit der Liberalisierung des Strommarktes ist der Be-
reinigungsdruck auf die überzähligen Kraftwerkskapa-
zitäten in Europa erheblich gestiegen, und bei der un-
gleichgewichtigen Marktöffnung wird er stark nach
Deutschland gelenkt. Wir verschließen uns keineswegs
der Notwendigkeit, im Wettbewerb Unternehmensstruk-
turen anzupassen, Synergiepotenziale zu heben, sinnvolle
Fusionen durchzuführen und europäische und internatio-
nale Marktstrategien zu entwickeln. Wir werden aber alle
Anstrengungen unternehmen, dass die im Inland wegfal-
lenden Produktionskapazitäten nicht durch billigen Im-
portstrom ersetzt werden, der dazu noch aus Kraftwerken
kommt, deren Umweltanforderungen und Sicherheits-
standards mit unseren Anlagen keinen Vergleich aushalten.
Zwei weitere Gesichtspunkte kommen hinzu: Erstens:
Mit der Vereinbarung zum schrittweisen Ausstieg aus der
Kernenergie in unserem Land fallen in einem Zeitraum
von etwa 20 Jahren über 30 Prozent unserer Stromerzeu-
gung insgesamt und fast 60 Prozent in der Grundlast weg.
Angaben der Elektrizitätswirtschaft zufolge werden das
bereits im Jahr 2010 45 Terawattstunden weniger sein.
Diese Lücke gilt es zu schließen. Darin liegt nach meiner
Auffassung die Chance für die heimische Braunkohlever-
stromung in modernen Kraftwerken. Darin liegen aber
auch die Chance und die Notwendigkeit, die Kraft-
Wärme-Kopplung auszubauen und erneuerbare Energie-
quellen zu entwickeln und marktreif zu machen.
Und zweitens: Ein großer Teil unserer Kraftwerkska-
pazitäten ist heute über 35 Jahre alt und muss in absehba-
rer Zeit erneuert werden. Nach Angaben der Elektrizitäts-
wirtschaft wird der Reinvestitionszyklus ab 2005 in Gang
kommen. Darum müssen die Weichen schon heute in die
richtige Richtung gestellt werden, um ein Mindestmaß an
Erzeugung, Wertschöpfung und Beschäftigung am Stand-
ort Deutschland zu sichern.
Dazu ist die Kraft-Wärme-Kopplung geradezu prä-
destiniert, denn anders als der Strom kann die Wärme
nicht über große Entfernungen transportiert werden. Eine
stärker dezentral ausgerichtete Erzeugung vermindert
nicht nur Leitungs- und Transportverluste, sondern bringt
auch Gewinne an Versorgungssicherheit.
Der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung wird unter
anderem auch als Bedrohung der heimischen Kohlever-
stromung dargestellt. Dazu ist ganz nüchtern folgendes
festzuhalten:
Die Verstromung heimischer Steinkohle, von der nur
ein Bruchteil in die Kraft-Wärme-Kopplung geht, ist we-
gen der degressiven Förderung stark rückläufig. Wenn sie
allerdings durch Importkohle ersetzt werden soll, dann
halte ich das nicht für schützenswert.
Die Verstromung der grundsätzlich wettbewerbsfähi-
gen Braunkohle findet überwiegend in Grundlastkraft-
werken statt. Dort konkurriert sie vor allem mit der
Kernenergie. Mit dem schrittweisen Ausstieg aus der
Kernenergie wird die Verstromung der Braunkohle trotz
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung zu- und nicht ab-
nehmen.
Und nicht zuletzt: Die Verstromung von Stein- und
Braunkohle ist mit vergleichsweise hohen CO2-Emissio-
nen verbunden. Werden sie in hoch effiziente Kraftwerke
wie in der Lausitz geschehen und am Niederrhein ge-
plant und in die Kraft-Wärme-Kopplung gelenkt, dann
verbessern sich ihre Umweltfreundlichkeit und Klimaver-
träglichkeit erheblich. Das wird auch ihre politische Ak-
zeptanz wesentlich erhöhen.
Aus diesen Gründen wollen wir die Kraft-Wärme-
Kopplung ausbauen. An das künftige Fördermodell stel-
len wir folgende Anforderungen:
Erstens. Die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
muss den Zielen eines kostengünstigen und effizienten
Umwelt- und Klimaschutzes und der Standortsicherung,
Wertschöpfung und Beschäftigung in unserem Land glei-
chermaßen Rechnung tragen.
Zweitens. Die Förderung muss sich auf den Erhalt öko-
logisch effizienter, die Modernisierung nicht effizienter
und den Zubau neuer, moderner KWK-Anlagen er-
strecken.
Drittens. Da keine zusätzlichen Haushaltsmittel zur
Verfügung stehen, muss die Finanzierung durch ein Um-
lagesystem erfolgen. Das erfordert zwingend eine gesetz-
liche Regelung und schließt die alleinige Selbstverpflich-
tung der Elektrizitätswirtschaft aus.
Viertens. Die Förderung müssen alle potenziellen In-
vestoren in Anspruch nehmen können.
An diesen Anforderungen werden wir jeden Vorschlag
messen und darauf eine gesetzliche Regelung zur Siche-
rung, Modernisierung und zum Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung stützen.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116096
(C)
(D)
(A)
(B)
Christoph Matschie (SPD): Damit Deutschland im
Klimaschutz weiterhin glaubwürdig eine Vorreiterrolle
einnehmen kann, ist es unabdingbar, dass wir zu den uns
gesetzten ehrgeizigen Zielen im Klimaschutz stehen. Das
nationale Klimaschutzziel, unsere Kohlendioxidemissio-
nen bis 2005 gegenüber 1990 um ein Viertel zu reduzie-
ren, hat weiterhin hohe Priorität.
Wir wissen, dass die bisher erzielten Ergebnisse eine
CO2-Reduzierung von circa 15 Prozent seit 1990 uns an
die Spitze der Länder stellen, die überhaupt Minderungen
von CO2-Emissionen vorweisen können. Doch ein großer
Teil der Reduktionen der letzten Jahre ist auf den Zusam-
menbruch der ostdeutschen Wirtschaft nach 1990 zurück-
zuführen; die jetzt noch zu erbringende Reduzierung wird
wesentlich schwieriger sein.
Um die für die Realisierung des 25-Prozent-Zieles noch
bestehende Lücke zu schließen, hat die Bundesregierung
im November letzten Jahres ein umfassendes nationales
Klimaschutzprogramm auf den Weg gebracht. Insgesamt
wollen wir unsere CO2-Emissionen bis 2005 um 50 bis
70 Millionen Tonnen senken. Damit leistet Deutschland
einen wichtigen Beitrag zum globalen Klimaschutz.
Ein Kernelement unserer Klimaschutzstrategie ist der
Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung. Sie ist für eine wirk-
same Klimaschutzstrategie unverzichtbar, weil der ver-
minderte Energieeinsatz zu deutlich niedrigeren CO2-
Emissionen führt. Sie ermöglicht eine hocheffiziente
Bereitstellung von Strom und Wärme mit einer Brenn-
stoffausnutzung von über 80 Prozent.
Schon die heute arbeitenden Anlagen leisten einen
wichtigen Beitrag zum Klimaschutz: Derzeit existieren in
Deutschland rund 5 700 KWK-Anlagen. Mit diesen An-
lagen werden 50 Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugt,
der Atmosphäre bleiben dadurch zwischen 10 und 30 Mil-
lionen Tonnen CO2 pro Jahr erspart. Doch nicht alle die-
ser Anlagen arbeiten heute schon sinnvoll und sind effek-
tiv eingesetzt. Tatsächlich gibt es großen Bedarf zur
Modernisierung und Erneuerung. Allein mit KWK wollen
wir eine Minderung der CO2-Emissionen um 10 Milli-
onen Tonnen bis 2005 und 23 Millionen Tonnen bis 2010
zum Ziel erreichen.
Der derzeitige Anteil von KWK-Anlagen an der
Stromerzeugung in Deutschland beträgt heute 10 Prozent.
Schon 2010 soll er auf 20 Prozent verdoppelt werden.
Dass das KWK-Potenzial damit noch lange nicht
erschöpft ist, zeigen Beispiele wie Dänemark und die
Niederlande, deren KWK-Anteil mit 35 bis 40 Prozent
Quelle: VIK und mehr weit höher ist.
Um dieses Ziel zu erreichen, reicht es nicht, die beste-
henden Anlagen zu sanieren. Daneben brauchen wir ein
durchdachtes und wirksames Konzept zum weiteren Aus-
bau der Kraft-Wärme-Kopplung.
KWK-Förderung macht aus vielen Gründen Sinn: Kli-
maschutz ist das eine Motiv, doch damit nicht genug: Po-
sitive Effekte sind auch in den Bereichen Wachstum und
Beschäftigung zu erwarten. Die Studie der PROGNOS
AG Basel belegt: KWK-Förderung schafft Arbeitsplätze:
Der positive Beschäftigungseffekt des nationalen Klima-
schutzprogrammes liegt allein im KWK-Bereich Anla-
genbau, Betrieb und Wartung von Kraftwerken und Fern-
wärmenetzen bei deutlich über 10 000 Arbeitsplätzen
bis 2010. KWK-Förderung steht für Innovation und Zu-
kunftsorientierung. Schließlich exportiert Deutschland
Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen in alle Welt das
Know-how deutscher Anlagenhersteller ist schon längst
auch auf dem internationalen Markt sehr gefragt.
Wichtig für uns ist deshalb: eine Sicherung der beste-
henden, effizienten KWK-Anlagen. Denn entgegenge-
setzt zu dem, was in dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion
zu lesen ist, hat sich die Situation der Kraft-Wärme-Kopp-
lung gegenüber anderen Technologien im Wettbewerb
deutlich verschlechtert. Tatsächlich sind bereits erhebli-
che KWK-Leistungen vom Netz gegangen. Die bestehen-
den, sanierungsfähigen KWK-Anlagen müssen energe-
tisch optimiert und modernisiert werden. Der Ausbau der
KWK-Anlagen muss, als Eckpfeiler des nationalen Kli-
maschutzprogrammes, mit neuen, hocheffizienten Anla-
gen ermöglicht werden.
Im CDU-Antrag wird fälschlicherweise behauptet,
dass für die zusätzliche elektrische Leistung durch Zubau
neuer Kraftwerkskapazitäten keinerlei Bedarf bestünde,
sondern stattdessen auch in den folgenden Jahren Über-
kapazitäten abgebaut werden müssten. Darauf geben die
Untersuchungen des Forschungszentrums Jülich eine
deutliche Antwort: Schon ab 2002 wird es entgegen der
Behauptungen der CDU/CSU einen Ersatzbedarf für fos-
sile und nukleare Stromerzeugungskapazitäten geben. So
wird KWK-Strom nicht bestehende Stromerzeugungska-
pazitäten verdrängen, sondern kann alte, ineffiziente An-
lagen durch ressourcen- und umweltschonende Strom-
und Wärmeerzeugung ersetzen.
Wie die Ausbauförderung konkret vonstatten gehen
soll, da sind wir offen für alle Instrumente, die uns helfen,
unser Ziel zu erreichen. Im Klimaschutzprogramm der
Bundesregierung ist von einer Quotenregelung die Rede.
Die KWK-Quote ist tatsächlich ein vielversprechendes
Modell, sie ist jedoch kein Dogma. Wir sind dabei, in ei-
nem offenen Dialog mit allen Beteiligten eine angemes-
sene Lösung zu finden.
Dafür hat das BMWi eine Arbeitsgruppe KWK-Aus-
bauregelung eingerichtet, in der unter anderem Indus-
trie- und Verbandsvertreter, ÖTV und IGBCE an einer
gemeinsamen Lösung arbeiten. Dass bislang kein endgül-
tiger Vorschlag vorliegt, liegt vor allem daran, dass die
Verbundwirtschaft, aber auch die IGBCE und das Wirt-
schaftsministerium von NRW Bedenken gegen eine Quo-
tenregelung angeführt haben und versprachen, eine Alter-
nativregelung vorzulegen. Diese Alternative sähe eine
Kombination aus freiwilliger Selbstverpflichtung und aus
Haushaltsmitteln finanzierter Anlagenmodernisierung so-
wie Fernwärmeverdichtung vor. Auf dieser Linie liegt
auch das von der Verbundwirtschaft vorgelegte Aktions-
programm Klimaschutz. Versprochen wurde eine belast-
bare Alternative gegenüber der Einführung einer Quoten-
regelung, die gleichermaßen geeignet ist, die angestrebten
Klimaschutzziele zu erreichen. Bisher gibt es aber die
wirklich belastbare Alternative der Wirtschaft nicht. Dass
das Aktionsprogramm der Energiewirtschaft nicht den
Anforderungen genügt, belegen gutachterliche Studien
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16097
(C)
(D)
(A)
(B)
des Öko-Instituts und des Deutschen Instituts für Wirt-
schaftsforschung.
Ein Konsens der Beteiligten wird angestrebt. Doch
auch wenn dieser Konsens nicht erreicht werden kann,
muss die Politik handeln.
Eine Selbstverpflichtung der Industrie kann für die
Weiterentwicklung des Klimaschutzes eine wichtige
Rolle spielen. Damit sie auch tatsächlich etwas bewirkt,
müssen allerdings einige grundsätzliche Voraussetzungen
erfüllt sein. So müssen die Ziele der Selbstverpflichtung
deutlich über dem normalen Effizienzfortschritt liegen,
denn sonst beschreiben sie nur eine Entwicklung, die oh-
nehin stattfinden wird. Die vorgelegten Konzepte müssen
belastbare und valide sein. Sie dürfen nicht weniger trans-
parent, überprüfbar und effektiv als gesetzliche Vorgaben
sein. Das beinhaltet auch, dass sie von einem intensiven
Monitoring begleitet werden und dass im Falle ihres
Scheiterns klare und spürbare Sanktionen greifen.
Selbstverpflichtungen können unsere Politik sinnvoll
ergänzen ersetzen können sie beim Bemühen um KWK-
Ausbau nicht. Die Instrumente zum KWK-Ausbau müs-
sen den folgenden Kriterien genügen: Sie müssen zielge-
nau für alle relevanten Einsatzgebiete von KWK
förderlich sein, sie müssen Rechtssicherheit für Betreiber
und Investoren herstellen und sie müssen haushaltsneutral
und EU-kompatibel sein.
