Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Lassen Sie mich mit einem bemer-
kenswerten Zitat beginnen. Der Kollege Heinz Schemken
hat den Beitrag seiner Fraktion zur ersten Beratung des
vorliegenden Gesetzentwurfes Ende Oktober dieses Jah-
res mit folgenden Worten eingeleitet:
Wenn es so ist, dass die Frage der Verfassungswid-
rigkeit für Sie einen so hohen Stellenwert hat, frage
ich Sie ausdrücklich, warum Sie das Ganze nicht un-
mittelbar im Dezember 1998 geregelt haben ...
Deutlicher hat die CDU/CSU-Fraktion ihr offensicht-
lich gestörtes Verhältnis zu unserer Verfassung und den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in Sa-
chen Einmalzahlungen bisher nicht zum Ausdruck ge-
bracht.
Ich will Ihnen, Herr Kollege Schemken, und Ihrer
Fraktion die Antwort nicht schuldig bleiben: Ja, die Ver-
fassung hat für uns einen so herausragenden Stellenwert!
Deshalb nehmen wir die Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts ernst und ziehen die erforderlichen poli-
tischen und fachlichen Konsequenzen daraus, auch wenn
es unsere Bemühungen zur Haushaltskonsolidierung er-
heblich belastet und wenn es unsere Handlungsspiel-
räume zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit, die Sie uns
hinterlassen haben, einschränkt.
Dies steht ganz im Gegensatz zu den Tricksereien und
Taschenspielereien, mit denen Sie sich zur Zeit Ihrer Re-
gierungstätigkeit um Ihre Verantwortung gegenüber der
Verfassung und den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern
gedrückt haben.
Ich will dies den Bürgerinnen und Bürgern in Deutsch-
land und Ihnen noch einmal in aller Klarheit vor Augen
führen: Am 11. Januar 1995 entschied das Bundesverfas-
sungsgericht, dass es mit dem Grundgesetz nicht zu ver-
einbaren ist, dass die Regierung Helmut Kohls über ein
Dutzend Jahre lang Beiträge auf Weihnachtsgelder, Ur-
laubsgelder und Sonderzahlungen einzieht, den Bei-
tragszahlern aber dann die kalte Schulter zeigt, wenn der
Notfall eintritt, für den sie ihre Versicherungsbeiträge ge-
zahlt haben. Und was tut die damalige Koalition? Sie kas-
siert zwei weitere Jahre in aller Ruhe ab und erlässt dann
ein neues Gesetz, das dieselbe verquere Rechtslage unter
neuen Paragraphennummern fortschreibt.
Ich will ausdrücklich – ich war selbst dabei – auch
noch einmal an die Adressen des Kollegen Schemken und
anderer sagen: Wir haben schon damals in der Anhörung
gesagt, dass das, was neu geregelt werde, verfassungs-
widrig sei. Daraufhin ist uns mitgeteilt worden: Das kön-
nen wir ja erst einmal sehen. Wir machen es jetzt so und
dann geht es seinen Weg. Dann werden wir schon sehen,
was das Bundesverfassungsgericht dazu sagt.
Ich halte es für etwas zynisch, Herr Schemken, wenn
Sie uns dann vorwerfen, wir hätten die Folgen Ihrer ver-
fassungswidrigen Haltung unmittelbar nach der Regie-
rungsübernahme 1998 beseitigen sollen. Sie werfen uns in
Verkennung der Situation dann auch noch Versäumnisse
hinsichtlich verfassungswidriger Vorschriften vor. Dies
halte ich für ein tolldreistes Stück.
Auf diese Unterstellung will ich eingehen: Wir haben
nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass wir es für verfas-
sungswidrig halten, Einmalzahlungen beim Arbeitslo-
sengeld und beim Krankengeld nicht zu berücksichti-
gen. Die jetzige Bundesministerin der Justiz, die Kollegin
Hertha Däubler-Gmelin, hat Ihnen das schon damals, als
wir noch in der Opposition waren, in aller Deutlichkeit ge-
sagt, als es um die Beratung Ihres Gesetzentwurfes im
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages ging. Kon-
sequent hat die Bundesregierung dem Bundesverfas-
sungsgericht in ihrer Stellungnahme zu den dort laufen-
den Verfahren mitgeteilt, dass sie eine gesetzliche
Neuregelung vorschlagen wird.
Wahr ist aber auch, dass dieses Parlament in der ersten
Hälfte dieser Wahlperiode ein unglaubliches Arbeitspen-
sum geleistet hat und noch leistet, um all die Probleme zu
beseitigen, die über Jahre ungelöst Wirtschaft und Gesell-
schaft in Deutschland belastet haben.
