Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Es ist guter Brauch, zu Beginn der
Schlussrunde zunächst einmal den Mitarbeitern des
Haushaltsausschusses sowie den Mitarbeitern der Abge-
ordneten, der Ministerien und des Bundesrechnungshofs
für die Arbeit, die sie in den letzten Wochen geleistet ha-
ben, zu danken.
Ich bin immer fasziniert, was insbesondere im Haus-
haltsausschuss geleistet wird. Ich ersticke oft in der Fülle
des Papiers. Ich komme damit nicht klar und beneide im-
mer den Ausschussvorsitzenden, der die Papiere so wohl
geordnet hat. Ich bin da fast immer im Chaos, aber das ist
Ihnen zu verdanken.
Herr Poß, Sie haben eben vorgetragen, Sie wollten, um
den Bürgern die Dinge einmal vor Augen zu führen, ein
Stück Schärfe in die Diskussion bringen. Ich frage mich,
nachdem ich Ihren Beitrag gehört habe, ob die Schärfe im
Tonfall in Übereinstimmung mit der Schärfe des Argu-
ments steht.
Darüber lasse ich die Bürger draußen ihr Urteil fällen,
Herr Poß.
In der Schlussrunde möchte ich feststellen: Der Kurs
der Schuldenabbaupolitik ist richtig.
Deutschland befindet sich damit im Geleitzug der großen
Industriestaaten. Es ist dem Finanzminister zugute zu hal-
ten, dass er die enormen Einnahmezuwächse – Herr Poß,
dazu gehören natürlich auch die Erlöse aus der Versteige-
rung der UMTS-Linzenzen – nicht benutzt, um die Be-
gehrlichkeiten der Ressorts zu bedienen, sondern dass da-
mit die Schulden abgebaut werden.
Das ist eine Politik, die wir unterstützen.
Allerdings halte ich es für neben der Sache liegend,
diesen Haushalt 2001 als einen Sparhaushalt zu bezeich-
nen. Die Ausgabenseite wurde nicht konsolidiert. Herr
Lafontaine hatte im Jahre 1999 den Haushalt gegenüber
dem des Vorjahres um 20 Milliarden DM aufgeblasen.
Nun davon einige wenige Milliarden zurückzuführen, um
dann ab 2002 wieder kräftig draufzusatteln, hat mit einem
Sparkurs nichts zu tun. Sie haben Ihre Schularbeiten nicht
gemacht.
Die rot-grüne Koalition hat sich in dieser Haushaltsde-
batte bemüht, sich das Mäntelchen des Reformers um-
zuhängen. Ich kann das aus verschiedenen Gründen nicht
akzeptieren.
Zunächst einmal hat es Herr Eichel in dieser Debatte
– ich erinnere mich an seine Rede am Dienstag – fertig ge-
bracht, die Wachstumsraten des Bruttosozialprodukts im
Deutschland der 90er-Jahre den heutigen Wachstumsraten
gegenüberzustellen. Er hat das auch in Bezug auf den Ar-
beitsmarkt getan: Die positiven Abweichungen, die es da
gebe, seien natürlich ein Verdienst der rot-grünen Koa-
lition gewesen.
Faktum ist – das sollten die Menschen wissen –, dass
die Konjunkturdaten in den 90er-Jahren in allen europä-
ischen Ländern schlechter waren als heute. Über die
Gründe dafür haben wir oft genug diskutiert. Die kon-
junkturelle Wende, die zu deutlichen Wachstumssteige-
rungen und zu positiven Folgen in Bezug auf das Brutto-
sozialprodukt geführt hat, und die Wende auf dem
Arbeitsmarkt wurden 1998 herbeigeführt. Das hat Kol-
lege Eichel einfach unterschlagen.
Faktum ist, dass Deutschland heute im Hinblick auf
den Wachstumsprozess, obwohl die Wachstumsraten, ab-
solut gesehen, höher sind, im europäischen Vergleich zu-
sammen mit Italien das Schlusslicht in Europa darstellt.
Auch das wurde einfach vergessen. Das sollten die Men-
schen aber wissen. Man kann in diesem Zusammenhang
nicht mit absoluten Zahlen arbeiten; das ist irreführend
und unredlich.