Wir sind offen für alle Vorschläge, die den genannten
Kriterien entsprechen. Denn im Endeffekt ist es das Ziel,
das zählt. Über die Mittel, es zu erreichen, können wir
verhandeln.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Seit vielen Monaten
gibt es in unserem Land einen erbitterten Streit um das Ob
und Wie einer Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung
zwischen den politischen Parteien, innerhalb der Parteien,
aber auch zwischen einzelnen Interessenverbänden. Zur-
zeit werden wir ja auch Zeugen heftigen Streits um die
Förderung von KWK zwischen Energieunternehmen und
beispielsweise dem Verband kommunaler Unternehmen,
der zum Beispiel in der Meldung gipfelte, dass sich die
Verbände und die privaten Unternehmen noch nicht über
die Höhe und Ausgestaltung der staatlichen Förderung ei-
nigen konnten. So ist es gut, dass auch der Deutsche Bun-
destag wenngleich zu ungünstiger Nachtstunde über
dieses Thema diskutiert, damit deutlich wird, dass es noch
immer gewählte Parlamentarier sind, die darüber bestim-
men, wie man wofür dem Steuerzahler in die Tasche grei-
fen darf.
Die CDU/CSU-Fraktion hat der bisherigen Gesetzge-
bung von Bundesregierung und Koalition, insbesondere
dem KWK-Vorschaltgesetz, wie ich glaube, aus guten
Gründen und mit guten Argumenten Widerstand entge-
gengesetzt. Nachdem gerade in den letzten Tagen zum
Beispiel auch in der SPD-Fraktion und in der Bundesre-
gierung frischer Wind in die Diskussion gekommen ist
und eine Entscheidung in den nächsten Wochen und Mo-
naten ansteht, bieten wir den Kollegen der Koalition un-
sererseits eine ehrlich gemeinte und ideologiefreie Dis-
kussion an.
Gerade jetzt, wo die anstehenden Klimaverhandlungen
im Juli in Bonn unter schwierigen Bedingungen vorberei-
tet werden, müssen wir uns vor Augen halten, dass wir uns
zumindest im Ziel einig sind: Unsere Energiepolitik muss
nicht nur Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähig-
keit garantieren, sondern auch die Klimaschutzziele ohne
Wenn und Aber erfüllen.
Lassen Sie mich kurz den derzeitigen Stand der Dis-
kussion in unserer Fraktion, wie er in dem heute vorge-
stellten Antrag zum Ausdruck kommt, vorstellen. Wir ge-
hen von folgenden Prämissen aus:
Erstens. KWK-Anlagen leisten einen positiven Beitrag
zum Klimaschutz, wenn sie mit einem hohen Energienut-
zungsgrad von 70 bis 80 Prozent betrieben werden. Ab
diesem Nutzungsgrad ist die kombinierte Erzeugung von
Wärme und Kraft einer getrennten Erzeugung überlegen.
Dieser Nutzungsgrad wird nur dann erreicht, wenn auch
die Wärme ganzjährig und möglichst gleichmäßig abge-
nommen wird. Eine ökologisch sinnvolle Förderung kann
also nur dort ansetzen, wo diese Bedingungen gegeben
sind.
Zweitens. Ein ökologisch blinder Zubau von KWK-
Anlagen mit staatlicher Förderung ist unverantwortlich.
Es wäre nicht nur eine Verschwendung staatlicher Steuer-
gelder; wegen der nach wie vor vorhandenen Überkapa-
zitäten aus dem Strommarkt würde er zusätzliche stran-
ded investments und Kraftwerksstilllegungen an anderen
Ecken des Energiemarktes und Tausende weitere Entlas-
sungen provozieren.
Drittens. Wie auch immer geartete staatliche Förde-
rung muss offen, das heißt mit Haushaltsmitteln gesche-
hen, darf nicht in eine Dauersubvention ausarten, muss
gezielt am ökologischen Tatbestand ansetzen und darf
technologischen Fortschritt nicht behindern.
Daher lauten unsere drei Kernforderungen:
Erstens: Verzicht auf starre Zielvorgaben wie die Ver-
doppelung KWK als staatlichem Handlungsauftrag und
ein wie auch immer geartetes Quoten-Zertifikatshandel-
modell. Solche festen staatlichen Vorhaben sind ökolo-
gisch und ökonomisch fragwürdig, technologisch kontra-
produktiv und mit 3 bis 4 Milliarden DM geschätzter
Kosten pro Jahr für Steuerzahler oder Verbraucher unver-
hältnismäßig teuer.
Zweitens: Die Förderung existierender KWK-Anlagen
ist zeitlich befristet und degressiv auszugestalten und
streng an ökologische Kriterien zu binden. Das bedeutet
bei uns einen Monatsnutzungsgrad von mindestens
60 Prozent bei monatlicher Abrechnung. Wir erkennen an,
dass kommunale und private Energieunternehmen Pla-
nungssicherheit brauchen; aber es ist wirklich durch
nichts zu rechtfertigen, dass unter der gegenwärtigen Ge-
setzeslage kommunale KWK-Anlagen mit indiskutabler
Wärmenutzung und damit indiskutabler Energienut-
zungsgrade auf Teufel komm raus Strom produzieren und
CO2 emittieren. Das ist wirklich die Perversion einer
Maßnahme, die als Klimaschutz etikettiert wurde.
Wirklich Geld in die Hand nehmen würden wir
schließlich drittens für eine Intensivierung von For-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116098
(C)
(D)
(A)
(B)
schung und Entwicklung innovativer, dezentraler Ener-
gieumwandlungsanlagen und gezielte Markteinführungs-
programme derartiger KWK-Anlagen, zum Beispiel mit
Brennstoffzellentechnologie. Ein solches 100 000-Keller-
Programm wäre wesentlich sinnvoller als ihr 100 000-
Dächer-Programm der Photovoltaik. Solche KWK-Tech-
nologien für private Haushalte und die Industrie sind da,
haben ihre Marktreife in drei bis vier Jahren erreicht und
ein Einführungsprogramm hätte ähnliche Kostenredukti-
onseffekte wie das 100 000-Dächer-Programm. Nur wäre
der CO2-Effekt um ein Vielfaches höher, die Kosten für
den Steuerzahler wären geringer.
Genau das ist es, nämlich der Einsatz von Technologie,
die ökologische Treffsicherheit und das volkswirtschaft-
lich billigste Instrument, was wir an der Politik der Bun-
desregierung vermissen. Dies wird auch in den nächsten
Monaten im Zentrum der Diskussion stehen, weil es nach
den Äußerungen von Präsident Bush mehr denn je darum
geht, ein attraktives Klimaschutzkonzept international
einzubringen, und das bedeutet, die gewaltigen Heraus-
forderungen im Klimaschutz bis 2005 und noch mehr da-
nach zu erfüllen, ohne die Wirtschaft zu überfordern und
die Menschen auf die Barrikaden zu bringen.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Die Rahmenbedin-
gungen für eine nachhaltige Energieversorgung im globa-
len und liberalisierten Markt zu gestalten gehört zu den
großen politischen Herausforderungen unserer Zeit. Eine
ausreichende Energieversorgung ist die entscheidende
Grundlage für wirtschaftliches Handeln und eine prospe-
rierende gesellschaftliche Entwicklung. Energieversor-
gung ist folglich von zentraler volkswirtschaftlicher, ge-
sellschaftlicher und politischer Bedeutung. Um diese
Herausforderungen zu bewältigen und in Chancen für die
deutsche Volkswirtschaft umzusetzen, geht die CDU von
folgendem energiepolitischen Verständnis aus: Versor-
gungssicherheit, Preisgünstigkeit bzw. Effizienz und Um-
weltverträglichkeit bleiben unverändert die Grundanfor-
derungen, an denen sich Energiepolitik ausrichten muss.
Um diese Ziele zu erreichen, muss die künftige Ener-
giepolitik an den Maximen Nachhaltigkeit, Globalisie-
rung, Zukunftsoffenheit und Marktwirtschaft ausgerichtet
werden. Nachhaltig, weil wir nicht nur Verantwortung für
das Hier und Heute, sondern auch die Lebensumstände
unserer Kinder und Enkelkinder tragen. Global und eu-
ropäisch verantwortlich, weil Energiepolitik aufgrund der
globalen Zusammenhänge nicht mehr nur im nationalen
Rahmen gesehen werden kann. Deutschland muss einen
Beitrag zur Lösung der globalen und europäischen Pro-
bleme leisten und gleichzeitig seine Wettbewerbsfähig-
keit als Energieproduktionsstandort sichern und verbes-
sern. Marktwirtschaftlich, weil wir wissen, dass nur dies
zu den effizientesten Ergebnissen und zu niedrigsten ge-
samtwirtschaftlichen Kosten führt und damit die Wahr-
nehmung der ökonomischen, sozialen und ökologischen
Verantwortung überhaupt erst ermöglicht. Marktwirt-
schaftlich heißt zugleich auch, ein Level-Playing-Field
für alle Marktteilnehmer herzustellen, einen freien und
fairen Zugang zu den Versorgungsnetzen zu ermöglichen
und das Entstehen sowie den Missbrauch marktbeherr-
schender Stellungen zu verhindern. Zukunftsoffen
schließlich, weil Bedürfnisse und Risiken bei der Ener-
giegewinnung, -wandlung und -nutzung es nicht gestat-
ten, Technologieoptionen aufzugeben oder gar zu ver-
bieten.
Die Diskussion um weitere Schritte zum Klimaschutz
und zur CO2-Reduzierung hat sich in den vergangenen
Monaten zunehmend auf die politische Forderung nach
Einführung einer Quotenregulierung für KWK-Strom zu-
gespitzt. Das eigentliche Ziel, eine tatsächliche Senkung
des CO2-Ausstoßes und sonstiger Klimagase zu errei-
chen, ist dabei immer mehr in den Hintergrund getreten.
Durch die Einführung einer solchen Quotenregulierung
würden wichtige volkswirtschaftliche Ziele, wie eine si-
chere und ausgewogene Energieerzeugungsbasis, die be-
schleunigte Entwicklung neuer Technologien sowie die
Erhaltung einheimischer Wertschöpfung und Arbeits-
plätze, gefährdet. Ich hoffe, wir können den Presseveröf-
fentlichungen der letzten Wochen Glauben schenken, dass
die Bundesregierung nun endlich von ihren unsinnigen
Quotenplänen abgerückt ist.
Die Unionsfraktion hat die unsägliche bisherige Ge-
setzgebungsarbeit der Bundesregierung im so genannten
KWK-Vorschaltgesetz im Frühjahr vergangenen Jahres
aus guten Gründen abgelehnt. Ich habe mich selten über
eine so offensichtliche Ungleichbehandlung, eine so un-
faire, durch Lobbyismus geprägte und produzierte Un-
gleichbehandlung durch die Regierungspolitik ärgern
müssen wie bei dem KWK-Vorschaltgesetz vom Frühjahr
letzten Jahres. Wir können darüber reden, ob die Hilfe
nötig war oder nicht. Wir können sogar darüber streiten,
ob es Übergänge hätte geben müssen, die verhindert hät-
ten, dass bestimmte Investitionen unnötig gestrandet sind,
die dafür Sorge getragen hätten, dass bestimmte ökologi-
sche Potenziale erhalten werden könnten. Darüber hätten
wir diskutieren und streiten können. Aber eine solche
Frage kann nie und nimmer daran festgemacht werden,
wer die KWK-Betreiber sind. Die Förderungs- oder Be-
günstigungsklausel schlicht von den Besitzverhältnissen
abhängig zu machen und KWK-Betreiber, die im öffent-
lichen Eigentum sind, zu berücksichtigen, private Ei-
gentümer aber nicht, ist verfassungswidrig. Wir haben
schlicht keine Lust und Zeit, diesen Tatbestand als sol-
chen feststellen zu lassen, weil wir die Hoffnung noch
nicht aufgegeben haben, dass es sich doch nur um ein
kurzlebiges Vorschaltgesetz handelt. Andernfalls müsste
tatsächlich vor dem Hintergrund einer solchen Ungleich-
behandlung das Bundesverfassungsgericht bemüht wer-
den. Jedenfalls ist die gegenwärtige Regelung an keinem
einzigen Punkt gerechtfertigt.
Wir haben in dem vorliegenden Antrag unsere Kern-
forderungen für eine zielführende, an den Prinzipien von
Preisgünstigkeit bzw. Effizienz, Umweltverträglichkeit,
Zukunftsoffenheit und Marktnähe orientierte Förderung
der Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung darge-
legt. Dabei stehen für uns folgende Maximen für ein Kon-
zept der zukunftsorientierten Energieerzeugung im Vor-
dergrund:
Erstens. Energiepolitik muss sich am Nachhaltigkeits-
prinzip orientieren. Alle Effizienzreserven müssen mobi-
lisiert werden. Einsparpotenziale müssen mit neuester
Technik und auf marktwirtschaftlichem Wege erschlossen
werden.
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(B)
Zweitens. Freiwillige Vereinbarungen und Verhand-
lungslösungen bei der Realisierung der Klimaschutzziele
führen zu langfristig besseren Lösungen und effiziente-
rem Wettbewerb.
Drittens. Zum Abbau von Wettbewerbsverzerrungen
und zur Erhöhung der Transparenz sind alle direkten und
indirekten staatlichen Förderungen im Energiebereich zu
erfassen, einheitlich auszuweisen und kritisch auf ihre Ef-
fizienz zu bewerten. Alle direkten und indirekten Sub-
ventionen sind in einem Topf zusammenzufassen, mit ei-
ner degressiven Deckelung zu versehen und aus dem
allgemeinen Staatshaushalt zu finanzieren.
Viertens. Die Innovationsfähigkeit des Energiestand-
ortes Deutschland ist entscheidend für eine zukunfts-
fähige Energieversorgung. Technologieoptionen dürfen
nicht leichtfertig aufgegeben oder verboten werden. Die
Energieforschung muss daher nachhaltig gestärkt werden.