Schritt für Schritt lösen wir den Reformstau auf, der
Deutschland national wie international zurückgeworfen
hat. Wir haben viele Projekte eingeleitet und zu einem
guten Teil auch bereits erfolgreich abgeschlossen. Wir
müssen uns nicht vorwerfen lassen, dass wir nicht alle
drängenden Probleme sofort lösen können, die sich in
16 Jahren zuvor aufgebaut haben.
Auch mit dem vorliegenden Vorhaben setzen wir unse-
ren Weg der Konsolidierung der Haushalte, der Bekämp-
fung der Arbeitslosigkeit und zu mehr Verteilungs-
gerechtigkeit fort. Ich bitte Sie ausdrücklich, diesem
Gesetzentwurf zuzustimmen. Mit dem In-Kraft-Treten
erhält, wer Beiträge zur Sozialversicherung für Weih-
nachtsgeld und Urlaubsgeld entrichtet, entsprechend
höhere Versicherungsleistungen aus der Arbeitslosenver-
sicherung und der gesetzlichen Krankenversicherung.
Das heißt: mehr Gerechtigkeit für Empfänger von
Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld, Übergangsgeld, Kran-
kengeld und Verletztengeld.
Das ist der F.D.P., meine Damen und Herren, schon
wieder zu viel an Gerechtigkeit. Wen wundert es? Der
Herr Abgeordnete Niebel – ich sehe ihn leider nicht –
hat hier so locker, wie man nur dann sein kann, wenn man
keine Verantwortung trägt, verkündet, es sei die bessere
Lösung, auf die Beiträge für Einmalzahlungen zu ver-
zichten.
Das klang, als Sie noch mitregieren durften, ganz anders.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000 13513
Die frühere Kollegin Gisela Babel hat das in der zweiten
und dritten Lesung Ihres damaligen Gesetzentwurfes am
18. Oktober 1996 sehr überzeugend vorgetragen:
Ein Herausnehmen der Einmalzahlungen aus den
Beiträgen führt zu Einnahmeausfällen in Höhe von
25 bis 30 Milliarden DM. Das ist gerade in jetziger
Zeit nicht auszugleichen.
Der Position von Frau Kollegin Babel von damals habe
ich heute überhaupt nichts hinzuzufügen.
Leider – das ist sozialpolitisch natürlich bedauerlich –
können wir die Ungerechtigkeiten, die unsere Vorgänger
hinterlassen haben, nur begrenzt ausgleichen. Die nach
wie vor viel zu hohe Arbeitslosigkeit und die damit ver-
bundenen Kosten lassen es nicht zu, Leistungen für die
Vergangenheit über das verfassungsrechtlich gebotene
Maß hinaus nachzuzahlen.
Aber wir haben dafür gesorgt, dass vom Tage der Ver-
kündung der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts an bei der Bundesanstalt für Arbeit alle laufenden
Leistungsfälle pauschal und damit unbürokratisch erhöht
wurden. Wir wollten den verfassungswidrigen Zustand
nicht beibehalten, bis dieses Gesetzgebungsverfahren
abgeschlossen wird.
Wir sind damit bei allen Beteiligten auf Wohlwollen
gestoßen. Ich bedanke mich dafür ausdrücklich bei der
Bundesanstalt für Arbeit, bei der Selbstverwaltung und
dem Präsidenten, und bei den Mitarbeitern der
Arbeitsverwaltung, die diese pauschale Regelung ganz
schnell technisch umgesetzt haben.
Rückwirkend hat uns das Bundesverfassungsgericht
aufgegeben, all jene Betroffenen zu berücksichtigen, de-
ren Leistungen noch nicht bestandskräftig beschieden wa-
ren. Selbstverständlich ist es unbefriedigend und be-
drückend, dass wir nicht auch allen anderen Arbeitslosen
rückwirkend ein höheres Arbeitslosengeld gewähren kön-
nen. Die Haushaltslage lässt eine solche Lösung aber
nicht zu. Wir müssten sonst zulasten der Arbeitslosen von
heute und morgen drastisch in die Instrumente der aktiven
Arbeitsmarktpolitik eingreifen, was wir nicht wollen.
Deswegen will ich hier noch einmal ausdrücklich sa-
gen: Das, was wir mit diesem Gesetzentwurf machen, ent-
spricht voll dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
und ist im Rahmen des verfassungsmäßig Machbaren
verantwortbar. Ich werbe ausdrücklich für die Lösung, die
wir mit diesem Gesetzentwurf eingebracht haben.
Herzlichen Dank.