Meine Damen und Herren, die Koalition spricht von ei-
ner Auflösung des Reformstaus. Tatsache ist, dass Rot-
Grün damals in der Oppositionsrolle alle wichtigen Re-
formen bekämpft und die wichtigste von ihnen, die
Reform des Einkommen- und Körperschaftsteuer-
rechts, verhindert hat. Ich gestehe Ihnen ausdrücklich
zu – denn ich will eine faire Rede halten –, dass es nun-
mehr bei den direkten Steuern zu einer Reform gekom-
men ist. Die ist zwar weniger mittelstandsfreundlich als
notwendig und geht am Ziel der Steuervereinfachung vor-
bei. Aber sie führt zu einer Entlastung und gibt der Wirt-
schaft Impulse. Dort wird sie auch positiv aufgenommen.
Das ist Ihr Verdienst; das sage ich hier ganz klar.
Wenn ich mir Ihre anderen Reformvorhaben ansehe
– Herr Poß, meine Damen und Herren von der Koalition,
Sie sagen doch, Sie hätten den Reformstau aufgelöst –,
stelle ich bei den Steuern als dem ersten Bereich fest: Die
von Ihnen eingeführte unselige Ökosteuer ist vom Ansatz
her verfehlt. Dies hat verheerende Folgen gerade für die
Bezieher kleiner Einkommen und für den Mittelstand.
Das wird Ihr Waterloo werden; das habe ich hier schon
einmal gesagt; ich wiederhole das.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 200013494
Die Rentenreform – das ist der zweite Bereich – ist
zum Dauerärgernis geworden. Begonnen hatten Sie da-
mit, eine Komponente der Leistungskorrektur abzuschaf-
fen, die Sie jetzt mit einer anderen Überschrift wieder ein-
führen müssen. Ihr Reformentwurf ist noch immer zu
kompliziert und an vielen entscheidenden Stellen un-
zulänglich, insbesondere dann, wenn es darum geht, die
private Altersvorsorge zu fördern. Ganz wichtige Berei-
che werden aus der Förderung herausgenommen. Diese
Reform ist im Ansatz verfehlt.
Der dritte Bereich ist die Gesundheitsreform. So wie
es aussieht, wird sie gegen die Wand gefahren. Das Kon-
zept stimmt nicht; alle Beteiligten verweigern sich.
Im vierten Bereich, im Arbeitsrecht, einem der großen
Reformbereiche, gibt es eine Kette von Ungereimtheiten
und Ärgernissen. Das beginnt mit dem 630-Mark-Gesetz
sowie mit dem verunglückten Gesetz zur Scheinselbst-
ständigkeit und endet beim Gesetz zur Teilzeitarbeit und
zu befristeten Arbeitsverhältnissen.
Teilzeit wird dadurch eher verhindert. Denn Ihr dies-
bezügliches Gesetz ist kompliziert, ellenlang, kaum ver-
ständlich sowie mit Ausnahmeregelungen und un-
bestimmten Rechtsbegriffen gespickt, wie das für
überhaupt alles gilt, was aus dem Bereich Riester kommt.
Es ist kaum lesbar, kaum verständlich und kaum anwend-
bar. Fragen Sie doch einmal die Arbeitsrichter, wie sie
dieses Vorhaben beurteilen.
Ein weiterer Bereich ist die Energiepolitik – dabei
lasse ich die 30-jährige Garantie für den Betrieb von
Kernkraftwerken außen vor –: Durch falsche Fördersys-
teme und falsche Fördersätze bei den erneuerbaren Ener-
gien sowie beim ungebremsten Ausbau der Kraft-Wärme-
Kopplung werden sage und schreibe 40 Prozent des
gerade einmal liberalisierten Marktes rereguliert, also
wieder in die Regulierung zurückgeführt. Die Kraft-
werkswirtschaft fasst sich an den Kopf. Die Verbraucher
werden das bezahlen müssen.
Ist das eine gelungene Reformpolitik, meine Damen und
Herren? – Das ist das Gegenteil!
Ich möchte auch auf das Justizministerium, das anson-
sten gar nicht so sehr im Mittelpunkt steht, zu sprechen
kommen: Die Justizministerin will das Mietrecht am
Markt vorbei reformieren. Sie verfolgt die Reform des
Zivilprozessrechts in einer Weise, dass die beteiligten
Kreise das überhaupt nicht mehr nachvollziehen können.