Fünftens. Im Zuge des Strukturwandels in der nationa-
len und europäischen Energiewirtschaft werden Überka-
pazitäten bei der Stromerzeugung abgebaut. Die Chancen,
die sich durch diesen notwendigen Strukturwandel erge-
ben, müssen im Interesse neuer, dezentraler Technolo-
gien, wie innovative Blockheizkraftwerke und Brenn-
stoffzellen, konsequent genutzt werden.
Sechstens. Im Gebäudebereich müssen verstärkt An-
reize zur Energieeinsparung geschaffen werden energe-
tische Sanierung. Im Verkehrsbereich sind die noch viel-
fältig vorhandenen technischen und organisatorischen
Einsparpotenziale zu aktivieren.
Siebtens. Pläne zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopp-
lung mittels Quoten-/Zertifikatshandel oder Bonusmodel-
len dürfen nicht weiterverfolgt werden. Starre Ziel-
vorgaben wie die Verdopplung der gekoppelten
Stromerzeugung als staatlicher Handlungsauftrag sind
aufzugeben. Eine weitere Belastung der Verbraucher und
der Wirtschaft durch zusätzliche Subventionierungen ist
zu unterlassen. Die Förderung existierender KWK-Anla-
gen ist so zu ändern, dass diese an ökologischen Kriterien
gebunden sowie zeitlich befristet und degressiv ausge-
staltet werden. Die staatliche Förderung der Markteinfüh-
rung neuer innovativer dezentraler KWK-Anlagen muss
befristet, degressiv und als Haushaltslösung erfolgen.
Die Frage der Preissenkungen in der Energiewirtschaft
und die Frage der neuen energiepolitischen Ansätze, wel-
che die Preise wieder hochtreiben, möchte ich ebenfalls
kurz ansprechen. Sie wissen, dass wir mit der Energieli-
beralisierung Gott sei Dank für den Standort Deutsch-
land einen großen Vorteil erwirtschaften konnten, sowohl
für private Verbraucher als auch für die Unternehmen.
Und nun fängt die Bundesregierung an im Ansatz durch-
aus nachvollziehbar , hehren Zielen nachzulaufen, ohne
auf das Wie zu achten, und dadurch Schritt für Schritt das
bisher Erreichte wieder zurückzubauen. Das hat die jet-
zige Bundesregierung mit dem Erneuerbare-Energien-
Gesetz getan, indem sie dadurch die Strompreise wieder
verteuert hat, und sie tut es ganz aktuell in der KWK-Dis-
kussion zusätzlich mit Quotenmodellen und Preisen, die
wiederum oben draufgelegt werden. Die kommende Ent-
wicklung ist absehbar. Bereits im Jahr 2000 wurden mitt-
lerweile etwa 4,5 Milliarden DM an Mehrkosten von den
jüngst erreichten Vorteilen wieder durch politische Vorga-
ben weggerafft. Wenn der Weg sich so fortsetzt, werden
es im Jahr 2010 um die 20 bis 30 Milliarden DM sein. Das
heißt, bereits in einem relativ überschaubaren Zeitraum
werden die Preisvorteile, die die Liberalisierung gebracht
hat, von politischen Vorgaben komplett wieder aufgefres-
sen sein. Bei einer solchen Perspektive können einem
schon die Haare zu Berge stehen, egal welche Begrün-
dung dahinter steht. Dies ist ein gefährlicher Weg. Er ver-
schlechtert die Wettbewerbssituation in Deutschland, da
er vor allem national stattfindet und die Notwendigkeit ei-
ner internationalen Harmonisierung außer Acht lässt. So
verschlechtert er nur die deutsche Energiekostensituation.
Dies kann nicht tatenlos akzeptiert werden. Wir müssen
höllisch aufpassen, dass wir uns nicht selber schweren
Schaden zufügen. Dies betrifft sowohl die privaten End-
verbraucher als auch industrielle und gewerbliche Ener-
gieverbraucher, die gerade ihre Standortentscheidungen
auch daran ausrichten, wohin die Energiepreisentwick-
lung zeigt.
Was kann also die deutsche Energiepolitik tun? Ich
sage es noch einmal ausdrücklich: Auch wir sind offen
und bereit, bei der Förderung innovativer Ansätze, etwa
bei regenerativen Techniken, mitzuhelfen. Erste Bedin-
gung bleibt für uns allerdings die Gleichbehandlung. Eine
Unterscheidung zwischen den verschiedenen Besitzer-
gruppen schließt sich automatisch aus. Dieses Kriterium
ist von vornherein so etwas Fremdes, dass ich mich wun-
dere, wie es überhaupt im Deutschen Bundestag Gesetz
werden konnte. Die zweite Frage ist die nach der Finan-
zierung. Und da muss völlig ideologiefrei gesagt werden:
Es muss das Ziel sein, mit dem geringsten finanziellen
Aufwand den höchsten gewollten Ertrag zu erzielen. So-
bald allerdings eine Preiserhöhung in den ganzen Markt
gegeben wird und niemand aus dieser Preiserhöhung aus-
scheren kann, ist eine Finanzierungsmethode gewählt, die
unglaublich bequem, aber auch unglaublich innovations-
hemmend, wettbewerbsbehindernd und suboptimal ist.
Wir können uns alle daran erinnern, wie sich der
Kohlepfennig auswirkte. 6, 7, 8 Pfennig waren es, an die
sich die Gesellschaft zu gewöhnen hatte. Es wurde nie da-
rüber gesprochen, es war kein Druck auf dem System, der
Kohlepfennig war schlicht eine bequeme Einrichtung für
die Begünstigten. Und ähnlich wird es mit Strompfenni-
gen welcher Art auch immer sein. Nichts anderes ist
es ja, was momentan in der Energiepolitik passiert. Die
begünstigten Bereiche werden sich bequem einrichten, al-
lerdings zulasten der Wettbewerbsfähigkeit weiter Teile
unserer exportorientierten Industrie. Jährliche Beratun-
gen im Vorfeld der Verabschiedungen des Bundeshaus-
haltes sind nicht nötig, es gibt keine Degressivität und
keine Anreize zu Innovationen, da niemand belohnt wird,
der etwas besser macht oder gute Einfälle realisiert. Dies
ist wohl der bequemste und gemütlichste Weg, einer
Branche in bestimmten Problembereichen zu helfen. Al-
lerdings ist es gleichzeitig auch die langfristigste, dauer-
hafteste und teuerste, da am wenigsten effiziente Lösung.
Deswegen muss an Modellen gearbeitet werden, die
den Innovationsdruck und die Effizienzanforderungen
unter Berücksichtigung des Preis-Leistungs-Verhältnisses
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116100
(C)
(D)
(A)
(B)
erhöhen. Welche Mittel wären also die besseren zur Er-
reichung dieses Ziels? Hier ist es meiner Auffassung nach
allemal besser, Haushaltsmittel zur Umsetzung dieser
Ziele bereitzustellen, als die Kosten über die Preise wei-
terzureichen. Dies ist der ehrlichere Weg. Einen Preis in
den Markt zu geben ist für Politiker der gefahrlosere Weg,
bei dem sie am Ende häufig nicht einmal für ihre Markt-
intervention beschimpft werden. Aber Steuern zu erhe-
ben, um aus dem öffentlichen Haushalt das eine oder an-
dere politisch Gewollte zu realisieren, fällt den Politikern
schon schwerer. Und einen Haushalt vor einem solchen
Hintergrund nicht mehr ausgleichen zu können, ist erst
recht schwer. Fazit: Die Hürden für solche Ansätze müs-
sen in unserer demokratischen Gesellschaft so unbequem
wie möglich gemacht werden und der Druck auf die Effi-
zienz muss so hoch wie möglich sein. Dies wird nicht über
eine relativ bequeme Preisfinanzierung, sondern nur
durch sehr mühsame, ärgerliche, jährlich im Parlament zu
diskutierende Haushaltsfinanzierungen erreicht.
Wenn politisch gewollte Ziele aus öffentlichen Haus-
halten finanziert werden, kann dies trotzdem in einer ver-
lässlichen Weise geschehen. Deswegen müssen keine
Brüche auftreten. Entscheidend ist, dass dabei die Finan-
zierung unter zentraler Beobachtung bleibt, während sie
bei Eingriffen in die Preisgestaltung über Pfennig-Lösun-
gen schnell verschwindet und sich der leichten Beobach-
tung entzieht. Ich bin nicht so weltfremd zu sagen, dass es
eine Lösung über Preise in keinem Fall geben darf. Dies
wäre Unsinn. Die Politik muss aber an der einen oder an-
deren Stelle eingreifen und Anreize geben können. Das
schlechte Gewissen der Politiker bei Lösungen über die
Preise aufgrund eines Verstoßes gegen die Marktgesetze
darf auf keinen Fall verloren gehen. Nur so bleibt das Ziel
einer straff organisierten Problemlösung, die Dauersub-
ventions-Tatbestände ausschließt, fest im Blick. Das muss
die Leitlinie bei der Lösung all dieser Fragen sein.
Wir freuen uns darüber, dass Sie die Quote, wie von
uns seit langem gefordert, mittlerweile ablehnen. Wir for-
dern ein Ende der preistreibenden Maßnahmen in der
Energiepolitik, auch vor dem Hintergrund der aktuellen
wirtschaftlichen und konjunkturellen Lage. Wir verlan-
gen eine Verstärkung der innovativen Anreize. Jede Un-
gleichbehandlung von privaten und öffentlich-rechtlichen
Betreibern wird abgelehnt. Soweit Förderung erforderlich
ist, muss diese klar befristet, degressiv und aus Steuer-
mitteln erfolgen. Wir sind sicher, dass die vor uns liegen-
den Beratungen die Richtigkeit unserer Grundsätze be-
stätigen werden.
Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wenn ich mir die vorliegenden Anträge anschaue, dann
fällt mir eines ganz besonders auf. Die Kolleginnen und
Kollegen der CDU/CSU-Fraktion lassen sich lang und
breit über die verschiedenen Maßnahmen zur Förderung
der Kraft-Wärme-Kopplung aus. Was dabei aber nur am
Rande auftritt, ist der Klimaschutz. Wir brauchen einen
umfassenden Klimaschutz; um die globale Erwärmung zu
vermindern. Dies ist eine der größten Herausforderungen
dieses Jahrhunderts. Die Vereinigten Staaten von Amerika
wenden sich von dem Klimaschutzabkommen von Kioto
ab. Damit schert das Land, dass ein Viertel der weltwei-
ten CO2-Emissionen erzeugt, aus der gemeinsamen Ver-
antwortung aus. Europa muss jetzt mit einer Stimme spre-
chen und auf die Einhaltung der CO2-Minderungsziele
beharren. Dies ist auch eine Aufgabe für Deutschland. Die
rot-grüne Koalition wird dieser Aufgabe gerecht und setzt
ihr Klimaschutzprogramm konsequent um. Klimaschutz
wird in dieser Koalition groß geschrieben. Das konnte
man von der Vorgängerregierung nicht behaupten. Daher
ist es nicht erstaunlich, dass Sie diese Position auch in Op-
positionszeiten vertreten.
Der Ausbau der KWK ist ein unverzichtbarer Bestand-
teil des Klimaschutzprogrammes. Und er ist ein wichtiger
Impuls für die Arbeitsplätze bei den Kraftwerksbetreibern
und -herstellern. In den nächsten Jahren werden eine
Reihe von Kraftwerken in Deutschland altersbedingt oder
aufgrund des Atomkonsenses vom Netz gehen. Es geht
darum, wie diese frei werdenden Kapazitäten ersetzt wer-
den. Ich will nicht den Ersatz durch Stromimporte aus
dem Ausland. Das würde eine Menge Arbeitsplätze in
Deutschland kosten. Außerdem ist der Stromimport von
alten Kohleanlagen oder osteuropäischen Kernkraftwer-
ken aus umweltpolitischer Sicht völlig widersinnig. Der
Ersatz der deutschen Kraftwerkskapazitäten muss also
mit ökologisch sinnvoller Technologie in Deutschland er-
folgen.
Ihr Vorwurf, meine Damen und Herren von der
CDU/CSU, dass wir mit der Förderung von KWK mo-
derne Technologien wie die Brennstoffzelle verhindern,
ist einfach nicht wahr. Denn: Die Brennstoffzelle ist
KWK! Durch eine Regelung zum Ausbau der KWK wird
die Brennstoffzelle ebenso gefördert. Wir sind uns einig,
dass die Brennstoffzelle das Potenzial zu einem wichtigen
Bestandteil einer dezentralen Energieerzeugung hat. Zu
einem virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet wird
diese Form der Energieerzeugung wesentlich flexibler
und damit umweltfreundlicher sein als die heutigen
Großkraftwerke. Aber ich warne sie davor, meine Damen
und Herren von der Opposition, mit einer Lösung von
morgen die Probleme von heute liegen zu lassen. Die
Brennstoffzelle wird erst in einigen Jahren den Markt-
durchbruch erzielen können. Bis dahin auf eine Umwelt-
politik in der Energieerzeugung zu verzichten, ist unver-
antwortlich. Aber zu Ihrer Beruhigung wir
vernachlässigen die Brennstoffzelle keinesfalls und haben
die Forschungsmittel für diesen Bereich deutlich aufge-
stockt.
Bei der Förderung von innovativen Technologien zum
Umweltschutz ist der Weg zur Förderung von regenerati-
ven Energien nicht weit. Ich finde es sehr positiv, dass die
F.D.P. unseren Einsatz zur Förderung der erneuerbaren
Energien anerkennt. Unsere Erfolge sprechen für sich. Bei
den erneuerbaren Energien haben wir gerade Bilanz ge-
zogen. Seit einem Jahr ist das Erneuerbare-Energien-Ge-
setz in Kraft. Mit dem EEG haben wir in Deutschland das
Solarzeitalter eingeleitet. Zusammen mit dem 100 000-
Dächer-Programm zur Förderung der Photovoltaik, dem
Marktanreizprogramm und den Programmen für die Bio-
masse-Nutzung verfolgt Deutschland damit das weltweit
engagierteste Programm zur umfassenden Markteinfüh-
rung erneuerbarer Energien.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16101
(C)
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(B)
Darüber hinaus ist das EEG zu einem weltweiten Vor-
bild und Exportschlager geworden. Luxemburg, Frank-
reich, Japan, aber auch Staaten in Südamerika wollen die
deutsche Regelung übernehmen, eine Abnahmepflicht
für grünen Strom gekoppelt mit angemessenen Mindest-
vergütungen haben sie bereits übernommen oder pla-
nen, dies in nächster Zeit zu tun. Zusammenfassend kann
gesagt werden: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat ei-
nen Nachfrageboom nach Technologien der Erneuerbaren
Energien ausgelöst und Deutschlands wachstumsstärkste
Industriebranche geschaffen.
Die Stromerzeugung aus regenerativen Energien steigt
steil an, seit Rot-Grün die Regierungsverantwortung
übernommen hat. Betrug die Stromproduktion 1998 noch
knapp 10 Milliarden Kilowattstunden, stieg sie im Jahr
2000 bereits auf 19 Milliarden Kilowattstunden. Dies ent-
spricht nach 2 Prozent 1998 aktuell schon 4 Prozent des
deutschen Stromverbrauchs. Innerhalb eines Jahres ist da-
mit die Produktion des Stromes, der nach dem Erneuer-
bare-Energien-Gesetz vergütet wird, um die Hälfte ge-
stiegen und hat sich seit Amtsantritt der rot-grünen
Bundesregierung insgesamt verdoppelt. Dies hat auch
viel mit dem Vertrauen der vielen zehntausend Investoren
in die reform-ökologische Bundesregierung zu tun.
Die stärksten Zuwachsraten sind dabei bei der Wind-
energie und der Biomasse zu beobachten. Insbesondere
die Biomasse war ein Stiefkind der alten Bundesregie-
rung. Sie steckt deshalb noch in den Kinderschuhen. Aber
mit einem Jahr kann man schon ganz gut laufen. Hier lie-
gen noch große Wachstumspotenziale. Gerade für die
Bauern, die zurzeit unter BSE und MKS leiden, ist dies
ein neues, zukunftsträchtiges Standbein. Der Bauer ist der
Energiewirt von morgen. Die Tatsachen, dass in den ver-
gangenen beiden Jahren jeweils 10 000 neue Arbeits-
plätze im Bereich der erneuerbaren Energien geschaffen
wurden und die Kurse grüner Stromaktien im letzten Jahr
DAX und NEMAX weit überflügelt haben, sprechen für
sich.
Daher ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass Sie,
meine Damen und Herren von der F.D.P., den Mechanis-
mus der Förderung so negativ sehen. Die Erfolge spre-
chen für sich.
Birgit Homburger (F.D.P.): Man muss es leider sa-
gen: Ausgerechnet unter dem grünen Minister Trittin ist
die deutsche Umweltpolitik nicht weitergekommen. Der
Umweltminister zappelt hilflos im Netz enttäuschter Er-
wartungen. Geknüpft haben dieses Netz die Grünen
selbst. Ein Netz aus unerfüllbaren, leeren Versprechun-
gen. Nun sind sie im wahrsten Sinne des Wortes ent-
täuscht, all jene, die den Umweltschutz wirklich ernst
nehmen.
Gerade die Energiepolitik verlangt schlüssige Kon-
zepte, um Klima und Umwelt zu schützen. Gerade hier
geht es um die ernsthafte und glaubwürdige Verbindung
von Umwelt und Wirtschaftspolitik. Wo kann die Ener-
giepolitik Akzente setzen, um den Klimaschutz voranzu-
bringen? Welchen Beitrag sollen die erneuerbaren Ener-
gien dazu leisten? Und nicht zuletzt fehlt eine schlüssige
Antwort auf die Frage, wie der Ausstieg aus der Kern-
energie mit dem Ziel der CO2-Minderung verknüpft wer-
den soll.
Aus der Kernenergie ist Rot-Grün ausgestiegen, aus
dem Klimaschutz die USA. Zu Wort meldet sich der deut-
sche Wirtschaftsminister: Der Atomausstieg lasse den
Klimaschutz für Deutschland in weite Ferne rücken. So
sieht er das, der deutsche Wirtschaftsminister. Die Grünen
sind entsetzt! Sie verbitten sich jeden Hinweis auf die
Realität. Unbequeme Wahrheiten stören die heile Welt
grüner Ideologien. Schließlich hätten doch Enquete-
Kommissionen festgestellt, es gebe keinen Konflikt zwi-
schen Atomausstieg und Klimaschutz. Soweit der Herr
Kollege Loske messerscharf, weil nicht sein kann, was
nicht sein darf.
Als Kronzeuge werden die erneuerbaren Energien in
den Zeugenstand gerufen. Gerade erst hat Minister Trittin
es wieder beteuert: Wenn es um die Förderung von Anla-
gen geht, die zugleich Strom und Wärme produzieren,
dann sei der Klimaschutz die alleinige Messlatte, sowohl
für ihn als auch für den Bundeswirtschaftsminister.
Wenn dies so ist, Herr Trittin, weshalb vermischen Sie
dann den Klimaschutz mit ganz anderen politischen Zie-
len? Warum besteht die Bundesregierung darauf, Preise
und Techniken vorzuschreiben? Worauf es wirklich an-
kommt, ist die konkrete Verringerung des CO2-Aus-
stoßes! Und auf nichts anderes. Weshalb wollen Sie par-
tout vorschreiben, wie dieses Ziel erreicht werden soll?
Geht es Ihnen um den Klimaschutz oder geht es Ihnen
darum, grüne Wähler ideologisch und finanziell zu be-
dienen, Herr Minister Trittin?
Die selektive und dirigistische Subventionierung einer
bestimmten Technik ist ökologisch sinnlos, anmaßend
und nichts anderes als eine Verschwendung von Steuer-
geldern. Die F.D.P.-Fraktion legt mit ihrem Antrag eine
glaubwürdige und kompetente Alternative sowohl zum
EEG als auch zur selektiven Förderung der KWK vor.
Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass die Emission klima-
schädlicher Gase in die Erdatmosphäre bei der Energie-
gewinnung unbedingt verringert werden muss. Diese Vor-
gabe soll über den Markt und damit so wirksam und
kostengünstig wie möglich erreicht werden. Neben der
Einsparung von Energie und einer höheren Energieeffizi-
enz brauchen wir dazu die erneuerbaren Energieträger.
Deren Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit muss
durch marktliche Mechanismen sowie durch gezielte För-
dermaßnahmen verbessert werden.
Unser Konzept besteht aus zwei Komponenten: Zum
einen wird weiterhin an der konventionellen Förderung
der Grundlagenforschung festgehalten. Diese wird jedoch
verbessert, indem die Mittelvergabe künftig durch Aus-
schreibungswettbewerbe und damit sowohl wirtschaftlich
als auch transparent erfolgt: Derjenige kommt zum Zug,
der das günstigste Angebot vorlegt. Diese Förderung wird
ergänzt, indem ein marktlich organisiertes Zertifikate-
modell eingerichtet wird, um ausgereifteren Techniken als
Alternative zum verfehlten EEG eine eigenständige
Marktteilnahme zu ermöglichen. Charakteristisch ist für
das F.D.P.-Modell, dass staatlicherseits weder bestimmte
Energieträger noch einzelne Techniken oder gar Preise
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116102
(C)
(D)
(A)
(B)
vorgeschrieben werden. Alle genannten Größen werden
ausschließlich über Marktprozesse, also dezentral, wett-
bewerblich und kostenminimierend bestimmt.
Dabei geht es eben nicht um ein Quotenmodell: Vorge-
geben wird nicht ein Anteilswert, sondern eine absolute
Menge klimafreundlich gewonnener Energie. Als echte
Alternative zum EEG und zu rot-grünem KWK-Dirigis-
mus ist das F.D.P.-Modell tatsächlich allein dem Klima-
schutz verpflichtet. Unser Modell ist sowohl in techni-
scher als auch in marktlicher Hinsicht entwicklungsoffen
und innovationsfördernd.
Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, die An-
maßung von Wissen und politischen Dirigismus auch im
Bereich der regenerativen Energien zu unterlassen und
stattdessen dem liberalen Konzept zu folgen.
Rolf Kutzmutz (PDS): Dass die beiden ausgewiese-
nen Gegner des bisherigen KWK-Kurses in diesem
Hause, CDU/CSU und F.D.P., ausgerechnet heute Abend
mit schon sechs Monate alten Anträgen das Thema wie-
der anschieben, verwundert nicht. Schließlich schreit das
Durcheinander, welches Koalitionsfraktionen und Bun-
deswirtschaftsministerium seit zwei Monaten in der Frage
veranstalten, förmlich nach öffentlicher Aufklärung. Fast
jede Woche treiben Ministerium und Energiewirtschaft
eine neue Sau pardon: Idee durchs Dorf, assistiert mal
von diesem, mal von jenem Koalitionsabgeordneten. Al-
les wird plötzlich neu auf alle Fälle anders als ein Kabi-
nettsbeschluss vom Oktober und ein Bundestagsbeschluss
vom März 2000, die aber niemand bisher für nötig erach-
tet hat zu revidieren. Ich meine das nationale Klima-
schutzprogramm und die vom federführenden Ausschuss
beschlossene Fassung des KWK-Vorschaltgesetzes, in
der bekanntlich auch ein Paragraph zur Ausbauregelung
enthalten war. Nur einer, der bisher das eminent wichtige
Thema einer effizienten, weil gleichzeitigen Erzeugung
von Nutzwärme und Strom konstruktiv begleitet hat, lei-
det plötzlich an Sprachlosigkeit der Umweltminister.
Jürgen Trittin laboriert offensichtlich noch an seinen
meyerschen Wortspielereien.
Aber zunächst zu den hier vorliegenden Anträgen.
Über den der CDU/CSU braucht man eigentlich nicht
viele Worte zu verlieren: Sie war und ist gegen KWK,
weil sie für die großen Verbundunternehmen ist. Sie be-
weist Kontinuität vom durch sie betriebenen Energie-
wirtschaftsgesetz 1998 bis zum jüngsten Antrag. Er ist in
seinen Forderungen dazu noch unlogisch: Einerseits soll
der Verbraucher keinesfalls höhere Kosten haben, ande-
rerseits soll mit wesentlich mehr Steuergeldern als bisher
die Markteinführung beispielsweise von Brennstoffzellen
finanziert werden.
Aber vielleicht ist die Forderung der Kollegen Ruck,
Schauerte, Uldall und Fraktion ja doch nicht unlogisch,
sondern einfach asozial: Falls sie nämlich meinen, die
Energiewende solle von den Rentnern, Studenten und Ar-
beitslosen bezahlt werden. Wie wollen sie denn sonst
Mehrkosten für alle ob nun über Erhöhung der Strom-
preise oder der Steuern anders vermeiden als durch wei-
tere öffentliche Ausgabenkürzungen, also im Sozial-, Bil-
dungs- und Arbeitsmarktbereich? Denn dass sie nicht an
die Bundeswehr und die Autobahnen ran wollen, das wis-
sen wir ja alle.
Wesentlich bemerkenswerter finde ich da schon die
Anträge des Kollegen Hirche und seiner Fraktion. Ich
weiß natürlich, dass sie von der F.D.P. und wir von der
PDS bei KWK politisch das Gegenteil wollen. Dennoch
sage ich frank und frei: Ich kann Ihren Antrag Kraft-
Wärme-Kopplung auf den Prüfstand nur voll unter-
stützen.
Die Bundesregierung und nicht der Bundeswirt-
schaftsminister muss endlich einen Bericht über ihre
KWK-Ausbaustrategie, die damit verbundenen Umset-
zungsmodalitäten und Kosten sowie mögliche Alternati-
ven vorlegen. Bundesminister Müller verfolgt offenkun-
dig derzeit nicht den KWK-Ausbau, sondern den Abbau
und selbst den ohne Strategie: Mal versteift er sich auf
das so genannte Aktionsprogramm Klimaschutz der
sechs großen Energiekonzerne. Dann schwankt oder
schwenkt er auf einen Branchenkonsens zu, um nun am
Montag via FOCUS zu verkünden, im Zweifel mache
er eine Vereinbarung ohne Stadtwerke also nix mit
Konsens.
Ich glaube in diesem Falle nicht an Unvermögen, son-
dern an besondere Zielstrebigkeit allerdings in einer
Richtung, die nicht die des Kabinetts sein kann, weil es
nicht die einer Mehrheit dieses Hauses ist, welche be-
kanntlich noch über die Grenzen der Koalition hinaus-
reicht. Die Position der Regierung von mir aus auch ei-
nes der legendären Machtworte des Kanzlers ist also
mehr denn je gefragt.
Nur über eine Formulierung des F.D.P.-Antrags bin ich
gestolpert: Quotenmodell in Vergleich zu einem ord-
nungsrechtlichen Förderansatz. Was soll noch ordnungs-
rechtlicher als ein Zertifikathandelsmodell sein? Aber of-
fensichtlich wurden auch Sie seit November, als Sie Ihren
Antrag einbrachten, eines Besseren belehrt. Denn anders
kann ich Ihren Hintersinn nicht interpretieren, zur heuti-
gen KWK-Debatte noch einen jüngeren Antrag dazuzule-
gen, der nichts mit KWK, aber sehr viel mit Zertifikats-
handel im Energiemarkt zu tun hat.
Vermutlich sind wir uns tatsächlich einig: Das, was un-
ter Ägide des Wirtschaftsministeriums derzeit zusam-
mengeschustert wird, droht tatsächlich ordnungspolitisch
fatal zu werden. Die mir zumindest als aktuell bekannten
Eckpunkte des VDEW für ein Bonusmodell, von denen
sich die der müllerschen Energieagentur nicht substanzi-
ell unterscheiden, huldigen nicht nur der ja allseits als po-
litisch verfehlt angesehenen eigentümerspezifischen För-
derung, sondern das auch noch in sechs verschiedenen
Förderkategorien. Ein bürokratischeres Monster kann
man sich wahrlich kaum noch vorstellen.
Solche Entwicklungen bestärken uns von der PDS ein-
mal mehr darin, an unserem Gesetzentwurf für ein Zerti-
fikathandelsmodell mit zubausichernder Quote festzuhal-
ten. Gewiss ist auch der noch nicht der Weisheit letzter
Schluss den könnte er aber bei seiner öffentlichen An-
hörung am 27. Juni noch bekommen.