Es hat noch nie so viel Ärger über ein Justizressort
gegeben, wie das gegenwärtig der Fall ist, und zwar aus
unterschiedlichen Gründen.
Frau Däubler-Gmelin geht in einer fast sektiererischen
Weise vor. Unsere schwäbischen Mitbürger haben ja viele
gute Eigenschaften aber man sagt ihnen nach, es gebe
unter ihnen zuweilen ein Sektierertum. Was die Jus-
tizministerin tut, ist sektiererisch.
Ich will jetzt nicht auf die Bundeswehr eingehen, bei
der Notoperationen gesucht werden, um die Reform
durchzuführen, die wir alle wollen, und vieles andere
mehr. Stattdessen will ich noch ein paar Bemerkungen zu
einigen Kuriositäten der Etatpolitik im Detail machen.
Ich beginne mit der Subventionierung der Steinkohle.
Sie, Herr Kollege Wagner, haben uns jahrelang den Vor-
wurf gemacht, wir würden bestehende Verträge nicht ein-
halten. Dabei war gar nichts anderes passiert, als dass wir
die Modalitäten der Zahlungen von öffentlicher Seite an
die Unternehmen mit deren Liquiditätsbedarf in Einklang
gebracht haben, und zwar immer im Einvernehmen mit
den Unternehmen.
Damals wurde gesagt, das sei Wortbruch. Der Kollege
Wagner ist, wenn er darüber gesprochen hat, immer na-
hezu kollabiert, und der Kollege Urbaniak hat regelmäßig
Tränen vor Rührung und Entsetzen in den Augen gehabt.
Heute machen Sie nichts anderes – frank, fröhlich, frei –,
aber heute ist das die hohe Kunst der Finanzpolitik. Es ist
nichts anderes als bei uns. Was haben wir hier für Debat-
ten geführt!
Jetzt möchte ich, allerdings nur kurz, die EXPO an-
sprechen.
– Ich stehe zur EXPO, ich fand sie gut. Aber sie wurde von
vielen, auch aus Ihren Reihen, kaputtgeredet.
Darum geht es hier jetzt aber nicht. Ich will wissen, wer
die Defizite trägt.
Bund und Niedersachsen jeweils zur Hälfte, wie verein-
bart, oder gibt es aus nahe liegenden Gründen Trick-
sereien zugunsten des Landes Niedersachsen? Das darf
nicht sein. Das hat mit dem Inhalt der EXPO nichts zu tun.
Ein Wort zur Studienförderung:Was sind die Fakten?
Sie haben die Höchstsätze beim BAföG von 1 030DM auf
1 100 DM erhöht. Daneben führen Sie eine Rückzah-
lungsgrenze in Höhe von 20 000 DM ein. Darüber kann
man reden, aber eine richtungsweisende Reform ist das
nicht.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 138. Sitzung. Berlin, Freitag, den 1. Dezember 2000
Dr. Günter Rexrodt
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Schauen Sie sich unser BAföG-Modell an; wir wollen
eine strukturelle Veränderung, eine elternunabhängige
Förderung. Dafür muss Geld in die Hand genommen wer-
den, deshalb haben wir einen entsprechenden Antrag
gestellt.
Sie haben viel zu wenig gemacht und Sie haben es
nicht richtig gemacht, wie immer.
Denn Sie meinen, Sie seien im Besitz der absoluten
Wahrheit. Sie wollen Volksbeglückung, aber nicht an die
wirklichen Wurzeln herangehen.
Ich habe leider aus Zeitgründen nicht mehr die Mög-
lichkeit, auf die Bahnreform einzugehen. Wenn Sie da
nicht umschalten, wird das Ganze ein Fass ohne Boden.
Ich sage das alles nur mit Blick darauf, dass trotz einer
guten Grundausrichtung der Haushalts- und Finanzpolitik
bezüglich des Schuldenabbaus die eigentlichen Probleme
auf der Ausgabenseite nicht angepackt werden. Hier wird
nur herumgedoktert und herumgeschustert, aber es gibt
kein wirkliches Konzept. Deutschland wird in schwerer
Zeit, wenn die Einnahmenzuwächse bei einer schwachen
Konjunktur und weniger Privatisierungserlösen geringer
ausfallen, keine Reserven haben. Sie haben noch nicht ge-
lernt, mit dem Haushalt angemessen umzugehen.