Falls den anderen Fraktionen bis dahin noch nichts
Besseres in Gesetzesform eingefallen sein sollte, sind sie
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16103
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natürlich herzlich eingeladen, daran mitzuwirken. Die
Zukunft der Kraft-Wärme-Kopplung und damit einer ef-
fizienten Energieversorgung hätte ein zügiges Handeln,
gepaart mit dem für langfristige Investitionsentscheidun-
gen erforderlichem Augenmaß, auf alle Fälle verdient.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Großen Anfrage:
Situation und Perspektiven der beruflichen Aus-
bildung und des Systems der Weiterbildung als
Stufen eines lebenslangen Lernens
(Tagesordnungspunkt 13)
Ernst Küchler (SPD): Ich bin der PDS-Fraktion
außerordentlich dankbar für ihre Große Anfrage zur be-
ruflichen Ausbildung und zur Weiterbildung, deren aus-
führliche und aufschlussreiche Beantwortung durch die
Bundesregierung uns Gelegenheit gibt, über diesen Teil
der Bildungspolitik im Bundestag zu diskutieren, wobei
ich mich auf die Aussagen zur Weiterbildung beschränken
möchte. Ich verstehe diese kurze Debatte als einen Auf-
takt zu einer Diskussion, die wir noch vor der Sommer-
pause im Plenum und im Ausschuss führen werden. An-
lass hierzu sind die Anträge der Fraktionen und die
Ergebnisse des Hearings zur Weiterbildung.
Die Anfrage und der von der PDS bei der Anhörung
vorgelegte Entwurf eines Antrags lassen bereits erkennen,
welche ordnungspolitischen Vorstellungen ihre Fraktion
verfolgt. Sie hoffen, mit einer bundesgesetzlichen Rege-
lung diesen wichtigen Bildungsbereich neu zu ordnen.
Wir teilen diese Auffassung nicht, auch wenn die SPD-
Fraktion den Handlungsbedarf in diesem wichtigen Poli-
tikfeld durchaus erkennt. Wir sind vielmehr der Meinung,
dass wir auf den folgenden drei Handlungsfeldern agieren
müssen:
Erstens. Die Weiterbildung sollte in den einschlägigen
Gesetzen verankert und damit die Möglichkeiten zur
Wahrnehmung an Weiterbildung verbreitert werden.
Hierzu zählt das SGB III ich erinnere in diesem Zusam-
menhang nur an die SPD-Initiative zu Jobrotation und
ich könnte mir durchaus vorstellen, dass im Rahmen der
Novellierung des SGB III erweiterte Ansprüche und Mög-
lichkeiten zur beruflichen Weiterbildung verankert wer-
den. Hierzu zählt aber auch das Betriebsverfassungsge-
setz, das zur Novellierung ansteht und mit dem die
Mitbestimmung auch auf die Weiterbildung ausgedehnt
werden soll. Auch das Aufstiegsfortbildungsgesetz wird
noch in dieser Legislaturperiode novelliert. Es soll eine
breitere Inanspruchnahme im Rahmen der beruflichen
Aufstiegsfortbildung eröffnen.
Gestern erhielt ich die Stellungnahme des Hauptaus-
schusses des Bundesinstituts für Berufsbildung zum Be-
rufsbildungsbericht 2001, aus der noch einmal deutlich
hervorgeht, welchen Stellenwert die berufliche Weiterbil-
dung hat bzw. haben sollte. Ich kann diese Stellungnahme,
insbesondere das Votum der Arbeitnehmer nur so verste-
hen, dass die Politik alle Anstrengungen unternehmen
muss, die berufliche Weiterbildung zu stärken und die er-
forderlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Wir
werden dieses Thema sicher noch einmal ausführlich
erörtern, wenn wir den Berufsbildungsbericht 2001 hier
im Plenum beraten.
Das zweite Handlungsfeld bezieht sich auf die Mo-
dellprojekte und Programme, die den Kriterien der Struk-
turbildung, der Nachhaltigkeit und der Integration genü-
gen müssen. Wir gehen ab von einer Projektpolitik der
Vergangenheit, die zwar sporadisch Projekte, auch im
Weiterbildungsbereich, gefördert hat, die jedoch keine
nachhaltigen Wirkungen zeitigte. Die in umfangreichen
Abschlussberichten festgehaltenen Ergebnisse blieben oft
wirkungs- und folgenlos. Wir meinen, dass Projekte dann
Sinn machen, wenn sie strukturbildend sind, wenn die ge-
wonnenen Erkenntnisse und Ergebnisse dauerhaft gesi-
chert werden und damit zur Verbesserung der Weiterbil-
dungsinfrastruktur beitragen und wenn sie Elemente der
allgemeinen und der beruflichen Weiterbildung verknüp-
fen. Mit dem Projekt Lernende Regionen hat die Bun-
desregierung ein Modellvorhaben aufgelegt, das schon
heute erkennbar zur Kooperation und zur Vernetzung der
Weiterbildungsakteure in den Regionen führt. Auf die
Ausschreibung haben sich 250 Institutionen, Initiativen
und kooperationswillige Akteure aus dem Weiterbil-
dungsbereich beworben. 50 Modellvorhaben wurden in-
zwischen ausgewählt und ich bin sehr zuversichtlich, dass
sich aus diesem über mehrere Jahre angelegten Projekt
dauerhaft neue, effektivere und die Weiterbildung för-
dernde Netzwerke entwickeln. Die Projekte erschließen
neue Möglichkeiten der Beratung, der Qualitätssicherung
und der Herstellung von mehr Transparenz auf dem Wei-
terbildungssektor, sie eröffnen eine bedarfsgerechtere An-
gebotsstruktur, schöpfen Synergieeffekte ab und tragen,
so ist zu hoffen, zu einer Erhöhung der Weiterbildungsbe-
reitschaft bei. Auch die Modellversuche zu Jobrotation
und deren Auswertung haben dazu beigetragen, die Vo-
raussetzungen dafür zu schaffen, dieses Modell in die
Fläche zu bringen. Vergleichbares wäre aus meiner Sicht
denkbar für die Bereiche Qualitätssicherung oder die
Erprobung von Modellen zur Einrichtung von Lernzeit-
konten.
Das dritte Handlungsfeld bezieht sich auf Foren und
Verhandlungsebenen, die sich als Plattform der Diskus-
sionen, Absprachen und Vereinbarungen anbieten, wie
das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbs-
fähigkeit, das Forum Bildung und die Konzertierte Aktion
Weiterbildung. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang
auf die Gemeinsame Erklärung des Bündnisses für Arbeit,
Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit zu den Ergebnis-
sen des 7. Spitzengesprächs am 4. März 2001 hingewie-
sen, die im Kapitel Qualifizierungsoffensive konkrete
Vorhaben zur beruflichen Weiterbildung enthält. Aus-
drücklich werden darin die Arbeitszeitpolitik mit Zeitgut-
haben für die Weiterbildung, Qualitätssicherungssysteme
sowie die Verbesserungen im Bereich der Weiterbil-
dungsinformation und Weiterbildungsberatung erwähnt.
Und auch im Forum Bildung wurde inzwischen eine Ex-
pertengruppe eingesetzt, die ich zitiere eine über-
greifende Strategie zur Verwirklichung des lebenslangen
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116104
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Lernens erarbeiten soll. Entsprechende Fachtagungen im
Mai und im Juli dieses Jahres stehen auf der Agenda des
Forums.
Sie können aus dieser kurzen Zusammenstellung er-
kennen, dass das Thema Weiterbildung, die Weiterbil-
dungspolitik an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Nun ist
die Politik gefordert, die Rahmenbedingungen und Maß-
nahmen zu schaffen bzw. zu ergreifen, die dazu beitragen,
die allseits bekannten Defizite abzubauen und Strukturen
zu schaffen, die diesem bedeutsamen Bildungsbereich an-
gemessen sind. Wir sollten uns nicht allzu lange bei den
ordnungspolitischen Fragen aufhalten deren Bedeutung
ich nicht verkennen will , sondern uns sehr schnell und
entschlossen daranmachen, Weiterbildungspolitik als ei-
genes Politikfeld wahrzunehmen und zu gestalten. Wei-
terbildung ist ein zu wichtiges Feld, als dass wir es allein
dem Markt, den Lobbyisten und den Zufällen überlassen
könnten. Das machen wir nicht in der Schulpolitik, in der
Hochschulpolitik oder der Berufsbildungspolitik. Es geht
dabei auch um Wirtschaftspolitik Stichworte Standort-
sicherung und Qualifikationssicherung um Sozialpoli-
tik Stichwort: Arbeitsmarkt und Beschäftigungsförde-
rung und um Bildungspolitik. Denn es geht nicht zuletzt
um ein Mehr an Chancengleichheit für die Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Mit ihrer Großen
Anfrage zur Situation und den Perspektiven der berufli-
chen Ausbildung und dem System der Weiterbildung als
Stufen eines lebenslangen Lernens greift die PDS-Frak-
tion Sachverhalte auf, die wir bisher traditionell im Zu-
sammenhang mit dem jährlichen Berufsbildungsbericht
diskutiert haben. Verdienstvoll an den Fragen der PDS ist
allerdings, dass sie im Unterschied zum Berufsbildungs-
bericht exakt 50 Prozent ihrer Fragen der Weiterbildung
gewidmet hat und damit auch die Regierung dazu ge-
bracht hat, ziemlich genau die Hälfte der 60-seitigen Ant-
wort der Weiterbildung zuzuordnen. Damit werden die
Akzente anders gesetzt als in dem jährlichen Berufsbil-
dungsbericht.
Mein Kollege Ernst Küchler wird unsere Einschätzung
zu den notwendigen Schwerpunkten in der Förderung der
Weiterbildung behandeln. Deshalb möchte ich das Anlie-
gen der PDS gerne aufgreifen, insbesondere auf die
Schnittstelle von beruflicher Erstausbildung und Weiter-
bildung in einigen Fragen und Forderungen einzugehen.
Erstens. Was ist nun aus unserer Sicht die Basis für die
lernende Gesellschaft der Zukunft mit ihren verschiede-
nen Stufen eines lebenslangen Lernens? Die Bundesre-
gierung geht in ihrer Antwort davon aus, dass eine mög-
lichst gute Allgemeinbildung und eine qualifizierte
berufliche Erstausbildung die notwendigen Grundlagen
für den Einstieg in ein Berufsleben mit lebensbegleiten-
der Weiterbildung sind. Verbindliche Ausbildungsberufe
mit dem Ziel, volle Berufsfähigkeit am Ende der Ausbil-
dung zu erreichen, sind auch in Übereinstimmung mit den
Sozialpartnern, dem Bündnis für Arbeit wie auch den
Ländern und der Wissenschaft das Fundament, auf dem
Weiterbildungsmotivation, -fähigkeit und -praxis wach-
sen können. Denn gerade die Breite einer grundständigen
Berufsausbildung, die auch allgemeine sprachliche, kul-
turelle und politische Bildungsinhalte integriert, macht
Spezialisierung, Qualifizierung, Transfer auf andere Um-
felder, Entwicklung von Schlüsselkompetenz und das
Weiterlernen erst möglich.
Die SPD-Fraktion stellt sich hinter das Berufsprinzip.
Sie begrüßt entsprechende Positionen der Tarifpartner
und sie erwartet gleichzeitig, dass die Übergänge von be-
ruflicher Erstausbildung und Weiterbildung fließender
und damit die Bildungsbereiche und Bildungswege ins-
gesamt durchlässiger werden, wie es im Regierungsbe-
richt formuliert ist. Für uns heißt das ausdrücklich: Wer
sich aus welchen Gründen auch immer von der echten
Berufsausbildung verabschieden will, schwächt gleich-
zeitig die Basis, auf der weiter gelernt werden kann und
soll.
Zweitens. Die Erstausbildung muss mit der Perspek-
tive des lebenslangen Lernens entsprechend strukturiert
und inhaltlich wie methodisch ausgestaltet werden. Mit
Recht weist die Regierung in ihrer Antwort darauf hin,
dass die in den vergangenen Jahren entwickelten
Strukturmodelle der neuen Ausbildungsberufe hierfür
vorbildlich sind: mit neuen Pflichtbausteinen in der Aus-
bildungsordnung, mit Rahmenlehrplänen und Zusatzqua-
lifikationen. So werden fließende Übergänge in die beruf-
liche Weiterbildung eröffnet. Optimal wäre es, wenn neue
Aus- und Weiterbildungsordnungen parallel entwickelt
werden, wie es zum Beispiel für die neuen Sicherheitsbe-
rufe geplant ist. Damit würden § 25 des Berufsbildungs-
gesetzes über die Ausbildungsordnung und § 46 über die
berufliche Fortbildung näher zusammenrücken. Sollten
wir nicht bei einer Novellierung des Berufsbildungsge-
setzes in Zukunft auch vorsehen, dass jede Ausbildungs-
ordnung bereits aufzeigen muss, welche Fortbildungen es
gibt und welche im Entstehen sind, sozusagen die §§ 25
und 46 von vornherein miteinander verbinden? Der Ge-
danke von Nordrhein-Westfalen, eine Weiterbildungsbe-
ratung bereits in die Berufsschule zu integrieren, geht in
die gleiche Richtung. Die Regierung propagiert in ihrer
Antwort für die Zukunft verkürzte Berufspraxiszeiten, bei
der Zulassung zur Fortbildungsprüfung aufgeteilte Prü-
fungen sowie differenzierte Praxis- und Theorieleistun-
gen, um ein flexibles Berufsbildungs- und Weiterbil-
dungssystem zu erreichen. Wir teilen diese Position und
wünschen dem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wett-
bewerbsfähigkeit an dieser Stelle die nötige Energie und
Durchschlagskraft zum Erfolg.
Im Übrigen als kleiner Nachtrag: Hierzu zählt auch die
Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bil-
dung bei dem Erwerb von Abschlüssen und dem Zugang
zu den Hochschulen. In Deutschland hat sich hier im Kon-
zert mit den Ländern in den vergangenen Jahren vieles
verbessert. Wir können es nur bedauern, dass ein einziges
Bundesland bisher kein Zugangsrecht zu Hochschulen für
beruflich qualifizierte Bewerber geschaffen hat, nämlich
Bayern. Dies spricht auch in dieser späten Stunde für sich
und jedenfalls gegen Bayern.
Drittens. Die Leistungen des dualen Systems mit der
Kooperation der Lernorte Betrieb und Schule sind nicht
zu bezweifeln, in der Verknüpfung von exemplarischer
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16105
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Praxis und allgemeiner Theorie, mehr informellem Ler-
nen im Lernort Betrieb und stärker institutionellem
Lernen in der Schule, mit Differenzierung und Speziali-
sierung im Betrieb und Grundlagenbildung und methodi-
schem Lernen in der Schule. Die Regierung stellt hierzu
in ihrer Antwort auf entsprechende Fragen der PDS fest,
dass gerade angesichts zunehmender Differenzierung,
Spezialisierung und Individualisierung der beruflichen
Qualifikation und Kompetenzen das Lernen im betriebli-
chen Kontext immer wichtiger wird. In Zahlen spiegelt
sich dieses wider, wenn eine Studie des Instituts der Deut-
schen Wirtschaft von 1998 zitiert wird, nach der es ein
starkes Wachstum bei internen, das heißt: innerbetriebli-
chen Lernveranstaltungen von rund 43 Prozent der Be-
schäftigten im Jahr 1992 auf 76 Prozent im Jahr 1998 gibt
und gleichzeitig die Zahl der externen betrieblichen Teil-
nehmer an Lehrveranstaltungen von 11 Prozent auf
10 Prozent gesunken ist. Die betriebliche Lernkultur hat
damit praktisch an Bedeutung gewonnen.
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung hierauf im
Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprogramms
Lernkultur und Kompetenzentwicklung reagiert und
die Verbesserung dieses Lernfeldes fördern will. Wir be-
grüßen aber insbesondere, dass die Bundesregierung mit
dem Förderprogramm Lernende Regionen Förderung
von Netzwerken zur Vernetzung von verschiedenen
Lernorten in der Weiterbildung beitragen und das Cross-
over, die Kooperation der Lernorte, den Austausch, die
Dualität, fördern will. Wenn dual organisierte Hochschu-
len zunehmende Bedeutung bekommen, sollten wir uns
rechtzeitig darauf einstellen, auch das System der Fort-
und Weiterbildung bis hin zur Umschulung stärker dual
auszurichten und hiermit auch in der Weiterbildung auf
bewährte Prinzipien der Erstausbildung zurückzugreifen.
Viertens. In ihrer Antwort zeigt die Bundesregierung
auf den Seiten 47 und 48 auf, dass nicht nur 12 Prozent
der heute 20- bis 29-Jährigen ohne abgeschlossene Be-
rufsausbildung sind, sondern dass es auch bei Personen
mit niedriger schulischer und geringer beruflicher oder
ohne berufliche Qualifizierung bei über 50-Jährigen, bei
Arbeitern und nicht erwerbstätigen Personen eine sehr ge-
ringe Weiterbildungsbeteiligung gibt, selbst wenn sich die
Weiterbildungsbeteiligung insgesamt verdoppelt hat. Nun
soll die Weiterbildung ja gerade dazu beitragen, aus der
fehlenden Erstausbildung resultierende Probleme abzu-
bauen, sie keinesfalls zu festigen oder gar neue Benach-
teiligungen zum Beispiel im Bereich der neuen Medien
entstehen zu lassen. Wir begrüßen deshalb nachdrücklich
die Pläne der Bundesregierung, jetzt vorrangig Ungleich-
gewichte in der Weiterbildungsbeteiligung abzubauen
und Lernungewohnte zu erreichen. Dass hierbei ein brei-
tes Spektrum an Maßnahmen vom Bündnis für Arbeit und
Ausbildung im siebten Spitzengespräch am 4. März ver-
einbart worden ist, stimmt uns hoffnungsvoll. Die Mög-
lichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes SGB III sind
dabei zu nutzen und auszubauen.
Für die Qualifizierung benachteiligter Erwachsener hat
die Kombination von Teilzeitbeschäftigung und Teilzeit-
qualifizierung erhöhte Bedeutung, weil sie einerseits der
Lebenslage dieser Zielgruppe besser entspricht und zu-
gleich die Integration in das Beschäftigungssystem wirk-
sam fördert. Wir wünschen uns hier mutige Schritte bis
hin zu einem Benachteiligtenprogramm für Erwachsene,
so wie auch das JUMP-Programm für die Jugendlichen
Akzente gesetzt hat, quasi als Berufs-Schule der zwei-
ten Chance im Wortsinn konzipiert.
Deshalb unser Fazit: In der Schnittstelle von Erstaus-
bildung und Weiterbildung hat die PDS ein wichtiges
Handlungsfeld in ihren Fragen aufgegriffen. Die Regie-
rung hat hierauf überzeugende und perspektivische Ant-
worten gegeben. Wir sollten uns darin einig sein und da-
raus eine Aufgabe des gesamten Hauses machen.
Werner Lensing (CDU/CSU): Seit Ende der 70er-
Jahre galt Weiterbildung als vermeintliches Patentrezept
für vielerlei Problemlösungen. In der Praxis zeigt sich al-
lerdings, dass bisher die hohen Erwartungen an den My-
thos Weiterbildung leider nicht erfüllt werden konnten.
Die ausgebliebene Verbesserung der Arbeitslosensta-
tistik und ernüchternde praktische Erfahrungen der Wei-
terbildungsoffensive Ostdeutschland Anfang der 90er-
Jahre belegen dies in bedrückender Weise.
Eine Rückführung der Weiterbildungsbudgets auf allen
Ebenen und eine Stagnation des Weiterbildungsvolumens
sind die seit einigen Jahren zu beobachtenden Folgen.
Zwar konstatiert die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf die heute zu debattierende Große Anfrage, dass fast
50 Prozent der 19- bis 64-Jährigen an Lehrgängen, Kur-
sen und Seminaren also lediglich an formaler Weiterbil-
dung teilgenommen haben. Das bedeutet erstens, dass
hierbei die informelle Weiterbildung vollkommen un-
berücksichtigt bleibt, und zweitens, dass die Bundesre-
gierung daraus fälschlicherweise eine quantitative Zu-
nahme der Weiterbildung in Deutschland ableitet.
Tatsächlich ist der persönliche Zeitaufwand für Wei-
terbildung seit der Wiedervereinigung jedoch deutlich ge-
sunken. Entfielen 1992 noch durchschnittlich 19,8 Stun-
den Weiterbildung auf jeden Beschäftigten, ist dieser Wert
für 1995 auf 14 Stunden je Mitarbeiter gefallen. Das sind
Zahlen, die in dem vom Bildungsministerium heraus-
gegebenen Berichtssystem Weiterbildung nachzulesen
sind.
Nun frage ich Sie: Woran liegt es eigentlich, dass diese
Bestandsaufnahme so negativ ausgefallen ist? Die Ant-
wort ist denkbar einfach: Die technokratisch unterstellte
Treffsicherheit gegenwärtiger Weiterbildung entspricht
leider keineswegs der Realität. Der im Bewusstsein der
öffentlichen Wahrnehmung gestiegene Bedeutungszu-
wachs von Weiterbildung resultiert einzig aus deren Inef-
fektivität. Dabei nimmt insbesondere die Tendenz zu,
nach der Weiterbildung zur Kompensation von Proble-
men, die an anderer Stelle nicht gelöst werden können,
missbraucht wird. Die Anhörung des Bundestagsaus-
schusses vom Januar dieses Jahres bewies dies eindeutig.
Das antiquierte und vollkommen überholte Verständnis
von Weiterbildung und lebenslangem Lernen kommt bei
der Großen Anfrage der PDS ebenso klar zum Ausdruck
wie bei den Antworten der Regierung. Diese Feststellung
will ich Ihnen im Folgenden an einigen Beispielen ver-
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116106
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deutlichen: Erstens. Die PDS stellt nachstehende völlig
unverständliche und unsinnige Forderungen auf: die Ver-
abschiedung eines Bundesrahmengesetzes zur Weiterbil-
dung, das Einwirken der Bundesregierung auf die Bun-
desländer, in denen bisher kein Weiterbildungsgesetz
existiert, jetzt unmittelbar ein solches zu beschließen und
die Aufnahme eines Grundrechtes auf Weiterbildung in
unsere Verfassung.
Alle diese Positionen sind angesichts der verfassungs-
rechtlichen Realität vollkommen haltlos.
Damit zeigt sich dieses erneut in aller Deutlichkeit: Die
PDS ist und bleibt primär dem sozialistischen Denken fest
verhaftet, denn sie kann nach wie vor nicht davon ablas-
sen, bei der Suche nach Problemlösungen immer sofort
und ausschließlich nach dem Staat zu rufen. Daher sage
ich Ihnen: Sie haben im letzten Jahrzehnt nichts, aber auch
gar nichts dazugelernt. Ich bezweifle daher, ob das le-
benslange Lernen bei Ihnen überhaupt je einen Sinn ha-
ben wird.
Zweitens. Allerdings beinhaltet auch die Antwort der
Bundesregierung manches unbelehrbares und überholtes
Weiterbildungsdenken. Man merkt ihr ganz deutlich an,
dass beim internen Kampf der SPD und der Grünen zwi-
schen den altgedienten Bildungsideologen und denjeni-
gen, die die Notwendigkeit umfassender Neuorientierung
in der Weiterbildung bereits erkannt haben, letztere leider
deutlich unterlegen sind.
Viele Weiterbildungspositionen der Bundesregierung
sind denn auch genauso aus der Luft gegriffen wie die der
PDS: Der von Rot-Grün gern beschworene Integrative
Ansatz einer wie auch immer gearteten Synthese von all-
gemeiner, beruflicher und politischer Weiterbildung hat
sich schon längst als eine politideologische Luftnummer
erwiesen. Reden Sie, meine Kolleginnen und Kollegen
der Regierungskoalition, doch einmal mit den Menschen
aus den neuen Bundesländern über diese Art vermeintli-
cher Integrativer Weiterbildung! Die Menschen werden
Sie angesichts soviel technischer Arroganz zu Recht fra-
gen: Habt Ihr denn nach den Misserfolgen der giganti-
schen Weiterbildungsbemühungen nach der Wende in
Ostdeutschland überhaupt nichts dazu gelernt? Auch
Ihre Auffassung, Bildungsfreistellungsregelungen seien
grundsätzlich gut geeignet, Weiterbildung im Sinne
lebensbegleitenden Lernens auf breiter Basis zu fördern,
widerspricht vollkommen der Realität, wird doch der Bil-
dungsurlaub von lediglich circa 1,5 Prozent der Erwerbs-
tätigen genutzt. Ihre Behauptung, die Bundesregierung
würde die in dem Memorandum zum lebenslangen Ler-
nen von der Europäischen Kommission vorgelegten
Grundsätze und gemeinsamen Ziele zur Weiterbildung
voll unterstützen, sind absolut haltlos. Es wäre allerdings
schön, wenn die Bundesregierung dies wirklich täte!
Tatsächlich werden aber diese vorbildlichen Initiativen
der Kommission von Rot-Grün eben nicht mitgetragen.
Keine verantwortungsbewusste Politikerin und kein
gewissenhafter Politiker werden angesichts der gegen-
wärtigen Herausforderungen die Notwendigkeit eines le-
benslangen Lernens bestreiten wollen. Sind doch ge-
sellschaftliche Innovation und wirtschaftlicher Struktur-
wandel in hohem Maße von der kontinuierlichen Lernbe-
reitschaft der Menschen abhängig. Es scheint jedoch
evident: Die tatsächlichen Entwicklungen einer hoch-
komplexen und global vernetzten Industriegesellschaft
lassen sich mit den überkommenen Formen traditioneller,
institutionalisierter Weiterbildung nach schulischem
Muster nicht mehr alleine regeln.
Bislang war es allerdings in erster Linie das so ge-
nannte formale Lernen, welches sowohl die Bildungs-
und Ausbildungsangebote als auch die Lernvorstellung
der Menschen geprägt hat. Doch das in Bildungs- und
Ausbildungseinrichtungen stattfindende und zu aner-
kannten Abschlüssen führende Formale Lernen reicht
heutzutage bei weitem nicht mehr aus.
Vielmehr muss die viel wichtigere Kategorie der ver-
schiedenen Lerntätigkeiten, und zwar das so genannte in-
formelle Lernen, zukünftig viel stärker in das Bewusst-
sein der Menschen rücken. Ist doch das informelle Lernen
die älteste Form des Lernens überhaupt. Obgleich es in
der Regel nicht als richtiges Lernen empfunden und da-
her in seiner Effizienz häufig unterbewertet wird, stellt es
nach wie vor die Hauptstütze des Lernens im frühen Kin-
desalter dar.
Das häufig nicht intentionale informelle Lernen ist eine
natürliche Begleiterscheinung des täglichen Lebens, die
selbst von den Lernenden unter Umständen erst gar nicht
als Erweiterung ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten
wahrgenommen wird.
Angesichts der zunehmenden Dynamik heutiger ge-
sellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Prozesse
ist ein Paradigmenwechsel in der Weiterbildung unum-
gänglich. Dies gilt sowohl für die Lehr- und Lernkulturen
als auch für die erstrebte Neuorientierung der Weiterbil-
dung hin zur Kompetenzentwicklung.
Das Konzept des lebenslangen Lernens führt uns vor
Augen, dass Lehren und Lernen Rollen und Tätigkeiten
darstellen, die zu unterschiedlichen Zeiten an verschiede-
nen Orten in mannigfacher Gestalt stattfinden müssen,
und zwar über den Prozess der Arbeit, über das soziale
Umfeld und über die traditionelle Weiterbildung.
Die Anhörung des Bildungsausschusses des Deutschen
Bundestages im Januar hat gezeigt, dass in Deutschland
die Bereitschaft zu diesem dringend gebotenen Paradig-
menwechsel im Bereich des Lernens und der Lernkultur
bedauerlicherweise noch nicht ausreichend ausgeprägt
ist. Die europäischen Nachbarstaaten sind in ihrer weiter-
bildungspolitischen Diskussion bereits wesentlich weiter.
Dies verdeutlicht eindrucksvoll das Memorandum der
Europäischen Kommission über lebenslanges Lernen
vom Oktober vergangenen Jahres.
Daher muss es aktuell Aufgabe unserer Politik sein,
auch in Deutschland moderne Rahmenbedingungen für
eigenverantwortliches, selbstorganisiertes und lebenslan-
ges Lernen in flexiblen und modularen Weiterbildungs-
strukturen zu schaffen.
Ich fordere Sie daher auf, die notwendigen Konse-
quenzen aus der Großen Anfrage einschließlich der Ant-
worten der heutigen Debatte und insbesondere aus der
Anhörung des Bundestagsausschusses vom Januar dieses
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16107
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Jahres zu ziehen. Mein Appell gilt insbesondere denje-
nigen unter Ihnen, die die Notwendigkeit umfassender
Neuorientierung in der Weiterbildung bereits erkannt ha-
ben. Nur durch einen schnell zu vollziehenden Paradig-
menwechsel hat die Weiterbildung in Deutschland eine
realistische Zukunft. Dann ist sie zugleich in der Lage,
wieder an den Stand der Debatte im europäischen Ausland
anzuschließen.
Christian Simmert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gern nehme ich die Gelegenheit wahr, auf Anstoß der
Großen Anfrage der PDS, die bündnisgrünen Vorstellun-
gen zu den Perspektiven der beruflichen Ausbildung und
des Systems der Weiterbildung darzustellen.
Aber eins vorweg: Grundsätzlich gehen wir davon aus,
dass berufliche und allgemeine Bildung nicht mehr klar
voneinander getrennt werden können. Die Grenzen zwi-
schen diesen beiden Themenblöcken waren schon immer
schwer zu ziehen.
In einer Gesellschaft allerdings, in der die Halbwertzeit
von Wissen rapide gesunken ist und allein die Erstausbil-
dung nicht ausreichend ist, um seine Qualifikation zu er-
halten, ist eine Grenzziehung zwischen den unterschiedli-
chen Bildungsbereichen absurd. Alle Teilbereiche bilden
ein gemeinsames Ganzes. Der Begriff lebenslanges Ler-
nen versucht gerade dies zu umschreiben. Je schneller
und unvorhersehbarer sich die beruflichen Anforderungen
verändern, desto wichtiger wird zum Beispiel in der be-
trieblich-beruflichen Weiterbildung eine über Arbeitsplatz-
spezialisierung hinausführende Kompetenzentwicklung.
Aber auch wenn die Grenzziehung entfällt, bildet das
duale Ausbildungssystem weiterhin die Basis. Heute ist es
allerdings nicht mehr die letzte Ausbildungsstufe, sondern
ein Segment, dem weitere folgen werden. Aufbauend auf
dem schulischen Angebot gilt es auch, neben Fakten die
Kompetenz des Lernens zu vermitteln. Denn diese ist
maßgeblich dafür verantwortlich, ob lebenslanges Ler-
nen als Chance oder Last begriffen wird.
Die Bedeutung von Weiterbildung muss demzufolge
gestärkt werden. Bereits im Koalitionsvertrag haben sich
die Regierungsparteien darauf festgelegt, Weiterbildung
zu einem gleichwertigen vierten Bildungsbereich auszu-
bauen. Umgesetzt wird die Vereinbarung durch eine Viel-
zahl von Programmen unter der Federführung des BMBF.
Diese sind nun in dem Aktionsprogramm Lebensbeglei-
tendes Lernen für alle gebündelt. Das Programm trägt
dafür Sorge, dass alle laufenden und geplanten For-
schungs-, Entwicklungs- und Erprobungsmaßnahmen des
Bundes, die auf eine Verwirklichung des Prinzips lebens-
begleitenden Lernens insbesondere in der Weiterbil-
dung ausgerichtet sind, aufeinander aufbauen.
Ohne vollständig auf alle Bereiche des Lebenslangen
Lernens eingehen zu wollen, werde ich kurz einige we-
sentliche Zukunftsaufgaben in diesem Bereich nennen:
Erstens: Qualitätssicherung. In allen Publikationen und
Reden wird das Thema Qualitätssicherung, gerade im
Weiterbildungsbereich, gefordert. Die Bundesregierung
hat hier bereits erste, wichtige Anstöße gegeben. So wird
die Transparenz der Angebote in erster Linie über Infor-
mations- und Beratungsmöglichkeiten hergestellt. Ob-
wohl Vielfalt oft die Qualität des Angebots erhöht, stellt
sich hier die Frage, inwieweit die Vielzahl der unter-
schiedlichen bundesweiten und regionalen Datenbanken
zu den diversen Weiterbildungsangeboten nicht einge-
rechnet die privaten Datenbanken von nicht-öffentlichen
Weiterbildungsträgern tatsächlich zu mehr Transparenz
und damit zu einer wirklichen Qualitätssicherung
beiträgt.
Ein echter Verbraucherschutz in Bezug auf die Bil-
dungsangebote besteht nicht. Einzig der Fernunterricht
wird über ein entsprechendes Bundesgesetz einheitlich
geregelt.
Ziel bündnisgrüner Politik ist es, den Verbraucher-
schutz auszudehnen, ohne den Weiterbildungsbereich
überzuregulieren. Zumindest für die öffentlich geförder-
ten und durch öffentlich-rechtliche Träger veranstalteten
Weiterbildungsmaßnahmen sollten kurzfristig wirksame
Formen des Verbraucherschutzes eingeführt werden.
Mittelfristig muss darüber nachgedacht werden, wie der
Verbraucherschutz auch auf alle anderen Weiterbildungs-
angebote ausgedehnt werden kann. Diese können
beispielsweise folgende Maßnahmen beinhalten: Offenle-
gung des Lehrgangscurriculums, Offenlegung der Erfah-
rung und Qualifikation der Lehrenden und der eingesetz-
ten Lehr- und Lernmittel sowie der Medien, Offenlegung
des zu erreichenden Lernziels, Offenlegung der geplanten
Zahl der Teilnehmer, der Unterrichtsstunden und der Kos-
ten pro Unterrichtsstunde.
Zweitens: Chancengleichheit bzw. Offenheit des Zu-
gangs zu Weiterbildungsmaßnahmen. Die Teilnahme an
Weiterbildungsmaßnahmen verstärkt derzeit die beste-
henden sozialen Unterschiede. Bereits Hochgebildete
nehmen überproportional an Maßnahmen der Weiterbil-
dung teil. Geringerqualifizierte sind in der Weiterbildung
unterrepräsentiert; das gilt für innerbetriebliche Fortbil-
dungen genauso wie für Angebote von Trägern. Die Teil-
nahmequote von Akademikern liegt etwa fünfmal so hoch
wie die der Ungelernten. Jüngere nehmen häufiger teil
als Ältere. Erwerbstätige deutlich häufiger als nicht Er-
werbstätige. In den alten Bundesländern beteiligen sich
Frauen häufiger an der allgemeinen Weiterbildung und
weniger an der beruflichen als Männer. In den neuen Bun-
desländern ist der Anteil in etwa gleich. Erheblich unter-
repräsentiert sind Migrantinnen und Migranten, gerade äl-
tere, die oft über geringe schulische Qualifizierungen
verfügen. Weiterbildung für alle zu ermöglichen ist für
Bündnis 90/Die Grünen eine der zentralen Aufgaben der
staatlichen Weiterbildungspolitik.
Drittens: Weiterbildung und Berufsbildung im euro-
päischen Kontext. Ziel von Bündnis 90/ Die Grünen ist es,
das gemeinsame Europa aktiv zu gestalten. Ein ganz we-
sentlicher Bestandteil ist hier, die Kompatibilität der Aus-
bildungsgänge und Weiterbildungsmaßnahmen in den eu-
ropäischen Mitgliedstaaten zu erreichen. Bisher werden
bereits Studienabschlüsse und Ausbildungen zu regle-
mentierten Berufen auf der Grundlage von EU-Richtli-
nien gegenseitig anerkannt. Im Bereich der beruflichen
Bildung werden Ausbildungsinhalte in mehreren Spra-
chen zugänglich gemacht, um so die Transparenz der ein-
zelnen Ausbildungsgänge international zu gewährleisten.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116108
(C)
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Eine weitere positive Initiative der rot-grünen Re-
gierung ist die Einführung des EUROPASS. Seine Ein-
führung schafft erstmals europaweit eine einheitliche Be-
scheinigung für berufliche Qualifikationen, die im
Ausland erworben wurden. Damit wird die Mobilität von
Berufsbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern geför-
dert. Hier sind allerdings noch weitere Schritte notwendig.
Bisher besteht beispielsweise noch kein unmittelbarer
Zusammenhang zwischen dem EUROPASS und den EU-
Richtlinien zur Anerkennung nationaler Berufsab-
schlüsse, da sich der EUROPASS nur auf im Ausland er-
worbene Teilqualifikationen bezieht. Darüber hinaus
erfolgt die Nutzung des EUROPASS bisher nur auf frei-
williger Basis.
Kurz- bis mittelfristig sind weitere Anstrengungen not-
wendig, um die institutionellen Hürden, die einer Mobi-
lität von Auszubildenden in Europa entgegenstehen, ab-
zubauen. Dabei geht es nicht darum, die internationale
Vielfalt der Ausbildungssysteme zu nivellieren, sondern
darum, die gegenseitige Unterschiedlichkeit anzuerken-
nen und einheitliche Anrechnungssysteme der individuel-
len Bildungsbemühungen zu erarbeiten.
Viertens: Träger von Weiterbildungsmaßnahmen. In
Zukunft sollten sich auch die Hochschulen im Bereich der
Weiterbildung engagieren. Sie verfügen über ein hohes
Maß an fachlicher Kompetenz, die nicht allein Menschen
einer bestimmten Alterstufe vorbehalten bleiben sollte.
Darüber hinaus bietet die Entwicklung von Multimedia-
Technik den Hochschulen eine gute Ausgangslage, neben
den herkömmlichen Seminaren Fernstudien anzubieten.
In Form von Ergänzungs-, Aufbau- und Vertiefungsstudi-
engängen von ein- oder zweijähriger Studiendauer könn-
ten die Universitäten und Fachhochschulen so beispiels-
weise zusätzliche Diplome oder Masterabschlüsse
anbieten.
Wir gehen davon aus, dass die Hochschulen sich auch
dem lukrativen Markt der Weiterbildung öffnen werden,
wenn ihnen ein größeres Maß an Autonomie zugespro-
chen wird.
Bündnis 90/ Die Grünen begrüßt die Debatte um le-
benslanges Lernen. Wir sind überzeugt, dass damit den
Menschen Möglichkeiten geschaffen werden, ihren Le-
bensweg oder genauer: ihre Bildungsbiographie indi-
viduell zu gestalten. Sie müssen sich nicht bei der Wahl
der Erstausbildung im Alter von 16 bis 19 Jahren auf ei-
nen Lebensberuf festlegen, sondern erhalten nun immer
wieder die Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln
und den Beruf zu wechseln. Dies eröffnet die Chance zu
einem Leben jenseits von Routine und Selbstentfremdung
und baut auf der Neugier des Menschen auf, Neues ent-
decken zu wollen und sich ein Leben lang weiterent-
wickeln zu wollen.
Cornelia Pieper (F.D.P.): Das Thema der Großen An-
frage zur beruflichen Aus- und Weiterbildung ist von zen-
traler Bedeutung für die Auszubildenden und Arbeitneh-
mer sowie die leider immer noch viel zu hohe Zahl der
Jugendlichen ohne Ausbildung in Deutschland. Daher ist
es sehr schade, dass die Antwort der Bundesregierung erst
zu dieser späten Stunde im Parlament behandelt wird.
Die Feststellung, dass die gegenwärtige Situation in
der beruflichen Ausbildung und im Bereich der Weiterbil-
dung weit von einer personellen Absicherung von Lern-
zeitansprüchen, von einer Durchlässigkeit zwischen den
einzelnen Stufen des Weiterbildungssystems, von einer
Mitbestimmung der Lernenden und der Sicherung von
Transparenz und Qualität der Weiterbildung entfernt ist,
können auch wir dick unterstreichen. Doch obwohl die
PDS in ihrer Großen Anfrage die Selbstverwirklichung
der Menschen und deren demokratische Mitgestaltung
der Bildungsprozesse in den Mittelpunkt rückt und
obwohl sich der Antrag auf die Stichworte Chancen-
gleichheit, Demokratisierung der Bildungsinhalte und
Bildungsstrukturen, Sicherung einer breiten Allgemein-
bildung und politischen Bildung orientiert, wendet sich
die PDS ja, das zieht sich wie ein roter Faden durch die
gesamte Große Anfrage von einer wirklichen Über-
nahme von Verantwortung durch die Mitglieder unserer
Gesellschaft ab.
Nach Begriffen wie Eigeninitiative und Eigenverant-
wortung und die PDS fordert ja, dass das Individuum in
den Mittelpunkt zu stellen ist sucht man in den Fra-
gestellungen vergebens. Die Fragen sind getragen von ei-
ner uneingeschränkten Staatsgläubigkeit. Die Akteure
von Berufsbildung und Weiterbildung treten dabei abso-
lut in den Hintergrund.
Wir Liberale meinen jedoch, dass wir auf eine Rück-
nahme des Staates drängen müssen. Nur so können wir die
Aufgaben der Zukunft wirklich meistern. Das bedeutet
aber keinesfalls, dass sich der Staat aus seiner Verantwor-
tung zurückziehen muss. Vielmehr muss er sich auf die
Kernbereiche seiner Verantwortung konzentrieren und
diese auch glaubhaft ausfüllen.
Völlig richtig formuliert die Bundesregierung in ihrer
Antwort auf die Frage 1 nach dem Recht auf Bildung
und ein lebenslanges Lernen als ein Grundrecht mit Indi-
vidualanspruch , dass einklagbare soziale Grundrechte
in der Verfassung nicht normiert werden sollen, da der
Staat damit überfordert wäre und sich solche Rechte nur
unter den Bedingungen einer zentralen Verwaltungswirt-
schaft und damit um den Preis der Freiheit einführen
ließen. Und genau das ist der Punkt, in dem die sozialisti-
sche Gesellschaft, in der ich auch einige Jahre lebte, ver-
sagt hat. Doch welchen Preis haben die Menschen im
Osten dafür bezahlen müssen, dass jeder einen Arbeits-
platz zugesprochen bekam, dass jedem jungen Menschen,
staatlich gelenkt, ein Ausbildungsplatz vielleicht in ei-
nem Beruf, den er nie ergreifen wollte zugewiesen
wurde? Den Preis kennen wir alle: ein Leben hinter Mau-
ern und Stacheldraht, ein Leben abgeschottet vom Rest
der Welt, ein Leben in einer immer ärmer werdenden Na-
tur und in teilweise katastrophalen Umweltbedingungen
und letztlich mit dem totalen Zusammenbruch dieses
Staatsgefüges.
Die aufgeworfenen Fragen der PDS sind im Einzelnen
gesehen alle wohlüberlegt und gut ausformuliert. Die Ant-
worten, für die ich mich bei der Bundesregierung be-
danke, bilden eine gute Grundlage für die Erarbeitung von
gezielten Vorschlägen und Initiativen für eine längst fäl-
lige Reform.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16109
(C)
(D)
(A)
(B)
Auf eine Reform können wir in diesem Hause direkt
Einfluss nehmen: auf die Reform der dualen Berufsaus-
bildung in Deutschland. Die vorgelegten Zahlen zeigen
mir erneut, dass längst nicht alle Ausbildungsbetriebe in
Deutschland, die es auch wirklich wünschen, ausbilden
können. In den Antworten wird zu Recht auf Kleinbe-
triebe unter vier Mitarbeitern Bezug genommen. Doch
auch diese Betriebe können wir nicht außen vor lassen.
Diesen Betrieben müssen wir Angebote unterbreiten und
ihnen den Rahmen für ihre Teilhabe an der beruflichen
Bildung schaffen. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat sich
dieses Themas sehr intensiv angenommen und wird noch
im Mai dem Hohen Hause einen entsprechenden Antrag
vorlegen. Darin werden wir dem Deutschen Bundestag
unser Konzept vorstellen und die Bundesregierung auf-
fordern, entsprechende Schritte einzuleiten.
Wir sind der Auffassung, dass gerade die Reform der
beruflichen Bildung einen entscheidenden Beitrag für die
eigenverantwortliche Teilhabe unserer Bürger an den ge-
sellschaftlichen Entwicklungen leistet. Bloß, dabei muss
sie auf die veränderten Bedingungen in der Arbeitswelt
eingehen. Dabei haben wir leistungsstarke und leistungs-
schwache junge Menschen gleichermaßen im Blick. Auch
wir sind zu der Auffassung gelangt, dass die ständige An-
passung der Berufsbilder durch den Staat im Wettlauf mit
der Zeit steht und den Anforderungen der Wirtschaft nicht
mehr gerecht wird. Daher halten wir es für dringend ge-
boten, eine Modularisierung der beruflichen Ausbildung
vorzunehmen, allerdings eine Modularisierung von Aus-
bildungsgängen mit berufsqualifizierenden Abschlüssen,
die auch unseren gemeinsamen Auffassungen vom Be-
rufsprinzip entsprechen.
Wir müssen Leistungsstarke und Leistungsschwache
gleichermaßen fördern und Berufsbilder auch auf jene zu-
schneiden, die nicht durch ihre guten theoretischen Bega-
bungen auffallen und eher praktische Fähigkeiten und
Fertigkeiten aufweisen. Es geht uns eben um echte Chan-
cen für den Einstieg in den Beruf. Unser Ansatz ist ein
duales, liberales und modulares Berufsausbildungssystem
für Deutschland, das einen Weg zur Anpassung dieses Bil-
dungsbereiches an die sich immer dynamisch verändern-
den Qualifikationsanforderungen in Wirtschaft und
Verwaltung aufzeigt. Dazu zählt vor allem, dass wir das
Verhältnis von Staat und Wirtschaft neu definieren
müssen.
Für uns gilt der Grundsatz: Die Verantwortung der
Wirtschaft, ihren eigenen Fachkräftenachwuchs primär
auch selbst auszubilden, darf nicht durch staatliche diri-
gistische Maßnahmen konterkariert werden. Die Berufs-
ausbildung ist die zentrale Zukunftsinvestition der Wirt-
schaft, die lediglich staatlicher Begleitung bedarf. Ja, es
geht um eine enge Partnerschaft von Wirtschaft und Staat.
Und da wir als Legislative für den Staat Verantwortung
tragen, sage ich es ganz deutlich: Es geht hier darum, die
Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft zu stärken. Eines
muss uns klar sein: Die Hauptlast der beruflichen Ausbil-
dung und auch der beruflichen Weiterbildung trägt die
Wirtschaft. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die Luft zum At-
men zu geben. Die Differenzierungsprozesse in der Wirt-
schaft und die zunehmende Dienstleistungsorientierung
der Branchen führt zu sehr unterschiedlichen Berufsaus-
prägungen. Daher braucht die duale Berufsausbildung of-
fene Rahmenbedingungen, die der dynamischen Ent-
wicklung der Arbeitswelt besser gerecht werden.
Dr. Heinrich Fink (PDS): Die Antwort der Bundesre-
gierung auf unsere Große Anfrage ist in der Wahrneh-
mung der Probleme vor allem der Probleme, bei denen
sie auf Versäumnisse der vorigen Regierung verweisen
kann teilweise nicht sehr weit von meiner Sicht entfernt.
Demgegenüber halte ich die angebotenen Ansätze zur Lö-
sung der Probleme für völlig unzureichend.
Das im Laufe eines Jahres zusammengetragene Mate-
rial dient offenbar vor allem dazu, zumindest auf dem
Papier die beträchtliche Diskrepanz zu verringern, die
zwischen den in der Vorbemerkung aufgeschriebenen An-
sprüchen einerseits und der in einzelnen Antworten auf-
scheinenden Realität andererseits besteht. Es werden eine
Reihe von Aktivitäten aufgezählt. Eine vorbehaltslose
und vom wirklichen Leben ausgehende Bewertung der er-
zielten Ergebnisse sucht man aber vergeblich.
Für eine erfolgreiche berufliche Ausbildung kann es
letztlich nur ein Kriterium geben: Keine einzige Jugend-
liche und kein einziger Jugendlicher darf von der gesell-
schaftlichen Ausgrenzung erfasst werden, die dadurch
entsteht, dass sie keinen perspektivreichen Ausbildungs-
platz bekommen oder nach einer mehr schlechten als
rechten Ausbildung die Schwelle zum Arbeitsmarkt nicht
überwinden können.
Die gestern veröffentlichten Zahlen der Bundesanstalt
für Arbeit machen sehr deutlich, dass wir von der Erfül-
lung dieses Kriteriums noch meilenweit entfernt sind. Ich
will mich auf zwei Zahlenpaare beschränken: Ende März
gab es in der gesamten Bundesrepublik 336 252 statistisch
erfasste Jugendliche, die bisher vergeblich einen Ausbil-
dungsplatz gesucht haben, davon allein 120 346 in den
neuen Bundesländern. Und 451 466 Jugendliche unter 25
Jahre waren ohne Arbeit, davon wiederum 166 523 in den
neuen Bundesländern, die an diesen beiden unrühmlichen
Zahlen also merklich überproportional beteiligt sind.
An diesen gravierenden Tatbeständen ändern auch die
gelegentlichen kleinen Korrekturen zum Besseren nichts
grundsätzlich. Eine solche hat uns die Ministerin gestern
wieder einmal zur Kenntnis gegeben. Weder die Verein-
barungen im Bündnis noch die Sofortprogramme haben
zu einem wirklichen Durchbruch geführt. Vor allem die
Antworten zu den Fragen 16, 17 und 18 machen die
großen Probleme an der so genannten Zweiten Schwelle
deutlich.
Es müssen endlich die Rahmenbedingungen für ein
tatsächlich ausreichendes, auswahlfähiges und qualitativ
hochwertiges Ausbildungsangebot her, zu dem alle Ju-
gendlichen auch die im Osten und die leistungs-
schwächeren gleiche Zugangsmöglichkeiten haben.
Die durch Sonder- und Sofortprogramme erfolgten
Fehlentwicklungen müssen gestoppt werden. Sie haben
zwar zur quantitativen Entschärfung der Situation beige-
tragen, aber auch dazu, dass ein großer Teil der Ausbil-
dung an den Interessen der Jugendlichen und am Arbeits-
markt vorbei geht und dass wir es heute mit
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 200116110
(C)
(D)
(A)
(B)
Auszubildenden erster, zweiter und dritter Klasse zu tun
haben.
Für eine grundlegende Wende in der Ausbildungspoli-
tik reichen weder Sofortprogramme noch die Hoffnung
auf die Einsicht der Wirtschaft. Ein kontinuierliches Aus-
bildungsangebot, das auch Qualitätsansprüchen gerecht
wird, kann nur gesichert werden, wenn sich die Ord-
nungspolitik ernsthaft der entstandenen Vielfalt von
dualen, schulischen und Ersatz-Ausbildungsgängen an-
nimmt. Qualitative Mindeststandards müssen festge-
schrieben werden. Anderenfalls sind weder Gleichwer-
tigkeit noch Anerkennung und Anschlussfähigkeit zu
erreichen. Natürlich müssen im Rahmen einer solchen
Reform die Vorzüge des dualen Systems und das Berufs-
prinzip gewahrt werden.
Gleichzeitig darf die Wirtschaft als hauptsächlicher
Nutzer von Ausbildung nicht aus der Verantwortung ent-
lassen werden. Deshalb bleibt es bei unserer Forderung
nach einer solidarischen Umlagefinanzierung: Wer nicht
ausbildet, obwohl er könnte, soll diejenigen, die ausbil-
den, wenigstens finanziell unterstützen.
In der Weiterbildung, deren Defizite die Bundesregie-
rung in vielerlei Hinsicht einräumt, sieht die Bundesre-
gierung den Gipfel ihrer Kompetenz und Verantwortung
dadurch erreicht, dass sie die schier unübersehbare Zahl
ihrer Projekte und Maßnahmen mit dem Aktionspro-
gramm: Lebensbegleitendes Lernen für alle unter ein
formelles Dach gebracht hat. Auch wenn diese punktuel-
len Aktivitäten neuerdings mit dem Beiwort strukturbil-
dend versehen werden, greifen sie nicht weiter. So sind
Wildwuchs und Fehlentwicklungen in diesem immer
wichtiger werdenden Bildungsbereich nicht zu stoppen
oder gar umzukehren. Das haben vor allem die Sachver-
ständigen in der Anhörung unseres Ausschusses bestätigt,
die die Probleme vorrangig aus der Sicht der Teilnehmer
analysieren und Lösungen von deren Bedürfnissen und
Interessen aus suchen.
Meine Skepsis kann die Bundesregierung mit ihren
Antworten nicht ausräumen. Beispielhaft wird das an den
Antworten zu den Fragen 43 und 44 deutlich, die sich auf
einen Befund beziehen, der die Untauglichkeit des ge-
genwärtigen Weiterbildungssystems in besonderer Weise
erkennen lässt: Ich meine die bekannte Tendenz, wonach
Weiterbildung die bildungsbedingte und soziale Selektion
verstärkt statt abbaut. In der Antwort liefert die Bundes-
regierung noch einmal die Zahlen, die diese Tendenz be-
legen, und gibt ihrer Überzeugung Ausdruck, dass es da-
rum gehen müsse, diese Tendenz umzukehren. Allerdings
wird in keiner Weise deutlich, wo der Weg zu einer sol-
chen Umkehrung ist. Da heißt es mit Bezug auf so ge-
nannte bildungsferne Gruppen unter anderem, dass die
Beteiligten im Bündnis für Arbeit sich verständigt hätten,
die Bereitschaft und den Zugang dieser Personengruppe
zur Weiterbildung verstärkt zu fördern, die medien- und
netzgestützten Angebote gerade für Lernungewohnte zu
öffnen, Kompetenzentwicklung neben Wissensvermitt-
lung als Ziel von Weiterbildungsmaßnahmen zu stärken
und mehr Nachqualifizierung für junge Erwachsene zu er-
möglichen. Man erfährt allerdings nicht, wie das erreicht
werden soll, wie hoch diese Förderung ist, worin sie be-
steht und wie lange sie wem gewährt wird. Lege ich die
bereits wiederholten vollmundigen Ankündigungen des
Bündnisses im Bereich der Ausbildung zu Grunde, so
sehe ich wenig Veranlassung, zu glauben, dass diese un-
verbindlichen Absichtserklärungen zur Weiterbildung
größere Durchschlagkraft haben werden.
Auf diesem Wege der Projekte und gutgemeinten Ab-
sichten wird es nicht gelingen, die Weiterbildung zu ei-
nem gleichwertigen vierten Bildungsbereich zu ent-
wickeln, wie das noch im Koalitionsvertrag vereinbart
worden war. Um hier voranzukommen, bedarf es einer
durchgreifenden systematischen Strukturierung des ge-
samten Weiterbildungsbereiches. In diesem Sinne unter-
stützen wir die Vorschläge einiger Gewerkschaften für
Bundesregelungen in der beruflichen Weiterbildung, se-
hen aber auch die Gefahren, die mit einer Beschränkung
auf die berufliche Weiterbildung verbunden sind. Zu die-
sen Gefahren gehört vor allem, dass damit eine weitere
Abwertung der allgemeinen, kulturellen und politischen
Weiterbildung einhergehen könnte, die für die individu-
elle und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung von
ausschlaggebender Bedeutung ist. Deshalb treten die Bil-
dungspolitiker meiner Partei für ein Bundesrahmengesetz
ein, das alle Bereiche der Weiterbildung umfasst. Die Wi-
derstände dagegen sind groß. Aber meiner Meinung nach
kann die Weiterbildung so am ehesten ihre vielschichtigen
Funktionen erfüllen, von denen ich den Beitrag der Wei-
terbildung zu einer erfüllten Lebensgestaltung jedes ein-
zelnen Menschen für die wichtigste halte.
Deutscher Bundestag 14. Wahlperiode 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 5. April 2001 16111
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